und dann die Wahrheit

Es ist eine erwartbare Entwicklung.
Rot-schwarze Kuttenmänner und übergeschnappte Therapeutinnen im Spiegel, unachtsam und übereifrig reagierende Strukturen in Münster, Empörung folgt Verzweiflung von Betroffenen – und dann gehts um die Wahrheit in der Zeit. Erinnerungen sind trügerisch. Wahrheit ist rein. In ihrem strahlenden Licht: Elizabeth Loftus, amerikanische Gedächtnisforscherin, erfolgreiche Derailingstrategie in jedem strittigen Prozess mit dem Thema „sexualisierter Gewalt“ vor einem US-Gericht.

Ich bin noch gar nicht so alt, wie ich mich fühle, in diesem schon zigfach durchgekauten Zyklus. Das schon ein Mal vorweg.
Dieser Text wird kein Pro- und Kontra- Kann man Erinnerungen glauben oder nicht. Das Ross ist mir einfach zu hoch und ich sehe keinen Zweck darin, der allen dienlich ist.
Aber es wird ein Text, der die Strategie beleuchten will. Und wie schwierig es ist, hier von einer Strategie zu sprechen, ohne als verschwörungsgläubig oder befangen in einer eigenen (möglicherweise sogar falschen) Betroffenheit gedacht zu werden. Und entsprechend nicht ernst genommen zu werden. Angehört zu werden. Als aktiver, gleichberechtigter Part mit gleichen Intentionen an dieser Diskussion behandelt zu werden.

Denn auch wenn in keinem der letzten Berichte zu (organisierter (Ritueller)) sexualisierter Gewalt mit zweifelndem Unterton steht: „Die Leute, die hier als Opfer auftreten, sind nur Opfer von sich selbst (nachdem sie Opfer von Therapeut_innen waren)“, sie sagen es aus und instrumentalisieren Opferschaft als Status ziemlich ganz genau so, wie es die Instanzen tun, die in Fällen (juristisch) anerkannter Opferschaft über Opfer sprechen. Und das ist relevant.
Es zeigt, dass Opferschaft als ein vorteilhaft nutzbarer Status gilt, während das für die Täter_innenschaft nicht gilt. Deshalb ist allein der Zweifel das wichtigste Werkzeug für jemanden wie Loftus, False Memory Deutschland e. V. und andere Persönlichkeiten, deren Handeln zum Ziel (bzw. zur Folge) hat, die Anerkennung von Täter_innenschaft zu verhindern. Denn die juristische Rechtsprechung gilt im Zweifel immer für die_n Angeklagten.

Ein oft ignoriertes Problem: Opferschaft und Täter_innenschaft sind keine an den juristischen Kontext gebundenen Status.
Die Bindung an diese staatliche Autorität erfolgt ausschließlich dann, wenn es ein Interesse der Allgemeinheit an einem richterlichen Urteil (sowie einer Strafe) gibt und wenn es überhaupt ein Gesetz gibt, das die Tat zu einem illegalen Akt macht. Es ist die richterliche Instanz, welche die Wahrheit zu erfahren einfordern muss, um zu einem dem Recht Genüge tuendem Urteil zu kommen. Nicht: der Wahrheit Genüge tuend. Und auch nicht: Den Angeklagten oder den Anklagenden Genüge tuend. Dem Recht. Deswegen heißen Opfer und Täter_in vor Gericht auch nicht „Opfer“ oder „Täter_in“, sondern Beschuldigte_r/Beklagte_r bzw. Geschädigte_r/Antragsteller_in/Anzeigeerstatter_in.

In unserer Gesellschaft ist Wahrheit singulär gedacht. Als Wahrheit gilt, was als wahr annehmbar gedacht und erlebt werden kann, weil wir Menschen nur so Sinn und Bedeutung für uns herstellen können. Wir halten schwebende Äpfel für unwahr, weil wir jeden Tag Gravitation erleben. Eine Gewaltgeschichte, in der schwebende Äpfel vorkommen, ist entsprechend schnell bezweifelt. Denn so funktionieren wir Menschen eben auch: Wir picken uns raus, was uns am eindeutigsten für oder gegen etwas argumentieren lässt.
Das ist normal, das ist gut, das ist im Leben jedes Menschen eine sehr wichtige Sache. Diese Eigenschaft haben wir als Menschheit immer gebraucht, um zu überleben. Wir müssen wissen, wann uns jemand anlügt oder wir vergiftet sind und unserer Wahr.nehmung nicht mehr trauen können. Wir müssen aber auch wissen, wem wir wann, warum, was glauben. Und hier bewegt sich der Konflikt.

