Todesangst

„Wovor hast du denn Angst, es passiert doch nichts.“ Das, diese Frage ohne Fragezeichen, diese Aussage mit Lüge drin, ist mir im Leben bereits sehr oft begegnet. So oft, dass ich sie nicht mehr hasse. So oft, dass ich sie behandle wie viele andere Versatzstücke von Gesprächen, die ich weder wirklich durchdringe noch wahrhaft als Marker für die Natur des Gesprächs nutze. Denn es tut mir nicht gut, mit Menschen über Angst zu sprechen, die Angst nur als periodisches Erleben besonderer Situationen kennen und den Lauf der Dinge, in dem immer irgendetwas irgendwie passiert, ebenfalls nicht stets und ständig, sondern nur dann und wann überhaupt wahrnehmen.
So bleibt es, was ist: eine Mikroaggression, eine Alltagsignoranz.

Und ein Marker für eine soziale Falle. Denn die meisten Menschen sagen das, um zu vermitteln, dass man (mit ihnen) sicher ist. Dass alles okay ist. Es ist aber nicht alles okay, wenn eine Person Angst kommuniziert und die andere nicht einmal eine Idee davon hat, worum es bei der Angst geht. Diese Person irrt sich. Sie bemerkt etwas nicht, sie ist nicht im Bilde über die Lage und möchte ihr Sicherheitsgefühl natürlich auch nicht verlieren. Deshalb sagt sie diese Phrase. Diese Floskel. Diesen kleinen sozialen Abwatscher, der der anderen Person vermittelt, sie würde etwas sehen, fühlen, bemerken, das nicht da ist.
Und die andere Person? Vielleicht versucht sie nochmal, zu schildern, was ihr Angst macht. Vielleicht erklärt sie. Doch je weiter ihre Ängste, ihr Erleben von Angst, die Rolle von Angst in ihrem Leben, von der der anderen Menschen abweicht, desto häufiger wird genau diese Erfahrung der Abwehr, der Mikroaggression und des Infragestellens der eigenen Wahrnehmung.
Und dadurch werden andere Menschen oder auch nur der Kontakt mit ihnen einfach grundsätzlich immer unsicher. Auch die Netten. Die Lieben. Die Vertrauenswürdigen. Die ganz wirklich überhaupt nichts Böses wollen. Die nur helfen möchten. Die nicht einen Hauch von Negativität in sich haben.

*

Ich habe geträumt, ich hätte Sookie erschossen.
Meine Assistenzhündin, mein erster echter emotionaler Spiegel, das Wesen, die Entität, mit der ich mich rückhaltlos verbunden gefühlt habe. Sookie, die letztes Jahr gestorben ist.
Es war die Art Traum, gegen die ich mich entscheiden konnte. Ich hob meine rechte Hand und drückte damit meine linke Schulter, um mich aufzuwecken. Das ist meine Traumunterbrechungsgeste. Wenn ich mich an die erinnern kann, während ich träume, weiß ich, dass ich sie ausführen kann und alles Schlimme oder Unangenehme unterbrechen.
Doch als ich aufwachte, war da keine lebende Sookie. Kein warmer, weicher Brustkorb, der sich an meine Seite schmiegt. Da war nur die Tatsache, dass sie tatsächlich tot ist und nie wieder lebendig sein wird.

Nach Sookies Tod hatte ich nicht viel Raum für die Verarbeitung ihres Todes. Ich hatte viel zu viel Angst, meine neue Arbeitsstelle nicht behalten zu dürfen. Ich hatte die Fahrschule, die mit viel Angst einherging. Neben dem Podcast, der Verlagsarbeit, den Projekten, an denen ich mich privat beteilige.
Damals habe ich ein Mal geweint. Direkt noch mit Sookie im Arm auf der Wiese. Reflexhaft, als würden sich meine Tränendrüsen übergeben müssen. Und ein Mal brach F., ein Kinderinnen, weinend aus mir heraus, als ich meine Therapeutin in einem Notfalltelefonat hatte.
Die Trauer um meine so nahe Begleiterin zeigte sich im Alltag eigentlich nur in einem Fähigkeitsverlust. Ich war nicht traurig und auch nicht sicher, ob ich trauern würde. Wenn ich in der Zeit danach mal nicht von Angst über für andere unsichtbaren, irrelevanten Kleinscheiß des Alltags umgetrieben wurde, dann hatte ich Sehnsucht nach Sookie. Nach den langen Wanderungen im Wald. Sie in ihrem unermüdlichen Weg vor und wieder zu mir und vor und wieder zu mir, Anspielen, Dinge beriechen, Schauen, Teilen, vor und zurück. Nach dem Gefühl, dass wirklich alles okay ist, weil wir so viel miteinander teilen, was der Moment in sich hat. Eine Sehnsucht, die ich sonst nur habe, wenn ich mir eine Freundin wünsche, obwohl ich schon welche habe. Oder eine Familie, obwohl ich schon eine habe. Nur eben nicht so.

In der Nacht des Traums, dem Moment der Orientierung in die Realität, kam die Traurigkeit, wie etwas, das mich töten könnte.
Ich konnte kaum noch atmen, meine Brust war so zusammengepresst, dass weder Töne heraus noch Luft hinein kam. Mein Weinen hatte meine Augen so anschwellen lassen, dass es sich anfühlte, als hätte ich Steine darauf liegen. Ich konnte kaum sehen, kaum atmen und das, während der emotionale Schmerz mich in einer Radikalität erfüllte, die ich nicht anders als grenzenlos beschreiben kann. Etwas, das ich nur von Kinderinnens kenne. Ganz entfernt. Eher theoretisch als je selbst erlebt. Ich dachte, ich bekäme einen Herzinfarkt. Mehr fremd als selbst ging ich zu meinem Mann runter. Er verstand sofort, dass es sich schlimm anfühlen würde, so einen Traum gehabt zu haben und dann in eine so gleich schlimme Realität aufzuwachen. Er tröstete mich. Und ich? Ich bin nicht in einer warmen Wolke der Liebe gelandet und fühlte mich besser. Ich bin emotional, seelisch, ichlich gestorben. Meltdown, Krampfanfall. Der erste große, den mein Mann direkt miterlebt hat. Das reine Wahrnehmen der Traurigkeit hat mich getötet.

Am Ende der Shutdown. Das dissoziative Nachwehen als diffuse Masse aus Reiz und Reaktion, ein Ich im Wiederaufbau. Das Ausgeliefertsein an die Umwelt, während das Fühlen der Angst darüber noch gar nicht wieder möglich ist. Wie auch Gefühle von Sicherheit und Liebe. Geborgenheit und Nähe.
Wir lagen zu dritt auf dem Bett, wie ein ganz intimes Familiensandwich. Bubi an meinem Bauch, mein Mann an meinem Rücken.
Ich konnte nichts empfinden. Nicht einen Gedanken halten. Nur meinen Körper entlang ihrer Atmung rekonstruieren und warten, bis ich mich als lebend wiedererkenne.

*

Vor solchen Momenten habe ich Angst.
Solche Momente habe ich fast jeden Tag in abgeschwächter Form. Nicht immer mit einem Krampfanfall. Immer wieder jedoch mit einem innerlichen Meltdown. Der absoluten Ohnmacht und der im Grunde fast immer bestehenden, sehr umfassenden, Einsamkeit wegen der für andere Menschen offenbar unmöglichen Nachvollziehbarkeit dessen, was in mir vorgeht, wenn ich mein Leben, aber auch meine eigene Lebendigkeit erlebe.
Da geht es nicht um Vertrauen oder Nichtvertrauen, wen ich lieb finde und wen nicht. Ob ich mir genug oder zu viel zutraue, ob ich zu wenig soziale Codes verstehe oder hinnehme. Ob ich mich meinen Ängsten stellen, sie mir abtrainieren oder als in der Regel unbegründet akzeptieren muss oder nicht.

Es geht darum, dass ich mich daran sterbend erlebe und weiß: Wer noch nie an seinen eigenen Gefühlen gestorben ist – wer sich noch nie an Verzweiflung, an Not, an innerer Spannung so umfassend selbst verloren hat – wird immer denken: „Ach komm. So schlimm ist das nicht.“

Fundstücke #91

Ich legte auf und hielt mein Gesicht nah an den Ventilator.
Die kalte Luft bewegte meine Wimpern, das Summen des Motors rüttelte meine Gedanken in eine Richtung.
So ist das also, wenn ich darüber rede. Meine Essstörung. Und das. Also alles. Irgendwie. Draußen fahren immer noch Autos lang, das Korn wiegt sich, die Maschine vor mir pustet Geräusch und Wind auf mich.

Ich habe nicht erwartet, dass die Welt untergeht. Aber ich habe erwartet, dass es mir schlecht geht. Dass ich mich mit einer Antwort befassen müsste, die mich überfordert oder verletzt. Obwohl ich mir ein Gegenüber gesucht hatte, das sich auskennt. Und mehr Sicherheitsvorkehrung praktisch nicht möglich ist. Am Ende sind Gespräche unkontrollierbar, Menschen unvorhersehbar, empfindliche Themen empfindlicher Menschen einfach sehr empfindlich.
Da kommt der Mut ins Spiel.
Oder die Verzweiflung.
Druck auf jeden Fall. Energie. Kraft.
Und davor eine Entscheidung für den Kontakt. Nicht: der Wunsch nach Kontakt oder die Hoffnung darauf. Sondern: Ja, das mache ich jetzt.

