ein Nachmittag mit Erkenntnis

“Jetzt hat sich mein Auge wohl ganz verabschiedet”. Ich denke den Verlust zu einem Klumpen Erkenntniskalk und bröckle ihn mir auf den Schreibtisch.
“Wie gut, dass es ein Projekt ist, das nicht perfekt sein muss und ein bisschen … therapeutisch wert -vollbetankt… auch nicht perfekt sein soll.”.

Trotzdem.
Das Kind zum Auge klebt mir wie eine Fliegenfalle hinter dem Gemüt und schmaucht seinen Unbehagensgnatsch zu einer Aura um mich herum.
Es stresst mich, mich nicht auf meine Sinne verlassen zu können. Es stresst mich, so viele fast lauter “DAS DA” herausbrüllende Kinderinnens auf dem Arm zu haben und gleichzeitig meine Sachen zu regeln.
Ich bin bei meiner Kommentiererei nach innen geblieben, obwohl ich merke, dass ich vor allem mich damit beruhige und nur ab und an etwas davon da ankommt, wo ich es haben will.

Heute Mittag wurde ich, beim Überqueren einer Straße, fast angefahren. Ich hatte nicht gemerkt, dass sich mein Hören zu einem Rauschen verändert hatte. Zusätzlich zum Nichtsmehrsehen auf dem linken Auge.
Immerhin hatte mir der Schreck das Bewusstsein für die Unvollständigkeit meiner Sinneseindrücke ermöglicht.

“Ich glaub, ich hab sie nicht mehr alle”, tippte ich in eine SMS an meine Gemögte.
Sinnesausfälle sind für mich worst case Symptome. Das ist mehr als “Oh ich habe ein bisschen Stress- mal auf den Schlaf, die Ernährung, die Bewegung, die Versorgung des verletzten Innereiengekröses fokussieren”.
Es gehört zu genau der Art apokalyptischer Reiter, wie das Kinderinnen mit dem Auge. Auf ihren Fahnen steht nicht: “Bitte eine Imaginationsübung zur Rettung der inneren Landschaft”, sondern: “So, ich mach das jetzt hier. Ich bin das Notstandsgesetz und ich tue, was ich will. (because of fucking darum)”

Sie forderte mich auf zu fühlen, wo “sie” denn jetzt hinfließen. Ob ich das spüre. Ob ich mich an unsere gemeinsame These erinnere, nach der jedes abgetrennte Wahrnehmen (dissoziierte Inhalte allgemein) als etwas irgendwo neu oder fremd wieder auftaucht.
Was ich spürte, waren knallharte Muskeln, galoppierender Puls und eine Art Machtbewusstsein mit Namen irgendwie genau darunter.
”Mit so einem Selbst- Bewusstsein würde ich auch aufs Hören und doppelgesichertes Sehen verzichten können.”, dachte ich.

Meine Gemögte fragte, was ich noch erledigen müsste und später, ob sich für mich etwas verändert, wenn ich mir das Vorhaben “zum Gericht gehen” nochmal ganz genau in allen nervigen Kontexten und Einzelheiten vorsage.
Ich hatte die schon gar nicht mehr im Kopf. Also noch eine Stufe weiter zurück. Kontext sammeln.

Gerade frisch dem Tod von der Motorhaube gehopst, taub und halbblind, fängt Frau* Rosenblatt erst mal an sich zu überlegen, warum sie eigentlich gerade tut, was sie tut und versucht dabei nur halb so dämlich auszusehen, wie sie sich fühlt. Klassiker since ever.
Es hat aber geholfen. Im Laufen habe ich mir selbst alles nochmal erzählt, mir die Berechtigung für mein eigenes Handeln versichert und nebenbei noch etwas von diesen Inhalten unter meinen Puls geschickt.

Ich konnte die Beamtin im Gericht gut verstehen, die mich fragte, zu wem genau ich denn wollen würde und mir damit aus Versehen fast das Hasenherz hat explodieren lassen.
“Wenn ich auf jemanden wie mich aufpassen müsste, würde ich wohl auch drauf achten meinen Puls nie zu weit absinken, die Muskeln nie ganz entspannt zu lassen…”
Ach Erkenntnis- why so schmerzhaft immer wieder?!

Nur das mit dem Auge klappt so nicht.
Warum weiß ich noch nicht.

Wie gut, dass mein Projekt nicht perfekt sein muss. Wie gut, dass ich dafür auch ein bisschen halbblind sein kann.

 

(und wie- ein bisschen- gut, dass da jemand oder etwas in mir so viel weniger Sicherheiten als ich braucht, um im Fall des Falls auch agieren zu können- das ist so krass wie ein persönliches Hulkbaby)

ich mache das, weil ich es kann – nicht weil ich bin

NakNak Ich verließ die Praxis meiner Therapeutin und sah mich wie eine Art frische Götterspeisenmasse. Irgendwas zwischen kochend verdampfen und flüssig erstarrend.
Es hatte mich angestrengt zu sprechen und dabei auch noch etwas zu sagen, aber es ging mir besser als vorher. Immerhin gut genug, um das Vorhaben neue leichte Schuhe zu kaufen und ein Fischbrötchen zu essen umzusetzen.

NakNak* hatte am Sonntag schlimmen Durchfall und fieberte ein bisschen. Ich dachte, sie würde sicher viel schlafen und nicht direkt merken, dass ich etwas länger als sonst weg bin. So aß ich meinen Backfisch, erinnerte mich ans Meer und überlegte, wie ich meine Schleswig Holsteiner Oktoberwoche wohl füllen könnte.

Als ich die Tür zu meiner Wohnung öffnete, schlug mir schon ein übler Geruch in die Nase.
NakNak* konnte es nicht halten, hatte lachenweise Blut und Schleim von sich gegeben und lag auf dem Boden der Küche. Mein Kommen mit einem Heben und wieder Ablegen des Kopfes quittierend.

Dissoziieren ist etwas Gutes.
So ein Umschalten auf den Handlungsmodus – hingehen, machen, wieder weggehen- das hält mich unabhängig. Ruhig. Sachlich.
Ich untersuchte sie kurz und wusste schon, dass sie nur dehydriert und zu schlapp vom Fieber war, um so viel zu trinken, wie sie gebraucht hätte.

