“meine Angst, ist nicht deine Angst”

inBalance“Was würden Sie ihr gerne sagen?”, hatte er mich gefragt.
”Vielleicht, dass meine Angst nicht die Gleiche ist, wie ihre.”.

Das ist, was ich mir aus meiner letzten Quasisupervision mitgenommen habe.
Wir sprachen über meine Angst irgendwann zu nah zu sein, um auch Entfernung, Entfremdung und vielleicht auch selbst gewählte Lebensenden tragen zu können.
“Was, wenn es mir irgendwann nur noch darum geht, dass ich nur noch bleibe, weil der andere Mensch mich braucht? Was ist, wenn ich es irgendwann so sehr brauche, gebraucht zu werden, dass ich übergriffig denke und fühle und vielleicht auch handle? Was ist, wenn ich mich irgendwann nicht mehr frage: “Moment mal- wer bin ich denn, dass… ?”?”

Als ich nach Hause ging, dachte ich darüber nach, welche Ängste ich als Begleitete immer wieder in Bezug auf mich und meine BegleiterInnen* habe.
Ich habe Angst davor zu viel(e) zu sein oder zu werden. Weil ich weiß, wie gerne und schnell Belastungen abgestoßen werden. Wenn ich in meiner Jugendhilfezeit eines gelernt habe, dann das.
Ich habe Angst davor, Angst auszulösen, indem ich ein relativ heiles Weltbild in Frage stelle. Weil ich weiß, wie wichtig für manche Menschen ein inneres “Es wird schon alles werden” ist.

Eine meiner BegleiterInnen* erzählt mir immer wieder von einer Unsicherheit (nicht Angst) über die möglichen Folgen der eigenen Handlungen, Aussagen, Fragen und Gedanken in den Menschen, die sie begleitet. Sie möchte nicht, dass es den Menschen schlecht geht, weil sie etwas getan oder gesagt hat, das diese Gefühle auslöst. Schon gar nicht, wenn die Strukturen ihrer Arbeit gar keinen Platz dafür lassen, auch in aller Ruhe negativen Gefühlen Raum zu geben und darüber in Kontakt zu kommen.

Mir ist gestern noch einmal mehr klar geworden, wie unsicher und vorsichtig ich mich (und vielleicht auch die Menschen, die ich begleite) im Miteinander bewegen.
Wir spüren, dass es ein wertvolles Dings ist. Etwas, das empfindlich ist. Etwas das, wenn es sich verändert oder bewegt, sei es konflikt- oder allgemein entwicklungsbedingt, als gefährdet wahrgenommen wird. Vielleicht manchmal auch als gefährdend. Immer wieder ist die Frage: “Zu nah? Zu fern? Wann ist der richtige Abstand um Forderungen oder Wünsche, Ansprüche oder Ratschläge zu äußern?” und im Nacken sitzt immer wieder die Angst vor dem Fehler, der eine andere Angst, einen Schmerz, eine Enttäuschung oder das Gefühl von Schutzlosigkeit zur Folge hat.
Vor ein paar Wochen noch kamen meine BegleiterIn* und ich zu dem Schluss, dass man es einfach versuchen muss.
Dass man wohl immer einfach irgendwie hineingehen muss und erst dann schauen kann, wie sich was auswirkt.
Inzwischen möchte ich hinzufügen, dass es eine Offenheit in Bezug auf seine Ängste braucht und diese gründlich kommuniziert werden müssen.

Ich weiß aber auch, wie lange das manchmal dauert und dann vielleicht am Ende viel vom jeweiligen Lauf der Leben abhängt, was wann wie kommuniziert (und rezeptioniert) werden kann.

Nehmen wir meine Therapeutin und mich.
Sie war Erstgespräch Nummer, ich glaube, 23 und wären die Gespräche mit den TherapeutInnen* vor ihr, nicht solche Katastrophen bzw. eher semiprima gewesen- und hätte ich nicht so vier fünftelmäßig daran geglaubt, dass es sowieso nichts wird – hätte ich ihr gegenüber gar nicht erst davon angefangen, dass ich viel(e) bin und sie sich das ordentlich überlegen soll.
Jedes Gespräch vorher hatte ich in einem zarten Eiertänzchen angefangen, weil ich dachte, ich müsste das kostbare Einhorn “TraumatherapeutIn” sachte und vorsichtig auf diese meine überladene Problemblütenwiese führen, damit sie nicht gleich sofort in Überforderungs_ängste flattern und mich als Begleitete ablehnen.
Am Ende trampelte ich in die Praxis meiner Therapeutin und fragte sie einfach nur noch: “Sind sie ein Pferd? – Ich hab da eine Wiese… “.

Wir hatten große Not und brauchten einfach irgendjemanden. Ich glaube, in der Situation konnten wir uns Eiertänzchen vielleicht auch einfach gar nicht mehr leisten.

Eiertänzchen ist ein gutes Wort. Es ist meine persönliche Magie: “Wenn ich mich nur leicht genug mache, nur lieb genug bin, nur offen genug bleibe, nur dies nur das- dann wird alles schon.” und sie ist Bullshit.
Okay, nicht ganz- sie treibt mich an, im Rhythmus meiner allgemeinen Vermeidungstanzerei zu bleiben und damit irgendwie auch mal Teile meines Lebens im Pflichtbereich zu schaffen. Aber die Kür… die Kür ist Schnörkel, ist “Gemögte halten” und “Kontakte schön/angenehm gestalten”. Ist “gemocht sein”, “angesprochen werden und angehört werden” außerhalb von Notsituationen.
Ist manchmal aber auch genau der schmale Grat, auf dem ich nicht nur Begleiterin bin, sondern auch Begleitete.

Wo mir dann manchmal alle Unsicherheiten und Ängste gleichzeitig in den Kontakt reingrätschen und die Angstsplitter vom Gegenüber gleich noch mit.

Und dann sind es nicht, wie bei meiner Begleiterin, bei der es die unmöglichen Strukturen der sozialen Arbeit sind, die einfach keinen Platz für diesen Bereich des Sozial(en)lebens lassen, sondern Unsicherheiten, ob ich den Menschen nah genug dafür stehe ( oder auch: weit genug weg) um Dieses oder Jenes zu sagen, zu meinen, zu äußern, darzustellen und einfach neben ihnen zu sein. Manchmal auch: Wohnen wir nahe genug bei einander (oder von einander weg)? Oder: Sind unsere Lebensrealitäten nah genug beieinander? Und: Wie und warum sind mir miteinander verbunden?

Meine soziale Angst besteht darin Menschen zu zerstören. Nicht nur zu verletzen, sondern zu zerstören.
Vielleicht ist es deshalb für mich an manchen Stellen überfordernd mit Menschen, die ebenfalls Viele sind, umzugehen. Bedrohungsgefühle passieren schnell und genauso schnell wird sich vor mir zu Boden unterworfen oder auch empfindlich tief in mich hineingebissen. Als Botschaft an mich bleibt dann nur eine Bestätigung meiner Angst.
Und dort rauszukommen ist schwer und gelingt mir in aller Regel nur über Entfernung.

Entfernung birgt aber eben auch Entfremdung.
Und dann die Fragen: Haben wir überhaupt genug Punkte, die den Kontakt “rechtfertigen”? Genug Übereinstimmungen und innere Nähe, um einander anzuhören?

Am Morgen nach der Quasisupervision dachte ich, dass ich mir vermutlich in fast allen Kontakten vor Augen halten kann, dass meine Angst nicht, die Angst des Gegenübers ist.
Sie äußern oft: Ich will dich nicht belasten- Ich will nicht zu viel sein- Ich will nicht, dass du meine Ohnmächte/ Zweifel/ Schwächen (mit)trägst.
Und ich äußere: Ich will dir nicht alles abnehmen wollen – Ich will nicht deine Retterin werden – Ich will nicht vergessen, dass du dein eigenes Leben führst und zwar nicht erst seit ich da bin.

Wir können darüber sprechen, eben, weil es nicht die gleichen Ängste sind.
Der Ängsteoverkill ist, wenn sich bei beiden Menschen Ängste bestätigen und beide Seiten überfordert von einander in eine Entfernung gehen und warten, was passiert.
Ich denke dann jedes Mal: “Nee- da war ein Stoppsignal- weitergehen ist Gewalt.” auch wenn das Gegenüber ein Weitergehen aber als Hilfe oder als eine Art Beweis meiner Wertschätzung deuten würde und darauf wartet, dass von mir etwas kommt.

Ist meine Angst zerstörerisch und verletzend zu sein aber einmal bestätigt, dann steht mir vor mir selbst nicht einmal mehr der Wunsch nach Kontakt zu.
Es ist eine Selbsthassspirale, die sich dreht und ausdrehen muss.
Alles was ich an der Stelle tun kann ist, das den Menschen in der Anfangsphase eines Kontaktes zu sagen und zu hoffen, dass sie es verstehen und begreifen können. Und mir letztlich auch meinen Selbsthass zugestehen können, als etwas, das ein fester Bestandteil meines (Er)Lebens ist, der nicht von jemandem außen weggenommen werden kann (muss).

Und als ich das dachte, kam mir plötzlich in dem Kopf, was ich in Bezug auf einen Menschen neben dem ich hergehe, tun könnte.
Einfach nur _da sein_  und mir klar machen, dass da gerade Ängste und Ansprüche und Kräfte am Werk sind, die sich schon ihre Bahn brechen werden.
Wenn der Mensch darüber Schmerzen, Trauer oder Wut hat, werde ich schon einfach passend für ihn da sein- ansonsten werde ich seine Hand in meiner gar nicht erst fühlen.

Und- ist das okay für mich?
– Ja, das ist völlig okay für mich.

Präsenz _da_ sein_ lassen

GlockenblumeIch saß auf dem Hügel aus Mutter_Erde und hielt die Hände eines Kinderinnens. Wir pusteten Seifenblasen in den Himmel beobachteten ihr Farbenspiel. 

Mittendrin hatte ich eine Art Epiphanie.
Da war wieder das Gefühl, ein Teil einer Umgebung, die einfach nur _da_ ist und nichts von mir will, nichts mit mir tut, nichts an mich heranträgt, weil ich da bin, sondern, weil ich ein Teil des gemeinsamen Raumes bin, zu sein. Dieses Schwindelgefühl, diese Art fernfremde innere Vibration auf das Bewusstsein: “Hier ist nichts, dass dich deines Seins versichert- du _bist_, wie alles andere auch _ist_ “ und die Erkenntnis: “Ich bin nicht, wo ich sein sollte, ich bin nicht, wer ich sein sollte, ich bin nicht für oder wegen etwas da – ich _bin einfach nur da_ und das bedeutet REIN GAR NICHTS.”

Ich weiß nicht, wie viel von meinem Text über Präsenz verständlich ist. Aber ich denke inzwischen, dass es fundamental ist, sich bewusst zu sein, dass jeder Mensch und alles was Menschen ausstrahlen, tragen und weitergeben, einfach immer erst einmal _ist_ und vielleicht einfach gar nichts weiter bedeutet, als, dass dort jemand oder etwas _ist_.

Ich habe in den letzten zwei Wochen viel darüber nachgedacht, was es mit meinem Retter* damals auf sich hatte.
Wieso er mich nicht einfach hat lassen können. Wieso mein Sein in seinen Augen nicht so bleiben durfte. Wieso meine Zufriedenheit nicht anerkannt war.
Ich hatte der Therapeutin gesagt, dass ich der Raum war, in dem ich war. Ich war es, dessen Rand mein Retter eingetreten hatte, um mich zu bergen. Diese Rettung damals ging mit einer Verletzung einher und niemand hat es gesehen. Weil niemand gesehen hat, was ich als mich betrachtet habe. Weil niemand gefragt hatte. Weil ich keine Worte in gemeinsamer Sprache hatte. Weil man nicht blutet, wenn man ein Raum-Sein ist, das verletzt wurde.
Ich hatte keine andere Wahl, als sein Eindringen als einen Angriff wahrzunehmen. Nicht nur, weil ich nur an Stille und simmernde Dunkelheit gewöhnt war und mich jedes seiner Signale angeschrien hat.

