Multimythen Teil 4: Übermächte

Bläschen4klein Was nicht fehlen darf in der Vita der Mythenmultis meiner Mailingliste ist eine steife Brise Horrorfilm, vermischt mit irrationalem Gängstertum, dass sie jeweils wie einen Roboter immer wieder in ihre Hände laufen lässt.

Ne- klarer Fall: “Mythenmultis haben nie eine Chance, haben keinen eigenen Willen- ach gar nichts Eigenes- deshalb sind sie ja multipel geworden, um äh… naja das Eigene … äh äh… hm…   SATANISMUS!!!”

Ich schreibe hier im Blog nicht so viel über diesen Themenkreis “rituelle Gewalt”, “Satanismus” und “Programme”, weil ich die Verknüpfung zum Multipelsein damit als überpräsent empfinde, obwohl rituelle Gewalt als (hm- ernsthafte Frage: geht “Auslöser” an dieser Stelle?) für eine dissoziative Identitätsstörung bei “nur” 10% liegt, was sich mit meinen Kontakterfahrungen deckt. Der Großteil der Menschen mit DIS, die ich inzwischen direkt oder indirekt kennengelernt haben, erfuhren massive Gewalt auf allen Ebenen in erster Linie durch die eigene Familie (bzw.. als Substitut auftretende Menschen), brachiale inhumane Behandlung in medizinischen Kontexten und durch organisierte Ausbeutung.
Natürlich gibt es da Vermischungen und ein noch größerer Anteil der Multiplen (und ich zähle mich mit dazu) wissen es einfach nicht so genau, so dass sie sich kein Etikett auf die Umstände ihrer Störung*sentstehung kleben können oder wollen.

Amnesien sind schwer nachzuspielen oder zu überzeichnen, genauso, wie sie zu verbergen sind- insbesondere vor Menschen, die darauf achten, um ein Häkchen hinter Diagnosekriterien zu machen.
Amnesie bezeichnet einen Zustand von Unkenntnis. Unkenntnis über sich selbst entsteht in aller Regel durch Unbewusstsein.
Unbewusstsein markiert also entweder einen Zustand von fehlender Assoziation (also Dissoziation) oder einen Zustand von “noch nie drüber nachgedacht/ reflektiert/ zu Reflektion gebracht worden sein”, durch “noch nie danach gefragt worden sein”.
Das ist einer der Punkte, die dissoziative Störungen so schwer nachzuspielen oder korrekt zu spiegeln macht.
Gesucht wird das, was eben nicht da ist- nicht das, was fehlt. Es ist nicht die Anwesenheit von Fehlleistungen oder Fehlern, sondern deren Abwesenheit in Anbetracht des Fehlens von Grundinformationen.
Das ist eine andere Logik und genau deshalb so mythenüberladen, weil – ja, tut mir leid- es einfach doch eine gewisse intellektuelle Kapazität braucht, diesen Dreh zu machen. Wo Unerklärliches ist, da sind Mythen. Und wo ein Multimythos ist, wird vergessen, was eigentlich nicht gewusst werden kann.

So komme ich zu der Stelle an der ich mindestens verdutzt bin, wenn mir, zum Beispiel in besagter Mailingliste, Menschen schreiben, dass sie dieses und jenes erlebt haben, programmiert wurden und ja auch sowieso jede Nacht abgeholt werden und deshalb auch nichts tun können von dem, was ich ihnen von meinen Erfahrungen beim Abbruch von Täterkontakten berichte.
Es gibt dort zu viel Anwesenheit von Assoziation.

Es ist das Eine eine dissoziative Störung vorzutäuschen, wenn man denkt, das Umfeld würde einen als Menschen nur dann annehmen und vielleicht auch von echten TäterInnen und echtem Leiden befreien- das Andere ist zu perpetuieren, dass die DIS vor dem Hintergrund ritueller Gewalt zu einer absoluten Ohnmacht vor einer Übermacht führt.

