das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

böse

Rosenblätterknospe “Und wie viel TäterIn steckt in mir?”
Die Frage arbeitete sich wie ein stinkender Gasball durch meinen Kopf und platzte irgendwann mitten in der Artikelreihe “
Wir sind Viele”.

2 Tage lang war ich umgeben von den Begriffen “Opfer” und “TäterIn”, von diesem Himmel und Hölle- Spiel, in dem es nur “aktiv” und “passiv”/ “aggressiv” und “defensiv” gibt.

Wir passen nicht in rein duales Denken und vermutlich war es genau dieses Gefühl von “wie du bist, gehörst du hier nicht rein”, das mir diese Frage – diesen Komplex rund um Opfer – TäterIn – Spaltung aufmachte.
Seit Monaten wälze ich Verhaltensweisen eines Menschen mir gegenüber, von einer Hirnhälfte in die andere. Mache mich fertig, weil ich mich weigere, mir Etiketten wie “erhebliches aggressives Potenzial” und damit einhergehend “
das absolut schrecklich böse Monster”, wirklich auf die Stirn zu kleben, und trotzdem am Ende nicht weiß, wohin mit mir.

Mein Sternzeichen ist Löwe und wenn es eine Charakterbeschreibung für mich braucht, dann findet man sie in jeder 08/15 Beschreibung davon.
Ich bin stolz, intelligent, lasse mich von Lob durch die Decke pushen, bin loyal, großzügig, hilfsbereit und aufrecht.
Und ich brülle, wenn ich mit mühsam erkämpften (Ver)Handeln auf der Sachebene nicht vorankomme.
Wo andere Menschen denken “das muss aufhören” denke ich: “ich will es aufhören lassen”.

Irgendwie… so wirklich TäterInnenhaft finde ich solche Eigenschaften nicht.
Wieso fühle ich mich dann ständig- vor allem in dem Kontakt und damit assoziierten Kontakten, so?
Jedes Mal mache ich da einen Schritt zurück und sperre mich wieder ein, um mir mit meiner erneuten autarken Befreiung im Kopf ein Wohlbefinden zu generieren. Mich zu trösten vielleicht.

Vor ein paar Tagen habe ich eine neue App auf meinem Smartphone entdeckt. Ein Diktiergerät.
Neben einer weiteren Eulengeschichte, Vogelgezwitscher und Aufnahmen von Wasserplätschern, ist dort auch das mühsame Wortwürgen eines Innens zu hören, das sich in einem Monolog damit auseinandersetzt, wie viel abgrundtief Böses in ihm steckt.
Wir haben bei der Tagung gehört, dass es TäterInnen gibt, die ihren kindlichen Opfern erzählen, dass sie etwas in sich tragen, dass nur sie bändigen können und niemand sonst. Das Innen kaut nun in einer Endlosschleife darauf herum.

Ich selbst, hab keine Ahnung, was wir als Kind so zu hören bekommen haben-
aber was uns in der Psychiatrie so erzählt wurde, habe ich noch so genau im Ohr, als wäre es mir erst gestern ins Denken gedroschen worden: „Du bist eine Gefahr (für dich und deine Umgebung)!“.
Es fällt mir nicht schwer psychiatrische Anstalten als Gewaltorgane zu bezeichnen. Für mich sind die Jahre die aus Heim – Klapse – Heim – Klapse bestanden, nichts weiter als ein Gewaltenreigen. Gewalt hat uns reingebracht, Gewalt hat uns dort gehalten und Gewalt war es, die dort auf uns einwirkte- ganz egal, wie oft andere Innens die BehandlerInnen dort hochloben und dieses oder jenes als hilfreich bezeichnen. Ganz ehrlich- ich denke, der Mechanismus dahinter ist der Gleiche, wie wir den bei dunkelbunten Innens haben, die sich täterInnenloyal verhalten bzw. denken, werten, wahrnehmen. Aber klar- wo “Hilfe” draufsteht, darf man sowas nicht sagen- ups- zu spät – deal with it.

Das Innen, das die Aufnahme gemacht hat, stellte aber auch eine Frage, die ich gut finde: die nach dem Definitionsrahmen der Böses als böse/ “weg damit” und Gutes als gut/ “unterstützen/ festigen/ soll bleiben” festlegt und die Machtfrage, die damit einher geht.
Wer sagt warum, dass mein Verhalten “erhebliches aggressives Potenzial” hat; was sind die Parameter dazu; welche Wertung hat das zur Folge und welchen Einfluss hat diese Wertung auf mich und mein Leben?

In dem Kontakt, der mir Probleme bereitet, ist es egal, wie ich auftrete, ob ich verhandle oder nicht. Ob ich aus jedem meiner Sätze Emotionen und Persönliches herausstreiche oder nicht , ob ich eine Hand hinhalte oder nicht. Es ist egal. Immer wird sich mir so derartig tief unterworfen, dass ich selbst dann auf einem Podest stehe, wenn ich am Verhandlungstisch sitze.
Da bin ich die aggressive Kraft, weil alles andere so quasitot defensiv ist, dass jeder Ausschlag in irgendeine Richtung als übermäßig krass wirken MUSS.

Ich komme nicht mehr umhin mich zu fragen, ob das nicht einfach eine Art Kalkül hat.
Doch defensiven Menschen unterstellt man kein Kalkül- das ist, als würde man Bambi schlachten.

Ich tus = das Außen sagt: BÖSE weil BambimörderIn – > macht nach innen “Ich bin scheiße jatta jatta jatta” – > Selbstbild als das Leben in dieser Welt nicht wert, weil (Opfer)TäterIn

Und wo wir grad bei Bambi in Sachen TäterIn – Opfer – Spaltung sind.
Bambi möchte jede/r herzen. So unschuldig, so lieb, so unbedingt und in allem zu unterstützen.
Klar, so ein Bambi hat seine Bambieigenschaften nicht als Tarnung oder, weil kein Anlass dazu da ist.

Im Falle einer, das eigene Leben, bedrohenden Situation kann die Reaktion in Form von Flucht, Kampf oder Erstarrung auftreten.
Ich (als Einzelinnen hier in diesem Haufen) bin im Kämpfen entstanden und das ist irgendwie noch heute so. Gibt es eine Situation mit viel Puls, aber hohem intellektuellen Anspruch, tauche ich auf und löse das Problem. Fertig.
Es gibt aber auch Innens, die in Situationen entstanden, in denen die Defensive bzw. die Erstarrung drin ist. Die haben gelernt, sich im richtigen Moment hart/schlaff/mechanisch zu machen und einfach nicht mehr da zu sein. Die sind bis heute unempfindlich für Schmerz jeder Art und nicht in der Lage, die Verantwortung für ihr Nicht- Handeln/ nicht- Sein/ nicht- greifbar sein – zu begreifen. Denn sie haben doch nichts gemacht. Große Selbstschutzbambiaugen.

Was will man dann sagen?
Ich kriege über sowas Krätze und komme da auch nicht drüber.

Ich kämpfe mich daran ab, mir zu sagen, dass das alles seinen Sinn hat. Dass ich nicht diejenige bin, die darüber werten darf. Dass ich Menschen so lassen muss, wie sie sind. Dass jeder Mensch so ist, wie er ist usw. usw. usw.
Trotzdem bleibt bei mir halt die Sachebene bestehen.

