a puzzling condition – #AutismAcceptanceMonth

Autismus als rätselhafter Zustand – so hat man sich das damals gedacht. 1963, bei der National Autistic Society. A puzzling condition [1], ein Rätsel an alle, das sich nur Teilen erfassen, verstehen, verbinden lässt.
Später kam die Schleife dazu. Wegen der Hoffnung.[2] Irgendwie.
Und dann – wozu das Rad neu erfinden – hat Autism Speaks das blaue Puzzleteil für die Verbreitung seiner speziellen Auffassung von Autismus benutzt und tut das noch immer.[3]
Heute gehört es zum Ritus des #AutismAcceptanceMonth, das Puzzleteil abzulehnen und möglichst vielen Menschen zu sagen, dass an Autismus überhaupt gar nichts „puzzling“ ist, wenn man autistischen Menschen nur endlich zuhört, statt über sie hinweg zu sprechen, zu entscheiden, zu lehren.

Als autistische, komplex traumatisierte Person mit DIS ist das für mich nicht so machbar.
Ich er_lebe dissoziiert. Ich er_lebe meine Umwelt und mich durchaus immer wieder mehr oder weniger stark fragmentiert. Es ist sehr schwer für mich, Verbindungen herzustellen. Ein Großteil dessen, was mich beschäftigt oder bewegt, was mich stört oder auch erfreut, ist mir mehr oder weniger Rätsel und je mehr ich versuche diese Eindrücke in ihrer Rätselhaftigkeit für mich darzustellen, zu erklären und andere Menschen zur Lösung einzubeziehen, desto größer wird die Kluft zwischen meinen Mitmenschen und mir.

Das ist nicht nur der Autismus – ja. Dann verzichte ich vielleicht speziell im April auf diese Metapher, um die Forderungen anderer autistischer Menschen nicht zu untergraben. Aber langfristig kann ich das nicht – und will es auch nicht.
Der K.r.ampf um das Symbol für Autismus – warum führen wir ihn eigentlich noch? Es gibt ein neues – das regenbogenfarbene Unendlichkeitsymbol – warum muss nach seiner Etablierung jetzt noch jedes andere Symbol ausgerottet werden? Warum ein Kampf um Symbole, wenn dem eigentlich ein anderes Ziel zugrunde liegt, nämlich das der Deutungshoheit. Die wollen viele autistische Menschen haben, weil sie glauben, damit viel anfangen zu können, um die Situation für autistische Menschen zu verbessern. Vielleicht stimmt das. Ich hingegen sehe in Deutungshoheit über etwas so vielfältiges wie Autismus eine notwendigerweise zu teilende Macht.

Speziell Autismus bringt stets einen Imperativ an die eigenen kommunikativen und interaktiven Anpassungsfähig- und fertigkeiten mit. Sowohl an nicht autistische Menschen als auch an autistische Menschen. Ein Hauptproblem – des puzzlings Pudels Kern sozusagen – ist doch, dass die einen fordern, dass man ihnen zuhört und die anderen, dass man endlich („angemessen“/“richtig“) mit ihnen spricht.
Es wird nicht gehen, wenn sich nicht beide Seiten aneinander anpassen – nicht beide Seiten versuchen einander zu verstehen.

Ganz klar ist das keine Aufforderung „doch bitte die armen kleinen nicht autistischen Menschis“ auch zu verstehen und nicht ganz so arg bös und radikal fordernd aufzutreten“ – auf keinen Fall!
Es ist eine Aufforderung dazu, nicht autistischen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst im Verhalten gegenüber autistischen Menschen und der Mitwelt nicht nur zu verstehen, sondern auch zu begreifen – und andersherum die Aufforderung an nicht autistische Menschen, dafür zu sorgen, dass autistische Menschen sich selbst im Verhalten gegenüber nicht autistischen Menschen und ihrer Mitwelt nicht nur verstehen, sondern auch begreifen können.

Für mich ist die Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen in nur 10 bis 15 Prozent der Fälle kein potemkinsches Dorf. Keine Fassade, die mich schützt, kein reflexhaft hochgehaltenes Schild aus meinen verbalen Skripten und antrainierten Sozialperformances. Es ist mir ein Rätsel, was ich neben dem, was ich sagen will, noch sage, wenn ich etwas sage – ich rate aus Antworten, ich habe so gut wie nie den festen Boden der Eindeutigkeit unter mir, sobald ich mich nicht schriftlich mit anderen Menschen befasse.
Und ja, das und mehr ist puzzling. Vielleicht bin ich für andere Menschen manchmal puzzling. Und ja, für manche Menschen war dieser Umstand auch Anlass mich schlecht zu behandeln oder über meinen Willen hinweg zu entscheiden oder an meiner statt zu sprechen. Mein Sein nicht als rätselhaft, sondern als Varianz zu sehen, würde daran in unserer Gesellschaft, mit unseren Erwartungen und daraus entstandenen Normen kaum etwas verändern.
Es verändert etwas anderes und darauf möchte ich mich in den nächsten Jahren konzentrieren – Mystizismus um autistische (komplex traumatisierte) Menschen. Denn rund um Autismus gibt es diese ganz ähnliche Basis für zuweilen missbräuchliches Verhalten, wie es das bei der DIS auch heute noch in manchen sozialen Bubbles gibt: Weil es noch nicht für alles wissenschaftliche Belege gibt, wird alles als möglich angenommen. Und anekdotische Evidenz wird auf einer Ebene wie wissenschaftliche Evidenz akzeptiert.
Im Kontext „Autismus“ findet sich das sehr viel in Bezug auf Heilung – bei der DIS sehr viel in Bezug auf die Entstehung bzw. das konkrete Herstellen einer DIS, aber auch die Unterschiedlichkeit der dissoziativen Selbstzustände (Innens, Innenpersonen, Anteile) und ihre Fähigkeiten.