Neu ist, dass ich unsere Gemögte anrief, weil ich wusste, dass es mindestens ein Innenkind gibt, das an diesem Anblick und NakNak*s Krankheit überhaupt mehr als nur “schwer zu tragen” hat. Ich hinterließ ihr eine Nachricht und zog dabei eine Probe aus einer Lache in meinem Schlafzimmer auf eine Spritze.
Irgendwann muss ich auch sauber gemacht haben, fällt mir gerade ein.

Es gab einen Moment, in dem ich dachte: “Wenn sie jetzt stirbt, dann bin ich allein” und in dem mir nur hängen blieb: “Ich bin allein”.
Ich weiß, was es mit mir macht, wenn Menschen in meiner Twittertimeline in Momenten wie diesen Tweets absetzen. Ich hab schon auch mal gedacht: “Woa, wie kannst du denn jetzt twittern?! Hallo?”, aber als ich an der Straßenbahnhaltestelle saß und meinen lethargischen Hund an mich drückte, war es einfach genau die Art Interaktion, die ich noch konnte, um meine Gefühle vom hoffnungslos verlassen und einsam sein zu regulieren.
Hätte jemand neben mir gesessen- wer weiß, ob ich die Kontrolle und meine mittelstarke Depersonalisation so noch weiter gehabt hätte, wie ich sie brauchte?

Wir können mit unserer Stadtbahn nicht direkt bis zum Tierarzt fahren. Man muss einmal umsteigen und genau dann musste NakNak* schon wieder etwas von sich geben.
Wie das für mich ist, wenn der eigene Hund mitten in die Betonwüste “Innenstadt” nichts als Blut aus sich herausdrückt, habe ich nicht einmal gemerkt. Ich habe nur gemerkt, wie mich die Blicke der Menschen gestresst haben, als ich meinen Hund dabei abstützen musste.

Wie mich die Blicke, Kommentare, Streichelfragen und das Kreischen der Straßenbahn auf den Gleisen gestresst haben. Das Geruckel, das Atmen von NakNak*, all die ganzen Reize, die mir, wie Granatsplitter, in den Kopf geknallt sind, obwohl ich eigentlich gar nicht richtig da war.

Die Tierarztpraxis, die wir immer aufsuchen ist aber toll.
Als der Spielunfall war, bei dem eine unserer ersten Pflegehündinnen ein gebrochenes Beinchen abbekam, waren das die ersten Menschen, die sich auch um mich gekümmert hatten. Wir waren damals so schlimm aufgelöst; konnten uns kaum beruhigen und uns wurde dort begegnet mit: “Frau Rosenblatt- setzen Sie sich mal hin- möchten Sie einen Tee oder Kaffee? Der Doktor kümmert sich jetzt.”.
Edna ist in der Praxis eingeschläfert worden und wir durften fühlen, wie ihr Herz zu schlagen aufgehört hatte. Sie war schon auf der Fahrt dorthin auf unserem Schoß den Hirntod gestorben. Mit dem ausbleibenden Pochen unter unseren Fingerspitzen wurde es begreiflich. Der Doktor, nennen wir ihn Hundefreund, hatte ein Klima entstehen lassen, in dem wir das abrupte Ende eines ganz jungen Hundelebens erfassen konnten.
Er sagt immer “Und jetzt trösten wir mal ganz viel und streicheln überall, wo der Pieks nicht ist…”, wenn er eine Spritze geben muss.

Weil wir dort auch mit Pfleglingen und Wildtieren immer mal wieder sind, bekommen wir deluxe Sozialtarifrechnungen. Oft genug mussten wir auch gar nichts bezahlen, oder durften in lachhaft kleinen Raten entlohnen. Er ist einer der wenigen AkademikerInnen*, die ein Gespür für klassistische Benachteiligungen haben und das macht ihn uns zusätzlich zu seiner Hundeaffinität auch persönlich sehr sympathisch.

Ich trug NakNak* in die Praxis und brauchte nur sagen, dass sie Flüssigkeit braucht- nix mit Etikette der Krankenanmeldung, dem Anspruch irgendwelche formalen Informationen unter dem Sorgenwust hervorzuwühlen. Die Helferin* nahm sie gleich mit und holte den Arzt.
Und dann saßen wir da erst einmal eine Weile rum. NakNak* auf dem Schoß und an einen Tropf angeschlossen. Ich ein Innenkind fühlend, eine Email tippend und doch langsam in eine dumpfe grauweiße Wolke fallend, die mich noch etwas mehr vom Hier und Jetzt abtrennte. Kurz war ich gar nicht da, glaube ich.

Wasser ist Leben und das war es auch für die kranke Mopsmaus.
Es dauerte wirklich nicht lange und schon konnte sie wieder sicher stehen, richtete ihre Fledermausohren in alle Ecken und Winkel und wollte die Kanüle aus dem Beinchen rupfen.
Doktor Hundefreund tastete NakNak*s Bauch ab, lauschte in sie hinein, nahm noch einmal die Temperatur. Er sagte, dass sie weder Würmer noch Giardien hätte, was mir echt Auftrieb gab. NakNak* ist jetzt etwas über 5 Jahre alt und seit wir sie barfen, hatte sie nie Darmparasiten oder Verdauungs- Haut- Sensitivitätsprobleme. In Anbetracht der Tatsache, dass wir sie halt auch Mäuse oder Vögel fressen lassen, wenn sie welche im Wald findet, kann ich sehr wohl davon ausgehen, dass sie auch Wurmeier und Larven aufnimmt – ihre Abwehrkräfte bzw. ihre Magensäure aber ausreichend ist, sich zu schützen. Logisch, ihr Organismus muss ja auch nicht permanent Getreide von dem sie nichts hat, aufspalten und verarbeiten.

Er gab ihr eine Spritze mit einem Mittel gegen das Fieber. Mit viel Tröstestreicheln.
Es ist nur ein Infekt, den ihr Körper mit aller Macht raus haben will, okay. Atmen.
Etwas später ging sie auch schon wieder allein zum Wassernapf um sich zu bewässern. Ausatmen.
Sie hat Antibiotikatabletten, einen Fastentag und ein von allen Border Collie- artigen heiß geliebtes: “Langsam” verordnet bekommen.

