note on: die Menschlichkeit von Nazis

In letzter Zeit begegnet mir häufiger die Phrase „Man darf nicht vergessen, dass wir alle nur Menschen sind“. Als würde damit alles gesagt sein, ersticken darunter viele wichtige Gespräche über Solidaritäten, Verantwortungen und ihre Bedeutung für alle. Dabei sagt man damit allein nichts weiter als einen Fakt, der nichts mit dem Anlass zur Phrase zu tun hat.

Die Postperson in der Filiale sagte mir gestern, dass 3 Wochen ein Paket für mich bei ihr rumlag. Von dem wusste ich nichts. Dachte, der Versand aus UK würde einfach dauern. Brexit, Covid trallala. Ich hatte keine Benachrichtigung erhalten. Ja, die Zusteller sind auch nur Menschen. Ja, ich kenne Benno, unseren Zusteller. Der ist ein Mensch, der mir definitiv einen Zettel einwerfen würde. Und ein Mensch, der weiß, dass wir eine Ablageerlaubnis erteilt haben. Warum erinnert mich die Postfrau nur im Moment eines Fehlers, der mit einem Verlust für mich einhergeht, an Bennos Menschlichkeit? Warum erst in dem Moment, in dem ich etwas entschuldigen soll, was ich eigentlich nicht entschuldigen will, weil es klare Regeln für Fälle wie diesen gibt? Vielleicht, weil sie sich nicht streiten will. Oder nichts machen kann. Oder nichts machen will. Oder mich dazu bringen will, mich human zu streiten. Zivilisiert. Wenn schon.

Ich selber habe auf Twitter schon einmal geschrieben, dass man nicht vergessen darf, dass Nazis Menschen sind. Gerade, weil Nazisein nichts anderes sein kann als menschlich. Nazis sind keine Ungeheuer, Naturgewalt und erst Recht nicht die große übermächtige Eminenz, als die sie sich aufgrund ihrer Werte einordnen und behandelt werden wollen.
Der Hinweis auf die Menschlichkeit von Personen jeder Identität taugt nicht zur Entschuldigung oder Relativierung ihrer Handlungen. Nie. Er taugt allenfalls dazu, sich in den Erwartungen an das Miteinander zu versichern. Also dazu, dass wir einander erinnern, nicht mehr als üblich von einander zu erwarten. Auch von Nazis nicht.

Nun ist es aber so, dass ein Mensch zu sein keine universelle, also absolut kontextbefreite, Erfahrung ist, sondern auch eine soziale Position. Ein Status, definiert über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, verfestigt über soziale Normen und kulturelle Praxen.
Deswegen ist es so unsinnig, wenn Leute zum Beispiel sagen: „Ob Mann oder Frau oder etwas anderes, das ist ja eigentlich total egal, wir sind ja alle Menschen.“ Die Qualität des Lebens, die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, -verkörperung und vielem mehr sind extrem unterschiedlich und in der Folge auch die Art und Weise, wie man (sich) als Mensch (er)lebt.

Jetzt gibt es zwei beliebte Wege damit umzugehen.
Viele Menschen denken: „Okay, alle er_leben wir unterschiedlich, also darf man nicht von allen das Gleiche erwarten“ und fangen an hinzunehmen oder verfestigen immer weiter die Idee, dass Leute, die etwas nicht können, halt etwas nicht können. „So ist die Natur.“, „So sind Behinderte.“, „So sind Männer.“, „So sind Frauen.“ ist dann das Mindset, mit dem sie mit anderen Menschen interagieren.
Sie integrieren die Begrenzungen und Be_Hindernisse, die andere Menschen erleben, als etwas, das nun einmal so ist und also auch nicht anders zu erwarten sein kann. Und vermeiden so sehr bequem ihre eigene Rolle als Be_Hinderer_in, Be_grenzende_r und sehen ihre Menschlichkeit in der Akzeptanz der Grenzen bewiesen. Heißt: Weil sie bereit sind, andere Maßstäbe an andere Menschen anzulegen, empfinden sie sich als menschlich ihnen gegenüber.

Die andere Art des Umgangs ist die starke Betonung einer Zusammengehörigkeit über alle Unterschiede hinweg. Eine Methode, die vor allem für jene Menschen praktisch ist, die nicht anerkennen wollen, wie facettenreich das menschliche Er_Leben und Sein ist oder, die nicht anerkennen wollen, dass die gleichen Lebensumstände in der gleichen Lebenszeit in der gleichen Gesellschaft zu erheblichen Unterschieden in den Lebensrealitäten der Menschen führen können. Die starke Betonung von Zusammengehörigkeit mit allen Menschen kann für unterprivilegierte, (mehrfach) diskriminierte Menschen nur verletzend sein, weil sie deutlich macht, wie wenig ihre Situation überhaupt an_erkannt wird.
Niemand, die_r in unserer Gesellschaft etwa rassistisch ausgegrenzt und bedacht wird, kann sich mit einer Gesellschaft zusammengehörig empfinden, die das passieren lässt. Geschweige denn kann man von so behandelten Menschen einfach erwarten, sich mit rassistisch motivierten Täter_innen zusammengehörig zu empfinden. In diesen Fällen ist es keine angemessene Erwartung, die gemeinsame Biologie als irgendetwas mehr als belastend, unangenehm, schwierig zu empfinden. Wenn dem doch so ist, dann ist es ein Plus. Ein Glück. Etwas von der Gewalt unberührtes von unbeschreibbarem Wert. Aber nie etwas, was erwartet werden darf.

Wie mein Umgang damit ist, kann ich noch nicht eindeutig verorten.
Ich kann Menschen gut sein lassen, wie und wer sie sind. Aber ich kann die Erwartungen vieler Menschen an die Praxis des Miteinanders nicht erfüllen. Für mich stellen sich in jeder Interaktion verschiedene Anpassungsaufgaben, die sich mir häufig verspätet erschließen oder deren Ziel ich nicht immer richtig einschätze. Ich bin dennoch immer um Anpassung bemüht, weil ich diesen Wert als zwingend für jedes Miteinander einordne. Daneben merke ich aber auch: Während mir klar ist, dass ich jede Interaktion und Kommunikation mit anderen Menschen benutze, um zu funktionieren oder Funktion zu geben, scheint dies den meisten anderen Menschen nicht bewusst auch so zu sein. Was dazu führt, dass ich mir im Grunde nie darüber sicher bin, was ich von anderen Menschen erwarten kann und entlang welcher Parameter sie ihre Erwartungen an mich überhaupt entwickeln.

Dieser und andere Komplexe, die traumabedingt sind, haben in mir tiefe Unsicherheit darüber erzeugt, wie menschlich ich bin bzw. was in Bezug zu mir als „nur menschlich“ zu erwarten ist. Meine biologische Verortung als Mensch ist mir sehr klar. Aber meine soziale Verortung nicht.
Ich bin immer wieder mit uneindeutigen Erwartungen an mich konfrontiert. Mal ist mir als menschlich anerkannt, dass ich Dinge nicht kann, in einer anderen Situation wieder nicht – da ist dann relevanter, wie ich gesellschaftlich verortet bin. Das eine Mal wird nicht von mir erwartet etwas zu entwickeln, das andere Mal doch, und zwar sehr selbstverständlich. Und gleichzeitig scheinen aber alle Menschen, mit denen ich zu tun habe, eine sehr eindeutige und universelle Idee davon zu haben, was sie für menschlich bzw. Menschlichkeit halten. Obwohl doch ganz offensichtlich ist, dass es diese Universalität gar nicht gibt.