Was ja gerne gemacht wird, ist als böse betrachteten Menschen abzusprechen, dass sie lieb sein können oder liebe Anteile haben. Oder- so wie ich- ewig lange an der Sachebene rumlaboriert haben, bevor ihnen der Kragen endgültig platzt. Gesehen wird bei TäterInnen jeder Art- die böse Tat, nicht die Umstände.
Die könnten es ja schwierig machen in der Abwertung des Bösen.
Plötzlich müsste man Anteile des alltäglichen Gewaltpotenzials um uns herum als üblich betrachten und ergo auch dem Opfer in der Dynamik TäterInnenanteile zugestehen.
Das wäre, als würde man in seinem Denken Platz für die Erkenntnis lassen, dass Bambi anderen Tieren das Gras wegfrisst und über ihrem Verhungern sagt: “Ich hab doch nix gemacht”.
Schwupp wäre sie dahin, die hübsche Einteilung in gut und schlecht- Opfer und TäterIn.
Bambi muss schließlich etwas essen- es kann nichts dafür- es muss fressen und es wäre grausam ihm das zu verbieten.
Doch spätestens dann, wenn jemand kommt und sagt: „Äh Tschuldigung- ich muss von diesem Gras auch leben” dann hat “Ich hab doch nix gemacht” nichts mehr im folgenden Dialog zu suchen- egal, ob das nun Bambi selbst sagen will, oder Bambis FürsprecherInnen.
Da ist dann einfach nicht mehr das jeweilige Sein der Beteiligten von Relevanz, sondern der Umstand, das es zu wenig Gras gibt oder die Verteilung schief ist.

Mich ärgert es, dass ich mich jetzt in so einer dualen Dynamik befinde und da scheinbar so gar kein Platz ist, um ein Miteinander zu finden.
Ich hasse solche Ohnmachtsgefühle und merke, dass ich daran kaputt gehe, weil der Backlash von innen so krass ist.

Und genau davor jemand die ganze Zeit mit eigener Qual und Not steht und mit allem, was ich sage, nur noch “ich hab doch nichts gemacht” äußern kann. (Übler gehts ja eigentlich nicht- ich die Böse, sieht das Leiden des Guten – es gibt sicherlich ForensikerInnen, die mir unter diesen Umständen ein hohes Gefahrenpotenzial unterstellen würden)

Das sind Gewaltspiralen, die einfach subtil tödlich sind auf lange Sicht. Eine/r von uns beiden wird an dieser Nummer in irgendeiner Weise Schaden nehmen und das, obwohl zusammen so viel möglich wäre.

Das ist doch scheiße.
Ich hab schließlich auch nichts mehr getan, als zu sagen, dass da was schief ist.

“Wir sind Viele” ~ Teil 5 ~

Blumenbeet Sie sprang von einem Bein aufs andere, während ich die Flyer der Initiative Phönix verteilte: “Schreibst du auch auf, dass die Menschen so bedürftig sind? Schreibst du das auch auf, ja?”.
Bis mir klar wurde, welche Menschen sie meinte und was für sie so wichtig daran sein könnte, dass ich auch darüber schreibe, dauerte es nur noch einen Workshop und ich konnte auch das fedrige Gefühl unter meiner Haut endlich einsortieren.

Die Rechtsanwältin Barbara Wüsten bot einen Workshop zum Opferentschädigungsgesetz (kurz: OEG) an.
Es ist schwierig über ein Gesetz einen Workshop zu machen, zumal die Hauptprobleme in Sachen Opferentschädigung gar nicht an dem Gesetz selbst liegen, sondern mitten im System der Versorgungsämter und der kranken Kassen.
Es wurde mit jeder Wortmeldung der TeilnehmerInnen klarer, wie oft und an welchen Stellen immer wieder die Behördenwillkür, Falschinterpretationen und auch etwas, dass gut als Ausläufer der “
rape culture” in der wir leben zu bezeichnen ist: “Wenn das Opfer was will, dann soll es sich halt drum bemühen”, wirken.

“Jemand muss die doch mal trösten, oder?”, die kleine Neugierige hopste immer noch um mich herum und ließ ihre Satellitenschüsselohren im Raum herumkreiseln, als wir uns aus der Kaffeeschlange herauslösten und direkt an den Tisch mit den Kannen gingen. “Ich find, es ist nicht gut, wenn die HelferInnen so traurig sind und so… weißt, als wenns die gaaaar nix machen können.”. Ich nickte und lief nach draußen in den Sonnenschein, stolz auf mich nur minimal gekleckert zu haben und froh über die frische Luft.

“Glaubste eigentlich, die haben hier ne grobe Peilung, dass die genauso von der Gewalt ihrer KlientInnen betroffen sind, wie die KlientInnen selber? Ich mein jetzt so wegen der strukturellen Gewalt und so…”, er streckte die Beine aus und wackelte mit den Zehen, “Ich glaub, über kurz oder lang kann man davon irgendwie auch ne Art PTBS kriegen. Zumindest haste dann halt irgendwann so richtig geil ne Vermeidungsperformance drauf und nennst das “Abgrenzung” und dann haste da so Perlen wie Frau Doktor, die das nicht trennen- also so “Ohnmacht vor Strukturen” und “Ohnmacht vor Leiden der KlientInnen” und badabäng! wieder jemand weniger, der eigentlich voll helfen kann.”.

Sie seufzte und beobachtete die kleinen Käfer, die vor unseren Füßen über den Kies kletterten.
Sie ist uns passiert, als wir struktureller Gewalt unterliegen mussten und was das für uns in Sachen OEG bedeutet, fiel mir in dem Moment auf.

Ihr Sein ist angepasst daran ein “Nicht viel mehr als eine Nummer” zu sein. Ein Sein, dessen Grundbedürfnisse von positiven Anträgen legitimiert werden- nicht von gütigen Menschen oder eigener Hände Wirken. Sie hat noch nie auch nur irgendeinen Widerspruch an kranke Kassen oder Jobcenter verfasst, wenn ihr (uns) Leistungen gestrichen, gekürzt, zu knapp zugeteilt oder gar von Vornherein verwehrt wurden. In all der Ohnmacht und dem Raub der Menschenwürde, war am Wichtigsten vor sich selbst ein Sein, ein Jemandsein mit Namen zu bewahren- nicht dies zu erkämpfen oder zu bestätigen oder vom Außen als zu wahren einzufordern.
Unsere Idee war, einen Antrag auf OEG zu stellen und sie das machen zu lassen. Ihr ist die Gewalt früher nicht passiert und sie empfindet das auch nicht so.  Sie wird uns nicht abschmieren, weil sie von Erinnerungen überschwemmt wird oder Ähnliches.
Aber sie wird auch nicht um unser Recht auf eine Entschädigung vom Staat kämpfen können, geschweige denn unsere Anwältin antreiben, das zu tun.

Wir werden aber genau das tun müssen. Kämpfen. Für uns eintreten. Einen Wert, den wir sogar vor uns selbst nicht durch unsere schlichte Existenz definieren, verteidigen und darauf aufbauend Forderungen stellen. WIR werden das tun müssen.
Diese Sache mit dem OEG…

“Wisst ihr, was uns fehlt?”, ich schaute meine MitautorInnen an, “internalisiertes Empörungstum und diese komische Blindheit für rape culture.”.
– “Und etwa 20-30-40 Jahre Lebenserfahrung, mein Herz. Viele Menschen hier sind in ganz anderen Zeiten und Verhältnissen aufgewachsen, als du und ich und wir alle.”
– “Und hier Dings, nä- die kenn das bestimmt auch so mit hier “kriegen, was man will und schaffen, wenn man sich anstrengt” und so weil Dings nä- die sind nicht arm und so. Also jedenfalls nich wie wir. Wenn wir EMPÖRUNG brüllen kommt weniger, als bei so Leuten rum.”.

