die Ausnahme, Teil 2

Ich hatte keine Ahnung, was mich so irritierte, aber immerhin altbewährte Reaktionswege. Angst. Die bekomme ich einfach immer unter.
Mir war schon am nächsten Tag klar, dass ich Hilfe brauchen würde. Noch konnte ich meine geistige Verfusselung auf Reisemüdigkeit und Erschöpfung von der vergangenen Woche zurückführen. Aber als ich am Abend merkte, dass ich überlegte, im Büro statt im Schlafzimmer zu schlafen, war klar, dass ich auf direktem Weg auf die Tanzfläche für einen Vermeidungstanz war.

Der informierte Traumamensch denkt in dem Zusammenhang an Trigger. Was ist mit der Puppe? Habe ich mal was Schlimmes mit Puppen erlebt? Gibt es in mir drin Täter_innenintrojekte, die das Objekt nutzen, um Gewalt im Inneren zu wiederholen? Habe ich mich in Traumawahrheiten verstrickt, nach denen ich nichts Schönes haben darf oder nicht es nicht wert bin?
Ich wusste, dass meine Therapeutin mit mir diese Schiene abfahren würde. Und ich wusste, dass ich ihr keine dieser Fragen ohne größere Tiefenwanderung beantworten könnte. Ich müsste mich für Kinderinnens und andere Seiten öffnen, um das Problem wenigstens eingrenzen zu können. Aber hier zu Hause, unbegleitet, unstrukturiert und spontan, machen wir sowas nicht.
Wir haben trotzdem miteinander telefoniert und versucht, eine erste grobe Idee zu bekommen. Am Ende hatte ich keine grobe Idee. Aber ich konnte die Angst teilen und wissen, dass wir beim nächsten Termin daran arbeiten würden, würde ich keine eigene Lösung finden.

Vor ein paar Jahren hätte ich in so einer Situation auch noch den Begleitermenschen anrufen können.
Der ist aber seit einigen Jahren nicht mehr Teil meines Hilfenetzwerks. Deshalb habe ich versucht, seine Fragenstruktur anzuwenden.
Was genau löst die Angst aus? Ist es die Präsenz des Objektes oder seine Beschaffenheit oder virtuelle (implizite oder theoretische) Elemente, die dadurch zum Tragen kommen? Wäre die Angst weg, wäre das Objekt nicht mehr da?

Die Frage hat mir dann weitergeholfen.
Ein bisschen „Erstangst“ wäre dann zwar weg, aber das auslösende und noch unbekannte Problem bestünde weiterhin und das würde zu meinem täglichen Grundrauschen der Unsicherheit (und Angst) beitragen.
Es waren also mehrere Punkte.
1. Ich weiß den Auslöser nicht. (Kontrollverlust)
2. Ich weiß nicht, was ich machen soll. (Ohnmacht)
3. Ich fühle mich nicht sicher damit, etwas auszuprobieren – einfach irgendwas zu machen, ohne zu wissen oder gesagt zu bekommen, ob und wenn ja, wie es wirken würde. (Hilflosigkeit)
4. Die Menschen in meinem Leben müssen konkret gesagt und erklärt bekommen, was mich belastet und warum (und wie sie mir helfen können), damit sie mich nicht ungewollt verletzen oder Überanstrengung auf beiden Seiten entsteht. (zwischenmenschliche Trigger- und Belastungssituation für mich, Verzweiflung)

Mit meiner Therapeutin landete ich am Telefon bei der Frage, ob ich schöne Dinge wirklich haben darf oder ob Erwachsene Geld für eigene Spielsachen ausgeben dürfen, dies das. Nach der Analyse ausgehend von der Angst als solcher, war mir sehr klar, dass es damit wenig zu tun hatte und ich jetzt akut erst einmal ins Angstmanagement gehen musste. Die Analyse gehört bereits dazu – mir hilft ein klarer Überblick eigentlich immer, um mich etwas sicherer zu fühlen.
Dann bin ich am Tag öfter als sonst durch das Schlafzimmer und an der Tüte vorbeigegangen. Wenn ich telefoniert habe, wenn ich meine Wäsche eingeräumt habe. Wenn ich mal zufällig einfach so aus dem Fenster schauen wollte. Meine Dehnübungen gemacht habe. Gezielte Desensibilisierung. Absichtliches Aussetzen, um zu begreifen, dass der Gegenstand unabhängig von mir und nur ein Gegenstand ist, der aus sich selbst heraus nichts macht. Also ich ihn mehr kontrollieren kann, als er mich.

Erst war es schwierig, weil es Zitat „umständlich behämmertes Rumgetue, wegen nichts ist“. Dann wars egal und die Angst eigentlich nur noch da, wenn ich mich darauf vorbereitet habe, sie in die Therapiestunde mitzunehmen. Wo ich mir einen Umgang erarbeiten wollte, aber noch nicht wusste, wie genau, weil ich noch weniger als sonst wissen konnte, ob meine Therapeutin mich überhaupt versteht oder wenigstens das Problem sieht, das ich noch nicht sehen kann. Weshalb ich es ihr nicht schildern und erklären kann, weshalb wir diffus herumsondieren und probebohren würden und es ein gewisses Absturzrisiko für mich dabei gibt.