Dabei gibt es heute sehr wohl sehr elaborierte Studien und enorm viel Sachwissen – es ist einfach nur unfassbar exklusiv.
Es wird nicht frei zur Verfügung gestellt, es wird nicht barrierefrei vermittelt, es wird zum Teil fachlich falsch vermittelt und es gibt bis heute weder einheitliche Behandlungsstandards noch werden die Behandelten in die Erstellung von Qualitätskriterien und Strukturen der Qualitätssicherung einbezogen.
Hinzu kommt, dass vor all dem Wissen und damit ja auch Begreifen von sich selbst, eine Diagnose stehen muss. Obwohl allen naturwissenschaftlich gebildeten Menschen klar sein sollte, wie unsinnig es ist, natürliche Varianz mit Mitteln der Pathologie zu ordnen bzw. zu behandeln – auch wenn sie nicht angeboren ist, wie im Fall der DIS.

Ich selbst versuche, mich als Forscher_in zu verstehen. Das erscheint mir nur logisch, denn wer sonst befasst sich mit Rätseln ohne sie lösen zu wollen oder von sich zu erwarten, sie (allein) lösen zu können?
Für mich ist diese Haltung wichtig, um meine Akzeptanz mir selbst gegenüber wachsen zu lassen – aber auch, um aus meiner Forschung zu lernen. Ich leite daraus keine Deutungshoheit über Autismus generell ab – aber über mich und die Rätsel, die ich er_lebe.

Autismus, Trauma, Kommunikation #10

Es ist einer der größten Risikofaktoren für autistische Menschen im Kontakt mit anderen Menschen unbeabsichtigt negative Irritation, unangenehme Gefühle oder falsche Annahmen über die Ziele und Intentionen der jeweiligen Gespräche und anderen Interaktionen auszulösen. Da geht es um unterschiedliche Kommunikationsstile, unterschiedliche Fokussierung, um unterschiedliche Interpretationsgewohnheiten und die soziale Position, aus der heraus man spricht bzw. in der man sich wähnt.
Es geht aber auch darum, wie ein Gegenüber mit negativer Irritation und/oder unangenehmen Gefühlen umgeht. Und auch welche Strategien man entwickelt, um sich der Ziele einer anderen Person zu versichern und wie man die eigenen Grenzen oder auch den eigenen Status in einer Beziehung schützt.

Für mich ist die Wahrnehmung negativer Irritation wichtig, um mich zu schützen. Ich weiß, dass es mir nur selten gelingt, andere Menschen von meinen Intensionen und Zielen einer Interaktion zu überzeugen, sind diese erst einmal von ihrer Wahrnehmung von mir überzeugt.
Was für die meisten neurotypischen Menschen ein kleines, eher unbedeutendes Missverständnis ist, das sie in 5 bis 10 Phraselrunden wieder ausgebügelt haben, ist für mich schnell eine Erfahrung von Gaslighting. Eine Manipulationserfahrung. Eine Negierung meines Anteils an einem Kontakt. Und also alles andere als leicht wieder gutzumachen, denn es geht dann ja nicht nur um die Situation selbst, sondern auch um den Kontakt. Es ist schmerzhaft, sich manipuliert oder negiert zu fühlen und sich gleichzeitig darüber aber nicht sicher sein zu können, denn es könnte ja doch einfach nur ein Missverständnis sein. Das ist auf Dauer ein Problem für jede Beziehung, für jeden Kontakt über längere Zeit. Denn auch ich habe ja das Bedürfnis mir einer gemeinsamen Basis sicher sein zu können.
An der Stelle treffen Autismus und Trauma zusammen.

Menschen, die sich als Kinder nicht auf die gemeinsame Basis mit den Menschen um sie herum verlassen konnten, werden das später nie automatisiert einfach tun. Sie werden immer hinterfragen, immer unsicher sein, sich nie auf ihren Instinkt, ihre Intuition, ihr Bauchgefühl verlassen, wie es jemand mit ihnen meint. Was sie leider auch zu Menschen macht, die ihre Partner_innen oder nahe Familienangehörige eher in Situationen bringen, die diese als emotionales Gaslighting empfinden und immer wieder eine Versicherung über die Motive und Ziele von Interaktion zu fordern, die sie gleichzeitig aber gar nicht glauben und wirklich annehmen können.
Denn es ist ja das eine, sich damit zu schützen, dass man sich auf nichts verlässt und an nichts und niemanden bindet – es ist aber ein menschliches Grundbedürfnis, sich sicher und verbunden zu fühlen und man braucht für diese Art der Sicherheit im Kontakt mit anderen Menschen einfach Vertrauen in den Wahrheitsgehalt dessen, was man selber wahrnimmt und andere Menschen vermitteln.
Wenn sich diese Sicherheit über die Dauer eines Kontaktes nicht einstellt, begibt man sich miteinander schnell mal in eine Wiederholung der traumatisierenden Dynamik und damit in Gefilde, in denen man als traumatisierte Person wirklich allein ist, weil ja alles immer durch diese Angst- und Zweifelfilter durchgeht. Da ist es völlig egal, wie oft wer was wie sehr versichert oder beteuert, macht und tut. Man er_lebt tatsächlich unterschiedliche Realitäten und kann sie nur mit Vertrauen, Sicherheitsgefühl und der Fähigkeit zur Selbstberuhigung miteinander verbinden. Das Drama komplex traumatisierter Menschen ist jedoch, dass Menschen Sicherheitsgefühl, Selbstberuhigung und Vertrauen nur sicher gebunden überhaupt erlernen.