Es war inzwischen abends und die Straßenbahn etwas weniger voll. Ich spürte neben dem Reizfeuer langsam das Summen, Brummen, Wirbeln und Rasen von Innen, spürte erstmals seit der Therapiestunde 6 Stunden vorher meinen eigenen Durst und die Kühle der Abwärme, die meine Schweißflecken auf der Kleidung entstehen ließ.
Ich dachte darüber nach, wie gut es ist, dass wir wegen des Workshops den wir im August geben werden, noch keine Ferienwohnung- Urlaubsreisekostenausgaben gemacht haben. Wie gut, dass die Openmind-Konferenz für die wir auch schon einen Vortrag eingereicht haben, im September ist und wir deshalb erst im Oktober… wie gut, dass diese Katastrophe jetzt war, wo wir am Donnerstag noch einen Therapietermin haben und Raum für das Innenkind schaffen können, falls es nötig ist.
Ich dachte darüber nach, ob NakNak* wohl verdurstet wäre, würde sie nicht bei uns leben. Ich dachte darüber nach, wie unaushaltbar es gewesen wäre, unseren Hund zu verlieren, nachdem wir gerade so wichtige Menschen in unserem Leben verloren haben und manche der verbliebenen in ihrer Position für uns dekonstruieren und/oder noch einmal neu wahrnehmen und bewerten.

Und als ich dann noch etwas später in meiner Wohngebärmutter saß, fest eingemadet in Decken, mit einem Smoothie und Fischstäbchen mit Ketchup vor der Nase, dachte ich, wie surreal diese Normalität ist.
Es ist etwas passiert, das uns erschütterte und wieder in die Nähe von Tod und Lebenskraft brachte und jetzt aber vorbei ist und nichts mehr davon zeugt, außer 6 Tabletten und einer Rechnung. NakNak* hatte das mit dem Fasten nicht so ganz verstanden und kruschelte ihre Nase ständig in Richtung meines Essens, meine Twittertimeline interagierte irgendwie so normal und angemessen wie immer und die Sonne verschwand in einem hellen Apricot hinter dem Dach, auf das man aus dem Arbeitszimmer schaut.

Ich dachte daran, dass wir in der Therapie darüber geredet hatten, das mir noch niemand gesagt hatte, dass ich das Überleben gut gemacht habe.
Ich dachte, ich hätte vielleicht sagen sollen, dass mir viele Menschen mein Überleben als solches anerkennen und mir sagen: “Du hast überlebt und das ist gut- es hätte auch anders enden können”. Aber es hatte noch niemand gesagt, dass das, was ich dafür getan habe, gut gemacht habe.
Dass das, was wir seit unserem letzten Körpergeburtstag- dieses überleben eines gefühlt illegalen Lebens- gut machen. Dass es gut ist, was wir tun, um am Leben zu bleiben. Dass es mir und uns als über- lebenswichtig erscheint, was wir tun.
Dass und, weil wir es für uns tun und nicht für soziale Kekse oder Geld.
Dass es mir, wenn ich mir Anerkennung für unser Blog und allgemeines Wirken wünsche, nicht um mich als Ego geht, sondern darum, dass als gut anerkannt wird, dass wir etwas tun, obwohl und weil wir auch noch heute ständig irgendwie ein Überleben leben.

Ich erlebe meine Perspektive als Überlebende, Betroffene, zum Opfer gewordenen Menschen, auf so vielen Ebenen als unsichtbar und den öffentlichen Diskurs über Opferhilfen, Gewaltprävention, Gesundheits- und Sozialpolitik so sehr an meiner Realität vorbei. So sehr an der Stelle verhaftet, an der ausschließlich die Schwäche, die (erzwungene) Passivität, die Schuldverteilungsreflex-Verantwortungsimpulse und Gewaltwirkungen gesehen werden- aber alles Kämpfen, alle Aktivität- alles Leben im Überleben und alles Überleben des Lebens danach schlicht nicht da ist.
Es ist nicht gut gemacht, weil niemand sagt, dass es gut gemacht ist.

Und wenn es niemand sagt, es sichtbar macht und als Gedankengut in die Welt hinaus trägt, dann ist es nicht.
Und wenn es nicht ist, wie soll ich es dann als Fakt in mich integrieren? Wie soll ich, wenn meine Um- und Mitwelt es nicht sieht, sichtbar markiert, dann denken, dass ich es so gut gemacht habe, wie ich es konnte?

Ich bin aus der Therapiestunde rausgeschwabbelwanktropft, weil ich es gehört habe und mich plötzlich auf einer Ebene anwesend fühlte, die vorher nicht da war und die ich bisher in noch gar keiner Auseinandersetzung mit dem was ich erfahre und tue, wahrgenommen habe.
Wie gesagt- oft habe ich schon gehört, dass es gut ist überlebt zu haben und etwas zu tun. Aber, “Sie haben es gut gemacht, wie sie es gemacht haben” noch nicht.

Sehr viel später am Abend rief noch unsere Gemögte an.
Ich erzählte ihr von diesem Gefühl der Anerkennung von unserer Therapeutin und, dass es sich gut anfühlt. Und ich sagte ihr, dass ich, wo ich das so gesehen und bestätigt fühle, irgendwie auch denke, dass ich es gut und richtig gemacht habe, was ich für und mit NakNak* gemacht habe, als es ihr so schlecht ging.
Ich sagte: “Ich habe uns alle hier richtig gut durchgetragen”, wurde aber doch unsicher und schob ein “Oder?” hinterher. Sie sagte spontan “Ja, hast du!” und es war noch ein bisschen fester da.
Dieses Gefühl nicht nur schwach und opferig getriggert wie eine Maschine auf die Ereignisse reagiert zu haben, sondern so gut und unter Nutzung aller meiner Ressourcen (und das ist eben Gefühle wegzudissen und aktiv zu sein) wie ich es konnte.

Der Satz “ich mach das, weil ich das kann- nicht, weil ich bin” hat für mich noch einmal mehr an Begreifbarkeit gewonnen.
Ich mache nichts, weil ich ein Opfer bin und nur irgendwie reagiere um zu überleben, sondern weil ich etwas kann, das mein Überleben für mich ermöglicht.
Und das jeden Tag aufs Neue.

Und es ist okay, wenn ich das gesehen haben will.
Als ich den Artikel angefangen habe, dachte ich, dass es gut ist und vielleicht auch genug, wenn ich das von der Therapeutin gesehen bekomme.
Jetzt denke ich: “Nee, ist schon auch genau richtig, wenn ich das auch hier im Blog und überall und von allen gesehen haben will.”, einfach auch weil es die Art, wie wir hier oder sonstwo gelesen werden, vielleicht auch noch einmal ein bisschen verändert.

