in ein Damals gehen

Ich hatte es schwieriger in Erinnerung.

Sich Innens annähern, die wie Gatschklumpen in diesem quecksilbrigen Brei aus “Irgendwas war da mal … ganz früher … oder so? … irgendwie…”, der manchmal an meine Füße schwappt, sind.
Irgendwo in der Erinnerung stehen und wie ein Zaungast sein, dem die Handlung aus dem eigentlichen Publikum zugeflüstert und die Szenerie von kleinen Schauern über den Rücken herangetragen wird.
Einen bestialischen Schmerz auffangen, ohne ihn zu berühren und in der Bewegung zu einem Echo verwandeln. Von 100 auf 80 auf 60 auf 40 auf 20 auf 10  runter zu regeln.

Sowas.

Das habe ich zuletzt vor 12 Jahren gemacht. Als ich aus Versehen erinnerte, wie schmerzhaft mein Durst war und wie viel schmerzhafter das Trinken von Wasser aus einem Glas. Damals.
Ich trat neben mich in diesem Damals und nutzte meinen komisch schmerzreaktiven Atem als Wind, der den Schmerz in ein Echo ins Heute verwandelt. Im Außen machte ich eine Bewegung mit der Hand, um dem Echo eine Richtung von mir weg zugeben.

Es war gut und wichtig für mich diese Verwandlung allein zu machen und in die Auseinandersetzung zu gehen, ohne jemandem von meinem Durst zu erzählen oder meinen Raum teilen zu müssen.
Aber es war schwer.

Ich hatte keine Idee, keinen Plan, keine Richtung außer “weg” von dem, was der Flashback übrig ließ, wenn ich ein Glas in der Hand hatte. Ich hatte nicht den Wunsch mit jemandem darüber zu reden. Erlebte meine Erinnerung so inmittend, dass ich keinen anderen Menschen in der Nähe, keine anderen Gedanken als meine, und selbst davon nicht mal alle, daran hätte ertragen können.
Ich ging alleine durch die Schleifen aus Überflutung bis ich das Moment fand, in dem ich den Schmerz kommen sehen konnte. Ich ging alleine durch die Verzweiflung, die sich auftat, als ich merkte, dass ich ihn nicht ungeschehen machen kann. Ich ging alleine durch die Not an dem Gefühl der bitterklebrigen Angst vor Wasser an meinem Mund, obwohl es DER EINE Gedanke war, der mich hat nach Feuchtigkeit suchen lassen. Damals wie heute noch manchmal.
Es hat quälend lange Wochen gedauert, bis ich in die Idee kam, eine Beobachterposition einzunehmen. Ein “so tun als ob Spiel” zu versuchen, obwohl es mir als Selbstbeschiss klar war. Den Schmerz kommen zu lassen, meinen komisch schmerzreaktiven Atem zu spüren und in das Geschehen mit dieser einen Windbewegung hineinzugreifen – und sonst gar nichts. Keine Schutzbewegung, keine Gedanken oder Worte, die mir lieber gewesen wären – damals wie damals wie heute.

Damals vor 12 Jahren, waren wir noch 17 bald 18 Jahre alt und sich an seinen Erinnerungen und dem Umgang damit, so zu quälen, war noch normal. Wir machten Vermeidungstänze über Vermeidungstänze und umfächerten diese mit einem waberigen Wörternetz nach außen, das im Innen keine Entsprechung hatte.
Das ist heute nicht grundlegend anders und doch kaum noch zu vergleichen.

NakNak*s Anblick an dem Morgen im Zelt hatte ein Erinnern ausgelöst, das ich zu dem Zeitpunkt nur über einen Impuls von einem Kinderinnen bemerkte und mit einem weiteren Punkt auf meinem Handlungsablaufplan beantwortete: “Ich kümmere mich darum, dass wir uns darum kümmern können.”
Kinderinnens sollen sich in solchen Dingen auf mich verlassen. Das habe ich mir (und manche anderen Frontgänger_innen) irgendwann als Kompromiss überlegt, weil ich es bis heute nicht schaffe, genug Kraft für sie und ihre Erinnerungen, in mir und meinem Sein aufzubringen, aber manche Menschen in unserem Leben dies schaffen.

An dem Morgen, an dem NakNak*s Krankheitsanzeichen unübersehbar waren, schrieb ich der Therapeutin eine Nachricht, telefonierte mit dem Begleitermensch, drehte mich aus den Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen des Innen heraus und legte meine gesamte Energie in die Fahrt nach Papenburg.
Als wir, viele Stunden später, zu Hause waren, legten wir NakNak* auf ihren Platz und klemmten das erinnernde Kinderinnen über die Druckwelle hinter sich. Wie ein Korken im Hals einer Sektflasche, den man zusätzlich mit einem Sicherungskorb aus Aluminium an seinem Platz hält. Dieser Sicherungskorb bestand aus den Armen von Innens, die die Berührung dieses Kinderinnens aushalten können und keine Alltagsfunktionen haben. In schlauen Büchern heißen solche Innens “innere Helfer” – in uns sind es “Innens, die gerade helfen können”

[diffiziles Wortspiel? Mag sein – ist aber wichtig. “Innere Helfer” limitiert ganze Innens auf eine Helferrolle, was eine unlogische Idee ist, wenn man alle Innens mit allem was und wer und wie sie sind, kennenlernen, annehmen und mit ihnen interagieren will.]

In den nächsten Tagen bis zum mit der Therapeutin verabredeten Termin, taten wir nichts weiter, als das Hier und Jetzt zu halten, uns gut zu versorgen und das allgemeine Anstrengungslevel niedrig zu halten. Wir taten, was uns entlastete. Gaben verschiedenen Innens einen Anteil von Zeit und Raum, um sich auszudrücken, sich zu entlasten, die Situation so aushaltbar wie möglich für sich zu machen.

[Wenn sich manche Innens entlasten, kann das bedeuten, dass sie Dinge im Außen tun, die heute eigentlich nicht mehr nötig sind oder andere Innens wiederum in unkontrollierte Erinnerungsprozesse stoßen. Wir haben inzwischen genug innere Kommunikation um grobe Impulse zu spüren (und genug Therapieerfahrung, um darüber nicht auszuklinken) und versuchen entsprechend unsere Umgebung so zu gestalten, dass die Wahlmöglichkeiten um eigenes Agieren im Heute für alle Innens kontinuierlich und sicher zugänglich sind. (Unabhängig davon, ob sie  auch alle diese Wahlmöglichkeiten sofort bewusst wahrnehmen oder als solche einordnen können. Der Unterschied passiert durch das ganz konkrete Vorhandensein der Möglichkeit!
Zu spüren, dass sich ein Innen für etwas entscheidet, das es gut kennt und deshalb als entlastend erlebt, ist etwas völlig Anderes, als nur wahrzunehmen, dass es etwas tut, wozu es eventuell früher einmal gezwungen war und es deshalb auch heute noch tut oder tun will ™ oder möchte ™ und, wenn man ganz ehrlich ist und sich ein bisschen reindenkt, auch keine so richtig wirklich greifbare andere Wahl hat, oder miterleben kann oder annehmen kann.]

Wir nennen Termine für dieses Kinderinnen “F.-Stunden” und haben uns dafür ein Schema überlegt, weil das meistens Stunden sind, in denen Zugänge zu desorientierten Innens zu finden versucht und manchmal auch gefunden wird. Manchmal geht es aber auch darum, sich bereits gefundenen Innens zuzuwenden und Möglichkeiten der Reorientierung zu finden.
Heißt: es geht um schwierige Themen, die Kraft und Widmung erfordern.
Das sind keine Stunden (mehr), in die wir reingehen und uns sagen: “Ja, mal gucken was kommt.”, weil wir heimlich doch drauf hoffen, dann doch irgendwie nichts damit zu tun haben und es vielleicht hinterher nicht mal richtig zu erinnern.
Letztlich haben wir nämlich immer etwas davon mitbekommen – und sei es ein ferner, ganz diffuser Nachhall, der uns dann im Alltag völlig verunsicherte, belastete und nach und nach ganz subtil destabilisierte, was erneute Symptomschleifen zur Folge hatte und dann am Ende genau gar keine Erleichterung und Verarbeitung oder eine stabile Verbindung für andere Innens ins Heute zur Folge hatte.

So sehen wir Frontgänger_innen im Moment unsere Aufgabe nach innen: Wir sind dafür da, damit andere Innens eine kontinuierlich sichere, offene, stabile Linie von Außen (Heute) zu uns (als Körper, der existiert) zu sich (als Sein, das (manchmal noch im Damals, im Früher, im Nichts, im Inmitten … etc.) ist) haben können.
Wir machen unseren Einsmensch-Alltag, verbinden uns mit dem Heute, Hier und Jetzt, sichern uns, versorgen uns, machen Gemögte, Bekannte, Freund_innen und arbeiten an guten Linien, Lücken und Nischen für das Innen.
Eine mit der Therapeutin verabredete “F.-Stunde” bedeutet für uns entsprechend vorher immer:

– die Prüfung der allgemeinen Fähigkeit zu so einer Stunde (“Wie ist die körperliche Verfassung?”, “Haben wir genug Nerven dafür?”, “Fühlen wir uns sicher?”)
– keine akuten Probleme mit Behörden, die wir alleine lösen müssen
– keine akuten sozialen Probleme mit Gemögten und Herzmenschen, die Kinderinnens verunsichern oder akut triggern
– es wird (mindestens am Tag vorher, dem Tag selbst und dem Tag danach) genug gegessen, getrunken, geschlafen
– keine zwingend nötigen anderen Termine an dem Tag (und evtl. den Tagen danach)
– die Wohnung ist aufgeräumt und übersichtlich
– Essen für den Tag (und die Tage danach) ist vorgekocht oder es gibt genug Zutaten für “ein Löffel-Rezepte”
– es gibt einen Zeitraum für bilaterale Stimulation an dem Tag (z.B. laufen, Rad fahren, (mit NakNak*) spazieren gehen)
– da wir auf “F.-Stunden” in der Regel mit Fieber reagieren und nach der Bewegungszeit (etwa 1 Stunde) erstmal schlafen müssen, stellen wir uns meist schon vorher alles ans Bett, was wir in greifbarer Nähe brauchen könnten: Telefon, Laptop, Bücher, Lavendelöl, Kreisel, eine Flasche Wasser, verschieden dicke und schwere Decken, verschiedene Stifte und einen Schreibblock
– wir erlauben uns inzwischen auch so lange nicht zu sprechen, bis es von Innens, die das gut einschätzen können, das Okay gibt, wieder Energie  in Lautsprache zu geben
– wir legen uns die Sätze zurecht, mit denen wir die Therapeutin um Dinge bitten, die wir eventuell von ihr brauchen
– wir packen unseren Erbsenmomentbeutel  in den Rucksack
– stecken uns Geld für ein Taxi ein, für den Fall, dass wir zu erschöpft sind, um allein nach Hause zu kommen

– wir erarbeiten uns die Basis der “F.-Stunde”:

  • Welche Verbindungen können wir für den Zeitraum der Stunde ganz stabil eingehen (und wieder auflösen), welche sind eher nicht so stabil und welche Verbindungen könnten uns destabilisieren?
  • Haben wir bereits in früheren Therapien an diesem Damals gearbeitet?
    Wenn ja: welche Verbindungen waren damals stabil und welche eher nicht?
  • Gibt es Impulse, Ideen, Gefühle, Erinnerungen(splitter), die uns Hinweise geben, welches Thema das Innen oder das Stück Damals hat (als Überbegriff, damit wir in der Stunde nicht ziellos umhermäandern, sondern um F. herum stabil bleiben, um zu unter.stützen und zu begleiten)?

Und dann bleibt nur noch, dieses Gefühl gut gewappnet und gesichert zu sein, bis in die Praxisräume getragen zu bekommen und in der Stunde selbst auch nicht zu verlieren. Je sicherer wir uns mit uns selbst, mit dem Thema und dem Vorhaben fühlen, desto leichter ist es, eine Verbindung zur Therapeutin zu halten, während F. oder ein anderes nicht im Alltag wirkendes Innen (aus anderen Systemen als unserem) mit ihr spricht.

“Verbindung halten” meint dann nicht immer unbedingt, dass wir sie hören oder sehen oder fühlen oder riechen – meistens ist das eher so, dass wir uns und sie im Therapiezimmer wähnen und dieses Wähnen einfach nicht loslassen oder vergessen oder ausplätschern lassen (dissoziieren).
Das ist so, als würde man Gähnen oder Niesen unterdrücken, aber gleichzeitig doch ein bisschen von dem machen, was Gähnen oder Niesen macht – denn letztlich dissoziieren wir ja doch, wenn wir uns dafür aufmachen, dass F. mit der Therapeutin spricht oder auch ganz übernimmt. Aber – um in dem Vergleich zu bleiben – wenn wir ganz loslassen (ganz niesen oder gähnen), sind wir nicht mehr “da” und haben keinen Gedanken (an die Therapeutin, das Heute, die Stunde, uns selbst)  sondern nur noch F. und das, was dieses Kinderinnen mitbringt, denkt, fühlt, weiß und wähnt.