Ich habe diesen Text damit eingeleitet, dass durch die Phrase „Wir sind ja alle nur Menschen“ viele Gespräche erstickt werden. Sie werden nicht durch den Satz erstickt, sondern durch dessen Funktion der Entlastung von (als zu hoch wahrgenommener) Erwartungen an einander. Also am Ende durch den Übergriff, mit dem kontrolliert werden soll, was wer von wem wann und wieso erwartet.
Es ist eine Manipulationsstrategie.
Man soll sich unsicher darüber werden, ob es vielleicht wirklich zu viel verlangt ist, wenn man erwartet, dass Postzusteller_innen ihre Arbeit korrekt machen. Ob man nicht vielleicht doch ein bisschen zu hart mit Leuten ist, die sich neben Nazis auf eine Demonstration stellen, weil die ja auch nur Gefühle haben, die ganz doll menschlich sind.
Ja, die Beispiele sind tendenziös, okay. Es gibt viele Richtungen, in die man damit manipulieren wollen kann.
Aber der Punkt bleibt: Es ist Manipulation. Der Griff nach etwas, das mit anderen Mitteln auch konsensuell hergestellt werden kann.

Konsens bedeutet in dem Zusammenhang das offene Gespräch über die Erwartungen und die bestehenden Möglichkeiten, sie jeweils zu akzeptieren und zu erfüllen, mit dem Ziel sich zu einigen und eine passende soziale Praxis zu entwickeln.
Das hätte in der Postfiliale bedeuten können, dass mich die Person fragt, was ich von ihr erwarte und dass sie mir sagt, was sie und ich dafür tun können oder auch nicht.
In Bezug auf Nazis funktioniert das nicht, weil Nazis Konsens als Prinzip ablehnen und also ausschließlich gewaltvoll mit anderen Menschen interagieren wollen. Egal, wie groß die Bereitschaft aller anderen Menschen auf der Welt ist, sie in ihren Motiven und Werten zu verstehen und anzuerkennen, die Erwartung an konsensuelles Miteinander wird enttäuscht werden. Es ist menschlich, sich gegen Konsens zu entscheiden. Es ist menschlich, gewaltvoll zu werten, zu urteilen, zu handeln und dies in sich auch verkörpert und über sich selbst verwirklicht zu haben.
Es ist nicht unmenschlich, sich gegen ein gewaltvolles Miteinander zu entscheiden.

Die Menschlichkeit von Nazis verbietet die Einordnung ihrer Taten als unmenschlich, weil Menschen immer Menschen sind. Egal, wie schlimm, unverzeihbar, unerträglich und unvereinbar mit jedwedem zwischenmenschlichen Wert ihr Handeln ist. Die Menschlichkeit von Menschen ist nicht und kann nie ein passender Parameter zur Beurteilung der Angemessenheit von Erwartungen aneinander sein, weil sie nicht universell ist. Sie kann uns an eine Gemeinsamkeit erinnern. Kann uns davon abhalten, einander wie Tiere und Pflanzen, Gegenstände und Objekte zu bewerten und entsprechende Erwartungen zu formulieren. Kann der soziale common ground werden, als der er sich offenbar gewünscht wird – jedoch, er ist es noch nicht und wird es auch nie, wenn Menschlichkeit immer erst dann zum Diskussionsgegenstand wird, wenn er eine spezifische Funktion über sich selbst hinaus erfüllen soll.

Wie wir miteinander umgehen ist so eine Funktion.
Und wir sollten uns damit befassen, wie wir sie gestalten.

zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen

Was gut ist: ich lese immer seltener “die Behinderten” und auch journalistische Negativglanzleistungen wie “leidet an [medizinische Bezeichnung eines körper-seele-funktion Umstandes]”.
Das ist alles, was gut ist und das liegt wahrscheinlich an mir selbst.

Ich habe mich radikalisiert. Ich lese kaum noch Artikel über behinderte Menschen. Konsequent und so radikal, dass es meine Leseliste um 90% verschlankt hat, lese ich nur noch behinderte Menschen, die über, von und mit behinderten Menschen schreiben/filmen/anders berichten.
Das mache ich nicht, weil das der Journalismus ist, den ich mir wünsche, oder weil behinderte Menschen, die besseren Berichter_innen sind – ich mache das, weil für mich jeden Tag „internationaler Tag der Menschen mit Behinderung“ ist.

Ich habe lange geglaubt, die Gewalterfahrungen, die ich machen musste, hätten mich als schwerbehinderte, kaputte und damit weniger werte Person zurückgelassen.
Das war gut, um die Ungerechtigkeit der Gewalt an sich und ihrem Wirken an und in mir überhaupt erfassen zu können. Das war wichtig, um in einen Trauerprozess um all die Optionen zu kommen, die es für mich hätte würde wenn eventuell vielleicht hätte geben können, wenn nicht …

Leider war das auch ein Ausdruck der opferfeindlichen und ableistischen Kackscheiße, die ich internalisiert habe und als ich dann, vor etwas über einem Jahr so sicher wie es in meinem Fall sicher sein kann, erfuhr, dass es all dieses hätte würde wenn, mit großer Wahrscheinlichkeit selbst ohne die Gewalt, die mir in der eigenen Familie passiert ist, nicht für mich gegeben hätte, war es einer dieser Momente, die weh tun, weil sie von einem kaputten Selbstbild und dem Verlust der eigenen Positionierung in der Welt herrühren.

Ich bin keine behinderte Person, die danach strebt ihre Behinderungen “nicht so schlimm” zu finden oder “zu sein, wie alle anderen Menschen”.
Ich will normal sein.
Und nein, das ist kein Widerspruch – das ist eine Kampfansage an die Norm.

Vor inzwischen 9 Jahren habe ich mich dazu entschieden aus einem Kontext auszusteigen, der mich über kurz oder lang das Leben gekostet hätte.
Ich gab es auf, eine Familie zu haben und wurde zu einer Waise, deren Eltern noch leben. Ich gab es auf, einen Lebenslauf zu haben, den ich ohne kosmetische Totaloperation zu einer Bewerbung tackern kann. Ich akzeptierte, dass die bürokratischen Strukturen des Landes, in dem ich lebe, weder Biografien, noch daraus hervorgehende Bedürfnisse und Behinderungen kennen, noch angemessen zu behandeln in der Lage sind. Ich tat einen, zwei, drei Schritte von meinen mir per Gesetz zugesicherten Grundrechten zurück und spürte, wie ich endlich etwas richtig machte.
So soll das nämlich sein, wenn man aus etwas hervorgeht, das nicht vorgesehen ist.

So schwere organisierte und häusliche Gewalt zu überleben, ist nicht vorgesehen. In dieser so gestalteten Welt nicht so funktionieren zu können, wie die Mehrheit der Menschen, ist nicht vorgesehen. Plötzlich nicht mehr zu funktionieren, ist nicht vorgesehen. Plötzlich anders zu sein oder sich Stück für Stück anders zu entwickeln oder für immer und trotz allem anders zu bleiben und Worte, Gründe und eigene Werte daran zu haben, ist nicht vorgesehen.

Und was nicht vorgesehen ist, das gibt es nicht.
Und wenn es etwas nicht gibt, dann ist völlig klar, dass man sich damit weder gut noch schlecht fühlen kann. Dass man sich fern von allem (= der Norm) zu positionieren hat und ergo niemals von irgendetwas, das passiert, angesprochen und mitgemeint fühlen kann.

Behinderte Menschen sind nicht vorgesehen. Egal, um welche Art der Behinderung es sich handelt und, egal wie hoch das Maß des Funktionierens innerhalb normalisierter Umstände und Umgebungen ist.
Sämtliche Strukturen sind darauf ausgerichtet die Norm zu erkennen und mit ihr umzugehen. Für “den Rest” gibt es Sonderstrukturen und wir hier im Westen haben das Glück in einem Kapitalismus zu leben, der daraus noch Gewinn erzielen kann.
Es gäbe keine Pflegeheime, Förderzentren, Sonderschulen, Werkstätten und Spezialtechniken, würde man damit kein Geld machen können.
Es ist kein Akt der Menschlichkeit und schon gar nicht der gelebten Inklusion, Sonderstrukturen zu haben, zu nutzen oder mit Altruismus zu erklären (und zu legitimieren).