Ich fühle mich gut. Irgendwie stark, obwohl ich gerade nicht wütend bin, wie sonst.
Ich bin gut, weil ich Dinge gut machen kann. Nicht nur, weil ich sie gut überleben kann.

 

NakNak* geht es heute wohl schon etwas besser. Zumindest hat sie den Postboten, der ihr Fleisch brachte, neugierig in Empfang genommen und etwas weniger hohes Fieber.

post- Trauma

kaputt Ich hatte diesen einen klaren Moment, in dem ich nicht nur wusste: “Trigger – Flashback – gesamte Bandbreite von Überregung – Depression – mentale Isolation – Dissoziation – > hol dir Hilfe, sorg dafür, dass es einen doppelten Boden unter dir gibt”,
sondern auch wusste: “
Was hier jetzt gelaufen ist, ist eine Re- Traumatisierung für mich. Ich darf mich verletzt und kaputt, irgendwie zerstört und wund fühlen. Ich muss niemandem einen Grund zur Freude oder Bestätigung meiner Authentizität liefern. Ich muss niemandem sagen, was er oder sie gerne hören möchte, damit es ihm oder ihr mit meiner Not besser geht.
Ich muss niemanden bestätigen und meine Ablehnung von Äußerem rechtfertigen.”

Traurig ist es für mich, diese Gedanken und Impulse erst eine Woche später zu haben, nachdem ich zum zahnärztlichen Notdienst gehen musste, weil mir eine große Füllung aus einem eh schon mühsam geretteten Zahn gebrochen war.
Wieder eine Notsituation. Wieder ein Moment, in dem ich von innen Angst vor einer Art Sterben spürte, Hilfe suchte und dann so übergriffig mit mir umgegangen wurde.
Ich für mich, kam mir wie eine verdammte Heldin vor, wie ich da- kaum in der Lage Wörter zu produzieren, das Zittern zu unterdrücken, Tränen aus scheinbar 5 zusätzlichen Tränendrüsen rauslaufend zu haben und hyperventilierend – seinen Arm wegdrückte, aufstand und vom Stuhl kletterte.

Ich sah ein Mich da stehen vielleicht 6 oder 7 Jahre alt, verletzt und bedürftig und mein Ich so heldinnenhaft, weil ich es schaffte, genau in dem Moment, in dem das wichtig war, dieses Kind an mich zu nehmen- obwohl dieser (unfassbar furchtbare) Arzt und seine Helferin, die uns – natürlich ungefragt- ständig den Arm streichelte, genau diesem kleinen Mir und diesem großen Ich weiter zusetzten mit ihren sexistischen, unempathischen- einfach unangemessen groben Phrasen.

Und- es kam jemand, der mit uns ist.
Ich spürte, wie das Kleine in mir aufatmete und sich ein Gefühl ausbreitete, in dem es um Sicherheit durch ZeugInnenschaft, Gemeinschaft, durch Chance zur Überprüfung der eigenen Wahrnehmung geht.
Mein Atemrhythmus regulierte sich, meine Haut, die Hände und Füße wurden wieder durchblutet, die Angst wich Unverständnis und Wut, die näher an die eigene Lebendigkeit führte.
Ich musste nicht alleine in der Nacht noch mit der Bahn nach Hause, in meine Wohnung, die sich noch immer nicht wirklich wieder okay anfühlt. Ich musste nicht alleine sein. Ich musste nicht sachlich bleiben, weil “Na na na- der wollte dir doch nur helfen- was hast du denn erwartet- Ärzte sind Ärzte”. Ich musste nichts können- ich durfte mich schlecht fühlen und ich durfte mich auch heldinnenhaft fühlen. Das war so eine gute Insel, die mich nicht nur daran erinnerte, dass mein Anspruch von HelferInnen gut und grenzwahrend behandelt zu werden absolut in Ordnung ist, sondern auch noch durch mein bloßes in Not sein- nicht durch die Art, wie ich als Person bin- gerechtfertigt ist, und auch darin bestätigte, dass mein ablehnendes Verhalten in Ordnung war, obwohl ich ihn um Hilfe gebeten hatte.

Wenn einem etwas passiert, was im Kopf und im Gefühl alles auf einmal durcheinander wirbelt, dann hilft es manchen Menschen sich auf eine Ebene zu stürzen. Am liebsten die Sachebene, weil diese nicht mit persönlichen Befindlichkeiten vermischt sein darf. Das ist gesellschaftlich anerkannte Spaltung und “gesellschaftlich anerkannt” ist immer gut- gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dass einem gerade etwas (wieder) passiert ist, das so sonst gar niemandem jemals auf dem ganzen Planeten passiert ist.
Auch dabei geht es um Gemeinschaftsgefühle und ein Agieren, das absichern soll.

Was bei größeren Belastungen eine gute Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten und Aufrechterhaltung der Fähigkeit einen eigenen Alltag zu leben führt bzw. dabei hilft, kann bei einer Belastung, die das absolute “Zuviel” in sich hat (also ein Trauma ist) genau das sein, das zu innerer Spaltung führt, weil es ein weiteres “Viel” bedeutet.
Ich bin in der Therapiestunde nach der sogenannten Suiziddrohung tatsächlich vor der Therapeutin geplatzt und hab sie angeschrien und, anstatt mich zu erinnern, dass auch meine viel zu kurze Lunte zum Impulsdurchbruch in dem Moment, ein Symptom für nachwievor bestehende Überregung war, habe ich mich (und mein Leben und alles) fertig gemacht, weil ich nicht entsprechen konnte.
Ich konnte – und kann noch immer nicht zur Tagesordnung übergehen. Kann nicht in meinen Alltag zurück, weil mein Alltag und meine Alltagsumgebung kaputt ist.
Ich kann kaum schlafen, esse um mich zu fühlen- nicht um satt und genährt zu sein. Wenn ich mich zwinge mein Grübeln zu beenden, geht die Grübelenergie in meine Muskeln und Nerven, die unkontrollierbar unter meiner Haut zucken. Seit über einer Woche schwanke ich zwischen “Ich schreie gleich meinen Schmerz, meine Angst, meinen ganzen inneren Kosmos heraus” und “Bin ich überhaupt da?”