Wenn sie miteinander sprechen, trägt F. die Fragen und Sätze von der Therapeutin in den Bereich ganz direkt um sich herum und bringt ihn in Bewegung. Wir merken das manchmal als Impulse, aber manchmal auch als Gedanken oder Bilder.
Weil wir (gesprochene) Wörter sehen, sehen wir meistens auch, wie sich durch das Sprechen mit der Therapeutin für F. (und uns) (Wortbedeutungs-)Räume eröffnen, die ohne die Bewegung nicht zugänglich waren (und es später, wenn die Stunde zu Ende ist, häufig auch erneut nicht sind).

Wird die Bewegung mehr, gibt es oft so etwas wie einen Schmelzpunkt oder Point of Dissoziation – und das ist eigentlich das einzige Moment, in dem wir tatsächlich gefragt sind. Nicht inhaltlich und auch nicht emotional – das liegt alles bei F. – wir sind eher gefragt, dass sie dann nicht erneut dissoziiert (“schmilzt”), weil sie die Bewegung (das Erinnern, die Resonanz von den Innens, Jemanden, Etwas.en, Seins und Ists … um sich herum) nicht aus.halten kann.
Die Verbindungen, die wir uns vor der Stunde erarbeitet haben (und der Therapeutin soweit, wie das okay war, gesagt haben) legen wir dann an die Punkte an, die wir entweder von der Therapeutin gesagt bekommen oder als am stärksten in Bewegung sehen.

Dann müssen wir selbst aufpassen, dass wir nicht an diesen “Schmelzpunkt” kommen, weil es sich bei diesen bewegten Stellen schlicht mal immer um Wahrnehmugsgranatensplitter von traumatischen Erfahrungen oder um Innens, Jemande, Etwas.e, Seins und Ists … handelt, die F. dissoziiert hat und, die nicht in unserem Heute orientiert sind. Also, deren Jetzt für uns völlig fremd, überbordend schrecklich und schnell auch so überfordernd ist, dass wir die Verbindung zur Therapeutin nicht halten können.

Während der Verabredung zur letzten “F.-Stunde” hatte die Therapeutin gesagt, F. würde manchmal an ihrem Bein sitzen und die Hand halten.
Nach einem Peinlichkeitsvermeidungstanz um den von mir gewitterten Klischeeschmalz abzuschütteln, dachte ich dann, wie eigentlich doch auch logisch das ist, wenn F. die Hand der Therapeutin hält, denn: Wenn sich um das eigene Ich alles bewegt und alles Mögliche hochspült, braucht man einen Anker und wir anderen Innens bilden den (noch) nicht für sie – wir wirken viel mehr wie Wellenbrecher, Leuchttürme, Bojen und Fähren im Innen. Die Verbindung nach Außen ist durch die Hand und den Kontakt am Bein der Therapeutin gegeben.
Das ist ähnlich wie unsere Strategie mit dem Band, das die Therapeutin an einem Ende hält und wir am anderen – nur physisch konkreter in der Rückmeldung.

Meistens erfahren wir in “F.-Stunden” von Gewalt, die für F. irgendwie zum Alltag gehörte. Die vom Sprechen über das, was F. mit der Therapeutin zu teilen bereit war, herausgelösten Innens, schieben wir in eine Mischung aus Imagination und Dissoziation, in der es nur um die Information geht, dass ES vorbei ist und DAS DA so in der Form nicht mehr passiert.
Meistens ist es das Stück im Innen, in dem wir unsere Erfahrungen mit dem Heute als erwachsene Person, die mehr selbstbestimmte Entscheidungen treffen kann, sicherer ist, besser versorgt ist, weniger einsam ist und viel mehr Anlass für Mut und Zutrauen hat, als sie es früher, als das Jetzt dieser Innens war, hatte, speichern und für uns bewahren.
So entsteht eine zarte gemeinsame Verbindung (die man sich hier in dem Schema als Linie in der Mitte vorstellen muss):
Ich hatte in Bezug auf “F.-Stunden” und “F.-Themen” oft eher das Gefühl, immer rangepfiffen zu werden, wenn es zu kippen drohte oder sich die Therapeutin wünschte, dass F.  oder ein rausgespültes Innen in Angst oder Not, meinen kraftvoll taktlosen Charme eines mittleren Eisenbahnunglücks spüren, um eine Verbindung zum Heute aufgehen zu lassen.

Das funktioniert manchmal innerhalb “meines Systems” – aber noch nicht außerhalb. Mir sehr ferne Innens aus einem anderen System (also einem inneren dissoziierten Funktionscluster) über mich ans Heute bringen zu wollen ist, als wolle man eine lückenhaft geschriebene Appleanwendung mit einer nur teilweise gut arbeitenden Windowsanwendung zusammenbringen, um ein Ergebnis auf einem Linux-Rechner zu erhalten. Also ziemlich unmöglich.

Dann spürten wir eine Weile nach der Stunde, dass von der verabredeten “F.-Stunde” ein Etwas übrig geblieben war und wir hatten uns in der folgenden Woche überlegt, wie wir dem begegnen können.
Wir hatten Grund zu Annahme, dass ich eine in einem Aspekt ähnliche Erfahrung mit diesem Etwas teile, diesen aber im Gegensatz zu dem Etwas überstanden habe, zeitlich und räumlich orientiert bin, mit der Therapeutin sprechen kann – und schon einmal direkt in ein Damals hineingegriffen habe, um etwas im Heute zu erleichtern bzw. zu verändern.

Wir haben also unser Schema angewandt. Haben die Therapeutin gebeten, sich leicht schräg rechts neben uns zu stellen, während wir fast auf unserem üblichen Platz standen. Sollte ich in den Reflex kommen, mich aus dem Damals herauszudrehen, würde ich sie mit hoher Wahrscheinlichkeit noch sehen und mich besser halten können, da sie als Person ein fester Heute-Marker ist.
Ich ging in Verbindung mit anderen Innens in das Damals hinein und wie gesagt: ich hatte es schwieriger in Erinnerung
Dichter. Drängender. Schwerer an die eigenen Gedanken zu kommen.

So in Verbindung und dem Gefühl, mir dieses Moment von Widmung leisten zu können, weil alles andere gerade nicht meine Aufmerksamkeit brauchte, war es nur die Belastung mit dem, was ich von dem Damals sah, den Impulsen, die von einem versprengten Kinddunkelbunt kamen und die Kommunikation mit der Therapeutin.

Im Nachhinein kommt es mir vor als hätte ich meine Belastungsfaktoren hin und her jongliert. Das Kinderdunkelbunt pulste immer wieder in mich hinein und schwappte bis in mein Fühlen, obwohl ich mich von ihm zu entfernen versuchte, um nicht von unserem Vorhaben abzukommen. Die Therapeutin und ich kamen überein, dass es wohl nicht orientiert ist und einen Rahmen braucht. Ich sah keine andere Übersetzung von “Rahmen” ein, als “Halt” und den Link zu F. und dem Händchen halten mit der Therapeutin.
Ich schob das Kinderdunkelbunt in meine linke Hand und legte sie auf die rechte Hand der Therapeutin. Dort konnte es erstmal bleiben. Bei mir (und in meiner Verantwortung irgendwie) aber irgendwie auch bei der Therapeutin und damit im Heute, in dem ich mich gut auskenne.

Wir versorgten das Etwas und ich legte im Verlauf meine rechte Hand in die linke Hand der Therapeutin, um das konkrete Haltgefühl von dort in das Damals einzubringen.

[Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: wäre es um ein Innen gegangen (also ein ganzes Ich mit Name, Sprache, mehr als schwammiges Restbewusstsein um das eigene am-Leben-sein), hätte es den Kontakt über die Hände der Therapeutin nicht gebraucht – da hätten Wörter genug Konsistenz mit sich gebracht.]

Ich regelte die Schmerzen des Etwas herunter, drehte meine rechte Hand in der Hand der Therapeutin herum und sagte etwas, worüber ich mich am Abend dann nachträglich fast irgendwie erschreckte, obwohl es mir in dem Moment einfach so richtig vorkam, wie der Lauf der Dinge: “Hm, okay – ich halt mich mal grad an Ihnen fest.”.

Ich griff in das Damals und bewegte den Schmerz in eine Richtung, die passend erschien. Wir bewegten das Etwas in den Bereich der Heutemarkersammlung und verkapselten das Kinderdunkelbunt in der gewohnten eigenen Sicht der Dinge, neben der, die die Worte der Therapeutin aufzeigte.
Wir lösten die Verbindung der Hände und setzten uns hin. Ich trank etwas und wir sprachen über das Geschehene drüber bis ins Heute.

Es gab einen Aspekt, mit dem ich nicht gerechnet hatte und an den wir allgemein nicht gedacht hatten:
das “Es geht um mich”-Paradox

Was wir “viele sein” nennen, besteht physisch nicht. Kein Mensch hat jemals viele andere Menschen in sich. Einzige Ausnahme: schwangere Menschen, die ihre Embryos/Föten als Menschen betrachten.
Wir sind ein Mensch, der sich selbst so fremd und fern ist (dessen Selbstwahrnehmung so dissoziiert ist), dass eigene Persönlichkeitsanteile und Seinszustände, als so fremd und fern erscheinen, dass sie wie andere Ich’s wahrgenommen werden und in unserem Fall (bei dem eine tertiäre Dissoziation (DIS) vorliegt) auch auf autonomen Funktionsbereichen (inneren Systemen) basierend, mit der Umwelt inter_re_agieren.
Mein Grundproblem ist also nicht, dass ich mich als “wir” denke oder mich manchmal fremd empfinde, sondern, dass ich, wir, als Einsmensch in unterschiedlich dissoziativen/dissoziierten Zuständen unterschiedlich inter_re_agieren, wechselnde Fähigkeitenniveaus haben, dissoziative Störungen unterschiedlich gut kompensieren können und unterschiedlich weit von einander dissoziierte Funktionsbereiche im Leben haben, was alles jeweils mit unterschiedlicher Selbstwahrnehmung, Selbsterfahrung, Selbst_Bewusstsein, Selbstbild und darüber auch entstehende Konzepte von der Welt, dem Lauf der Dinge und anderen Menschen, einher geht.

Wenn ich mich einem Stück Damals zuwende, das ich nicht gelebt habe (also für das ich eine dissoziative Amnesie habe), habe ich zeitgleich so wenig Verbindung zu diesem Bereich, dass ich nie das Gefühl habe, wir würden über etwas sprechen, das mich betrifft.
Das ist, wenn man es sich so anschaut, zwar ganz offensichtlich – grell blinkend mit Leuchtschildern umrandet – unlogisch – aber eben doch, was ich einfach so empfinde.

Ich hatte in der Stunde, während wir uns dem verbliebenem Etwas gewidmet haben, bis zu dem Punkt, an dem mir das Kinddunkelbunt seinen Fuß ins Bewusstsein stampfte und wütend über die Versorgung durch uns brüllte: “Das bin aber nicht ich!”, nicht das Gefühl in einem Damals zu stehen, das eines von mir war.
Ganz klar ging es diesem Kinddunkelbunt um irgendeinen anderen Kontext als den, an dem wir gerade waren und auch um einen, den ich nicht nachvollziehen konnte – deshalb war es gut, es in meine linke Hand zu schieben und diese in die Hand der Therapeutin zu legen – aber der Satz war da und fand in mir einen Resonanzraum, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn hatte.

Mir passiert Dissoziation in der Regel einfach. Es gibt zwar Momente, in denen ich sie leichter zulassen oder abbrechen kann, doch die Trennung selbst beginnt aus Reflexen heraus, die mir meist nicht spontan bewusst sind.
Es ist also kein üblicher Teil meiner Gedanken mit etwas verbunden oder von etwas getrennt zu sein, sondern eher, dass ich auf etwas reagiere, das für mich da ist . So etwa die Aufgabe, sich um ein Etwas im Innen zu kümmern, indem wir, in Begleitung der Therapeutin, in ein Damals hineingehen.

Auf den Ausruf des Kinddunkelbunt, hatte ich in dem Moment zuerst geantwortet: “Ja, ich auch nich – komma klar – stör mich nich”, (weil ich das so gut kann – dieses “geduldig und freundlich mit Kinderinnens umgehen” *hust*).
Doch die Interaktion mit der Therapeutin wirkte später wie eine Hauptstraße, die in einem Kreisverkehr endete. Sie und ich waren fest verbunden, doch ich war auch in Bewegung und so war sie auch in Verbindung mit dem Etwas, den Innens, die mit mir in das Damals hineingegangen waren und dem Kinddunkelbunt.