Vielleicht, das überlegten wir in der Therapie, weil das Gehirn in meinem Kopf nie die Chance hatte einfach nur _ da_ zu sein und darin respektiert und gelassen zu werden. Weil es vielleicht einfach nie okay war zu _sein_ .
Natürlich muss ich bis heute immer denken, alles was passiert, geschieht, weil ich nicht richtig bin.
Es kommt ja auch nie jemand daher und knallt mir eine, weil ich _da_ bin, sondern, “weil …”
Es passiert allgemein selten, dass GewaltäterInnen* sagen: “Ich habe XY misshandelt, weil sier* existent (_da_) ist”. Viel häufiger kommt: “Ich habe XY misshandelt, weil  XY das Falsche getan/gedacht hat “;  “weil XY falsche Merkmale/ falsche Charakteristika hat”; “weil ich dachte, XY denkt/macht/fühlt/glaubt… “ (und dies auf eine Unfähigkeit bei mir stieß, damit anders umzugehen).”

Es ist verboten und verpönt zuzugeben, dass einen das bloße Dasein von Individuen einfach nur ankotzt. Es ist ein Tabu, weil es so simpel ist. Weil da exakt 0 Spielraum für Schuldtamtam ist.
Wenn jemand jemanden tötet, weil er existent ist, dann kann schlicht niemand sagen, das Opfer trage eine Mitschuld. Niemand kann etwas für sein Leben.
Niemand kann darum bitten oder beeinflussen welche Eizelle, wann von wem befruchtet wird und sich dann so entwickelt, dass er oder sie oder * selbst entsteht. Das geht einfach nicht.

An meinem Sein und dem, was es in der Umgebung, in der ich nun einmal war, ausstrahlte, war alles in Ordnung.
Nichts von mir Transportiertes allein hat eine Legitimation ergeben zu tun, was mein Retter* tat, sondern der Kontext, in dem er meine Signale wahrgenommen und gedeutet hat. Ich muss ihm die Verantwortung an meinen Verletzungsgefühlen nicht abnehmen, nur weil sein Handeln angesichts der konkret bestehenden Lebensgefahr von einem anderen Standpunkt aus, als wichtiger gewertet wird und dieser Mensch eine Zilliarde soziale Kekse für sein couragiertes Eingreifen bekommen könnte.
Wir können alle nur spekulieren, was gewesen wäre, wenn er mich nicht wahrgenommen hätte. Ich wäre vielleicht gestorben- aber ich hätte niemandem Schuld daran gegeben. Vermutlich hätte niemand die Schuld an meinem Tod zugesprochen bekommen.

Ich, mit meinem Ich-Bewusstsein, als Innen XY in diesem Körper, hatte vor ihm noch mit keinem Menschen zu tun, kannte nichts vom dem, was woanders als dort war. Ich war nie mehr oder etwas anderes als dieser Raum bis zu dem Zeitpunkt. In meinem Kopf war nichts weiter drin als ein Rauschen aus Stille und schwammigunklaren Impulsen und wenn ich gestorben wäre, hätte das für mich schlicht _GAR NICHTS_ bedeutet.
Ein Spekulieren auf dem, was würde, wenn, hätte sein können, außerhalb der Umstände, in denen ich mich bewegte, haben mir zu Recht absolut nichts bedeutet. Ich kannte es nicht und habe es nicht begehrt.

Ich sehe solche Gedanken von: “Ja, man weiß ja nicht und es ist/wäre doch schade, was da noch verpasst wird, was alles noch gehen kann mit ein bisschen Hilfe/ Veränderung …” anders, wenn Menschen einander nah sind. Wenn sie voneinander tatsächlich mitbekommen, was welche Eingriffe bewirken. Wenn man miteinander in Austausch ist, Verbundenheit fühlt oder auch einfach familiär oder sozial verbunden ist.
Mein Retter* kam, trat in mich ein und riss mir mein Mich aus der Mitte für etwas, das mir egal war, unter Umständen, die mir nur Bedrohung- und Lebensgefahr signalisieren konnten.

Nein, ich muss dafür nicht dankbar sein, weil ich überlebt habe und heute Seifenblasen von Bergen in den Sommerhimmel pusten kann.
Es geht nicht um Undankbarkeit für eine Rettung – es geht darum, was Menschen von einander wahrnehmen und wie unterschiedlich die Bewertung dessen sein kann. Wie sehr das, was wir Menschen _sein_ und _da_  lassen können, davon abhängt, was es für uns bedeutet Momente, die Demut und Respekt abverlangen – auch und vielleicht gerade dann, wenn uns beides niemals jemand vorgelebt hat – tragen zu können, ohne eingreifend/ beeinflussend zu handeln.

Wir* verwenden so viele Arten sozialer Vermeidungstänze, sei es in Schuldgezirkel, Verantwortungsgeknote, V-Er-Zieh-ungsgezerre, weil es schwerer ist inne zuhalten und _sein_ zu lassen.
Für mich ist es so, dass ich heute einen Schmerz fühlen und tragen muss, der sich nicht über eine Sicherheit lösen wird, weil ich mit diesem Menschen einfach gar nichts zu tun hatte und habe. Ich werde nie erfahren, was er wirklich dachte. Ob er an meinem _da sein_ Anstoß genommen hatte oder wirklich in den Umständen, in denen er mich verortete. Er wird vermutlich nie erfahren, wie sein Handeln auf mich wirkte. Er wird nie erfahren, dass ich mir seine Rettung nie gewünscht habe.
Einfach schon, weil ich es damals nicht als Rettung wahrgenommen habe und selbst heute, das Wort dafür falsch empfinde. Semiheimlich, fastganz für mich allein.

Ich leide unter der Zeit, weil ich überlebt habe. Wäre ich tot, würde ich das nicht tun.
Für sein “hätte würde wenn”, in seinem eigenen Leben, bin ich nicht verantwortlich. Nie gewesen.  Auch deshalb ist mein Gefühl einer Verletzung, das über einer Dankbarkeit steht, in Ordnung.

Menschen füllen ihre Leben stetig mit Ansprüchen, Werten, Normen.
Wenn zwei unterschiedliche Systeme aufeinander treffen und ein Mensch oktroyiert dem Anderen seines, dann sprechen wir von Gewalt. Auch wenn ein drittes, viertes, fünftes kommt und sagt: “Hast fein gemacht.”. Es war _da_  und es ist keine HeldInnentat* fremde Werte, Normen und Ansprüche abzusprechen, zu vaporisieren. Und ja, für mich persönlich gilt das auch für Werte, Normen und Anspruchshaltungen, die ihrerseits absprechen und verschwinden machen wollen.
Ich kann nicht an nur eine Wahrheit, nur eine Art zu leben zu denken und zu werten glauben.

Nicht zuletzt auch genau deshalb, weil ich gezwungen war und bis heute bin, Abgründe, neben schwindelnden Höhen; Sadismus neben bedingungsloser Liebe; tiefes Begehren neben absoluter Entbehrung; Hass auf mein bloßes _da sein_ in mir selbst stehen zu haben und alles das zu tragen und _sein_ zu lassen.

Meine Epiphanie war nicht wegen dieser Gedanken eine. Sie war eine, weil sie sich gut angefühlt hat. Rund. Ohne Not.
Ich habe für einen Moment stehen lassen können, dass es damals so war, wie es war, eben, weil es eben so war- weil der Menschen in dem Moment genau _da_ war, wie ich selbst auch. Ich konnte aber auch gleichzeitig, mein Gefühl von Verletzung und Bedrohung durch sein _Sein_  stehen lassen, obwohl sich der Kontext, der dankbare Opfer vor “selbstlosen” RetterInnen* verlangt, nicht verändert hat.

Ich verstehe nun den Trigger an der Situation Anfang Mai, in der ein Mensch mein Leben retten wollte. Und ich verstehe meinen Schmerz daran.
Ich verstehe, dass es für diesen Menschen darum gehen musste mein Leben zu retten, weil ich schon immer als rettungsbedürftig wahrgenommen und eingeschätzt wurde. Weil es genug Ignoranz für meine Lebensumstände, meine Fähig- und Fertigkeiten gab, um immer das Opfer, das einer Rettung bedarf, zu sein.

“Ich könnte mir das nie verzeihen, wenn dir etwas passiert und ich das gewusst hätte.”, ist ein Satz auf den ich zu Recht fragen kann, warum mein Tod nicht verzeihbar ist, unerträgliche Lebensumstände und Qualen aber schon. Warum ich leiden darf, aber nicht sterben.
Warum ich hilfsbedürftig sein darf, es aber zu viel verlangt ist, wenn es dieser Mensch ist, an den ich mich dafür wende, weil ich aufgrund seiner Angaben, denke, dass er mir helfen könnte.

Ich verstehe, dass es mich schmerzt in meinem _Da-Sein_ ignoriert zu werden, nicht gehört und (für ) wahr- genommen zu werden, weil es für mich noch einmal um dieses Erlebnis damals herum eine Ebene gibt, die Gefühle der Todesnähe  beinhalten. Neben all dem was ich im Zuge von Menschen- und Psychiatriegewalt erfahren habe.

Ich bin nicht dafür verantwortlich, was sich andere Menschen nicht verzeihen können. Sie müssen es sich selbst verzeihen und wenn sie das nicht können, dann müssen sie es lernen oder damit leben, dass ich ihnen die Frage in den Kopf stelle, wieso sie sich Gewalt an mir verzeihen können, aber sich selbst nicht, wenn sie etwas oder jemanden _sein_ lassen.

Meinen Retter* habe ich nach meiner Befreiung damals nie wieder gesehen.
Der Mensch, der mir vor mehr als 2 Monaten noch so dringend das Leben retten wollte, dass es für vertretbar erschien mir Polizei und Krisendienst nach Hause zu schicken, obwohl ich sagte, dass das nicht nötig ist- dass ich für solche Momente andere verbindliche Absprachen habe, hat sich seitdem nie wieder bei mir gemeldet. Muss ihn ja brennend interessieren, was er da so gerettet hat.

In beiden Fällen, war ihr Handeln etwas, das mein Gefühl für mich selbst in dem Leben, das ich führe, massiver verletzte, als die Umstände, in denen ich mich befand. Sie haben sich über mich zu RetterInnen* erhoben und dann als ich gerettet war, mich selbst bzw. meinen Schicksal überlassen. Als meine Lage keine sozialen Kekse mehr hergab, war ich abgehakt.

Und in beiden Fällen könnte eine Instanz kommen und sagen: “Frau Rosenblatt präsentierte sich mit einem Leiden an…”
Und nicht: “Frau Rosenblatt sagte… und ICH dachte….”

Inzwischen, jetzt wo mehr als zwei Monate vergangen sind, glaube ich, dass mich nicht nur die Enttäuschung über die Menschen schmerzt, sondern auch, dass sie von anderen Menschen darin bestätigt werden, während ich hören muss, ich hätte es ja nicht anders gewollt.
Ich aber, habe es anders gewollt.
Ich wollte damals nichts weiter als Wasser. Etwas Anderes war gar nicht in meinem Kopf drin.
Und vor zwei Monaten wollte ich nichts weiter, als dass Menschen ihre Versprechen an mich halten. Mehr war einfach nicht _da_ .

Ich habe mich nicht präsentiert, ich habe keine Forderungen formuliert. Ich habe die Ansprüche gestellt, die mir legitim und logisch nachvollziehbar erschienen und war bereit mich in dieser Annahme auch zu täuschen. Mein Umfeld aber, hat sich einen Scheiß um das geschert, was ich wollte und dachte, fühlte und konnte.