Dumpfe, brütende Stille.
“Und nu?”.
Ich spürte, wie sie ihre kleinen eisigen Hände auf meine Wangen legte und ihre Forderung in mein Denken hineinschüttete: “Schreibs auf!”
Mir fallen zig “Ja, abers” ein. Ich will einen verkaufbaren Artikel machen. Ich will die Artikel an das Herz hinter der Tagung, Brigitte Bosse schicken. Ich will Artikel schreiben, die einfacher lesbar sind. Ich will … ja und aber… die haben doch schon eine Stimme!
“Die” sollen doch “den” Betroffenen helfen. Ich will das nicht unterstützen, dieses Verantwortungsgeschiebe auf die Opfer, die “sich einfach nicht genug bemühen”; die “sich nicht fallen lassen dürfen, weil wo kämen wir denn da hin?”; die Opfer die Opfer die Opfer die OPFER die ja aber nicht “Opfer” sind, wenn die Gewalt vorbei ist, aber die wir der Einfachheit Opfer nennen, damit jede/r das Gekreisel überhaupt versteht- die Opfer, denen man doch HELFEN muss- die man doch retten muss, weil OPFER!; die Opfer, die sich nicht wehren konnten, als sie ein Kind waren- die sich aber heute wehren MÜSSEN, weil WEHR DICH DOCH (aber bitte nicht gegen meine Perpetuierung von Gewaltmythen- das geht nicht- da muss ich mich abgrenzen, sonst muss ich ja die ganze Zeit weinen, weil OHNMACHT)

Das will ich nicht. Ich finde es zum Kotzen, wie viele HelferInnen sich als RetterInnen präsentieren und auch selbst so definieren- ohne von irgendjemandem mal zu hören, dass genau das auch eine Unterdrückung ist. Ein Kleinhalten und Absprechen von Fähigkeiten und Ressourcen, von Kraft und Lebenswillen.
Ich finde es zum Kotzen, wie viele HelferInnen Gewaltmythen unhinterfragt lassen und Normierungszwänge ausüben, auf ihrer Mission der Opfererrettung und “Traumaheilung”.
Ich finde es schlimm, dass die Tagung und das Klima in ihr so sehr in den 90 er Jahren hing und nicht im Jahre 2014, wo man nicht mehr “multiple Persönlichkeit” sagt und diese verklärende Beschreibung der DIS mit “da war Gewalt und die anderen Innenpersonen, sind dann gekommen” inzwischen sogar wissenschaftlich und mit, ich sag mal, “naturgegebenen” psychophysiologischen Strukturen besser erklärt werden können. Ich finde das richtig schlimm, denn mit einem kurzen Blick in die späten 80 er Jahre von Amerika und dem, was genau diese “Ver”- Erklärung dort gemacht hat, nämlich eine Welle der “moral panic” (“empört euch- da gibts Satanisten und die sind überall und wollen unsere Gesellschaft aufessen!”), kann ich nur hoffen, dass es hier bitte konstruktiver zugehen kann.

Wo hakt es? Ist es das Tagungsprogramm gewesen? Die RednerInnen?
Wir hätten die Tagung nicht besucht, wenn dem so gewesen wäre oder wir den Eindruck gehabt hätten, dass es zwangsläufig so abdriftet.

„Es ist vielleicht die Not, mein Herz. Die Not vor der Gewalt zu stehen und keine Erfahrungen zu haben, wie zu reagieren sein kann. Es hat nicht die gleiche Norm, wie für uns. Da ist Angst, da ist Unsicherheit, da ist Trauer um eine Welt und… ich glaube, zumindest spüre ich das bei ein paar Menschen hier, eigene Erfahrungen, die weggedrückt gehalten werden müssen.”. Während der Schwan sich wieder zurückzog, um sich dem schrillen Schreien auf seinem Rücken zu widmen, dachte ich darüber nach, wie ich das nun in einen Artikel hinein bekomme.

Wie macht man anderen Menschen klar, dass sie ihre Normalität um Grauenhaftes erweitern müssen, zeitgleich aber nicht darauf allein hocken bleiben dürfen, weil die Konstruktivität ihrer Arbeit darunter leiden könnte? Wie kann ich über diese Dinge schreiben, ohne Gefühle und Selbstbilder zu verletzen?
Wie kann eine Annäherung an Gewalt als schreckliche Alltäglichkeit aussehen, ohne sie in pseudoliberale Formulierungen entgleiten zu lassen?
Wie kann es aussehen, wenn ich Menschen erklären möchte, dass es nicht die Gewalt selbst ist unter der ich leide; dass es nicht das multipel/ Viele sein ist, unter dem ich leide, sondern die Tatsache, dass Gewalt die Grundlage meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung ist, die heute dysfunktional erscheint- sowohl vor dem Anspruch einer Gesellschaft in der nur eine Dimension- eine Perspektive allein geduldet wird, als auch vor einem Leben, das keine Ausbeutung und Gewalt mehr in der Form wie früher beinhaltet?

Ich verspeiste ein Stück Streuselkuchen und hoffte im Workshop mit Claudia Fischer “sadistische Gewalt in der Berichterstattung” die eine oder andere Antwort darauf zu erhalten.

Multimythen Teil 4: Übermächte

Bläschen4klein Was nicht fehlen darf in der Vita der Mythenmultis meiner Mailingliste ist eine steife Brise Horrorfilm, vermischt mit irrationalem Gängstertum, dass sie jeweils wie einen Roboter immer wieder in ihre Hände laufen lässt.

Ne- klarer Fall: “Mythenmultis haben nie eine Chance, haben keinen eigenen Willen- ach gar nichts Eigenes- deshalb sind sie ja multipel geworden, um äh… naja das Eigene … äh äh… hm…   SATANISMUS!!!”

Ich schreibe hier im Blog nicht so viel über diesen Themenkreis “rituelle Gewalt”, “Satanismus” und “Programme”, weil ich die Verknüpfung zum Multipelsein damit als überpräsent empfinde, obwohl rituelle Gewalt als (hm- ernsthafte Frage: geht “Auslöser” an dieser Stelle?) für eine dissoziative Identitätsstörung bei “nur” 10% liegt, was sich mit meinen Kontakterfahrungen deckt. Der Großteil der Menschen mit DIS, die ich inzwischen direkt oder indirekt kennengelernt haben, erfuhren massive Gewalt auf allen Ebenen in erster Linie durch die eigene Familie (bzw.. als Substitut auftretende Menschen), brachiale inhumane Behandlung in medizinischen Kontexten und durch organisierte Ausbeutung.
Natürlich gibt es da Vermischungen und ein noch größerer Anteil der Multiplen (und ich zähle mich mit dazu) wissen es einfach nicht so genau, so dass sie sich kein Etikett auf die Umstände ihrer Störung*sentstehung kleben können oder wollen.