Der Satz “Das bin aber nicht ich” blieb in mir als Element wie ein Fremdkörper hängen.
Jetzt, wo ich diese Erfahrung hier aufschreibe, habe ich die Idee, dass es das tat, weil es mir im ersten Gedanken ganz klar und logisch erschien, im zweiten Gedanken jedoch, in dem ich eine erwachsene Person im Heute, Hier und Jetzt bin, die sich seit inzwischen 13 Jahren mit der Thematik “Trauma und Dissoziation” beschäftigt und kognitiv völlig klar und bewusst hat, dass diese innere Überzeugung/Wahrheit eine ist, die ganz typisch für eine dissoziative Kluft in der Selbst_Wahrnehmung ist, aber genauso klar und unlogisch bewusst ist.

Während der Therapiestunde sagte ich der Therapeutin, dass das bei mir hängen geblieben ist, blieb aber an der Stelle stehen, an der beide Wahrheiten nebeneinander klar und okay sind. Einmal, weil die Stunde um und wir insgesamt ziemlich erschöpft waren und einmal, weil ich mir nicht schlüssig darum bin, was ich an der Stelle tun oder fühlen oder denken soll oder was überhaupt dort passieren kann.

Wir fuhren eine schöne Strecke mit dem Rad nach Hause und wickelten uns in das Heute, in dem es eine wieder quietschfidele NakNak*, freie und sichere Zugänge zur Versorgung von Grundbedürfnissen und einige Optionen auf Erbsenmomente und andere Er_Lebenserfahrungen gibt.

Und daneben auch die Wahlmöglichkeit, wie schwer oder leicht man sich manches darin macht.

Wurst

“Nach so einer Wurst müssen Gina und Lisa erst mal in Traumatherapie…” kartoffeldeutsche Kackscheißwerbung für Wiesenhof präsentiert von der Kunstfigur “Atze Schröder”.
Nach so einer Werbung, will ich erstmal aktivistisch werden und komme doch den Rest des Tag kaum zu etwas anderem als Wut, Wut und Wut.

Doch zeitgleich arbeite ich. Stehe zwischen Fremden in der Fremde, fotografiere Menschen und ein wichtiges Ereignis im Leben dieser Menschen. “Eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei”, denke ich und zähle die Menschen, von denen ich weiß, dass sie als Frauen kategorisiert werden.
Ich mache das Zahlending, dass Anne Wizorek macht. Ich sehe in diesem kleinen Saal allein ca. 35 Menschen, die laut Statistik ganz sicher ein Ereignis erlebt haben, das eine Traumatherapie nötig erscheinen lassen würde. Wurst zu essen gehörte wohl nicht dazu, aber Nötigungen, Vergewaltigungen und andere Misshandlungen, die von den Täter_innen sexualisiert wurden.

Wurstwitze. Rape jokes. “Dann mach halt ne Therapie!”. Im Fernsehen. Ganz öffentlich und ohne jede Rücksichtnahme.

Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, die frisch Vermählten an ihrem großen Tag gut abzulichten. Es strengt mich an zu beobachten, was eine gute soziale Situation sein könnte. Etwas, woran sie sich später gern erinnern. Daneben rattern mir die Zahlen zu Partnerschaftsgewalt durch den Kopf, während Erika Realsatire Steinbachs Kommentar, Scheidung sei das beste Mittel gegen Vergewaltigung in der Ehe, erneut einen Wutschreireiz bei mir auslöst.

“Ich kann das nicht mehr.”, merke ich. Ich kann nicht mehr so tun, als wäre das alles ein Witz und am Ende muss man nichts so schwer nehmen wie es ist. Ich hasse es, wie selbstverständlich angenommen wird, dass man (sexualisierte) Gewalt überlebt und sich dann einfach nur zur Reparatur begeben muss.
Verdammt nochmal: Opfer von (sexualisierter) Gewalt sterben – und zwar häufig! Vor allem wenn sie unter 18 Jahre alt sind, nicht weiß, nicht cis, nicht strukturell abgesichert sind.
Sie sterben an von der eigenen Tat überforderten Täter_innen. Sie sterben an Täter_innen, die Angst haben. Sie sterben an Täter_innen, die sie tot misshandeln. Sie sterben Jahre nach dem Ereignis (oder den Jahren, in denen diese Ereignisse zum Alltag gehörten) an Depressionen. An den Folgen von Süchten. Sie sterben an der Todesangst, die ihnen die Gewalt in jede einzelne Zelle presste und die nie nie wieder so verschwindet, als wäre sie nie da gewesen. Es sind so viele Menschen, die jedes Jahr an den direkten, wie den indirekten Folgen von Gewalt an sich versterben, noch bevor sie in Traumatherapie oder wenigstens traumasensible Hilfen können.

Das ist Ernst. Kein Scherz, kein künstliches Drama mit verstecktem Happy End, das man nur finden muss, indem man sich die Lage ins rechte Licht rückt.

Kurz denke ich darüber nach, wie das für Menschen mit Penis wohl ist, solche Wurstwitze zu hören. Wie wirkt sich das eigentlich auf den Genuss des Grillguts aus, wenn die Wurst in der Werbung ein eigenes Körperteil darstellen soll?
“Ha ha lecker Wurst – zwinker zwinker- *kräftig reinbeiß*”? Doch wohl eher nicht. Oder?

Mein Job erfordert eine Pause, denn meine Speicherkarte ist voll. Statt Bratwurst vom E-Grill zu essen, denke ich darüber nach, wie bitter es ist, wie so ein Spot mit einem Schlag mehr Menschen mal den Begriff “Traumatherapie” hat hören lassen, als Menschen sie wirklich bedarfsgerecht auch erhalten können.
Wie bitter das ist, wenn so ein Werbespot dazu beiträgt, Gewalt zu bagatellisieren und Traumatherapie (LOL “Jaha auffer Couch sitzen und sabbeln – so löst man Quatschprobleme”) dabei gleich mit zu lapidarisieren.

Ich kann nichts auf dieser Party essen. Die Bratwurst guckt wie Penis; die Menschen machen mir Angst, weil sie mich überanstrengen und in Erinnerungen triggern.
Überhaupt ist mir schlecht, denn ich bin in Traumatherapie. Die letzte Sitzung vor gut 2 Tagen, dauerte 2 Stunden, gefolgt von 2 Stunden Krisenintervention übers Telefon. Ich schlafe kaum, weil mein Gehirn aktiv an der Traumaverarbeitung wirkt und mir Bilder, Gerüche, Gedanken, Impulse, körperliche Reaktionen der erfahrenen Traumatisierung, an der wir gearbeitet haben, aufkommen. Das ist okay, denn dafür mache ich das ja.
Diese Arbeit an mir selbst. Diese Traumaver.arbeit.ung im Nachinein, denn für die Prävention hat man sich früher noch weniger interessiert als heute.

Ich bin so wütend über diesen Spot, weil er mir zeigt, wie Werbung dazu beiträgt, dass es auch noch sehr lange meine Arbeit allein sein wird.
Es war meine Arbeit eine Therapeutin zu finden, die mich traumatisierte Person behandeln kann. Es wird meine Arbeit sein, wenn die Krankenkasse sie nicht mehr bezahlt. Es wird meine verdammte Arbeit sein, nachdem 21 Jahre lang andere Menschen ihren Spaß mit meinem Körper hatten und es bis heute keinerlei Möglichkeiten für Menschen in meiner Lage gibt, auf juristische Anerkennung des erlittenen Unrechts zu hoffen, ohne sich dem Risiko auszusetzen, erneut gedemütigt, verletzt und entwürdigt zu werden. Und. nichts. davon. zu. haben.

Es ist so bitter. So so bitter.
Und während Wurst-Atze sich entschuldigt und sagt, er würde sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzen, nimmt Wiesenhof den Spot offline.

Ich würge ein Stück Kuchen hinunter und würge es kurze Zeit später wieder heraus, als ich beobachte, wie ein Vater seine Tochter auf den Arm nimmt.
Ja ha Traumatherapie nach Überwältigung von riesengroßen Würsten ist doch echt immer wieder für nen Lacher gut.

Nicht.

spontane Integration

Die Stunde war zu Ende und während ich in die neue Jacke mit den Flauschstellen schlüpfte, trug sie ein Jemand auf dem Arm Stück um Stück tiefer ins Innen.

Wir hatten gearbeitet und ich spürte es an einem flirrenden Zucken unter der Haut. Der Notwendigkeit die Unterwäsche zu wechseln und unter die Dusche zu gehen, als wir zu Hause waren. An dem Wunsch NakNak* immer im gleichen Zimmer zu wissen.
Über den Nachmittag kletterte die Temperatur von 37 auf 38 auf 39 auf 40 Grad und ließ die Wahrnehmung des Heute schwanken. Am Abend begannen die intrusiven Gedanken und Gefühle, Pseudohalluzinationen und schmerzhafte Muskelkrämpfe.

Während ich versuchte der versorgenden Stimme aus dem Nebenmir zu folgen,  Aspirinbrause zu trinken und Lavendelöl auf Brust und Nacken aufzutragen, hörte ich sie schreien.  Später fiel mir auf, dass es mich verwirrt hatte sie schreien zu hören. Wir hatten doch an ihrer Erfahrung, dem Ereignis, das sie zu einem Jemand hatte werden lassen gearbeitet, damit ein Teil des ES zu schreien aufhörte.

Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie sich trauen würde, sich für den Teil des ES vor ihr zu öffnen und es in sich aufzunehmen. Vielleicht ist dieser Schritt aber auch nichts, was sich vorbereiten lässt.
Manchmal sind die Unterschiede zwischen Innens, die ein Jemand sind und dem, was wir als ein Teil des ES bezeichnen, nur minimal und manchmal braucht es nur eine bestimmte Resonanz vom außen, um die Ebenendifferenzen auszugleichen bzw. anzupassen. Ich stelle es mir vor, als würde der Umstand mit der Therapeutin durch einen Moment zu gehen, eine Art Schmiermittel einbringen, um diesen einen Ausgleich in Gang zu setzen, der früher aus Kapazitätsmangel in der Situation gestoppt wurde.
Das ist, als würde nachträglich etwas passieren, das nötig ist, auch wenn oder vielleicht auch obwohl, es akut keine Auswirkungen auf unser äußeres Funktionieren mehr hat.

In den folgenden Tagen haben wir darüber nachgedacht, ob sie jetzt in diesem Zustand noch überhaupt jemals wieder in der Lage sein kann, so zu funktionieren, wie sie es bisher konnte. Mir fiel dabei auf, wie sich die Annahme hinter der Frage gewandelt hat. Vorher ging es nicht um ihre Fähigkeit – es ging um ihre Intension. Die damaligen Umstände, die Frage nach bestehenden Zwängen oder Verpflichtungen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir uns gefragt, ob sie überhaupt die Fähigkeit für ein anderes Handeln hat. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass wer verletzend (re-)agieren kann, selbstverständlich und wie einem Naturgesetz entsprechend auch ohne zu verletzen (re-)agieren kann. Obwohl wir selbst wissen, wie tiefgreifend sich die strukturelle Dissoziation unseres Selbst auf das jeweilige Fähig- und Fertigkeitenniveau seiner Bestandteile (also uns Innens und das, was wir Teile des ES, Seelen, Energien… nennen) auswirken kann.

Nicht jedes Innen, das kocht, kann auch essen. Nicht jedes Innen, das weiß was zu tun ist, kann auch tun, was zu tun ist.
Wir haben das in Bezug auf sie ausgeblendet und sind jetzt umso dankbarer, dass wir das im Nachhinein reflektieren konnten.