Das bedeutet, dass komplex traumatisierte (also als (kleine) Kinder (von den Eltern oder ähnlich nahen Menschen im direkten Umfeld) traumatisierte) Menschen als Erwachsene mit einem Defizit leben, das sie oft nur mit Mut und der Fähigkeit sich in die Gegenwart zu reorientieren kompensieren (lernen) können. Sie müssen wissen, wann sie sich „von ihren (früh_kindlichen Todes-)Ängsten verrückt machen lassen“ und wann es von ihnen kompensierbar ist, sich mal auf ein Sicherheitsgefühl einzulassen – um vielleicht überhaupt mal zu fühlen, wie das ist. Wie ist das, wenn man mal locker lässt? Mal annimmt, etwas ist, wie es zu sein scheint? Wie fühlt es sich an, wenn meine Erwartungen an einen guten Ausgang einer Situation sich auch wirklich erfüllen? Und wie oft werden meine Erwartungen an einen guten Ausgang von Situationen eigentlich erfüllt?
Außerdem müssen sie verstehen und begreifen, dass sie sich langfristig schaden, wenn sie sich vor Verbindung schützen, weil sie gegen ihre Menschlichkeit handeln. Sie behindern sich selbst, sie verletzen sich selbst, sie arbeiten – krass ausgedrückt – an ihrer Vernichtung. So wie das Trauma sie zu vernichten bedroht hat, weil ein (oder auch alle) Grundbedürfnisse nicht erfüllt wurde.n.

Immer, wenn mein Mut zum Sicherheitsgefühl (empfinden/annehmen) belohnt wurde, habe ich viel gelernt. Natürlich erst einmal, wie es sich anfühlt sich sicher zu sein und zu bleiben, aber auch, dass es durchaus klargeht. Dass ich richtig einschätzen kann, wann mein Mut zur Empfindung mich nicht gefährdet hat. Was ich gebraucht habe, um diesen Mut aufzubringen. Was geholfen hat und was nicht. Dass ich als erwachsener Mensch mit Ängsten umgehe, die früher ein wichtiger Marker für meine Gefährdung waren, aber heute ein Marker für eine andere Art von Gefährdung, weil ich meine Grundbedürfnisse spüre, ernst nehme und mir, soweit es geht, bedingungslos erfüllen kann, weil ich dafür niemanden mehr zwingend brauche.

Missverständnisse mit anderen Menschen haben früher mein Leben bedroht, und zwar ganz direkt.
Beleidigungen, Phrasen oder Redewendungen wörtlich zu nehmen, Trickfragen nicht erkennen können, den Anteil eines Gespräches, in dem jemand die eigene Überlegenheit und Macht über mich kommuniziert, übergehen, sich in Situationen sicher zu fühlen, weil bereits erlebte Misshandlungsszenarien in Details verändert wurden, die als Erkennungsmerkmal funktionierten … das sind Situationen gewesen, in denen mein autistisch sein zu negativer Irritation führte, den Täter_innen aber auch extrem erleichtert hat, die Gewalt an mir zu legitimieren oder meine Ausbeutung nicht als solche wahrzunehmen.

Heute sind es nicht mehr die großen körperlich bedrohlichen Szenarien, die mir Probleme bereiten, sondern die kleineren sozialen. Denn die bringen mich an emotionale Verletzbarkeiten und Traumata. Und die sind für mich bis heute schwer zu reorientieren, weil sie nie aufgehört haben. Ich kann es schaffen, sie von den Personen zu lösen. Kann mich daran erinnern, dass ich mehrheitlich von neurotypischen Menschen umgeben bin, die einfach immer alles als auf sie persönlich bezogen einordnen, die von mir gesagt bekommen müssen, was ich fühle und möchte (obwohl sie sich seltener die Mühe machen, sich mir zu übersetzen) und dass ich vieles einfach anders wahrnehme.
Das macht aber die Verletzung nicht weg. Und auch nicht das Gefühl, das sich einstellt, wenn das Grundbedürfnis nach sozialer Verbundenheit einfach nicht erfüllt werden kann, weil sich niemand in der direkten sozialen Umgebung ähnlich wie ich ver_bindet.
Aber es ist richtiger als der traumalogische Schluss, dass ich nichts dagegen tun kann. Dass ich deshalb komisch bin oder falsch und ja kein Wunder ist, dass mich niemand mag. Dass ich meine Einsamkeit irgendwie nicht anders verdient hätte und mich in ihr einrichten muss, obwohl ich das gar nicht will. Oder, dass meine Gefühle von Verletzung zu äußern falsch ist, nur weil andere Menschen unverletzt aus dem herausgehen, was sie als Missverständnis interpretieren.