Wer glaubt, von Opferschaft hätte man Vorteile, die man als Täter_in nicht hat, ist versucht anzunehmen, dass dies ein erstrebenswerter Status sei – ein Grund zu lügen.
In den USA, wo es Prozesse um Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gehen kann, ist es nicht sonderlich weit hergeholt, diese Annahme zu haben. Nimmt man hinzu, dass es dort kein Sozialsystem wie hier gibt, ergibt es noch mehr Sinn. Aber auch – und vor allem dann, wenn viel Geld im Spiel ist – ist es genauso legitim anzunehmen, dass es in solchen Prozessen nicht um die Wahrheit geht, sondern um Geld. Und damit um Macht und daran geknüpft einen Status, der tatsächlich erstrebenswert ist.
Hier gibt es solche Prozesse nicht. Vermutlich hat Deutschland deshalb so viele Wahrheitsexpert_innen im Dunstkreis von GWUP, FSM, oder dem Kopp Verlag.

„Opfer“ ist in Deutschland ein Schimpfwort. Opfer werden hier nie als benachteiligte Individuen verhandelt, sondern immer als Token benutzt. Also sehr wohl in ihrer Benachteiligung gesehen (und unter Umständen sogar juristisch zu Genüge beurteilt), jedoch ebenfalls immer eingesetzt, um Gewalt (und in der Folge Täter_innenschaft) zu definieren, statt sie zu beenden oder zu verhindern.
Entsprechend logisch ist das Vorgehen, Opferschaft extrem präzise zu definieren – das ist einfach enorm viel weniger anstrengend in seinen Auswirkungen. Würde immer als Opfer anerkannt werden, wer sich benachteiligt oder geschädigt nennt, müsste auch anerkannt werden, dass es sehr viel Gewalt und Täter_innenschaft gibt. Mit unserem derzeit institutionell etablierten Verständnis von Strafe und Wieder.gutmachung, von Recht und Recht haben, kämen wir als Gesellschaft schnell an Grenzen. Privilegien würden allgemein sichtbar und würden in Zweifel, ob ihrer Legitimität gezogen werden. Alle Normen und Werte unserer Gesellschaft kämen auf den Prüfstand. Alle, die sich für normal halten, wären mit dem Zweifel konfrontiert, der jetzt an der wahrhaftigen Legitimität benachteiligter, versehrter, unterdrückter, unnormalisierter Personengruppen gepflegt (und normalisiert) wird.

Mit einer ganz klaren, extrem engen Vorstellung von Opferschaft, werden viele Aspekte ihrer Natur beschnitten. So auch die Natur von Traumafolgen im Rahmen von Opferschaftserfahrung. Diese ist in sich schon schwer zu vermitteln, weil wir Menschen einander nun einmal lediglich ineinander hineinversetzen können – jedoch nie als die andere Person erleben.
Eine Person, deren Normalität, also ihrem Grundbaustein für ihre Entwicklung von Wahrheitskennzeichen, nie die gezielte, absichtsvoll hergestellte Verquerung der Realität enthielt, wird es niemals schaffen zu begreifen, was das für die Schilderung von Gewalterfahrungen für eine so umfassend getäuschte Person bedeutet. Für das Weltbild, für die inneren Konflikte, geschweige denn für die Interessen, die solch eine Person verfolgt, wenn sie dieser Täuschung gewahr wird. Es bleibt eine Annäherung, das zu verstehen. Es bleibt eine Idee, basierend auf den eigenen Erfahrungen, den eigenen in sich verankerten Konzepten von Wahrheit. Das macht den Richter_innenspruch nicht mangelhaft und auch das Suchen nach einer objektiven Wahrheit nicht obsolet, aber nicht zum Garant der Wahrheit an sich. Ein Richter_innenspruch ist kein Echtheitszertifikat, sondern ein Urteil, das sich aus den normalisierten und institutionalisierten Werten, Haltungen und Überzeugungen unserer mehrheitlich privilegierten Gesellschaft ergibt.

