Bumerang und atmen

und ein bisschen lustig ist es doch
wenn man dann über Dinge wie Armut und “Aber das haben Sie jetzt nicht gehört” und “das wissen Sie nicht” und “wie gut, dass Sie das jetzt schon vergessen haben” die sich immer, zwangsläufig irgendwie, direkt daneben abspielen, spricht.

Auch deshalb werde ich nie nie niemals eine Biografie schreiben _können_, in der ich “mein Schweigen breche”.
Nicht nur, weil ich das pathetisch und unangemessen finde, sondern, weil Schweigen und gezielte Unkenntnisse der Kleister sind, der das, was ich hier mache bis jetzt zusammenhält.

Gerade ist die neue gesetzliche Betreuerin wieder gefahren und es war schön.
Mir ist schlecht, ich hab Angst, aber es geht mir richtig gut.

Weil sie alles und nichts gehört hat.
Sie weiß, dass ich mit zweidreiviertel Beinen in der Strafbarkeit stehe und gleichzeitig Opfer geworden bin. Und irgendwie alles gleichzeitig nebenher gelaufen ist. Manchmal ohne mich, manchmal wegen mir und manchmal auch, weil ich das so wollte und nicht anders und manchmal, weil andere da waren, oder nicht, oder etwas wollen, was sie nicht hätten wollen dürfen sollen.

Hach.
Atmen.

Ich weiß ja auch nicht, wieso ich eigentlich nicht schon längst unter einer Brücke wohne oder schon länger nicht am Essen knipsen musste.
Und wieso so viele Menschen irgendwie immer noch da sind und immer noch nicht gemerkt haben, wie ich stinke. Und ach überhaupt.

Ich hab damit ja irgendwie doch auch beruhigend wenig zu tun.
Menschen sehen, was sie sehen wollen.
Was sie sehen können.

Ich bin nur Projektionsfläche und manchmal Impulsquelle.

Ach ach ach
Atmen.

Ich hab mich so ungerächt gefühlt und jetzt sehe ich endlich den Bumerang in die richtige Richtung fliegen.
Nichts vergeht, nur weil man nicht drüber spricht.

”Was hast du denn geglaubt, was meine Optionen sind? Was hast du denn gedacht, wie sich so eine Nummer bei jemandem wie mir bedeckt halten soll?”, befinde ich mich in einem endlich endlich stattfindenden Streitgespräch,  mit dem Bild von H. in meinem Kopf.
”Hast du eigentlich nachgedacht? Oder hast du an mich als das kleine Huschi von 2006 gedacht, für das du deinen Rücken breit machen musst, weil “darum”? Weil du dich aufopfern musst, oder was? Weil “du und ich gegen die ganze Welt” ja schon immer eine so super gute Idee war?”, in Gedanken schaue ich ihr streng ins Gesicht. Von oben runter. Sehr groß. Kalt und unnachgiebig. Wie ich nie sein kann außerhalb meines Kopfes.
”Hast du gedacht- habt ihr gedacht” – ich drehe den Kopf an die Tür im Gedankenzimmer, wo S. steht und sich an einer Flasche Fensterputzmittel und einem Viskosetuch festhält, um nicht von meinem Wutsturm weggepustet zu werden – “wenn ihr euch einfach so verpisst- wenn ihr mich und uns sowas von mies und feige und rückgratlos verlasst – ALLES einfach so ebenfalls verschwindet?! Dass ihr euch vor euren Mitverantwortungen und Fehlern einfach so wegschleichen und … “ – ich schlucke, damit mir nicht noch mehr Spucke aus dem Mund herausschießt – “ ‘spurlos verschwunden’, spielen könnt?”.
Ich atme tief ein.
Daily Soapmusik im Hintergrund, Zoom auf mich. Mangatränen glänzen.
“Ihr habt Spuren hinterlassen.”
Irgendwas mit Klaviermusik.
”Und manche davon sind richtig scheiße.”
Cliffhanger. Bizarre Synthesizer.

Auch in meinem Kopf will ich die Antworten gar nicht hören, weil ich weiß, wie sie sind.
Weil sie seit Jahren immer die gleichen Phrasen, Geschichten, Anekdoten und Schenkelklopferkackscheißwitze darstellen. Weil die letzten richtigen Gespräche vor 6 Jahren waren. Weil sie mich nicht ernstnehmen können. Weil sie mich nicht hören und begreifen können. Weil … wir jahrelang abwechselnd dieses tote Pferd, diesen stinkenden, giftigen Kadaver durch die Zeiten geschleppt haben und aus Trotz nicht mit den Wiederbelebungsmaßnahmen aufgehört haben.

Nichts verschwindet.
Und sowohl in meinem Kopfkampf, als auch “in echt”, ist mir das ein Triumph.

Auch wenn es erbärmlich ist.

Als sie mir zuletzt in die Kniekehlen getreten hatten und ich wir vor Wut heulend eine mehrspurige Hauptstraße, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, überquerten, Laternenpfähle im Vorbeigehen boxten und immer noch kein Schmerz fühlbar war – da war es diese Ohnmacht, dieses Gefühl ein Nichts und Niemanden so verletzen und treffen, so ängstigen und ausliefern zu können, wie wir und ich es durch sie erlebt haben.
Wie erbärmlich war das am Straßenrand ins Handy zu hören und sich mit den Worten der Therapeutin vor dem Ertrinken zu retten?
Ich fands erbärmlicher, als die Aussicht, dass es einfach doch nicht von ihnen wegzureden, zu argumentieren und verstecken und verschweigen ist.

Keine Illusionen Baby.
Niemand ist sein Leben lang arm, krank und so lange schlicht überlebend, weil unterversorgt, wie wir, um jetzt ein Leben leben zu können, das dem nicht Rechnung trägt.
Niemand.

Es ist mein Leben.
Und es kann jetzt endlich in aller Ruhe so offen aussichtslos, trüb und minderwertig sein, wie es ist.
Es kann mein beschissenes 10 Jahre Hartz 4 ohne Berufsausbildung, mit selbstgemachter Arbeit ohne Lebenshaltungskostendeckendem Einkommen sein. Es kann mein “Wenn ich morgens aufstehe MUSS ich schreiben und Kunst machen” – Leben sein. Es kann mein “Ich bin eine zerstörte Person und es hat nie aufgehört weh zu tun” – Leben sein. Es kann mein von mir allein definiertes Leben* (mit Sonderzeichen) sein.
Es kann alles das sein, ohne, dass die Person, die für mich und in meinem Sinne spricht, mir immer wieder reindrückt, dass es ja alles nicht so ist. Dass man das ja so nicht sagen kann.

Dass es bei ihr ja auch geklappt hat.

Ich bin nicht du. Ich bin nicht ihr. Ich bin ich.
Und ich bin in echt so scheiße.
Und es würde mich nicht stören so ein Stück Scheiße zu sein, wenn ich es in Ruhe auch einfach mal sein könnte, ohne dass ich immer wieder in diesen bescheuerten Selbstoptimierungsstrudel gezogen werden würde. Dieses Vergleichen vor anderen Menschen mit DIS, mit Traumageschichte, mit Hartzkonto, mit ohne Beruf, mit was weiß ich, das immer nur wieder dazu führt, wachsen zu müssen. Zu müssen und nicht zu wollen.