Solche Stunden hatten wir vor der Autismusdiagnose und ihrer Anpassungsarbeit daran ständig und das war fürchterlich. Fürchterlich anstrengend. Frustrierend. Wenig hilfreich und in manchen Aspekten eine Weiterführung meiner früheren Therapieerfahrungen. Damals habe ich versucht, dem diffusen Rumgebohre zu entgehen, in dem ich das Gespräch vorher in alle Richtungen in meinem Kopf geführt habe, um nicht von mir selber überrascht zu werden und dann nicht zu wissen, was ich machen soll.  Was natürlich fast nie funktioniert hat. Aber Teil meines Angstmanagements war. Auf diese Weise hatte ich die Stunde jeweils schon einmal durchgearbeitet und mich auf alles (wirklich alles) Mögliche vorbereitet – sie dann wirklich zu machen, war so kein Gang ins absolut Ungewisse, keine Auslieferungssituation mehr.

Heute bereite ich mich anders auf die Stunden vor. Nach 12 Jahren gemeinsamer Arbeit wartet in mir niemand mehr darauf, dass meine Therapeutin mir ungefragt und sexuell motiviert (körperlich) nahekommt, Partei für meine Eltern ergreift oder Druck darüber aufbaut, wie schnell oder in welcher Art irgendwelche Fortschritte für sie erkennbar sein sollten. Wir kennen ihre Gesprächsführung und können in den letzten Jahren auch viel besser abschätzen, was sie meint oder worauf sie sich bezieht. Wir haben einen für mich guten Grad an Konkretheit gefunden, der mich enorm entlastet und entsprechend auch viel weniger Versagensängste und Stress produziert.
Ich kann mich heute darauf konzentrieren, worüber ich reden will und brauche nicht mehr zu verstecken, wenn ich meine Therapeutin nicht verstehe oder unter Druck gerate oder Angst bekomme oder mich generell hilflos fühle. Und trotzdem möchte ich mich natürlich nicht so fühlen. Vor allem nicht im therapeutischen Setting, das für mich so vorbelastet ist.
Und doch lässt es sich in manchen Momenten nicht verhindern. Diesen Momenten, wo Autismus und Komplextrauma so wirklich überhaupt gar nicht voneinander zu trennen sind. Weder für mich noch für sie.

Als ich die Treppen zur Praxis meiner Therapeutin hochging, hatte ich eine Woche hinter mir, in der ich bewusst nicht weiter ins Vorausdenken der Stunde gegangen bin. Ich wollte darüber reden, was ich denke und was ich von mir wahrnehme – Punkt. Bedeutung dies das – diese Ebene kann meine Therapeutin schneller sehen als ich und mich entsprechend befragen. Ich kann dann selbstbestimmt prüfen, ob da was dran ist oder nicht.

Die Stunde wurde so lang und anstrengend, wie erwartet. Aber kurz vor ihrem Ende wurde mir mein Problem klar:
Mir fehlte ein Handlungsskript für Neuheiten dieser Art in meinem Leben und ich musste es mir alleine erarbeiten. Und jetzt doppelneu – möglichst nicht komplett brutal entkoppelt von Kinderinnens oder anderen Inneren, die sonst überhaupt nichts in meinem Dunstkreis zu suchen, finden, wollen oder besitzen haben. Und trotzdem mittendrin sind. Und ihrerseits auch versuchen, mit meiner Therapeutin in Kontakt zu kommen.
Ja.
Es ist einerseits so banal (einfach nur auf etwas Neues, Ungewohntes, mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf mich klarkommen müssen) und andererseits so eine komplexe Herausforderung.

Neues ist für mich sauschwer. Neues kenne ich nicht. Ich bin noch nicht daran angepasst, nicht vertraut damit, nicht vertraut mit mir darin und entsprechend weder sicher noch kontrolliert. Und Neues ergibt sich für mich sehr schnell, weil ich Unterschiede sehr schnell erkenne und die betrachteten Dinge, Gegenstände, Situationen entsprechend als komplett unterschiedlich einordne.
So habe ich schon oft Puppen gekauft und fühle mich gut damit – sogar so gut, dass ich mich komplett in die Überheblichkeit aufschwingen kann.
Ich habe aber noch nie eine Puppe für mich gekauft, was es für mich insgesamt zu einer komplett anderen Sache macht, die ich noch nicht kenne und für die ich noch kein Handlungsskript von Anfang bis Ende, keine Selbsterfahrung und Erfahrungskompetenz habe. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll oder tun könnte. Geschweige denn, wie genau. Mein Kopf ist diesbezüglich einfach leer. Ich kann nichts umsetzen.
Das ist kein bockiger Quirk, keine Folge von Todesangst. Das ist ein angestrengtes gegen das eigene Gehirn ankämpfen. Das ist eine exekutive Dysfunktion. Die mich wiederum an Todesängste bringt, weil es mich an sämtliche Erfahrungen erinnert, in denen ich in meiner Hilflosigkeit und Ohnmacht einfach nicht gesehen, erkannt, aufgefangen oder begleitet wurde.
Erfahrungen, wegen derer ich heute selber denke, ich würde mich anstellen. Könnte doch, wenn ich nur würde oder wollte. Wegen derer ich überhaupt nur den Impuls habe, solche Schwierigkeiten und Kämpfe zu verschweigen oder unsichtbar zu halten, obwohl es mich viel Kraft kostet und auch meinen Raum für mich selbst total verkleinert und das Bild anderer Menschen über meine Fähig- und Fertigkeiten enorm verzerrt. Überwiegend zu meinem Nachteil übrigens.