Natürlich beziehe ich mich hier auf Opferschaft nach sehr umfassender Gewalt, weil ich meine Argumentation daran sehr eindeutig machen kann und nicht in die Unschärfen von weniger weit entfernten Er_Lebensrealitäten einsteigen muss. Das würde den Rahmen und meine Kapazitäten sprengen, will ich mich doch vor allem auf die Strategie des Derailings als Teil von gesellschaftlichem Vermeidungsverhalten in Bezug auf (organisierte (Rituelle)) sexualisierte Gewalt beziehen.
Es ist meiner Ansicht nach aber wichtig, sich sehr sehr deutlich klarzumachen, dass Kinder, die unter Umständen von Geburt an, gezielt, absichtsvoll, organisiert und wie auch immer begründet, verletzt und ausgebeutet werden, in vielen Fälle keine Erwachsenen werden(.) – die der normalisierten Mehrheit unserer Gesellschaft angehören können/sollen/dürfen. Diese Personengruppe ist zum großen Anteil nicht normalisiert in ihrem Er_Leben, ihren Möglichkeiten zur Interaktion und Kommunikation und dazu oft auch eher mehrfach diskriminiert denn privilegiert. In der Folge ist der gesamtgesellschaftliche Schaden sehr viel geringer, wenn man diesen Personen glaubt, als wenn man privilegierteren Menschen, die als Täter_innen benannt werden, glaubt.

Ein Beispiel dafür ist meiner Meinung nach der Fonds sexueller Missbrauch, der keine Prüfung der Schilderungen vorgenommen, sondern die in Deutschlands Bürokratie üblichen Wartezeiten und Nützlichkeitsprüfungen als Hürde aufgestellt hat. Wurde der in 2 Wochen leergesaugt? Nein. Wurde deutlich, dass ein großer Teil der Antragssteller_innen von dem Geld daraus Leistungen bezahlen, die ihnen ohnehin zustehen, aber nicht gewährt werden, weil das Krankenkassen- und Sozialsystem Menschen wie sie diskriminiert? Ja.

Wer Opferschaft an die Bedingungen einer normalisierten Mehrheitsgesellschaft knüpft, knüpft entsprechend ebenfalls ganz automatisch Bedürftigkeit benachteiligter Personen mit daran. Die Idee von Opfern, die aufgrund ihres Opferstatus (nicht allgemein legitimierte) Bedarfe erfüllt bekommen müssen, ist also komplett aus sich selbst heraus produziert und dient in der Folge als Argument für weitere Diskriminierung.

Um davon abzulenken, wird also von Wahrheit gesprochen. Davon, dass man denen eigenen Erinnerungen nicht glauben darf. Vor allem nicht, wenn irgendwas mit Missbrauch darin vorkommt. Rein zufällig, nachdem eine Kampagne nach der nächsten gegen die wenigen privilegierten und in Solidarität organisierten Institutionen und Fürsprecher_innen gefahren wird.

Es wird überstrahlt, dass es bereits Richtlinien dafür gibt, wie Psychotherapeut_innen Patient_innen, die Unbeweisbares schildern, begegnen müssen und sollen, um ihnen bestmöglich zu helfen. Es wird diffus vermischt, welches Faktenwissen worüber bereits gibt. Was die Gesellschaft den Menschen, die zu Opfern wurden eigentlich schuldet und so viel mehr, das ich in früheren Artikeln bereits benannte.

Und das alles nur, weil sich Gewalt und ihren Folgen anders als abwehrend zu widmen, einer privilegierten Personengruppe die Grundlage ihrer Macht entziehen und so viel mehr Auseinandersetzung erfordern würde.
Das muss sich einfach ändern, wenn man demokratische Grundwerte wenigstens in ihrer Basis ernst nimmt und umgesetzt leben will.

14072020 – #NonBinaryDay und #DisabilityPrideMonth

Heute ist „Non Binary Day“. Ein Tag, an dem der Hashtag #NonBinaryDay mit vielen hilfreichen Informationen zum Thema gefüllt, aber auch viel Solidarität und Liebe geteilt wird.
Es ist ein Tag, an dem wir noch einmal mehr Validierung von Außen erfahren als sonst. Das fühlt sich gut an und stärkt uns.

Im analogen Kontakt outen wir uns in der Regel nicht oder erst bei engerem Bezug als nicht binär. Das hat nichts mit einem Gefahrerleben zu tun oder mit Scham, sondern damit, dass oft niemand weiß, was das überhaupt ist oder bedeutet.
Für die meisten Menschen gibt es nur Menschen, die „männlich“ oder „weiblich“ oder „was anderes“ sind. Manchmal ist „was anderes“ noch mit „intersex“ bezeichnet, aber auch das ist eher selten und wird oft doch als „was anderes“ gedacht, nämlich als Abweichung von der Norm oder biologischer Quirk.