Ich mag mich im Moment einfach doch viel lieber entwickeln und reifen, statt zu wachsen.

Atmen.

 

Ich hab jetzt eine gesetzliche Betreuung.
Ich darf jetzt Quittungen sammeln und in eine Kiste tun.
Ich darf jetzt Honorare kriegen und Sachen verkaufen, wenn ich mag.

Jetzt kann ich mich trauen
die richtig echten Erwachsenensachen zu probieren
wenn ich mag

Fehler werden ab jetzt nicht mehr verschwiegen.
Erwachsene, die von Erwachsenen umgeben sind, brauchen das nicht zu tun.

Badabamm

und ausatmen

“Wir sind Viele” ~ Teil 2 ~

Die Reise begann und noch während sie sich in ihrem Platz einrichtete, beugten wir uns über die Architektur der folgenden Tage.

Im letzten Jahr haben wir viele Reisen unternommen und trotz vieler kleiner Inseln, in denen wir Kraft tanken konnten, gemögte Menschen besuchten und unsere Sinne wie Saugnäpfe an die Umgebungen hefteten, gab es immer die klare Linie: Hingehen, machen, wieder weggehen.
Wir riskieren keine Lücken, wenn wir wissen, dass wir zu arbeiten haben oder Arbeitsrelevantes tun. Freizeit ist die Fahrtzeit. Das Stück zwischen: “Ist es wirklich der richtige Zug, aus der richtigen Stadt, in der richtigen Zeit?” und “Komme ich zur richtigen Zeit, in der richtigen Stadt an?”.

Donnerstag, heute, würden wir unsere erste Lücke leben. Einen Nachmittag nur für uns allein. Ohne hundische Assistenz, dafür ohne Druck von außen.

Sie saß dort und dachte ihre Gedanken, die keine sind.
Wir schauten aus dem Fenster und lenkten uns von der Angst vor Menschen ab.
Ich liebe die Zugstrecke zwischen Koblenz und Mainz.
Wie sich der Fluss in den Schoß der Weinberge schmiegt und die Schiffe auf sich trägt.
Wie kurz vor kitschig, die kleinen Häuser am Ufer stehen, wenn die Sonne auf sie scheint. Und immer wieder die Frage, ob es schlossartige Gutshäuser oder guthausartige Schlösser sind, die dort, wie von einem riesenhaften Kind auf die Berge geklebt, erscheinen.

Mainzzug
Ich nahm so viel dieser ruhigen Idylle in mir auf, wie ich tragen konnte und steckte sie in kleine Säckchen, als emotionale Wegzehrung bis wir am Samstag Abend wieder hier entlang fahren würden.

In Mainz angekommen, wartete die erste Anforderung an unsere, sich vorsichtshalber unterm Tisch versteckende, Alltagskompetenz: “Finde den richtigen Bus, der dich zur richtigen Jugendherberge bringt und kaufe dafür das richtige Ticket.”
Vielleicht ist jetzt ein guter Moment einmal zu beschreiben, was genau NakNak* in solchen Momenten für uns tut, wenn sie bei uns ist.
Gleich zuerst einmal drückt sie sich ins Geschirr hinein und spannt die Leine. So spüren wir sie und uns gleichzeitig und das Wissen einen Körper zu haben, wird eine feste Konstante. Wer einen menschlichen Körper hat, der hat meistens zwei Beine mit Füßen dran, die auf einem festen Boden in einem Hier und Jetzt stehen.
An Orten wie Bahnhöfen oder offenen Plätzen, läuft sie in kleinen Ausschlägen vor uns her oder wenn wir gerade stehen, steht oder sitzt sie neben uns und achtet darauf, dass Menschen einen Abstand zu uns halten. Sie hilft uns also, unsere Individualdistanz zu wahren bzw. gewahrt zu wissen.
Hunde sind beliebte Haustiere und viele Menschen wissen nicht, dass es so etwas wie Assistenzhunde auch für Menschen, die gut sehen können gibt. “Ach ist der aber süß”, war schon sehr oft ein hilfreicher Gesprächsstart für uns. Sowohl um Hilfen zu erbitten, als auch um nicht zu vergessen, dass NakNak* manchmal auch auf unseren Schutz angewiesen ist. Meistens jedoch ist NakNak* aber die beste erste Hilfe, wenn wir menschliche Unterstützung brauchen und zu gefangen in Gefühlen sind, um sofort darum zu bitten.
Zum Beispiel wenn jemand von uns überfordert und verwirrt an einem Fahrkartenautomaten steht. 

In Mainz sind die Menschen aber irgendwie “auf”. Zumindest, der Mensch, der die Verwirrung in unserem Gesicht sah und uns bei der Auswahl half, ohne, dass wir darum bitten mussten und der Mensch, der uns die Buslinienkarte erklärte, als sich die Stirn erneut unter Fragezeichen kräuselte.
Dort wo wir wohnen, schauen die Menschen oft erst einmal eine Weile zu und überlegen, ob sie ihre Unterstützung anbieten sollen oder nicht. Deshalb ist NakNak* dort oft so ein Gewinn für uns.

So landeten wir also in der Jugendherberge. Die Sonne schien und jede Pflanze wisperte uns den Frühling ins Ohr.
Von Gepäck befreit, gingen wir im Volkspark und im Rosengarten spazieren.

StiefmütterchenMainz

 

BlütenHimmelMainz

Von Weitem sahen wir dort schon den Rhein.
Keine Frage- egal, was es noch alles Schönes in dieser Stadt geben könnte- das Wasser… oh bitte bitte endlich ein bisschen mehr fließendes Gewässer als Bäche und modrige Mückentümpel… endlich…

Wir kommen aus dem Norden.
Dort, wo das “da” ein winziger Punkt auf der haarfeinen Linie des Horizonts ist; wo der Blick frei ist, ohne an Bergen und Wäldern abzuprallen, wie eine Stubenfliege an der Scheibe, waren wir seit Jahren nicht. Oft ist es kein Thema, wie groß das Meerweh ist. Heimweh folgt dem nur allzu oft auf dem Fuße und mit ihm die Gedanken an die Zeit, in der wir weggingen und so viel mehr als Gewalt und Todesnähe verließen.