Behinderte Menschen werden durch die Option dieser Sonderstrukturen zu einer wirtschaftlichen Ressource.
Das ist wie mit Müll.
Niemand will ihn in der Wohnung haben – aber der Typ, dem die Müllabfuhr-, der Typ, dem die Halde-, der Typ, dem das Recyclingwerk- , der Typ, dem die Firma für aus recyceltem Material gemachtem Zeug — gehört (und seine vielen Angestellten, sowie der Staat, der deren Steuern bekommt), die finden Müll so richtig geil.

Diese Metapher ist schmerzhaft, ne? Es ist aber die Art schonungsloses Bespiel, das die Verachtung und Entmenschlichung, mit der behinderte Menschen jeden – wirklich jeden! – Tag umgehen müssen, am deutlichsten aufzeigt.
Und es ist die Metapher, die mir am meisten hilft für meine Grund- und Menschenrechte einzutreten.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
“Würde” bedeutet: jeder Mensch ist wertvoll.
Auch dann, wenn er nicht mitbedacht, nicht vorgesehen ist.

Menschenrechte gelten universell und niemand braucht mehr als die eigene Menschlichkeit um zu dieser Party eingeladen zu sein.
Niemand braucht mehr als das, um ganz üblich in seiner Würde und seinem Wert unangetastet zu sein.

Wenn es jedoch um den normierten Alltag geht, wird eine andere Party gefeiert, denn hier muss niemand über die eigene Menschlichkeit nachdenken.
Hier sind alle Menschen, die nicht vor der Treppe am Eingang, der Beschaffenheit der näheren Umgebung oder dem sozialen Code zum Einladungserhalt (und vielem mehr) gescheitert sind.
Es ist schwierig sich als gleichartiger Mensch zu erleben, wenn man permanent gezwungen ist, eine Subparty vor der Haustür oder im Begegnungszentrum drei Blocks weiter zu veranstalten und sich selbiges auch noch schön zu reden, weil „es ja auch schlimmer sein könnte und man ja niemanden zwingen kann, die Party einfach grundsätzlich woanders zu starten“.

Es ist diese fatale Normalität des Ausschlusses und der Abgrenzung, die mich unnormal macht und mir aufbürdet mich einzugliedern und anzupassen, um als Mensch anerkannt zu werden.

Ich will nicht normal sein, um besser und wertvoller zu werden, als ich jetzt bin.
Ich will normal sein, um von Staat und Gesellschaft als Mensch anerkannt zu werden und den täglichen Kampf um Gleichberechtigung, Partizipation und Selbstbestimmung beenden zu können.

Am „internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“, geht es darum, genau das deutlich zu machen.
Egal, ob jemand ausschließen will oder nicht – egal, ob jemand behinderte Menschen ausgrenzen will oder nicht – egal, ob jemand “nichts gegen Behinderte hat” oder vielleicht doch – egal, wie gut oder schlecht eine nicht dauerhaft und global behinderte Person einer behinderten Person das Leben ermöglicht – der Ausschluss und die Entmenschlichung behinderter Personen ist real und passiert jeden Tag.

Das aufzuzeigen und/oder in Erinnerung zu rufen, ist alles, was so ein spezieller Tag leisten kann.
Etwas dagegen zu tun und die Universalität der Menschenrechte in die Lebensrealität aller Menschen gleich zu implementieren, das ist etwas, das mehr braucht.

Man muss es aber gewähren wollen.
Ohne selbst etwas dafür zu verlangen.

ein weiterer Faden

Ich habe heute morgen gemerkt, dass ich gerade das 16-17-fast 18 jährige in mir betrauere und bemitleide. Nicht, weil es so lange in einer Klinik sein musste, sondern weshalb es dort sein musste.

Als ich meinen Artikel über die Wahl zum Suizid geschrieben habe, gab es einen Kommentar,  den ich nicht freischaltete, weil er mich angebrüllt hatte. Da ging es darum, was man denn meiner Ansicht nach machen sollte, wenn sich jemand suizidieren will und man damit konfrontiert ist (die von mir aufgeführten Vorschläge zählten offenbar nicht als Idee)
Heute würde ich antworten, dass man Menschen auch Gründe und Perspektiven für ein Leben geben
und dafür sorgen muss, dass sie diese Perspektiven auch verfolgen können, wenn man von ihnen zu leben verlangt. Ansonsten ist der Anspruch an suizidale Menschen, gefälligst am Leben zu bleiben, nichts weiter als ein reaktionärer, egoistischer Kackscheißanspruchhaufen, der nichts mit dem suizidalen Menschen zu tun hat.

Als ich Ende 2002 in diese Kinder- und Jugendpsychiatrie kam, hatte ich keinen Sinn frei für solche Dinge und auch das hatte Gründe, die ich bis heute gut nachvollziehen kann. Selbst heute habe ich in ähnlichgleichen Lagen noch immer eher Suizidgedanken, -pläne, -ideen , als die Selbst-Sicherheit und die Möglichkeit mich allein zum Weiterleben zu befähigen.
Dass Leben so wahnsinnig viel mit Befähigungen zu tun hat, die weit mehr als kognitive oder körperliche oder auch soziale Fähigkeiten, die man auf irgendeine Weise erlernen kann, meint, habe ich durch diese Reise und die Gespräche mit der Kliniktherapeutin und auch der Klinikschulenlehrerin aus der Zeit, einmal mehr verstanden.

Zu der Zeit _konnte_ ich nur noch nicht leben wollen.
Mir sind einige Situationen gefallen, in denen ich mich heute “reaktives Hörnchen” nenne. Oder “flattrig zittriges Espenblatt”.
Ich hatte ja keine Ahnung von Traumafolgen, von Stressphysiologie und der Mechanik des Grauens.
Wenn man 16 ist, dann ist man genau in dem Stück Entwicklung, in dem Geister als Unfug markiert sind – der Lauf der Dinge aber, vor allem an sich selbst, so voller Zauber, Magie, ungreifbarer Wunder ist, dass das eigene Wachsen und Erkennen nicht nur auf der sozialen Ebene absorbierend sein kann.

Ich hatte keine Worte dafür, weil ich dissoziierte, was da in mir waltet. Damals habe ich von einem Tag vielleicht 5 bis 10 % bewusst aufgenommen und vielleicht 1% als Idee von dem Hauch einer Ahnung der Essenz des Lebens als Lauf der Dinge, aktiv in mir gehalten. Ich war von Angst absorbiert und bin es bis heute in gewissem Maß.
Heute kenne ich die Graustufen meiner Angst – ich habe eine Skala von Panik & Knock out bis Unruhe & Anpfiff zum Vermeidungstanz.
Die Skala damals war von […Wortlos…] bis Tavor/Fixierung/Paniksymptome.

Sogar die Medikamente kann ich jetzt mehr als Hilfe stehen lassen.
Nach dem, was ich von den jugendlich kindlichen Innens hinter mir aus dem Gestern ins Heute schwingen fühlte, müssen sie sich oft als eine Insel dargestellt haben, was mir wiederum die Benzodiazepinabhängigkeit als junge Erwachsene noch besser erklärt.
Wenn es nichts und niemanden auf der Welt gibt, außer eine chemische Reaktion, die zum Atmen und Wahrnehmen befähigt, wie es “alle” verlangen – tja, dann eben chemische Reaktion und das Gefühl “alle” zu belügen in Sachen “sich keinen Schaden zufügen”.