„Non binary“ bzw. „nicht binär“ ist ein Sammelbegriff. Unter ihm können sich Menschen verschiedener Gender einfinden. Es gibt agender Personen, die sich als nicht binär bezeichnen, genderfluide, genderqueere und auch Menschen, die trans sind. Mit dem Begriff bezeichnet man also eine Positionierung auf dem Genderspektrum und nicht unbedingt ein Gender an sich.

eine gerade Linie an deren Enden mit Vierecken markiert
What people think non-binary means
ein bunter Kreis, an dessen horizontalen Enden des Durchmessers male und female steht (verbunden durch eine schwarze Linie) auf dem Rest des Kreises sind verteilt an unterschiedlichen Punkten kleine Dreiecke über denen
what non-binary actually means

 

Unzureichende Bildung.smöglichkeiten/zugänge, hetero_normative cis sexistische Grundhaltungen, Ideale und Politiken tragen bis heute dazu bei, dass Menschen außerhalb des linear gedachten Gendergradients als Abweichung eingeordnet werden. Der Umgang mit nicht binären Personen (und anderen Menschen, die sich nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen (lassen)) der westlichen bis in ihren Kern ableistischen und gewaltkulturell definierten Gesellschaft, ist bis heute von Pathologisierung, Abwertung und der Negierung real erfassbarer Existenz geprägt.

Dieser Umgang ergibt für behinderte Personen eine Schnittmenge, die zu einer sogenannten „Mehrfachdiskriminierung“ führt.
Behinderte Menschen erfahren ebenfalls eine durchgehende Pathologisierung ihrer Normalitäten, aufgrund ableistischer Grundannahmen und Werte, die einzig durch cis Gender und heterosexuelles Begehren verkörpert bzw. belebt werden. Zudem wird behinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung jedwedes Begehren oder sexuelle Aktivität abgesprochen. Auch wird dieser Personengruppe in Korrelation zu der so eingeordneten, „Schwere der Behinderung“ abgesprochen, überhaupt eine Geschlechts_Identität zu haben und im Außen eine Entsprechung und Annahme dessen vorfinden zu wollen.
Behinderten Menschen wird damit eine für die allgemeine Er_Lebensqualität relevante Ebene ihrer selbst abgesprochen. Sie erfahren dadurch die Degradierung zu verkörpertem Leben in einer als minderwertig ein.ge_schätzten Form, da keinerlei andere Funktion.alität als der Selbsterhalt (so dieser ohne Hilfsmittel und medizinische Unterstützung überhaupt gegeben ist) zugetraut und anerkannt wird. Entmenschlichung wie diese, erleichtert es Politikern wie Jens Spahn, Gesetze, wie das aktuell vielstimmig kritisierte, da gegen Artikel 3 der deutschen Grundgesetze verstoßende, „Intensivpflege“stärkungs“gesetz“ überhaupt zu denken.

Aber auch Kinder und alte Menschen – die aufgrund ihrer noch nicht entwickelten oder durch ihr Alter und die damit einhergehenden Einschränkungen nicht mehr durchführbaren Fertig- und Fähigkeiten, „voll funktionsfähig“ („abliert“) sind – sind von „Entsexualisierung“ betroffen und erleben sich häufig nicht als sexuelle Wesen mit Geschlechtidentität akzeptiert und behandelt.
Hier ist besonders zu erwähnen, dass es in der Regel Ableismus ist, der zuerst zu dieser Diskriminierung führt und nicht Sexismus oder Hass auf Menschen anderer Geschlechtsidentität als „männlich“ oder „weiblich“. Sexismus fußt auf Ableismus, wie es praktisch jeder andere *ismus auch tut.