Wir liefen auf das Ufer zu und durchquerten dabei die hübsche Altstadt von Mainz, in der wir einem Saxophonisten, einem Klarinettisten und einer Cellistin, die von einer Querflötenspielerin begleitet wurde, lauschten und mit etwas Kleingeld beglückten.
Nebenher ein Schnappschuss vom Dom

domdings 

Und dann endlich standen wir am Rhein.
Typischer Wasserwind, Möwen, Enten, Schwäne, Kähne, Kutter und Schiffe. Dazu eine Aussicht, die so nah an das, was wir nicht mehr Heimat zu nennen wagen, kam, dass es über meine Kraft ging, die Tränen aufzuhalten.
Es ist so ein großes Opfer gewesen wegzugehen und wir hatten nie den Raum, die Zeit und vielleicht auch nie das echte “Okay” dafür, genau diesen Schritt zu betrauern und zu integrieren. Zu groß war die Last als Jugendliche hinter einer Entscheidung zu stehen, die blind getroffen wurde und in aller Konsequenz zu leben war. Und später war es der (oft unausgesprochene) Anspruch, doch froh zu sein, von DORT und von DEM weg zu sein.
Als hätte das Meer und seine Weite uns misshandelt, nicht Menschen, die dort leben.
Geblieben sind kleine Herzen, die in Trauer sind und ihre Tränen, wie Steine zum Gedenken ans Ufer eines Flusses fallen ließen. Ich wiegte sie auf meinem Rücken und fütterte sie aus meinem Säckchen voll Idylle.

Andere machten Fotos. (einige werden wir in unserem Fotoblog “einfach mal angucken” veröffentlichen)
rheinufer

 

RheinMain

Am Abend wollten wir uns mit einer Bekannten treffen. Ein bisschen Reden, zu Abend essen, die Stadt näher betrachten.
Da wir leider zu spät für einen Besuch des Gutenbergmuseums dran waren, setzten wir uns auf von der Abendsonne beschienene Bänke davor und ließen die Umgebung auf uns wirken. Neben uns saßen zwei Künstler und zeichneten den Dom mit Tinte.
“Ich glaub, das ist einer der Dialekte, der T’s, K’s und Endungen frisst… “runnäfalle” hahahaha Lass des ma nisch runnäfalle Schädse”, hörte ich von weiter vorn. Die Frontgänger wieder mit ihrem “Sprachknall”.

GutenbergmuseumAbendsonne

Mit der Bekannten haben wir “durcheinandrige Pommes” gegessen und Tee getrunken, wie noch nie zuvor. Twitterfazit dazu: “und es ist nur mittelseltsam”.
Tee kannten wir nur in Beutelform und Pommes als “zu teuer”, “ungesund”, “gerade geschnitten”. “Curly Fries” haben den gleichen Status wie “Früchte, die komisch gucken”.
Vielleicht erscheint es irrelevant- es ist eine Mahlzeit und ein Getränk- “Kriegt euch ein Rosenblätter- man kann es auch übertreiben…”. Für uns ist es Freiheitspraxis und immer wieder ein Reiz, der mit nicht vielen anderen Situationen abgeglichen werden kann. Solche Dinge sind es, die uns klar machen, wie begrenzt unsere Lebenserfahrung ist und wie facettenreich das ist, was die Menschen “Norm” nennen.
“Eure Welt ist so reich und ihr zuckt mit den Schultern…”, sie schaute die Menschen um uns herum an und beobachtete sehr genau, wie das Sieb im Teeglas die losen Teeblätter vom Wasser trennte.
Mittelseltsam, denn immerhin: Angst hatte sie keine. Wir haben das Sitzen in Cafés und Restaurants schon oft geübt.

Am Ende des Tages fanden wir uns in dem Jugendherbergszimmer wieder und telefonierten in Ruhe mit den Sommers.
Beruhigende Abendroutine inmitten eines Tages, der ziemlich weit neben “Routine” passierte.

Später fiel auf, dass wir unser Schlafnilpferd vergessen hatten.
Wir streichelten und summten, verfütterten ein weiteres Säckchen voll Idyll.
Bis irgendwann die letzte Träne geweint war und der Schlaf seine Decke über uns ausbreitete.

~ Fortsetzung folgt ~

die Geschichte von der kleinen, fast ganz erwachsenen, Eule

Einmal, vielleicht ist es noch gar nicht lange her, da hockte eine kleine Eule auf einem Ast, in einem Baum, in einem Wald…
vielleicht gar nicht so weit von hier.

Schon eine Weile, hopste sie vor der Höhle, in der sie geschlüpft war, hin und her. Mal hinein, mal heraus und manchmal traute sie sich sogar ihre Flügel ganz weit auszustrecken, während sie auf dem Ast entlang lief.

Die kleine Eule war eigentlich gar nicht mehr so klein. Vielleicht ein bisschen kleiner, als ihre Euleneltern. “Aber nur ein gaaaaaanz klitzebisschen!”, fand die kleine Eule, “Ich bin auch fast ganz erwachsen!”.
Dann erzählte sie anderen Vögeln immer, wie sie sich ganz allein aus ihrem Ei gepickt hatte, weil es ihr darin viel zu eng wurde und sie ja auch gerne mal ihre Euleneltern sehen wollte, die sie so fleißig ausgebrütet hatten. “Und dann irgendwann wurde mir auch diese kleine Bude hier zu eng. Phü- nur ein Fenster und das ist auch noch die Wohnungstür! Nee, nee- ich bin jetzt fast erwachsen, da kann ich auch unter dem Blätterdach des Baumes schlafen.”, sagte sie und plusterte ihre feinen Daunen über der Brust auf. “Und wenn mir das nicht mehr gefällt, dann gehe ich eben woanders hin. Vielleicht dort drüben hin, in diese schöne Buche. Oder da in die Kiefer!”.

Eine Krähe keckerte: “Du kleines Eulchen- du kannst ja nicht einmal fliegen. Bevor du es dort hinschaffst, muss noch jede Menge passieren!”.
Da war die kleine Eule geknickt. Fliegen… nein, das hatte sie noch nicht probiert.

Einmal, da war sie geflatterhopst und plötzlich hatten ihre Füße den Ast nicht mehr berührt! Huch, hatte sie sich da erschrocken! Und weit und breit kein Eulenelter da und alle hatten geguckt, wie sie vor lauter Schreck erst mal ein bisschen weinen musste.
Da war sie lieber etwas vorsichtiger geworden und hatte lieber nur in ihrer Höhle geflattert. Aber irgendwann passten ihre großen, fast schon Erwachsenenflügel nicht mehr hinein.

“Wie geht denn Fliegen?”, fragte die kleine Eule, “Was muss ich denn dafür machen?”.
Die Krähe lachte: “Du wartest auf den richtigen Moment und dann Schwusch! passiert das ganz von allein.”.
Ein anderer Vogel sagte: “Also unser Nachwuchs, der hat sich immer gegenseitig aus dem Nest geschubst und dann konnten sie auch fliegen.”.

Der kleinen Eule wurde mulmig. Woher sollte sie denn wissen, wann ihr richtiger Moment war? Und was, wenn jemand käme, der sie einfach schubste?
Auf einmal kam ihr alles fast erwachsen geworden sein viel einfacher vor, als das Fliegenlernen. Plötzlich merkte sie, wie ihr Herz vor lauter Angst, einfach vom Ast runterzufallen, wummerte. Und dann dachte sie, dass sie ja auch gar nicht echt fast erwachsen war, wenn sie nicht einmal fliegen konnte.
Ach, jetzt hatte sie einen kleinen Schmerz im Bauch vor lauter Traurigsein und weinte kleine Eulentränen.