Manche Menschen fragen sich, ob Innens verschwinden, wenn sie sich integrieren oder mit anderen verschmelzen. Manche fragen sich, was genau da eigentlich passiert, wenn wir sagen “Sie hat es in sich aufgenommen”.
Wir haben noch keine Verschwindeerfahrung von Innens im Rahmen traumatherapeutischer Arbeit gemacht. Uns sind immer nur Innens bzw. ganze Systeme “verschwunden” oder kaputt dissoziiert, wenn wir Gewalt in Kombination Todeserwartung bzw. Nahtoderfahrungen üb.erlebten. Und dabei war es irrelevant, ob die Gewalt von früheren Täter_innen ausging oder von Menschen, die man außen als Teil einer Hilfe bzw. eines Hilfesystems bezeichnet.
Wir haben für uns inzwischen sehr klar, dass die Rechnung “Gewalt = Dissoziationsbereitschaft = Spaltung = DIS, wenn sinnhaft fürs Überleben” eine irreführende ist, die unserer Ansicht auch dringend und gerade in der Öffentlichkeitsarbeit präzisiert werden muss in: “toxischer Stress = Verstärkung bestehender Dissoziationsbereitschaft = erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spaltung = Etablierung kompensierender Mechanismen (zum Beispiel einer DIS)”

Uns ist aufgefallen, dass wir davon ausgingen eine größere Veränderung wahrnehmen zu werden, nachdem wir die spontane Integration des Innens mit dem Teil des ES gespürt haben. Doch bis jetzt stellen wir die Veränderung eher an uns und unserem Zugang zu dem Innen fest bzw. merken, dass wir es anders sehen können.
Wir sehen mehr Worte in ihrem Denken und sehen, wenngleich nach und nach weniger deutlich, welche Worte von ihr und welche aus dem Teil des ES sind. Und wir spüren Gefühle in einer Wellenbewegung, wo vorher “emotionsähnliche Reaktionen” wie durch ein Katapult immer die gleiche Linie entlang geschossen kamen.
Sie ist noch die Gleiche. Sie hat keine 180° Kehrtwendung ihrer Ansichten, Ab- und Zuneigungen oder Loyalität gemacht. Aber da ist jetzt ein Schrei in ihr wo vorher keiner war und wir merken, dass wir eine Kehrtwendung in unseren Ansichten von ihr machen.
Von einem Jemand, dem wir uns widmen, weil wir etwas einfordern, wird sie zu einem Innen, das eine innere Sitzwache und viel von unserem Zuspruch braucht, um nicht gleich wieder auseinanderzufallen, weil es einen nun auch eigenen Schmerz nicht mehr aus_halten kann.

Wir merken, wie wir zu ihren Begleiter_innen in einem uns alle verändernden Prozess werden.

Fundstücke #17

Da ist die Idee, dass es innerhalb einer Zeitfalte nichts gibt.
Weißes, neblig weiches Nichts und davon ganz viel.
Lauf der Dinge-Nichts. Rauschen, das kommt und geht.
Ist, das kommt und geht, ohne je das eigene Innen berührt zu haben.

Manchmal denke ich, dass es ist, als würden wir Steine im Innen niederlegen, wenn wir uns einander nähern wollen.
Ja, als wären unsere Worte kleine Gedenksteine und Mitbedenksteine, die wir an einen Punkt in unserem Innen legen, den wir aus Rücksichtnahme und Willen zum Bewusstsein beachten doch, aus Angst selbst hineinzufallen, nie berühren.

Als es um sie ging, ging es lange nicht um sie, sondern um das, was sie tut.
Das erste Wort, das wir an ihren Rand legten war: “Selbstverletzung”.
Das erste Kämpfen ging um Furcht. Furcht vor Kontrollverlust. Furcht vor dem Urteilen und Werten der Therapeutin. Furcht, vor dem Moment, in dem die Forderung nach einem Ende dieser Verletzungen das kleine Sprechzimmer sprengen würde, weil wir ihr nicht nachkommen konnten.

Wir protokollierten ihr Handeln. Wir beurteilten und bewerteten es. Wir legten “Selbst-Folter”, “Not”, “nötig”, “Reaktion” an die Stelle, wo es biss und krampfte, wann immer wir uns mit der Wahrheit zu verbinden versuchten, es könnte sich um ein Erinnern handeln. Oder ein Innen, das in einem Heute ist, das für uns nur ein weißes neblig weiches Nichtsrauschen ist.
Immer liefen wir auf der perlmuttlila Linie von “Heute”, zu “Begleiterin”, zum Rauschen und wieder zurück.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder Worte an diese Stelle gelegt bis wir an Konsistenz stießen und spürten, wo sie anfängt und unsere eigenen Worte enden. Wo unsere Worte beginnen und die der Rosenblätter. Und die der anderen. Und die der ganz anderen. Und, die derer, die nie ein Wort halten können. Bis wir sie auf eine Art wahrnehmen konnten, die man “sehen” nennt, aber doch mehr „spüren“ ist.

Sie einigten sich darauf sich zu widmen. Mehr als nur Worte zu finden, sie an sie heranzutragen und liegen zu lassen. Es war ein Moment, in dem jemand fragte: “Wieso legen wir eigentlich immer Wörter da hin, aber sie gibts nie selber welche, sondern macht nur Dummtüch?”.

Wir begannen Worte zu fordern. Mit dieser Begründung. Und erlebten eine Weile, in der die Vereinbarung auf ein Verletzungslevel, das wir selbst noch gut versorgen konnten als fast über Bord geworfen erlebten. Und nicht verstanden, warum es diesen Rückschritt gab.
Das Warum begann wie ein Knöterich die Worte um sie herum zu überwuchern. Im letzten halben Jahr widmeten wir uns nicht ihr, sondern einem Warumgestrüpp, das gefundene Worte unter sich zu begraben drohte.
Neben all den anderen Kämpfen in diesen unseren unterschiedlichen Leben.s_Läufen der Dinge.

Gestern hat jemand in ihr Denken geschaut. Sie standen auf der perlmuttlila Linie und hielten einen Faden an dessen Ende die Therapeutin saß.
Das Jemand trug Worte von innen nach außen und legte sie dort ab, wo die Fragen der Therapeutin hinführten. Bis es den Faden verlor und das Rauschen eines längst vergangenen Lauf der Dinge uns trennte.

Am Abend schrieb es in unser Heft: “Da ist ein Erinnern an Gewalt passiert und ich stand daneben. Es ist eine Wiederholung. Sie hat etwas wiederholt – und ich habe etwas wiederholt. Sie die Gewalt und ich das Beobachten von genau solchen Situationen. […]
Ich sehe sie jetzt in “Beruhigung” neben etwas, das mich irgendwie be_rührt: “Kontakt”.”

Heute morgen brodelte der Wasserkocher.
Und zum ersten Mal seit Jahren war da nur der Gedanke, vorsichtig zu sein.
Um sich nicht zu verletzen.

betroffene Profis #2

Wenn es einen Satz gibt, der uns seit 13 Jahren begegnet und exakt nichts sagt, weil er in  dem Kontext, in dem er uns immer wieder begegnet dumm ist, dann ist es “Sie sind der Profi für ihr eigenes (Er_)Leben”.

Immer sind es Kliniken, Behandlungspraxen, Beratungsstellen, Betreuungsbüros, in denen dieser eine Satz wie ein Zierdeckchen auf meine Problemberge draufgelegt wird, um mir zu signalisieren: “So und nun gucken sie mal, wie sie klarkommen. Behalten Sie dieses Deckchen immer im Blick, denn niemand kann Ihnen das abnehmen, was Sie tun müssen, um sich besser zu fühlen. Sie allein sind es, die das kann. Sie sind so [hier wird eingefügt, was von zur Mehrheit der Menschen erklärten Masse als positiv ermutigend und stärkend gilt – also so etwas wie “mutig”, “stark”, “klug”, “eloquent”, “kämpferisch”, “resilient”, “kraftvoll”] – es gibt Hoffnung für Sie – Sie müssen nur wollen und machen.”

Vielleicht geht nichts anderes. Vielleicht sind die Bedingungen unter denen Menschen heute anderen Menschen helfen wollen, können, müssen, sollen, so beschissen, dass nur noch das geht. Das “Sie sind der Profi- Zierdeckchen” klöppeln in der Verhaltenstherapie, in Mandalaform zum Ausmalen hingeben in der Kunsttherapie, in regelmäßigen Trommelschlägen in Bongos tippen in der Musiktherapie – in Myriaden von Worten verpacken in der Gesprächstherapie.
Ja, vielleicht geht nicht mehr. Ja, vielleicht ist der Ansatz bewährt. Ja, vielleicht macht so ein Satz sogar, dass man als Patient_in irgendwann sogar tatsächlich einen professionellen, kompetenten Umgang mit sich und seinem Erleben findet, der Leidensdruck und äußere Kontexte mit einem Flickenteppich aus immer komplexeren Zierdeckchen bedeckt bis es zur zweiten Haut wird.
Und ist.

Und dann? Dann ist man tatsächlich ein_e kompetent_e Patient_in.
Ach du Scheiße.

Dann gibt es keine großen Halleluja-Momente der Aufklärung über diverse Faktoren der eigenen Diagnose und auch die Idee davon nicht verrückt und unzurechnungsfähig zu sein, ist bei weitem keine mehr über die man einen roten Kopf bekommt und sich so erleichtert fühlt, dass man über einen Stein am Gürtel nachdenkt.

Nachdem fast unser halbes Leben aus einer Therapie besteht, die uns vor allem den Umstand unserer Zurechnungsfähigkeit, unserer Resilienzfaktoren und der Existenz der Berechtigung von Respekt, der uns entgegen gebracht werden soll, obwohl wir wir sind, in den Kopf pflanzt und dafür sorgt, dass wir das nicht vergessen, weil Inhalte aus der anderen Hälfte unseres Lebens immer wieder diese Pflänzchen kaputt zutreten versucht, geht es für uns nicht mehr darum von einer gesellschaftlich und kulturell über uns stehenden Instanz über das Vorhandensein dieser Inhalte als für uns und unsere Zustandsverbesserung als relevant und in Ordnung aufgeklärt zu werden.

Es geht darum diese zu sichern und genau so weit erstarken zu lassen wie bei anderen Menschen ohne unsere Erfahrungen.

Doch haben wir das vielleicht nicht genug bedacht, denn nun stehen wir erneut an einem Punkt an dem wir merken: Ja, jetzt sind wir so weit, dass es für uns kein fast g’ttgleiches Geschenk mehr ist, wenn uns jemand glaubt, dass es uns gibt. Dass wir sind. Dass wir leben, lieben, leiden.
Sondern, dass wir wissen: Therapie ist ein Arbeitsverhältnis. Therapie ist Arbeit an und Auseinandersetzung mit sich, wie der ganzen Welt. Auch dann, wenn sich “die Welt” durch den kleinen Einpersonenhaushalt mit Haustier und Ehrenamt auszeichnet, so ist es ein Kosmos, der eine Wandlung mit macht.

Wir wissen, es muss grundlegende Regeln geben. Wissen, dass diese Regeln auch Bereiche berühren können, die privater sind, als bei einem Arbeitsverhältnis bei dem es um die Errichtung eines Gartenzauns geht. Doch selbst in so einem Arbeitsverhältnis wird miteinander geredet. Ist man miteinander, weil man weiß, wie sehr man von einander abhängig sein kann.
Psychotherapie funktioniert nicht so. Therapieverhältnisse sind Abhängigkeits- und damit auch Gewaltverhältnisse. Nicht zuletzt auch deshalb, weil nur eine von beiden Professionalitäten als echt und wahrhaft auf ihrem gesicherten, etablieren Raum bestehen darf – obwohl die eine ohne die andere weder gebraucht noch produziert werden kann.

So nehme ich uns derzeit wahr wie Frankensteins Monster.
Wir waren eine Art tote Masse, die erst durch das Handwerk idealistischer, kompetenter und hoffungsvoller Menschen zu etwas kommen konnte, das man Leben nennen kann. Man feiert unsere Erfolge, freut sich mit uns über das eigene Wachstum, doch dann: [Schlaglicht und eine bizarre Musik im Hintergrund] haben wir eine Forderung. Wir wollen als das anerkannt sein, was man uns immer vermittelte und wollen einen entsprechenden Umgang mit uns.

Wir wollen respektvoll angehört werden, wenn es in einem Gespräch um uns als Person geht. Wir wollen die Möglichkeit unser Arbeitsverhältnis mitzugestalten. Wir wollen nicht weiter ausschließlich als in Schöpfung betrachtet werden, sondern auch als in Bestand.

Ich habe natürlich einen persönlichen und aktuellen Anlass das Thema aufzugreifen – zu anderen Zeiten aber habe ich diesen Anlass ebenfalls.
Auch zu anderen Zeiten gibt es Bereiche, in denen kompetente Patient_innen unter die Räder von Sozialpolitik und Professionsgeklüngel geraten und exakt keine Mitspracherechte bzw. exakt keine Gewichtung ihrer Mitsprache in Bezug auf ihre eigene medizinische, psychiatrische, psychologische und sonstige Behandlung, Versorgung, Pflege und unter Umständen auch juristische Genugtuung  erhalten.

Zu keinem Zeitpunkt seit unserer ersten F – Diagnose gab es je keinen Anlass sich mal zu fragen, ob sich denn niemand darüber wundert, was für ein seltsamer Weg beschritten wird um Leiden zu begegnen und zu lindern. Zu keinem einzigen Zeitpunkt in unserer gesamten Behandlungszeit gab es so ein Moment nicht.

Und lange dachten wir, dass wir uns darüber wundern und das in Frage zu stellen hätte etwas mit unserer Kaputtheit, unserem Leidensdruck, der beschissenen Lebensrealität mit der wir jeden Tag umgehen zu tun.
Nicht damit, dass da tatsächlich Kackscheiße passiert.