Nicht binäre Menschen und andere Personen, die in dieser Gesellschaft nicht als real existierend eingeordnet werden, sehen sich jeden Tag in verschiedenen Aspekten vor der Herausforderung, sich selbst zu validieren und als existent zu markieren. Sie werden nicht kriminalisiert, sie werden nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ihnen wird die Ehe nicht verweigert, sie werden nicht davon ausgeschlossen ein politisches Amt zu bekleiden oder ein Land zu regieren – weil es sie offiziell gar nicht gibt.
So kommt es immer wieder zu Konflikten in Kreisen, die sich für die Rechte von LGBT+ Personen einsetzen. Unter anderem deshalb, weil z. B. der deutsche LGBT+-Aktionismus stark beeinflusst ist von weißen Menschen, die durch ableistische, klassistische, rassistische Strukturen und kulturelle Praxen kaum existenziell bedroht bzw. diskriminiert sind. Sie mussten nie den Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz führen, wie ihn alle Menschen, die mit diesem putzigen „+“, manchmal auch „*“ zusammengefasst wie eine homogene Masse hinter den Buchstaben stehen, jeden Tag führen und ertragen müssen.

In dieser Woche startet auch die „Non Binary Awareness Week“.
Ihr könnt diese Woche nutzen,

  • um @NBWeek auf Twitter zu folgen
  • um diesen umfangreichen Thread von @cuffedCatling zu lesen
  • um die Serie „One Day At A Time“ bei Netflix kennen und lieben zu lernen, denn es ist eine der ersten Serien, in der ein nicht binärer Charakter auch offen als solcher bezeichnet auftritt – ohne pathologisiert oder abgewertet zu werden
  • um euch die Beiträge unter #NonBinaryDay durchzulesen und sie zu teilen, um damit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen
  • um mal zu schauen, ob ihr schon mal ein Buch, ein Lied oder Kunst von einer nicht binären Person genossen und weiterempfohlen habt. Falls euch auffällt, dass ihr das noch nie getan habt: Viele Bücher und mehr zum Thema von Menschen, die es betrifft, findet ihr bei transfabel.de.
  • um euch darüber zu informieren, was geschlechtliche Vielfalt bedeutet. Um Texte dazu zu verstehen, kann das Queer-Lexikon hilfreich sein.
  • euch zu überlegen, ob ihr uns mal für einen Workshop zur Thematik einladet (wir bieten derzeit ausschließlich Online-Workshops an)
    Unsere E-Mail-Adresse ist im Impressum hinterlegt. Auch über speakabled.de und speakerinnen.org könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen.

betroffene Profis #3

Von Gewalt (und den von ihnen ausgelösten Folgeproblemen) betroffenheit ist etwas, das die eigene Professionalität untergräbt.

Man muss keine Bloggerin sein, die viele ist und Gewaltdynamiken auseinanderpflückt, während sie in ihr Innen hört und ihm Wortraum gibt, um zu merken, dass jedes andere Thema massenwirksamer, anschlussfähiger und weniger frustrierend ist.
Es ist oft genug die Kombination aus eigener akzeptierter Betroffenheit und thematischer Auseinandersetzung, die verhindert, auch als professionell im Sinne von abgegrenzt und Abstand wahrend, wahrgenommen zu werden.

Uns wird oft unterstellt einen privaten Feldzug anzuführen, der vor allem unser eigenes Wohl- und Machtbefinden zur Folge haben soll. Unser Ärger, unsere Wut über Gewalt an anderen Menschen, wird umgedeutet zu einer künstlichen Empörung oder einer pathologischen Übertragung, die letztlich wiederum uns und niemandem sonst dienen soll.
Immer wieder werden wir behandelt wie jemand, der zwischen sich und anderen Menschen nicht unterscheiden kann, während er auf Parallelen deutet.

Die Absprache dieser Fähigkeiten entzieht uns die Statusoption “Expertin im eigenen Thema”. Die Unterstellung parasitären Verhaltens innerhalb gesamtgesellschaftlicher Debatten um Gewalt und ihre Folgen, spricht uns die Berechtigung ab, uns als Teil der Gesellschaft sehen zu dürfen und Forderungen zu formulieren, die ihre Berechtigung haben, gerade weil wir auch Gegenstand jener Debatten sind. Das Modell einer konstruktiven Kompetenzsymbiose gibt noch nicht als gesamtgesellschaftlich gelebt.
Man kennt Intersektionalität – und doch gilt diese bis heute noch nicht als Standard in allen Auseinandersetzungsbereichen.