An jenem Ende der Therapiestunde fragte meine Therapeutin im Hinblick auf unsere verbleibende Zeit und das bisher ergebnislose Gespräch: „Was machen wir jetzt?“
Für mich war es gut, dass sie das genau so formuliert hat. Wir – was machen wir jetzt?, da war die Erinnerung für mich drin, dass sie da war und ich nichts allein versuchen müsste. Also überlegte ich noch einmal, was ich mich auszuprobieren trauen würde, jetzt, wo eine ganz andere Sicherheit über die Gesamtlage bestand.
Ich schlug vor, eine Erwachsenensache daraus zu machen. Ich könnte den Schritt des Auspackens hier machen und dann gucken, wie es zu Hause ist, damit wir das Thema nicht in die nächste Stunde mitnehmen müssten. Dann müsste das Kinderinnen, das ihr die Puppe auch zeigen wollte, halt damit leben, dass der Kontakt so nicht geht. Mir wäre das auch ganz recht … 1, 2, 3 Vermeidungstanzschritt nach links 2, 3 …

Meine Therapeutin hatte vergessen, dass sie eine Nachricht mit dem Wunsch bekommen hatte, als wir in Italien waren. Ich nicht. Ich wusste, dass sie die Nachricht überhaupt nur bekommen hatte, weil die Ausnahme bestand und war ganz froh darum, dass sie bisher überhaupt nicht weiter darauf eingegangen war, außer nach Erhalt der Nachricht positiv zu antworten.
Grundsätzlich gilt: Ausschließlich in Situationen, die von uns aus innerlich zu lebensgefährlichen Situationen werden könnten, darf exakt ein Kinderinnen (nämlich das, was ich nicht unterdrücken kann und bereits Kontakt mit meiner Therapeutin hatte) Nachrichten an sie schreiben. Für Killefit und Scheiß (also alles andere) bedarf es einer Ausnahme.

Sie verfolgte den Faden um die Nachricht weiter und drückte aus, dass es ihr wichtig wäre, diesen Anteil nicht auszuschließen. Ich entgegnete, dass sie die Nachricht ja nur wegen der Ausnahme über die Zeit in Italien bekommen hatte. „Und jetzt ist ja keine Ausnahme, jetzt ist hier Erwachsenenalltag, um den es geht, ALSO GEHT DAS ALLES GAR NICHT“, schrie ich* (*definitiv nicht nur ich) inzwischen maximal frustriert. In meinem Kopf. Natürlich. Sicher ist sicher.

Wir haben dann noch mal eine Weile gebraucht, bis wir eine Ausnahme als nötig und den Umständen angemessen beschließen und von meiner Seite aus auch bewilligen konnten.
Und im Nachhinein betrachtet sehe ich selber, was für eine logische Fortführung das war. Obwohl wir bisher keine Ausnahmen in der Ausnahme gemacht haben. Denn Therapiestunden sind ja bereits eine kommunikative Ausnahme, weil (und je nachdem wie) der Arbeitsraum das erfordert.
Ich konnte an dem Punkt anerkennen, dass ich es anders nicht lösen können würde.

Die Sache – Italienreise, Puppenkauf für mich – ist an sich extrem außergewöhnlich gewesen für mich.
Ich war nicht zu Hause. Alles war anders. Ich habe (für mich) komplett andere Sachen gemacht als sonst. Und das alles ist in dieser Ausnahmenblase geblieben. Bis auf die Puppe und die Nachricht an meine Therapeutin. Ich musste für die Erarbeitung des inklusiven Umgangs damit einen Ausnahmeraum erlauben.

Und als wir an dem Punkt waren, ging es ganz leicht. Extrem merkwürdig, ungewohnt und teilweise ich-fremd, aber absolut nicht so schwer wie alles in den anderthalb Stunden davor, um überhaupt dahin zu kommen.
Es hat geholfen, dass meine Therapeutin das nicht extra kommentiert hat. Für mich war wichtig und gut, dass sie akut mit mir in dem Moment war, für mich ansprechbar war, für mich die Situation absichernd, mich in dem, was ich da tat, versichernd war. Wie es Lisa in dem Laden übrigens auch war. Wie es Daniela und Matthias, das Team in der Hilfeeinrichtung in der ganzen Ausnahmesituation in Italien auch waren. Sie wussten das nicht so in dem Zusammenhang, aber vielleicht war das auch genau gut für mich.

Die Ausnahme hat mir diese Art der Verbundenheit, des Kontaktes ermöglicht. Gleichzeitig hätte ich niemals irgendeine Ausnahme zugelassen, hätte es weder Kontakt noch Verbundenheit gegeben.
Weil alles anders war als sonst, konnte ich etwas anderes als sonst tun – das ist, weshalb die Therapie mein einziger konstanter Ausnahmeraum ist und bis zum Ende der Behandlung auch bleiben wird.
Vielleicht – wahrscheinlich – egal, wie viele Ausnahmen ich in dieser Ausnahme noch brauchen werde, um mich neuen Dingen, Umständen, Selbsterfahrungen anzunähern und darin er.kennen, verstehen und meine Handlungsoptionen zu lernen.