Auch die Nutzung des (christlich fundierten) Framings um Satanismus und Okkultismus, destruktive Kulte und Sekten, als das absolut Böse und Verachtenswerte- durch und durch Ablehnensnötige, empfinde ich an der Stelle als manipulativ, um das Schlimme noch schlimmer und am Allerabsolutschlimmsten vor der Gesellschaft ™  ausweisen zu können. Als würde es nicht reichen, weniger außendimensionale Gewalt erfahren zu haben und in sich selbst mehrdimensionale Folgen zu spüren.

Deutschland ist eines der Länder, in denen die Zwangschristianisierung ein nicht unerhebliches Gewaltkapitel ist. Niemand kann sich hier freisprechen von einer Etablierung des Christentums als Normdominanz (siehe Christ-demokraten, gesetzliche Feiertage, Pseudotrennung von Kirche und Staat etc. etc. etc.). Ergo wundert es mich nicht, dass ich bis jetzt noch keinen Mythenmulti ohne rituellen Gewalthintergrund des Satanismus erlebt habe.
Welches Framing könnte sicherer sein, als eine breite Ablehnung satanistisch motivierter Gewalt in einem christlich genormten Umfeld?

Der Multimythos der omnipräsenten und übermächtigen TäterInnen hat natürlich einen wahren Kern.
Es ist ein wichtiger Teil von „man made- violence“, das Opfer genau das glauben zu lassen und mit diversen Mittel auch in dem Glauben zu halten. Nur sind diese Gesten in aller Regel weitaus weniger spektakulär, als es der Mythos vom überaus aktivem Täter, der alles Mögliche tut, um ein einziges (aus der Reihe getanztes) Opfer wieder ranzuholen erzählt.
Organisierte Gewalt funktioniert nur, wenn sie gut organisiert ist. Und gute Organisation baut auf minimalem Aufwand für maximalen Erfolg.
Und so lange das organisierte Verbrechen ™, seit Generationen etablierte Kulte und Sekten; genauso wie die einzelnen GewalttäterInnen in Privathaushalten oder Institutionen  noch darauf bauen können, das Berichte von  Überlebenden, individualisiert, heruntergespielt, einer wahnhaften Störung entspringend oder eben von einem Mythenmulti kommend betrachtet werden können- so lange können sie sich getrost zurücklehnen und im Zweifelsfall eben davon ausgehen, dass sich ihr Opfer selbst das Leben nimmt, weil ihm nicht geholfen wird, nicht geglaubt wird, weil es gelernt hat das tun, weil es keinen Fuß zu fassen schafft, ohne die Funktion des Opfers, weil es von (spiritueller) (Sinn-) Krise zu Krise taumelt etc. etc. etc.

Falls es bis jetzt noch niemandem aufgefallen ist: Jeder Multimythos basiert auf genau dieser Macht-Ohnmachtsdynamik und darauf, sich in gar keinem Fall daraus bewegen zu können. Kann es etwas geben, was näher an der Wiederholung einer Gewaltsituation liegt, als das? Stichwort: Traumaschema – Michaela Huber hat in ihrem Buch “Wege der Traumabehandlung” sehr ausführlich dazu geschrieben.

In meiner Mailingliste wird nicht einmal das thematisiert.
Dort krallt man sich an diesen Inhalten fest: Über- Macht (sehr böse, sehr entmenschlichend, sehr abzulehnen) vs.. Über- Ohnmacht (absolut unschuldig, absolut entmenschlicht (zumindest im Sinne von “alle programmierte Maschinen, sobald es drei Mal klingelt”), absolut anzunehmen <— übrigens auch etwas, das auf diesem christlichen Framing aufbaut: bedingungslose Nächstenliebe).

Ich will auf keinen Fall sagen, dass es das alles nicht gibt.
Jeder Mythos hat einen Kern. Doch meistens ist es der Subtext, um den es geht und der noch viel zu oft nicht gehört wird und mich auch immer wieder darin bestärkt, auch in Mythenmultis Opfer von Gewalt zu sehen und zu versuchen ihnen zu begegnen.