Und daneben die Frage, warum werden “wir Patient_innen” (und: “Wir, die wir Opfer von Gewalt wurden”) denn bitte so sehr gestärkt und in unseren Rechten auf Selbstbestimmung, Unversehrtheit und bestmögliche Versorgung im Sinne von Umgang und Begegnung versichert, wenn wir diesen nicht gleichermaßen auch von denen einfordern dürfen, die uns beigebracht haben, dass wir ein Recht darauf haben?

In den letzten Jahren haben wir so viel über die Sollbruchstellen des Antistigmatisierungsaktivismus gelernt. Haben so viel über die tiefgreifenden Wurzeln von Selbststigmatisierung im Zusammenhang von Konsumgesellschaft und patriarchaler Gesellschaft gelernt, dass wir vor uns selbst nicht umhinkommen, durch die Straßen und jeden einzelnen Tag zu laufen und merken, was hier eigentlich passiert. Obwohl und trotzdem so viele Menschen glauben, vieles (alles) ginge auch ganz anders als jetzt.

Nämlich: auch ohne Gewalt

betroffene Profis #1

2001 war ich eine 14 jährige, die aus der kinder- und jugendpsychiatrischen Station eines Uniklinikums in eine Wohngruppe für Jugendliche mit psychiatrischer Diagnose entlassen wurde und darüber nachdachte, ob Psychologin zu werden, vielleicht etwas für sie wäre.
Viele meiner damaligen Mitpatient_innen hatten nach ihrer Entlassung diese Idee. Und vermutlich haben sie alle spätestens in der Zeit der Reintegration in ihre Schul- und andere Alltage gemerkt, dass Lebensabschnitte mit stationärer Behandlung in der Psychiatrie und/oder Psychosomatik exakt die Lebensabschnitte sind, die so ziemlich alle Berufe in Frage stellen, die in irgendeiner Form mit hilfs- und unterstützungsbedürftigen Menschen zu tun haben.
This is called “Stigmatisierung”, Baby!

Man geht dazu über in seinen Lebenslauf zu schreiben, das man “mal krank war” oder schreibt von einer chronischen Erkrankung, die einer regelmäßigen Behandlung bedarf, seit man jugendlich war.
Dann gilt man wenigstens nur als krank und nicht auch noch als unzurechnungsfähig oder gefährlich. Krankheiten können ja auch geheilt werden und bei einer Krankheit stellt sich eine Ursachen- aber keine Schuldfrage. Beziehungsweise: nicht sofort.

Krank sein ist okay, so lange sie nichts mit anderen Menschen zu tun hat, weil man sich sonst Umgangsfragen stellen müsste, die bestehende Strukturen nicht entsprechen können.

2001 wurde ich eine 15 jährige, die von ihrem Therapeuten misshandelt wurde und verstand, dass ihre Idee davon Psychologin zu werden viel mehr mit einem Wunsch nach der sozial und kulturell legitimierten  Macht Menschen beeinflussen zu können und zu dürfen zu tun hatte, als damit, was ich als eigene Fähig- und Fertigkeit perfektionieren möchte, um anderen Menschen, wie Nichtmenschen, Hilfe und Unterstützung, aber auch Raum zur Veränderung der Gesellschaft zu ermöglichen.

Ich weiß nicht, ob wir uns aus Versehen zu einer linksautonomen Radikaloweltveränderin mit Hang zum kommunistisch nachhaltigen Ökosozialkapitalismus sozialisiert haben, als wir so durch die Pubertät gingen und irgendwann in das Erwachsensein außerhalb der organisierten Gewalt an uns hineinwuchsen. Vielleicht.
Ich fände das schön, weil ich darüber merke, das in uns viel Eigenes entstanden und entwickelt ist, das das Außen nur brauchte, um sich selbst entstehen zu lassen. Ich habe einen Machtbegriff, habe Theorien und Ideen wie Macht und ihr Einfluss was wo wie bewirkt und mir im Laufe darüber die Chance erarbeitet in kleinen Schritten zu sortieren, welche Lebensabschnitte wo und wie miteinander zu tun haben und welche Rolle ich selbst dabei tatsächlich erfülle und zu erfüllen keine andere Wahl hatte. Es ist eine rein intellektuelle Auseinandersetzung, die die Möglichkeit birgt emotionale Inhalte nur schwer anzuerkennen und zu integrieren, aber es ist die Auseinandersetzung, die unseren Fähig- und Fertigkeiten entspricht.

Natürlich habe ich keine Zahl dazu wie Menschen ihre Psychiatrie- und Helfergewalterfahrungen für sich einsortieren. Doch der Grund dafür ist nicht, weil die Gewalt so selten passiert oder die meisten Menschen ihre Erfahrungen für den Rest ihres Lebens eben nicht einsortieren, sondern, dass es der weniger leicht über bestehende Stigmatisierungen in ihrer Stimme zu unterdrückenden Machtmasse unserer Gesellschaft egal ist – und egal sein muss! – was mit den Menschen passiert, wenn ES und DAS DA passiert ist.

Ich will die bestehende Spaltung zwischen Menschen, die zu Opfern wurden und nur “die guten Opfer”, “die schlechten Opfer” und “die Opfer, die nicht wissen, dass die Opfer sind” kennt, nicht mittragen.
Zum Einen, weil man nur so lange ein Opfer ist, wie die konkrete Unterwerfung geschieht und danach eine zum Opfer gewordene (oder auch: eine Opfer gewesene) Person ist und zum Anderen, weil eben jene Spaltung nur aufgrund bestehender Gewalt (hier synonym mit “Macht”) verhältnisse überhaupt ent- und bestehen kann – ergo: weitere Opfer produziert bzw. Opferschaften aufrecht erhält und damit die individuelle Weiterentwicklung negiert.

Da gelten die “guten Opfer” als jene, die es schaffen ihre Gewalterfahrungen zu beweisen und ergo im Machtbereich Justiz zu bestehen.
Da gelten die “guten Opfer” als jene, die es schaffen ihre von Gewalterfahrungen ausgelösten Krankheiten innerhalb der Richtlinien entsprechenden Therapiestundenanzahl zu überwinden (sic!).
Da gelten die “die guten Opfer” als jene, die ihre Gewalterfahrungen als individuelles Einzelschicksal zu akzeptieren.

Da gelten die “schlechten Opfer” als jene, die an der Beweispflicht scheitern, zu krank, zu alt, zu schwach, zu sehr im Muster dessen, was die unreflektierte rape culture wahrnehmen lässt, sind oder zu viel Angst vor einer erneuten Unterwerfung innerhalb eines weiteren Macht (und Gewalt) bereiches haben.
Da gelten die “schlechten Opfer” als jene, die “das Falsche” sagen, wenn sie öffentlich ihre Erfahrungen mit_teilen.
Da gelten die “schlechten Opfer” als jene, die ihre Gewalterfahrungen zum Teil des Laufs der Dinge in der Gesellschaft machen, als die sie sie begreifen.

Da gelten Personen als “Opfer, die das aber noch nicht wissen”, die sich nicht als Personen begreifen, die gerettet werden müssen.
Da gelten Personen als “Opfer, die das aber noch nicht wissen”, die nicht auf klassisch übergriffige Hilfsinterventionsversuche anspringen.
Da gelten Personen als “Opfer, die das aber noch nicht wissen”, die nicht den gleichen Gewalt- und Unrechtsbegriff haben, wie jene, die sich Menschen einzuordnen anmaßen.

All das sind Urteile, die in Momentaufnahmen gefällt werden, was schon schlimm genug ist, weil auch das Entwicklung als bestehende Dimension ignoriert.

Gewalterfahrungen können vieles in einem Menschen zerstören und so verrücken, dass eine neue Form der Stabilität und auch der Stabilisierungsmaßnahmen etabliert werden (müssen).
Dafür gibt es gute und immer weiter in Verbesserungsprozessen befindliche Instrumente aus unterschiedlichen Professionen, seien es Psychologie, Psychiatrie, Medizin oder Pädagogik.
Die individuelle Profession in der Nutzung und Wahrung eigener Resilienzen wird daneben leider oft zu etwas, das wie ein Zierdeckchen in der Begegnung als existent aber lediglich schmückend seinen Platz und Berechtigung eingeräumt bekommt.

Autismus und DIS #1

„Mussten Sie als Kind verschiedene Rituale durchführen?“, fragte der Psychologe im Autismus Therapiezentrum und schaute mich an.

Für mich sind durch die Frage viele Aspekte noch einmal bewusster geworden. Zum Einen ist mir aufgefallen, dass ich die Frage sofort als eine überprüfte, die sowohl wörtlich als auch auf die faserige Art zu verstehen ist, was ich früher nicht so bemerkt hätte.
Weil mir das aufgefallen war, ist mir eine globale Tragik aufgefallen, die in mein so typisches Hadern um all das “hätte würde wenn”, das über meiner Kindheit und frühen Jugend schwebt, gehört. Hätte man mich vor vielleicht 20 – 23 Jahren mit dieser Frage konfrontiert – was hätte ich dann geantwortet? Ich weiß, dass ich vor 12 Jahren danach gefragt wurde und keine Antwort gab.

Ich weiß, dass ich heute solche Fragen absichtlich mit Wortspielen wegvermeidungstanze, etwa in dem ich antworte: “Ja klar – wir haben jedes Weihnachtsfest begangen, jedes Silvester, jeden Geburtstag – klar mussten wir eine Zillion Rituale in unseren Leben durchführen.”, denn bisher wurde ich nämlich nur nach Ritualen gefragt, um zu erfahren, ob ich sogenannte “rituelle Gewalt” erfahren habe, weil das gängige Bild von Menschen, die viele sind, genau diese eine Art der Gewalterfahrung beinhaltet.

Ich bin amnestisch für meine Kindheit und frühe Jugend – es kann alles und nichts passiert sein. Kein Ja oder Nein zu einer Frage nach etwas, das über die zur Verfügung stehenden Worte erdeutet werden muss, trägt zu einer Faktenlage bei. Am Ende macht es mir nur Druck, weil ich eventuell lüge – egal wie ich antworte.
Und so mache ich also Wortspiele und denke mir dabei, dass dies eine prima Methode ist, um auf etwas hinzuweisen. Für uns ist es wichtig immer wieder aufzuzeigen, dass es toxischer Stress ist, der Menschen zu vielen werden lässt und keine spezielle Form der Gewalt.

Meiner Erfahrung nach, sind solche offensichtlichen Wortspiele allerdings keine Methode um zu zeigen, dass ich eine klarere Formulierung brauche, um manche Themen bzw. meine Gedanken zu manchen Themen in der Therapie zu äußern. Offene Forderungen hingegen transportiere ich wahrscheinlich immer irgendwie falsch.

Für die Einen ist es eine nervige Sprachmacke – eine Spitzfindigkeit, die ich auch mal lassen kann. Für mich bedeutet “es sein lassen” hingegen “das Sprechen sein lassen”, weil es mich übermäßig anstrengt zu raten, was denn jetzt genau was wie meint.
Manchmal denke ich, dass die Therapie deshalb oft auch so anstrengend ist.
Wenn ich im Rausbringen von etwas kämpfe, versucht meine Therapeutin oft einzelne Wörter zu etwas zu machen, wofür ich viele gemacht habe. Und diese einzelnen Wörter schneiden aber alle etwas ab und sind in der Folge falsch. Und dann sage ich ihr, dass es nicht so ist, wie sie sagt. Und dann sagt sie “Wie ist es denn?” und ich wiederhole meine vielen Wörter und sie sagt wieder ihre einzelnen und dann sage ich “Orr!” und es entsteht so ein Moment, in dem ich entweder umschwenke oder wir beide auf die Uhr gucken, ob die Stunde nicht eventuell schon vorbei ist (was sie meist schon längst ist).
Manche von uns sagen in der gleichen Situation aber auch gar nichts mehr und hören auf darüber zu sprechen.

Was mir außerdem bewusst wurde, war etwas, was mich überhaupt erst zu dem Zentrum und dem Wunsch nach einer Diagnostik auf das Asperger Syndrom brachte: die Erkenntnis, dass Symptome häufig zwischen Verhaltensweisen und Sein (Selbst) trennen, weshalb Verhaltenstherapien immer wieder als der Heilungshit in der Medizin gelten bzw. geändertes Verhalten als Heilungsbeweis gilt.
Ich habe darüber nachgedacht, dass viel der zwischenmenschlichen Gewalt in meiner Familie* auch als “Erziehung” bzw. als “erziehende/korrigierende Maßnahme” aufgefasst wurde (vielleicht: bis heute wird).

Wenn man früher meine Eltern gefragt hätte: “Tillt ihr Kind durch, wenn Dinge anders laufen als sonst?” Dann hätten sie geantwortet: “Nein- wir bestimmen hier wer wann wie wo und weshalb durchtillt” oder (das ist dann der Dreh, wenn klar wird, dass die Kinder irgendwie doch alle kaputt gespielt sind und man gut dran tut, zu sagen, sie seien krank) “Hm, eigentlich tillt es immer durch, weil es ja krank ist – machen Sie’s mal gesund.”.