Die Person fragte mich, warum ich bisher noch nicht mit meiner Therapeutin darüber gesprochen habe. Das war eine gute Frage für mich. In der Antwort war für mich ein Faden zu meinem Grundproblem rund um die Essstörung und warum ich sie jetzt nach über 20 Jahren in meinem Leben erneut belastend erlebe. Rosenblattscher Classic: Angst und Vermeidung. Keine Angst vor dem Beziehungsabbruch oder Verletzung, sondern vor Überforderung und Enttäuschung. Scham und Ohnmacht. Wir haben ein Arbeitsverhältnis – ich habe hier etwas am Laufen, vor dem ich mich handlungs- also arbeitsunfähig erlebe.
Und die klapstrainierten Patient_innen in mir werfen sich mir jedes Mal schreiend vor die Brust, wenn ich auch nur plane, Anlauf zu nehmen, um ihr zu sagen: Ähm, ja hm, wir machen grad hier Traumadings, das wir schon ewig angebahnt und vorbereitet haben in 14-tägig stattfindenden Terminen – wie wärs mit einem Problem, das ich schon länger habe und zu dem ich nicht mal eine Lösungsidee habe, die nicht davon beeinflusst ist?

Es ist eine pragmatische Entscheidung dagegen. Ich weiß, dass mir die Traumaarbeit mit anderen Innens in der Regel neue Einordnungskompetenzen und manchmal auch Handlungsfähig- und fertigkeiten gibt. Die Therapie wie ich sie jetzt nutze, ist für dieses Problem eher komplementär hilfreich. Also zusätzlich zu anderen Dingen.
Und es ist eine vermeidende Entscheidung, einfach aus dem Umstand heraus, dass ich mich gerade wegen meiner Kinderwunschbehandlung damit befasse. Ich weiß, dass meine Therapeutin nicht ewig am Symptom rummachen würde, sondern direkt an die Störungsquelle geht. Ist ja schlau. Effizient. Wegen dieser Eigenschaft bzw. dieser Kompetenz schätze ich sie als Arbeitspartnerin sehr.
Die Störungsquelle liegt jedoch im medizinischen Kontext. Ein Kontext, den ich von verschiedenen Seiten her als gewaltvoll und traumatisierend erfahren habe. Und ich will nicht von ihr hören, dass das dazugehört. Dass man da nichts machen kann, weil es ist, wie es ist und tja, mit unsensiblem oder grenzberührendem Umgang, Inkompetenz oder mit der „nicht jederzeit alles auf Zettel haben können“-heit anderer Menschen und der generellen Alternativlosigkeit muss man halt klarkommen. Das können mir alle Hanzeln und Franzeln auf der Welt sagen, die nicht wissen, was ich in Krankenhäusern erlebt habe. Die nichts von den Patient_innen in mir wissen. Und die mit solchen Aussagen ja auch markieren, dass sie gar nicht mit mir in Kontakt kommen wollen.
Aber meine Therapeutin soll mir das nicht sagen. Sie soll auch nicht in Gefahr geraten, mir das potenziell aus Versehen aus einem Moment von „kurz mal irgendwie nicht ganz so konzentriert sein“ zu sagen. Und da ich es ihr nicht verbieten kann und Gespräche insgesamt unkontrollierbar sind, kontrolliere ich mich. Und vermeide.

Da geht es überhaupt nicht um mein Vertrauen in sie, sondern um mein Vertrauen in den Lauf der Dinge. Meine Erfahrungen mit dem Unkontrollierbaren. Ich bin mir so bewusst darüber, dass ich mich im Gespräch mit ihr nicht schützen kann, ohne mich gegen den Kontakt mit ihr zu entscheiden (und im Zuge dessen möglicherweise sogar so stark zu dissoziieren, dass ich zu einem anderen Innen wechsle), dass es letztlich sogar mehr Entscheidung für den Kontakt mit ihr als dagegen ist.

Ich weiß, dass diese traumalogische Kette für die Begleiter_innen und manchmal auch Behandler_innen von komplex traumatisierten Menschen ein wiederkehrendes Problem darstellt. Manchmal wird es für beide Seiten ein dauerhaft anstrengendes Ringen um Wollen und Sollen, Einladungen wahrnehmen, glauben und annehmen bzw. Einladungen machen und absichern – nur um dann doch vielleicht wieder bei Dissoziation oder Vermeidungsverhalten zu landen.
Weder meine Therapeutin noch ich sind alleine damit.

Umso wichtiger erlebe ich gerade meinen Ausbruch aus dem Risiko dieser Dynamik. Ich habe mir selbst erarbeitet, was mich belastet. Habe selbst beobachtet, welche Symptomatik wieder verstärkt ist und mich damit befasst, wie ich meine Vermeidung einerseits erhalten, andererseits vermeiden kann. Nur weil ich mit meiner Therapeutin nicht darüber sprechen möchte, muss ich nicht dazu schweigen oder generell erstarren und mich wieder von allem entfernen. Deshalb der Kontakt mit der Person am Telefon.

Es zeigte sich, dass mein Problem, meine Essstörung gerade durch keine meiner üblichen Maßnahmen containen zu können, von mehreren Faktoren beeinflusst wird.
Wir müssen sortieren. Was geht pragmatisch? Wie kann ich meine Angst vor bestimmten Lösungsversuchen konkretisieren und in der Folge aktiv beruhigen? Wie viel Vermeidung ist mir bewusst und wichtig und wie viel reflexhaft aus traumalogischen Vorannahmen heraus und dadurch doppelt zu prüfen?
Mir hilft gerade auch etwas aus dem Buch „Trauma verstehen, bearbeiten und überwinden“ von Prof. Dr. L. Reddemann und Dr. C. Dehner-Rau im Kapitel „Was hilft bei Angst und Panik?“. Darin gibt es einen Absatz dazu, dass es absurd klingen mag, aber dass Angst manchmal auch ein Schutz vor Dissoziation ist, wenn es (unbewusst) erträglicher ist, Angst zu haben, als Derealisation oder Depersonalisation zu erleben. Das trifft auf mich in manchen Situationen definitiv zu, weil Angst mich aktiviert und Dissoziation deaktiviert. Jetzt weiß ich zwar noch nicht genau, wie ich das in meinem Unterfangen konkret für mich nutzen könnte, aber es gibt mir einen weiteren Hinweis auf eine Energiequelle in mir. Und es setzt meine Angst in ein Verhältnis zu mir, in dem sie nicht mein Feind ist, obwohl sie es mir gerade schwer macht, ein echt ungünstiges Problem anzugehen.

die Ausnahme, Teil 2

Ich hatte keine Ahnung, was mich so irritierte, aber immerhin altbewährte Reaktionswege. Angst. Die bekomme ich einfach immer unter.
Mir war schon am nächsten Tag klar, dass ich Hilfe brauchen würde. Noch konnte ich meine geistige Verfusselung auf Reisemüdigkeit und Erschöpfung von der vergangenen Woche zurückführen. Aber als ich am Abend merkte, dass ich überlegte, im Büro statt im Schlafzimmer zu schlafen, war klar, dass ich auf direktem Weg auf die Tanzfläche für einen Vermeidungstanz war.

Der informierte Traumamensch denkt in dem Zusammenhang an Trigger. Was ist mit der Puppe? Habe ich mal was Schlimmes mit Puppen erlebt? Gibt es in mir drin Täter_innenintrojekte, die das Objekt nutzen, um Gewalt im Inneren zu wiederholen? Habe ich mich in Traumawahrheiten verstrickt, nach denen ich nichts Schönes haben darf oder nicht es nicht wert bin?
Ich wusste, dass meine Therapeutin mit mir diese Schiene abfahren würde. Und ich wusste, dass ich ihr keine dieser Fragen ohne größere Tiefenwanderung beantworten könnte. Ich müsste mich für Kinderinnens und andere Seiten öffnen, um das Problem wenigstens eingrenzen zu können. Aber hier zu Hause, unbegleitet, unstrukturiert und spontan, machen wir sowas nicht.
Wir haben trotzdem miteinander telefoniert und versucht, eine erste grobe Idee zu bekommen. Am Ende hatte ich keine grobe Idee. Aber ich konnte die Angst teilen und wissen, dass wir beim nächsten Termin daran arbeiten würden, würde ich keine eigene Lösung finden.

Vor ein paar Jahren hätte ich in so einer Situation auch noch den Begleitermenschen anrufen können.
Der ist aber seit einigen Jahren nicht mehr Teil meines Hilfenetzwerks. Deshalb habe ich versucht, seine Fragenstruktur anzuwenden.
Was genau löst die Angst aus? Ist es die Präsenz des Objektes oder seine Beschaffenheit oder virtuelle (implizite oder theoretische) Elemente, die dadurch zum Tragen kommen? Wäre die Angst weg, wäre das Objekt nicht mehr da?