Da landete ein Eulenelter neben ihr und trug eine kleine Mahlzeit im Schnabel.
Es sah, dass die kleine Eule traurig war und fragte: “Ach mein Herz, warum weinst du denn so sehr?”.

Die kleine Eule erzählte von der Krähe und dem anderen Vogel und dem Fliegen und dem Runterfallen und am Ende pustete sie mit ihrer letzten Luft raus: “Ich bin noch gar nicht richtig erwachsen!”. Da nickte das Eulenelter und sagte: “Ja, das stimmt. Du bist noch nicht erwachsen, weil du noch nicht ganz ausgewachsen bist.”.
Ausgewachsen? Das war ein neues Wort für die kleine Eule.
Sie legte den Kopf schief und hörte zu.

“Jetzt wirst du flügge und lernst flattern und hopsen und geflatterhopsen und klettern mit flattern. Da schaue ich dir zu und bringe dir noch Essen, denn das kannst du ja auch noch gar nicht: das Jagen.”. Die kleine Eule wollte kurz noch einmal weinen. Da war ja noch etwas, was sie noch gar nicht konnte, aber sie wollte doch jetzt schon alles können!
Aber das Eulenelter sprach weiter: “Wenn man Dinge lernen will, dann muss man manche Dinge vorher schon gut können. Dann hat man irgendwann auch gar keine Angst mehr, weil man das schon so oft gemacht hat, dass es nicht mehr unheimlich ist. Du übst ja jeden Tag ein bisschen Flattern und Hopsen, nicht wahr?”. Die kleine Eule nickte eifrig.
Das Elter nickte: “ Siehst du und vor dem Fliegen, kommt das Flattern. Und ganz nebenbei, wenn du das übst, werden deine Flügel ganz genug auswachsen, damit sie dich tragen können und dann ist das Fliegen fast nur noch ein klitzebisschen anders als Flattern.”

Das klang für die kleine Eule schon alles gar nicht mehr so traurig. Sie würde ganz viel flattern üben und hopsen testen und dann irgendwann bestimmt fliegen können. Und wenn sie fliegen konnte, dann konnte sie auch in der Dämmerung jagen lernen, wie ihre Eltern das machten. Dann wäre sie ausgewachsen und könnte das alles.

Aber eines, das musste die kleine Eule noch wissen, bevor sie futtern und üben konnte: “Bin ich denn jetzt trotzdem schon bisschen fast ganz erwachsen? Ein klitzebisschen fast?”.
Da lachte das Eulenelter und drückte die kleine Eule an ihren Bauch.
“Ja, mein Herz. Ein klitzebisschen fast erwachsen bist du jetzt auch schon.”.

kleineEule2

an einem Morgen

wachsenundwerdenMorgenfrisch, wie es nur im Fernsehen üblich ist, hopst sie die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Strahlt wie Tschernobyl mitten in mein verquollenes Samstagsmorgen”gesicht” und hebt die Brötchentüte hoch.

Wenn ich erst früh morgens eingeschlafen bin, verspüre ich an mir eine gewisse geistige Nähe zu Affen, wenn es dann nur 3 Stunden später unverhofft an meiner Tür klingelt. Also lächle ich auch und starre sie an.
“Tss- ihr habt unser Frühstücksdate vergessen! Nicht schlimm- ich decke, ihr macht euer Morgending und dann gehts los. Husch Husch Husch!”.

So zum Huhn erklärt, evolutionieren wir uns in Richtung Mensch.

In der Küche klappert und rumpelt es.
“Ihr habt ja gar nichts da.” sagt sie, als ich, inzwischen im Stadium “Zombie”, in Richtung Kaffeemaschine wanke.
“Meinst du “Ihr habt ja ganz viel Nichts da” oder “nichts nichts”? Was willst du denn?”, frage ich zurück und schaue in den Kühlschrank. “Na das Übliche”, setzt sie an. “Butter, Aufschnitt, Marmelade…”. 

Langsam fällt mir ein, wieso ich das Date “vergessen” habe. Ich drücke ihr den Rest Butter vom Kekse backen in die Hand und stelle die Honigreste von Rosh Hashana auf den Tisch. Lege schweren Herzens noch die Käsescheiben für NakNak* dazu. Mein Affenlächeln wiegt jetzt doch schwer auf dem, was Gesicht zu sein versucht.
”Na? Das ist doch was. Schlachtplatte ist heute leider aus.”.

Sie setzt sich auf die Küchenbank und legt los.
Ich streichle NakNak* in den Schlaf und versuche mich daran zu erinnern, ob ich die Kaffeemaschine schon mal entkalkt habe oder nicht. Eigentlich finde ich dieses Röcheln ja gemütlich.
“Willst du NICHTS?!” sie nickt mit dem Kinn in Richtung Königinnenmahl.
“Ich bin noch nicht mal Mensch!”, grunze ich und verdünne meine Kaffeemilch.

Zum Glück ist seit unserem letzten Treffen viel passiert. Wir sprechen über die letzte Phönix-AG und unsere Reise nach Göttingen dazu. Sind uns einig, dass es viel über Privilegien und Frauenverständnis sagt, wenn es ein Kussverbot für Mädchenstatuen gibt.
Voller Stolz wird die Jugendherbergsbuchung für
die Tagung “Wir sind Viele” in Mainz gezeigt. Das haben wir wirklich noch nie gemacht. Irgendwo zwei Nächte fremdschlafen und schon gar nicht selbst bezahlt zu so einer Tagung gehen.

Ich merke, wie gut es tut, diese ganzen Erwachsenensachen auch Erwachsenensachen zu nennen und als Akt gewürdigt zu sehen. Als genau der Entwicklungsschritt, der es ist- parallel zu allem, was sowohl in der Therapiezeit selbst, als auch danach alles kreuz und quer schießt und genauso zehrend ist. Sie gratuliert dem Innen zu seiner Heldinnentat und versichert, dass ihr auch schon solche Fehler dabei unterlaufen sind.

“Das ist viel Emanzipatorisches” murmelt sie mit einer Hamsterbacke voll Käsebrötchen.
“Ja haaa, auf der Ebene irgendwie schon. Es macht mich wahnsinnig, dass ich das nicht auch auf andere Bereiche übertragen kann. Ich meine, hallo! fremde Stadt, alleine, schwere Themen und ich bin ganz sicher, dass wir das packen werden. Aber dann in der Therapie sitzen, einmal kurz in eine andere Richtung denken und puff bin ich weghoudinisiert und
BÄM BÄM BÄM für den Rest der Woche als Dauerschleife aus der Drecksecke und Mimimibabyblablaschmauchätzscheiß in der anderen. Geilo. Nicht.”.

Sie nickt und füttert NakNak* mit runtergefallenen Nusskernen.
“Ihr seid Viele.”, sie atmet ein, streckt sich, verteilt ihre ganze Pracht auf unserer Küchenbank und seufzt.