In dem Abklärungsgespräch, das wir gestern hatten, sollten wir viele Fragen dazu beantworten, wie wir früher waren und natürlich scheiterten wir, weil wir nicht über Deutungsräume lügen wollten. Was ich aber auch merkte war: es wurde gar nicht nur nach Verhaltensweisen gefragt, die kamen und wieder gingen, sondern nach Dingen an uns als Mensch, die auf ihre Art immer schon da waren, wie das Viele sein schon immer da war, egal wie sich das über die Jahre nach außen geäußert hat.

Für uns sind viele unserer Schwierigkeiten abgelegt unter: “Naja – dein Kopf mal wieder.”. Ich denke so oft, dass es sich nicht lohnt Kraft zu investieren, um Gespräche, Kontakte, Auseinandersetzungen anzufangen oder weiter zu machen, weil ich zu viel erklären müsste, zu viel reden und erklärend beworten müsste, damit ich und das, was ich äußere, verstanden werden.
Wie gut, dass man von Mädchen bis heute eher erwartet die Klappe zu halten und “Schweigen ist Gold, Reden ist Silber” in den Kopf drückt, als darauf zu bestehen, dass sie sich ihren Gedanken, Ideen, Theorien und Empfindungen entsprechend äußern bzw. sichtbar machen – und zwar immer und überall, ohne sie zu sanktionieren, wenn sie dabei nonkonform sind.

Wir gehören zur klitzekleinen Gruppe der Menschen mit einem IQ von über 170 und wenn wir mit diesem Quotienten argumentieren, weshalb uns seichtes Soapgeplänkel, Small Talk und wenig gehaltvolles Kommunizieren allgemein eher nervt oder nicht interessiert, denken viele Menschen, sie würden das verstehen. Ich merke von diesem Verstehen oft nichts, denn sie sagen dazu dann Dinge wie: “Ja, das ist bestimmt unterfordernd”- als ob wir es geil fänden immer von allem geistig gefordert zu sein. Als sei “genervt sein” oder auch “nicht interessiert” sein, etwas, das nur aus einer Nichtbedienung von Vorlieben heraus entsteht und nicht etwa auch aus Langeweile oder Überreizung, die bei Menschen, denen bestimmte (unangenehme) Dinge schneller und vielleicht unausblendbarer erscheinen, vielleicht schon nach zwei Episoden aufkommt und nicht erst nach 7 Staffeln.

Wir brauchen keine reine Beschäftigung mit Quantenphysik oder unterschiedlichen Systematiken, um unterhalten oder berührt zu werden oder uns bereichert zu fühlen, aber wir brauchen Klarheit, die in uns nicht entsteht, wenn Menschen ständig Dinge abschneiden, um es sich selbst leichter zu machen. Ich hasse sexistische Stereotypen in Serien zum Beispiel nicht, weil es mich nervt ein Hetenpaar nach dem anderen in den immer gleichen Konflikten zu sehen, sondern, weil sie mich auffordern mir im Kopf ständig das, was fehlt zu ergänzen.
Für mich ist dieses Ergänzen auch keine Entscheidung “mache ich das jetzt oder nicht?” sondern etwas, das mir Druck macht und nicht auszublenden ist.
Im Gegensatz zur gefühlten Mehrheit der Menschen kann ich nicht einfach Dinge weglassen, von denen ich weiß, dass sie eigentlich dazugehören.

Deshalb ist Traumabearbeitung für uns ebenfalls so ein allumfassend belastendes (bis erneut traumatisierendes) Ding.
Manche Menschen denken, es sei schlimm sich mit der traumatischen Situation zu befassen und neue Erkenntnisse über sich zu verarbeiten – ich finde es schlimm, weil sich mit jeder neuen Perspektive neue zu ergänzende Universen eröffnen und ich sie nicht beworten kann. Dann kann ich nach ein paar Tagen oder Wochen sagen: “Es arbeitet in mir” oder “Das ist alles ganz schön viel”, aber der ganze Rest bleibt in mir drin und muss von mir allein zurecht sortiert werden.
Und meistens schaffe ich genau das nicht – es entsteht Druck und noch mehr Druck und noch ein bisschen mehr Druck und es kommt zu so einem Moment, in dem ich merke, das es mir besser geht, mich aber auch fragen muss: “Oh – war dieses Innen schon immer da?”.

Es gibt laut verschiedenen Therapeut_innen, die mit rituell misshandelten Personen arbeiten, sogenannte “Programme”, die in diese Personen konditioniert/erzogen/trainiert wurden, um Geheimhaltung, stetige Verfügbarkeit und eine gewisse bedingungslose Hin(Her)gabe an die misshandelnden Personen(gruppen) zu gewährleisten.
Ich weiß nicht, wie oft Menschen schon von uns gedacht haben, wir hätten so ein Programm in uns drin, das Traumaarbeit verhindern soll, weil wir eben diese Reaktion von immer neu auftauchenden Innens haben, obwohl wir ganz sicher keine Gewalt wie früher mehr erfahren.

Und ich weiß auch nicht, wie oft ich schon geäußert habe, dass viele Innens bis heute eher aufgrund von Überforderungen bzw. dem toxischen Stress, der in mir entsteht, wenn ich überfordert bin (und keine Hilfe erhalte, weil es zu unbewortbar ist, um verstehbar nach außen gebracht zu werden und damit allein bleibe, weil es eben die Mehrheit der Menschen ist, die mich nicht versteht), entstehen.

Es ist aus meiner Sicht ein massiv unterbeachtetes Problem der Diagnose “dissoziative Identitätsstruktur”, dass viele Entstehungsmechanismen in Kategorien und Unterkategorien gesucht (und gefunden) werden, ohne die zum Beispiel in den Genen der betroffenen Personen angelegten (“naturgegebenen”) Faktoren gleichsam zu werten.
Natürlich passt die Idee, ich wäre so abgerichtet und gequält worden, dass ich nie “Eine” werde – die Idee, dass ich vielleicht mehr Unterstützung und Widmung nach einer Traumabearbeitung brauche, um nicht mehr werden zu müssen, damit ich hinter dem, was mein Kopf mir aufzeigt, nachkomme, passt aber genauso gut.

Hier kommen wir aber dann auch an die Probleme der Gruppe begleitender, therapierender und medizinisch be.handelnder Menschen, die sich und ihre Arbeit in Widmungsnormen und Zeitvorgaben gedrückt sieht und jeden Wunsch (jede Notwendigkeit) ihrer Klient_innen nach einem wie auch immer geartetem “mehr”, mit “mehr Aufwand”, “mehr (unbezahlte, unabgesicherte, nicht von der breiten Masse der Bevölkerung unterstützte und gewertschätzte) Arbeit”, “mehr abverlangter Kraft”, “mehr abverlangtem persönlichen Wachsen” abwägen muss.

Es ist am Ende, so argwöhne ich jedenfalls manchmal, dann irgendwie einfacher? befriedigender? egostreichelnder? richtiger? belohnter? aufopfernd und selbstlos für einen als massiv gequälten und ergo massiv leidend gelabelten Menschen gegen ein System zu kämpfen (und im Scheitern vor einer Übermacht mit den Behandelten verbunden zu sein).
Ja ja die Rosenblatt ist jetzt böse, das sie sowas ins Internet schreibt.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, bei denen wirklich solche Programme gesetzt wurden – über die spreche hier aber nicht.
Ich spreche über Therapeut_innen, die die gegebenen Potenziale und Wuchsrichtungen ihrer Klient_innen ausblenden, um ihre eigene Situation von Über.Forderung und Rückhaltlosigkeit unter Kolleg_innen und Gesellschaft besser zu ertragen. Von Therapeut_innen, die ihren Klient_innen eher zwischenmenschliche Traumatisierungen, die zu Sprech- und Kommunikationsproblemen führten in die Patient_innenbiografie schreiben, als anzuerkennen, dass dort schon vor der Gewalt etwas schwierig gewesen sein könnte.

Ich weiß nicht genau, wie unsere Therapeutin uns so für sich persönlich einordnet, aber sie hat auf all unsere Abgrenzungen zu ritueller Gewalt (und allgemein jeder Objekt.ivierung dessen, was wir erinnern) geäußert, dass sie das akzeptiert und berücksichtigt.
Mehr brauchen wir nicht, um gut miteinander zu arbeiten.

Wie sich unsere Therapie verändert, sollte sich herausstellen, dass wir durchaus auch die Kriterien für eine sogenannte “Störung auf dem autistischen Spektrum” erfüllen, wissen wir nicht. Es gibt kein Buch zur Traumabehandlung von Autist_innen mit dissoziativer Identitätsstruktur.

Wir wissen nicht, ob wir ein weiteres rosenblattsches Special an uns integrieren und gleichzeitig an dem Wunsch ein Teil dieser Welt zu werden, festhalten können.

“Wir sind Viele” ~ Teil 4 ~

 ent-wicklung Karl Heinz Brisch war akut verhindert, so dass sein Vortrag “Täter oder bindungsgestörte Kinder?” leider entfiel.
Für ihn trat Michaela Huber auf das Podium mit ihrem Beitrag “Viele im Netz der Pädokriminalität”.

Ich nehme die Vorträge von Michaela Huber immer sehr klar und rund wahr. Es ist gut zu unterscheiden, wann sie Perlen und Edelsteine aus ihrem 30 jährigen Erfahrungsschatz in der Behandlung und Auseinandersetzung mit dem Themenbereich der Folgen schwerer Traumatisierungen beschreibt und wann sie diese mit Sachinformationen, auch anderer ForscherInnen und BehandlerInnen zusammenfügt, um ein wenig starres Bild entstehen zu lassen.

Sie setzt nicht auf dramatische Schilderungen, um große Gefühle zu erzeugen, sondern benennt, was andere nicht zu benennen wagen.
Für mich persönlich, bildet genau dies den wertvollen Kern auch dieses Vortrages, der wie viele ihrer Vorträge auf ihrer Homepage zu finden sein wird.

 

Nach einer Kaffeepause referierte Prof. Dr. Plassmann, Leiter der Kitzbergklinik, Bad Mergentheim, über die “stationäre Therapie bei Komplextrauma”.
Es wurde ein Vortrag dem zu folgen war, dem aber meiner Meinung nach, einige Stichworte und Schemata auf Folie wirklich gut getan hätten.

Er benannte eine Form der Dissoziation, die seiner Auffassung nach, noch nicht genug aufgegriffen wird und zwar die Dissoziation, die mit kompensatorischen Verhaltensweisen wie zum Beispiel Süchten hervorgerufen und aufrecht erhalten wird.
Ein spannender Ansatz, den ich persönlich gerne weiter verfolgt hätte, der aber in seinem losen Faden irgendwo mitten im Vortrag endete und nicht mehr aufgegriffen wurde. Er beschrieb das Konzept “seiner” Klinik zur Behandlung dissoziativer Störungen und Traumafolgestörungen allgemein.
Ernüchterung bei mir: 4 Phasen- Modell und Protokolle zur Symptomassoziation.

Das 4 Phasen- Modell klingt für mich im Grundsatz hilfreich und als logische Konsequenz aus dem, was posttraumatische Belastungsstörungen mit sich bringen. So wird in Phase 1 stabilisiert; in Phase 2 Ressourcen in den Überlebenden (wieder)entdeckt und als Hilfe zur Selbsthilfe etabliert; während in Phase 3 die Traumaexposition ansteht und in Phase 4 die Reorientierung in den Alltag und innere Neukonstruktion Thema wird.
Schöne, wirklich wunderschöne Theorie – die Praxis raucht vor der Eingangstür und lacht, dass ihr Bauch wackelt.
Letztes Jahr erst, sprach die Psychologin Sabine Drebes in einem Vortrag zur stationären Behandlung bei komplexen Traumatisierungen (dort die Klinik für Psychotherapie und psychosomatischer Medizin des evangelischen Johanneskrankenhaus Bielefeld) an, dass durch die begrenzten Finanzierungen der Kassen derzeit nur etwa 30% der PatientInnen überhaupt die Phase 3 durchlaufen. Sie werden entlassen und zu einem späteren Zeitpunkt (aktuell allgemein Wartezeit zwischen zwei Aufnahmen 1 bis 1,5 Jahre!) zur eben jener Behandlung nach Phase 3 wieder aufgenommen – wo sie sich in welchem Zustand befinden? Richtig- mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem, der eher eine Behandlung nach Phase 1 oder 2, als Phase 3 oder 4 nötig macht.
Ich bin nach meinen Aufenthalten in der Bielefelder Klinik immer halbwegs stabil und wach für meine eigenen Ressourcen entlassen worden- doch in der Zeit zwischen Behandlungen erforderte das nachwievor bestehende Trauma in all seiner Toxizität neue oder neuaufgelegte Anpassungsmechanismen, die sich zu immer komplexeren (chronifizierten) Süchten und anderen destruktiven Verhaltensweisen entwickelten. Wenn die Wartezeit um war, mussten immer wieder erst ein mal diese Symptome wieder runterreguliert werden- bis zur nächsten Entlassung. Und ich bin eine von Vielen und immer mehr werdenden- doch dazu später mehr.