Die Frage hat mir dann weitergeholfen.
Ein bisschen „Erstangst“ wäre dann zwar weg, aber das auslösende und noch unbekannte Problem bestünde weiterhin und das würde zu meinem täglichen Grundrauschen der Unsicherheit (und Angst) beitragen.
Es waren also mehrere Punkte.
1. Ich weiß den Auslöser nicht. (Kontrollverlust)
2. Ich weiß nicht, was ich machen soll. (Ohnmacht)
3. Ich fühle mich nicht sicher damit, etwas auszuprobieren – einfach irgendwas zu machen, ohne zu wissen oder gesagt zu bekommen, ob und wenn ja, wie es wirken würde. (Hilflosigkeit)
4. Die Menschen in meinem Leben müssen konkret gesagt und erklärt bekommen, was mich belastet und warum (und wie sie mir helfen können), damit sie mich nicht ungewollt verletzen oder Überanstrengung auf beiden Seiten entsteht. (zwischenmenschliche Trigger- und Belastungssituation für mich, Verzweiflung)

Mit meiner Therapeutin landete ich am Telefon bei der Frage, ob ich schöne Dinge wirklich haben darf oder ob Erwachsene Geld für eigene Spielsachen ausgeben dürfen, dies das. Nach der Analyse ausgehend von der Angst als solcher, war mir sehr klar, dass es damit wenig zu tun hatte und ich jetzt akut erst einmal ins Angstmanagement gehen musste. Die Analyse gehört bereits dazu – mir hilft ein klarer Überblick eigentlich immer, um mich etwas sicherer zu fühlen.
Dann bin ich am Tag öfter als sonst durch das Schlafzimmer und an der Tüte vorbeigegangen. Wenn ich telefoniert habe, wenn ich meine Wäsche eingeräumt habe. Wenn ich mal zufällig einfach so aus dem Fenster schauen wollte. Meine Dehnübungen gemacht habe. Gezielte Desensibilisierung. Absichtliches Aussetzen, um zu begreifen, dass der Gegenstand unabhängig von mir und nur ein Gegenstand ist, der aus sich selbst heraus nichts macht. Also ich ihn mehr kontrollieren kann, als er mich.

Erst war es schwierig, weil es Zitat „umständlich behämmertes Rumgetue, wegen nichts ist“. Dann wars egal und die Angst eigentlich nur noch da, wenn ich mich darauf vorbereitet habe, sie in die Therapiestunde mitzunehmen. Wo ich mir einen Umgang erarbeiten wollte, aber noch nicht wusste, wie genau, weil ich noch weniger als sonst wissen konnte, ob meine Therapeutin mich überhaupt versteht oder wenigstens das Problem sieht, das ich noch nicht sehen kann. Weshalb ich es ihr nicht schildern und erklären kann, weshalb wir diffus herumsondieren und probebohren würden und es ein gewisses Absturzrisiko für mich dabei gibt.

Solche Stunden hatten wir vor der Autismusdiagnose und ihrer Anpassungsarbeit daran ständig und das war fürchterlich. Fürchterlich anstrengend. Frustrierend. Wenig hilfreich und in manchen Aspekten eine Weiterführung meiner früheren Therapieerfahrungen. Damals habe ich versucht, dem diffusen Rumgebohre zu entgehen, in dem ich das Gespräch vorher in alle Richtungen in meinem Kopf geführt habe, um nicht von mir selber überrascht zu werden und dann nicht zu wissen, was ich machen soll.  Was natürlich fast nie funktioniert hat. Aber Teil meines Angstmanagements war. Auf diese Weise hatte ich die Stunde jeweils schon einmal durchgearbeitet und mich auf alles (wirklich alles) Mögliche vorbereitet – sie dann wirklich zu machen, war so kein Gang ins absolut Ungewisse, keine Auslieferungssituation mehr.

Heute bereite ich mich anders auf die Stunden vor. Nach 12 Jahren gemeinsamer Arbeit wartet in mir niemand mehr darauf, dass meine Therapeutin mir ungefragt und sexuell motiviert (körperlich) nahekommt, Partei für meine Eltern ergreift oder Druck darüber aufbaut, wie schnell oder in welcher Art irgendwelche Fortschritte für sie erkennbar sein sollten. Wir kennen ihre Gesprächsführung und können in den letzten Jahren auch viel besser abschätzen, was sie meint oder worauf sie sich bezieht. Wir haben einen für mich guten Grad an Konkretheit gefunden, der mich enorm entlastet und entsprechend auch viel weniger Versagensängste und Stress produziert.
Ich kann mich heute darauf konzentrieren, worüber ich reden will und brauche nicht mehr zu verstecken, wenn ich meine Therapeutin nicht verstehe oder unter Druck gerate oder Angst bekomme oder mich generell hilflos fühle. Und trotzdem möchte ich mich natürlich nicht so fühlen. Vor allem nicht im therapeutischen Setting, das für mich so vorbelastet ist.
Und doch lässt es sich in manchen Momenten nicht verhindern. Diesen Momenten, wo Autismus und Komplextrauma so wirklich überhaupt gar nicht voneinander zu trennen sind. Weder für mich noch für sie.

Als ich die Treppen zur Praxis meiner Therapeutin hochging, hatte ich eine Woche hinter mir, in der ich bewusst nicht weiter ins Vorausdenken der Stunde gegangen bin. Ich wollte darüber reden, was ich denke und was ich von mir wahrnehme – Punkt. Bedeutung dies das – diese Ebene kann meine Therapeutin schneller sehen als ich und mich entsprechend befragen. Ich kann dann selbstbestimmt prüfen, ob da was dran ist oder nicht.

Die Stunde wurde so lang und anstrengend, wie erwartet. Aber kurz vor ihrem Ende wurde mir mein Problem klar:
Mir fehlte ein Handlungsskript für Neuheiten dieser Art in meinem Leben und ich musste es mir alleine erarbeiten. Und jetzt doppelneu – möglichst nicht komplett brutal entkoppelt von Kinderinnens oder anderen Inneren, die sonst überhaupt nichts in meinem Dunstkreis zu suchen, finden, wollen oder besitzen haben. Und trotzdem mittendrin sind. Und ihrerseits auch versuchen, mit meiner Therapeutin in Kontakt zu kommen.
Ja.
Es ist einerseits so banal (einfach nur auf etwas Neues, Ungewohntes, mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf mich klarkommen müssen) und andererseits so eine komplexe Herausforderung.

Neues ist für mich sauschwer. Neues kenne ich nicht. Ich bin noch nicht daran angepasst, nicht vertraut damit, nicht vertraut mit mir darin und entsprechend weder sicher noch kontrolliert. Und Neues ergibt sich für mich sehr schnell, weil ich Unterschiede sehr schnell erkenne und die betrachteten Dinge, Gegenstände, Situationen entsprechend als komplett unterschiedlich einordne.
So habe ich schon oft Puppen gekauft und fühle mich gut damit – sogar so gut, dass ich mich komplett in die Überheblichkeit aufschwingen kann.
Ich habe aber noch nie eine Puppe für mich gekauft, was es für mich insgesamt zu einer komplett anderen Sache macht, die ich noch nicht kenne und für die ich noch kein Handlungsskript von Anfang bis Ende, keine Selbsterfahrung und Erfahrungskompetenz habe. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll oder tun könnte. Geschweige denn, wie genau. Mein Kopf ist diesbezüglich einfach leer. Ich kann nichts umsetzen.
Das ist kein bockiger Quirk, keine Folge von Todesangst. Das ist ein angestrengtes gegen das eigene Gehirn ankämpfen. Das ist eine exekutive Dysfunktion. Die mich wiederum an Todesängste bringt, weil es mich an sämtliche Erfahrungen erinnert, in denen ich in meiner Hilflosigkeit und Ohnmacht einfach nicht gesehen, erkannt, aufgefangen oder begleitet wurde.
Erfahrungen, wegen derer ich heute selber denke, ich würde mich anstellen. Könnte doch, wenn ich nur würde oder wollte. Wegen derer ich überhaupt nur den Impuls habe, solche Schwierigkeiten und Kämpfe zu verschweigen oder unsichtbar zu halten, obwohl es mich viel Kraft kostet und auch meinen Raum für mich selbst total verkleinert und das Bild anderer Menschen über meine Fähig- und Fertigkeiten enorm verzerrt. Überwiegend zu meinem Nachteil übrigens.

An jenem Ende der Therapiestunde fragte meine Therapeutin im Hinblick auf unsere verbleibende Zeit und das bisher ergebnislose Gespräch: „Was machen wir jetzt?“
Für mich war es gut, dass sie das genau so formuliert hat. Wir – was machen wir jetzt?, da war die Erinnerung für mich drin, dass sie da war und ich nichts allein versuchen müsste. Also überlegte ich noch einmal, was ich mich auszuprobieren trauen würde, jetzt, wo eine ganz andere Sicherheit über die Gesamtlage bestand.
Ich schlug vor, eine Erwachsenensache daraus zu machen. Ich könnte den Schritt des Auspackens hier machen und dann gucken, wie es zu Hause ist, damit wir das Thema nicht in die nächste Stunde mitnehmen müssten. Dann müsste das Kinderinnen, das ihr die Puppe auch zeigen wollte, halt damit leben, dass der Kontakt so nicht geht. Mir wäre das auch ganz recht … 1, 2, 3 Vermeidungstanzschritt nach links 2, 3 …

Meine Therapeutin hatte vergessen, dass sie eine Nachricht mit dem Wunsch bekommen hatte, als wir in Italien waren. Ich nicht. Ich wusste, dass sie die Nachricht überhaupt nur bekommen hatte, weil die Ausnahme bestand und war ganz froh darum, dass sie bisher überhaupt nicht weiter darauf eingegangen war, außer nach Erhalt der Nachricht positiv zu antworten.
Grundsätzlich gilt: Ausschließlich in Situationen, die von uns aus innerlich zu lebensgefährlichen Situationen werden könnten, darf exakt ein Kinderinnen (nämlich das, was ich nicht unterdrücken kann und bereits Kontakt mit meiner Therapeutin hatte) Nachrichten an sie schreiben. Für Killefit und Scheiß (also alles andere) bedarf es einer Ausnahme.