Je mehr ich mich mit diesen Dingen auseinandersetze, desto bewusster wird mir, dass ich weiter sehr viel mehr Mut und vielleicht auch Opfer aufbringen muss, um ein alle Grundbedürfnisse erfülltes Leben zu führen. Das macht mich manchmal traurig, weil das sehr anstrengend ist und häufig auch mit Unverständnis des Umfelds einhergeht. Andererseits macht es mich auch froh und dankbar, weil es mich daran erinnert, dass die Alleinverantwortlichkeit für die Erfüllung meiner Grundbedürfnisse heute kein zu hoher Anspruch mehr an mich ist, wie damals als Kind und Jugendliche_r.

Und, weil ich das Leben heute als etwas fühlen kann, das eben nicht um (die Verhinderung von) Schmerz und Not kreist, sondern um Grundbedürfnisse, die sind, weil sie sind, weil das Leben ist und ist und ist.

okay sein mit Alexithymie

In dieser Woche habe ich angefangen, einen Comic über Alexithymie zu gestalten. In der Auseinandersetzung dachte ich darüber nach, wie sehr es mir hilft, diesen Begriff zu haben, obwohl sich dadurch nur an meinem Selbstbild etwas ändert.

Wir sind so lange nur deshalb in die Therapie der DIS eingestiegen, weil wir befürchteten, dass wir mit unserem Sosein Menschen schaden könnten. Wir brauchen deutlich länger als andere Menschen, um unser eigenes Mitgefühl mit anderen zu spüren. Meistens handeln wir nach Kopfgefühlen. Nach dem Wissen, dass bestimmte Dinge bestimmte Gefühle in uns machen, auch wenn wir sie so erst einmal gar nicht fühlen. Die Therapie hat uns immer wieder zur Introspektion gezwungen und das hilft bis heute, denn so intuitiv wie die meisten anderen Menschen tun wir das nach wie vor nicht.
Das klingt kalt, ist aber nicht kalt. Analytisch zu sein, sich mit Analysen und anderen Wegen der kognitiven Auseinandersetzung zu widmen, ist kein emotionsloser Prozess. Wir sind nicht gefühllos, nur weil wir Gefühle nicht eindeutig erkennen. Und anderen Menschen zu schaden, erfordert auch gar nicht die Abwesenheit von Gefühlen, sondern die Anwesenheit von Überzeugungen, die gewaltvolles Handeln erlauben oder auch zwingend erscheinen lassen. Heute kann ich sehen, dass wir so eine Angst davor hatten Täter_in zu werden, weil wir ein falsches Bild von Täter_innenschaft hatten. Und davon, wozu genau es wichtig ist, sich über eigene Gefühle und die anderer Menschen klar zu sein.

Es gibt verschiedene Theorien darüber, was die Ursache von Alexithymie ist. Man liest oft, es sei ein Persönlichkeitsmerkmal, aber viele alexithyme Menschen haben auch eine psychiatrische Diagnose. Zum Beispiel die über eine Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung oder Autismus-Spektrum-Störung. Leider geht die Alexithymie in der Beschreibung dieser Krankheitsbilder immer unter, weil sie als Ergebnis der „Krankheit“ gilt und damit kein eigenes Problem mehr ist. Quasi.
So wurden auch wir damit konfrontiert, dass wir unsere Gefühle einfach nur vermeiden würden und sie deshalb dissoziieren. Als ob Dissoziation ein Verhalten wäre. Was nicht stimmt. Übrigens.
Doch selbst wenn man Dissoziation als die Reflexreaktion begreift, die sie ist, wäre unser Problem hier, dass unsere Gefühle und die anderer Menschen als Trigger funktionieren – wir sie also wahrnehmen und dann mit Dissoziation reagieren. Was wir nie getan haben. Wir reagieren in der Regel auf die Überforderung durch Zeitdruck und die Befürchtung zu einem falschen Ergebnis, einer falschen Interpretation gekommen zu sein, mit Dissoziation, weil genau das unser Erfahrungswissen mit emotionaler Kommunikation ist. Übrigens, unabhängig davon, ob das Umfeld liebevoll oder gewaltvoll ist.

Wir ordnen unsere Alexithymie als Ergebnis einer Reiz- und damit verbunden auch einer Affektverarbeitungsstörung ein. Der Prozessor in unserem Gehirn kommt einfach mit den Datenmassen, die wir aufnehmen, nicht so schnell nach. Und, ja Gefühle sind wichtig, aber nicht der Dreh- und Angelpunkt des alltäglichen Miteinanders ohne den gar nichts geht. Um ihnen Raum zu geben, brauchen wir Effizienz. Wir brauchen strukturierte Abläufe, brauchen eindeutige Vorgaben, klar formulierte Erwartungen an uns. Wir wissen, dass wir Verarbeitungszeit brauchen und wir wissen, dass es auf andere Menschen egozentrisch wirkt, wenn wir diese Prozesse teilen. Wir wissen inzwischen aber auch, dass das immer so wirken wird, weil die meisten Menschen diese Ebene effizienter als wir in ihr Miteinander einbauen. Nicht, wie wir, hintereinander weg, sondern gleichzeitig in jeder einzelnen Interaktion. Auch das bedeutet nicht, dass wir während wir etwas tun nichts fühlen oder nicht wahrnehmen, dass eine andere Person Gefühle hat – es bedeutet nur, dass wir in dem Moment noch nicht wissen welche. Und das wiederum bedeutet auch nicht immer, dass wir deshalb nicht reagieren. Wir üben uns darin, immer aktiv zuzuhören, achtsam zu sein und die andere Person spüren zu lassen, dass wir uns ihr widmen. Damit reagieren wir zwar nicht immer auf die Gefühlszustände der Person, aber immer auf sie und das reicht vielen Menschen auch schon.