“Die Umstände, in denen ich leben musste, waren oft lebensfeindlich.”
Das ist mir als Gedanke auch gekommen und erklärt mir die Selbst-Bilder einer Assel, einer Kakerlake, eines grüngesichtigen Mutanten unter einzelnen jugendlichen Innens. Auch da wieder: eigentlich wussten und wissen sie: “Ich bin ein Mensch” –  sie wussten und wissen aber auch: “Was ich damals zu leben – zu überleben gezwungen wurde, hatte nichts menschenwürdiges, nichts menschliches – erfordert aber bis heute zum Teil noch Fähigkeiten, die nicht mit Menschlichkeit benannt werden”.
Es bestärkt mich noch einmal mehr darin meine Armut auch Armut zu nennen. Diese Lebensumstände, in denen es eben doch noch existenzielle Angst und globales Ausgeliefertsein ganz real greifbar immer wieder gibt, nicht zu relativieren, weil irgendjemand anderes eine andere Sicht darauf hat. Es bestärkt mich in meiner eigenen Einschätzung über mein Leiden und auch Leben. Wenn ich es als furchtbar wahrnehme, dann ist es furchtbar. Wenn ich das Gefühl habe, es ist unaushaltbar, dann halte ich es nicht aus.

Ich erinnerte mich daran, wie es nach der Entlassung aus der Klinik dort war und ich umgeben von Menschen, die Forderungen an mich stellten, denen ich nicht gerecht werden _konnte_. Wie das war, als es plötzlich hieß, ich würde hysterische Rollenspiele abziehen, um betüddelt zu werden. Als “alle Welt” (und ja, so eine Welt kann auch nur eine kleine Kreisklapsenstation umfassen, wenn sich sonst niemand mehr nach einem erkundigt und die Welt hinter dem Klinikzaun endet) dachte, ich würde es nie raus schaffen. Als “alle” davon ausgingen, ich würde nie 19 Jahre alt werden.
Ich hatte mich in zurück in das reaktive Hörnchen verwandelt, das die Zeit vor dem langen Klinikaufenthalt so gut überstanden hatte.

Klar, brauchte es Jahre zu glauben, dass ich mich auch als Mensch wahrnehmen darf. Klar, habe ich mich an Menschen gehängt, die mir ihre Selbstzerstörung als selbstverständlich heldinnenhaft vorlebten und bis heute anderen hilflosen, verzweifelten Menschen vorleben. Klar, habe ich jahrelang versucht in Arbeit, Leben und Leben lassen zu kommen, wie es die Gesellschaft ™ verlangt.
Obwohl diese mein Fehlen nicht merken würde, wie sie das Fehlen aller, die ohne Stimme sind, nicht bemerkt.
Selbstverständlich verzweifle ich regelmäßig daran, dass Forderungen an mich gestellt werden, die eine Veränderung an oder in mir meinen und negieren, dass ich auch in Reaktion auf Dinge, die um mich herum verändert werden müssten, lebe.
War doch die Erkenntnis auf etwas zu reagieren so ein wichtiger Schritt zu verstehen, was mit mir passiert.

Das ist die Wahl, die die Menschen treffen, die mit mir zu tun haben.
Entweder erkennen sie die Mechanik des Grauens in mir an und sehen meine Reaktionen [das Symptomcluster das letztlich dann DIS heißt] oder bleiben bei einer Sicht auf mich, die einzig das Außen umfasst und implizieren einen Plan, einen Willen, eine Absicht.
Manche Menschen sind vielleicht auch mutig und trauen mir je nach Situation beides zu. Lassen beides in meinem Leben und meiner Er-Lebensrealität einen Platz haben und erkennen an, dass uns nicht sehr viel unterscheidet.

Ich bin traurig darüber, dass ich, die heute jungen Innens, damals so wahnsinnig viel Angst hatten und haben mussten, obwohl wir uns in relativer Sicherheit befunden haben.
Ich bin traurig darüber, dass ich eine Bewertungsdynamik von außen erst jetzt in mir merke. Nämlich, dass ich selbst so oft zwischen HelferInnen*seite und Seite derer, die Hilfe brauchen oder erbitten, trenne und auch werte.

So drücke ich auch deshalb den Wert meiner Arbeiten und verlange weder aktiv Honorare noch bestehe ich auf angemessene Beiträge zur Unterstützung, weil ich ja nur veröffentliche, was in meinem stinkenden Höllenloch des “Inmitten von mir” gereift ist und raus muss. Ich habe ja nichts gelernt, bin ja nur aus Versehen überhaupt noch da.

Zum ersten Mal bin ich auch traurig darüber, dass ich mich selbst noch immer so sehr hasse, widerlich finde und bis heute über Platz im Herzen anderer Menschen wundere, weil ich etwas anderes noch immer nicht _kann_ – obwohl ich inzwischen auch keine Gesten, die etwas mit Wertschätzung meiner Arbeit oder auch meiner Person zu tun haben, ablehne, weil ich sie zu (er)tragen gelernt habe.

Ich bin traurig, dass ich erst jetzt auch merke: mein Selbsthass war nie die Entscheidung, die mir unterstellt wurde mit jedem: “Du musst dich einfach mal toll finden- geh doch mal raus- der erste Freund macht das alles gut- du musst dich mal zurecht machen, dann siehst du wie schön du bist – du musst nur mal glauben, was andere Positives über dich sagen”.
Mein Selbsthass ist genauso sehr auch Reaktion auf den Hass, der in mich eingebracht wurde, wie eingeschliffenes Muster der Selbstbetrachtung.

Es ist traurig und bitter, Hass als Motiv neben Erklärungen wie “hat eben auf etwas Falsches von mir reagiert” , “ich bin eben…”, “ich hätte halt…”, “er/sie/* ist ein kranker Mensch, deshalb….”, “er/sie/* wusste es nicht besser…”, “er/sie/* hatte ja auch keine andere Wahl…”, “er/sie/* ist SadistIn* und deshalb…” und so viele mehr, die wie ein Karussell in mir herumkreiseln, zu stellen.

„Es ist okay zu trauern“, denke ich.
Und starre mich gleichzeitig fassungslos an.

„… dass ich sowas _kann_ …“

unspeakable inhumanity ~ strukturelle Gewalt

OLYMPUS DIGITAL CAMERAda war sie wieder: die Begrifflichkeit „unspeakable inhumanity“
Ich kenne sie. Nutze sie aber nicht. Zumindest nicht so.
Als ich mich mit dem Überleben und den Überlebenden der Shoa auseinandersetzte und dann irgendwann bei einem der vielen amerikanischen „researchprojects“ wiederfand, stolperte ich auch schon über diese Formulierung.

Diese Begrifflichkeit verbindet zwei Dinge miteinander, die im großen Rhizom um die Fragestellungen, die Gewalt an uns als Menschheit stellt, immer wieder auftauchen.
Zum einen die Frage nach der eigenen Menschlichkeit-der Menschlichkeit als solcher, die, meiner Meinung nach, noch immer nicht klar definiert ist und zum Anderen, die nach der Sprache und ihrem Fassungsvermögen, als Transportmittel zum Begreifen innerhalb menschlicher Fähigkeiten zu ebenjenem.

Gäbe es so etwas, wie „unspeakable inhumanity“, wüssten wir* nichts davon, denn Unsagbares, kann nicht vermittelt werden.
Gäbe es so etwas, wie „inhumanity“ also Unmenschlichkeit, als Option eines direkten Handelns als Mensch, dann müssten wir Menschen entweder unsere Selbstbezeichnung verändern, oder anerkennen, dass wir uns eigenständig aus unserer genetischen Struktur herausbegeben können, wie transmorphe Fabelwesen, denn Menschen sind immer Menschen- egal, was sie tun.