Sie verfolgte den Faden um die Nachricht weiter und drückte aus, dass es ihr wichtig wäre, diesen Anteil nicht auszuschließen. Ich entgegnete, dass sie die Nachricht ja nur wegen der Ausnahme über die Zeit in Italien bekommen hatte. „Und jetzt ist ja keine Ausnahme, jetzt ist hier Erwachsenenalltag, um den es geht, ALSO GEHT DAS ALLES GAR NICHT“, schrie ich* (*definitiv nicht nur ich) inzwischen maximal frustriert. In meinem Kopf. Natürlich. Sicher ist sicher.

Wir haben dann noch mal eine Weile gebraucht, bis wir eine Ausnahme als nötig und den Umständen angemessen beschließen und von meiner Seite aus auch bewilligen konnten.
Und im Nachhinein betrachtet sehe ich selber, was für eine logische Fortführung das war. Obwohl wir bisher keine Ausnahmen in der Ausnahme gemacht haben. Denn Therapiestunden sind ja bereits eine kommunikative Ausnahme, weil (und je nachdem wie) der Arbeitsraum das erfordert.
Ich konnte an dem Punkt anerkennen, dass ich es anders nicht lösen können würde.

Die Sache – Italienreise, Puppenkauf für mich – ist an sich extrem außergewöhnlich gewesen für mich.
Ich war nicht zu Hause. Alles war anders. Ich habe (für mich) komplett andere Sachen gemacht als sonst. Und das alles ist in dieser Ausnahmenblase geblieben. Bis auf die Puppe und die Nachricht an meine Therapeutin. Ich musste für die Erarbeitung des inklusiven Umgangs damit einen Ausnahmeraum erlauben.

Und als wir an dem Punkt waren, ging es ganz leicht. Extrem merkwürdig, ungewohnt und teilweise ich-fremd, aber absolut nicht so schwer wie alles in den anderthalb Stunden davor, um überhaupt dahin zu kommen.
Es hat geholfen, dass meine Therapeutin das nicht extra kommentiert hat. Für mich war wichtig und gut, dass sie akut mit mir in dem Moment war, für mich ansprechbar war, für mich die Situation absichernd, mich in dem, was ich da tat, versichernd war. Wie es Lisa in dem Laden übrigens auch war. Wie es Daniela und Matthias, das Team in der Hilfeeinrichtung in der ganzen Ausnahmesituation in Italien auch waren. Sie wussten das nicht so in dem Zusammenhang, aber vielleicht war das auch genau gut für mich.

Die Ausnahme hat mir diese Art der Verbundenheit, des Kontaktes ermöglicht. Gleichzeitig hätte ich niemals irgendeine Ausnahme zugelassen, hätte es weder Kontakt noch Verbundenheit gegeben.
Weil alles anders war als sonst, konnte ich etwas anderes als sonst tun – das ist, weshalb die Therapie mein einziger konstanter Ausnahmeraum ist und bis zum Ende der Behandlung auch bleiben wird.
Vielleicht – wahrscheinlich – egal, wie viele Ausnahmen ich in dieser Ausnahme noch brauchen werde, um mich neuen Dingen, Umständen, Selbsterfahrungen anzunähern und darin er.kennen, verstehen und meine Handlungsoptionen zu lernen.

Bis zu dieser Stunde war mir das nicht bewusst.
Und was das für mich bedeutet, wie es sich anfühlt, wie wer in mir darüber denkt – darüber kann ich nachdenken, wenn ich mich daran gewöhnt habe, dass es jetzt einen ersten Gegenstand in meinem Haushalt gibt, der eine außerordentlich weitreichende Ausnahme bezeugt.

die Ausnahme, Teil 1

„Beweglich wie die Hindenburg“, denke ich unzufrieden mit mir selbst, als ich die Praxis meiner Therapeutin verlasse. Ineffizient komme ich mir vor. Komplett behämmert, hätte ich jetzt Zeit und Raum für eine altbewährte Selbsthass-Schleife. Ich habe aber nicht mehr viel Zeit. Die Therapiestunde war sehr lang, ich habe nur noch 50 Minuten für meine anderen Erledigungen, bevor mein Zug nach Hause abfährt. Der Stress macht es mir leicht, den Fokus nach außen zu drehen. Ich ziehe durch. Erledige alles, arbeite im Zug, fahre vom Bahnhof direkt zum Training und von da nach Hause.
Erst geduscht, mit dem Abendessen im Bauch, kann ich mich wieder etwas aufmachen.
Erst dann hole ich die Puppe aus dem Rucksack und lege das schöne Packpapier, in das sie eingeschlagen war, flach ins Bastelregal.

Die Puppe habe ich in Italien gekauft. Im Spielzeugladen in Arezzo.
In meinem üblichen Alltag gehe ich nur in Spielzeuggeschäfte, um jemandem ein Geschenk zu besorgen. Für mich selbst kaufe ich bei diesen Gelegenheiten entweder einen Kreisel, denn die sammeln wir, oder sensorisch interessante Tüddel, die in die Hosentasche passen.

Ich ziehe ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Vielen aus dem Umstand, dass ich in solche Geschäfte gehen kann, ohne in einen kindlichen Zustand zu kippen. Überhaupt bin ich ziemlich stolz darauf, mich in der Hinsicht inzwischen überwiegend im Griff zu haben. Also in 99,9 % der Fälle. 0,01 % der Fälle sind Traumareaktionen. Wechsel, die ich nicht beeinflussen kann, weil ich die Situation nicht (genug) beeinflussen kann. Etwa in der Therapie oder in Situationen, die traumatischen Situationen sehr ähnlich sind. Wie der Zustand nach einer Narkose.

Ich mag, dass Kindliches praktisch kaum eine Rolle in meinem Leben spielt. Ich habe keine designierte „Innenkinderzeit“, ich mache keine außerordentlichen Besonderheiten speziell für meine Kinderinnens und die haben auch keine Freund_innen oder Aufgaben im außen. Es gibt sehr eng gesteckte Rahmenbedingungen dafür, wann Innenkinder etwas neben mir her miterleben oder mitmachen dürfen bzw. können. Und noch viel engere dafür, dass sie sich mit mir vermischen.
M., eine frühere Freundin von mir, fand mich immer fies deswegen. Hat oft zum Ausdruck gebracht, ich wäre viel zu hart, viel zu krass, viel zu brutal in der Hinsicht. Mich hat es verletzt, dass sie nie die Fiesheit, die Brutalität gesehen hat, die dazu führte, dass ich diese Haltung entwickelt habe.

Meine „Fiesheit“ an der Front ist ganz klar das Ergebnis von therapeutischen Eingriffen in stationären Kliniksettings. Von der Brutalität, die sich daraus ergab, dass ich auf eine psychiatrische Unterkunft und Hilfe angewiesen war, um zu überleben, aber Wechsel, dissoziatives Erleben, bestimmte „auffällige Symptomatik“ (wie es Wechsel zu traumareaktiven (kindlichen) Anteilen nun einmal sind) teils massiv sanktioniert wurden. Unterstützung von der Pflege – nur als Erwachsene_r. Anerkennung von Leiden, Beistand in unerträglichem Wiedererleben oder emotionalen Flashbacksituationen – nur wenn man sprechen und verstanden werden kann. Nur, wenn sich Pflege, Betreuung, Therapeut_innen sicher und wohlfühlen, sonst Keule. Also Medikamente. Betäubung. Kopp zu.
Zudem bin ich unter diesen Bedingungen erwachsen geworden. Ich war 16 als das anfing und Anfang 20 als es aufhörte. Den Umgang anderer Menschen mit meinen dissoziativ von mir getrennten kindlichen Anteilen habe ich häufig als etwas erlebt, das benutzt wurde, um mich in meiner Selbstbestimmung einzuschränken und in meiner jugendlichen Alltäglichkeit bzw. jungen Erwachsenheit infrage zu stellen.
Und als Einfallstor der Überforderung für Therapeut_innen, die entweder keine oder wenig oder keine fundierte (bindungs)traumatherapeutische Vor-, Weiter-, Fortbildung hatten und entsprechend inkompetent mit Übertragungen, Traumaexploration- oder -exposition umgegangen sind.