Manchmal aber merken wir auch nicht sofort, dass wir in so einer Situation sind.
Neulich hatten wir zum Beispiel einen Moment mit dem Freund, in dem er sagte, dass wir uns nur auf uns beziehen und ich es nicht schaffte, ihm klarzumachen, dass das meine Einladung ist, sich mir in gleicher Weise zu zeigen, damit ich um seine Gefühlsprozesse weiß. Wenn er sie mir nicht mitteilt, weiß ich sie nicht. Und das hat nichts mit Desinteresse oder nicht genügend Achtsamkeit oder damit, dass sich alles nur um uns drehen soll, zu tun.
Um an meine Gefühlswelt heranzukommen, kann ich schreiben oder bloggen, kann ich in die Therapie geht, kann ich Kreativtechniken anwenden und Reflektionsgespräche mit Freund_innen führen, die gerade Kapazitäten dafür haben. Um an seine zu kommen, muss er sie mir sagen. Und zwar nicht nonverbal, mit Untertönen oder eingebettet in Interaktion, die mich sensorisch fordert. Ich kann keine Rücksicht auf Dinge nehmen, die ich nicht sehe, die mir nicht gezeigt werden und ich glaube, dass das niemand kann. Von mir, von uns, wird es aber erwartet, wenn man uns in der Hinsicht nicht hilft und die Überforderung ist eine logische Folge.

Es ist kein schöneres, angenehmeres Selbstbild, das sich da für mich ergibt. Ich gefalle mir nicht als potenziell dauerüberforderte Person, die möglicherweise immer ein bisschen mehr Unterstützung braucht, um mit anderen Menschen gut zusammenzukommen.
Andererseits gefällt mir, dass ich das heute über mich weiß und aufhören kann, mich als jemand zu sehen, die_r sich eigentlich am besten ganz aus dem Kontakt herausziehen sollte, um anderen nicht zu schaden oder sie zu verletzen, mit der Art wie sie_r ist.
Es ist schon ganz schön, grundsätzlich okay zu sein. Auch so.

mein Trauma gehört mir – alles davon

Ich bin in dem Glauben erwachsen geworden, die Traumafolgestörungen mit denen ich lebe, seien eine Art Manifestation der erlebten Traumata in mir. Was mir passierte, war mir allein passiert und deshalb passierten die Symptome auch in mir allein und deshalb musste ich in die Psychiatrie, in Therapie, in die Opferrolle, in ein Leben, das nie wieder frei von der Thematik und allem, was sie mit sich bringt, sein kann.

Welche Rolle was in meinem Leben gespielt hat, ist für mich bis heute Forschungsgegenstand.
Ich schaue nicht auf die Gewalt in meinem Leben und sehe tausend Traumata, verurteile Täter_innen als schlechte Menschen und bewerte jedes schwierige Ereignis als Trauma. Wie bei einfach allem sehe ich mich vor einem riesigen Haufen von Stücken und Details, die ich mir immer wieder und wieder, ganz bewusst und in aller Anstrengung zu Kontext, zeitlicher Reihenfolge, Ursache und Wirkung zusammenpuzzeln muss, was immer oft überfordert und ein ganz eigenes traumatisierendes Potenzial in sich trägt.

Ich weiß, dass ich, was mein eigenes Leben angeht, viel viel langsamer bin als Äußere. Für mich ist nicht mit einem Blick alles klar. Für mich sind viele der Zusammenhänge von Trauma und aktuellem Leiden nicht so klar, wie man das zuweilen von mir erwartet.
Ich lebe in einer manchmal wirklich albtraumhaften Realität der Inkongruenz und Widersprüchlichkeit aus der ich nicht rauskomme, weil ich sie empfinde, sie aber nicht in mir passiert und es trotzdem von niemandem wahr.genommen wird. Damit meine ich zum Beispiel Situationen des gegenseitigen Missverstehens, die sich ja immer dadurch ergeben, dass man sich jeweils nicht auf die gleichen Dinge bezieht oder zu unterschiedlichen Schlüssen kommt, weil man unterschiedliche Vorannahmen hat oder unterschiedliche Bewertungen vornimmt.
Damit meine ich aber auch Situationen, in denen ich überfordert werde, weil man Dinge über meine Haltungen und mich annimmt, die nicht stimmen – und von mir auch nicht richtig gestellt werden können, weil man mir nicht glaubt, oder falsch interpretiert, was ich sage.