Und das ist, was Gewalt gebiert: Ignoranz (um des eigenen Vorteils Willen)

Niemand muss sich für RetterInnen*gewalt („helfende“ Gewalt) an sich bedanken, nur weil er oder sie oder *, diese überlebt hat.
Niemand.
„Sei dankbar um dein Leben und halt die Fresse über deine Gefühle“, kann man nur an Unterlegene richten.
An die, die man sich selbst zum Opfer macht.

un-gesicht-bar

menschAls ich eine Teenagerin war, bin ich einmal mitten auf dem Schulhof stehen geblieben und habe meine Gedanken gebrülldacht. In meinem Kopf schrie ich mein wortloses ES über den ganzen Hof.
Als nichts passierte, ich so deutlich spürte, dass ES nicht _ist_, wenn ES nicht aktuell passiert, brach einmal mehr etwas in mir.

Es ist das Eine, wenn man mit Menschen unter einem Dach lebt, die ein ES produzieren und immer wieder vermitteln: “Was hier passiert, bleibt hier. Dort draußen bist du nichts.”. Das Andere ist zu spüren, dass das, was dort passiert, sehr wohl an einem selbst kleben bleibt und so nicht nur dort bleibt, sondern immer mit sich herumgetragen wird.

Und dann der Konflikt des eigenen Seins. Heute denke ich, dass meine Multiplizität auch genau ein Produkt dieses sozialen, und emotionalen Sprengfasses war. Ich war nämlich sehr wohl etwas und zwar immer und überall- nicht nur dort. Mal war ich Schülerin, Sportlerin, Sängerin, Tänzerin, Künstlerin, Schriftenmacherin, manchmal aber auch Spinnerin, Lügnerin, Verkorkste, Freundin, Aktivistin.
Tochter und Objekt war ich nur dort.
Trägerin des ES war ich aber immer und überall.
Von allen Zuschreibungen, die ich durch mein Verhalten, Ausüben oder Bremsen meiner Fähig- und Fertigkeiten mehr oder weniger steuern konnte, war der Umstand ES zu erleben- ES zu überleben- ein blinder Fleck in meinem Selbst, den ich zwar so in seiner Unfassbarkeit deutlich als etwas spürte, das dort nicht hingehörte, weil ich ihn bei anderen Menschen (außer meiner Familie*) nicht wahrnahm, aber auch nicht ablegen konnte, weil ich keinen Ort dafür kannte.

Damals hatte ich eine Broschüre vom Mädchenhaus der Stadt in der Hand. Diese war bebildert mit einem Mädchen* mit einem blauen Auge.
Ich legte sie weg. Nicht, weil ich dachte: “Oh ich habe kein blaues Auge- für mich gilt das nicht.”, sondern, weil ich wusste, dass ich ES nicht gleichsam sichtbar machen können würde, solange ich keins hätte.

Seit ein paar Tagen kursieren die ach so empowernden Zeichnungen von Frauen*, die Menschen darin bestärken sollen, sich an sich selbst zu orientieren und ihre Entscheidungen zu leben.
Wer kein Gesicht hat ist “Ana”, die vergewaltigt wurde (und ein lesbisches Paar).

Ich fühle mich von dem Bild alles andere als empowert. Dadurch, dass meine Twittertimeline diese Bilder aber offenbar super findet, bin ich schon wieder verunsichert, ob irgendetwas an mir falsch ist, wenn niemand außer mir markiert, dass der Mensch, der von einer Vergewaltigung übrig ist, ohne Gesicht und in gekrümmter (sitzender) Haltung dargestellt wird und sich inmitten von Menschen befindet, die nicht durch das, was andere Menschen ihnen angetan haben zu ihrem Label gekommen sind.
Auch der Untertitel ist, zumindest für mich, ein Widerspruch zum Bild: “Du bist nicht allein und es ist nicht dein Fehler”, denn das Bild zeigt einen Menschen der allein ist und denkt (offenbar, denn nicht einmal die Gedanken des Menschen werden klar gezeigt), es sei sein Fehler. 

Vergewaltigung bzw. (sexualisierte) Gewalt allgemein, erscheint mir bis heute von GrafikerInnen und anderen Menschen, die Medien produzieren, als entweder unansehnlich (“Das kann man doch nicht zeigen- und wenn dann nur im Film”) oder so weit über “normal”, dass man ein Symbolbild verwenden “muss”, das gleichfalls in alle Richtungen DAS DA auf so vielen Ebenen wie möglich herausbrüllt (Kind in Ecke mit Schatten von Mensch drüber- Szene; kaputter Teddy, leere Schaukel, zerschmetterte Scheibe etc. ).
Einfach einen Menschen abzubilden, der sagt: “Ich habe dies und das erlebt”, funktioniert nur als Einzelschicksalgeschichte, die durch Gerichtsverfahren, TäterInnenstrafe oder HelferInnen bestätigt (bewahrheitet) ist.

In den letzten Jahren habe ich mich gegenüber mehreren Menschen als “zum Opfer von sexualisierter Gewalt geworden” zu erkennen gegeben und habe mich stark gefühlt, weil ich das überhaupt so sagen konnte.
Doch so stark wie ich mich fühlte, so schnell ging es dann auch um die TäterInnen, das Drama, die Betroffenheit der Menschen über meine Erfahrungen. Um mich als diejenige, die damit leben muss und an so vielen Stellen im Alltag strauchelt, sich irgendwie halten und ein Leben in Richtung Zukunft leben muss, ging es schnell nicht mehr.

Manchmal dachte ich, dass es eine Art Tausch ist. “Sie sagen mir nicht, dass ich es wollte/ selbst schuld bin/ einfach eine bin, die man misshandeln muss, also muss ich sie beruhigen, versichern, bestätigen und ihnen zeigen, was ich trotzdem (!) noch kann.”
Heute denke ich: Nein.
Was mir passierte, ist Alltag für Millionen von Menschen auf der Welt und zwar jeden Tag. Millionen von Menschen da draußen, tragen ein ES mit sich herum und denken, sie wären zum allein sein damit bestimmt, weil sie weder bluten, noch schreien, noch “krank” sind – weil ihr ES weder Worte noch physische Substanz hat, wenn der Täter oder die Täterin nicht mehr da ist. Weil sie eben nicht gesichtslos und zusammengekrümmt irgendwo sitzen, sondern sich selbst lediglich innen so sehen.

Ich denke heute, dass es darum geht, auch die Opfer von Gewalt als exkludiert zu markieren, weil ihnen nicht nur in dem Moment, in denen ihnen Gewalt angetan wird, die Identität und das Selbst verletzt bis zerstört wird, sondern auch noch in der Gesellschaft ™ nicht anerkannt wird, wenn es darum geht ES zu benennen.
Es ist nicht die Entscheidung der Gewaltüberlebenden zu überleben – das passiert ihnen einfach so, wie ihnen auch die Gewalt passiert und liegt letztlich nicht in ihrer Macht.
Doch wenn die Gewalt vorbei ist, dann treffen die Gewalthinterbliebenen Entscheidungen ihr Leben und ihr Sein zu leben und müssen darin bestärkt werden.

Ich bin auch fast jeden Tag alleine und denke über meinen Anteil an den Taten nach- und es ist verdammt nochmal auch mein Recht allein zu sein und darüber nachzudenken.
Es ist kein Empowerment, wenn “Power” als das Gegenteil von (auch) Opfer (gewesen) sein dargestellt wird.

Ich merke, dass es mir in der letzten Zeit wichtiger geworden ist, auch als Opfer von Gewalt wahrgenommen zu werden. Nicht als Alleinstellungsmerkmal, aber mit einer deutlicheren Gewichtung auf dem “auch”.
Mir kommen zur Zeit viele Erinnerungsfetzen hoch und öfter spüre ich auch die Passivität (oder auch von jetzt auf gleich übermächtige körperliche Schwäche), um die ich all die Jahre meinen (unseren) Vermeidungstanz choreografiert habe, der seinerseits immer wieder auch davon motiviert wurde, das Opfersein so etwas Ähnliches wie “schwach sein” / “unproduktiv sein”/ nichts (und niemand) sein (denn “das Opfer”= sächlich, ungeschlechtlich, ein Objekt) / “Passivsein” in unserer Gesellschaft ™ bedeutet.
Ich erlebe es im Moment als Selbstermächtigung mein Bild von mir anderen Menschen gegenüber zu vervollkommnen, indem ich offen mit meinem zum Opfer geworden sein umgehe.

Denn: Ich entscheide, wem ich – von Angesicht zu Angesicht! – sage, dass mir Gewalt angetan wurde und wann, wie und wo es was für mich und mein (Er-) Leben bedeutet.
Ich tue das unabhängig davon, ob die TäterInnen oder irgendjemand anderes dies bewahrheitet oder durch seine Aussage dazu definiert. Ich definiere mich selbst als zum Opfer von Gewalt geworden und erhebe den Anspruch an meine Mitmenschen, diese Definition anzunehmen, auch ohne Gegen- oder Mitstück, einfach, weil ein Gegen- oder Mitstück dafür sorgt, dass ich wieder zum Opfer werde, anstatt mich in meinem “früher einmal Opfer gewesen sein” zu stärken.

Mein Leben heute – nach der Gewalt – ist kein “Opferleben”. Es ist ein Leben nachdem ich zum Opfer wurde.
Das heißt, dass es völlig legitim ist, wenn ich meine frühere Opferschaft (meine Passivität im Vergleich zu einer zerstörerischen Aktivität) zum Selbstbild dazu zähle, denn ohne diese Erfahrung wäre einfach alles anders.

Ich bin das Gesicht meines Lebens nach der Gewalt. Ich hab eins. Ich hab ein Leben, ich hab ein Sein. Ich bin da, obwohl das, was mich gemacht hat, nicht mehr da ist.
Und darum gehts.
Es geht nicht um meine Schuldfragen, nicht um meinen Körper und seine Integrität, nicht um meine Rasse, Klasse, Alter, Geschlecht oder sonst irgendwas. Es geht darum, dass ich lebe, wie ich lebe und wie Millionen andere Menschen auch leben.
Und nur, weil man das nicht in so eine Illustration reinbringen kann, muss man nicht zum Symbolbild greifen.

Es reicht zu markieren, dass ES und DAS DA einfach nicht immer zu sehen ist, statt zwanghaft einfach irgendwas sichtbar zu machen und damit Normen zu produzieren, die zwangsläufig exkludieren.

“die Anderen annehmen”

Blütentrio Anzunehmen, dass ich  Viele sein könnte, fiel mir lange schwer, weil ich davon ausging, dass Annahme ein Akt sei.
Solange ich von der Möglichkeit ausging, die Problematiken, die sich nach Ansicht meines Umfeldes daraus ergaben, dass ich die Anderen nicht annähme, mit einem schlichten: “Hingehen, machen, wieder weggehen” lösen ließen, konnte ich es nicht.

Was genau sich verändern würde, würde ich die Anderen als echte autarke Ichs annehmen, war mir schon nicht so wirklich klar.
Sehr wohl aber- und dieser Gedanke war mir in genau dem Moment präsent, als ich das erste Schema über die Anderen auf einen Block im Zimmer meiner damaligen Therapeutin zeichnete- dass sich das Verhalten der Menschen um mich herum verändern würde, sobald jemand wüsste, dass das, was bisher alles meins war, plötzlich nicht mehr nur von mir allein, sondern auch von außen, anderen zugeordnet werden könnte.

Ich erlebte es als eine Art Verlust, über den ich nicht mosern durfte, weil die Erleichterung über die geklärte Amnesie bzw. schwammig/verzogene Erinnerung ja gleichfalls da war, wann immer sich herausstellte, dass dieses oder jenes Innen etwas kann/ konnte/ überstanden/ erlebt hatte, was ich eigentlich mir zugeordnet hatte, weil ich ja nun einmal schließlich echt bin. Ich bin ja ich und ich bin ja immer ich. Egal, ob ich es erinnerte oder nicht; nicht sicher abrufbar immer alles konnte oder nicht und egal, ob ich mir in der Wahrnehmung davon immer sicher war oder nicht- für alle Welt war und ist immer sichtbar, dass ich ich bin.