In der Zeit konnte ich nicht verhindern, dass es zu Wechseln (für mich: Amnesie) kommt – diese Gefahrensituationen sind immer wieder aufgetreten und ich hatte zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, irgendwelche Konsequenzen abzuschätzen. Sollte sie aber antizipieren, um von Therapieerfolg oder Entlassung ausgehen zu können. Ich dachte also, ich würde nur dann je normal oder gesund sein, würde ich mich zu jedem Zeitpunkt kontrollieren können. Und Kontrolle, das hatte ich mir übersetzt mit dem Umgang, der mir in diesen Kliniken geschah: Unterdrückung. Kopp zu. Unsichtbarkeit. Es besteht Kontrolle, wenn niemand was von den inneren Vorgängen mitbekommt. Dann ist alles gut. Alle sind zufrieden. Niemand dringt in mich ein. Niemand überfordert mich.

Dieses Verständnis von Kontrolle über mich selbst nach innen hatte ich vorher nicht. Ich komme nicht aus einem Täter_innenkreis, der mich zur Unauffälligkeit erzogen hat. Mir wurde das nicht in irgendeinem dunklen Keller reingequält, sondern vor aller Augen und mit vollster Unterstützung der Gesellschaft psychiatrisch antrainiert. Ich sollte immer mitmachen – sonst. Ich sollte immer verstehen – sonst. Ich sollte immer reden, denken, einsehen – sonst. Und ich dachte und spürte sehr genau, dass ich nur überlebe, wenn ich diesem Anspruch auch Folge leiste.
Meine Gefühle, meine Einschätzungen von bestimmten Dingen, die wurden stets als bekannt vorausgesetzt und nur von einer Therapeutin, in der Tagesklinik, die ich dann als junge Erwachsene öfter aufsuchte, auch mal abgefragt.
Meine Behandlung war in sehr vielen Bereichen ein von mir unkontrollierbarer Selbstläufer, den ich sehr lange weder verstehen noch wirklich selbstbestimmt mitgestalten konnte. Es war die beste Entscheidung, die ich für mein Weiter- und Rauskommen aus diesem stationäre Psychiatrie-teilstationäre Tagesklinik-Drehtür-Elend treffen konnte, einfach ganz extrem böse fies gemein brutal hart gegenüber meinen Kinderinnens (und Jugendlichen und Bösen und Dunkelbunten …) zu sein. Und sie so weit wie nur irgend möglich zu versiegeln – noch bevor ich sie überhaupt selbst mal frei und im sicheren Rahmen wahrgenommen oder auf ihre Funktionen für mein Innenleben geprüft habe.

Soweit meine Erzählung.
Die übliche Traumaerzählung über so fiese Kinderhasser-Innens wie mich ist: ANPs, die alltagskompetenten (angeblich) untraumatisierten Anteile, suchen Kontrolle über sich, weil sie so die Konfrontation mit dem Trauma vermeiden. Kinderinnens = Traumaträger, also Kinderinnens – Nein, danke. Will ich nicht, kann ich nicht, Adios, Tschö, bitte gerne ohne mich
Ist viel dran. Keine Frage. Trifft komplett auch auf mich zu.
Enthält aber auch das Problem, dass man Verhalten zum Zustand erklärt und in der Folge aus dem Blick verliert, zu prüfen, ob es durchgehende Eigenschaften, Merkmale, Prädispositionen gibt, die dieses Verhalten auch bedingen.

Ich bin nämlich nicht nur extrem fies zu Kinderinnens. Ich bin auch richtig gemein zu Anteilen, deren Auftauchen oder Bedarfslage unsere Handlungskripte herausfordern oder bestehende Situationen unübersichtlich machen. Und dabei geht es 0 um Traumakonfrontationsvermeidung, sondern um die Vermeidung einer Traumatisierung.
Ich bekomme Probleme durch „abweichlerische Innere“, weil mir diverse alternative Handlungsskripte fehlen, die ich heute als erwachsene Person einfach nicht mehr beigebracht bekomme und für die mir auch kaum mehr Lern- und Übungsraum zugestanden wird.
Die Erwartung ist, dass ich jederzeit einfach weiß, welche Konventionen wann greifen, einfach merke, was wer wie wann warum meint oder denkt oder fühlt. Verhalte ich mich unkonventionell oder sozial unangemessen, wird einfach angenommen, dass ich ne schräge (gefährliche) Else oder „voll gegen den Mainstream“ bin. Und entsprechend ist der Umgang mit mir. Man fürchtet mich vielleicht einfach oder meidet mich oder tritt mir gegenüber konfrontativ auf – und ich weiß nicht, warum.
Oder man öffnet sich mir gegenüber komplett in der Annahme, ich wäre bereit für emotionale oder auch sexuelle Intimität und ich muss gucken, wie ich das balancieren kann und will. Grenzen dies das – Sicherheit! dies das. Und das immer unerwartet, nicht beeinflussbar und unabhängig davon, welches Innen aktiv ist oder wo wir gerade sind oder was wir warum, wie mit wem machen.
In diesem Zusammenhang ergibt sich die traumareaktive Dynamik erst nach einer ganz anderen Problematik, nämlich der, ein autistischer Mensch unter nicht-autistischen Menschen zu sein und als solcher den Alltag, aber auch die Therapie, die Beziehungen und Lebensthemen zu navigieren.

In Italien zu sein, war eine der krassesten positiven Ausnahmesituationen der letzten Jahre für mich.
Ich mache Ausnahmen. Ich kann Ausnahmen. Wenn ich weiß, wie lange, wofür und warum.
Und manchmal werde ich in so einer Situation über.mutig. Dann denke ich, dass, weil in der Situation, in diesem Moment im Grunde alles möglich ist, weil es eine Ausnahme ist, mir selbst auch alles möglich ist.
Neue Dinge auszuprobieren, fällt mir dann auch tatsächlich leichter. Essen, das ich nicht kenne. Mit Menschen reden, die ich nicht kenne. Irgendwo schlafen, wo ich noch nie geschlafen habe, zum Beispiel.
In einer Ausnahmesituation sind für mich alle Parameter sämtlicher Eigenschaften und möglicher Verläufe in die Zukunft auf einem Level. Alles kann genauso gut, wie schlecht laufen.
Das Gantt-Flussdiagramm in meinem Kopf, über die Abläufe, Funktionen und Mechaniken in meiner direkten Umgebung, wird dann eher zu einer Momentsammlung. In einer Ausnahmesituation kann ich gar nicht viel mehr aufnehmen und prozessieren als den akuten Moment. Ich weiß, dass ich mich an Ausnahmen nur selten so umfänglich und detailliert erinnern kann wie an meinen Alltag. Vor allem nicht, wenn ich mir keine Notizen mache oder Ankerpunkte zum Prozessieren setze. Wie und was genau ich da erlebe – die Kapazität, das einzuordnen und zu bewerten, die halte ich dann gar nicht erst bereit.

Ausnahmen, die ich gezielt zulasse, müssen sich für mich lohnen. Ich muss mich sicher fühlen. Ich muss (wenigstens für mich allein) wissen, dass ich sie jederzeit sofort beenden kann und niemanden dafür brauche.
Dort im Spielzeugladen von Arezzo war die Ausnahme bereits bestehend. Und ich in alle Richtungen offen wie ein Scheunentor. Hätte mich etwas ungünstig getriggert, hätte es mich umklatschen können und tja Ciao Kakao, mal gucken, wie es weitergeht. Es hat mich aber nichts getriggert. Ich stand da, Lisa, die Praktikantin, mit der ich da war, zeigte mir ein besonders weiches Objekt und ich folgte einem Wunsch, die anderen Gegenstände in dem Regal auch anzufassen. Uns, einigen Kinderinnens, Jugendlichen und mir, hat ein Objekt gut gefallen, weil es viele verschiedene Strukturen hat. Wir wollten es haben und wir haben es gekauft. Nicht sofort, aber auf dem Rückweg, als mir klar wurde, dass ich es nicht umsetzen würde, wäre die Ausnahme vorbei. Ohne Ausnahme kaufe ich im Spielzeugladen einen Kreisel oder einen Tüddel oder ein Geschenk. Das ist das Skript. Zu Hause habe ich keinen Anlass für eine Ausnahme.
Wir bezahlten das Objekt, das ich, einmal ausgesucht und länger in der Hand, überhaupt erst als Puppe erkannte, und sagten ja, als wir gefragt wurden, ob sie eingepackt werden soll. Und so brachten wir sie nach Hause. In einer großen bunten Papiertüte, in braunem bedrucktem Packpapier.

Die Tüte stellte ich ins Schlafzimmer, meinen Rucksack in den Flur. Ankommen, auspacken, Wäsche waschen, den Text schreiben, Maillawine auffangen …
Alles war gut.
Bis ich am nächsten Morgen an der Tüte vorbeiging und von echter Panik ins Gesicht geboxt wurde.

die Operation

„Was mir passiert ist – sieht man das innen?“
Das fragte ein Innen, das sich für mich wie eine feste Wattenebelwand anfühlt und immer wieder in den Spalt zwischen der Welt und mir geriet.
Keines der Gespräche mit Ärztinnen, Schwestern und Pfleger_innen, die ich für diesen Tag geübt hatte, enthielt diese Frage. Zu keinem Zeitpunkt wollte ich, dass DAS überhaupt irgendwie Thema wird.