Übrigens ein Grund, weshalb ich „Loriot“ so abgrundtief traurig und schlimm finde.
Alle lachen über jemanden, der nicht aus einem Missverständnis heraus kommt oder der nicht gegen eine Struktur ankommt, die aller menschlichen Logik widerspricht, egal was er tut oder sagt. Ich habe bisher noch nicht eine Person getroffen, die in der Wahrnehmung der Grausamkeit dessen mit mir übereinstimmt oder sich wenigstens mal ein bisschen hineinfühlen kann, wie es ist, was es für einen Eindruck macht, wenn man sieht: Für andere ist das, was mein tägliches Leben im Kleinen wie im Großen, im Dringlichen, wie Brandgefährlichen im Kern ausmacht, ein Witz. Ein Moment sozialer Verbundenheit mit allen, die das auch als Witz empfinden. Etwas, das dazu beiträgt, Leichtigkeit ins Leben zu bringen. Inkongruenz ist für sie die Ausnahme. Und zwar so sehr, dass sie als Witz taugt.
Sie haben die Unaushaltbarkeit von Un- und Missverstandenheit nie als so bedrohlich, so umfassend isolierend, so traumatisierend erlebt wie ich – und sie erleben sie nicht jeden Tag in all ihrer Unauflöslichkeit, Unverhinderbarkeit, Unerträglichkeit.
”Meine Menschen” erleben das wenn, dann mit mir. Und manchmal können wir einander nähern, indem wir darüber reden, doch oft frage ich nach, lasse mir ihre Sicht erklären und nehme das an. Bis ich fertig bin, meine Sicht zu erklären – und verständlich zu machen – , bis ich fertig bin, formulieren zu können, was ich meine oder glaube oder auf welches Hintergrundwissen ich mich beziehe, ist meine Kraft vorbei oder die der anderen Person. Oder der Rahmen passt nicht oder es ist nicht wichtig genug oder das Risiko, dass wir in Streit geraten ist mir zu hoch.

Gerade Streit will ich vermeiden, weil der Grat zur Aggression und Wut für mich ein haarfeiner ist.
Meine Wut, meine Aggression wurde mir immer als Kraftquelle angerechnet, aber treffen soll sie nie jemanden. Wie meine Traumafolgesymptomatik soll ich sie fühlen, passieren soll sie aber nirgendwo.

Ich schreibe das hier gerade alles auf, weil ich – inmitten meiner Recherchen zu Autismus und Trauma – sehr stark an Traumata erinnert werde, die ich als solche nicht ausdrücken, nicht kommunizieren, nicht haben darf (read as: keine soziale Erlaubnis dafür haben), weil sie nicht die Art Trauma sind, wie sie im DSM-5 stehen.
Ich merke, dass ich noch gar nicht genug wütend war bisher. Noch gar nicht zerstörerisch, aktiv rachsüchtig, willentlich verletzend, laut, er_schreckend und brutal genug war – nicht einmal in meinen Gedanken. Ein einziges Mal war ich in den letzten Jahren so wütend, wie ich es innerlich bin und die Bestrafung folgte auf dem Fuß. Und niemand war in dem Moment für mich da. Niemand hat meine Wut legitimiert. Niemand hat meine Verzweiflung, meine Ohnmacht, die Unaushaltbarkeit der Wut und meiner Überforderung von allem, überhaupt begriffen oder irgendein Verstehen angedeutet. Das einzig Gute war, dass ich sie erschreckt habe. So hat wenigstens niemand gelacht und dass ich krasse Gefühle hatte, war eindeutig für alle.

“Mein Trauma gehört mir”, ist mir gerade ein starker Satz.
Während ich mich durch dutzende Studien arbeite, die dann zu Fußnoten hinter meinen Aussagen werden, realisiere ich, dass in der ganzen Zeit der Traumatherapien – egal, wer mich wie behandelt hat – nie eine Rolle gespielt hat, was konkret das traumatisierende Element für mich war. Immer wieder wurde und wird mir angetragen, dass die Situation an sich eine traumatisierende gewesen sei. Vergewaltigt zu werden, misshandelt, ausgebeutet zu werden kann traumatisierend sein, ja, aber es ist eben nicht nur das Geschehen dessen, sondern auch, das Erleben an sich, das traumatisieren kann.
Kein traumatisierend wirkendes Ereignis passiert allein in einer Person. Jede zwischenmenschliche Gewalt passiert zwischen Menschen.

Zwischenmenschliche Gewalt ist ein Kommunikations- und Interaktionsgeschehen.

Zu realisieren, dass unsere Interaktions- und Kommunikationsprobleme offenbar nie auch als Teil einer Traumatisierung oder als Trigger gedacht werden, fühlt sich im Moment sehr schrecklich an und ich kann gerade nicht sehen, ob ich das je vergeben kann – und will, denn es war immer und immer und immer wieder Thema. Immer wieder haben wir das auszudrücken versucht und immer wurden – und werden – wir mit der Klarstellung der Rollen in Täter_in(en) und Opfer überfahren, als wäre das alles, was dazu wichtig zu verstehen sei.
Es gibt viele Menschen, denen das hilft und reicht. Mir reicht es nicht. Am Ende meiner Auseinandersetzung mit dem, was mir passiert ist, soll kein Urteil oder eine Bewertung über die traumatisierenden Ereignisse oder die Täter_innen stehen. Ich habe bereits ein Urteil und eine Bewertung über den Umstand überhaupt traumatisiert worden zu sein, und über die Täter_innen stehen mir weder Urteil noch Bewertung zu, denn ich habe von vielen nur ihre Taten an mir erlebt, aber weiter nichts. Was ich will, ist Kontext. Ich will ein Narrativ. Ich will meine Geschichte. Ich will keinen ungeordneten Haufen Details, die sich unterschiedlich fremd und nah anfühlen, irreal, unverständlich, unlogisch und bizarr. Ich will mich in meinen Erfahrungen und mir zurechtfinden können. Dabei wird mir kein Urteil jemals helfen.