Punkt zwei: Symptomprotokolle
Ich dachte, dass inzwischen allgemein bekannt sei, dass DBT mehr Dressurinstrument als Integrationshilfe von Verhalten als Symptom sei.
Hab ich wohl falsch gedacht.
Wenn ich Herrn Plassmann richtig verstanden habe, werden die Protokolle geführt, mit der/ dem behandelnden Psychotherapeuten durchgesprochen und dann Strategien erarbeitet, diesen anbei zu kommen. Was sich bei lauten Verhaltensweisen (für mich “offenem Dissoziieren”) wie selbstverletzendem Verhalten, Essstörungen, Süchten oder riskantem (Bindungs) Verhalten noch gut funktionieren kann (und sicherlich wird), stelle ich mir für leises Verhalten (“verborgenem Dissoziieren” bzw. bei Menschen mit “systemimmanenter Überlebensstrategie”) mindestens schwierig- allein von den PatientInnen durchgeführt- unmöglich vor.

Würde ich jedes Mal merken, wann ich dissoziiere, dann hätte ich keine dissoziative Störung im Sinne einer DIS.
Ich behandle natürlich keine Menschen mit dissoziativen Störungen und kann nicht auf 30 Jahre Erfahrungen zurückblicken, denn ich bin nicht einmal so alt. Aber ich bin schon kaputt gegangen an solchen Protokollen als einziges Mittel die Dissoziation meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung für mich begreifbar zu machen. Einfach, weil ich ihnen nie entsprechen konnte. Meine Symptome haben verhindert, dass ich meine Symptome hübsch in eine Liste schreiben konnte. Ich (und andere Viele, die ich inzwischen kennenlernen durfte) brauch(t)en intensive Begleitung und viele Rückmeldung von außen, um dissoziative Symptome überhaupt erst einmal dokumentieren zu können.

Mit der Einführung von Fallpauschalen in Krankenhäusern, kam es zum verschärften ökomischen Wandel in unserem Gesundheitssystem und mit ihm wurden auch die Betreuungschlüssel in Kliniken verändert. Konzeptionelle Anpassungen daran heißen vollmundig “Wir fördern die Eigenverantwortung unserer PatientInnen”.
Praktisch heißt das, dass 10- 15 PatientInnen, zum Beispiel in der Psychiatrie, von 2 KrankenpflegerInnen betreut werden. Prima Voraussetzungen um Patienten sorgfältig zu beobachten, (dissoziierte Brüche wahrzunehmen und rückzumelden)- selbstverständlich zum Hungerlohn und neben dem bürokratischen Aufwand und anderen Verpflichtungen.

Diese strukturellen Bedingungen, die in psychosomatischen Kliniken nicht viel anders sind bzw. heute sein werden, wurden in dem Vortrag von Prof. Dr. Plassmann, kurz streifend erwähnt, um sich dann thematisch nicht näher beschriebenen Hilfen zur Symptombewältigung zu widmen. Immer wieder mit den Begrifflichkeiten “normal” und “krank” (wer hier öfter liest, wird sich vorstellen können, wo in dem Raum Frau Rosenblatt Teil der Deckendekoration war…)

Am Ende gab es die Möglichkeit Fragen zu stellen und einzelne Punkte weiter auszuführen.
Ich meldete mich und fragte, wie auf das traumareaktive Muster der Vermeidung in der Klinik bzw. dem Konzept reagiert wird. Wenn in den Protokollen also eigentlich etwas stehen müsste, aber nicht steht, zum Beispiel, weil der/ die PatientIn die Angst vor der Angst mit Dissoziation vermeidet.
Eine fundamentale Frage, wie ich finde- haben wir doch gerade in dem Vortrag vorher gehört, dass sogenannte ANP’s (Alltagsnahe, (rein) funktionale Persönlichkeitsanteile/Innens/Innenpersonen/ etc. ) genau dieses Muster in sich tragen, um die Vermeidung der Annäherung an EP’s (Emotionen und Traumamaterial tragende Anteile/etc.) aufrecht zu erhalten (also strukturell zu dissoziieren, was man dann DIS nennt, was wiederum eine Folge von komplexer Traumatisierung ist, die dort in der Klinik behandelt wird).
Ich empfand die Antwort als ignorant und kann das auch jetzt, 4 Tage später, nicht anders nennen.
“Wir können nur mit dem arbeiten, was da ist”.
Meine Entgegnung jetzt: Ja, kann man- muss man aber nicht! Zumindest nicht, wenn man sich vielleicht mal fragen möchte, wem man eigentlich hilft und wem nicht. Wenn man sich mal kurz de Frage stellt, welche Menschen man allein lässt. Wieder. Nach all dem, was sie bereits allein durchstehen mussten.

So komme ich zu meinem eigenen “Vortrag”.

Ich persönlich, habe überhaupt gar keine Zweifel daran, dass solche Klinikonzeptionen Menschen helfen können und von Menschen auch als hilfreich wahrgenommen werden, selbst wenn keine Traumaexposition im stationären Rahmen passieren kann. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konzepte keine Luftschlösser sind und sicherlich auch ausführlich evaluiert wurden – allerdings nur mit PatientInnen, die da waren.

Die PatientInnen, die sich von vornherein gegen dieses Konzept entscheiden, nach Vorgesprächen gegen eine Aufnahme entscheiden und auch die PatientInnen, die an den Bedingungen zur Aufnahme scheitern (ihr erinnert euch an diesen Artikel? Das ist Bad Mergentheim gewesen), stehen für solche Erhebungen nicht zur Verfügung und ganz offensichtlich besteht auch kein Interesse daran, sich diesen zu widmen, zu befragen und Klinikkonzepte für komplex traumatisierte Menschen zu entwickeln, die auch mit (oder trotz?) kranker Kassenbegrenzung von einem stationären Rahmen der Psychotherapie bzw. psychosomatischer Medizin profitieren könnten.

Ich habe den Verdacht – oder vielleicht sollte ich von einer These, einer Idee sprechen, dass hier an diesem Vortrag sichtbar wurde, wie versucht wird, als unnormal definierter Dissoziation mit als normal definierter Assoziation zu begegnen.
Aufgegriffen wird, was der/ die PatientIn assoziiert und äußert – nicht was er/sie dissoziiert und ergo nicht konkret äußern/ benennen kann. Hilfreich ist, was da gewesene PatientInnen belegen- nicht das, was nicht dort behandelte PatientInnen als fehlend bezeichnen würden.

Wir haben ein Existenzproblem in unserer Gesellschaft. Ein Problem damit Minderheiten als sichtbar und existent und genauso wichtig, wertvoll, gewichtig wahrzunehmen und anzuerkennen, wie Mehrheiten. Es reicht nicht zu sagen: “Wir können nicht allen helfen.” um sich dann zu seinem Schreibtisch zu drehen und sich den Problemen, die seit Jahren als die Gleichen bestehen zu widmen. Ja, das wichtig. Ja, da muss auch etwas passieren und ja, es prima, dass es Menschen gibt, die das mit viel Kraftaufwand, Zeit und Herzblut tun. Vielen Menschen wurden so schon Leben gerettet, ermöglicht und/ oder verbessert.

Der Anspruch muss aber sein, dass tatsächlich alle Menschen die gleiche Chance auf Hilfe haben. Auch wenn es sich um eine – ausschließlich im Vergleich! – kleine Gruppe von Menschen handelt. An der Stelle beginnt moralische Verantwortung, der alle Menschen, meiner Meinung nach, nachzukommen haben, wenn das Ziel ein lebenswürdiges, lebenswertes Leben für alle Menschen gleich ist.

Es kann und darf nicht sein, dass wer nicht sichtbar ist, als inexistent gilt und zu bleiben verdonnert ist, weil es sich so leicht gemacht und nur Sichtbares aufgegriffen wird.
Es kann nicht sein, dass von hochdissoziativen Menschen gefordert wird, hochassoziativ zu agieren, wenn sie dieses als massiv lebensbedrohlich wahrnehmen (müssen- denn sonst hätten sie diese Struktur nicht entwickelt). Es kann nicht sein, dass Todesangst zum immanenten Teil des Heilungsbemühens in der Psychotherapie für auch nur einen einzigen Menschen gehört.

Ich will das vorgestellte Konzept wirklich nicht schlechtreden. Wirklich nicht.
Es wird Menschen helfen und so hatte es seine Berechtigung dort auf der Tagung gehört zu werden. Es wird aber den vielen die Viele sind und massive (von DBT- Elementen und Stabilisierungs-Intervalltherapiekreiseln in psychosomatischen Kliniken massiv verstärkten) Vermeidungsmustern der Persönlichkeitsstruktur nicht helfen. Und das nicht mindestens traurig zu nennen und zu Veränderungen in der konzeptionellen Gestaltung und auch der Kassenfinanzierungsgegebenheiten aufzurufen, ist ein Versäumnis, das ich in gar keinem Fall so stehen lassen will.

Vielleicht kann der Herr Prof. Dr. Plassmann in seiner Klinik nicht allen helfen.
Andere aber könnten das wollen.
Und genau diese Menschen sollten, meiner Meinung nach, gestärkt aus solchen Vorträgen heraus gehen.

Ich bin nur ernüchtert und wütend aus der Aula gegangen.

mit TherapeutInnen reden

ent-wicklung “Nein, das sind keine “sie” oder “er”, keine Menschen kein gar nichts! Sie wohnen in ihrer Praxis, fahren sich morgens um 8 hoch und schalten sich pünktlich um 18 Uhr wieder ab!”- jattata jattata jattata
In meinem Kopf redet es so über PsychotherapeutInnen. Nicht immer und nicht über alle, aber mit beachtenswerter Regelmäßigkeit immer wieder dann, wenn die Beziehung zu unserer Therapeutin bedacht wird oder wir eine Darstellung der Beziehung anderer Menschen zu ihren PsychotherapeutInnen erfahren. Ich habe Menschen kennengelernt, die ihre TherapeutInnen glorifizieren und für jedes Wort, jede Geste mindestens einbeinig rohe Eier jonglierend über die Drahtseile ihrer eigenen Nerven balancieren und schwer leiden, wenn das Bild, wiederum wegen allzu viel individueller Menschlichkeit, einen Riss bekommt.
Inzwischen denke ich, dass wir diese Idee für uns brauchen, um unsere Therapeutin aus der Welt, in der sie verankert ist und wir nur fremd, herauszuholen und neben uns im Niemandsland haben zu dürfen.

Ist es ein Akt der Gewalt, wenn wir ihr so viel von sich und dem worüber sie, in ihrer Position zu uns, definiert ist, abtrennen?
Was hat es damit zu tun, mit ihr oder TherapeutInnen allgemein, zu reden?

“Dir kann nur ein/e PsychotherapeutIn helfen”. Wir haben uns viele Jahre hin- und herschubsen lassen und stolperten Praxis zu Praxis.
Ich wusste eigentlich nie, was ich dort sollte, aber alle- wirklich alle- um mich herum, beteten angesichts meines “So-seins” und “dieses und jenes (nicht) machens” diesen Satz herunter und erhoben die Psychologie in einen Olymp, den sie auch hätten selbst besetzen können.
Rein theoretisch.
Eventuell.

In der Teenagerzeit gab es mehrere bittere bis traumatisierende Erfahrungen mit PsychotherapeutInnen und bis heute ziehen sich die Gewalterfahrungen unterm Helfersmantel, wie eine Brigade aus Straßenlaternen am Rande des Weges, den ich mit Menschen gehe, die mir als HelferIn begegnen.
Je mehr ich über das “Therapie machen” oder “psychologische/ psychotherapeutische Hilfe annehmen” nachdenke, desto greller scheinen sie mir in die Augen und vernebeln mir die Sicht sowohl auf mich, als auch auf meine Therapeutin.

Ich habe dieses Ideal eines “so ist es okay” oder “ja, so kann es gehen” vor Augen, in denen ich im Geschehen, Werken und Wirken bin und einfach nur gehe. Vielleicht ein oder zwei Brocken Geredetes im Mund befühle, ausspucke und dann drüberrede. Und weiter gehe. In meinem Niemandsland, mit meiner Therapeutin als Ich- lose Besucherin, die nur dort, wo ich nicht bin, _ist_ .