Mir war Abstand wichtig. Sachlichkeit, Objektivität. Mein Fokus lag darauf, meine behinderungsbedingten Bedarfe als etwas zu kommunizieren, was unbeachtet zu Problemen und unerwarteten Entwicklungen führen kann. Ich wollte den reibungslosen Ablauf ermöglichen, der für alle wichtig und gut ist.
Voruntersuchung, Narkose, Operation, Aufwachen. Für mich waren das Checkpoints, an denen ich so unauffällig wie möglich ein- und auschecken wollte. Soweit das mit der Unauffälligkeit eben geht, wenn Gehörschutz, schweres Tier und „Bitte nicht unerwartet anfassen“ zu den Bedarfen gehört.

Ich schäme mich für meine Bedarfe. Bewege mich ständig in Sorge und Angst darüber, die Grenzen des Systems zu berühren, die jeder Klinik inne sind.
In dieser Klinik wurde mir die Angst an vielen Stellen genommen. War nie nötig, dass ich meine Grenzen rechtfertigend erklären musste. Nur nennen musste ich sie. Das fiel mir zunehmend leichter, je öfter ich in Kontakt mit den Behandler_innen und ihrem Team war, denn sie kamen auf mich zu.
In meiner Akte stand bereits nach dem ersten Beratungsgespräch „PTBS Z. n. sex. Missbrauch“, ohne dass ich das genau so aussprechen musste. Es hat gereicht, einen früheren Befund nach einer Gewalterfahrung zu teilen und zu sagen, dass das nicht die einzige Erfahrung war.
Bei jeder Untersuchung fragte die Gynäkologin danach, ob ich bereit bin und beschrieb, was sie tat und wozu. Meine Aufgabe war nicht, einfach alles passieren zu lassen, sondern darauf zu achten, wie es mir geht, damit ich rechtzeitig sagen kann, wenn ich eine Pause brauche oder etwas weh tut. Mir hilft es generell, wenn mein Auftrag an mich als Patient_in ist, meine Selbstwahrnehmung und die Kommunikation dessen zu gewährleisten.

Trotzdem habe ich so lange wie möglich nichts von der DIS und dem Autismus gesagt. Ich wollte keine Bilder entstehen lassen, die mich zu einem Subjekt machen. In einem System wie einer Klinik ist man als Patient_in immer ein Objekt der Behandlung. Jede Subjektivierung führt zu verschobenen Grenzen und praktisch jede verschobene Grenze birgt Verletzungsrisiken für beide Seiten.
Daher mein Anspruch an Objektivität. Mein ständiger Bezug auf Lösungen für Probleme, die ich durch meine Bedarfe entstehend annehme.

Dass ich eine Operation brauchen würde, kam überraschend. Es gab keine andere Behandlungsmethode, um meinen Kinderwunsch zu erfüllen. Und so wurde aus Terminen dann und wann zur Blutabnahme und Ultraschalluntersuchungen eine gynäkologische Operation, die direkt auch der weitergehenden Diagnostik diente.

Es ging mir schlecht und zunehmend schlechter in der Zeit vor dem Termin.
Kurz vor diesem Thema war ich in der Therapie sehr konkret befasst mit meinen Erfahrungen. Hatte über Tage hinweg mit massiven emotionalen Flashbacks und Überforderungsgefühlen zu tun, selbst als sich mir keine Bildfragmente des Erlebten mehr aufdrängten.
Und dann das.
Eine geplante Auslieferung. Eine gezielte Ohnmacht. Ein vorhersehbarer Fokus auf meine Genitalien. Absehbare Schmerzen. Bekannte Risiken für Flashbacks, dissoziative Krampfanfälle und Wechsel in möglicherweise desorientierte Selbstzustände. In einem Rahmen, in dem ich mit meinem Inneren nicht relevant bin für das, was da passieren soll.

Ich war aber relevant für die Menschen dort. Das hat mich überrascht. Und jetzt, wo alles vorbei ist, freut es mich auch.
Es war ein ambulanter Eingriff. Ich war die erste Patient_in.
Mein Mann und ich fuhren in den Anfang vom Sonnenaufgang und hörten Musik, die das Fahren einem Videospiel ähnlich machte. Eine Schwester trennte uns freundlich und leitete mich in das Patientenzimmer.
Alles war ruhig. Das Licht noch gedimmt, die Mitpatientin lieb und grenzbewusst. Ich konnte mich in Ruhe umziehen und merken, wann ich meinen Gehörschutz brauchte. Geholfen hat auch der Bent, über den ich hier bereits geschrieben habe. Ich konnte ihn auf dem Oberkörper behalten, bis ich nicht mehr bei Bewusstsein war. Ich glaube nicht, dass ich ohne ihn noch mit den Schwestern in der Anästhesie hätte sprechen können. Die fanden ihn klasse. Einer Schwester gefiel auch mein Gehörschutz. Alle waren mir liebevoll zugewandt und ließen mir Raum zu verstehen, was gerade mit mir passierte.

Ich hatte Angst als das Narkosemittel einsetzte. Und ich hatte offenbar extrem viel Angst als die Wirkung nachließ. Später erfuhr ich, dass ich einen Flashback ausagiert habe und einen Krampfanfall hatte. Von einer Ärztin für Gynäkologie und Psychosomatik, die einige Stunden später zu mir geschickt wurde.
Die Ärztin war offenbar selbst krank. Das war eine heftige Erfahrung, die ich allerdings nicht allein machen musste. Mein Mann war dabei. Wir haben unseren Eindruck an die vertretende Ärztin und eine Pflegerin weitergegeben und schreiben auch nochmal eine Nachfrage mit informierendem Charakter an die Klinik. Sicher ist sicher.

Ich habe das Narkosemedikament nicht schnell und gut abgebaut. Statt nach 4 bis 6 Stunden konnte ich erst 11 Stunden später nach Hause gehen.
Immer wieder wechselten sich Dissoziation und Sedierung ab. Ich musste mich oft übergeben. Erst spät kamen wir auf die Idee, um ein Medikament gegen Übelkeit zu bitten.
Irgendwo dazwischen kam die Ärztin, die mich in der Kinderwunschklinik untersucht und nun operiert hatte, zu mir, um mir zu sagen, wie es gelaufen ist.
Ich hörte, dass alles gut gegangen sei und auch die Diagnostik keine weiteren Probleme aufzeigte. Und merkte, wie das Innere sich mit dem Druck des Gedankens „Jetzt oder nie“ vorschob, um diese Frage zu stellen.

„Nein. Man sieht wirklich gar nichts davon. Es ist alles soweit gut.“
Heute merke ich erst, wie unfassbar wichtig es war, das zu erfahren.

mit allem Rechnen: Angst + Kontrolle = Selbstsabotage

Woran ich in dieser Woche erinnert wurde: Selbstsabotage

Menschen mit Ängsten so wie ich sind oft richtig super darin, sich Angst zu nehmen, indem sie weit vorausdenken. Planen. Organisieren. Sich ziemlich konkrete Annahmen ableiten, um Vorhersagen machen zu können.
Das ist eine super Strategie, denn wenn man immer mit allem rechnet, kommt am Ende immer ein Plus – nie ein Minus – raus.
Man hat doppelten Schutz: Man wird nie überrascht und selbst wenn doch, hat man es ja schon vorher gewusst. Und einen ziemlich konkreten Plan, was dann zu tun ist, was was wie bedeutet und zu managen ist und so weiter.

Erstes Problem dabei: Man kommt nie in die Situation, dass man keine Angst hat. Das beruhigende Plus am Ende des „mit allem Rechnens“ ist, dass die Angst immer berechtigt ist. Dass es immer gut ist, Angst zu haben. Und dass man den Selbstschutz immer als Reaktion trainiert und statt als etwas, das immer ein wenig da ist und gewissermaßen die Ausgangslage für jedes Handeln bildet.

Zweites Problem: Wenn man die so sorgfältig vortrainierten Katastrophenrettungspläne nicht ausführen kann, wie geplant, kann es zu massivem Selbsthass, Abwertung und Selbstbestrafung kommen und das nächste Angstfeld eröffnet sich.
Bei mir ist das oft Angst vor mir selbst, weil mich die Brutalität in mir drin erschreckt. Ich habe aber auch Angst davor, dann mit anderen Menschen darüber zu reden, weil sie mich nicht verstehen oder nicht mehr mögen könnten. Der Kontakt könnte die nächste Situation werden, nach der ich denke, dass meine Angst berechtigt war.

Und was mache ich, um damit umzugehen?
Ja, richtig: Einen wasserdichten Plan mit allen Toppings aus der Auslage.
Mehr ist mehr.