Bis heute muss eine Person, deren Beruf eine Schnittstelle mit Gewalterfahrungen hat, sich sehr genau überlegen, ob sie ihre eigene Betroffenheit – egal, ob aus der eigenen Lebensgeschichte oder aus zivilcouragiertem Empfinden heraus – versteckt oder nicht.
Es zählt die Objektivität synonym gehandelt als “Nichtbetroffenheit” als eine Art natürlich eingebaute Fähig- und Fertigkeit über Gewalt (Macht) zu sprechen und zu urteilen, sich überhaupt in irgendeiner Form “richtig” im Sinne von “wahrhaft” auseinanderzusetzen und “korrekte” im Sinne von “wahrhafte” Ergebnisse hervorzubringen, auf die sich gefahrlos verlassen werden kann.

Was für eine gefährliche Annahme um Objektivität und Subjektivität das ist, haben wir hier schon einmal geschrieben.

Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe zu diktieren, wie ein tatsächlich respektvolles, selbstkritisch reflektierendes Auseinandersetzen mit Gewalt, ihren Formen und Folgen aussehen muss.
Schon gar nicht hier in unserem persönlichen Blog, das, wie in der About-Seite zu lesen ist, keine Plattform ist ziellose Imperative zu formulieren, sondern unsere eigenen Ideen, Gedanken, Theorien zu dokumentieren, zu analysieren und mit jenen zu teilen, die bereit sind sich dem zu widmen.

Wir warten nicht mehr darauf, dass uns jemand nach unseren Gedanken fragt. Wir wissen, dass unser sozialer Status zu niedrig ist und vermutlich auch bis zum Ende unseres Lebens bleiben wird, um gefragt zu werden.
Wir können unsere Profession anerkennen, weil sie direkt verknüpft ist mit dem, was wir schon immer gut konnten und immer weiter ausbauen können.

Die Frage ist: Wann werden das jene können, die mittels ihrer Profession ihr eigenes Leben tragen und legitimieren, indem sie sie innerhalb und entsprechend gewaltvoller Kontexte und deren Aufrechterhaltung eigene Betroffenheiten und Subjektivitäten negieren (müssen/können/sollen/dürfen)?

und: Wann hört es auf ein Makel zu sein auch ein Teil dessen, was verurteilt wird, zu sein?

Suizid ist eine Wahl

Suizidprävention.
Alleine schon das Wort.

Und dann die Dinge, die man anlässlich des Tages der Suizidprävention so sieht.
Da gibt es Filme in schwarz-weiß, die einen Anruf bei einer fremden Person, die Einweisung in eine Krisenstation, den Kontakt mit Freunden und Familie als Rettung präsentieren. Da gibt es Recoverygeschichten, die das Gleiche tun.

Da ist die Idee vom Suizid als Ende einer Depression, als Zeichen tiefer Hoffnungslosigkeit und Überforderung. Manchmal geht es um Scham, manchmal um Flucht und Verantwortungslosigkeit.
Selten geht es um die Dinge, die in hinterlassenen Abschiedsbriefen stehen. Nie werden die Strukturen thematisiert, welche die Leben der Suizident_innen beeinflusst haben und exakt eine Wahrheit vermisse ich immer wieder

Suizid ist eine Wahl, die einzig und allein von der Person getroffen wird, die sich suizidieren will

Niemand, außer dieser Person selbst, trägt die Verantwortung für ihr Handeln. Niemand, außer dieser Person selbst, kann ihren Suizid verhindern.
Nichts und niemand kann und darf über dieser Entscheidung stehen.

Die sinnvollste Suizidprävention ist Lebensqualität.
Wenn man jemanden kennt, die_der suizidal ist, dann ist es wichtig den Suizid als gleichwertig mit anderen Handlungsoptionen zu betrachten und nicht zu denken: “einmal verhindert ist für immer verhindert”.
Suizidalität kann immer wieder kommen, kann immer wieder Thema sein, kann immer wieder genau das Einzige sein, mit dem sich ein Mensch selbstwirksam im eigenen Leben und am eigenen Leib erlebt.

Es ist eine Mechanik des Egoismus, suizidalen Menschen den Suizid zu verbieten, weil man ihren Tod nicht ertragen könnte.
Es ist eine sozio-kulturelle Dynamik, sich für den Suizid einer anderen Person verantwortlich zu fühlen und Tage, wie der Suizidpräventionstag und seine Ausgestaltung tragen, meiner Ansicht nach, massiv dazu bei.
Bei Suizidprävention, wie sie derzeit gestaltet wird, geht es darum, Menschen das Gefühl zu vermitteln, der Suizid – das Ergebnis einer Handlungsentscheidung  einer Person, ihr Leben zu beenden – sei etwas, was zu verhindern sei, durch als kleine Gesten präsentierte Handlungen.