Amnesien sind schwer nachzuspielen oder zu überzeichnen, genauso, wie sie zu verbergen sind- insbesondere vor Menschen, die darauf achten, um ein Häkchen hinter Diagnosekriterien zu machen.
Amnesie bezeichnet einen Zustand von Unkenntnis. Unkenntnis über sich selbst entsteht in aller Regel durch Unbewusstsein.
Unbewusstsein markiert also entweder einen Zustand von fehlender Assoziation (also Dissoziation) oder einen Zustand von “noch nie drüber nachgedacht/ reflektiert/ zu Reflektion gebracht worden sein”, durch “noch nie danach gefragt worden sein”.
Das ist einer der Punkte, die dissoziative Störungen so schwer nachzuspielen oder korrekt zu spiegeln macht.
Gesucht wird das, was eben nicht da ist- nicht das, was fehlt. Es ist nicht die Anwesenheit von Fehlleistungen oder Fehlern, sondern deren Abwesenheit in Anbetracht des Fehlens von Grundinformationen.
Das ist eine andere Logik und genau deshalb so mythenüberladen, weil – ja, tut mir leid- es einfach doch eine gewisse intellektuelle Kapazität braucht, diesen Dreh zu machen. Wo Unerklärliches ist, da sind Mythen. Und wo ein Multimythos ist, wird vergessen, was eigentlich nicht gewusst werden kann.

So komme ich zu der Stelle an der ich mindestens verdutzt bin, wenn mir, zum Beispiel in besagter Mailingliste, Menschen schreiben, dass sie dieses und jenes erlebt haben, programmiert wurden und ja auch sowieso jede Nacht abgeholt werden und deshalb auch nichts tun können von dem, was ich ihnen von meinen Erfahrungen beim Abbruch von Täterkontakten berichte.
Es gibt dort zu viel Anwesenheit von Assoziation.

Es ist das Eine eine dissoziative Störung vorzutäuschen, wenn man denkt, das Umfeld würde einen als Menschen nur dann annehmen und vielleicht auch von echten TäterInnen und echtem Leiden befreien- das Andere ist zu perpetuieren, dass die DIS vor dem Hintergrund ritueller Gewalt zu einer absoluten Ohnmacht vor einer Übermacht führt.

Auch die Nutzung des (christlich fundierten) Framings um Satanismus und Okkultismus, destruktive Kulte und Sekten, als das absolut Böse und Verachtenswerte- durch und durch Ablehnensnötige, empfinde ich an der Stelle als manipulativ, um das Schlimme noch schlimmer und am Allerabsolutschlimmsten vor der Gesellschaft ™  ausweisen zu können. Als würde es nicht reichen, weniger außendimensionale Gewalt erfahren zu haben und in sich selbst mehrdimensionale Folgen zu spüren.

Deutschland ist eines der Länder, in denen die Zwangschristianisierung ein nicht unerhebliches Gewaltkapitel ist. Niemand kann sich hier freisprechen von einer Etablierung des Christentums als Normdominanz (siehe Christ-demokraten, gesetzliche Feiertage, Pseudotrennung von Kirche und Staat etc. etc. etc.). Ergo wundert es mich nicht, dass ich bis jetzt noch keinen Mythenmulti ohne rituellen Gewalthintergrund des Satanismus erlebt habe.
Welches Framing könnte sicherer sein, als eine breite Ablehnung satanistisch motivierter Gewalt in einem christlich genormten Umfeld?

Der Multimythos der omnipräsenten und übermächtigen TäterInnen hat natürlich einen wahren Kern.
Es ist ein wichtiger Teil von „man made- violence“, das Opfer genau das glauben zu lassen und mit diversen Mittel auch in dem Glauben zu halten. Nur sind diese Gesten in aller Regel weitaus weniger spektakulär, als es der Mythos vom überaus aktivem Täter, der alles Mögliche tut, um ein einziges (aus der Reihe getanztes) Opfer wieder ranzuholen erzählt.
Organisierte Gewalt funktioniert nur, wenn sie gut organisiert ist. Und gute Organisation baut auf minimalem Aufwand für maximalen Erfolg.
Und so lange das organisierte Verbrechen ™, seit Generationen etablierte Kulte und Sekten; genauso wie die einzelnen GewalttäterInnen in Privathaushalten oder Institutionen  noch darauf bauen können, das Berichte von  Überlebenden, individualisiert, heruntergespielt, einer wahnhaften Störung entspringend oder eben von einem Mythenmulti kommend betrachtet werden können- so lange können sie sich getrost zurücklehnen und im Zweifelsfall eben davon ausgehen, dass sich ihr Opfer selbst das Leben nimmt, weil ihm nicht geholfen wird, nicht geglaubt wird, weil es gelernt hat das tun, weil es keinen Fuß zu fassen schafft, ohne die Funktion des Opfers, weil es von (spiritueller) (Sinn-) Krise zu Krise taumelt etc. etc. etc.

Falls es bis jetzt noch niemandem aufgefallen ist: Jeder Multimythos basiert auf genau dieser Macht-Ohnmachtsdynamik und darauf, sich in gar keinem Fall daraus bewegen zu können. Kann es etwas geben, was näher an der Wiederholung einer Gewaltsituation liegt, als das? Stichwort: Traumaschema – Michaela Huber hat in ihrem Buch “Wege der Traumabehandlung” sehr ausführlich dazu geschrieben.

In meiner Mailingliste wird nicht einmal das thematisiert.
Dort krallt man sich an diesen Inhalten fest: Über- Macht (sehr böse, sehr entmenschlichend, sehr abzulehnen) vs.. Über- Ohnmacht (absolut unschuldig, absolut entmenschlicht (zumindest im Sinne von “alle programmierte Maschinen, sobald es drei Mal klingelt”), absolut anzunehmen <— übrigens auch etwas, das auf diesem christlichen Framing aufbaut: bedingungslose Nächstenliebe).

Ich will auf keinen Fall sagen, dass es das alles nicht gibt.
Jeder Mythos hat einen Kern. Doch meistens ist es der Subtext, um den es geht und der noch viel zu oft nicht gehört wird und mich auch immer wieder darin bestärkt, auch in Mythenmultis Opfer von Gewalt zu sehen und zu versuchen ihnen zu begegnen.

Tag mit Zahnschmerzen

Plätschern„Ich glaub, die Kariusse und Baktusse graben einen Tunnel aus ihrem Zahnhaus raus.“, sie sitzt im Schlafanzug in der Höhle, streichelt NakNak* über den Kopf und spricht ins Telefon.
Sie erzählt der Gemögten die Geschichte von dem Bullergeddo, das Karius und Baktus, wie dereinst die Siedler von Catan, in unserem Mund errichtet haben. „Mit Spielplätzen und Gärten, wo Gemüse wächst für die ganzen Kinder auch noch!“.

Übertreiben kann sie. Ihre Vermeidungstänze sind immer so besonders kreativ aufgebläht. Haarscharf an der Grenze zwischen ehrlich und tonnenschwer aufgelockert weg, von dem was ist.

Zahnschmerz ist ein Schmerz am Kopfinneren. Einer, der nicht von Schonhaltung oder Anpassungsverhalten weggeht.
Das ist ein Schmerz, der uns mit Leichtigkeit in Ohnmachtsgefühle schmeißt und dort auch hält, bis er weg ist.
Aber Ideen sähen und Welten pflücken kann sie noch.

„Konntet ihr ein bisschen schlafen letzte Nacht?“, fragt die Gemögte. Aus meiner Ecke, etwas von ihr entfernt, schaue ich die Kleine fragend an. Sie schüttelt mir den Kopf zu und sagt: „Ich weiß nicht genau.“.
Sie schweigen.

Im Dunkeln hocken Augen und Schreie, die rausquellen, wenn man sie zu lange anguckt.
NakNak*s Herzchen puckert unter der Hand der Kleinen.