Trotzdem transportiert dieses Wortpaar etwas.
 In meinen Augen ist es der Versuch eine überfordernde Kraft oder Macht zu beschreiben, die von Menschen ausgegangen ist oder ausgeht.
Obwohl alles Handeln von Menschen menschlich ist- also nur innerhalb menschlicher Fähigkeiten, passieren kann, ist es durchaus Teil menschlicher Fähigkeit, zu abstrahieren und zu diffundieren, wie auch die Fähigkeit zu transponieren und zu assoziieren. So werden zum Beispiel aus „Tante Ilse und Onkel Kurt“ in einem anderen Kontext zu „Kundennummer 1 bzw. 2“.
Diese Leistung erscheint vielleicht nicht besonders groß, da die Inhalte die an „Tante Ilse und Onkel Kurt“ gebunden sind, unbekannt sind. Dieser Umstand erleichtert das Abschneiden dieser Inhaltscluster, (wie es ja bereits die Begriffe: „Onkel“ und „Tante“ durch das Abschneiden ihrer Inhalte- nämlich die die Schwester oder der Bruder der eigenen Mutter/ des eigenen Vaters zu sein, tun).

Meiner Ansicht nach ist diese Leistung aber groß.
 In meinen Augen ist es eine Fähigkeit, die sich proportional zur Fähigkeit der Selbstversorgung eines Menschen bzw. seiner Machtrefugien verhält. Es ist nicht wichtig zu wissen, in welchen Verwandtschaftsverhältnis zum Beispiel Onkel und Tante tatsächlich zur eigenen Person stehen (ob sie an Mutter oder Vater gebunden sind), wenn weder Onkel noch Tante noch Mutter noch Vater gebraucht werden, um diese Menschen in meinem von mir zu definierenden Bereich zu positionieren.
Der Bereich über den ich als Person die Macht habe, braucht nur so viel, wie ich brauche, um ihn zu erhalten.

 Würde ich also ergo ein Geschäft leiten, wäre die Notwendigkeit eben nicht an Onkel und Tante, sondern an Kundschaft, die in Hoffnung auf ein nachvollziehbares (definierbares) Wachstum nummeriert wird.

Es gibt Machtbereiche in denen Namenlosigkeit eine Säule dieser Machtbereichssicherung darstellt.
Als Fragestellung bliebe hier, ob dies als Angriff auf die Identität dessen was mit einem Namen belegt sein könnte zu werten ist, oder es sich tatsächlich um ein System handelt in dem Selbstbild, Identität und Identifizierung aus der Position eines Namen/Identität zugestehenden Systems heraus, als solche schlicht nicht nötig/ gewollt und aktiv unterbunden ist.

An dieser Stelle ist das Konzept „Jobcenter“ für mich spannend, weil es die Frage nach demjenigen aufwirft, der Machtgewinne erfährt.
Die bedürftigen Menschen
– (im Staatsmachtsystem „BürgerInnen“ genannt (Inhaltscluster: muss sich an die Gesetze halten, die u. A. sagen: „Geh zum Jobcenter, wenn du kein Einkommen hast“- ergo bereits hier nicht als „Mensch“ anerkannt)-
werden zu KundInnen des Jobcenters
– (Inhaltscluster: KundInnennummer- (als Teil einer Statistik im weiteren Verlauf der Diffusion) und gleichzeitig VertragspartnerIn (seines/ihres Zeichens menschlich- denn mit Tieren/ Pflanzen werden keine Verträge geschlossen)- ist der Macht des Jobcenters* komplett unterworfen, da existenziell abhängig)

Die MitarbeiterInnen des Jobcenters
 – (im Staatsmachtsystem „BürgerInnen“ genannt (Inhaltscluster: muss sich an die Gesetze halten, die u. A. sagen: „Wenn du arbeitest, hast du dich an deinen Arbeitsvertrag zu halten“)
werden zu SachbearbeiterInnen
– (Inhaltscluster: MitarbeiterInnennummer- (als Teil einer Statistik im weiteren Verlauf der Diffusion) und gleichzeitig
VertragsvermittlerInnen zwischen „dem Jobcenter*“ und den KundInnen, die im Laufe der Jahre an ihnen vorüberziehen – dem Jobcenter* in sofern unterworfen, als dass die Arbeit und damit das Mittel zur Sicherung der eigenen Existenz durch den Arbeitsvertragspartner definiert wird)

In Anbetracht der Tatsache, dass als MachthaberIn hier allein ein Name (Jobcenter*) auftaucht, sollte die Frage nach der Menschlichkeit des Systems „Jobcenter“ hinreichend geklärt sein.
 Nun mag der berechtigte Einwurf kommen, dass es sich bei der Agentur für Arbeit (Jobcenter*) um ein ausführendes Organ handelt- es bleibt dennoch ein System, das von vornherein, nicht als Mensch vor einem Menschen auftaucht und sich eben darum auch die Verunmenschlichung von BürgerInnen, die- fern aller Machtbereiche- Menschen sind, erlauben darf, was wiederum, meiner Meinung nach, etwas ist, das der Staat, der sich als solcher verpflichtet hat, die Menschen als solche zu schützen (vor eben jenem Umgang als Nichtmensch), als Aufgabe zur Durchsetzung im Grundgesetz stehen hat.

Was hier als strukturelle Gewalt (Unterwerfung/ Ausgrenzung/ Dominanz mittels eines verunmenschlichenden Systems) bezeichnet wird, ist gleichsam als „inhumanity“ betrachtbar, da es sich um ein System handelt, das als System (Nichtmensch) nur unmenschlich auftreten kann.

Dies als Faktum akzeptierend sollte nun verdeutlichen, dass alles Einfordern einer Menschlichkeit- gar die Gewährung diverser Menschenrechte gerichtet an „das Jobcenter*“/ „die Krankenkasse*“/ „die PolitikerInnen*“ sinnlos ist und niemals zu Erfolg führen kann.
Es ist eine Forderung, die an eine vom Staat wegdiffundierte Verantwortung gerichtet ist, welche wiederum in sich ein Produkt aus Sicherungsgier und Gewaltexistenz ist.

Diese Problemstellung ist transponierbar.
Am Ende steht, dass es Unmenschlichkeit nicht gibt, nur unmenschliche Systeme, die von Menschen gemacht sind, die alle Gewalten in ihrem Leben internalisieren, auf ihr Leben transponieren, alle Werte, die ihr System nicht braucht, abschneiden und anderen Menschen oktruieren oder sie dazu bringen, davon zu profitieren (sie in eine Mitverantwortung zu bringen).

Fortsetzung folgt

die * stehen hier für all Variablen, die durch die Eingrenzung mittels Artikel vor dem Wort abgeschnitten werden bzw. beim „wir“ als „wir als Menschheit mit allen Facetten“

 

ein Mensch sein?

Hast du vergessen, dass du ein Mensch bist?

Da ist dieser Moment, in dem es wieder hochwallt. Das Gefühl ein Es zu sein, ein „da mit Eigenschaft“ oder „eine Fähigkeit mit Kompatibilitätsoption“.
Keine Seele, kein Kürschnörkel, der in den Himmel lacht und Gräserspitzen unter seinen Fingerkuppen fühlt.

Dumpf und sprachlos, der Atem eine feine Linie nah über dem Boden und doch da. Es geht immer weiter gerade aus, in einem starren System, inmitten von Begrenzungen, die allein dem gelten, was schon längst zur fernen Idee einer Idee eines Wunsches zur Erfüllung eines dieser Kürschnörkelbedürfnisse verblasst ist.

Du darfst das

Irgendwann mal habe ich gelernt, warum sich Pupillen vergrößern und verkleinern. Lange dachte ich, dass es etwas damit zu tun hat, das Leben in seinen Kopf zu saugen. Das Licht in sich hineinzusaugen.
Es ist kein religiöses Denken, das Leben für das Licht zu halten.