Die Strategie des Antizipierens und Planens vermittelt oft Kontrollgefühle. Das ist zwar nicht das gleiche wie Sicherheitsgefühle, aber wenn man sich mit Sicherheitsgefühlen noch nicht so gut auskennt, dann verwechselt man das auch schnell mal.
Ich habe mir eine Liste erstellt, woran ich diese Gefühle unterscheiden kann:

  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, fühle ich mich total potent – auch in Bereichen, in denen ich nicht mal Kompetenzen habe.
  • Bevor ich Kontrollgefühle habe, habe ich viele Szenarien analysiert, bewertet, durchgespielt – meine Denkarbeit dafür ist enorm.
  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, dann kann ich viel machen – aber tendenziell weniger fühlen, was außerdem noch da ist.
  • Ich habe vor allem dann Kontrollgefühle, wenn ich allein bin. Das heißt, dass ich (wenn ich den Eindruck habe, es könnte hart auf hart kommen) andere Leute (auch die, zu denen ich gerne Kontakt hätte) wegstoßen, vernachlässigen, ausblenden muss.
  • Ich bin extrem unflexibel, wenn ich Kontrollgefühle habe. „Never touch a running system“ ist dann mein Modus. Niemand bewegt sich – nichts darf sich ändern. Und sei es noch so viel vorteilhafter. Total egal. Ich hab grad mal alles im Griff und bin kein zitternder Angstaal – jetzt ändert sich hier gefälligst mal gar nichts.

Sicherheitsgefühle wirken anders.

  • Wenn ich mich sicher fühle, dann sage ich, was ich kann und wobei ich Unterstützung, Begleitung, Hilfe brauche. Meine Erwartung an das, was ich kann, ist viel realistischer.
  • Und ich sage, was ich brauche, dann nicht mit exorbitantem Vorfühlen und Abtasten und Prüfen, sondern einfach so.
  • Wenn ich mich sicher fühle, dann kann ich die Erfahrung vollständig erinnern. Handeln und Fühlen sind in der Regel kongruent. Ich kann daraus alles Mögliche (und eben nicht nur das Unmögliche) lernen.
  • Im Sicherheitsgefühl belastet mich der Kontakt mit anderen Menschen weniger. Wenn ich mehr Zeit zur Anpassung brauche, dann empfinde ich das irgendwie mehr als Teil des Kontaktes insgesamt.
  • Im Sicherheitsgefühl kommt meine Kreativität, Neugier, Spielbereitschaft, Humor und meine Fähigkeiten, Zuneigung und Liebe auszudrücken, zum Vorschein. Andere Menschen haben dann die Möglichkeit, mich vollständig als Mensch zu erleben – und ich habe die Möglichkeit, vollständig im Kontakt zu sein. (Ist auch gruselig sowas – aber mehr so „Uhuuu „gruselig“-gruselig“)
  • Im Sicherheitsgefühl fühlt es sich manchmal auch gut an, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Der Spruch „Augen zu und durch“ ist in diesem Zusammenhang nicht die ignorante Floskel, die sie ist, wenn man um Kontrollgefühle ringt.

*

Die Erinnerung an den selbstsabotierenden Aspekt des vorausschauenden Planens gegen die Angst hat mir heute in Bezug auf meine Fahrschulstunde geholfen.

Denn was ich die letzten Male seit dem Meltdown ständig versucht habe, ist die Kontrolle über mich und die ganze Situation zu behalten. Ich habe unfassbar starke Ängste, von anderen als gefährlich wahrgenommen zu werden. Ich will nicht abgewehrt eingesperrt bestraft erzogen werden, weil ich mich nicht im Griff hatte. Mein Fokus ist dem Fokus der Fahrlehrerin und allen, denen ich von der Situation erzählt habe, gefolgt: Hauptsache durch da. Irgendwie einfach schaffen und fertig. Nicht weiter drüber nachdenken – machen.
Kontrolle haben und halten und halten und halten und halten – und nebenbei dann halt lernen.

Mich sicher zu fühlen, erschien mir als gefährlich. Nach dem Meltdown hatte ich vor mir selbst das Recht darauf verwirkt. Ich hatte meinen Versuch, den habe ich verkackt. Es war irgendwie logisch, dass es mir ab dem Zeitpunkt nur noch scheiße ging, wenn ich im Fahrschulauto saß oder an die Fahrschule dachte, selbst wenn ich durch den Ort der Fahrschule fuhr.
Obwohl es inzwischen ein halbes Jahr her ist. Niemand verletzt wurde. Allen Beteiligten klar ist, dass es bei einem Meltdown nicht um steuerbare Impulse geht. Heute die ganze Konstellation eine andere ist.

Meine eigentlich ganz hilfreiche Eigenschaft des konsequent seins hat sich richtig ungünstig mit meiner Angst vermischt und mein Umgang damit hat keinen Raum gelassen, die Erfahrung zu integrieren. Im Gegenteil hat er meine Angst immer wieder bestätigt und mich daran gehindert zu begreifen, dass wieder alles okay ist. Soweit man das halt realistisch sagen kann.
Und das ist ein Klassiker der Selbstsabotage.

Also back to the roots.
Wenn man was anders haben will, muss man was anders machen.

Ich habe 8 Stunden geschlafen. Gegessen. Mir was angezogen, das sich gut anfühlt. Habe auf der Fahrt zur Fahrschule einen Podcast gehört, den ich schon seit 9 Jahren jeden Tag mindestens ein Mal höre. Bin eine Strecke gefahren, die ich kannte. War pünktlich. Habe erst aktiv an die Stunde gedacht, als sie wirklich losging. Mich aktiv darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrerin eingreift, wenn nötig bzw. wie sie sich immer dafür bereit macht. Ich habe ausschließlich auf das geachtet, was tatsächlich passiert ist und ausgesprochen, was ich in dem jeweiligen Szenario annehme, was passieren könnte. Die Lehrerin hat mir dann gesagt, was davon realistisch ist und was nicht.

Ich bin nach einer Stunde ausgestiegen und war nicht komplett im Arsch mit Nerven, Geist und Seeligkeit.
Das war richtig gut.
Mach ich nächstes Mal wieder so.

Der kleinste einsame Ort

Sookie war 8, als ich bemerkt habe, wie nah sie mir war.
Dass sie den Unterschied gemacht hat zwischen „frei sein“ und „frei leben“.
Dass ich mir in ihrer Anwesenheit ein Gefühl von Ankommen und Sein zugestehen konnte, das andere Menschen mit ihrer Familie, ihren engen Freund_innen und Verbündeten haben.

Sookie ist jetzt seit fast 6 Monaten tot.
Und ich fühle mich so verlassen und einsam, dass ich mir den Käfig zurückwünsche, in dem ich früher so viel Zeit verbracht habe. Manchmal auch mit Sookie. Vor dem Rausgehen, weil ich Angst vor Gesprächen mit anderen Menschen hatte. Nach dem Rausgehen, weil mich der Selbsthass über mein Sein und Sprechen mit anderen Menschen innerlich verbrannt hat. Vor Betreuungsterminen. Nach Betreuungsterminen. Vor der Therapie, nach der Therapie. Jeden Tag während des ersten Ausbildungsjahrs.

Mit der Partnerschaft mit meinem Mann und den ganzen Entwicklungen, die sich daraus ergaben, habe ich den Käfig immer weniger gebraucht. Es hat sich immer weniger so angefühlt, als bräuchte ich einen Ort, an dem die Welt und ich in sicherem Abstand voneinander existieren. Ich habe die Blase von Sookie und mir für ihn erweitert.

Und jetzt ist da keine Blase mehr.
Wenn wir uns jetzt missverstehen, dann ist da nichts mehr, das mich in meinem Bindungsgefühl hält. Da ist der gleiche umfassend vernichtende Selbsthass, wie ich ihn im Kontakt mit jedem anderen Menschen in so einem Moment hätte. Da ist der gleiche Impuls zur Selbstvernichtung wie früher. Nichts, das sicher erscheint. Nichts, das Halt gibt. Kein Momentum in Bewegung. Nur die absolute Frei-von-heit im unendlichen Raum dessen, was man nicht vorhersehen, nicht überblicken, nie sicher wissen kann.

Da ist nur noch Erinnerung. Imagination.
Eine Blase in der Seele. Der kleinste einsame Ort.

die to-not-do Liste

Ende Mai erlebte ich einen Meltdown in einer Fahrschulstunde und schrieb hier darüber.
Wenige Tage später ist Sookie gestorben. Die Prüfung hatte ich nicht bestanden.
Die zweite, wenige Wochen später, ebenfalls nicht.

Mein Problem: Angst.
Nicht vor dem Autofahren. Nicht vor dem Verkehr.
Vor Missverständnissen. Unverständnis. Druck. Unzutreffenden Motivationsphrasen. Beobachtet werden. Fehlannahmen über meine Fähig- und Fertigkeiten. Meine Ortskenntnisse. Meine Kraftreserven.

Und: Der Umstand, dass meine Angst bereits umfassend bestätigt wurde. Sowohl im kleinen Dauerelend, das meine Interaktion mit anderen Menschen ist, als auch im großen Horror des Meltdowns.

In zwei Wochen habe ich wieder Fahrstunden. Weil ich darum gebeten habe.
Ich will das weghaben. Es gibt gerade zu viele Bereiche in meinem Alltag, die mit Angst zu tun haben. Ich will Siege. Heroische Momente von Überlegenheit über die Angst.
Und jetzt sitze ich doch hier und habe

Angst.

So richtig mit Schwitzen, Durchfall und Puls im Hals. Einfach nur, weil ich jetzt Termine habe und entsprechend auch wirklich was damit machen muss.
Es ist nichts passiert. Außer eine reale Möglichkeit.

