betroffene Profis #3

Von Gewalt (und den von ihnen ausgelösten Folgeproblemen) betroffenheit ist etwas, das die eigene Professionalität untergräbt.

Man muss keine Bloggerin sein, die viele ist und Gewaltdynamiken auseinanderpflückt, während sie in ihr Innen hört und ihm Wortraum gibt, um zu merken, dass jedes andere Thema massenwirksamer, anschlussfähiger und weniger frustrierend ist.
Es ist oft genug die Kombination aus eigener akzeptierter Betroffenheit und thematischer Auseinandersetzung, die verhindert, auch als professionell im Sinne von abgegrenzt und Abstand wahrend, wahrgenommen zu werden.

Uns wird oft unterstellt einen privaten Feldzug anzuführen, der vor allem unser eigenes Wohl- und Machtbefinden zur Folge haben soll. Unser Ärger, unsere Wut über Gewalt an anderen Menschen, wird umgedeutet zu einer künstlichen Empörung oder einer pathologischen Übertragung, die letztlich wiederum uns und niemandem sonst dienen soll.
Immer wieder werden wir behandelt wie jemand, der zwischen sich und anderen Menschen nicht unterscheiden kann, während er auf Parallelen deutet.

Die Absprache dieser Fähigkeiten entzieht uns die Statusoption “Expertin im eigenen Thema”. Die Unterstellung parasitären Verhaltens innerhalb gesamtgesellschaftlicher Debatten um Gewalt und ihre Folgen, spricht uns die Berechtigung ab, uns als Teil der Gesellschaft sehen zu dürfen und Forderungen zu formulieren, die ihre Berechtigung haben, gerade weil wir auch Gegenstand jener Debatten sind. Das Modell einer konstruktiven Kompetenzsymbiose gibt noch nicht als gesamtgesellschaftlich gelebt.
Man kennt Intersektionalität – und doch gilt diese bis heute noch nicht als Standard in allen Auseinandersetzungsbereichen.

Bis heute muss eine Person, deren Beruf eine Schnittstelle mit Gewalterfahrungen hat, sich sehr genau überlegen, ob sie ihre eigene Betroffenheit – egal, ob aus der eigenen Lebensgeschichte oder aus zivilcouragiertem Empfinden heraus – versteckt oder nicht.
Es zählt die Objektivität synonym gehandelt als “Nichtbetroffenheit” als eine Art natürlich eingebaute Fähig- und Fertigkeit über Gewalt (Macht) zu sprechen und zu urteilen, sich überhaupt in irgendeiner Form “richtig” im Sinne von “wahrhaft” auseinanderzusetzen und “korrekte” im Sinne von “wahrhafte” Ergebnisse hervorzubringen, auf die sich gefahrlos verlassen werden kann.

Was für eine gefährliche Annahme um Objektivität und Subjektivität das ist, haben wir hier schon einmal geschrieben.

Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe zu diktieren, wie ein tatsächlich respektvolles, selbstkritisch reflektierendes Auseinandersetzen mit Gewalt, ihren Formen und Folgen aussehen muss.
Schon gar nicht hier in unserem persönlichen Blog, das, wie in der About-Seite zu lesen ist, keine Plattform ist ziellose Imperative zu formulieren, sondern unsere eigenen Ideen, Gedanken, Theorien zu dokumentieren, zu analysieren und mit jenen zu teilen, die bereit sind sich dem zu widmen.

Wir warten nicht mehr darauf, dass uns jemand nach unseren Gedanken fragt. Wir wissen, dass unser sozialer Status zu niedrig ist und vermutlich auch bis zum Ende unseres Lebens bleiben wird, um gefragt zu werden.
Wir können unsere Profession anerkennen, weil sie direkt verknüpft ist mit dem, was wir schon immer gut konnten und immer weiter ausbauen können.

Die Frage ist: Wann werden das jene können, die mittels ihrer Profession ihr eigenes Leben tragen und legitimieren, indem sie sie innerhalb und entsprechend gewaltvoller Kontexte und deren Aufrechterhaltung eigene Betroffenheiten und Subjektivitäten negieren (müssen/können/sollen/dürfen)?

und: Wann hört es auf ein Makel zu sein auch ein Teil dessen, was verurteilt wird, zu sein?

betroffene Profis #2

Wenn es einen Satz gibt, der uns seit 13 Jahren begegnet und exakt nichts sagt, weil er in  dem Kontext, in dem er uns immer wieder begegnet dumm ist, dann ist es “Sie sind der Profi für ihr eigenes (Er_)Leben”.