Als die Diagnose dann kam und Namen, Alter, Vorlieben, Aktivitäten an mich heran getragen wurden… als klar wurde, dass ich- mein Körper- das Personal angegriffen hatte und ich- mein Körper- wochenlang häufiger fixiert, als frei auf der geschlossenen Station existierte, hatte ich die Vorstellung der Begriff “multiple Persönlichkeit” wäre eine Art Vermenschlichung des Phänomens der Werwölfe oder auch Gremlins.
Ich war damals 17 Jahre alt und natürlich kein Kind mehr. Trotzdem war ich noch lange nicht so reif, mir die Welt nicht doch sehr einfach zu machen und mir nicht doch lieber mit Mythen oder Fantasiegeschichten zu erklären, als mit Worten, die Menschen an mich richten, die dafür bezahlt werden mit mir zu tun zu haben.

Ich sollte die Anderen annehmen und mich stellen, mit etwas leben und umgehen, das ich weder fühlen, noch anfassen, noch denken, noch sonst wie wirklich begreifen konnte. Ich wusste, dass ich misshandelt worden bin- ich wusste aber auch, dass es mir nicht wer weiß wie schrecklich vorkam. Jedenfalls nicht so schrecklich, das jemand kommen musste, um es für mich zu überleben. Es ist ja nie jemand gekommen, der an meiner Stelle verprügelt wurde. Die Tür blieb verschlossen und ich habs allein durchgemacht.
Für mich klang es absurd und unrealistisch. Ungreifbar und in mich hineingedeutet, wie jeder andere Quatsch, den mir PsychologInnen und PsychiaterInnen in den Jahren vorher erzählt haben, um mir meine Gefühle und Gedanken zu erklären. Als hätte es eine Erklärung dafür, ausgerechnet von ihnen, jemals gebraucht.

Für mich waren die Anderen eben die Anderen. Sie waren nicht “jemand” oder “etwas” – nur eben “nicht ich” und manchmal auch nur “nicht so, wie ich”.
Durch die Abstraktion ins Außen wurden sie noch weniger ich und wie gesagt: absurderweise – sollte ich dieses noch weniger ich-nahe, als mich annehmen.

Ich habe nachwievor Amnesien im Alltag oder schlottere mich durch den Tag mit unbestimmten Gefühlen, etwas vergessen zu haben; den Unsicherheiten: “Habe ich das jetzt gemacht oder nicht?”; körperlichen Missempfindungen von Taubheit, Schmerzen, allgemeiner Indifferenz über meine physische Präsenz- aber ich weiß, dass das nicht weggehen wird, indem ich sage: “Ah- das macht ihr anderen mir doch- haha- *schulterklopf*- i feel you bro”.
Hab ich probiert, hat nicht gereicht.

Aber es wird besser je mehr ich hinhöre und verstehe.
Das Eine ist anzuerkennen, dass es diese Art zu sein, die Art der Wahrnehmung und ihre Struktur gibt.
Ich glaube, es hat mir geholfen einen Blick für die verschiedenen Arten der Wahrnehmung zu entwickeln, dass ich von von vielen Menschen umgeben war, die körperlich behindert werden und/oder mit kognitiven Einschränkungen leben. In den verschiedenen psychiatrischen/psychotherapeutischen Kliniken konnte ich mein inneres Bild von der Struktur des sogenannten Wahnsinns machen und in aller Ruhe verstehen, dass sich niemandes (Selbst)Wahrnehmung allein dadurch verändert oder verschwindet, weil sie irgendjemand als falsch/krank oder gut/gesund bezeichnet.
Sie ist da und das allein bildet einen Kosmos, den es zu erfassen gilt.
Ich habe mit Anfang 20 die ersten Bücher zum Thema Dissoziation und Trauma gelesen; machte mir eine kleine Insel in der Neurophysiologie des Trauma und blieb eine ganze Weile dort. Ein Gehirn haben alle Menschen und wenn es bei jedem in etwa gleich funktioniert und es letztlich nur eine Frage äußerer Faktoren und einer Kette von strukturell grundlegend immer gleichen Reaktionen und Lerneffekten ist, Viele zu werden, dann kann mir alle Einschätzung und Benennung von außen herzlich egal sein.
Dann bin ich das Gehirn, das mir sagt, dass ich bin- aber eben auch das Gehirn, das unterschiedliche Funktionsmodi an äußere Reize abspult und dann eine andere Ich-Botschaft abschickt.

Das Andere ist anzuerkennen, dass andere Ich-Botschaften, auch dann Ich- Botschaften sind, wenn sie mir nicht so erscheinen.
Es geht darum eine Trennung als wahrhaft/ echt und üblichen Teil der Wahrnehmung zu betrachten, ohne die Verbindung bzw. die gemeinsame Quelle gleichsam zu trennen (bzw. andersherum: das immer gleiche Gehirn zum Beleg der Nichtexistenz der Trennung zu machen).

Vor ein paar Jahren dann, tauchte ein Kinderinnen auf und quäkte seine ultimativen Wahrheiten heraus: “Ich mach das, weil ich das kann.” und “Ich kann doch nix dafür, wenn ich auch immer Recht hab”.
Es hatte mich verstehen lassen, dass die anderen da sind, weil sie da sein können. Weil es eben die (wie ich ja bereits wusste, neurophysiologisch beweisbare) Option gibt, dass Menschen ihre Wahrnehmung auf- und von sich abgetrennt erleben können. Und weil es diese Option gibt, ist es auch – neben vielen anderen Wahrheiten, Ansichten, Klassifizierungen und Meinungen- immer richtig und wahr, sich selbst so zu sehen, wie man sich eben selbst sieht.
Dieser Satz des “auch immer Recht habens” eröffnete mir die Möglichkeit neben Fehlannahmen und Scheitern, auch richtig zu liegen und gewonnen zu haben – und sei es eine Erkenntnis, die nur mir in meiner eigenen Entwicklung hilft.

Mir wurde klar, dass ich die Anderen schon in dem Moment als Auch- Mich angenommen hatte, als ich noch glaubte eine Art Werwolf oder Gremlin zu sein (ein Wesen, das immer ein Wesen ist, aber sich aufgrund bestimmter äußerer Einflüsse in (Selbst)Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Verhalten verändert).
Dass mir meine Vorstellung von meinem Wirken nach Außen Angst machte (und das nicht zu knapp)- aber nicht die Anderen als solches, habe ich, glaube ich, nie so klar formuliert. Ich hatte aber auch keine Legitimation dazu, denn mir wurde begegnet, als wäre mein Ich etwas, das zu fürchten ist (sonst wäre ich ja weder eingesperrt noch fixiert worden).
Auch der Anspruch massive Gewalt als von mir erlebt anzunehmen, kam viel zu früh und in einer Zeit, in der ich noch Gewalt ausgesetzt war. Nämlich ebenjener globalen Gewalt, die geschlossene Einrichtungen und sonstige Abhängigkeitsverhältnisse nun einmal mit sich bringen. Erst heute, wo ich keine Angebote mehr annehmen muss, weil mir Alternativen fehlen, oder Mut Alternativen zu verlangen/einzurichten/zu nutzen – ich also allgemein zwar nicht in einem gewaltenfreien Raum, aber einem der weniger nah an meiner Existenz liegt, lebe, kommen überhaupt die ersten greifbareren/ sortierbareren Erinnerungen, die mir zwar nicht immer logisch erscheinen, aber echt und nah im Gefühl sind.
11/12 Jahre nach der Diagnose.

Was ich sagen will ist: das Viele sein zu akzeptieren und/oder die Anderen zu akzeptieren, hat sehr viel mehr mit Verstehen und Begreifen (dem Umgang mit dem Jetzt, die Möglichkeiten des Heute) zu tun, als mit Zweifellosigkeit über erlebte Gewalt, Normalität im Wirken oder der Einschätzung (Wahrheit) von Dritten.
Es kann sein, dass irgendwann jemand kommt und sagt: „Du hast keine DIS und dir ist nie etwas passiert.“
Das würde mich verwirren und verunsichern- aber mein Ich und meine Wahrnehmung davon nicht verändern.
Die anderen haben schon so viele Begriffe und Einschätzungen von außen aufgeklebt bekommen: Wahnidee, Psychose, Einbildung, Story einer Hysterikerin, Traumwelt einer irgendwie allgemein verkorksten Persönlichkeit – die Tatsache, dass auch Wahnideen, Einbildungen etc. etwas ist, das von meinem Ich abgetrennt passiert, wurde auch damit benannt.

Das Annehmen meines Innens konnte nie ein ausgestanzter Akt sein, sondern immer nur ein Prozess, der bestimmte äußere Kontexte von Freiheit erforderte, welche mir wiederum überhaupt genug Raum und Mut zur eigenen Positionierung zu meinem Ich ermöglichte.

mit dem großen Zeh zuerst

weißeRose Vielleicht brauchte es nur das. Ein einfaches “What the fuck?!” von jemandem, den ich nicht gut kenne, der auf etwas reagiert, was ich so ewig ohne ein Wörtchen an jemanden mit mir rumgeschleppt habe.
Einfach irgendwie eine spontane, ehrliche Mitfühlung eines WHAT THE FUCKING FUCK?!- Moments.

Ich habe wohl gemerkt, dass es mir schwerer als sonst fällt, diese Welt zu berühren und Kontakt mit ihr auszuhalten.
Einfach schon, weil sich in meinem Kopf die Optionen der Reaktionen stapeln. Er/Sie/ * könnte denken dass… könnte finden, dass… denkt bestimmt, dass… findet mich sicher… hasst mich in Wahrheit… sieht mich nicht… hält mich für unfähig… und überhaupt weiß ich doch sowieso, dass ich…
So ein Optionenstapel wächst, schmilzt, wird zu einem Brei in dem ich meine Tage verbringe und schweigend, einhaltend, warte und nur hier und da Dinge äußere, die mir “sicher” erscheinen.
“Dieses und jenes kann man sagen- hatten wir schon zusammen- geht… gerade so/gut/okay/sicher aushaltbar”. In meinem Kopfannahmenbrei ist das wie die Stange vom Bademeister.

Wenn man schon nicht unter Kontrolle hat, wer die Wohnung betritt; wer einen verlässt oder verlassen muss; den Lauf der Welt weder beeinflussen noch anhalten kann, dann ist still-halten im Kopfbrei, der sich immer realer, immer echter, immer wahrhafter anfühlt, je länger man ihn nicht der Überprüfung aussetzt, das, was ich eben kann.
Klappe halten, warten, atmen, so tun, als wäre nichts. Irgendwann ist auch sicher nichts. Irgendwann ist alles gewesen. Eine Episode. Vorbei und vergangen. Tüdelü.

Bis jemand “What the fuck” sagt.
Dann ist es immer noch vergangen und vorbei. Weit weg, vertan, versackt, dreimal verdunstet und als Augenregen in Kissen reingetropft.
Aber es ist dann _gewesen_
Kein Angstfreudealptraum, den man nur von sich weisen _kann_, weil Fähig- Mutig- Kräftigkeiten fehlen. Surrealität, Absurdität, das krass krass krass der potenziellen Eventualitätsoptionen soweit über den Kopf ragen, wie die drei Zauberbohnen.
Weil allein, verlassen, einsam. Weil Angst vor dem Leben. Dem Dann. Dem Wenn. Dem und dann und dann und dann und dann.
Diesem ganzen Lauf der Dinge, den man nur mitmachen oder ohnmächtig, still, stumm anstarren kann. Ohne Kontrolle, ohne Einfluss.

Vorhin ist mir aufgefallen, dass ich mir die ganzen Kontroll- und Sicherheitslosigkeiten in meinem Leben mit Hass, Ablehnung, Dummheit, Opportunismus, Ignoranz, Mitgefühlslosigkeit, Zwang und persönlichen Ohnmachten erkläre.
Die Menschen müssen mich ja hassen, mich verachten, zu dumm sein mich und meine Entscheidungen zu verstehen, nur auf sich selbst bedacht oder einer anderen Instanz unterworfen- sonst würden sie mich ja nicht verletzen, kränken, diskriminieren. Mich so ohnmächtig fühlen lassen.