Bis zu dieser Stunde war mir das nicht bewusst.
Und was das für mich bedeutet, wie es sich anfühlt, wie wer in mir darüber denkt – darüber kann ich nachdenken, wenn ich mich daran gewöhnt habe, dass es jetzt einen ersten Gegenstand in meinem Haushalt gibt, der eine außerordentlich weitreichende Ausnahme bezeugt.

09072020

Als ich aufwache, liegt die Wärmflasche neben mir. Das Wasser schütte ich direkt wieder in den Wasserkocher, die ganze Wohnung ist kalt. Morgenwäsche, Blick in den Garten, Regen, kalt, Wärmflasche am Bauch, kurze Prüfung an der Haut, ob zu heiß oder nicht. Was machen, was machen, was muss das muss, was will das kann, Donnerstag, Tag voller Leere, so kalt, so kalt. Ich besuche den Freund, füttere die Hunde, gehe wieder hoch, heute kommen die pflegeleichten Stauden mit der Post. Warten, frösteln, der Steifheit nachfühlen, ziellos am Schreibtisch schweben und sich an Unerledigtheiten stoßen.
Die Kälte nimmt mich ein. Das Warten auf den DHL-Wagen. Ich kann mich nicht konzentrieren. Alles ist steif und umständlich, ist mir unsortiert und unförmlich. Bin ich verdisst? Nein. Ich bin blockiert. Behindert. Mir geht es gut. Ich bin voll da. Nur nicht da, wo ich sein muss, um mit der Arbeit anzufangen. Was ist veränderbar? Die Kälte. Ich schalte zwei Heizungen wieder an und toaste mir Brotscheiben zum Frühstück mit Tee. Das klappt. Enthindert. Bringt einen Fluss in mich. Verändert meinen Aggregatzustand. Ist der DHL-Wagen schon da? War er schon da? Nein. Weiter warten. Der Zustellungsprozess passiert in einem anderen Lauf der Dinge, wir treffen uns nur. Ich habe hier einen eigenen Lauf. Wenn ich ihn mir herstellen kann.

Ich lese den Artikel „Asperger und Kommunikation“ und denke, dass ich vieles davon über mich gut weitergeben könnte. Obwohl mich die Bezeichnung „Asperger“ als Personenbezeichnung total ver.stört. „Der Asperger“. Ich mag nicht, dass Leute glauben, es wäre für alle okay so bezeichnet oder gedacht zu werden. Ich bin kein Asperger. Auch kein Aspie. Ich mag „Autie“, wie es Polly Samuel in einem ihrer Videos mal in einer Reihe von Selbstbezeichnungen erwähnte. Aber ich bin auch das nicht. Ich bin ich. Wir. Vielleicht. Auch. Egal.

Bald Mittag. Noch kein Handschlag Arbeit passiert. War DHL schon da? Nein. Es regnet wieder. Sicherlich sind einige Dinge von Wichtigkeit zu tun. Doch nichts überragt die anderen darin. Alles ist gleich wichtig, ich kann aber nicht alles gleichzeitig anfangen, ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen könnte. Atmen. Konzentration. War das DHL-Auto schon da? Manchmal hilft es mir zu schauen, was am nächsten Tag fertig sein muss. Das erzeugt eine Deadline und der Aufgabenbrei bekommt mehr Konturen, an denen entlang ich dann nur noch die Abläufe herausschälen muss. Morgen ist das Treffen der E-Book-AG, ich wollte bis dahin herausfinden, wie man welche macht. Ich habe es aufgeschoben. Es ist komplex, helfen kann mir niemand. Aus irgendwelchen Gründen findet man zu allem Quatsch mehr gute Tutorials als übers E-Book-machen. Ich nehme einen Text und forme ihn zu einem E-Book. Fummle hier, klicke da. Lese, klicke, scrolle, prüfe, teste.

Halb 4 gehe ich mit den Hunden raus. Bin erschöpft.
Vor der Haustür steht das Paket mit den pflegeleichten Stauden. DHL war da und ich ganz woanders.

Autismus, Trauma, Kommunikation #7 oder: Drogen und Psycho(trauma)therapie

Die taz hat am 2. Februar einen Text zu Drogen, speziell Halluzinogenen, in der Psychotherapie veröffentlicht, den wir mit großem Interesse gelesen haben.
In dem Text wird auf die Geschichte der Stoffe, die Behandlungserfolge und –risiken eingegangen und aufgezeigt, dass die Forschung weitergeht. Klein und spezifisch, aber immerhin.

Für uns persönlich ist klar, dass wir konkret diese Art der Drogen nicht nehmen können, ohne mit Scheiße rechnen zu müssen. Wir haben vor, während und nach Gewalterfahrungen Medikamente/Drogen/Zeug bekommen, die uns heute die Einordnung und Erinnerung der Erfahrung als lineares Geschehen, das real vielleicht so – vielleicht aber auch anders – total erschwert.

Hier meinen wir auch nicht nur illegalisierte Drogen. Schon stärkere Schmerzmittel als Ibuprofen erschwerten damals die Einordnung, wie schlimm es denn nun wirklich war. Es hat ja gar nicht mal so weh getan – eigentlich hat sich alles irgendwie dumpf angefühlt? – hm – war das denn jetzt Gewalt, wenns weder weh getan hat noch eindeutig schlimm war?