Immer sind es Kliniken, Behandlungspraxen, Beratungsstellen, Betreuungsbüros, in denen dieser eine Satz wie ein Zierdeckchen auf meine Problemberge draufgelegt wird, um mir zu signalisieren: “So und nun gucken sie mal, wie sie klarkommen. Behalten Sie dieses Deckchen immer im Blick, denn niemand kann Ihnen das abnehmen, was Sie tun müssen, um sich besser zu fühlen. Sie allein sind es, die das kann. Sie sind so [hier wird eingefügt, was von zur Mehrheit der Menschen erklärten Masse als positiv ermutigend und stärkend gilt – also so etwas wie “mutig”, “stark”, “klug”, “eloquent”, “kämpferisch”, “resilient”, “kraftvoll”] – es gibt Hoffnung für Sie – Sie müssen nur wollen und machen.”

Vielleicht geht nichts anderes. Vielleicht sind die Bedingungen unter denen Menschen heute anderen Menschen helfen wollen, können, müssen, sollen, so beschissen, dass nur noch das geht. Das “Sie sind der Profi- Zierdeckchen” klöppeln in der Verhaltenstherapie, in Mandalaform zum Ausmalen hingeben in der Kunsttherapie, in regelmäßigen Trommelschlägen in Bongos tippen in der Musiktherapie – in Myriaden von Worten verpacken in der Gesprächstherapie.
Ja, vielleicht geht nicht mehr. Ja, vielleicht ist der Ansatz bewährt. Ja, vielleicht macht so ein Satz sogar, dass man als Patient_in irgendwann sogar tatsächlich einen professionellen, kompetenten Umgang mit sich und seinem Erleben findet, der Leidensdruck und äußere Kontexte mit einem Flickenteppich aus immer komplexeren Zierdeckchen bedeckt bis es zur zweiten Haut wird.
Und ist.

Und dann? Dann ist man tatsächlich ein_e kompetent_e Patient_in.
Ach du Scheiße.

Dann gibt es keine großen Halleluja-Momente der Aufklärung über diverse Faktoren der eigenen Diagnose und auch die Idee davon nicht verrückt und unzurechnungsfähig zu sein, ist bei weitem keine mehr über die man einen roten Kopf bekommt und sich so erleichtert fühlt, dass man über einen Stein am Gürtel nachdenkt.

Nachdem fast unser halbes Leben aus einer Therapie besteht, die uns vor allem den Umstand unserer Zurechnungsfähigkeit, unserer Resilienzfaktoren und der Existenz der Berechtigung von Respekt, der uns entgegen gebracht werden soll, obwohl wir wir sind, in den Kopf pflanzt und dafür sorgt, dass wir das nicht vergessen, weil Inhalte aus der anderen Hälfte unseres Lebens immer wieder diese Pflänzchen kaputt zutreten versucht, geht es für uns nicht mehr darum von einer gesellschaftlich und kulturell über uns stehenden Instanz über das Vorhandensein dieser Inhalte als für uns und unsere Zustandsverbesserung als relevant und in Ordnung aufgeklärt zu werden.

Es geht darum diese zu sichern und genau so weit erstarken zu lassen wie bei anderen Menschen ohne unsere Erfahrungen.

Doch haben wir das vielleicht nicht genug bedacht, denn nun stehen wir erneut an einem Punkt an dem wir merken: Ja, jetzt sind wir so weit, dass es für uns kein fast g’ttgleiches Geschenk mehr ist, wenn uns jemand glaubt, dass es uns gibt. Dass wir sind. Dass wir leben, lieben, leiden.
Sondern, dass wir wissen: Therapie ist ein Arbeitsverhältnis. Therapie ist Arbeit an und Auseinandersetzung mit sich, wie der ganzen Welt. Auch dann, wenn sich “die Welt” durch den kleinen Einpersonenhaushalt mit Haustier und Ehrenamt auszeichnet, so ist es ein Kosmos, der eine Wandlung mit macht.