Wenn es erst hell wird, wenn jemand kommt, um Wasser auf den Flächenbrand von Hunger und Durst zu schütten, dann wird das Leben zum Licht.

Wenn Schmerz sich lohnt, weil es hell wird, etwas bewirkt ist; man ein „da mit Fähigkeit“ wird und am Ende eine Art Rettung steht,
dann ist das Leben Licht.
Und kurz sogar Energie.

Du bist
am Leben

Vielleicht ist der Nebel, den ich die ganze Zeit mit herum trage und, der, wie mein Atmen, nah über den Boden wabert, die Antidichte zur Stille um mich gewesen.

Ich sehe sie da stehen. In der Mitte. Genau ausgerechnet mit dem unveränderlichen Maß ihrer Füße. Das Album von Britney Spears singend.
Bis sie zerdrückt war und ihre Scherben zu den Hürden wurden, über die andere hinwegrobbten, um an Wände, Widerstand und Grenzgefühl zu kommen.
Im Kino gibt es zu solchen Momenten epische Hintergrundmusik.

Den Momenten, in denen man vergessen hat, ein Mensch zu sein.

„Hab ichs geschafft?“ eine Luftblasenfrage.
„Ja, mein Herz, du und wir alle, haben es geschafft.“ ein einzelner Stein an dem sie zerplatzt.

Sperrkunst2

Menschen mit („geistiger“) Behinderung und Diskriminierungslotto

Ich hatte gerade Besuch der zum kollektivem Anfall von Tischplattenzerstörung mittels Kopf aufrief.
Grund für die Aufregung: Diskriminierung im Vorbeigehen, noch während man sich mit der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzte (schlimmstes Autsch dabei: in einer Gruppe von Menschen die irgendwann mit der Aufgabe der Inklusion von Menschen mit Behinderungen betraut sein wird)
Auslösender Satz: „Ach bei geistig Behinderten ist die Sache mit dem Geschlecht ja nicht so wichtig, weil die ja eh keine Sexualität leben bzw. Kinder bekommen.“
Ruf in die Reihen jener mit etwas mehr Awareness, als ein Stück Toast: Ihr dürft jetzt von den Wänden wieder runterkommen- schlimmer gehts immer- wird es aber heute nicht.
Wo man hier anfangen soll, ohne sich zu verzetteln und möglichst noch einen Augenöffner zu reichen…
Hm, ich probiers mal mit der Begrifflichkeit.
„Behinderte“ ist in meinen Augen das reduzierenste Nomen, welches für die Benennung von Menschen mit Behinderungen derzeit immer noch verwendet wird. Es ist ein defizitzentriertes Wort, dass den Kern der Bedeutung unterschlägt. Es verschweigt, dass man von einem Menschen- einem lebenden, fühlenden Wesen spricht.

Lebende fühlende Wesen haben eines gemeinsam: sie wollen alle leben und (die meisten) sind von Natur aus in der Lage dieses Leben mittels Sexualität weiter zugeben.
Dies tun sie entsprechend ihrer genetischen Codierung als männliche, weibliche oder auch hermaphrodite (bei Menschen: intersexuelle) Parts.

Und zack: haben wir was im Zentrum?
Einen Menschen, der weiblich oder männlich oder intersexuell ist- ergo einem Geschlecht
(ja ich fasse auch die Zweigeschlechtlichkeit als eigenes auf) angehört und ergo berechtigt ist, dies mit allen Problemstellungen drum herum anerkannt zu bekommen.
Warum gerade dies so wichtig ist?
Jede dritte Frau* (biologisch als weiblich klassifizierter Mensch) erfährt in ihrem Leben sexuelle Gewalt auf irgendeinem Punkt in dessen breitem Spektrum. Das Risiko dafür ist höher, liegt eine Behinderung vor.
Für das Risiko dem Männer* (biologisch als männlich klassifizierte Menschen) ausgesetzt sind, fand ich keine aktuelleren Zahlen,als jene die die sich bei
gegen-missbrauch.de finden lassen. Ein Eintrag übrigens der sich für alle lohnt, die Zahlen zum Thema „sexuelle Misshandlung + Menschen mit Behinderungen“ suchen, genauso wie die PDF von Werner Brill aus dem 90 er Jahren.
Warum noch?
Mir persönlich erscheint es wie Relikt aus der NS- Diktatur (auch, weil ich mich mit dem Umgang mit Menschen mit Behinderung vor den 30 er Jahren noch nicht auseinandergesetzt habe- da Schmerzgrenze bereits erreicht), doch noch immer wird Menschen mit („geistigen“) Behinderungen keine eigene Identität einfach so zugestanden. Schon gar nicht ein reifes- ausgeklügeltes inneres Universum wie alle „anderen“ Menschen eines in sich tragen. Schauen sie mal in den nächsten Artikel über eine Wohngruppe von Menschen mit Down-Syndrom- was meinen sie: Haben diese Menschen wohl auch Nachnamen? Haben Sie den Eindruck, wenn Sie so einen Artikel lesen, dass es um Menschen geht, die komplexe Gefühlsverflechtungen in sich tragen und mehr im Kopf haben, als den Lieblingssportverein?

Menschen, die auch lieben können?254467_web_R_K_B_by_Stephanie  Hofschlaeger_pixelio.de

Menschen, die auch körperliche Liebe leben?
Menschen, die wissen, wie man körperliche Liebe lebt?

Menschen, die vielleicht auch mal aufgeklärt werden müssen, damit ein einvernehmlicher, sicherer und auch befriedigender Umgang damit gefunden werden kann?
Menschen die sich vielleicht auch ab und an mal fragen: „Hm- ich finde die Anke ja ganz schön und toll, aber dürfen Mädchen und Mädchen eigentlich…?“ ?

Menschen, die ganz genau die gleichen Verwirrungen im Bezug auf sich und ihre Geschlechtszugehörigkeit (sowohl biologisch als auch sozial!) verspüren können?
Menschen sind Menschen und jeder Einzelne ist fähig im Rahmen seiner Fähigkeiten bzw. Möglichkeiten menschliches zu tun, zu denken, zu fühlen.
Die Zeiten in denen man Menschen mit geistiger Behinderung einfach mal eben so eine Kastration unterjubelt sind dem Himmel (und all den engagierten Fürsprechern dieser Menschen) sei Dank vorbei. Das Thema „(„geistige“) Behinderung und Sexualität“ kommt endlich auf den Tisch und da hat es auch drauf zu bleiben!

Wir sprechen von Menschen, die die gleichen Rechte haben, wie alle Menschen ohne Behinderungen (zumindest in weiten Teilen und auf dem Papier- denn machen wir uns nichts vor: wirklich NUTZEN können viele so abhängige Menschen ihre Rechte nur, wenn sie wirklich gute Fürsprecher und ein barrierefreies Umfeld haben- und daran mangelt es ungeheuer!).
In dem Satz ist übrigens noch eine fiese Verstrickung drin: der Zusammenhang zwischen dem Körpergeschlecht und dem Ergebnis der Fortpflanzung. Tut mir leid den Einen oder Anderen von seiner rosa Wolke zu holen, aber wer von den beiden Eltern wird der Teil sein, der sich um das Kind unter Umständen auch allein (bzw. dann im Rahmen einer speziellen Betreuung o.Ä.) kümmern werden muss, wenn das andere Elter sich trennt?
Auch unter Menschen mit Behinderungen gibt es Sorgerechtsstreits und zack befinden wir uns in einem Sumpf aus sexistischer, ableistischer und struktureller Diskriminierung par excellance. Und wer wird verlieren? Es ist immer der mehrfach diskriminierte Mensch und da im Diskriminierungslotto nachwievor die Gewinner weiblich (bzw. als solche klassifizierte Menschen) sind, ist auch hier „die Sache mit dem Geschlecht“ extrem wichtig!