Als Jugendliche_r und junge_r Erwachsene_r haben wir eine Dauermedikation mit Tranquilizern und Antidepressiva gehabt. Die Gewalterfahrungen, die wir in der Zeit gemacht haben, sind alle mehr oder weniger dumpf verwattet im Nebel. Auch, weil wir zu der Zeit Drogen/Zeug/Medikamente geschenkt gekriegt und auch auch genommen haben. Weniger, weil wir wussten, dass wir damit gar nicht mal so merken würden, was mit uns passiert, sondern, weil es zu dem Zeitpunkt schon die Routine war. Also ein Teil der Gewalterfahrungs-/Traumakette und einfach dazugehört hat.

Körperlich und psychisch abhängig, waren wir in der ganzen Zeit jedoch nur von zwei Dingen: Tavor und Zopiclon.
Medikamente, die uns jahrelang verschrieben wurden, um mit den Traumafolgen besser umgehen zu können, weil es keine andere Option gab. Die hätte nämlich 24/7 und 1:1 unterstützte Reorientierung bei intensiver stationärer Traumatherapie mit weiterführender Arbeit in familienähnlichem sozialem Gefüge im Anschluss sein müssen. Aber woher nehmen, wenn von nirgends gegeben?

Trotzdem haben wir schon öfter darüber nachgedacht, dass wir manchmal bekifft in unserer Therapie weiter kommen würden als jetzt. Nicht, weil es uns irgendwie verbessern würde. Eher, weil wir bekifft weniger gehemmt sind und uns das Sprechen erheblich leichter fällt. Die paar Male, die wir gekifft haben, war zu Sprechen und Dinge zu sagen, nicht das bewusste Handeln, als das wir es im Alltag erleben, sondern mehr das, was wir unter “intuitives Interagieren/Kommunizieren” verstehen.

Wir hatten auf THC nie Fressflashs, Lachattacken oder – aber das kommt ja eh erst bei längerem Konsum – diese spezifische Kiffdumpfheit, bei der man nicht mehr von Dingen, Menschen oder Momenten emotional erreicht wird. Wir waren auch nie “breit” oder so. Wir waren einfach nur enthemmt, entkrampft und hatten einen normalen Muskeltonus – waren also noch nicht mal “entspannt”, sondern einfach “mittel” – um es zu bemühen: Ja, “normal”.

Durch eine Therapeut_innenbrille könnte man sich fragen, ob wir uns denn nicht sicher fühlen in der Therapie mit unserer Therapeutin. Ob wir denn bei ihr nicht richtig im Hier und Jetzt orientiert sind, weil das ja einzig das Ding dabei sein kann, dass wir gehemmt sind, über Dinge zu sprechen. So sehr, dass wir manchmal denken, bekifft zu sein würde helfen, das zu überwinden.

Dem können wir nur sagen, dass wir durchaus entspannt sind in der Therapie. Für unsere Verhältnisse mega entspannt, denn wir können da sitzen, können da zuhören, mitdenken, in uns reinfühlen, uns reflektieren und mehr oder weniger konstant auch verbal äußern. Für uns ist das das Maximum an Entspannung und Chill, den wir mit anderen Menschen im Raum, in relativer Nähe erreichen können.
Schon, dass wir bei der Therapeutin, die wir jetzt haben, nicht immer wieder selbstschädigendes Stimming brauchen, um arbeiten zu können, deutet auf unsere Entspannung hin.

Entspannung ist aber nicht das Gleiche wie Enthemmung.
Und Vertrauen ist auch nicht alles, was Hemmungen abbaut bzw. auflöst.

Was uns in der Therapie hemmt sind viele Dinge gleichzeitig. Klar, manches ist total nachvollziehbar. Scham zum Beispiel. Glaubenssätze, die man so für sich hat, so weit weg von der ‘Normalität’ und dem Außen, dass man sich fürchtet, dass sie lächerlich, unverständlich, peinlich oder für die Therapeutin ängstigend sein können.
Oder auch einfach, die zuweilen absolut bizarre Krassheit des Erlebten an sich. Klar, ist da eine Hemmung damit rauszukommen.

Für uns steht das aber noch nicht mal im Vordergrund.
Für uns geht es mehr darum diesen Sprung zu machen vom Inneren zum Äußeren. Also von etwas, das wir mehr oder weniger gut fühlen, greifen und als uns zugehörig erleben können, zu etwas, das wir nach außen geben. Denn weil da noch jemand anderes draufgucken und selbst benennen kann, wird es für uns total schnell zu etwas, das wir nicht mehr benennen und mit uns selbst verbinden können.

Dazu muss man verstehen: Wir erarbeiten uns das, was in uns vorgeht. Um zu wissen, was wir fühlen, müssen wir ein zwei Schritte mehr machen als “fühlen und benennen”. Um zu wissen, was wir denken, glauben, meinen, müssen wir auch mehr machen, als uns mit etwas zu befassen und das mit unseren Werten abzugleichen.
Zum einen müssen wir dissoziative Brüche umgehen oder verbinden – zum anderen müssen wir unsere exekutive Dysfunktion und Alexithymie kompensieren.