“Das ist eine Erklärung, ja. Aber nichts, was mir da jetzt grad hilft. Ich muss das aushalten, dran lang wachsen und ach keine Ahnung.”. Ich versenke meine Ungeduldslaute im dritten Kaffee. Merke, wie ich es leid bin, nicht darüber auszurasten. Denke zum x-ten Mal den Gedanken, die ganze Therapie zu lassen und einfach nur meine Sachen zu Ende zu bringen und dann erst wieder irgendwas zu fühlen oder anders zu denken als sonst.

Wir schwenken auf das Thema “NakNak* ist läufig”. Lästern auf Hundewiesenniveau. Auch sehr erwachsen.

Als wir uns von Mensch zu Mensch verabschieden, denke ich, dass ich froh bin, dass meine Gemögte mich auch ungeduldig und Hufe scharrend diesem Therapiezeug gegenüber annimmt. Dass sie nicht noch großartig aufs Essen drängelte, die ganzen Ausläufer der inneren Zeitverschiebungen in unserer Wohnung unkommentiert ließ und von ihrem Erwachsenwerden erzählte.  Damals ™ .
So sehr ich das auch hasse, wenn sie von sich sagt, dass sie sich uns gegenüber manchmal wie eine soziale Mutter fühlt- manchmal, so wie heute morgen, ist es so. Und dann ist es auch okay.
Nicht nur für mich, sondern auch für andere Innens, die das so noch nie erfahren haben und von der biologischen Mutterfrau auch nie erfahren werden.

Vielleicht gehört das irgendwie auch mit dazu.
Zu diesem beschissenen “aus Kackscheiß rauswachsen” und Werden.

Wenn HeldInnen reisen

…dann treffen sie auf andere HeldInnen.
Ob nun im Gewand einer jungen Frau, die gleichzeitig 3 Smartphones benutzt; der Mutter, die es schafft ihre 4 kleinen Kinder mit Malbüchern und den beiseitig sitzenden Reisenden zu unterhalten oder, der alte Held, der bereits im Zug die Blumen für seine Gastgeberin in der Hand hält.

Meine Heldinnenhaftigkeit bestand darin, überhaupt in dieses ratternde laute Gefährt zu steigen, noch während ich obendrein NakNak* dabei hatte, eine Fahrt von über 600km vor mir lag und ich den Menschen, dem ich dort begegnen wollte, noch nie real getroffen hatte. Vollbepackt mitten in den Butterfahrtenwaggon der grau-beigen Gesellschaft für „Also nee- die jungen Leute von heute“. Wunderbar.

Ich hätte gern mein Cape flattern hören, als mir der empörte Gegenwind in Gesicht und Hirn blies. Doch alles was kam, war das Rascheln meines Berechtigungszettels für den Sitzbereich, der für Menschen mit Behinderung reserviert ist. Hat auch gereicht.
NakNak*s Box aufzubauen ging leicht, denn wie jeder vernünftige Held, hatte ich das Auf- und Abbauen, die ganze Nacht in meiner Bäthöhle geübt. Jeder Held ist nur so gut, wie seine Fähigkeiten. Grundkurs Heldenschule.

Sie haben alle geguckt. Haben alle mich und den Hund angeguckt.
Mein Hirn endschied sich für die Dissoziation. Wir spielten eine Runde: „dieser Film wird ihnen präsentiert von der „Das Leben einer Anderen“- Gruppe.“.

Umsteigen in Köln? Kein Problem. In diesem Film ist nichts ein Problem. Alles läuft automatisch und in einem wirren Mix aus Zeitlupe und Highspeed: Box abbauen, Rucksack auf den Rücken, Handtasche links, Boxtragetasche rechts umhängen, Trolleyreisetasche links, Hundeleine rechts festhalten. Aussteigen, Bahngleis suchen, warten, einsteigen, Platz suchen, Box aufbauen, Gepäck verstauen.
Diesmal ein Doppelsitz mit Sichtschutz. Film Ende.

Aaaaah. Okay- ist alles von mir mitgekommen? Wart mal- ich? Ach- Hallo Körper! Bist ja auch da- schön, dich mal wieder zu fühlen! So, jetzt eine SMS und dann in NakNak*s Ohrenfell verkriechen. Jetzt kommt der Teil Deutschlands, den wir noch nie zuvor gesehen haben.

„Dürre, Wüste, Afrika… ach fuck BLASE!“, die tollste Landschaft kann nicht anstinken gegen die Macht von 3 Liter Kaffee, der nötig war, um die Therapiestunde vom Vormittag erlebbar zu machen. Nächste HeldInnentat also: Bahnklo mit Hund. „Schade, dass wir zwar die Ausmaße des 00 Elefanten haben, aber nicht seine reinigenden Superkräfte“, dachte ich mir so, als ich mich über das WC zirkelte- mit einem Zeigefinger an der Wand abstützend, mit der anderen Hand NakNak* fühlen müssend. Aufs Händewaschen verzichtend, weil die Desinfektionstücher aus der Erste Hilfetasche des Hundes irgendwie nötiger erschienen.

Aber dann… frisch entleert und entkeimt, haben wir die für uns höchsten Berge ever gesehen. Man guckte aus dem Fenster links und schwusch! Nordwand Zugspitze- mindestens! Rechts dann alles etwas entfernter und schöner. Weinberge noch und nöcher, schöne Fachwerkhäuser wie sie M. so gerne später mal zimmern wollte, schöne aufwendig gebaute Kirchen, Burgen oder Schlösser? vielleicht auch einfach nur große Gutshäuser, die wie Kulissengeber von „Der Name der Rose“ auf den Bergen klebten. Das alles im tollen 18 Uhr Abendlicht der langsam untergehenden Sonne. Einfach toll!

NakNak* lag inzwischen auf unserem Bauch und hielt ihre Nase in die Lüftungsschlitze am Fenster. Die Zugbegleiterheldin dazu: „Ach lassens doch liegen. Für den Kleinen ist das doch alles auch ganz viel“. Barbiegesicht. Jetzt bloß nicht losheulen vor Dankbarkeit- Heldinnen weinen erst in ihrer Bäthöhle!

Mannheim. Höllenschlund von einem Bahnhof. Die 10 Minuten Umsteigezeit, verbrachten wir in diesem vollen dunklen dröhnend lauten Tunnel, auf der Suche nach dem richtigen Gleis. Wer ist die Heldin? NakNak*!
Souverän, wie ich sie noch nie erlebt habe, ging sie neben uns her, achtete auf jedes „Warte“, „Sitz“, „Links“, „Rechts“ und „Voran“, das vom Roboter des nun panisch hin und her fliegenden Rosenblättersalates kam.