Wir halten es für uns im Innen so, dass wir in der inneren Kommunikation seit Jahren nur noch “Seelenfrauen” oder “Frau XY” sagen, aber eine “Therapeutin” meinen.
Sprache schafft Wirklichkeiten und in unserem Fall eben überhaupt erst mal eine innere Wirklichkeit, in der es grundsätzlich möglich ist, sich zum Reden- dem besonderem Reden- dem Reden mit Heilungsetikett- einzufinden.

Mit jedem Versuch sich der äußeren Wahrheit anzupassen und sie ins Innen zu übertragen passiert es, dass ich nur noch beobachte und die Worte, wie Steine, die sich übereinander stapeln und verkeilen, in mir fühle. Ich starre die Worte der Therapeutin- des Menschen, der als PsychotherapeutIn arbeitet; all die Verantwortung, die ihm aufgeladen wird- von mir, wie der Gesellschaft- all die Macht und all die SCHWEIGEPFLICHT– an und sehe, wie sie sich vor mir auftürmen und irgendwie in meinen Kopf sollen, aber doch nicht können. Ist ja alles besetzt in mir. Dann versuche ich wegzugehen und nicht selten mache ich mich gleich ganz weg.

Das ist das Moment, in dem ich im gleissenden Licht meiner Alarmbeleuchtung des Therapiewegs herumschwebe. Und, weil ich ja so schön schwebe und alles ganz einfach oder ertaubt ist und ja sowieso auch nichts mit mir zu tun hat und mir die Therapeutin mit ihrem Menschsein, nur noch als furchterregende Fratze inmitten abstrakter Kontrollverlustigkeit eines Schweigens erscheint …

da fällt mir auf, dass ein Innen getriggert ist und es viel zu viel ist.
Zu viel Mensch in der Therapeutin. Zu viel nah. Zu viel zu schnell zu voll zu eng zu zu zu zu viel Anlass sich an sein Selbstversprechen zu erinnern, nie wieder auf einen Menschen reinzufallen.
Schon gar nicht auf Menschen, die in einem Akt von “Wie ich- so du” zum Schweigen verpflichten könnten und damit den einzigen Ort in der Fremde, in dem das Sprechen ausdrücklich das ist, worum es geht, genauso mit klebrig schwarzem Moder überzieht, wie jeden anderen.

Schweigegebote sind für MitmacherInnen- Redeverbote für RebellInnen
So umschiffen wir im Innen die Hürde mit der Therapeutin Worte zu wechseln, produzieren aber auch ein Paradoxon, das sich zwischen Reden- (Aus) Sagen- und einer gewissen geheimniskrämerischen Systematik des Schweigens einen Strick knüpft, um sachte im Wind zu schaukeln.
Ich verstehe es selbst nicht und kann die Fragezeichen, die in einer Parade durch den Raum stampfen, auch nur mit einem schiefem Lächeln und hilflosem Schulterzucken aufnehmen.

Mein Reden ist vielleicht nicht mehr so sehr an ein RetterInnentum geheftet, wie es das früher durchaus mal war, dennoch ist es natürlich in einem Heilungsversprechen begründet. Würde es mir gleichsam helfen mich ausschließlich von Kürbiskernen zu ernähren, würde ich auch das tun. Vielleicht würde ich das sogar lieber tun, denn Kürbiskerne fragen nicht:

Wer sind Sie?
Was haben Sie?
Was wollen Sie von mir?

Kürbiskernen ist mein Sein egal, meine Person, mein Ich, mein Handeln, Denken und Fühlen. So können sie mir ebenso egal sein.
Mit TherapeutInnen funktioniert das nicht, obwohl das auch nicht immer nur schlimm für mich ist.

Wichtig ist, dass ich sie vom RetterInnengipfel ins Ichlose transponieren kann und deshalb nicht gleich noch eine Stufe gestörter oder mehr krank als vorher gelte. Das funktioniert nicht bei allen Menschen und auch nicht bei allen TherapeutInnen. Manche haben so ein scharf konturiertes Sein- sind so sehr sie selbst und erfassen auch nur, was für sich selbst greifbar ist, dass sie mein Niemandsland weder anerkennen, noch Rücksicht auf diesen Umstand nehmen.
So erinnere ich die Inquisitionsvisiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit den Reihen aus breit aufgepflanzten Cheftherapeuten oder Ärzten, deren Ego sich in den Raum drängelte und nichts und niemanden neben sich selbst haben konnten.
Genauso gibt es aber auch Menschen, die in ihrem Sein so wenig Ich nach draußen lassen, dass ich den Unterschied nicht wahrnehmen könnte und nie sicher erkennen könnte, ob dieser Mensch nun neben mir her läuft oder nicht. So wie eine Therapeutin früher, die der Lotushaltung verfallen war und dadurch eigentlich in Bezug auf gar nichts (be)greifbar.

Vielleicht ist es nicht, wozu Gesprächstherapie eigentlich da ist, wenn ich in erster Linie zum IrgendwoindieserWeltsein hingehe.
Hingehen, machen, wieder weggehen.
Hingehen, ein jemand antreffen, ein etwas neben sich aushalten- wieder verabschieden.
Hingehen, Worte aus den Trümmern bergen, in Regale legen- das Archiv wieder zu machen.
Hingehen, das eigene Sein erspüren- die Fühler wieder einfahren.
Hingehen, über die Grenzen des Nichts und alles drüber weg reden, wieder weggehen.

Irgendwo sein zu dürfen ist ein unterschätztes Geschenk, das nicht bezahlbar ist.
Als wir als Teenager dann niemanden mehr hatten- und damit meine ich ganz wirklich niemanden mehr, dem es nicht nur um unsere Benutzung ging oder darum eben seinen Päddyjob zu machen, da hatten wir das Glück, einmal in der Woche für 50 min nur ein einziges Mal für uns allein zu atmen. Die Zellen im Körper vibrieren zu spüren, eine Insel des Nichtangetastet werdens zu erleben.
Die Therapie an sich war eine Farce- da hätte vieles besser laufen können- aber, dass wir überhaupt noch irgendwo sein durften, hatte uns mehr als ein Mal von Suizidversuchen abgehalten. Wir haben dort nicht mit Worten geredet, vielleicht hätten wir das damals auch gar nicht ausgehalten.

Und heute?
Heute erlebe ich mich wie im ständigen Grenzbereich zwischen Worte unwillkürlich auskotzen und ersticken, an dem was sich dort innen sammelt und gegen Dämme drückt. Ich erlebe meine Therapeutin als jemand, die mich mit ihrem Sein, in meinen Grenzen fordert und die mich nicht allein darauf achten lässt, wo uns unser Nebeneinander laufen hinbringt oder hinbringen könnte.
Ich musste ihr bis jetzt nie sagen, dass ich mich aus Normen und Werten dieser Welt ohne Gewalt herausgefallen und verloren fühle, wie ich das so vielen vorher immer und immer wieder zu verstehen geben versuchte.

Ich denke, dass ich mit ihr über die anderen wichtigen Dinge reden kann.
Und wie ich ins Reden komme.

Darüber auch.

Buchbesprechung: „Der Feind im Innern- Psychotherapie mit Täterintrojekten“ von Michaela Huber

„Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt?“, fragt die deutsche 9783873875838
Diplompsychologin, Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin für Traumatherapie Michaela Huber in ihrem Ende April 2013 im Junfermann Verlag erschienen Buch „Der Feind im Innern- Psychotherapie mit Täterintrojekten“.

Zwischen diesen Buchdeckeln finden Opfer, TäterInnen und HelferInnen einen Platz, was in dieser Form einmalig ist. Die Autorin schafft es, mit zahlreichen Interviews, einer ausführlichen Falldarstellung sowie ihren Erfahrungen professioneller, aber auch persönlicher Natur, den Einfluss früherer (Bindungs -)Traumatisierungen als gewichtiges Element im Kreislauf der zwischenmenschlichen Gewalt im Großen wie im Kleinen klar darzustellen.

So wird zum Beispiel im Kapitel „Krieg im Alltag – und was wir tun sollten“ anhand der Wirtschaftsbörse dargestellt, welches Maß an gewaltätigem Potenzial den darin arbeitenden Menschen abverlangt wird, um überhaupt erfolgreich zu sein. Eine Skizzierung der Weitergabe von Traumatisierungen und der Wirkung kompensierender Verhaltensmuster sowie der Veränderung selbiger finden sich im Kapitel „Kleine Studie in Bösartigkeit – und ihrer Verwandlung“ und auch „Cherchez la Femme – Frauen transportieren die Gewalt weiter“.

Um die Darstellung von Ursache, Wirkung und Folgen von Gewalt geht es in weiteren Kapiteln mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt. So finden sich Erkenntnisse der Neurobiologie und Psychologie, ohne jedoch „eingleisig“ zu erscheinen. Immer wieder wird auf andere Zusatzfaktoren hingewiesen. Zum Beispiel die unzureichende Finanzierung und den grundsätzlichen Mangel von ausreichend (intensiven) therapeutischen Angeboten im Interview mit Karl Heinz Brisch (Traumaforscher und Kindertherapeut sowie leitender Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital München), welches den treffenden Titel „Es gibt keine kindlichen Psychopathen – aber bindungsgeschädigte Kinder!“ trägt, sowie immer wieder in vielen anderen Kapiteln.

Der wiederkehrenden Forderung „alle Täter raus – alle wegsperren – die sind alle krank“ begegnen sowohl Michaela Huber als auch die von ihr interviewten Kollegen Marianne Wick (deliktorientiert arbeitende forensische Psychotherapeutin in der Schweiz) und Frank Urbaniok (Chefarzt der größten forensischen Institution Schweiz sowie Professor in den Universitäten von Zürich, Bern und Konstanz) mit Einblicken in ihre Beobachtungen und Erfolge ihrer Arbeit mit Straftätern, als auch mit der Beleuchtung der Steuerungsfähigkeit von Menschen und des Schuldprinzips in Bezug auf die Prävention von Gewalt(wiederholung).

Über psychotherapeutische Methoden und Heilungs- bzw. Veränderungswege gewähren das Fallbeispiel der „Frau K.“, zu welchem auch Renate Stachetzki (leitende Psychologin und Kunsttherapeutin im Plankrankenhaus des PTZ Kitzbergklinik in Bad Mergentheim) interviewt wurde, als auch der Austausch mit der sog. „Innenperson“ Sandra in einer Klientin mit dissoziativer Identität und dem selbst zum Straftäter gewordenen „Herrn L.“ sehr gute und durch ihre Vielschichtigkeit wertvolle Einblicke.

Zahlreiche Studien sowie Literaturverweise im Anhang ermöglichen zudem jederzeit ein „Abbiegen“ in einen weiteren Teilbereich des Themenkomplexes um die Frage, wie man Ohnmacht und Gewalt beenden kann.
Die alltagsnahe Sprache sowie die klare Textstrukturierung ermöglichen eine leichte Annäherung an das Thema und werden seiner Komplexität und Tiefe dennoch gerecht.
So wird ein breiter Zugang zum Themenkomplex auch für Menschen ohne viele Vorkenntnisse ermöglicht.

Es ist ein Werk, das sowohl Fachwissen verschiedener Professionen als auch Mut zur Begegnung und Veränderung vermittelt.
Das Buch enthält auch einen Appell an die Politik sowie den, an die Courage des lesenden Menschen. Es ist Literatur, die allgemein mutig macht, weil sie sowohl Menschen, die an der Veränderung eigener Gewaltmuster und dem Kontakt mit den eigenen „inneren Oppositionellen“ oder auch Täterintrojekten arbeiten (wollen), als auch PsychotherapeutInnen und den Verbündeten in anderer Funktion, eine Positionierung durch Verständnis ermöglicht, ohne auf die verbreitete „Gut -Böse“-Dualität allein zurückgreifen zu müssen.
Eine Positionierung zu finden, bedeutet „Boden unter den Füßen“ zu haben. Einen Boden, der einen selbst trägt. Einen Boden, auf den man auch aufstampfen kann. Eine Grundlage, auf der man aktiv für eine Veränderung eintreten kann.

Das alles macht den Titel „Der Feind im Innern – Psychotherapie mit Täterintrojekten“ zu einem wertvollen Stück Fachliteratur, aber auch Wegweiser im großen Rhizom der Frage: „Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt?“

Ich persönlich bin froh und dankbar es gelesen haben zu dürfen.
Einfach schon, weil ich im Anschluss an die Lektüre ein Gefühl von Boden unter den Füßen und klarer Stärkung meiner Veränderungsimpulse feststellen durfte. Etwas, das mir für meine eigene Psychotherapie weiterhelfen wird.

 

 

Kurzsteckbrief zum Buch:
Michaela Huber
„Der Feind im Innern- Psychotherapie mit Täterintrojekten“
Erschienen am: 23.04.2013
Seitenanzahl: 368 Seiten
Umschlag: Kartoniert
Format: 17.0 x 24.0 cm
ISBN: 978-3-87387-583-8
Preis: 36,90€
Bestellmöglichkeit: Junfermann Verlag