Und nun einmal meine Sprachknall-Preisfrage:
Würde man nicht immer von „Behinderten“ sprechen- wäre ihnen die Menschlichkeit der Menschen mit Behinderungen in Bezug auf die hier aufgeführten Punkte, auch so abhanden gekommen?

Wie wär´s mit der Kategorie Mensch?

Jemand sucht eine Kategorie für sich.
Ich schlage “Mensch” vor und stoße auf Unverständnis bei einem Dritten.

Und stehe wieder da und wundere mich.
Nicht böswillig oder wütend. Einfach nur verwundert. Und auch traurig.

Das Finden von für mich-uns passenden Kategorien war eine sehr lange Zeit, Dreh- und Angelpunkt im Leben. Und oft genug wurden dann diese zum Leben selbst. Zum Hauptentsprechungsrahmen.

Das fing für mich ganz deutlich an, als die Diagnose der DIS stand.
Immerhin- hier dachten Innens sie müssen sich regelmäßig auf eine bestimmte Art verletzen, um “die Würmer aus ihrer Seele rauszukriegen”; dachten, sie stürben jeden Moment an malignen Hirntumoren; dachten welche, sie seien schon unheilbar geisteskrank auf die Welt gekommen- selbstverständlich haben wir uns in das Selbstdefinitionskleid gewandet, das uns am Besten passte!

Und völlig logisch haben wir vehement (an manchen Stellen auch zu vehement) selbiges verteidigt, wenn wir dachten, jemand wolle uns das absprechen. Und völlig logisch, haben wir uns eine Filterbubble aufgepustet, die nur aus gleichsam betroffenen Menschen bestand.

Nur haben wir dabei sehr oft etwas übersehen, nämlich, dass es sich dabei um nichts Globales handelt. Dass, das nicht alles ist, was uns ausmacht.

Das ging für uns schon damit los, dass wir merkten, dass es selbst innerhalb unserer Filterbubble/ Kategorie noch Unterschiede gab. Da gibts den Berufsmulti, den Leidensmulti, den heroisch-fauchenden-komm-mir-nicht-zu-nahe-Multi, den körperlich eingeschränkten Multi, den Multi mit Hintergrund X/ A/ B /C…
´”Buuuhuuu” saßen wir dazwischen und dachten: “Nicht mal hier hin gehören wir!”. Was mir rückblickend total absurd vorkommt- aber naja. Ich glaube, jeder Mensch macht diese Erfahrung. Nur in anderen Kontexten vielleicht. Später machte ich ja auch die Erfahrung, dass jede “Themenbubble” in sich ähnlich aufgeteilt ist.

Jedenfalls litten wir schon ziemlich darunter, uns nicht so gemeinsam mit den Menschen in der Filterbubble fühlen zu können, wie wir das eigentlich gewollt hätten. Und tun das noch heute- siehe Drama um die Selbsthilfeforen. Sowas nimmt uns immer wieder richtig schwer mit, obwohl wir wissen und uns vor Augen halten können, dass Gemeinsamkeit schlicht zwei Seiten braucht die aufeinander zugehen und nicht jeder, der sich von uns abwendet oder die Gemeinsamkeit mit uns ablehnt, direkt etwas gegen uns als Person haben muss.

Ich begann darüber nachzudenken, was mich ausmacht und wo ich vielleicht eine Gemeinsamkeit empfinden könnte. Und machte damit einen Schritt, der mir- uns heute sehr hilfreich ist.
Ich rannte nicht mehr auf Grenzen zu, “um zu sehen wo mein Schutz aufhört” (wie es mal ein Innen formulierte). Ich ging an die Grenze und schaute nach Gemeinsamkeiten.

Wir haben uns sehr lange Objektifizieren lassen müssen und begehrten auch nicht auf, als dies nach der Befreiung weiter ging- allerdings auf einer anderen Ebene. Wir kannten nichts anderes- wurden nicht anders behandelt. Da war niemand, der mir dies über mich konkret formuliert rückgemeldet hätte.
Das Opfer
Die Diagnose
Der Klient
Der Patient
Die Fallnummer
Das Beispiel
Das DAS Das ES
das nicht näher definierte Etwas

Ich erinnere an dieser Stelle mal an den Umbruch, den ich damals hier schon einzufangen versuchte. Wir begannen uns übers Mensch-Sein Gedanken zu machen, weil uns unsere Therapeutin einfach so annahm. Und völlig selbstverständlich von unserer Menschlichkeit zu543897_web_R_K_B_by_uschi dreiucker_pixelio.de sprechen begann und uns vermittelte, dass sie uns als Gesamtperson- als Mensch-  mit allen die wir da waren- sie anmeckerten, idealisierten, mochten, hassten, rempelten, stupsten, belächelten, bewunderten, sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, anders liebten, sie verachteten…- sah und akzeptierte.
Plötzlich breitete sich der Rahmen aus. Unsere kleine Selbstdefinitions/ Kategorien/ Filterbubble dehnte sich in alle Richtungen aus. Aus der grundlegenden Akzeptanz, der Innens, die nicht in der Lage sind sich anders auszudrücken, als sie es tun, wurde eine Akzeptanz dessen in allen Menschen.
Wir gingen an den Rand und guckten was andere Menschen denn auch so machen und in sich tragen…

Das ist etwas, das uns sehr viele Möglichkeiten eröffnet mit anderen gemeinsam zu sein. Uns zu verbünden und einander Gutes zu tun. Dinge zu teilen und zu vermehren. An einander zu wachsen, weil man sich gegenseitig halten kann. Miteinander für oder gegen Dinge zu kämpfen. Schutz und Wertschätzung zu erfahren durch Gemeinschaft.

Als wir uns  noch auf nur einen Teil unserer Globalität konzentrierten, weil uns dieser vorkam, als würde er alles an und in uns erklären, konnten wir kaum etwas teilen. Da konnten wir auch kaum etwas geben. Und entsprechend auch nicht wirklich gemeinsam sein. Weder innen noch außen.

Alles was uns daran gehindert hatte in der ganzen Zeit vorher, war, dass wir niemanden hatten der uns das genau so vermittelt hatte und zeigte, wie es konkret geht. Wie “man es genau macht”.
So bin ich sehr traurig wenn ich merke, das jemand eine umschließende Kategorie für sich sucht- gerade, wenn er so oder so schon in einer drin steckt, die ihn nicht einmal als global-mehrdimensionales Wesen anerkennt oder gar benennt. Dann denke ich, dass derjenige unglaublich einsam sein muss und niemanden hat, der ihn wirklich annimmt.

Ich schrieb vorhin bei Twitter:
Gruppenlabels sollten immer Add-Ons sein- nie das Maingame

und so sehe ich das auch.
Statt jedes Mal, um auf etwas aufmerksam zu machen, einen Oberbegriff oder eine viele Facetten ausblendende Kategorie zu kreieren, sollten wir uns öffnen und uns mit jenen verbünden, die alle diese Facetten annehmen und mit ihnen gemeinsam und gut miteinander zu sein.
Und sei es, dass wir uns dabei auf unser aller grundlegendste Gemeinsamkeit berufen.

Unser Menschsein.