War ja immer so.
Kann ja gar nicht anders sein.
Hast du das denn schon wieder vergessen Rosenblätterdummchen? Du bist einfach scheiße- was hast du denn gedacht, was sich ändern würde, wenn…?!
Alle sind mächtig und du nicht.
Alle anderen kriegen ihr Leben geschissen und du nicht.
Weil du kaputt bist. Verkorkst. Von Natur aus falsch. Du brauchst dir nichts auf deinen Phänotyp des homo sapiens sapiens einbilden.
Du bist nicht wie sie.

Und dann geht mein ganzer Kopfbreistapel kaputt, weil andere, die, wie ich sie sehe, alles richtig machen, gänzlich okay und in Ordnung sind, nicht mehr als ein “What the fuck” äußern, um dem was war zu begegnen. Genau wie ich, als ich damit konfrontiert war.

Was Gewalt und Überwältigendes kann, ist Trennungen zu verursachen.
Ich habe mich von Menschen abgetrennt, die mich lange und nah begleitet haben. Von Menschen, die mich lieber anschweigen als in die Konfrontation zu gehen.
Ich habe mich von meinem Körper abgetrennt. Von Mutreserven, die die Überprüfung meines Kopfbreis, meines Handelns, meines Seins im Hier und Jetzt ermöglicht hätten.

Ich war außer mir und hab vergessen wieder in mich zu gehen.
So macht man das. So hats klein Rosenblatt doch gelernt.
Wenn man außer sich bleibt, dann ist aller Hass, alle Gewalt, alle Abwertung okay. Man kann ja sowieso nichts daran ändern.
Alles was zu viel, zu nah, zu überwältigend war und in der Folge passierte, hab ich in meinen Brei aus erklärenden Annahmen geworfen und mich an meiner Bademeisterstange aus Äußerungskontrolle festgeklammert.

Ich hab mich räumlich, sozial, emotional getrennt gehalten und es war okay.
Und, weil es für mich okay ist, muss es für andere ja scheiße sein.
Für mich darf ja nichts okay sein.
Also Druck und noch mehr Isolation.
Noch weniger Atem.
Noch mehr Trennung.
Noch mehr Gewalt, die von mir allein ausgeht.
Noch mehr Selbsthass für genau diese Gewaltausübung.
Noch mehr Gedanken zu Sinnlosigkeit, Ohnmacht.
Noch mehr Stille.
Noch mehr um sich kreisen, statt in sich hinein fühlen.

Ich denke, es ist gut, wenn ich das so spüre und für mich ausdifferenziere.
Wenigstens meinem Kopfannahmenbrei wieder mehr Marker für seine Eventualität hinzufüge.
Ja, kann sein, dass mich alle Menschen hassen und das aus gutem Grund – kann aber auch sein, dass XYZ der Fall ist und der einzige echte Fehler von mir ist, meine Ängste zu Annahmen und meine Annahmen zu Wahrheiten werden zu lassen.

Ich kann immer noch Einsiedlerin werden.
Aber ich muss es nicht sein, weil ich Angst davor habe den Gefühlen und Handlungen anderer Menschen auf immer und ewig hilflos ausgeliefert zu sein, die ich dann irgendwie in meiner Kontrollstarre aushalte.

Reicht, wenn ich eine werde, weil mir Menschen sicher sagen, dass sie mich verletzen, kränken, zu Tode ängstigen, weil darum.

bis dahin könnte ich
mit dem großen Zeh zuerst
zurück in mich, an mich heran gehen

ich mache das, weil ich es kann – nicht weil ich bin

NakNak Ich verließ die Praxis meiner Therapeutin und sah mich wie eine Art frische Götterspeisenmasse. Irgendwas zwischen kochend verdampfen und flüssig erstarrend.
Es hatte mich angestrengt zu sprechen und dabei auch noch etwas zu sagen, aber es ging mir besser als vorher. Immerhin gut genug, um das Vorhaben neue leichte Schuhe zu kaufen und ein Fischbrötchen zu essen umzusetzen.

NakNak* hatte am Sonntag schlimmen Durchfall und fieberte ein bisschen. Ich dachte, sie würde sicher viel schlafen und nicht direkt merken, dass ich etwas länger als sonst weg bin. So aß ich meinen Backfisch, erinnerte mich ans Meer und überlegte, wie ich meine Schleswig Holsteiner Oktoberwoche wohl füllen könnte.

Als ich die Tür zu meiner Wohnung öffnete, schlug mir schon ein übler Geruch in die Nase.
NakNak* konnte es nicht halten, hatte lachenweise Blut und Schleim von sich gegeben und lag auf dem Boden der Küche. Mein Kommen mit einem Heben und wieder Ablegen des Kopfes quittierend.

Dissoziieren ist etwas Gutes.
So ein Umschalten auf den Handlungsmodus – hingehen, machen, wieder weggehen- das hält mich unabhängig. Ruhig. Sachlich.
Ich untersuchte sie kurz und wusste schon, dass sie nur dehydriert und zu schlapp vom Fieber war, um so viel zu trinken, wie sie gebraucht hätte.

Neu ist, dass ich unsere Gemögte anrief, weil ich wusste, dass es mindestens ein Innenkind gibt, das an diesem Anblick und NakNak*s Krankheit überhaupt mehr als nur “schwer zu tragen” hat. Ich hinterließ ihr eine Nachricht und zog dabei eine Probe aus einer Lache in meinem Schlafzimmer auf eine Spritze.
Irgendwann muss ich auch sauber gemacht haben, fällt mir gerade ein.

Es gab einen Moment, in dem ich dachte: “Wenn sie jetzt stirbt, dann bin ich allein” und in dem mir nur hängen blieb: “Ich bin allein”.
Ich weiß, was es mit mir macht, wenn Menschen in meiner Twittertimeline in Momenten wie diesen Tweets absetzen. Ich hab schon auch mal gedacht: “Woa, wie kannst du denn jetzt twittern?! Hallo?”, aber als ich an der Straßenbahnhaltestelle saß und meinen lethargischen Hund an mich drückte, war es einfach genau die Art Interaktion, die ich noch konnte, um meine Gefühle vom hoffnungslos verlassen und einsam sein zu regulieren.
Hätte jemand neben mir gesessen- wer weiß, ob ich die Kontrolle und meine mittelstarke Depersonalisation so noch weiter gehabt hätte, wie ich sie brauchte?

Wir können mit unserer Stadtbahn nicht direkt bis zum Tierarzt fahren. Man muss einmal umsteigen und genau dann musste NakNak* schon wieder etwas von sich geben.
Wie das für mich ist, wenn der eigene Hund mitten in die Betonwüste “Innenstadt” nichts als Blut aus sich herausdrückt, habe ich nicht einmal gemerkt. Ich habe nur gemerkt, wie mich die Blicke der Menschen gestresst haben, als ich meinen Hund dabei abstützen musste.

Wie mich die Blicke, Kommentare, Streichelfragen und das Kreischen der Straßenbahn auf den Gleisen gestresst haben. Das Geruckel, das Atmen von NakNak*, all die ganzen Reize, die mir, wie Granatsplitter, in den Kopf geknallt sind, obwohl ich eigentlich gar nicht richtig da war.

Die Tierarztpraxis, die wir immer aufsuchen ist aber toll.
Als der Spielunfall war, bei dem eine unserer ersten Pflegehündinnen ein gebrochenes Beinchen abbekam, waren das die ersten Menschen, die sich auch um mich gekümmert hatten. Wir waren damals so schlimm aufgelöst; konnten uns kaum beruhigen und uns wurde dort begegnet mit: “Frau Rosenblatt- setzen Sie sich mal hin- möchten Sie einen Tee oder Kaffee? Der Doktor kümmert sich jetzt.”.
Edna ist in der Praxis eingeschläfert worden und wir durften fühlen, wie ihr Herz zu schlagen aufgehört hatte. Sie war schon auf der Fahrt dorthin auf unserem Schoß den Hirntod gestorben. Mit dem ausbleibenden Pochen unter unseren Fingerspitzen wurde es begreiflich. Der Doktor, nennen wir ihn Hundefreund, hatte ein Klima entstehen lassen, in dem wir das abrupte Ende eines ganz jungen Hundelebens erfassen konnten.
Er sagt immer “Und jetzt trösten wir mal ganz viel und streicheln überall, wo der Pieks nicht ist…”, wenn er eine Spritze geben muss.

Weil wir dort auch mit Pfleglingen und Wildtieren immer mal wieder sind, bekommen wir deluxe Sozialtarifrechnungen. Oft genug mussten wir auch gar nichts bezahlen, oder durften in lachhaft kleinen Raten entlohnen. Er ist einer der wenigen AkademikerInnen*, die ein Gespür für klassistische Benachteiligungen haben und das macht ihn uns zusätzlich zu seiner Hundeaffinität auch persönlich sehr sympathisch.

Ich trug NakNak* in die Praxis und brauchte nur sagen, dass sie Flüssigkeit braucht- nix mit Etikette der Krankenanmeldung, dem Anspruch irgendwelche formalen Informationen unter dem Sorgenwust hervorzuwühlen. Die Helferin* nahm sie gleich mit und holte den Arzt.
Und dann saßen wir da erst einmal eine Weile rum. NakNak* auf dem Schoß und an einen Tropf angeschlossen. Ich ein Innenkind fühlend, eine Email tippend und doch langsam in eine dumpfe grauweiße Wolke fallend, die mich noch etwas mehr vom Hier und Jetzt abtrennte. Kurz war ich gar nicht da, glaube ich.

Wasser ist Leben und das war es auch für die kranke Mopsmaus.
Es dauerte wirklich nicht lange und schon konnte sie wieder sicher stehen, richtete ihre Fledermausohren in alle Ecken und Winkel und wollte die Kanüle aus dem Beinchen rupfen.
Doktor Hundefreund tastete NakNak*s Bauch ab, lauschte in sie hinein, nahm noch einmal die Temperatur. Er sagte, dass sie weder Würmer noch Giardien hätte, was mir echt Auftrieb gab. NakNak* ist jetzt etwas über 5 Jahre alt und seit wir sie barfen, hatte sie nie Darmparasiten oder Verdauungs- Haut- Sensitivitätsprobleme. In Anbetracht der Tatsache, dass wir sie halt auch Mäuse oder Vögel fressen lassen, wenn sie welche im Wald findet, kann ich sehr wohl davon ausgehen, dass sie auch Wurmeier und Larven aufnimmt – ihre Abwehrkräfte bzw. ihre Magensäure aber ausreichend ist, sich zu schützen. Logisch, ihr Organismus muss ja auch nicht permanent Getreide von dem sie nichts hat, aufspalten und verarbeiten.

Er gab ihr eine Spritze mit einem Mittel gegen das Fieber. Mit viel Tröstestreicheln.
Es ist nur ein Infekt, den ihr Körper mit aller Macht raus haben will, okay. Atmen.
Etwas später ging sie auch schon wieder allein zum Wassernapf um sich zu bewässern. Ausatmen.
Sie hat Antibiotikatabletten, einen Fastentag und ein von allen Border Collie- artigen heiß geliebtes: “Langsam” verordnet bekommen.

