Leben, lernen, Viele sein 2.0

“Du hast doch hier … Foto – Wasser und so Schnecken und Zeugs .. Foto…”, hatte er gesagt, “Willste die nicht auch mit ausstellen?”, hatte er gefragt.
Und Frau Rosenblatt stand da und “antwortete”: “Öh, wurschtel wurschtel blasülz schwallawurschtel…, ja ….?” und die Erde drehte sich weiter.

Es heißt, man lerne für das Leben in der Schule.
In Wahrheit lernen wir gerade eine Facette von Leben, die für uns ganz lange verloren geglaubt war und jetzt auf eine Entfernung herangerückt ist, aus der wir sie betrachten, aber auch erspüren können, wenn wir das möchten. Das sind Dinge wie Anerkennung von Menschen, die weder mit uns befreundet sind, noch einen (staatlich) verordneten Gedeihauftrag an uns haben, noch nur auf uns konzentriert sind. Das sind aber auch Dinge wie, Individualität als nicht störend sondern allgemein bereichernd in einer Gruppe zu erfahren.
Das sind Erklärungen zu Fehlern, die man gemacht hat, um der Erklärung willen. Nicht zur Vermeidung einer Wiederholung oder um einen Status zu belegen.

So funktioniert das Leben nicht. Schon gar nicht unseres. Aber diese kleine Facette davon gibt es und sie funktioniert so. Und wir dürfen sie leben.

Ich merke, dass es mir im Moment sehr gut tut, mal wieder Kontakt mit Menschen zu haben, in dem es nicht um mich geht oder darum, was in der Welt fehlt oder schwierig ist oder sich verändern sollte. Und ich merke, dass es mir gut tut, Hannah Rosenblatt, die gerne fotografiert und rumkunstet und wurschtelt und ein klitzebisschen verquer ist, zu sein und nicht die Hannah Rosenblatt, die sich im Internet öffentlich zu Gewalt, ihren Formen und Traumafolgen äußert und für politischen Opferschutz einsetzt.

Ich muss nicht straight sein, ich muss mich nicht zusammenreißen auf Emails, die mich von oben herab in meiner inzwischen 7 Jahre lange andauernden völlig autonomen öffentlichen Arbeit zu Trauma und Gewalt, zurechtweisen wollen, nicht zu antworten. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern kann tun, was ich eben tue, ohne, dass ich als Konkurrenz oder potenzielle Aufmerksamkeits-Twitterfame-oder “Multiszenenbekanntheits” – Diebin gelte.
Es tut mir gut, einmal Dinge zu tun, die nicht auf einen (vermeintlichen) Status zurückfallen.

Was ich tue ist
dramatische Taschentücher zu zeichnen und als Illustration auf einem Blatt miteinander zu verbinden

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dramatische Kompositionen in Plastikfolien zu ritzen, die später als Tiefdruckplatte verwendet werden

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Gerätschaften zu benutzen, die wir vorher noch nie benutzen konnten

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zu lernen, wie wir mit unseren Gerätschaften auch arbeiten können
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zu versuchen die kleine, fast ganz erwachsene Eule und das Eulenelter, zum Leben zu erwecken

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und  ganz bewusst zu lernen, dass, wenn wir, nach einem langen Tag des Lernens und Erfüllung spüren, einen Sonnenuntergang sehen, das einfach nur bedeutet, dass wir nach Hause gehen, wo uns außer NakNak*s Wiedersehensfreude und Abendbrotshunger, nichts erwartet, was uns genau diesen Tag aus dem Bewusstsein schwemmt.

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Neben all dem Schönen und vielleicht auch durch all den Raum für Kreation und Produktion, brechen Bodenplatten unter uns auf.
Wir verlieren (Therapie-) Zeit, fremdeln mit dem Uns, das wir schon so lange leben, erinnern, statt zu schlafen, zweifeln und k.r.ämpfen.
Wir lernen “die Anderen” kennen.

die Revolution

ÜberblickMir fliegen die Fetzen im Kopf herum und ich weiß nicht wohin. Mit mir, den Fetzen, dem Gestern, dem Jetzt, dem Irgendwann irgendwie und dem, was könnte.
Also schreibe ich.