Das bedeutet, dass wir Dinge, die wir erinnern oder über Erinnerungen fühlen, erst einmal bewusst als solche identifizieren müssen.
Da ist die Traumaebene, in der dazu gehört, dass wir Rosenblätter zum Beispiel oft eher denken, brutale Scheiße geträumt zu haben, weil wir diese Traumata nicht erinnern und erst merken, dass es eine Erinnerung ist, wenn nach und nach noch mehr Stücke davon einfallen, obwohl man wach ist.
Dazu gehört die Dissoziation, die oft die zur Erfahrung gehörenden Gefühle (und Innens) von uns abtrennt. Das führt dann dazu, dass wir manchmal nur die Bilder oder nur die Gedanken oder nur die Gefühle wahrnehmen, aber keinen sinnhaften Kontext bzw. ein lineares Erleben daraus ablesen können.

Da ist die Ebene der Alexithymie, die dazu führt, dass wir viel Zeit der Auseinandersetzung und des Prozessierens brauchen, um Gefühle von Körpergefühlen getrennt zu ordnen, mit uns in Verbindung zu bringen und dann mit Worten abzugleichen – um dann noch immer nicht sicher darin zu sein, ob die Worte, die für uns allein im Inneren passend sind auch nach Außen passend im Sinne von verständlich oder nachvollziehbar sind.
Was zu erkennen für uns enorm schwierig ist, denn die meisten Menschen (und unsere Therapeutin ist einer) sind von uns was ihre Gefühle angeht, kaum zu lesen. Wir erschließen uns die Gefühle von anderen Menschen durch Überlegungen zu ihrer Wahrscheinlichkeit im Kontext mit dem, was wir sicher von ihnen ablesen können. Auch wieder ein bewusster, zielgerichteter Prozess, der manchmal auch beeinflusst von traumabedingten Annahmen, Ideen, Ängsten passiert und also doppelt passieren muss, um die Orientierung in Zeit und Raum zu gewährleisten und der Realität zu entsprechen.

Und da ist die Ebene der exekutiven Dysfunktion, die genau das – alle diese Prozesse – als überfordernd, überflutend, überreizend im schlimmsten, als enorm anstrengend und fordernd im üblichen Fall empfinden lässt.
Auf der Ebene brauchen wir klare Strukturen, permanente Ein_Ordnungshilfen und ein Ziel bzw. einen Sinn am Ende. Wir müssen wissen und bewusst gehalten bekommen, wofür was zu fühlen und zu benennen relevant und wichtig ist. Wir müssen wissen, worüber wir in der Therapie zum Beispiel sprechen und innerhalb welcher Struktur.

Den meisten Menschen ist das viel zu kalt, unemotional und beengt. Deshalb unterstützen die wenigsten uns darin. Das bedeutet für uns einen ganzen Organisations- und Ordnungskosmos in unserem Kopf, der allein bei und für uns passiert. Auch in der Therapie.
Das ist nicht schlimm oder falsch – es ist einfach so und für uns etwas, das uns in manchen Bereichen sehr hemmt.

Denn da die Ordnung nicht im Außen ist, muss sie in uns erhalten bleiben – auch dann, wenn wir uns eigentlich Traumainhalten widmen und daran arbeiten wollen. Was aber wiederum häufig mit unkontrollierbaren (reflexhaften) Gefühlstürmen, Bilderfluten oder plötzlich auftauchenden Gedanken und Innens einhergeht und damit genau das erschwert bis verunmöglicht, was uns halbwegs ‘normal’ erscheinen lässt.

Wenn wir hier von Ordnung und Organisation sprechen, meinen wir niemals eine Kategorisierung in gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen. Auch ein gern genommenes Missverständnis aufgrund unserer Traumatisierung. Wir machen das nicht, um uns in traumabedingte Anpassungsleistungen zu zwingen. Wir machen das, um die ganz banale, profane, basale Alltagslage auf die Reihe zu kriegen.
Um sowas zu merken und benennen zu können wie “Ich habe Spaß am Malen”, “Ich mag Flausch, das fühlt sich gut an für mich”, “Hier, wo ich sitze, fühle mich mich gut. Ich fühle mich hier gut, weil sich dieses und jenes gut für mich anfühlt.”, “Ich fühle mich überfordert von der Aufgabe XY. Ich fühle mich überfordert, weil X und Y für mich nicht übersichtlich und verständlich sind.”

Die Notwendigkeit das so machen zu müssen, hatten wir schon immer und wir haben sie verstärkt, seit wir uns in sozialen Kontexten bewegen, in denen man auf die Gefühle anderer Menschen Rücksicht nimmt, sie von einander wissen will, soll, muss, kann und darf. In der Herkunftsfamilie war das nie Thema. Außer irgendeine Missachtung war zufällig Auslöser für Gewalt – aber die Auslöser waren in dieser Familie eh nie übersichtlich vorhersehbar oder abwendbar für uns, also ist das nicht sonderlich ins Gewicht gefallen.
Und wir haben die Notwendigkeit verstärkt seit wir in Therapie sind. In Gesprächstherapie, wo es Dreh- und Angelpunkt ist, Gefühle zu benennen, in Kontext zu setzen und zu prüfen. In unserem Fall darauf zu prüfen, ob sie von traumabedingten Reflexen herrühren oder nicht.