Es war inzwischen abends und die Straßenbahn etwas weniger voll. Ich spürte neben dem Reizfeuer langsam das Summen, Brummen, Wirbeln und Rasen von Innen, spürte erstmals seit der Therapiestunde 6 Stunden vorher meinen eigenen Durst und die Kühle der Abwärme, die meine Schweißflecken auf der Kleidung entstehen ließ.
Ich dachte darüber nach, wie gut es ist, dass wir wegen des Workshops den wir im August geben werden, noch keine Ferienwohnung- Urlaubsreisekostenausgaben gemacht haben. Wie gut, dass die Openmind-Konferenz für die wir auch schon einen Vortrag eingereicht haben, im September ist und wir deshalb erst im Oktober… wie gut, dass diese Katastrophe jetzt war, wo wir am Donnerstag noch einen Therapietermin haben und Raum für das Innenkind schaffen können, falls es nötig ist.
Ich dachte darüber nach, ob NakNak* wohl verdurstet wäre, würde sie nicht bei uns leben. Ich dachte darüber nach, wie unaushaltbar es gewesen wäre, unseren Hund zu verlieren, nachdem wir gerade so wichtige Menschen in unserem Leben verloren haben und manche der verbliebenen in ihrer Position für uns dekonstruieren und/oder noch einmal neu wahrnehmen und bewerten.

Und als ich dann noch etwas später in meiner Wohngebärmutter saß, fest eingemadet in Decken, mit einem Smoothie und Fischstäbchen mit Ketchup vor der Nase, dachte ich, wie surreal diese Normalität ist.
Es ist etwas passiert, das uns erschütterte und wieder in die Nähe von Tod und Lebenskraft brachte und jetzt aber vorbei ist und nichts mehr davon zeugt, außer 6 Tabletten und einer Rechnung. NakNak* hatte das mit dem Fasten nicht so ganz verstanden und kruschelte ihre Nase ständig in Richtung meines Essens, meine Twittertimeline interagierte irgendwie so normal und angemessen wie immer und die Sonne verschwand in einem hellen Apricot hinter dem Dach, auf das man aus dem Arbeitszimmer schaut.

Ich dachte daran, dass wir in der Therapie darüber geredet hatten, das mir noch niemand gesagt hatte, dass ich das Überleben gut gemacht habe.
Ich dachte, ich hätte vielleicht sagen sollen, dass mir viele Menschen mein Überleben als solches anerkennen und mir sagen: “Du hast überlebt und das ist gut- es hätte auch anders enden können”. Aber es hatte noch niemand gesagt, dass das, was ich dafür getan habe, gut gemacht habe.
Dass das, was wir seit unserem letzten Körpergeburtstag- dieses überleben eines gefühlt illegalen Lebens- gut machen. Dass es gut ist, was wir tun, um am Leben zu bleiben. Dass es mir und uns als über- lebenswichtig erscheint, was wir tun.
Dass und, weil wir es für uns tun und nicht für soziale Kekse oder Geld.
Dass es mir, wenn ich mir Anerkennung für unser Blog und allgemeines Wirken wünsche, nicht um mich als Ego geht, sondern darum, dass als gut anerkannt wird, dass wir etwas tun, obwohl und weil wir auch noch heute ständig irgendwie ein Überleben leben.

Ich erlebe meine Perspektive als Überlebende, Betroffene, zum Opfer gewordenen Menschen, auf so vielen Ebenen als unsichtbar und den öffentlichen Diskurs über Opferhilfen, Gewaltprävention, Gesundheits- und Sozialpolitik so sehr an meiner Realität vorbei. So sehr an der Stelle verhaftet, an der ausschließlich die Schwäche, die (erzwungene) Passivität, die Schuldverteilungsreflex-Verantwortungsimpulse und Gewaltwirkungen gesehen werden- aber alles Kämpfen, alle Aktivität- alles Leben im Überleben und alles Überleben des Lebens danach schlicht nicht da ist.
Es ist nicht gut gemacht, weil niemand sagt, dass es gut gemacht ist.

Und wenn es niemand sagt, es sichtbar macht und als Gedankengut in die Welt hinaus trägt, dann ist es nicht.
Und wenn es nicht ist, wie soll ich es dann als Fakt in mich integrieren? Wie soll ich, wenn meine Um- und Mitwelt es nicht sieht, sichtbar markiert, dann denken, dass ich es so gut gemacht habe, wie ich es konnte?

Ich bin aus der Therapiestunde rausgeschwabbelwanktropft, weil ich es gehört habe und mich plötzlich auf einer Ebene anwesend fühlte, die vorher nicht da war und die ich bisher in noch gar keiner Auseinandersetzung mit dem was ich erfahre und tue, wahrgenommen habe.
Wie gesagt- oft habe ich schon gehört, dass es gut ist überlebt zu haben und etwas zu tun. Aber, “Sie haben es gut gemacht, wie sie es gemacht haben” noch nicht.

Sehr viel später am Abend rief noch unsere Gemögte an.
Ich erzählte ihr von diesem Gefühl der Anerkennung von unserer Therapeutin und, dass es sich gut anfühlt. Und ich sagte ihr, dass ich, wo ich das so gesehen und bestätigt fühle, irgendwie auch denke, dass ich es gut und richtig gemacht habe, was ich für und mit NakNak* gemacht habe, als es ihr so schlecht ging.
Ich sagte: “Ich habe uns alle hier richtig gut durchgetragen”, wurde aber doch unsicher und schob ein “Oder?” hinterher. Sie sagte spontan “Ja, hast du!” und es war noch ein bisschen fester da.
Dieses Gefühl nicht nur schwach und opferig getriggert wie eine Maschine auf die Ereignisse reagiert zu haben, sondern so gut und unter Nutzung aller meiner Ressourcen (und das ist eben Gefühle wegzudissen und aktiv zu sein) wie ich es konnte.

Der Satz “ich mach das, weil ich das kann- nicht, weil ich bin” hat für mich noch einmal mehr an Begreifbarkeit gewonnen.
Ich mache nichts, weil ich ein Opfer bin und nur irgendwie reagiere um zu überleben, sondern weil ich etwas kann, das mein Überleben für mich ermöglicht.
Und das jeden Tag aufs Neue.

Und es ist okay, wenn ich das gesehen haben will.
Als ich den Artikel angefangen habe, dachte ich, dass es gut ist und vielleicht auch genug, wenn ich das von der Therapeutin gesehen bekomme.
Jetzt denke ich: “Nee, ist schon auch genau richtig, wenn ich das auch hier im Blog und überall und von allen gesehen haben will.”, einfach auch weil es die Art, wie wir hier oder sonstwo gelesen werden, vielleicht auch noch einmal ein bisschen verändert.

Ich fühle mich gut. Irgendwie stark, obwohl ich gerade nicht wütend bin, wie sonst.
Ich bin gut, weil ich Dinge gut machen kann. Nicht nur, weil ich sie gut überleben kann.

 

NakNak* geht es heute wohl schon etwas besser. Zumindest hat sie den Postboten, der ihr Fleisch brachte, neugierig in Empfang genommen und etwas weniger hohes Fieber.

eine multiple Persönlichkeit ansprechen ~ Teil 2 ~

Bärlauch “Ich bin keine multiple Persönlichkeit”, hatte ich der Rechtsanwältin gesagt. “Ich bin eine Persönlichkeit mit einer dissoziativen Identitäts(wahrnehmungs)struktur.”. Kurz wurde ich unsicher, weil ich Angst hatte, ob ich zu forsch war. War dieses Gespräch der richtige Moment, um Multimythen zu sortieren?
Jetzt, wo ein paar Wochen vergangen sind, kann ich denken: “Ja, und einen besseren hätte ich nicht finden können.”.
Es ging mir darum zu unterstreichen, was aus mir heraus kommt und was von außen in mir reagiert. Ich wollte nicht schon wieder eine rechtliche Vertretung, eine Betreuung, einen sozialen Kontakt mit Auftrag, der mich in sich selbst genauso zerfleddert, wie es meine Selbstwahrnehmung mit mir macht.

Es hat auch mit der Frage zu tun “Soll ich dich im Singular oder im Plural ansprechen?” – mit dem Unsicherheitswust, der sich in Menschen auftut, die Interaktionswünsche haben. Verstehen wollen, Futter möchten, um sich einfühlen zu können.
Schmunzeln kann vermutlich nur ich über die Fragestellung: “Soll ich dich im Plural ansprechen?” , vielleicht sind auch Kopfschütteln und inneres Zusammenkrampfen nur auf meiner Seite, wenn es um den Umgang mit mir als Vielheit geht.
Ich versuche immer wieder zu unterstreichen, dass ich, wenn ich mit einem Menschen zu tun habe, immer ich bin.
Dass ich nicht einfach umschalten kann. Dass das niemand kann und bei mir nicht anders ist, als bei allen anderen, außer in der Selbstwahrnehmung bzw. in der Folge in der Wahrnehmung meines Selbstes von anderen.

Es gibt Menschen, die mein Erklärungsmodell meiner Abhängigkeit vom äußeren Kontext, eigener Erregungslevel und angepasster Neurophysiologie ablehnen.
Manche denken, dass es so ein Marionettenleben gar nicht geben kann- und wenn doch, mein Bewusstsein darüber doch alles verändern müsste. Das ist das Pinocchio – Modell, das übersieht, dass auch ein Pinocchio eine Holzpuppe blieb, bis er von einer anderen (äußeren übergeordneten) Instanz verwandelt wurde.

Manche verwechseln meine Erklärung dazu auch mit Rechtfertigungsverhalten. Sie denken: “Aha, für sie sind immer alle anderen Schuld, wenn sie die Kontrolle verliert”, selbst wenn das Wort “Schuld” gar nicht in meiner Erklärung auftaucht, sondern meine eigenen reflexhaften Anpassungsreaktionen beschreibt.

Manche geraten auch in eine Übertragung und fühlen meine Ohnmacht vor dem, was Leben und Alltag, Interaktion und Entwicklung, Veränderung und Dynamik zwangsläufig für mich bedeutet, und schwanken zwischen Blaupausenübertragung auf ihre Erklärungsmodelle (das wird dann gerne das Modell der verschiedenen sozialen Rollen, die alle Menschen in unserer Gesellschaft inne haben und mehr oder weniger gut spielen, und daraus, dann die “Überzeugung”, dass alle Menschen multipel sein müssen) und Abwehrverhalten, das ebenfalls mit einer Verquerung meiner Angaben einher geht und in den meisten Fällen gesellschaftlich anerkannte Wege der Unterdrückung geht (“Du willst dich nur besonders machen”; “Du willst dich nur deiner Verantwortung entziehen”; “Du willst nur Mitleid/ Aufmerksamkeit/positiven Status”).

Ich hatte versucht der Anwältin klar zu machen, dass es ein spezifisches Reaktions- und Interaktionsmuster gibt, das sie an mir erleben würde, würde sie mich anwaltlich vertreten. Ich weiß inzwischen, was es für Situationen sind, die zum Beispiel kindliche oder handlungsunfähige Innens nach außen wirken lässt und versuchte ihr zu vermitteln, was ich brauche, damit solche Situationen nicht in unserem Kontakt entstehen.
Ich erlebe zum Beispiel als einen massiven Auslöser, dass es eine Nähe gibt, die mehr als eine Sachebene umfasst.

Wir haben zwischenmenschliche Gewalt erfahren- selbstverständlich ist menschliche Nähe ein Auslöser.
Keine andere Art der Gewalt hat so viele Kontextverknüpfungen, Querverweise und Knotenpunkte- so einen Mikrokosmos aus Interaktion aus Aktion und Reaktion, die sich sowohl in den Opfern als auch in den TäterInnen einfügen, verfestigen, weiterentwickeln, wieder ablösen und weitergetragen werden können.
Mein Problem ist einzig, dass ich oder/ und mein Gehirn oder/ und mein Bewusstsein keine Chance hatte, etwas vom Erlebten zu verknüpfen (assoziieren).