Gleis gefunden, ICE steht, knallvoll- selbstverständlich.
Dankbar für die Erfindung von Inkontinenzvorlagen, und das Glück den richtigen Zug erwischt zu haben, legten wir im Ein- und Ausstiegsbereich der Bahn ab. Hundebox? Wohin?! Gepäck? Wohin?! Bin ich eigentlich überhaupt selbst da?
Noch zwei Stunden und draußen gräute uns das Unwetter aus dem Breisgau, von dem unsere GastgeberInnen erzählten schon entgegen. „Ja- weißte Bescheid wie du sterben wirst, wenn sich Eschede jetzt wiederholt, ne? Wirst n hübsch beregnetes Zieharmonikakörperchen- is doch gut, dann wird das mit der Beerdigung nicht so teuer, weil Sarg ja unnötig“. Toll. Danke Kopf, du Blödmann.

Zugbegleiterheldin 1 hat einen Anruf. „Ah Isch musch da jetz roangehn, weil desch is meine Tochder. Die isch heude das oarste Mal bei ihrer Tagesmudda und geht jetze ins Bett.“ Ach Herzi- du feiner Mensch! Sie stimmte mir zu, dass die Hundebox jetzt nirgendwohin kann und NakNak* durfte auf dem Schoß sitzen. Ihr ruhiger Heldinnenatem übertrug sich sowieso gerade so gut auf mein ZNS und verhinderte ein unkontrolliertes Wechselfeuer der Innens. Barbiegesicht, Weinen wird erneut verschoben.

Eine Stunde später wurde ein Platz frei.
Trotzdem kein Platz für die Hundebox und das Gepäck.
Ich sitze im teuersten Zugangebot der deutschen Bahn und fühle mich doch, wie in einem Viehtransport. Entsprechend wurde ich auch von Zugbegleiterheldin 2 behandelt. „Das ist egal, dass sie hier keinen Platz haben, wenn der Hund kein eigenes Ticket hat, dann hat er in einer Box zu sein und zwar die ganze Zeit!“ Sie guckte von oben auf mich runter und hat mit Sicherheit nicht die ganzen Kinder gesehen, die darauf warteten, dass die ersten Schläge auf sie einprasseln. Barbiegesicht. Federrascheln des Schwans im Innen, verkrümeln in den weichen Haaren an NakNak*s Ohren. Aushalten. Dissoziieren. Ich bin gar nicht da.

Und dann, nach einer halben Stunde, klopfte etwas ans Frontalhirn.
„Wir sind gleich da! Wir habens fast geschafft. Gleich sehen wir die HeldInnen und dann fahren wir zu ihnen nach Hause und dann ist das hier vorbei.“ Vorfreude! Endlich! Ich hatte schon gedacht, dass wir gar nicht mehr dazu kommen. Zu groß waren die Ängste und das Heldentraining der letzten Tage und Wochen, der Reisevorbereitung und Planung.

Positive Flashbacks. Obwohl wir uns nun gegenüberstanden, war es wie die sichere Umgebung zu Hause, während wir eines unserer 4 Stundentelefongespräche führen. Getragen von einem Gefühl von Erwachsenenfreiheit und Heldenhaftigkeit einander etwas Großes ermöglicht zu haben.

Wir trafen auf eine Heldin des Berufsalltags, der Selbstversorgung unter erschwerten Bedingungen und des Gastgeberin- seins. Letzte Vorbereitungen für die Phoenix AG Sitzung, eine PC-Aufräumaktion, Umgebungserkundung mit NakNak*.
Wir haben gesehen wie Wolken geboren werden.
wie Wolken geboren werden

Wir haben einen Tauschaufschub mit dem dunkelbunten Imperium vereinbart. Essen, schlafen, keine Schmerzen. Am Sonntag, haben sie einen Freifahrtschein.
Wir haben geschlafen. Pizza gegessen und keine Strafe aushalten müssen. Was für ein seltsames Gefühl. Wie ein Stau in einem durchgehend reißenden Strom, der uns seit über 9 Monaten hin- und herschmeißt.

5 Uhr morgens aufstehen und nach Frankfurt fahren. Eine weitere Phoenixheldin mitnehmen. „Ihr Heldinnen“, kam per SMS.
Göttingen hatte Sonne und Wärme, die der Rosenblätterhäckselsalat zwischen sich nahm, wie Seelenkleber.
Die AG selbst, verschwand mir irgendwo im Frontallappen. Auch gut. Ich kann das ja alles nachfragen. Helden dürfen das, wenn sie unter Helden sind, die Heldenhaftes tun. Schließlich ist so ein Seminarraum ja auch sowas, wie eine Bäthöhle, wo gerade die Heldentat erarbeitet wird.

Dann eine Stunde Abendsonnenbad vorm Hauptbahnhof mit der schlafenden NakNak* an der Seite. Zum ersten Mal saß ich an einem Bahnhof und fühlte mich nicht verlassen und allein. Ich spürte den Wegegänger und seine apokalyptische Wahrnehmung der Umgebung, doch nicht wie sonst im wirren Tanz aus blinder Panik und stumpfem Sein, sondern eher tastend über die Stellen des Körpers, die von der Sonne berührt wurden.
„Du bist auch ein Held, nicht wahr?“. Keine Antwort, aber auch kein unartikuliertes Buchstabengewirr.

„Entschuldigung? Darf ich euren Platz okkupieren? Ich muss den Hund in eine Box setzen und in den Reihen ist kein Platz dafür.“. Mein Heldencape musste nicht flattern. Eine ruhige Stunde bis Hannover. NakNak* legte sich zum ersten Mal richtig ab in der Box und schlief.
Eine halbe Stunde in Hannover und dann die Restfahrt bis nach Hause inmitten von an- bis vollgetrunkenen Menschen. Aus dem Innen das anbrandende Grollen des dunkelbunten Imperiums. Zeit für eine Runde Dissoziation. Ich bin gar nicht da.

In der dunklen Bäthöhle den Hund füttern und dann der Zerfall.
Hier wohnen die Helden. Sie legen Cape und Maske ab und sind nur der Mensch, der seine Hölle in sich trägt und über sich ergießt, egal, was er gerade vorher getan hat. Ihre letzten 2 Stunden Vakuum nutzen sie, um einen Artikel zu schreiben, der ihrer Heldenhaftigkeit zumindest in Worten eine Würdigung ermöglichen soll.
Was dann kommt, ist eine Heldenhaftigkeit, die sie nicht verstehen, nicht annehmen und eigentlich nur deshalb aushalten können, weil sie nicht daran sterben.

Jede/r Held/in hat ein Geheimnis.
Welches sie haben, werden wir hoffentlich bald erfahren.

wachsend

Ich habe heute so einen tollen „Ich bin ja sowas von erwachsen“- Drive… hach.
Solche Tage würde wir uns ja immer gerne zu Bonbons gießen für schlechte Tage. Da dies leider nicht möglich ist, haben wir einfach Fotos gemacht…

Einmal vom Zeugnis des auslösenden Moments

Zugfahrenflausch

denn wir werden nächste Woche reisen. Mit NakNak* und einem ERWACHSENENticket. Selbst gekauft- total souverän: „Guten Tag- ich möchte Ihnen ein Ticket abkaufen…“, am Schalter, mit Sagen, dass man genau dieses Ticket haben will und nichts Anderes. HA!