Am Dienstag hatten wir eine Online-Therapiestunde in der ich, nach einer halben Stunde, in der ich wiederholt versuchte mich und ein Thema von mir zu erklären, die Verbindung unterbrach, weil ich merkte, wie ich jeden Moment entweder ausraste und alles um mich herum oder mich selbst zerstöre. Ich hatte das Gefühl, dass die Therapeutin mir einen wesentlichen Aspekt meiner Traumatisierung wegnehmen will, indem sie meine Versuche eine andere als meine eigene Perspektive auf unser Familienleben einzunehmen, um vielleicht zu weiteren, anderen, Einschätzungen und damit auch Möglichkeiten des Verstehens zu kommen, mit dem Implizit begegnete, dass doch schon alles klar sei. Wir Opfer, die_r Täter_in, fertig. Was hat es denn da für einen Zweck noch irgendeine andere Perspektive drauf zu haben? Was sonst außer, dass da Gewalt passiert ist, könnte denn noch relevant sein?

Sie schrieb mir eine Nachricht, dass mein Verhalten inakzeptabel sei.
Ich konnte nicht anders als zu denken: “Ja, passt doch. Alles das hier ist verdammt noch mal inakzeptabel.”

10072020

Wir schauen “Black Mirror”, Staffel 4, Episode 1. “USS Calistor”
Ein Typ extrahiert aus der DNS seiner Kolleg_innen ihre Persönlichkeit und lädt diese in ein Computerspiel hoch.
„Ich fänds so mega, gäbs das in echt“, erzähle ich dem Freund. „Ach“, sagt er, „Ihr würdet euch doch nur in „Die Sims“ hochladen.“ Ich strahle ihn an, weil ich mich freue, dass er mich so gut kennt. „Ja!“ Er lacht und schüttelt den Kopf. „Ja, aber was wär denn da so anders als im echten Leben? Ihr würdet da doch das Gleiche machen wie hier.“

“Die Sims” ist eine Simulation. Das übt erheblichen Reiz auf mich aus. Es geht um nichts, es muss nichts gekämpft, ausstrategisiert und auch niemand überlistet werden. Neben der Entwicklung von effizientem Mikromanagement geht es um Interaktion und Kommunikation, die zum größten Teil vom Programm übernommen und gelenkt wird, in einigen Bereichen jedoch frei zu gestalten ist. Als Spielende_r wählt man aus Gesprächsart-Menüs – nicht aus den zig tausend Millionen von Wörtern, ihren Betonungen, ihren vielen unterschiedlichen Färbungen. Man klickt auf “Flirten” und dann flirtet man. Man klickt auf “Plaudern” und dann wird geplaudert. Je nachdem wie oft die Sims miteinander kommuniziert haben und in welcher Beziehung sie zueinander stehen, gibt es mehr oder weniger Auswahl der Menüs. In der neuesten Version kann man sogar eindeutig sehen, in welcher Grundstimmung die Sims sind und welche Interaktion besonders gut dazu passt.
Ein Traum.

Meine Sims sind auch nicht unordentlich. Sie räumen ihren Kram nach Benutzung immer gleich wieder weg, alles sieht immer übersichtlich aus. Nie muss man das Sofa putzen oder die Bettwäsche waschen. Die Gardinen müssen nicht gebügelt werden und Geschirr muss zwar in die Spülmaschine hinein- aber nicht herausgeräumt werden. Himmlisch!

Sims können jeden Job annehmen, der ihnen gefällt, nach einem Zeugnis oder einer Eignung wird nicht gefragt. Alle können alle anflirten, die sie sympathisch finden und sogar im Stehen pinkeln, während sie schwanger sind. Sie können Kinder adoptieren und niemand guckt komisch. Ein Sim kann heute dick, morgen dünn sein und übermorgen lila Haut zu einer neuen Frisur haben.

Bei dem Sims gibt es keine behinderten und nicht behinderten Personen.
Wenn etwas im Weg steht, kommt niemand dran vorbei.
Und es bedeutet 0 Komma 000000000000 gar nichts.

Ich würde hochgeladen in “Die Sims” nicht machen, was ich hier auch mache.

vom Glück keinen Darktwitteraccount zu haben

Schnecki1 Heute gibt es auf Kleinerdrei einen Artikel zum sogenannten Darktwitter.
Neben allen Spaltungprozessen sozialer Interaktion, die anhand des Internet bzw. der Kommunikation darüber, an diesem Nutzungsverhalten wunderbar illustriert werden können, tauchte mir gerade die Frage auf, was es eigentlich sagt, wenn so eine Nutzung als “besonders sicher” gelabelt ist.

So sicher, dass besonders nahe, schmerzliche, persönliche, private Erlebnisse und Erfahrungen ausschließlich in diesem Setting geteilt und getauscht werden.
Dass das passiert, ist in meinen Überlegungen als völlig selbstverständliche Grundlage menschlicher Kommunikation abgelegt. Natürlich teile ich nicht mit jedem alles. Natürlich twittere ich nicht mit Menschen, die mich verachten.

Spannend wird es für mich an dem Punkt, an dem klar ist: “Ich will etwas teilen, dass mich anders auf dich wirken lässt- schnell mal ins Darktwitter reingeben, denn woanders ist das nicht sicher.”
Und ich frage mich: “Wieso habe ich denn keinen Darktwitteraccount?”

Und bing- plötzlich ist mir klar: Ich habe überhaupt keinen Grund dazu.
Ich habe keine Reichweite und damit einhergehend einen Ruf/ ein Image, wie zum Beispiel die AutorInnen von Kleinerdrei oder auch UserInnen, die so kontroverse Nachrichten verschicken bzw. teilen, dass sich früher oder später ein Account, in dem man nicht permanent angegangen wird, einfach als nötig erweist.
Ich habe weder analog noch digital ein Netzwerk, das sich so spalten lässt.