Wenn ich mit der Rechtsanwältin einen sachlichen, wenig persönlichen, nicht privat beeinflussten Kontakt gestalten und erhalten kann, dann gibt es dort auch keine Innens, die unsachlich, hochemotional, privatverquickend sowohl reagieren, als auch selbst agieren.
Es wird schwierig an der Stelle, an der ich ihr etwas hochgradig Persönliches, wie von der Struktur meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung erzählen muss, damit sie die Problematik meines Falls versteht.
Sie muss begreifen, dass ich ihr das erzähle, damit sie Krankenakten, Amnesie für Gewaltabläufe und unterschiedliche Bewertungen (und entsprechend auch vielleicht widersprechende Angaben) einordnen kann- nicht, damit sie in ihrer Art und Weise mit mir umzugehen anders ist, als gegenüber anderen MandantInnen.
Würde sie das tun, wäre unsere Sachebene zerstört und damit das Spektrum, das es mir ermöglichen würde einen konstruktiven Interaktionsraum zu gestalten. Ich könnte dann nicht mehr zurück- egal, wie sehr ich es wollte.

Ich finde es wichtig, Menschen, mit denen ich mehr als “Hallo” und “Tschüss” wechsle, zu sagen, dass ich eine DIS habe, weil es dabei um meine Identität und meine Wahrnehmung von ihr geht. Schwierig erlebe ich dabei, dass es immer wieder so ist, dass Menschen sich gezwungen sehen darauf mit Selbstbezug zu reagieren und darauf aufbauend ihre Interaktion verändern, ohne sich zu überlegen, ob das überhaupt gewollt oder wirklich immer nötig ist.

Neulich hat meine Therapeutin angerufen. Ihre erste Frage war mit wem sie spricht- obwohl  es, selbst wenn jemand ans Telefon gegangen wäre, der sie nicht kennt (oder, den sie nicht kennt), irrelevant für den Umgang mit der Information und ihren Konsequenzen gewesen wäre.
Das “Wer ist da?” ist wichtig für Informationen, die aus uns herauskommen- nicht für Informationen, die in uns hineinkommen. Zumindest erlebe ich das so, weil mit dem Hintergrund des Innens, das Informationen äußert, auch bestimmte Bewertungen, Dynamiken, soziale etc. Kontexte bzw. die Annahme bestimmter Kontexte transportiert werden, die für die Sortierung des Gesagten wichtig sein können. Sowohl für mich, als auch für die Menschen, von denen ich auf meinem Weg begleitet werde.

Die Frage “Mit wem spreche ich?” ist ein Mittel der Versicherung und hat mit mir nichts zu tun, sondern nur mit dem Menschen, der sie stellt. Bei meiner Therapeutin oder auch bei BetreuerInnen, erlebe ich diesen Akt von Versicherung auf Kosten meines Gefühls von Sicherheit noch einigermaßen okay, wobei ich in der Hinsicht auch nicht unkritisch bin. Ich empfinde es manchmal, gerade in Zeiten, in denen ich mich sehr viel verletzbarer als sonst fühle, gut, nach Außen nicht sofort in meiner Identität lesbar und damit zusätzlich verletzlich zu sein. Wenn dann die Frage nach meinem Namen kommt, wird das schnell zu einem Abwägen in der Frage: “Gebe ich jetzt mein bisschen Schutz zu Gunsten eines Sicherheitsgefühls meiner Therapeutin/ Betreuerin auf? Was habe ich davon, wenn sie sich sicherer im Umgang fühlt?”

Während ich wunderbar eingewaltet bekommen habe, wie viele “Vorteile” (selbst)sichere HelferInnen, psychologisch/psychiatrisch/medizinische Deutungshoheiten für mich bieten, habe ich in Bezug auf Menschen, die mit mir auf einer Ebene stehen, bereits wechselnde Erfahrungen machen können.
Inzwischen interagiere ich flexibel mit anderen Menschen und erkläre Ihnen mein Modell der Ansprache:
Singular = Gegenwart
Bewertung, Selbstpositionierung entspringen einem Moment innerhalb eines spezifischen Kontextes- zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Kontext, kann es sein, dass mein Körper etwas anderes sagt
Plural = allgemeine, ganzheitliche Verortung in Zeit, Raum, Kontext

und erkläre ihnen meine “Faustregel”: je mehr (von mir wahrgenommene) Ebenen der Moment hat (Kontext, Anspruch und damit Druck an mich reagibel zu sein), desto höher die Wahrscheinlichkeit mit mehr als einem Innen zu tun zu haben, die nicht zwangsläufig nach außen erkennbar sind und noch weniger zwangläufig durch Veränderung von Ansprache, Haltung etc der InteraktionspartnerInnen in ihrem Wirken gehindert und/oder beeinflusst werden können
(Wichtig ist, dass mein Gehirn zulassen kann gegenwärtige Situationen als “auch anders als früher nötig zu begegnen” zu erkennen – dabei spielt natürlich auch eine Rolle, welche Reize es von den InteraktionspartnerInnen aufnimmt, doch sämtliche andere Faktoren (Erregungslevel, äußerer Kontext, klare “Beweise” für Selbstwirksamkeit zum Beispiel) spielen eine gleichrangige Rolle)

Ich versuche zu vermitteln, dass die Frage nach dem Namen eines Innens manchmal unverhältnismäßig für mich ist.
Nur weil klar ist, dass ich als Mensch viele Ichs, viele Leben und Erlebens in mir trage, heißt das nicht, dass andere Menschen ein Recht auf Kenntnis davon haben- schon gar nicht für die Beruhigung von Ängsten, die sie ohne dieses Wissen gar nicht hätten.
Ich weiß es nicht genau, aber ich denke mir, dass meine Therapeutin nichtmultiple KlientInnen “Wie siehts aus- passt der Anruf gerade?” fragt. Eine Frage, die ich erst gestellt bekomme, nachdem ich mich (für mein Gefühl) schutzlos gemacht habe.
Hm.
Manchmal finde ich es gut, weil ich dann lernen kann, dass mir von ihr nichts passiert, das Schutz nötig macht und manchmal ärgere ich mich darüber, dass ihre Hilfe oder der Kontakt mit ihr, sehr oft mit Gefühlen von Schutzlosigkeit auf meiner/ unserer Seite einhergeht.

Bei der Juristin war es mir auch wichtig, ihr den inneren Schluss (und damit ein Verantwortungsgefühl) zu lösen, sie hätte es mit vielen Menschen zu tun.
Auch wenn nur ein Mensch vor ihr steht, hätte sie sonst das Gefühl mit einer Gruppe zu interagieren, obwohl es keine Gruppe in dem Sinne ist und ergo auch nicht gut/richtig/passend auf ihre gruppenentsprechenden Interaktionsmuster reagieren wird, was wiederum nur Gefühle von Ohnmacht, Frust, Hilflosigkeit, Unsicherheit und damit ein unbefriedigendes Verhältnis zur Folge haben kann, was dann wiederum für mich schwierig wäre, weil ich mir dann eine andere Anwältin suchen muss.

Neulich hatte ich einen Emailaustausch mit einem Menschen, dessen Mensch an der Seite multipel ist. Er klagte darüber, dass die Innens sich nicht vorstellen und immer einfach so auftauchen und ihn mal nett behandeln und mal ablehnend. Mal tauche einfach so ein Kind auf und sage nicht, wie es heißt und was es hat und niemand von den anderen Innens käme dann, um ihm zu helfen.
Ob ich ihm nicht vielleicht ein paar Tipps geben könnte, wie er sie dazu bringen könnte, anders zu agieren und ihn nicht immer so allein zu lassen.

Vielleicht merkt man schon ein bisschen, wie eigentlich übergriffig, die Wünsche dieses Menschen sind, der sich eindeutig ohnmächtig, ausgeliefert hilflos und in der Position sieht, regulierend eingreifen zu müssen, weil er nicht multipel ist.
Er sieht sich gar nicht im Kontext aus dem heraus Wechsel passieren, sondern als Objekt des multiplen Menschen, das behandelt wird – nicht als Subjekt auf das reagiert – mit dem interagiert wird.

Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, die Wechsel erst einmal zu verstehen, statt sie gleich irgendwie abzuschaffen, verändern oder zu seinem Gunsten beeinflussen zu wollen. Außerdem versuchte ich ihm ein bisschen zu vermitteln, dass die Wechsel eventuell aus einer anderen Perspektive sogar genau nur für das wofür er steht passieren. Nur eben nicht in unserer heutigen Gegenwart und aus der Sicht von Erwachsenen im konsensualen Verhältnis zueinander.

Und ich sagte ihm, dass Multiple keine Persönlichkeitssupermärkte sind.
Man geht nicht einfach zu jemandem hin und sagt ihm: “Jetzt wechsel sofort in den Zustand, in dem du warst als…”. Niemand macht das- außer die Menschen, die von Multiplen verlangen, jetzt mal mit Innen XY sprechen zu dürfen.
Ich sage nicht, dass das unmöglich ist. Aber eine Übergriffigkeit ist es alle mal- egal, ob nun im positiven Sinne für den betroffenen Menschen, etwa, weil man statt eines verängstigten Kinderinnens ein handlungsfähiges erwachsenes Innen sprechen will (einen unangenehmen Zustand beenden möchte) oder für sich selbst. Etwa, weil man keine Lust darauf hat, sich die x-te Schleife von Innen XY anzuhören und lieber mit Innen AB Spaß haben will.

Seit ich diese Grenze spüre, kann ich gut mit einem anderen Innen wechseln, dass sich jedes Mal (und das sehr zuverlässig) darüber aufregt, wenn es irgendwo hinter mir wabert und merkt, dass da jemand außen gerade meint, in unserer Persönlichkeit herumlatschen und Forderungen stellen zu dürfen, anstatt zu überlegen, warum eben gerade nicht das da ist, was er gerne haben möchte oder sich für uns als Einsmensch wünscht.
Dann kriegt das Außen einen Wechsel, wie verlangt (reaktives Muster: “Du musst machen, was andere verlangen”, das sich verschärft, wenn es eine Autorität verlangt) und trotzdem nicht das, was sie wollen (antherapiert wie ansozialisiertes Muster: Selbstschutz- sie kriegen die Feuerlöwin unter den Rosenblatts vor die Nase und sind froh, wenn sie weg ist –> Schutz durch Verhalten, das Menschen eher abstößt, als bindet).

Die Folge ist also eine verdeckte Spaltung und damit kein Umlernen von alten Spaltungsdynamiken, sondern eine weitere Spaltung, die sich an aktuellen Anforderungen orientiert. Und ja: Wer einmal so global dissoziiert, dass eine DIS entsteht, der kann immer und in allen Kontexten Dissoziationspotenzial freisetzen, um sich zu schützen.
Das Dissoziieren und Viele werden- mehr werden, endet nicht mit den traumatisierenden Gewalterfahrungen.
Die Spaltung passiert ja auch nicht wegen der Gewalt, sondern wegen dem, was die Gewalt bedeutet, nämlich: erzwungene Passivität, die das eigene Überleben massiv gefährdet und/oder das Individuum sein eigenes Überleben massiv gefährdet fühlen lässt.

Und “massiv gefährdet” ist als Grundgefühl eben genau das, was andere Menschen bis heute in uns auslösen. Wir haben Menschen als das gefährlichste Tier auf diesem Planeten verinnerlicht und freundliches Gebaren immer wieder an Bedingungen geknüpft erlebt.
Bedingungslose Annahme erfahren wir noch nicht lange und bis zum gegenwärtigen “mit einem skeptischen Blick aus einem Augenschlitz aus weiter Entfernung mal Angucken und Annehmen, dass es sich dabei nicht um einen Trick handeln könnte- eventuell vielleicht- hypothetisch!”, dauerte es Jahre.

Eine dissoziative Identitätsstruktur zu haben heißt in gewisser Weise, permanent eine Sektglaspyramide auf einem Tablett zu balancieren, während man, vielleicht auch noch mit einem erkrankten, geschädigten, gleichfalls immer wieder reagierenden Körper, einbeinig die Alpen überquert, wie dereinst Hannibal mit seinen Elefanten.
Man kann nicht einfach mal ein Glas verschieben, damit irgend ein Bergsteiger, der einem begegnet es im Kontakt vielleicht bequemer hat. Das Mittel der Wahl ist immer genau das Glas zu reichen, das abgetreten werden kann. Ist es nicht gut genug und wird gefordert ein anderes zu reichen, kann alles kippen- es muss nicht- es kann aber und jemand der schon 20- 30 Jahre lang eine Gläserpyramide balanciert hat, der wird einen Scheiß tun, das für irgendjemanden als Risiko auf sich zu nehmen.
Im Zweifelsfall wird ein neues Glas entstehen, ohne dass es jemand merkt.