Ich will die Emotionen anderer Menschen nicht- sie sind mir mal scheiß egal gerade, weil meine eigenen mich beißen und aufessen wollen und ich mich kümmern muss, ihnen andere Quellen als meine Ich-Struktur anzubieten.

Wenn ich darüber rede/ schreibe, dann geht es mir nicht um Schuld, dann geht es mir nicht um Verantwortung, dann ist mir jedes “hätte”, “würde”, “wenn” fern. Dann geht es darum dieses VIELZUVIEL in seinen feinsten Fäden zu entwirren und nebeneinander darzulegen, zu betrachten, zu analysieren und erst dann zu einem verarbeitbaren Knäul zu machen. – Und eben nicht von mir zu erwarten dieses eine Erlebnis mal eben zu erklären- G’tt wie viel Zeit ich jetzt damit verbracht habe, diese Situation immer wieder erklären zu müssen – mich immer wieder damit konfrontieren zu müssen, immer wieder nochmal neu nachzufühlen – und dann die Sachebene zu bearbeiten.

Ich weiß, dass die da ist. Ich weiß, dass ich mich kümmern muss.
Ich weiß aber auch, dass die Tatsache, dass ich das gerade tue, genau das ist, was uns im Innen total auseinanderreißt und nicht auch noch haltbar ist.

Der Notfallzahnarzt hat es mir sehr leicht gemacht, nicht entsprechen zu wollen. Manche Menschen in meinem sozialen Umfeld machen es mir nicht so leicht.
Bei manchen steht viel Zukunft auf dem Spiel und viel mühsam abgerungenes Zutrauen – zum Beispiel bei der Therapeutin.
Bei manchen steht viel Zuspruch und stärkende Unterstützung in Gefahr- zum Beispiel bei der Frauenberatungsstelle.
Bei manchen steht viel Leichtigkeit und nährende Alltagsinsel in Frage- bei unseren Gemögten zum Beispiel.

Es geht darum, mir zugestehen zu können, dass ich gerade nicht die “C. Rosenblatt” bin, die sonst aus ihren Texten, ihrem Wirken, ihrem Auftreten herausrezeptioniert wird.

Für äußere Beobachter war das alles “unangenehm”, “ätzend”, “totale Scheiße”, “nicht schön”.
Aber uns drin war das eine Situation, die uns traumatische Situationen in unserem Leben hat fast 1 : 1 noch mal- schon wieder- erleben lassen und zwar nicht nur eine- die ganz ganz fern zurück liegt und verarbeitet, gerächt und begraben ist- für die wir irgendwelche Maßstäbe in irgendeiner Form haben- sondern mehrere, die nachwievor in uns drin ablaufen – immer und immer und immer wieder.
Das ist nicht nur “ätzend”.
Tut mir leid – ich wünschte, ich könnte mich mit diesen Menschen hinsetzen und mit dem Abwurf eines plumpen “is ja blöd gelaufen” alles das einfach abhaken.

Kann ich aber nicht.
Und ehrlich gesagt will ich das auch nicht, weil es mir vorkommt, als würde ich das tun, um mir Gemeinschaft von Menschen zu sichern, die mich nur annehmen, wie ich das kleine Mich beim Zahnarzt, wenn ich mit ihnen auf der Sachebene treffe: Sortiert, sachlich, mäßig emotional, _ein_fach, unempfindlich, stark, stabil, freundlich, empathisch und nicht zuletzt: dankbar

Uns ist etwas wirklich richtig Schreckliches passiert und ich nehme mein Umfeld verschoben wahr.
Mir drängen sich permanent unausgesprochene Ansprüche auf und immer wieder flackert dieses tausend Male bestätigte, x- fach eingebrannte Kindwissen auf: “Wenn du dem nicht entsprichst, wird es weh tun bis du nicht mehr bist.”. Alle- wirklich alle jemals verwendeten Antennen fahren auf Hochtouren und lösen den Vollalarm aus, sobald irgendeine Form von Nicht-Kontrolle wahrgenommen wird.

Das geht nicht weg mit: “Macht es euch mal gemütlich”, “Habt es schön”. Auch das ist ein Imperativ auf den mein Innenleben mit diesem uralten Reflex des: “Ja, ich bemühe mich so sehr wie ich kann! Ehrlich- ganz wirklich- ich mache was ich kann- ich tue was du willst” reagiert.

Ich weiß nicht, was mir jetzt hilft.
Ich hab keine Ahnung, was wir jetzt brauchen.

Was ich will ist: _sein_ dürfen; mich in der Welt fühlen dürfen, von deren Rand ich mich heruntergefallen wahrnehme
Auch ohne Aktivismus auf allen Ebenen. Auch mit Heldinnencape und Heulrotztropfen auf der Brust. Auch mit Brüllen vor Ohnmachtsgefühlen. Auch ohne akut geäußerte Dankbarkeit. Mit Verletzlichkeit, die man mir nie zugetraut hätte. Mit allen Gedanken und aller ungefilterten Intellektualität, die mich vielleicht schwer verständlich macht. Mit aller Nicht-Gegenseitigkeit, die mein Fordern mit sich bringt. Mit allem, was andere Menschen nie tun würden/ könnten/ wollten/ dürften/ müssten/ sollten.

Ich bin mit all dem gerade da. Wird mir begegnet, als sei dem nicht so, taucht jemand anders auf und das ist das Problem, das ich als Viele – Mensch habe.
Innere Spaltungsprozesse bzw. Innens, passieren nicht wegen Gewalt, sondern wegen vieler Überdosen “ZUVIEL”.
Wenn wir bzw. meine Psyche als Einsmensch eines in unserem Leben gelernt haben, dann ist es Anpassung durch Spaltung. Es wird immer wieder passieren, dass wir spalten (weg gehen) wenn wir nicht mit allem _sein_ können und das Außen wird genau das nicht spüren, wenn es sich nur um sich dreht.

Und sich darüber beschwert, was mir denn einfällt, sie mit meiner Not zu belästigen oder, wie dieser Zahnarzt, auf meine Panik mit einem genölten: “Was soll das denn jetzt- nu stell dich mal nicht so an- leg dich hin und lass XY machen” reagiert.