Phu.
Langer Schwall der Erklärung. Vielleicht hätte ichs auch kürzer aufschreiben können. Zum Beispiel so:

Was uns hemmt ist unsere Art zu funktionieren. Sie ermöglicht uns einerseits, überhaupt in die Therapie gehen und arbeiten zu können – andererseits bedeutet genau das, dass wir nie so dysfunktional wie wir eigentlich sind, in der Therapie sind und damit auch nie wirklich an den Punkt kommen, wo Innens und damit auch deren Traumainhalte oder –erinnerungen, die wir nicht quasi ins Außenfunktionale reingeordnet und benannt bekommen, wenigstens benannt werden können.
Das ist kein “Uh wir wollen uns nicht peinlich machen und die Kontrolle nicht verlieren” Eiertanz, den wir an anderen Stellen so oft hatten und manchmal noch haben.
Das ist ein “Da ist was – ich weiß nicht was – ich kann nicht absehen, was das bedeutet – ich weiß überhaupt gar nichts dazu – wir lassen das so wie es ist”-Krampf, der uns immer wieder von uns selbst trennt.

Bekifft haben wir diese Trennungsgefühle nicht. Weder zu dem, was wir sagen, noch zu dem was wir nicht sagen können. Ähnlich wie unsere Bedarfsneuroleptika (von denen man ja bis heute auch nicht weiß, wie genau sie wirken btw) kleistert uns die Droge emotional zusammen. Unsere Dissoziationsneigung vor Überforderungsgefühlen durch Emotionen und die Notwendigkeit sich damit zu befassen, ist weniger stark ausgeprägt in dem Zustand.
Schon deshalb würden wir uns mehr Forschung zu Drogen und ihren Wirkungen auf neuroatypische (sprich depressive, suchterkrankte, schizophrene, traumatisierte, autistische, * ) Menschen sehr wünschen.

Zum einen, weil wir natürlich gern eine informierte Entscheidung zu Pro und Contras einer solchen Therapieunterstützung treffen würden, zum anderen jedoch auch, weil wir denken: The Fuck ja – man hat sich schon beim Ausdenken der verschiedenen Therapieformen keine bzw. kaum Gedanken über die kognitiven Vorleistungen, die Patient_innen machen müssen, um Behandlungssettings und ihren Anforderungen zu entsprechen, gemacht, dann kann man sich doch wohl jetzt mal Gedanken darüber machen, warum Drogen zusätzlich zur üblichen Therapie manchen Leuten helfen und manchen nicht. Von mir aus auch in Korrelation dazu, wie gut eben jene zusätzliche Therapieform ist oder auch nicht.

In dem Artikel der taz werden die Drogen als Mittel zu schnellerem Zugang zum Unbewussten und generell als etwas beschrieben, das möglicherweise eine (Trauma-) Therapie beschleunigen – oder vielleicht sogar unnötig machen kann.
Halten wir für einen Trugschluss.
Einfach schon, weil alles immer therapeutisch im Sinne von “verändernd” wirkt. Ob das nun eine wöchentliche Sitzung in einer psychologischen Praxis ist oder eine bestimmte Routine, die man verändert, weil sich das grad irgendwie so ergibt.

“Therapie” ist nicht ausschließlich psychotherapeutische Heilungsarbeit oder medizinische Behandlung mit dem Ziel der Verbesserung eines wie auch immer gelagerten Zustands.
”Therapie” ist auch, wenn man sich allein oder mit anderen zusammen über etwas auseinandersetzt, das dann so mittel viel hilft oder nur einen kleinen Aspekt anders sehen lässt. “Therapie” ist auch baden gehen, wenn man dreckig ist, weil man dreckig ist und sauber sein möchte.

Um im Bild zu bleiben: Ich denke, wenn Leute sagen, dass sie glauben ein Schwamm oder eine Seife könnte ihnen helfen schneller/anders/besser/gezielter sauber zu werden, dann sollten sie lieber einen Schwamm oder eine Seife erhalten über die man schon viel geforscht hat, als sich viele Jahre mit Wasser behelfen zu müssen. Oder Wasser und einer Imagination von einem Schwamm.

In diesem Sinne: yeay Forschung zu Drogen als unterstützendes Mittel in der Psycho(trauma-)therapie!

21

“Nichts macht mich produktiver als die 5 Minuten vor der Deadline.” Das steht sinngemäß auf einer Karte, die ich neulich bei Twitter geteilt hab und könnte eigentlich auch in Bewerbungen von mir zu lesen sein.
Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht. Nicht immer.
Eigentlich immer nur, wenns drauf ankommt.
Auf mich. Alleine. Für irgendjemand anderen oder ein bestimmtes Ergebnis.

Dann verliere ich nämlich den Überblick, schaffe es nicht mehr, mich zu sortieren. Das überflutet mich, dann krieg ich Angst und dann… naja dann arbeite ich viel an Projekten, die weder Geld einbringen, noch irgendwas (für die Zukunft) bedeuten. Oder spiele Sims 3. Oder habe eine super aufgeräumte Wohnung mit top zusammengelegter Wäsche, staubgewischten Oberflächen und einer Küche, die bereit für eine Nierentransplantation ist.

Währenddessen gehts mir schlecht, denn ich weiß, ich sollte das nicht tun. Ich sollte arbeiten. Sollte etwas schaffen. Doch selbst wenn ich mich dann dran setze, ist mein Kopf leer, der Überblick kommt nicht zurück, die Fähigkeit, überhaupt eine Idee zu entwickeln, wo man wie anfangen könnte, ist einfach nicht da. Mit anderen Menschen über diese Arbeit zu sprechen, hilft mir dann oft auch nicht. Denn die meisten Leute wissen nicht, was ich da mache. Sie wissen nicht, worum es geht, verstehen nicht, was mir fehlt, um erklären oder einfach anfangen zu können.