Darktwitter ist ein Privilgiensicherungswerkzeug.
Du bewahrst dir deinen Ruf, deine Reichweite, deine FollowerInnen, wenn du bestimmte Dinge einfach nicht in denen AktivistInnenaccount reinschreibst. Dein Profil bleibt unangetastet. Du bestimmst, wer ein rundes Bild von dir bekommt und wer nicht.
Schwierig, oder naja, ich sage mal besser: einen faden Beigeschmack macht es mir schon, zu wissen: “Jo, du kriegst hier ne Show geboten, weil das hier alles nur die öffentlichen Accounts sind, denen du folgst.”.

Ich weiß nicht, ob solche Performances ein kommunikationsimmanenter Teil sozialer Interaktion sind. Vielleicht ist das so und muss akzeptiert werden, um anderen Menschen Raum zu lassen, sich innerhalb ihrer Grenzen (der Komfortzone) frei bewegen zu können. Das ist ja etwas, dass ich auch möchte.
Der Punkt ist, dass ich keinen Showaccount habe und es als Fragmentierung meiner Selbst erleben würde, hätte ich nebenbei einen.

Ich habe einen Account der geschützt ist. Am Anfang dachte ich, dass es einer werden könnte, in dem ich meinen Hund zeige, mich zeige, mehr von dem teile, worüber ich weder hier schreibe noch mit den FollowerInnen, die ich nicht analog kenne, teilen will.
Tja. Bis auf Hundefotos läuft auf dem Ding nichts. Es ist unnötig für mich und eigentlich mehr schmerzhaft, als entlastend oder schön.
Einfach, weil es mir (neben meinem kleinen Radius der näheren Interaktionen) auch zeigt, dass meine Nutzung der Kommunikationsmittel Twitter, Facebook etc. ziemlich genau nur um das kreisen, was ich ins Internet hineinschreibe. Nicht, was ich lebe.
Natürlich bedingt das Eine das Andere und eine absolute Aussage ist hier nicht zu treffen, es zeigt aber deutlich welche Privilegien eben doch auch an das ach so offene, freie Internet gebunden sind bzw. sein können und auch sein müssen, bis Darktwitter, Darkfacebook, Darknet allgemein einen Sinn für die jeweiligen NutzerInnen ergibt.

Irgendwie,
jetzt, wo ich diesen Gedanken so ausformuliert habe, verstehe ich diesen Schlag an mich heran besser.

Vielleicht ist es auch etwas, was ganz normal und zwangläufig passiert, wenn man sich über die jeweiligen Intensionen hinter der Art, wie und womit Menschen miteinander kommunizieren, austauscht.
Ich glotze in Kleinerdrei hinein und sehe eine Welt, die auf so vielen Ebenen fern von mir ist und, trotz aller “Phhs!” und “Achs!” immer doch irgendwie vielleicht eventuell das Leben als junge Erwachsene abbilden könnte, dass ich auch leben würde, wäre ich nicht in diesem Leben drin, in dem ich jetzt nun einmal bin.
Wie ich darüber vergessen kann, dass solche Leben auch andere Nutzungsverhalten mit sich bringen, ist dann wieder einer meiner blinden Flecke, doch das Autsch bleibt natürlich nicht aus.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Twitter nutzen und eine Performance abliefern. Für mich sind das halt alles keine sinnentleerten Klicks, Zeichen und “eigentlich total egal, weil das “echte”/ “richtige”/ “wichtige” eh woanders bleibt.
Ich nehme mein Handy in die Hand und habe die ganze Zeit bewusst, dass ich über Twitter zu anderen Menschen spreche. Menschen anspreche. Was ich nicht anspreche und teile, das ist eben mein (sogar vor mir oft) unsichtbares Sein ohne Form und Farbe, das sich erst von “wabernd” zu “Sprache” zu “Wort” und “mit-teilbar” evolutionieren muss.

Vielleicht ist das mein Fehler zu denken, dass “man nun mal so mit Menschen übers Internet redet, wie man es auch analog/direkt tut bzw. tun muss”.
Vielleicht ist es aber auch mein kleines Privileg und Glück, dass ich es mir leisten kann, in meinem öffentlichen Twitteraccount genauso zu agieren, wie ich auch analog/direkt agiere (wenn ich denn besagte innere Evolutionskette durchlebt habe)
Zumindest so lange mir niemand mit eindeutiger Gewaltintension begegnet.

Twitter hat zwar die Block- und auch die Mutefunktion eingeführt bzw. verbessert, letztlich drohen, hetzen, verletzen und stalken noch immer die gleichen GewalttäterInnen* wie vor einem Jahr über Twitter hinter vielen UserInnen* meiner Timeline her.
Weil diese Menschen eben nicht, wie in allen anderen Kontexten der sozialen Interaktion bzw. Kommunikation behandelt werden, agieren die von Gewalt bedrohten UserInnen auch nicht, wie in allen anderen Kontexten und allein das bringt Darktwitter in seine Sonderposition:
Es ist die gleiche Unfähigkeit Gewalt aus dem Miteinander herauszuhalten, wie überall sonst.

So bleibt mir der Punkt der Dankbarkeit davon soweit verschont zu sein, dass mir bisher die Block- und Mutefunktion gereicht hat, um weder in die dunklen Ecken des Netzes kriechen, noch meine Kommunikation übers Internet so weit zerpflücken, wie ich es in mir selbst bin, zu müssen.