Sie will raus. Stößt sich den Kopf. Hat vergessen, dass sie auf einem Auge blind ist. Taumelt kurz gegen den Schmerzschatten, fängt sich kurz vorm Fall und hopst auf einem Bein weiter. „Wie ein Clown“, denke ich. „Das soll so.“, sagt mir ihr ernster Blick.

„Wann geht ihr wieder zur Frau Doktor?“
– „Üüüühmmmmm ich glaub, ich weiß nicht genau aber vielleicht in 2 Stunden?“

Kurze komme ich mir vor wie einer dieser unförmigen Teletubbies, der ein qieksiges „OhOooh!“ in die Kamera quäkt, als mir klar wird, wie lange ich jetzt gerade schon nebenaußer mir herumschwebe, ohne etwas dagegen zu tun.
„Seid ihr schon angezogen?“
„Schon mit NakNak* unten gewesen?“
„Haben schon alle ihre Wachmacher gehabt?“
„Zähne geputzt, Haare gekämmt und Gesicht gewaschen?“

Jetzt prasseln ihre Fragen, überfordern die Kleine und ziehen an mir wie eine Angelschnur. Ich überlege, ob es sinnig ist zur Schmerzprüfung (harrharr) zur Zahnärztin zu gehen und mir vorher die Höchstdosis Ibuprofen in den Kopf zu schmeißen. Es ist erst morgens- der Tag wird sicher sehr lang… Mir fällt die Junkiedenke auf und ich schwanke schon wieder.

„Hey- äh- kannst du mir grad mal bitte sagen, dass ich auch wenn ich heute Abend noch richtig schlimme Schmerzen haben sollte, eine Möglichkeit habe irgendwas dagegen machen zu können?“
Sie sagts. Verspricht mit uns in die Notaufnahme zu fahren, wenn es gar nicht anders geht. Sagt, dass es okay ist. Sagt, dass ich okay bin.

Sagt, dass ich die Hufe schwingen muss, wenn ich nicht zu spät kommen will.
Wir verabschieden uns.
Verabreden uns für den späten Abend.

Ich springe von einem Punkt zum Nächsten. Bin so bewusst wie möglich, bei dem was ich tue. Keine Schmerzen. Nur Handlung. Nicht ohnmächtig.

14 Stunden später bin ich ein Schemen im Schatten der Höhle, der Fetzen des Gesprächs hört und sich fragt, wie der Tag nun abgelaufen ist.
Dieser Ende- Oktober- Tag mit Zahnschmerzen.

tot zu sein, macht mir nichts aus

P1010021Ich dachte, wenn ich einmal die Kontrolle verlieren würde, dann wäre es anders.
Ich erwartete keinen Stillstand der Erde oder eine epische Musik, die im Hintergrund heraufgrollt, doch ich erwartete mehr als _Nichts_

Noch mehr Abwesenheit von Fähigsein
Noch mehr Unverständnis
Noch mehr Angst

Ich dachte immer, wenn ich versage, dann sterbe ich.
Fertig.
Tot zu sein, macht mir nichts aus. Einmal an diesem Ende angekommen, gibt es nichts mehr zu machen. Auch nicht auszumachen. Aber das Sterben…
Ich hatte immer Angst davor, weil ich weiß, dass Sterben in den meisten Fällen alles andere als friedlich und still… sauber und ordentlich ist.

Ich hatte nicht erwartet, dass ich einmal die feste Überzeugung spüren würde, dass mich jemand wegschickt, damit er mich nicht wegprügeln muss. Schon gar nicht hatte ich erwartet, dass es die wutmutige Frontgängerin ist, die das von unserer Therapeutin erwartet.
Nie hatte ich erwartet solche Schreie aus diesem schwarzen Loch in mir zu hören und nicht zu wissen, was ich machen soll.

Sonst bin ich diejenige, die diese Schreie von anderen Menschen hört.
Sie sitzen mir gegenüber oder neben mir. Schreien ohne ein Wort und werden trotzdem von mir gehört. Es ist nicht schwer, für mich, das weinende Innen von anderen Menschen auf meinen Schoß zu heben, die Angstflamme herunter zu drehen und einfach da zu sein. Atmen zu lassen. Zu tragen, bis halten reicht, bis zuschauen reicht, bis ich vergessen bin.

Ich saß in diesem Zimmer und weinte darüber, dass ich weinte.
Es muss einen Wechsel oder einen Flashback gegeben haben. Ich spürte Verletzung und weinte, weil es weh tat, als sei sie gerade eben gerissen worden. Weinte, weil ich weiß, dass Therapie nicht für unkontrolliertes Erinnern da ist und ich ebenjenes Erinnern nicht kontrollieren konnte. Weinte, weil ich es nicht sagen konnte. Weinte, weil sich die Wellen der Therapeutin an mir brachen, ohne, dass das Rauschen der Steilküste hörbar war.

Ich habe noch nicht wieder aufgehört zu weinen. Habe meine Kontrolle noch immer nicht zurück.
Weiß noch immer nicht, was ich tun soll.
Weiß nur, dass es meine Verantwortung ist, damit umzugehen.

Sauber und ordentlich vielleicht.
Nicht so aufgeweicht matschverdreckt, wie ich heute morgen nach Hause kam. Weinend, weil ich die paar mühsam umklammerten Fäden nicht auch noch halten konnte. Weil ich so ungenügend- so unfähig bin, saubere und ordentliche Kontrolle aufrecht zu erhalten, wenn durch alle Zeiten stinkender Dreck aus mir herausquillt.

Wenn das Unglück geschehen ist, die Erde gebebt hat, der Vulkan leergespien… der Krieg zur Krise degradiert ist, werden erst einmal die Verantwortlichkeiten verteilt. Das ist kalt und beruhigend. Sauber und ordentlich.
Es ist kontrollierbarer als gebrochene Knochen, aufgerissene Bäuche und Seelen, die wie schlierig brennendes Plastik im Wind flattern.

Ich fühle mich sterbend. Noch immer. Und immer wieder neu.
Ich gehe in die Therapie und hoffe darauf, dass sich um meine Knochen, Bäuche und Seelen gekümmert wird. Dass ich Hilfe zur Hilfe bekomme.
Doch letztlich ist es nur die immer schwerer aufgewogene Verantwortung, derer ich gemahnt werde, wie ich als Jugendliche schon immer wieder gemahnt wurde, nichts zu vergessen, dieses und jenes gefälligst anständig anzustellen, mit diesem und jenem nicht schon wieder anzukommen, dieses und jenes gefälligst selbst zu machen, mit diesem und jenem gefälligst alleine klar zu kommen… weil es niemand anderes (mit) tut.

Wieso ich dachte, dass heute alles anders wäre, als früher, weiß ich nicht mehr.

Warum ich dachte, ich würde die Kontrolle vielleicht auch ein bisschen abgeben können, auch nicht.

Kopf —> Schreibtisch —> liegen lassen

Seit Ende Mai zieht der Satz seine Kreise in meinem Kopf.
Seit Ende Mai, halte ich mir Ohnmachtsgefühle, Hilflosigkeit und seinen Inhalt so weit raus aus mir wie es geht.

Leiser machen? HA HA HA
Kontakt zum Ursprung herstellen? HA HA HA

Ich hefte mich an äußere Dinge, so gut ich es kann. Versuche nicht vor meiner Therapeutin zu explodieren, vor meinen HelferInnen und Gemögten, wenn ich mich damit nicht verstanden fühle. Frage mich inzwischen sogar, ob ich das überhaupt noch könnte, weil mir schon die Kraft fehlt das überhaupt so zu äußern im direkten Kontakt.
Ich spüre noch den Wutfunken, aber auch die Sinnlosigkeit eines Feuers.