Die Gruppenzugehörigkeit kann ein Sahnehäubchen sein. Das Schöne eben, das einen ganz bestimmten Teil in uns berührt und hält. Aber bitte nicht so, als gäbe es nur diesen Teil. Das führt nur zu Spaltung. Und wie tief Spaltung greift, wie verletzend, verstümmelnd und auch einsam machend diese sein kann, weiß- so denke ich- jeder von uns.
Auch ohne, so wie ich, in sich drin gespalten zu sein. (Hint: da ist eine Gemeinsamkeit haha)

der bestmögliche Mensch

Der bessere Mensch

Es ist es nicht interessant, wie wir uns selbst gegenseitig schon mit der Formulierung abwerten? Wer oder was definiert, wer ein schlechter oder guter und wer ein besserer oder schlechterer Mensch ist? Ist es das, was er tut oder das, was er lässt? Macht uns eine bestimmte Meinung besser als andere? Macht uns ein Weltbild oder die Auffassung von selbiger zu einem besseren Menschen?

Warum reicht uns Menschen nicht, die Annahme, dass jeder Mensch der bestmögliche Mensch ist?
Warum müssen wir immer ein Wertgefälle erzwingen, wo gar keines nötig ist?

Ich hatte mal einen Artikel darüber geschrieben, dass ich denke, dass wir Menschen es uns eigentlich leicht machen sollten und uns eine gewisse Art “Tiersein” zugestehen sollen.
Unser Hund ist immer der bestmögliche Hund für uns. Sie ist immer die Tollste- ganz egal ob sie sich schon zum 3ten 4ten oder eine Millionsten Mal in Dreck gewälzt hat, mir den x-ten dicken Knüppel auf die Füße wirft oder einfach immer noch kein Schmusehund ist. Wir wissen, dass sie tut was sie tut, weil sie es tun kann und nicht, weil sie sich besser oder schlechter stellen will.
Genauso wie wir Menschen im Grunde auch nur tun was wir tun, weil wir es können.

Aber immer wieder müssen wir uns aufwerten, Unterschiede noch unterschiedlicher machen, um unsere Individualität nochmal und nochmal zu unterstreichen. Ohne uns zu überlegen- uns bewusst zu machen, was genau wir damit tun und was wir unter Umständen mit diesem Verhalten nähren.

Neulich sind wir mit NakNak* durch den Wald gegangen und es raste uns ein Sportradler entgegen. Kopfhörer auf den Ohren, Kippe um Mundwinkel, bergab durch den Wald. Ich sah NakNak* schon seinen Rädern und rief sie ran, nahm sie an die Seite, hielt sie fest. Der Radler stoppte und schaute mich an. Ich winkte ihm zu, er könne uns nun gefahrlos überholen (als wäre NakNak* oder ich die Gefahr- nicht er in seiner stumpf-rücksichtslosen Art durchs Naturschutzgebiet zu donnern). Er aber blieb oben und schrie (!) mich an, ob ich mir denn jetzt wie ein besserer Mensch vorkäme.
Ich war erschreckt, sagte nichts, ließ NakNak* laufen und ging weiter. Dachte aber: Hm, ich kam mir zuvorkommend, mich selbst und meinen Hund schützend, feige und defensiv vor- aber wie ein “besserer Mensch”? Er hatte doch nicht seine Biologie verändert, oder?

Wann fühle ich mich besser vor als andere?
Nie. Ich fühle mich nachwievor immer schlechter, wertloser, widerlich anderen gegenüber.
Wann wird mir gesagt, ich sei besser als andere?
Wenn ich einen Wettbewerb mittels einer meiner Fähigkeiten gewonnen oder im Wettstreit mit jemandem war und mittels einer mir eigenen Handlung siegte.
Wann bin ich ein besserer Mensch? Wann und in welchem Kontext kann ich mir besser in meinem Menschsein vorkommen?
Immer dann wenn ein Maßstab zu meinem Gunsten angelegt wird.
Also… zum Beispiel bin ich ein besserer Mensch als mein Hund. Oder mein Laptop. Ich bin ein besserer Mensch, als ein Skelett. Und so weiter.
Aber wenn ein anderer Mensch neben mir steht… Er ist einer- ich bin einer. Homo Sapiens Sapiens. Beide gleich. Hier verbietet sich jeder Vergleich- jede Wertung ist hier fehl am Platz.

Unsere Existenz ist in jedem Fall gleich- immer. Und unser Sein ist ganz grundsätzlich immer “menschlich”.  Unser Verhalten kann schwanken, unsere Empfindungen und unsere Werte ebenso- aber sie alle können nur so weit schwanken wie es unser Sein- das Menschsein- zulässt. Wir Menschen können uns noch so sehr verhalten wie die Tiere- wir werden nie aufhören ein Mensch zu sein. Und wir werden im Vergleich der Tierischkeit immer abstinken gegen echte Tiere.

In der Philosophie des Humanismus geht man soweit, dass man davon ausgeht, dass Menschen in ihrer Menschlichkeit einen Rang erreichen könnten. So seien es „Taten der Güte”  (Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Menschenliebe und Mitgefühl) die Menschen zu besseren Menschen machten. Als unmenschlich gilt wem andere Menschen egal in ihrem Sein und Leiden sind. Auch diese Philosophen erzwangen einen Dualismus, obwohl sie doch- gerade sie!- , sich doch mit dem Menschen auseinandersetzten und dies als etwas typisch Menschliches hätten erkennen sollen! Kein Tier macht so was! Und Pflanzen auch nicht.
Kein Mensch ist fähig zu Unmenschlichkeit. Keiner!

Man kann sich verhalten, als wäre man keiner. Man kann so tun, als sei man keiner. Aber grundsätzlich ist jeder Mensch menschlich.

Und egal was ein Mensch sagt, ob er sich überheblich darstellt, oder arrogant ausdrückt; ob er sich egoistisch verhält, raffgierig, unbarmherzig, sadistisch oder offen brutal; ob er mordet oder unglaublich viele Kinder zeugt; ob er Tiere oder andere Menschen quält oder liebevollen Respekt, Menschenliebe und Solidarität lebt… er ist immer “Mensch”.
Jeder Mensch ist immer der bestmögliche Mensch.

Ich pfeife darauf, ein besserer Mensch sein zu wollen- bin aber unglaublich verletzt wenn mir jemand unterstellt, ich würde mich als ein “besserer Mensch” aufgrund einer Meinung, meiner Fähigkeiten oder meiner Taten betrachten.

Der Punkt an dem ich es mir (uns) erlaubte, mich als Mensch überhaupt anzunehmen und so mir selbst zu erlauben, dass ich einen Platz in der menschlichen Großgesamtheit einnehme, war der größte Frevel, der mutig brutalste Schritt zur Heilung, den wir bisher genommen haben.
Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass wir uns inzwischen wenigstens das ohne Wertedualismus und ohne Tausch im Innen zugestehen können.

Ich bin froh, dass ich unter meine Avatarbeschreibung schreiben kann: “Ich bin ein Mensch”.
Denn für mich galt das lange nicht.
Ich sah mich in meinem Sein wie ein grundlegend schlechtes DING. Ein Es. Ein Objekt. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Menschen eben auch absolut brutal, empathielos und sadistisch gegenüber Menschen sein können. Dass man, um solche Qualen zu erleben, kein Objekt für andere sein muss.

Indem ich meine Gefühle und Gedanken als die eines Menschen annahm, nahm ich auch alles unmenschliche Verhalten von mir und anderen Menschen an. Und als ich das tat, wurde mir eine Wertung und damit eine stetige Quelle von Verletzungen gleichgültig.

Man kann jede Biologisierung für menschliches Verhalten ablehnen, weil sie Dinge ausschließt, die wichtig sind. In Punkto Menschlichkeit aber, sollte sie ganz dringend wieder Einzug finden und getrennt werden von sozialbezüglichen Wertigkeiten.

Alles andere ist die Abwertung der Grundlage unseres Seins als Menschen in dieser Welt.
Wir sind in der Lage auch wertschätzend und liebevoll, rücksichtsvoll und nächstenlieb miteinander umzugehen, ohne besser oder schlechter zu gelten oder gelten zu wollen.