Dann davon, was man als Erwachsene so alles machen kann…

ewig nicht gesaugt-Flausch

Zum Beispiel aufs Staubsaugen verzichten, wenn man keine Lust hat.

unordentlicher Kleiderschrankflausch

Oder den Kleiderschrank so unordentlich knüddelgelegt lassen, wie er halt gerade ist.

Phoenixflausch

Man kann die Phoenix-Umfrage auswerten- voll erwachsen, weil- naja- denken muss man dabei auch ab und an…

Osterhasenflausch

Man kann kleine Hasenbabys im Nest begucken, weil man weiß, was man genau beachten muss…

Ach jaaaa

und weil ich grade so erwachsen war, bin ich dann- groß mächtig und ach überhaupt total toll und so- spazieren gegangen und hab gedacht, das wachsen schon toll ist und die Dinge alle immer wachsen und sich entwickeln.
Die Bäume…

Blütenflausch

und die Blümchen…

Blümchenflausch

Ach und die Faszination von Flausch nicht zu vergessen- Pflanzenflausch! Es interessiert mich wirklich, wieso Neugeborenes immer so Flausch hat irgendwo. Babys haben am Rücken manchmal noch Flausch, im Innern von Kastanien und Bucheckern ist Flausch, Weidenkätzchen sind ja wohl Flausch pur und manche Sprösslinge haben so Flausch am Rand:

Pflanzenflausch

Dann ist mir eingefallen, dass Wachstum Kraft braucht- also haben wir eine Pause an unserem derzeitigen Lieblingsplatz im Wald am Bachlauf gemacht.

Baumflausch

Ach jaaaa… und als ich da so vor mich hin pausierte, kam der Baumrückerhund aus dem Bach heraus. Und bei dem Anblick:

        PfotenflauschDrecksflausch

 

kam ich mir dann plötzlich ganz richtig echt irgendwo schon fertig gewachsen vor, weil es sofort tönte: „Aber so gehts nicht auf die Küchenbank nachher zu Hause!“

die Sekte des Herrn Peter P.

Wer mal genauer wissen möchte, wie eine Sekte funktioniert und was eine PTBS aus Menschen machen kann, der sollte sich mal “Peter Pan” anschauen.

Meine Güte, das ist der bis jetzt brutalste Disneyfilm, den wir uns bisher angesehen haben!
Da wird gemordet, mit Mord gedroht, gedemütigt, gekidnapped; da werden Frauen offen ausgenutzt und unterdrückt. Immer mit heftigem Personenkult der stets von Neuem genährt wird.

Gleich am Anfang der Geschichte erfahren wir,dass Peter Pan nur zu denen kommt, die auch an ihn glauben. Ziemlich schlau dieser Herr Pan- sich sein Zielpublikum von vornherein so auszuwählen…

Man bekommt einen Einblick in das bunte Treiben des Kinderzimmers von Wendy, Klaus und Michael, denen es ganz offensichtlich an nichts mangelt. Sie haben jeder ein Bett, sie mögen sich und spielen schön.
Doch dann kommt der Papa hinein und zerstört die kleine Spielwelt seiner Kinder mit seinem gestressten Fokus. Er hat nur sich im Kopf und zeigt kein Verständnis für die zum Leben erweckte Fantasie seiner Kinder- selbst als er die Chance hat einzusteigen, beharrt er auf seiner Perspektive und will sich durchsetzen.
Leichtfertig und- wie er später zugibt- unbedacht, erklärt er seiner Tochter, dass diese ab dem nächsten Tag erwachsen sein muss und nicht mehr im Kinderzimmer schlafen wird. Wendy ist sehr traurig. Ganz offensichtlich hat sie kein Verständnis von dem Begriff des Erwachsenseins. Es bedeutet für sie lediglich, dass sie nicht mehr bei ihren Brüdern schlafen und nie mehr Spaß haben darf. Alles andere was Erwachsensein auch bedeuten könnte, hat sie schon längst verinnerlicht- weiß das nur noch gar nicht!

Zum Beispiel kommt ja dann Herr Pan herein geschneit und sucht seinen Schatten, den er zuvor dort bei den Kindern “verloren” hatte (so macht man das übrigens bei Sekten: man lässt zufällige Begegnungen los- mal hier ein Infostand, mal da ein Flyer, mal ein hier ein Kurzkontakt, mal da ein kleines Gedankengutbonbon und nicht zuletzt die guten alten Missionare, die das Auto zwei Straßen weiter “verloren hat”…) und Wendy macht sich gänzlich uneigennützig daran ihm den Schatten anzunähen. Einfach so und völlig selbstverständlich- einem Kind müsste man sowas in der Regel erstmal beibringen und kaum ein wirkliches Kind würde ohne Aufforderung wissen, wann so ein Verhalten von ihm erwartet wird. Anscheinend ist also das Erkennen, wann welche Fähigkeit, in welchem Umfang von ihr erwartet wird schon etwas, dass Wendy schon gelernt hat. Das ist bereits ziemlich erwachsen!

Nun da Herr Pan wieder komplett ist, befasst er sich kurz mit dem Kummer des Mädchens und beginnt von seinem tollen Nimmerland zu erzählen. Neiiiin! Da müsste sie nie erwachsen sein! Da wäre es ja so wunderschön und toll. Alle sind glücklich.
Ohja! Sofort will sie mit! Klar! Und ihre Brüder kommen auch gleich mit! Die wollen sich so ein Abenteuer doch nicht entgehen lassen. Doch- halt! Was werden Mutti und Vati dazu sagen?

– Ach! Schwamm drüber Wendy- du wirst halt die Mutter für alle! Dann passt das schon!
Äh… korrigier mich gern einer- aber Mütter sind doch in der Regel schon ziemlich erwachsen nicht wahr?!
Tja, Wendy… willkommen in der Sekte des Hern Pan!

Ein häufiger Grund für Sekteneinstiege sind genau diese Art Eskapismus aus Überforderung durch hohe Ansprüche oder offene (schwerwiegende) Konflikte. Erleichtert durch einen charismatischen Guru, (oder Führer oder Meister oder wie auch immer sie sich nennen) vollmundige Versprechen und einer Prise Übernatürlichkeit.
Herr Pan ist ein Sohn des Götterboten Hermes und in der Regel umgeben von Satyren oder auch Nymphen, die ihm zu dieser Übernatürlichkeit verhelfen und sich gleichzeitig komplett hingeben. Vielleicht denkt sich die kleine Naseweis, der große Herr Pan würde sie schützen oder wenigstens nicht allein lassen, wenn sie ihn nur brav anhimmelt und ihre Fähigkeiten hergibt. Der offene Aspekt der Sexualtität und Pan´schen Wolllust kann hier leider (durch die Verwischung der Proportionen im Disneyfilm) nicht angeführt werden. (Ist aber eigentlich unübersehbar, wenn wir uns mal kurz die “Kleidung” der Nymphe ansehen…)

Warum Wendy, das nicht sieht und bemerkt? Ja, wie denn? Naseweis ist komplett ohne Sprache die Wendy versteht, grad so groß wie eine Menschenhand und Herr Pans Werkzeug, um den Kindern das Fliegen beizubringen, damit sie nach Nimmerland kommen.