Jemand aus dem Innen, von dem ich noch nie gelesen oder gehört habe, formulierte in einem Schreiben, die Wichtigkeit des Verstehens, des Wissens. Der Mehrsamkeit. Den Abtrennungsschmerz.
Ich las es und wusste sofort, dass es wieder vergebens sein würde.

Wenn schon die Erklärung des zu Verstehenden unverständlich ist, dann ist es sinnlos.
Und dann wars wieder nichts mit: „Du musst es erklären- sonst kann dir keiner helfen.“
Wieder nichts mit: „Wenn dich jemand versteht, dann bist du nicht allein.“
Wieder nichts mit: „Wenn du nicht allein bist, dann wird es aushaltbar.“
Und dann, ganz am Ende, auch wieder nichts mit: „Wenn du es aushalten kannst, gehst du nicht daran kaputt. Wenn du nicht kaputt gehst, brauchst du keine Todesängste haben. Wenn du keine Todesängste hast, wird es keine weitere Spaltung im Innen geben.“.

Im Moment könnte ich darüber erstarren. Kopf —> Schreibtisch —> liegen lassen

Aber nein- Stillstand geht nicht. Nicht auch noch außen.
Schnell noch das Buch schreiben, schnell noch sinnlose Tätigkeiten ausführen, schnell noch Kontakt machen und um Himmel Willen!- der Hund, der Haushalt.
Schnell noch irgendwo suchen, was nicht zu finden ist.

Es heißt „Krise“.
Es geht auch wieder vorbei.
Aber fühlt sich verdammt nochmal so an, als würde ich sterben und niemand könnte mich wiederbeleben, weil es einfach niemand begreift.
Wir sind schon so oft auf diese Art gestorben und immer stand am Ende ein neues Innen da, das uns nach der Krise Zeit fehlen ließ. Manche haben Mechanismen in sich, die uns wieder ein Stück mehr das Leben erschweren.

Und jetzt, heute, wissen wir das alles.
Wenn etwas Schlimmes passiert ist, dann sagt man immer: „Ach hätte ich doch…“;  „Wenn ich doch nur…“; „Ich hätte doch dies und das tun können…“; „Hätte ich gewusst…“.

Ja. Ich hoffe dieser Katze schmeckt ihr Schwanz wenigstens.
Einmal im Kreis und wieder von vorn. Es ist egal, wie viel wir wissen. Es versteht immer noch niemand, der uns helfen kann.

Ich lasse jetzt heute einfach meinen Kopf liegen und hoffe, er sagt Bescheid, wenn er sich wieder eingekriegt hat.

Wort, um Wort zu sein

614604_web_R_K_B_by_Ulrich Wieber_pixelio.deAndersgleich
Menschtiermonster
Angstwutmut

Irrewirre
Einfach auf dem Weg abgestellt
Schritt für Schritt
Vorbei an Stab für Stab schleppend

Kein Gedicht verdammt nochmal

einfach nur
Hoffnung aus Trotz
Evolution des Überlebens

Worte um Wort zu sein, statt das, was einfach übrig bleibt.

Hinter den Bildern

Da gibt es etwas, dem ich Raum geben will.
Nochmal, vielleicht ganz explizit hier und jetzt in einem eigenen Artikel und nicht eingeflochten in die Basis des Blogs.

Antikindesmissbrauchspropaganda.
Bei Facebook. Bei Twitter. Bei StudiVz. Bei MeinVz. Bei MySpace. In den Kommentarspalten unter Webartikeln. In den (Selbsthilfe-)Foren von und für Menschen, die als Kind (sexuelle) Gewalt erfahren haben.
Überall gibt es sie. Bilder von Kindern mit Verletzungen. Das Kind in der Ecke das den Kopf auf die Knie legt und sich einrollt. Die zerschlagene Puppe. Der zerfetzte Teddy. Die Kulleraugen mit Tränen drin. Das Kind aus Täterperspektive mit dem Schatten daneben.
„Stumme Schreie, der verletzten Kinderseele, die rote Tränen weint“
Oh man…

Ganz ehrlich? Ich sehe das und möchte kotzen.
Nicht, weil ich schlicht kein Freund von plakativem Zwangsbewusstmachen bin oder, weil mich manche der Darstellungen triggern sondern, weil ich Vorstellungen transportiert sehe, die teils maximal von der Realität abweichen und sich mir oft genug eher die ohnmächtige Hilflosigkeit der Ersteller in den Kopf drückt, als der herzliche Wunsch den Betroffenen zu helfen.
Ja, es sind stumme Schreie. Ja, es geht um Verletzungen. Und ja, manche Betroffenen, weinen auch „rote Tränen“- ritzen sich lieber die Haut auf, als zu weinen.
Es ist einThema das Sichtbarkeit braucht. Das Prävention erfordert. Es ist ein Thema bei dem es um Menschenleben geht und man muss ihm Raum geben.
Aber nicht so!

Gleich mal zu Beginn: „Kindesmissbrauch“ gibt es nicht. Wo es Missbrauch gibt- muss es einen richtigen Gebrauch geben. Menschen sind aber keine Gegenstände!
Gewöhnt euch dieses Scheißwort ab! Auch wenn ihr von „Kindesmisshandlung“ oder „sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sprecht, werden euch die Leute verstehen! Ja- es dauert etwas länger, bis man fertig gesprochen hat. Ja, es werden mehr Buchstaben gebraucht. Ja, man kann nicht mehr einfach so im laxen Rausch dahersprechen. Aber das Ergebnis ist eine klare Sprache und wenn es einen Bereich gibt, in dem Klarheit wichtig ist, dann ist es dieser.
Es darf keine Ausrede sein, dass „ja aber die ganzen Vereine und so, sich so nennen mit dem Wort drin“ oder auch, dass „ja aber in den Medien überall so geredet wird“.
Zum Einen: Nur, weil die Masse das Gleiche redet, heißt das nicht, dass sie Recht hat- gerade in Deutschland sollte uns das wohl klar sein. Oder ist das Wort „Schacherjude“ auch eines, das so richtig ist, weil es viele Jahre durch alle Medien ging und in aller Munde war?!
Und zum Anderen, sind die Medien nicht jene, die unsere Sprache bestimmen sollten- sie sollte sie abbilden, als beobachtender Zeuge- fertig! Wir sind die, die Zeitung machen- nicht andersherum!

Wenn ich mir diese Bildchen und Fotos ansehe, fällt mir ausserdem eine Art Darstellung auf, die einer Art Ideal entspricht. Es ist sauber, aufgeräumt, kalt auf der einen Seite (zum Beispiel das in die Zimmereckenwand gedrückte Kind, mit den Händen vor den Augen) und offen brutal zerstörerisch auf der Anderen (die zerschlagene Puppe).
Beides Dinge, die symoblisch sind und Dinge krass darstellen, die, an sich, nicht auf diese Art krass sind.

Sexuelle Misshandlung ist nicht sauber und gerade die Misshandlung, die über Jahr hinweg passiert, ist nicht immer offen zerstörerisch.
Was sauber ist, ist das Lächeln, dass die Opfer als Anpassung drüber schmieren. Was zerstört ist, sind nicht die materiellen Dinge und auch nicht ausschliesslich die Seele.