Wir wissen, es muss grundlegende Regeln geben. Wissen, dass diese Regeln auch Bereiche berühren können, die privater sind, als bei einem Arbeitsverhältnis bei dem es um die Errichtung eines Gartenzauns geht. Doch selbst in so einem Arbeitsverhältnis wird miteinander geredet. Ist man miteinander, weil man weiß, wie sehr man von einander abhängig sein kann.
Psychotherapie funktioniert nicht so. Therapieverhältnisse sind Abhängigkeits- und damit auch Gewaltverhältnisse. Nicht zuletzt auch deshalb, weil nur eine von beiden Professionalitäten als echt und wahrhaft auf ihrem gesicherten, etablieren Raum bestehen darf – obwohl die eine ohne die andere weder gebraucht noch produziert werden kann.

So nehme ich uns derzeit wahr wie Frankensteins Monster.
Wir waren eine Art tote Masse, die erst durch das Handwerk idealistischer, kompetenter und hoffungsvoller Menschen zu etwas kommen konnte, das man Leben nennen kann. Man feiert unsere Erfolge, freut sich mit uns über das eigene Wachstum, doch dann: [Schlaglicht und eine bizarre Musik im Hintergrund] haben wir eine Forderung. Wir wollen als das anerkannt sein, was man uns immer vermittelte und wollen einen entsprechenden Umgang mit uns.

Wir wollen respektvoll angehört werden, wenn es in einem Gespräch um uns als Person geht. Wir wollen die Möglichkeit unser Arbeitsverhältnis mitzugestalten. Wir wollen nicht weiter ausschließlich als in Schöpfung betrachtet werden, sondern auch als in Bestand.

Ich habe natürlich einen persönlichen und aktuellen Anlass das Thema aufzugreifen – zu anderen Zeiten aber habe ich diesen Anlass ebenfalls.
Auch zu anderen Zeiten gibt es Bereiche, in denen kompetente Patient_innen unter die Räder von Sozialpolitik und Professionsgeklüngel geraten und exakt keine Mitspracherechte bzw. exakt keine Gewichtung ihrer Mitsprache in Bezug auf ihre eigene medizinische, psychiatrische, psychologische und sonstige Behandlung, Versorgung, Pflege und unter Umständen auch juristische Genugtuung  erhalten.

Zu keinem Zeitpunkt seit unserer ersten F – Diagnose gab es je keinen Anlass sich mal zu fragen, ob sich denn niemand darüber wundert, was für ein seltsamer Weg beschritten wird um Leiden zu begegnen und zu lindern. Zu keinem einzigen Zeitpunkt in unserer gesamten Behandlungszeit gab es so ein Moment nicht.

Und lange dachten wir, dass wir uns darüber wundern und das in Frage zu stellen hätte etwas mit unserer Kaputtheit, unserem Leidensdruck, der beschissenen Lebensrealität mit der wir jeden Tag umgehen zu tun.
Nicht damit, dass da tatsächlich Kackscheiße passiert.

Und daneben die Frage, warum werden “wir Patient_innen” (und: “Wir, die wir Opfer von Gewalt wurden”) denn bitte so sehr gestärkt und in unseren Rechten auf Selbstbestimmung, Unversehrtheit und bestmögliche Versorgung im Sinne von Umgang und Begegnung versichert, wenn wir diesen nicht gleichermaßen auch von denen einfordern dürfen, die uns beigebracht haben, dass wir ein Recht darauf haben?

In den letzten Jahren haben wir so viel über die Sollbruchstellen des Antistigmatisierungsaktivismus gelernt. Haben so viel über die tiefgreifenden Wurzeln von Selbststigmatisierung im Zusammenhang von Konsumgesellschaft und patriarchaler Gesellschaft gelernt, dass wir vor uns selbst nicht umhinkommen, durch die Straßen und jeden einzelnen Tag zu laufen und merken, was hier eigentlich passiert. Obwohl und trotzdem so viele Menschen glauben, vieles (alles) ginge auch ganz anders als jetzt.

Nämlich: auch ohne Gewalt