Ja verdammt- ich kann die Gründe für sowas sehen und verstehen. Ich weiß, der Arzt hatte einen scheiß langen Tag und in seiner Welt haben “kleine Mädchen” voll viel Interesse daran, einem tollen großen alten Arzt zu gefallen – was für ein Unkomfort, dann so zu agieren, wie ich.
Ich weiß, was das für ein Gefühl ist von: “Woa fuck- was mach ich denn jetzt?!”- wenn jemand kommt und einem sagt: “Ich kann nicht mehr- mir geht es schlecht und alles ist zu viel- ich weiß nicht, was ich machen soll”. Ich weiß genau, dass man sich dann erst mal hilflos und ohnmächtig fühlt, als erstes Gedanken an Verantwortung und Schuld hat und mehr oder weniger bewusst hat, dass man auf sich selbst achten muss.
Ich weiß aber auch, dass es verdammt noch mal so so so so viel öfter dran ist, jemandem einfach nur die Hand hinzuhalten und mal so einen Moment so gar nichts zu machen oder zu verlangen oder zu wollen oder zu verändern oder wegzumachen oder oder oder
und diesem Menschen einfach mal kurz – und sind es 2-3 Minuten das Gefühl zu geben da_sein_ zu dürfen.

Auf mehr warte ich gar nicht. Mehr suche ich nicht. Mehr will ich nicht.

 

Wir bekommen gerade von allen Seiten so viel “mehr” angeboten.
Und

können

nichts

damit

anfangen.

Außer mit diesem fremden Lächeln immer besser und immer reflexhafter rauszulügen: “Danke”

 

Vielleicht können wir das in zwei drei vier fünf Wochen, wenn wir keine Angst mehr vor dem Zusammenbruch unserer bürokratisch regulierten Lebenslegitimation haben müssen. Wenn wir diesen Strafanzeige-OEG –Mist irgendwie in einer Art abgesicherten Handlungsablauf haben. Wenn ich vielleicht endlich einmal richtig ausgeschlafen habe.
Wenn es nicht mehr so weh tut, Gemögte verloren zu haben. Sicherheiten verloren zu haben.
Wenn die Erinnerung wieder etwas weiter im Hintergrund ist.

Vielleicht dann.
Dann sind wir wieder voll der Bereitwilligkeit uns auch für die Gefühle und Lebenswelten anderer Menschen zu öffnen und uns zurückzustellen.
Aber jetzt nicht.

es ist

und ich stehe unterm Wasser
lasse meinen Blick von den Schwaden vor meinem Gesicht forttragen
”Das ist heiß heiß heiß heiß heiß”
ein Gedanke, der keiner ist
sich Hut und Stock nimmt und einen Spaziergang über den Jordan macht

der Schmerz schießt durch meinem Kopf
streift die glitschige Watte aus Nichts, die ich so krampfhaft zu einem Seelensein zu formen versuche

“laufen lassen”
ein Impuls, der sich an mir herunterrollt
in Blut, Tränen, Wasser zu einer Pfütze um meine abgerissene Beine sammelt
um im Abfluss zu verschwinden

bin ich
verdisst
getriggert
überreizt
überfordert
reißend
eximplodierend, wie ein schwarzes Loch, das eine Sonne gebären will

ein Stoß von hinten
ein Schlag gegen den Kopf gegen Fliesen gegen Welt und Sein
ein Ankommen
Warten

Fühlen
Ruhen

ein Schrei, der den Wasserhahn herumreißt
mich anbrüllt
aufschlitzt
häutet

an einem Haken über der Realität baumeln lässt

Fassungslos in mich hinein sieht
Worte, Nähe, Arme um mich legt
weder Tränen noch Wasser von seiner Haut wischt

meine Schuld stapelt
meinen Selbsthass vermultipliziert
in den Myriaden des Niegesagten

im Kosmos des Ichweißauchnicht

kosmos

„Wir sind Viele“ ~ Teil 1 ~

kleineBlütenweiss Die Idee sich selbst im Spiegel zu betrachten und zu sehen, was es zu sehen gibt, geistert noch immer in ihr herum und arbeitet sich von Knospe zu Blüte.
Ich schaue ihr zu, wenn sie das Glas mit einem Finger berührt und darüber nachdenkt, wie es überhaupt möglich sein soll, sich zu sehen.
Ist es doch nur Glas, das Licht reflektiert
und sie… ein Dunkel, ein Leer, ein Da.

Am Morgen des 26.3. 2014 hob sie den Kopf und starrte in die Pupille hinein.
“Ich will das.
Ich kann das.
Ich mach das.”

und glaubte es wirklich.

Wir sind nach Mainz zu der 2. interdisziplinären Trauma- Fachtagung “Wir sind Viele” gefahren.

Wieder eine fremde Stadt. Zum ersten Mal ganz allein.
Als Fremde unter Fremden, fern aller Netze.
Eigenverantwortlich, erwachsen, autonom.
Das erste Mal.

Ich strich ihr über den Kopf.

“Wir, mein Herz…
wir machen das.”


~ Fortsetzung folgt ~

an einem Morgen

wachsenundwerdenMorgenfrisch, wie es nur im Fernsehen üblich ist, hopst sie die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Strahlt wie Tschernobyl mitten in mein verquollenes Samstagsmorgen”gesicht” und hebt die Brötchentüte hoch.

Wenn ich erst früh morgens eingeschlafen bin, verspüre ich an mir eine gewisse geistige Nähe zu Affen, wenn es dann nur 3 Stunden später unverhofft an meiner Tür klingelt. Also lächle ich auch und starre sie an.
“Tss- ihr habt unser Frühstücksdate vergessen! Nicht schlimm- ich decke, ihr macht euer Morgending und dann gehts los. Husch Husch Husch!”.

So zum Huhn erklärt, evolutionieren wir uns in Richtung Mensch.

In der Küche klappert und rumpelt es.
“Ihr habt ja gar nichts da.” sagt sie, als ich, inzwischen im Stadium “Zombie”, in Richtung Kaffeemaschine wanke.
“Meinst du “Ihr habt ja ganz viel Nichts da” oder “nichts nichts”? Was willst du denn?”, frage ich zurück und schaue in den Kühlschrank. “Na das Übliche”, setzt sie an. “Butter, Aufschnitt, Marmelade…”. 

Langsam fällt mir ein, wieso ich das Date “vergessen” habe. Ich drücke ihr den Rest Butter vom Kekse backen in die Hand und stelle die Honigreste von Rosh Hashana auf den Tisch. Lege schweren Herzens noch die Käsescheiben für NakNak* dazu. Mein Affenlächeln wiegt jetzt doch schwer auf dem, was Gesicht zu sein versucht.
”Na? Das ist doch was. Schlachtplatte ist heute leider aus.”.