Und es findet eine gefährliche Darstellung von Kindern statt, die meiner Meinung nach, erst recht Täter anlockt und befriedigt. Gerade bei Facebookbildern ist mir das aufgefallen.
Süße kleine Mädchen in sachtem rosa- oder direkt gleich weißen Kleidchen, derartig ausleuchtet, dass ihre reine Unschuld, ein Gänseblümchen daneben, wie eine Schlampe aussehen lässt. Jungen mit glänzenden Lippen und großen Augen, in deren Winkel sich eine Träne befindet. Immer schön von oben nach unten fotographiert.
Ich mag es nicht weiter ausführen, aber wenn man sich vor Augen hält, dass es vielen Tätern gerade um kindliche Unschuld, Größe und Wehrlosigkeit geht, ist denke ich klar, worum es mir geht.

Weiterhin sehe ich eine große Gruppe ausgegrenzt, nämlich die heute erwachsenen Betroffenen.
Es wird sehr oft Kinderseelen gesprochen. Viele Vereine haben ihren Fokus auf der Prävention oder Aufklärung (gegenüber den Kindern). Nur sehr wenige setzen sich dafür ein, erwachsenen Betroffenen zu helfen. Ihnen zu helfen selbst nicht zum Täter zu werden oder ihnen bei der Suche nach einem Therapieplatz behilflich zu sein. Oder auch durch die ganzen Kämpfe, um die Therapie bis zur Heilung finanziert zu bekommen.

Wir leben leider nicht in einer Gesellschaft, in denen Tränen in Kinderaugen harte Herzen weich werden lässt. Wäre dem so, hätten Straftäter keinen Platz in unserer Mitte.
Was aber hier Herzen erweicht, Köpfe anspringen lässt und Hände ins Handeln zu treiben in der Lage ist, ist GELD.

Die Versorgung von Straftätern im Gefängnis. Die Therapie der Opfer. Die Verdienstausfälle von Betroffenen in der Blüte ihrer Jahre. Die Kosten für die Kompensation der körperlichen Folgeschäden von sexueller Misshandlung. Das ganze viele Geld, dass Hersteller und Verbreiter von (Kinder)Folterdokumention (Kinder“pornografie“- auch ein Wort, dass sich bitte endlich abgewöhnt werden soll!) einfahren und für sich behalten…

Genau das ist der Grund, weshalb mich diese Facebookbilder wütend machen.
Mir zeigen die Bilder, wie ohnmächtig und hilflos irgendjemand da draussen im Internet ist und wie sehr er sich wünscht, dass es aufhört. Dass es niemand anderem mehr passiert. Da steht dick und fett: „Bitte lasst uns friedlich und liebevoll miteinander umgehen. Kämpft dafür, dass nichts mehr passiert. Lasst uns die Täter alle kaputt machen- guckt doch, wie traurig und ängstlich dieses Kind ist, dem das passiert.“
Da steht nicht, dass misshandelte Kinder selten vor einem stehen und mit Kulleraugen versuchen ihr Leid zu vermitteln.
Da steht nicht, dass der prügelnde, schreiende, spuckende, einnässende, Drogen nehmende, klauende, lügende, hässliche, stinkende, schimpfende Mensch von 1,50m Körpergröße auch- genauso wie der völlig Unauffällige, derjenige sein kann, der ständig und ständig misshandelt wird.
Da steht nicht, dass die Kosten der Heilung aller, in der Folge von (sexueller) Misshandlung, erkrankten Menschen, in unserer Bundesrepublik, mehr kosten würde, als das, was die letzte Drohne gekostet hat.

Und da steht vorallem nicht, dass WIR ALLE diejenigen sind, die etwas verändern können. Nicht nur die Menschen, denen diese Art der Gewalt nicht angetan wurde, sondern alle!541602_web_R_by_Karl Dichtler_pixelio.de

Vielleicht klingt es blöd, aber an diesem Punkt stehe ich oft da und denke: Wir sind das Volk. Wieso tun nur immer wieder alle so, als sei das nicht so?
Niemand von uns sitzt dem ganzen Drama hilflos und ohnmächtig gegenüber, weil er es will- sondern, weil die Handlungsalternativen so beschränkt sind und sich niemand politisch so beschwert, wie er es privat tut .
Opferschutz gibt es derzeit nur nach Kriterienerfüllung und dann ist dieser auch noch lückenhaft. Entschädigungen gibt es nur nach Entblössung und Rechtfertigung der Opfer. An alles sind Bedingungen geknüpft, die maximal von Herz und emotionalem Hirn entfernt sind. Reglementiert von einem System in dem Geld mehr wert ist, als das zerstörte Innenleben von Menschen.
Doch statt am System zu rütteln, wird im Privaten gerüttelt und Verletzungen dadurch in Kauf genohmmen.

Ich lösche solche Bilder inzwischen rigoros aus meiner Facebooktimeline. Ich unterstütze keine Vereine mehr, die nicht mehr mir direkt helfen möchten oder zu können in der Lage sein wollen. Ich möchte das Private zu etwas Politischem machen, weil ich die Politik als das Organ betrachte, dass unser Privatleben beeinflusst, das es ist.

Ich will nicht, dass jemand von mir denkt, ich wäre ein Kind gewesen, das große Augen hatte und in der Ecke eines Kinderzimmers hockte.
Ich war ein Kind, das völlig normal großkotzig über den Schulhof gerannt ist. Ein Kind, das geklaut, gelogen, manipuliert, eingenässt und später sogar geprügelt hat.
Und heute sind wir eine Betroffene, die ihre schwarzen Momente hat. Eine von denen, die sich eben doch jeden Tag mindestens einmal erschreckt und irgendwie mit ihrer Todesangst zurecht kommen muss und überlegt, ob sie es schafft ihren Alltag und ihre Therapie zu überleben.
Aber ich bin auch  eine von denen, die sich nicht mehr ohnmächtig machen lassen will. Eine die Antworten findet und konsequent in der Durchsetzung von Veränderungen bleiben will.

Und wenn das bedeutet, dass ich Facebookbilder lösche und nicht weiterverteile, nicht öffentlich „Anti-Missbrauchs-Vereine“ unterstütze, dann ist das eben so.
Da steht etwas hinter. Mehr jedenfalls, als hinter diesen Bildern.

Akut oder nicht? oder: Hilfe schmerzt

Wir stehen vor der Frage ob wir einen Mediziner aufsuchen oder nicht. Und wenn ja- wie wir die Frage beantworten, ob es akut ist oder nicht. Ob (schnelle) Behandlung nötig ist oder nicht.

Und stehen damit sofort schon wieder vor dem Problem, die Themenfelder darum herum nicht sortiert zu bekommen, um die Frage richtig zu beantworten. Wieder klaffen innen und außen komplett auseinander und erscheinen kaum vereinbar.

Das Schmerzempfinden ist die meiste Zeit des Tages “abgeschaltet”. Die Alltagsinnens empfinden entweder schlicht keinen, schweben die meist Zeit eher neben dem Körper oder sind einfach nur Kopf/ Muskel/ Bewegung/ Reizempfänger- nicht der Rest des Körpers bzw. mit ihm verbunden.

Das war früher sinnig und in Anbetracht der Selbstverletzung bis jetzt, ist es das auch noch heute.

Das Problem ist, dass man so auch schnell blind für ein Leiden wird. Nicht weil man unaufmerksam ist oder weil man keine Heilung will- sondern weil ein grundlegendes Definitionsmerkmal fehlt: eine Belastung oder Einschränkung (durch Schmerzen in diesem Fall) derer man sich bewusst ist.