Ich weiß, dass das der Punkt ist, an dem ich üblicherweise Vermeidungsverhalten anbahne. Deshalb schreibe ich das hier auf. Sehr wahrscheinlich will ich mega mega busy sein in den nächsten zwei Wochen. Ich hab ja immer so wahnsinnig viel zu tun. Dies und das und ja, ich bin ja immer so wichtig für alles Mögliche, das natürlich auch immer des Todes unverschiebbar ist.
Aber vielleicht auch mal nicht?

Ich werde eine to-not-do Liste schreiben.
Alles, was ich machen will, um mich zu betäuben, schreibe ich auf.
Vielleicht teile ich sie hier.

die Bewerbung

Spät am Abend sitze ich am Computer und schreibe eine Bewerbung. Kein neuer Job. Ein Assistenzhund.
Nun also doch. Vielleicht. Wenn.
Und wenn.

Es sind klassische Hundevermittlungsfragen, die der Verein stellt. Wer, wie, wo? Was sind die Wünsche und Hoffnungen in Bezug auf das Tier? Und die Frage, wie meine Krankheit denn aussieht.
Es wühlt mich auf. Macht mich unsicher.
Ich schreibe auf wie ich wohne und das Bewusstsein um meinen Platzreichtum umspült mich mit Scham. Es geht mir so gut und ich will noch mehr. Meine Lebensumstände sind so stabil, so gesichert und gestützt und was will ich: etwas anderes.

Meine Krankheit ist chronisch, deshalb begreife ich sie als Behinderung.
Meine Traumafolgestörung ergibt sich aus psychischen wie physischen Anpassungen an für mich ungünstige Lebensumstände. Wieder spüre ich Scham und wie viel Anstrengung es mich kostet, trotzdem weiterzuschreiben. Ich weiß inzwischen sehr sicher, dass meine Symptomatik nicht unüberwindbar sein muss, um als solche anerkannt zu werden. Weiß, dass ich, um als Mensch mit Behinderung verstanden und anerkannt zu werden, nicht in Asche und Ohnmacht leben muss. Es darf mir gut gehen. Ich darf gut eingepackt in Fürsorge, Unterstützung und Freiheiten leben und gleichzeitig anerkennen, dass es Punkte gibt, die davon für mich ganz persönlich einfach nicht berührt sind.
Aber diese Punkte sind mir peinlich. Sie berühren Aspekte meines Seins und Erlebens, die schon mein ganzes Leben eine Rolle spielen und konstant Teil der konflikthaften Interaktion mit anderen Menschen sind.
Seit ein paar Wochen spulen sich diese Erfahrungen in einer ständigen Wiederholung in mir ab. Egal, was ich mache, ich nehme die innere Abwertung wahr und den Druck, den sie aufbaut. Nach 15 Jahren, in denen ich mich über meinen Hund daraus orientieren, versichern und beruhigen konnte, baut sich der Strudel wieder auf und ich gerate in die gleichen kommunikativen Momente der Ohnmacht und Starre wie vorher. Es kostet unfassbar viel Kraft, trotzdem weiterzumachen. Mich trotzdem zu ver- und umsorgen. Mich trotzdem zu behandeln, als wäre ich es wert. Mit anderen Menschen zu sprechen, als wäre ich es wert. Mir etwas vorzunehmen und zu versuchen, als sei es nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, bescheuert, abstoßend oder unsinnig, gerade, weil ich es tue. Mich nach Misserfolgen oder Fehlern nicht massiv zu verletzen oder meinen Suizid als unausweichlich notwendig einzuschätzen.

Ich weiß, was da los ist. Weiß, dass ich das in der Therapie zum Thema machen muss.
Es ist in dieser Lage keine Lösung, einen Assistenzhund zu haben. Aber ein Umgang. Ein anderer als Selbstverletzung, Vermeidung oder ein mentaler Zehnkampf jeden Tag, an dem es keine Momente der Regulierung, keine Augenblicke allgemeiner Okayheit gibt. Es ist ein Umgang, der mir in den letzten Jahren ermöglicht hat, hier herzukommen. In eine stabile fürsorgliche Partner_innenschaft, in eine Arbeitsstelle, die mich fördert und auf mein autistisches Erleben zugeschnitten ist. In ein therapeutisches Momentum, in dem für mich real annehmbar ist, dass ich an den Dingen arbeiten kann, die mich belasten. In eine Situation, in der ein Assistenzhund nicht nur gut arbeiten, sondern auch gut leben kann.

Diese Bewerbung ist nur ein erster Schritt für ein erstes Gespräch.
Dieses Mal habe ich nicht die Zeit für eine Selbstausbildung. Und dieses Mal möchte ich einen Hund, der weniger reizoffen ist, als Sookie es war. Ich brauche jetzt keinen Hund mehr, um zu lernen, wann Umstände wirklich aufregend und möglicherweise überfordernd sind. Heute brauche ich einen Hund, der mich in meinem Bedürfnis nach Beruhigung und Versicherung unterstützt. Ich denke also über eine andere Rasse nach und eine entsprechende Zucht.
Das ganze Vorhaben wird eine Zeit dauern. Jemand anderes wird die Ausbildung für mich übernehmen und ich die süßeste und härteste Zeit mit diesem Hund nicht miterleben.
Ich muss mir noch genau überlegen, ob ich das wirklich so möchte oder als etwas akzeptiere, das anders einfach nicht geht.

Aber nichts machen, weil ich unsicher bin, ist genau das, was ich jetzt nicht machen will.
Gerade jetzt ist es wichtig, mir keine Traumawahrheiten zu bestätigen.

Prozess

Der Lauf der Dinge.
Eine Bewegung. Prozess aus Prozessen für Prozesse, mit bei an in und um Prozesse herum. Ich könnte ihn „das Leben“ nennen, doch dieses Wort erscheint mir oft zu aufgeladen. Das Leben geht weiter – der Lauf der Dinge mäandert und hat das Leben in sich. Er wandelt, schlängelt, drückt, zieht, trägt, hält, wiegt, entwickelt und vergeht. Und mehr. Es ist immer mehr.

Als wir uns für das Leben entschieden, entschieden wir uns auch für die Hingabe zum Lauf der Dinge. Ich finde oft Trost in der Vorstellung, dass meine Existenz wie eine kleine Luftblase in diesem großen, universellen Strom fließt. Egal, wie einsam ich mich fühle – ich weiß, dass ich ins Universum gehöre. In die große weltliche Gemeinschaft all dessen, was lebt.
Aber Sookie lebt jetzt nicht mehr. Ihre Reise im großen Strom hat sie an einen Punkt getragen, den ich noch nicht erreicht habe – obwohl wir beide einander so nah waren. Ab jetzt ist nichts von dem, womit ich mich in der Welt bewege, womit ich sie erfahre und einschätze, anwendbar, wenn es um Sookie geht. Und das verunsichert mich.

In den letzten Wochen hatte ich oft Gedanken und Fragen, die nicht sicher zu beantworten sind. So etwas ist für mich immer sehr ungünstig, weil ich nicht aufhören kann, darüber nachzudenken. Nach einem Weg für eine Antwort zu suchen. Über mögliche Lösungen aus den Konflikten, die dabei entstehen, auszusteigen oder sie zu befrieden.
Und jeden Tag gibt es Dinge, die ich zum ersten Mal ohne Sookie mache. Jeden Tag werde ich daran erinnert, dass ich diese Fragen noch nicht sicher beantwortet habe. Weil sie nicht zu beantworten sind. Jeden Moment bewege ich mich in einem Zweig des Laufs der Dinge, der ganz grundsätzlich neu ist. Fremd. Verunsichernd. Während alles unbeirrt weiterströmt, weil auch dieser Prozess, der gerade mit mir passiert, dazugehört.

Ich bringe gerade viel Kraft dafür auf, in dieser meiner Transformation niemanden zu stören. Die Menschen, mit denen ich heute überwiegend zu tun habe, kennen mich nicht ohne den Boden unter den Füßen, den Sookies Anwesenheit mir gegeben hat. Sie sollen nicht merken, wie viel größer, wie viel unsicherer, wie viel anstrengender jeder meiner Schritte jetzt ist. Sie sollen nicht wissen, dass ich sie nicht als meinen Boden, meine erste feste Basis im Leben empfinde, sondern eher wie günstig liegende Trittsteine. Haltestangen. Lose Taue, deren Enden mich unvorhergesehen streifen und aus schierem Glück in der Lage sind, mich dann und wann in Kontakt zu bringen.

Ich versuche mich nicht mit Arbeit zu betäuben. Und auch nicht mit dem ständigen Input aus Podcasts, wissenschaftlichen Artikeln und Instagram-Reels, der mich üblicherweise im Kontakttraining hält. Das fällt mir im Moment sogar ganz leicht, denn es gibt gerade nicht viel, das hängenbleibt, umfassend verarbeitet wird oder mich mit dem Gefühl von tieferem Sinn erfüllt.
Ich bin sehr verlangsamt in der Reizverarbeitung, muss länger als sonst darüber nachdenken, wie ich fühle oder welche Gedanken ich in bestimmten Situationen hatte. Sehr ungünstig in einer Fahrschulstunde. Problematisch für eine Partnerschaft. Unpraktisch in der ersten Woche am neuen Arbeitsplatz. Nachteilig für Gruppenprojekte, den Podcast, meine Ehrenämter. Gefährlich für meinen Schutzmantel aus So-tun-als-ob.