Vielleicht ist es ein Paradoxon, wenn ich hier viele Punkte anbringe, die eigentlich jede Kontaktaufnahme, jede Interaktion als für mich extrem heikel und gefährlich markieren und zeitgleich aber darauf beharre, dass das keine Veränderungen im Verhalten der Menschen hervorbringen muss bzw. dass das kein Ziel von mir ist.

Mein Ziel ist, den Blickwinkel zu erweitern und Raum für Bewusstsein zu schaffen.
Im Grunde ist es eine Art zu sagen: “Du, weißt du was? Menschen machen mir Todesangst und ich reagiere so und so darauf – nur, dass du Bescheid weißt. Ich lerne noch, wie Leben ohne direkten Grund zur Todesangst geht und sicher passieren mir dabei „Fehler“. Ich sage dir das, weil du ein Teil meines Lebens und meiner Lebensumgebung bist und vielleicht meine „Fehler“ im Lernprozess bemerken könntest.”

Manchmal erlebe ich es als schwer den Menschen begreiflich zu machen, dass ich sowohl sie, als auch mich, als auch mein Leben als Einsmensch fragmentiert (dissoziiert) wahrnehme. Dass einfach niemand und nichts “mein Leben ist”, aber alles und jede/r * ein Teil davon ist, der mit einem Teil von einem “Gesamt- Ich” zu tun hat.

Manchen Multiplen hilft es, wenn jedes Innen mit Namen und Eigenschaft(en) bekannt ist und alle individuell, als ganz und gar abgetrennte Menschen behandelt werden.
Ich erlebe das als Kontrollverlust, weil es eine innere Spaltung nach außen holt (und also von meinem Innen ablöst), während mein Bemühen eigentlich ist, keine Spaltungen mehr entstehen zu lassen und Abgetrenntes näher aneinander heran zu führen.
Manchmal auch über einen Umweg nach Außen- etwa in der Therapie, doch in der Regel bevorzuge ich mittelbare Äußerungen, die ich nicht aus der Hand geben (anderer Menschen Wertung, Umgang, Machtausübung aussetzen) muss, um sie zu verändern und sachte und vorsichtig von selbst an die Stelle gleiten zu lassen, an der sie dann näher oder anders gut stehengelassen werden können.

Vielleicht ist meine Art des Umgangs falsch oder auch nicht für jeden Menschen passend.
Vielleicht haben wir hier den epischen Durchbruchartikel, der alle Einsamkeiten und Verlassenheiten in meinem Leben erklärt.

Vielleicht ist es aber auch etwas, das Menschen, wie dem Leser, der mir schrieb, weil er unsicher war, hilft, jemanden der Viele ist ein bisschen besser zu verstehen, oder mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen, was für ihn selbst wichtig und wahrnehmbar ist.
Mir war es wichtig, meine Gedanken dazu noch einmal festzuhalten.

vom Glück keinen Darktwitteraccount zu haben

Schnecki1 Heute gibt es auf Kleinerdrei einen Artikel zum sogenannten Darktwitter.
Neben allen Spaltungprozessen sozialer Interaktion, die anhand des Internet bzw. der Kommunikation darüber, an diesem Nutzungsverhalten wunderbar illustriert werden können, tauchte mir gerade die Frage auf, was es eigentlich sagt, wenn so eine Nutzung als “besonders sicher” gelabelt ist.

So sicher, dass besonders nahe, schmerzliche, persönliche, private Erlebnisse und Erfahrungen ausschließlich in diesem Setting geteilt und getauscht werden.
Dass das passiert, ist in meinen Überlegungen als völlig selbstverständliche Grundlage menschlicher Kommunikation abgelegt. Natürlich teile ich nicht mit jedem alles. Natürlich twittere ich nicht mit Menschen, die mich verachten.

Spannend wird es für mich an dem Punkt, an dem klar ist: “Ich will etwas teilen, dass mich anders auf dich wirken lässt- schnell mal ins Darktwitter reingeben, denn woanders ist das nicht sicher.”
Und ich frage mich: “Wieso habe ich denn keinen Darktwitteraccount?”

Und bing- plötzlich ist mir klar: Ich habe überhaupt keinen Grund dazu.
Ich habe keine Reichweite und damit einhergehend einen Ruf/ ein Image, wie zum Beispiel die AutorInnen von Kleinerdrei oder auch UserInnen, die so kontroverse Nachrichten verschicken bzw. teilen, dass sich früher oder später ein Account, in dem man nicht permanent angegangen wird, einfach als nötig erweist.
Ich habe weder analog noch digital ein Netzwerk, das sich so spalten lässt.

Darktwitter ist ein Privilgiensicherungswerkzeug.
Du bewahrst dir deinen Ruf, deine Reichweite, deine FollowerInnen, wenn du bestimmte Dinge einfach nicht in denen AktivistInnenaccount reinschreibst. Dein Profil bleibt unangetastet. Du bestimmst, wer ein rundes Bild von dir bekommt und wer nicht.
Schwierig, oder naja, ich sage mal besser: einen faden Beigeschmack macht es mir schon, zu wissen: “Jo, du kriegst hier ne Show geboten, weil das hier alles nur die öffentlichen Accounts sind, denen du folgst.”.

Ich weiß nicht, ob solche Performances ein kommunikationsimmanenter Teil sozialer Interaktion sind. Vielleicht ist das so und muss akzeptiert werden, um anderen Menschen Raum zu lassen, sich innerhalb ihrer Grenzen (der Komfortzone) frei bewegen zu können. Das ist ja etwas, dass ich auch möchte.
Der Punkt ist, dass ich keinen Showaccount habe und es als Fragmentierung meiner Selbst erleben würde, hätte ich nebenbei einen.

Ich habe einen Account der geschützt ist. Am Anfang dachte ich, dass es einer werden könnte, in dem ich meinen Hund zeige, mich zeige, mehr von dem teile, worüber ich weder hier schreibe noch mit den FollowerInnen, die ich nicht analog kenne, teilen will.
Tja. Bis auf Hundefotos läuft auf dem Ding nichts. Es ist unnötig für mich und eigentlich mehr schmerzhaft, als entlastend oder schön.
Einfach, weil es mir (neben meinem kleinen Radius der näheren Interaktionen) auch zeigt, dass meine Nutzung der Kommunikationsmittel Twitter, Facebook etc. ziemlich genau nur um das kreisen, was ich ins Internet hineinschreibe. Nicht, was ich lebe.
Natürlich bedingt das Eine das Andere und eine absolute Aussage ist hier nicht zu treffen, es zeigt aber deutlich welche Privilegien eben doch auch an das ach so offene, freie Internet gebunden sind bzw. sein können und auch sein müssen, bis Darktwitter, Darkfacebook, Darknet allgemein einen Sinn für die jeweiligen NutzerInnen ergibt.

Irgendwie,
jetzt, wo ich diesen Gedanken so ausformuliert habe, verstehe ich diesen Schlag an mich heran besser.

Vielleicht ist es auch etwas, was ganz normal und zwangläufig passiert, wenn man sich über die jeweiligen Intensionen hinter der Art, wie und womit Menschen miteinander kommunizieren, austauscht.
Ich glotze in Kleinerdrei hinein und sehe eine Welt, die auf so vielen Ebenen fern von mir ist und, trotz aller “Phhs!” und “Achs!” immer doch irgendwie vielleicht eventuell das Leben als junge Erwachsene abbilden könnte, dass ich auch leben würde, wäre ich nicht in diesem Leben drin, in dem ich jetzt nun einmal bin.
Wie ich darüber vergessen kann, dass solche Leben auch andere Nutzungsverhalten mit sich bringen, ist dann wieder einer meiner blinden Flecke, doch das Autsch bleibt natürlich nicht aus.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Twitter nutzen und eine Performance abliefern. Für mich sind das halt alles keine sinnentleerten Klicks, Zeichen und “eigentlich total egal, weil das “echte”/ “richtige”/ “wichtige” eh woanders bleibt.
Ich nehme mein Handy in die Hand und habe die ganze Zeit bewusst, dass ich über Twitter zu anderen Menschen spreche. Menschen anspreche. Was ich nicht anspreche und teile, das ist eben mein (sogar vor mir oft) unsichtbares Sein ohne Form und Farbe, das sich erst von “wabernd” zu “Sprache” zu “Wort” und “mit-teilbar” evolutionieren muss.

Vielleicht ist das mein Fehler zu denken, dass “man nun mal so mit Menschen übers Internet redet, wie man es auch analog/direkt tut bzw. tun muss”.
Vielleicht ist es aber auch mein kleines Privileg und Glück, dass ich es mir leisten kann, in meinem öffentlichen Twitteraccount genauso zu agieren, wie ich auch analog/direkt agiere (wenn ich denn besagte innere Evolutionskette durchlebt habe)
Zumindest so lange mir niemand mit eindeutiger Gewaltintension begegnet.

Twitter hat zwar die Block- und auch die Mutefunktion eingeführt bzw. verbessert, letztlich drohen, hetzen, verletzen und stalken noch immer die gleichen GewalttäterInnen* wie vor einem Jahr über Twitter hinter vielen UserInnen* meiner Timeline her.
Weil diese Menschen eben nicht, wie in allen anderen Kontexten der sozialen Interaktion bzw. Kommunikation behandelt werden, agieren die von Gewalt bedrohten UserInnen auch nicht, wie in allen anderen Kontexten und allein das bringt Darktwitter in seine Sonderposition:
Es ist die gleiche Unfähigkeit Gewalt aus dem Miteinander herauszuhalten, wie überall sonst.

So bleibt mir der Punkt der Dankbarkeit davon soweit verschont zu sein, dass mir bisher die Block- und Mutefunktion gereicht hat, um weder in die dunklen Ecken des Netzes kriechen, noch meine Kommunikation übers Internet so weit zerpflücken, wie ich es in mir selbst bin, zu müssen.

Lückenmädchen

Lückengras Ich habe gedacht, dass mein Schritt in eine Welt, die mehr als Nichts von mir erwartet, nur schief gehen konnte
Ich habe gedacht, dass mein Schritt aus einer Welt, die alles bis auf das Nichts aus mir herausholt, nur falsch sein konnte

Da ist dieses Gefühl gar nicht zu sein und sich zu wundern, dass es doch möglich ist zu berühren und berührt zu werden
Tot zu sein und trotzdem gefressen werden zu können

Und dann ist da die Bestätigung nur zu sein, weil beide Welten sind
Unverbindbar, blind für einander und doch einander nährend

ich bin verrückt
weil ich mich ver-rückt habe

ich verstehe diese Existenz nicht
diesen Zwang des “und wo geht es jetzt hin?”

Ich bin doch schon da
bin doch schon gemacht
habe nichts mehr zu geben

ich würde gerne so ein _da_sein werden

da gibt es diese Auffassung nicht mehr, als all seine Erfahrungen zu sein
in dieser Welt der Forderungen, gibt es kaum etwas, was mehr abgelehnt wird, als das, was meine Erfahrungen sind
wie soll es mir hier gelingen, ein Dasein zu entwickeln?

mit meinem Schritt aus der Welt, die mich so aushöhlte, habe ich mich im Weltbild ver-rückt
mit meinem Schritt in diese Welt die Entsprechung von mir fordert, mache ich mich selbst verrückt

mein Lückenleben ist nicht
ich Lückenmädchen bin Nichts
Lückenmädchen lebt Lückenleben
ist nicht und Nichts zu gleich

wenigstens habe ich jetzt ein Wort zum Namen für mich
Am Anfang war das Wort.

inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.