Sie setzt sich auf die Küchenbank und legt los.
Ich streichle NakNak* in den Schlaf und versuche mich daran zu erinnern, ob ich die Kaffeemaschine schon mal entkalkt habe oder nicht. Eigentlich finde ich dieses Röcheln ja gemütlich.
“Willst du NICHTS?!” sie nickt mit dem Kinn in Richtung Königinnenmahl.
“Ich bin noch nicht mal Mensch!”, grunze ich und verdünne meine Kaffeemilch.

Zum Glück ist seit unserem letzten Treffen viel passiert. Wir sprechen über die letzte Phönix-AG und unsere Reise nach Göttingen dazu. Sind uns einig, dass es viel über Privilegien und Frauenverständnis sagt, wenn es ein Kussverbot für Mädchenstatuen gibt.
Voller Stolz wird die Jugendherbergsbuchung für
die Tagung “Wir sind Viele” in Mainz gezeigt. Das haben wir wirklich noch nie gemacht. Irgendwo zwei Nächte fremdschlafen und schon gar nicht selbst bezahlt zu so einer Tagung gehen.

Ich merke, wie gut es tut, diese ganzen Erwachsenensachen auch Erwachsenensachen zu nennen und als Akt gewürdigt zu sehen. Als genau der Entwicklungsschritt, der es ist- parallel zu allem, was sowohl in der Therapiezeit selbst, als auch danach alles kreuz und quer schießt und genauso zehrend ist. Sie gratuliert dem Innen zu seiner Heldinnentat und versichert, dass ihr auch schon solche Fehler dabei unterlaufen sind.

“Das ist viel Emanzipatorisches” murmelt sie mit einer Hamsterbacke voll Käsebrötchen.
“Ja haaa, auf der Ebene irgendwie schon. Es macht mich wahnsinnig, dass ich das nicht auch auf andere Bereiche übertragen kann. Ich meine, hallo! fremde Stadt, alleine, schwere Themen und ich bin ganz sicher, dass wir das packen werden. Aber dann in der Therapie sitzen, einmal kurz in eine andere Richtung denken und puff bin ich weghoudinisiert und
BÄM BÄM BÄM für den Rest der Woche als Dauerschleife aus der Drecksecke und Mimimibabyblablaschmauchätzscheiß in der anderen. Geilo. Nicht.”.

Sie nickt und füttert NakNak* mit runtergefallenen Nusskernen.
“Ihr seid Viele.”, sie atmet ein, streckt sich, verteilt ihre ganze Pracht auf unserer Küchenbank und seufzt.

“Das ist eine Erklärung, ja. Aber nichts, was mir da jetzt grad hilft. Ich muss das aushalten, dran lang wachsen und ach keine Ahnung.”. Ich versenke meine Ungeduldslaute im dritten Kaffee. Merke, wie ich es leid bin, nicht darüber auszurasten. Denke zum x-ten Mal den Gedanken, die ganze Therapie zu lassen und einfach nur meine Sachen zu Ende zu bringen und dann erst wieder irgendwas zu fühlen oder anders zu denken als sonst.

Wir schwenken auf das Thema “NakNak* ist läufig”. Lästern auf Hundewiesenniveau. Auch sehr erwachsen.

Als wir uns von Mensch zu Mensch verabschieden, denke ich, dass ich froh bin, dass meine Gemögte mich auch ungeduldig und Hufe scharrend diesem Therapiezeug gegenüber annimmt. Dass sie nicht noch großartig aufs Essen drängelte, die ganzen Ausläufer der inneren Zeitverschiebungen in unserer Wohnung unkommentiert ließ und von ihrem Erwachsenwerden erzählte.  Damals ™ .
So sehr ich das auch hasse, wenn sie von sich sagt, dass sie sich uns gegenüber manchmal wie eine soziale Mutter fühlt- manchmal, so wie heute morgen, ist es so. Und dann ist es auch okay.
Nicht nur für mich, sondern auch für andere Innens, die das so noch nie erfahren haben und von der biologischen Mutterfrau auch nie erfahren werden.

Vielleicht gehört das irgendwie auch mit dazu.
Zu diesem beschissenen “aus Kackscheiß rauswachsen” und Werden.

Niemalskind

Sie hat einen einzigen Begriff von sich und das ist ihr Name.
Ihr Sein ist erst etwa 9 Jahre benennbar, was ein Drittel des Körperlebens ist.
Die  Familie erinnert sie nur schwach in direkter Dynamik und trotzdem stellt sie eine der letzten Bastionen zur Verfechtung ihrer Unschuld. Redet noch immer von der Hoffnung auf ein “alles wird gut” und weiß nicht einmal, was genau sie damit meint.

Für sie sind die Eltern Namen auf die sie zusammenzuckt und überprüft, ob sie nicht doch gerade schon wieder in einem dieser furchtbaren Jugendamt- Arzt- Therapeutengespräche sitzt, die letztlich die Wehen ihrer Geburt waren. Diese Inquisitionen des Sozialsystems; der Seelenobduktion in Form einer Show um Leben und Tod; der Weichenstellung auf Gleisen deren Ende weder wählbar noch relevant sind.

Für sie wohnt die Familie auf dünnen Papieren in einer Zigarrenschachtel, aus der sie ab und zu in schwarzen Wolken herausquillt und in wirren Schatten um sie herum und durch sie hindurch wallt. Die Eltern in schwarz/weiß, DDR und frühe 90er- Chic, die Geschwister noch immer Kinder.

Sie würden es immer bleiben, wenn wäre, was sie nicht wahrgewesen werden lassen will.

Ein Eingeständnis ist ihr Urteil zu lebenslang Niemalskind sein.

kiste2

monströs

Es gibt so viele Möglichkeiten, Menschen für den Rest des Lebens die Botschaft mitzugeben, dass sie es nicht verdient haben, Grundbedürfnisse erfüllt zubekommen, sobald sie etwas tun, was einen anderen Menschen verärgert/ ängstigt/ schmerzt/ bloßstellt/ nicht bestätigt.
Ein Grundbedürfnis ist der Kontakt zu anderen Menschen, zu Nähe, zu Wärme- dieses eine kleine Fünkchen, das um Mehrsamkeit versichert.