Wenns richtig schlimm ist, kann ich in der Zeit nicht sprechen. Also “kann” kann ich nicht sprechen.
Mein Mund funktioniert, aber es kommt nichts raus, weil nichts auf der Wort-Aussprech-Abschussrampe liegt. Meistens dann wegen Lieferschwierigkeiten, manchmal aber auch weil die Sinn-Wort-Produktion erheblich erschwert ist. Das ist der Scheiße-Jackpot jeder Auftragsphase. Heute aber auch das Signal für mich, an dem ich weiß: Ich muss meinen Auftrag klären, muss mir sagen lassen – mir richtig Schritt für Schritt sagen lassen, was von mir erwartet wird.
Was zu wann zu machen ist, was wie sein soll, weshalb was wie geplant ist und so weiter. So, als wäre ich bei der Auftragsvergabe nicht da gewesen und hätte keine Ahnung.

Das hilft mir dann meistens. Alles nochmal hören, jeden Schritt aufschreiben können, fehlende Stücke ergänzen. Und dann wird meistens klar, weshalb ich in die Leere gerutscht bin: Unverständnisse oder Mehrdeutigkeiten
Gerade in meiner Ausbildung, in der es viel die Beschreibung von Gestaltung geht, passiert mir das immer wieder.
Ich kann nicht viel damit anfangen, wenn in einem Auftrag zum Beispiel steht: “Die Broschüre soll Jugendliche ansprechen”, denn ich kann die Broschüre nur gestalten, nicht aber ihr Sprechen beibringen. Ich weiß natürlich auch, dass damit andere Dinge gemeint sind – ich weiß aber auch, dass es eine Fülle von anderen Dingen bedeutet, die damit gemeint sind. Ja, und auf welche soll ich jetzt dabei achten? Fragezeichen. Leere. Keine Ahnung. Denn es gibt Millionen von Jugendliche und unzählige Arten der Ansprache, die in ihnen Interesse auslöst. Woher soll ich wissen, welche die richtige ist?

Viele Leute, mit denen ich über diese Problematik gesprochen habe, beschreiben ihr Entscheidungsverfahren mehr oder weniger als Sprung ins kalte Wasser. Sie würden einfach drauf los machen. Und irgendwie wär das dann auch schon immer gut.
Das würd ich auch gern können. Einfach so drauflos machen können, ohne Vorüberlegung oder Idee, wie es aussehen soll am Ende.

Am Wochenende hatte ich einige Konzepte für die Schule zu schreiben. Eins für eine Broschur, eins für einen Film zum Thema Sucht und eins für einen Auftrag über das Design einer Verpackung. Deadline: heute bzw. Mittwoch
Folgerichtig habe ich eine Sims 3 – Großfamilie entstehen lassen, hab meine Wohnung auf Vordermann gebracht und war so oft draußen, wie es mein Erkältungskreislauf mitgemacht hat. Ein Konzept habe ich an dem Wochenende geschafft. Das, was am Mittwoch fällig ist.

Gestern Abend, mittlerweise im Frieden damit, die reguläre Deadline nicht zu schaffen, habe ich mich dann gefragt, ob Prokastination für mich eine Form des Umgangs mit der exekutiven Dysfunktion ist. Also nicht “aufschieben” im üblicherweise gemeinten Sinne, sondern eher “wegschieben, damit nötige Prozesse Platz haben können”. Denn ja, ich hatte den Druck, dass ich etwas tun müsste, ich hatte aber auch das Gefühl, dass ich mich während meiner Quatschhandlungen trotzdem noch damit auseinandersetze, wie ich was machen könnte. Hier und da – völlig random – sprenkelten sich Ideen ein, die mir dann heute in der Schule dabei halfen, meinen Ideen und Plänen genug Struktur zu geben, um sie selbstständig weiterführen zu können.

Ich bin fristgerecht fertig geworden. Habe einfach irgendwas gemacht. Bin in Wasser gesprungen, über das ich mir genug Gedanken machen konnte. So viel, wie in der gegebenen Zeit eben möglich war. Bin ich damit zufrieden?
Nein. Denn es ist Produktivität, die ich damit bewiesen habe. Nicht Qualität, die ich geliefert habe.

Für manche Menschen ist der Anspruch zu hoch. Auch viele in meiner Klasse lassen diesen Aspekt irgendwann sausen, weil es letztlich nur noch darum geht, etwas abzugeben, um eine 6 zu verhindern. Ich finde das nicht gut und denke mir, dass das doch auch nicht ist, worum es bei unseren Arbeitsaufträgen geht. Andererseits wollen die Arbeitsaufträge auch nicht wissen, wie viele mögliche Optionen man zur Umsetzung sieht. Sie fordern eine Option, ohne für mich klar zu sagen, welche. Das ist ganz schön schwierig.

Ich bin gespannt darauf, wie es später mal in einem beruflichen Setting läuft.
Bisher konnten wir immer alles einfach besprechen und besprechen und bereden bis wirklich alles klar war. Aber was ist, wenn wir mal einfach nur liefern sollen? Wenn wir einfach nur produzieren sollen und die Qualität vorausgesetzt wird.

Fragezeichen.
Angst.
Überflutung.
Zukunftsgedanken-Angst-Kreisel.