Wir haben es bis heute nicht geschafft, auch nur eine Erkrankung dann wahrzunehmen, wenn sie nicht schon dramatisch ist. Von der Blasenentzündung bis zum Ohrinfekt, Zahnprobleme die “plötzlich” zu Kieferproblemen wurden und “so komisch abstehende Zehen”, die sich als gebrochen herausstellten. Alles schon gehabt. Nie provoziert oder selbst zugefügt. Einfach nur mitgenommen, so wie jeder Mensch mal einen Infekt oder eine Verletzung mitnimmt und dann, einfach nicht bemerkt. Und erst dann eine Belastung erfahren, als es bedrohlich wurde.

Ja, man wundert sich zwischendurch mal, warum das Innen instabil ist. Natürlich fragt man sich, wieso dieses oder jenes Innen plötzlich öfter im Alltag auftaucht oder einfach näher unter der Oberfläche fliegt. Und ja, kurz denkt man auch darüber nach, dass eine körperliche Erkrankung der Grund sein könnte. Doch der automatische Selbstcheck sagt ja “Nö- hier ist alles tutti”, also schreitet man auch nicht zur Überprüfung- zumal selbige auch schon wieder nur dann funktioniert, wenn es einen Wechsel gibt zu denen, die das überhaupt so aushalten mit dem Körper konfrontiert zu sein. Und das schaffen wir nicht ohne Bedrohung.  (Sidestep: Sinn der DIS- Wechsel aufgrund von Notwendigkeit- nicht von Bequemlichkeit oder aus Gründen der Praktikabilität)

Für uns ist es also schon ein Akt bis es ein breites Bewusstsein um Erkrankungen oder Verletzungen gibt. Das gilt auch für die Folgen von Selbstverletzungen, bei denen inzwischen noch andere Dinge mit hineinspielen.

Viele Aspekte des selbstverletzenden Verhaltens hier, sind längst nicht mehr wie früher dem Unterbrechen von Depersonalisation oder dem Zeigen von Verletzlichkeit und dem “Verletzt worden sein” dienlich. Diese Funktion erfüllen nun Sprache und Skills, die wir so gut es geht einsetzen und nutzen. 63965_web_R_by_stefane_pixelio.de

Inzwischen geht es ausschließlich um Wiederholungen und das als zwingend wahrgenommene Weiterführen von Handlungen, um Verhaltensmuster und/ oder Funktionen innerhalb früherer Sozialbezüge zu sichern und aufrecht zu erhalten. Und sei es als Absicherungs/Stabilisierungselement für Innens [BÄÄÄMs] die sich abhängig davon sehen.
Diese Verletzungen dürfen- gemäß der Werte jener Sozialbezüge oder auch im Rahmen des Zwangs- gar nicht als belastend empfunden werden, sondern als Warnung, als Auszeichnung, als Bestätigung einer Demütigung oder als Zeichen der Macht welche den (inneren) Tätern nachwievor obliegt.

Wenn man zum Arzt geht hingegen, dann tut man das nicht, weil man unter einer Auszeichnung  oder einer “zu Recht” empfangenen Strafe leidet, sondern, weil man unter einer Belastung/ Einschränkung leidet.
Das heißt, man muss seine Versehrung umdeuten.
Man muss verleugnen, was war und sagen, dass man eine Belastung erfährt- obwohl  man es vielleicht gar nicht tut. Oder unter der Konfrontation mit der Leidensdefinition des Arztes zu zerfallen befürchtet.

Für uns heißt das gleich wieder mehrere Punkte
– Lügnerin (eigentlich schon wieder Rechtfertigung für alles)
– Abtrünnige (ja- stimmt- was soll man dem entgegensetzen?!)
– Weichpitti (schon klar- nur die harten , die sich nicht anstellen…jattata jattata…)
– Diebin (nimmst Hilfe, die du nicht haben darfst)

Großartig.
Und wieso sehen wir uns gezwungen überhaupt zum Arzt zu gehen?

Da ist zum einen die Ärztin in der Ambulanz, die auf mich eingeredet hat, als könnte ich meine Organe eigentlich schon jetzt zur pathologischen Begutachtung da lassen und zum Anderen die Vereinbarung mit der Therapeutin, ärztliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, sobald diese nötig erscheinen.

Über das Stadium in dem wir uns aus solchen Absprachen herausschlängeln, in dem wir die Frage aufwerfen: “Sobald diese nach wessen Definition notwendig erscheinen?”, sind wir eigentlich schon mal hinweggewesen.

Aber jetzt ist es wieder da.
Vielleicht nicht mal nur so als Vermeidungstanzelement, weil wir Angst vor der Bewertung der Ärztin haben und dem Moment der Scham entgehen wollen, sondern tatsächlich als tiefe Frage.

Die aktuelle Selbstverletzung zentriert sich auf einen Punkt, an dem Vergangenheit und Zukunft Hand in Hand gehen. Da geht es um unglaublich viel Macht und viel Druck diese zu behalten und zu nutzen.
Genauso aber, wie es auch noch immer ein bisschen in der Therapie darum geht.

Es ist eine Synchronizität, die so nicht gezielt passiert ist, sondern sich jetzt eben so darstellt und es ist die gleiche wundergut-fantastischlimme Grätsche der Hilfen.
Es ist gut, dass wir sie annehmen könnten. Dass, das in “der Welt der Anderen” einfach annehmbar wäre und auch die Schamgefühle und so weiter erlaubt und akzeptiert wären bzw. man eine Erlaubnis und eine Akzeptanz selbiger einfordern dürfte. Ja, das ist toll.

Doch wo sind wir?
Unsere Welt von früher- die in uns nachwievor weiterlebt und genauso grausam, wie doch aber logisch nachvollziehbar ist, passt so überhaupt nicht dazu.
Und wo- außer in mir selbst- werde ich jemanden finden, der mich davor bewahrt an meiner Versehrung zu sterben, ohne einen Frevel zu begehen?

Das ist als würde ich einen Arzt suchen, der meinen Körper behandelt und mir anschließend ein Bein absägt.

Oder eben eine Therapeutin, die hinnimmt, dass ich an einer Sepsis sterbe, noch während sie mir hilft, die ursächlichen Verletzungen zu verhindern.

Es ist ein Patt.
Und eigentlich gibt es wieder keine Gewinner.

Es ist klar, dass der Arztbesuch in jedem Fall furchtbar für uns wird. Egal, wie gut wir uns vorbereiten oder lieb begleitet werden und auch egal, welche Diagnose oder Behandlung am Ende vor uns steht.

Und es ist klar, dass allein der Umstand diese Hilfe an Anspruch genommen zu haben- obwohl es noch nicht einmal von uns aus und wirklich freiwillig passierte, erneut eine Selbstverletzung zur Folge haben wird.

Genau wie in Bezug zur Psychotherapie.

Manchmal denke ich, wir laufen durch ein Spiegelkabinett. Es sind immer die gleichen Dinge. Immer ist eigentlich schon alles glas-klar. Doch dann schaut man genauer hin, nimmt die Unterschiede wahr und jedes Wissen wird abhängig von einer Übereinstimmung der Definitionen.

Oder Chance eines Konsens der so utopisch erscheint, dass er zum heiligen Gral wird.
Zum Therapieziel.

Vielleicht
zum einzigen Grund des Überlebens derzeit.