Egal, wie stark, wie mutig, wie autark und unabhängig das Handeln sein kann- das erste Geräusch von einem anderen Menschen, das sich an einen richtet und über das Dasein auf Erden in Zeiten und Sphären bewusst und versichert sein lässt,
– es ist ein verdammt großes Himmelreich in dem Zeppeline mit der Aufschrift: “Ja, du bist am Leben” herumfliegen, das Licht, das einem in die Augen schießt, irgendwas zwischen Glitzer und ätzender Säure ist und die Luft nach Freiheit schmeckt- egal, woraus sie besteht.

Es ist der Moment, in dem es die Chance auf einen Anfang gibt. Ein besseres; ein lieberes; ein artigeres; ein gleicheres Sein möglich ist. So eine Chance, sein Überleben durch Vollständigkeit der Optionen seine Grundbedürfnisse zu erfüllen noch sicherer zu machen.
Das Alte, Böse, das Monster, das man wegsperrte, von sich schob, mit dem Gesicht in die Zimmerecke stellte; auf die stille Treppe setzte; aus dem Klassenzimmer verwies; ins Gefängnis, in die Psychiatrie, ins Heim schickte, dem man jedes Gespräch, jede Klarheit, jedes (An-) Recht verweigerte- das ist ja weg.
Das bleibt da in seinem Käfig, als Kokonrest aus dem ein Schmetterling geschlüpft ist.

Als wir gestern im Gang des Ausweichzugs standen, in ein Abteil hinein starrten und den freien Platz darin nicht in Anspruch zu nehmen wagten, wurde mir klar, dass Isolation ein Sterben mit seinen 5 Phasen ist: Verleugnung, Wut, Verhandlung, Depression, Akzeptanz, und das auch noch viele Jahre später.

Am Ende ist so viel akzeptiert, dass alles okay ist, was nicht auch noch die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung auf physischer Ebene eingrenzt.
So wird der Umstand ein Monster zu sein- auf immer und ewig- ohne Chance auf ein Sein als Schmetterling, zum Preis für ein physisches Überleben, das in einer unendlichen Schleife in Frage gestellt wird, durch die Befreiung noch vor Ende des Prozesses.

Genau deshalb meide ich Abhängigkeiten.
Genau deshalb ist meine mutigste Tat, mich an andere Menschen zu wenden und darauf zu verlassen, dass diese mir sagen, was ich tun kann/ darf/ soll/ muss, wenn ich es nicht weiß. Entweder, weil ich manche Dinge noch nie gemacht habe, oder weil mir (uns als Einsmensch) Lebenserfahrungsqualitäten fehlen.
Ich weiß, was ich machen muss, damit mir die Füße nicht weh tun- wie man sich stellen kann, wenn man tagelang irgendwo stehen muss. Ich weiß, wie man warm wird, wenns eisig ist; weiß, dass verhungern lange dauert; weiß, wie Durst in ganze, halbe und viertel Tropfen eingeteilt werden kann. Ich kann Dinge überleben, von denen andere Menschen hoffen, sie nicht einmal in Filmen sehen zu müssen.

Ich bin mit meiner Wut in die Freiheit gekommen.
Und jetzt fühlt es sich an, als hätte der Mensch, der mich fand ein Monster raus gelassen.
Ich kann nur Wut und Verhandeln.
Sowas will niemand und stößt es deshalb von sich.

Daran haben wir haben uns angepasst. Wir sind viele und können entsprechen.
Da sind Innens, die leugnen Bedürfnisse, akzeptieren alles und fragen ins Innen, ob sie so gefährlich sind, dass sie sterben sollten. Denken darüber nach, wie ein Sterben möglichst unauffällig und am Außen vorbei passieren kann- genauso, wie da Innens sind, die in Menschen immer “die Guten” sehen, die nett sind, sich kümmern, Klarheit um Umstände möglich machen.

Wir sind viele und genau deshalb bleibe ich wohl immer dieses Monster, das besser niemals raus gelassen worden wäre.

MonströsIch hab mich zu verpissen. Bin Affekt, bin bescheuert und nicht in der Lage Probleme zu erfassen- das einzige Problem ist ja, dass ich wütend bin. Schön mal beruhigen, dann kommt schon ein anderes Innen raus und man kann einsehen lassen, dass es ja gar kein Problem gibt- verhandeln hieße, etwas einzugestehen und ach- von wem ist das denn bitte abzuverlangen?

In meinem Innen gibt es mein Gefängnis noch.
Ich finds tröstlich, dass ich mich, wenigstens für mich allein, immer wieder einsperren und befreien kann.

Allein. Autark.
Monströs stark.

morgen vor einem Jahr

Drahtzaun2 Es gibt nicht viele Brücken, wo sie wohnt. Nicht viele, die passen.
Und nur eine, auf deren Mitte der Wind so pfeift, wie sie es mag. Mitten ins Gesicht, die Haare wild herumwirbelnd, ohne Stadtgestank mit sich zu tragen.

Der Regen platscht ihr auf die Lider, die Wangen, die Stirn.
“Morgen vor einem Jahr…”, raunt es an ihren verspannten Augenbrauen vorbei, “weißt du noch?”. Federn rascheln.

Sie lächelt durch das Gewisch vor ihren Augen und die wirbelnde Leere in ihrem Kopf. “Netzfeministisches Kampfbier… ja.”, sie haucht ein Lachen in die Windchen um sich herum. “Dass ja dann erst mal gar nix wurde, weil One Billion Rising und alles, mich hatte zerfallen lassen… Es war so furchtbar kalt”.

Sie wartet, bis die kleine Gruppe Menschen an ihr vorbei gelaufen ist.
Steigt über das Gitter.
Setzt sich in die Bepflanzung.
Zieht die Nase hoch.

“Diesmal habe ich eine wasserfeste Jacke. Und wasserfeste Schuhe.”, sie betrachtet den Satz und schmeißt ihn zurück die Tiefe, aus der er hochgequollen kam.

“Wir werden hingehen. Hm?”, sachtes Stubsen auf die Schulter.

Sie nickt stumm. Lässt sich beregnen.
Die linke Hand von der Eulenhandpuppe wärmen.
Auf die Straße, nur wenige Meter unter sich, starrend.

“Ja, ich geh hin. Zeig auf die Gewalt… die anderen passiert. Klar.”.