Fliegen lernen. Einkreiseln. Eine Testsession besuchen… es gibt viele Begriffe für diese Einstiege.
Die meisten Menschen sind komplett high von den Versprechen und ersten Sektengeschenken. Wie die drei Kinder im Film merken sie eher nicht, wie weit und wohin genau sie sich entfernen: “bis zum Stern und dann immer der Nase nach”, kann auch auch heißen: “vom Infostand bis zum Logenhaus und dann immer den Ritualanweisungen nach…”
Und dort angekommen, fragt man sich nicht mehr goßartig, warum alle so komische Kleidung tragen, sich nicht mehr an ihre Familien erinnern und eine seltsame Beziehung zu Gewalt und Vorstellung von der Welt haben.

Wendy freut sich sehr endlich mal Meerjungfrauen zu sehen und ist nur kurz empört, als diese sie “zum Spaß ertränken” wollten- immerhin ist ja Herr Pan da, um sie zu schützen!
Herr Pan schützt ja alle- sogar die kleine Tigerlilly- die aber lediglich deshalb gerettet werden muss, weil der von seiner PTBS gebeutelte Käpt´n Hook, sich an Herrn Pan rächen will.
Der arme Käpt´n Hook ist verrückt vor Angst und nach dem traumatischen Verlust seiner Hand (durch Peter Pan) nicht mehr in der Lage seiner Arbeit als Piratenkapitän nachzukommen. Einzig sein immer wieder entfachter Hyperarousel (durch dieses gemeine Krokodil und die ständigen Quälereien Pan´s) verhindert, dass er sabbernd in Ecke hockt und von seinen Piraten kielgeholt wird.
Ich glaube ja, dass Herr Hook ein Aussteiger ist, dessen OEG (mit dem er seine Traumatherapie bezahlen will) nicht durchging und dessen einziger Lebensinhalt überhaupt nur noch die Entschädigung durch Tätertod sein kann…

Herr Hook geht für seine Rache sogar richtig kriminelle Wege. Er entführt die vor Eifersucht auf Wendy glühende Naseweis und nutzt ihre Verletzung, um das Hauptquartier der Sekte zu finden.
Dort wird die ganze (bereits irritierte und im Glauben an das Leben in Nimmerland erschütterte) Gruppe von ihrem Führer separiert und auf das Piratenschiff verschleppt, während Herrn Pan eine Bombe als Geschenk hinterlassen wird.

Hook stellt die Gruppenmitglieder vor die Wahl: der Gang über die Planke in den Tod oder die Heuer auf seinem Schiff.
Indoktrination gewohnt und gern am Leben seiend, wollen alle natürlich direkt bei ihm anheuern- ausser die getreue absolut irrational loyale Wendy.
Und wie das so ist in Sekten, wird Naseweis der Ernst der Lage klar. Sie befreit sich und rast zu Pan um ihn zu retten- immerhin steht nun die ganze Gruppierung auf dem Spiel!
Die Rettung gelingt, Pan rettet fix mal noch Wendy und auf das fehlende Platsch hin entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.

Pan ist wieder da und stellt sich dem scheinbar ungleichen Kampf mit Hook- welcher aber gar nicht so ungleich ist, wie er scheint.
Er ist noch um ein vielfaches ungleicher! Pan nutzt die Todesangst Hooks vor dem Krokodil, welches natürlich wieder zur Stelle ist und nur darauf wartet, dass Hook ins Wasser fällt.
Jemand der unter einer so krassen PTBS leidet wie Hook, ist in der Regel alles- ausser fähig zur Konzentration und Zielgenauigkeit. Schlafmangel und zeitweiser Realitätsverlust tun ihr übriges und Herr Pan braucht nichts weiter zu tun, als noch ein paar Mal gezielt zu verängstigen und zu verhöhnen und schon ergreift Käpt´n Hook die Flucht. Das Krokodil ihm nach…

Wendy hatte schon am Vorabend ihre Brüder, vom Mütterkult der 50er Jahre getragen, zum Heimweh motiviert. (Übrigens eine Stelle bei der meine Augen plötzlich ausliefen- das wird dann wohl die Stelle sein, an die die Kritiker damals dachten, als sie den Film “herzerwärmend” nannten)
Sie war beleidigt und ihrer Illusionen vom Leben in Nimmerland beraubt, als sie beim Feiern mit den Indianern die Arbeiten einer erwachsenen Sqaw machen sollte- Herr Pan aber mit der jungen Tigerlilly und den anderen (männlichen) Gruppenmitgliedern unbeschwert herumtanzte.
Also erinnerte sie alle mal daran, was eine Mutter ist.
”Eine Mutter- eine richtige Mutter, ist das Schönste auf der Welt. Sie ist dein Schutzengel. Sie behütet dich- Tag und Nacht. Sie hat dich lieb und sie singt dich in den Schlaf.”
Zack! Ist die Kriegsbemalung abgewischt und die Sehnsucht entfacht. Was eine Leistung bei Kindern, die einfach von Natur aus noch auf ihre Mutter (oder die Familie allgemein) angewiesen sind.

Herr Pan und sein übernatürliches Werkzeug Naseweis werden wissen, dass sie gegen diese Art Kult und Bindung nicht so einfach anstinken können. Sie bringen die Kinder wieder zu sich nach Hause.
Dort gibt es einen reuigen Vater, der nach den wirren Erzählungen (von denen- oh Wunder was!- er natürlich nichts glaubt!) seiner Tochter, in großer Sorge ist und ihr verspricht noch weiter im Kinderzimmer schlafen zu dürfen.

Das Wolkenschiff des Herrn Pan allerdings, ist nachwievor am Horizont zu sehen…jederzeit bereit zurück zu kommen… man muss ja nur an ihn glauben… und schon kann man wieder in eine Welt in der man niemals erwachsen, verantwortungsbewusst, mitfühlend, rücksichtsvoll… menschlich handeln, denken, fühlen muss…

So ist es auch mit Sekten. Egal wie offenkundig man “einfach gehen kann”- es ist nie- niemals!- so einfach wie es aussieht! Entweder sie kreist in Form von ständiger äusserer Verführung und Kontrolle um einen herum oder im Kopf in Form von Handlungsmustern, Gedankenkonstrukten und Reflexen. Und so ziemlich jede Sekte kann sich darauf verlassen, dass das was in ihr geschiet von der breiten Masse schlicht und einfach nicht geglaubt wird.

Sollten Sie, lieber Leser, ein Betroffener sein und Information zum Thema “Ausstieg aus einer sog. Sekte oder Psychogruppe” suchen, kann ich ihnen diese Seite und auch diese sehr empfehlen.

Freiheit nach dem Ausstieg macht einsam. Aber Freiheit kann machen, dass man sich- wenn schon nie als Kind, so doch als befreite Erwachsene “Peter Pan” anschauen und Artikel dazu schreiben kann wie diesen hier!