Unhinterfragt bleibt, wo suizidale Menschen anrufen sollen, wenn sie nicht reden können. Mit wem sollen sie chatten, wenn sie keine Worte haben, nicht schreiben können, keinen Internet- oder Telefonzugang haben? An wen sollen sich suizidale Menschen wenden, wenn sie eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit sind? Wenn ihr Umfeld so gewaltvoll ist, dass der Schritt dort heraus gar nicht möglich ist? Und was will man einer suizidalen Person, deren Leben von Mehrfachdiskriminierung geprägt ist, denn Hoffnungsvolles sagen, was nicht nach 2-3 Tagen auch als Lüge bezeichnet werden kann?

Aus dem eigenem Leben mit chronischer Depressivität, die eben auch bedeutet mindestens einmal in der Woche darüber nachzudenken, ob Suizid nicht vielleicht doch der zu gehende Weg sein könnte, weiß ich, wie das ist, wenn man sich an Menschen wendet für die Suizidalität immer die grellroteste Alarmstufe bedeutet – und eben nicht den Anteil von Lebensrealität, den sie für mich darstellt.
Es kostet mich immer wieder unfassbar viel Kraft, meinen Mitmenschen zu erklären, dass ich sie nicht als meine “vor dem Suizid-Retter_innen” brauche, sondern als Menschen, die mich unterstützen und begleiten, mich an mein Leben als okay in seiner Existenz und mit meinem Wirken erfüllend zu binden.

Positive Bindungserfahrungen tragen zu einer Wahrnehmung des eigenen Lebens als lebbar, als schaffbar, als wunder_voll und auch den Schmerz wert, bei. Ein Telefonat mit der Telefonseelsorge kann eine kurzfristige positive Bindungserfahrung sein – doch wenn am Morgen danach wieder niemand da ist, dann ist der Suizid noch lange nicht präventioniert.

Ich frage mich, warum der Suizidpräventionstag nicht auf die spontanen Krisen eingehen, die mit strukturellen Bedingungen zu tun haben.
Ich frage mich, warum die Suizide von alten Menschen (Männern*) so wenig thematisiert werden.
Ich frage mich, warum Sterbehilfe nicht als Suizidprävention diskutiert wird.
Ich frage mich, warum es in unserer Gesellschaft verboten ist, selbstbestimmt zu sterben, wo doch der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben für viele Menschen auch ein großes Thema ist.

Und immer wieder stoße ich an den Punkt, an dem irgendjemand zugeben müsste, dass der Suizid einer nahen Person als Kränkung und persönlicher Angriff gewertet wird, statt als das, was es ist: das Ergebnis einer selbstbestimmten, selbst zu verantwortbaren Handlung der verstorbenen Person.

Alles “aber man hätte doch”, jedes “es gab doch noch so viel zu erleben” dient einzig den Hinterbliebenen, um ihrer Kränkung Ausdruck zu verleihen und sich selbst auseinanderzusetzen.
Den Toten ist “hätte, würde, wenn” egal und den Suizidalen, kann jedes “hättest du, würdest du, könntest du” die eigene Überforderung noch zusätzlich belastend bewusst  machen.
Mir hat es noch nie geholfen, auf etwas eventuell vielleicht Gutes in meiner eventuell vielleicht erreichbaren Zukunft hingewiesen zu werden, wenn meine ganz sicher beschissene Akutsituation, diese massiv in Frage stellt und klar ist, dass ich sie allein nicht verändern kann.

Also – bitte erzählt den Menschen nicht, sie könnten Suizide verhindern, indem sie einfach Notrufnummern verteilen und 10-20 Minuten Händchen halten. Hört den unterschiedlichen Leuten zu, die selbst mit (chronischer) Suizidalität im Leben zurecht kommen – hört ihnen zu, wenn sie euch erzählen, was ihnen geholfen hat. Schiebt suizidale Menschen nicht von euch zu Ärzt_innen – diese werden sie euch (wenn es gute* Ärzt_innen sind) wieder zurückschieben, denn ihr spielt die größere soziale Rolle im Leben der suizidalen Menschen, als die Ärzt_innen.

Und am Ende, wenn alles nicht gereicht hat:
Es ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Verantwortung. Es geht bei Suizid einer Person immer und immer einzig um die Person, die sich suizidiert.
Suizid ist eine Wahl.

Nicht mehr, nicht weniger.