So mache ich das eben.
Ich schreibe, weil es das ist, was mich morgens aufstehen lässt.
Nicht, weil mich die Wortlust so reizt, ich so gern in Metaphern plansche und mich am Liebsten mit Silben parfümieren würde, sondern weil …

nun, einfach so.

Ich schreibe Wörter ins Internet, weil ich mich in meinem analogen Alltag zu Wort melden müsste, obwohl es eigentlich keinen zentralen zuWortmeldungsannahmeschalter gibt. Man zieht keine Nummer und wartet bis man aufgerufen wird. Wortmeldungen erfolgen so scheinbar willkürlich, wie sie gehört und weitergetragen werden.
Meine Internetwörter dürfen wirr sein. Sind so privilegiert, dass sie auch ohne meinen Sinn mit sich zu tragen, in die Köpfe anderer Menschen ziehen können.

Meine Wörter können angeguckt werden und weil sie nicht herumzappeln und ineinander verhakt über den hellen Hintergrund kullern, erscheinen wie auf den Bildschirm gebügelt.

Wo ein Wort ist, da darf kein anderes sein. Wo ein Sinn ist, da darf kein anderer sein.
Und überhaupt darf nur sein, was man sinnlich für wahr und logisch an sich nimmt.

So muss ich vor Angst erschlottern, könnte sich mein Leben ändern. So muss ich mich von anderen Personen abhängig machen. So muss ich mächtig sein. So muss ich sein, für wen ich gehalten werde.
Auch, wenn ich nur Worte und Wörter abstelle.
Auch, wenn ich nicht bin, wer meine Wörter erfasst. Anfasst. Sich berührt oder gar gepackt fühlt.

Es ist schwierig von Wort zu Wort zu gehen. Sie abzuschreiten und sie wie ein Bild im Museum zu betrachten. Sie vielleicht in sich hallen zu lassen. Zu gucken, wo sie wie Bomben einschlagen und Lawinen lostreten.
Wie furchtbar muss es für andere sein, zu wissen, dass ich mich von den Wörtern befreien kann, einfach, indem ich meine Hände um einen Stift lege und irgendwo in mir los lasse. Wie unaushaltbar muss es sein, eine Wortmeldung zu hören, die ungewohnt und fremd ist. In der die gleichen Worte, wie die eigenen verwendet werden, aber doch…

nicht gleich sind.

Oder schlimmer noch: die eigenen entsinnen, verque(e)ren. Etwas sagen, woran man lieber abstrakt, als konkret nachdenkt.
Lieber an Andere denkt, als die, in denen man sich selbst sucht.

Meine Wörter sind Minen. Wenn man sie berührt, tun sie weh. Wenn man sie liegen lässt, dann starren sie durch Zeit und Raum.

Mit meinen Wörtern male ich meine Unsichtbarkeit ins Internet.
Ich stricke kein Buchstabendeckchen um mein zum Opfer geworden sein. Ich klebe keine Protestrufe auf mein behindert werden, behindert sein.
Mein verkrüppelt worden sein.
Der Punkt am Ende eines jeden Satzes, ist mein Welten erschütternder Imperativ.
Dass ich meine Stimme mit Buchstaben einkleide, ihr eine Mütze aus Silben über die Ohren ziehe und mit Bedeutung besohle, ist die krasseste Revolution, die ich jeden Tag vom Schweigemauerzaun brechen kann.

Ich verstehe, wie erschreckend das ist.
Deshalb stelle ich meine Wörter ins Internet.
Eine Werbung, ein Katzenbild, eine Email später ist meine Revolution im großen,
nie enden wollenden Strom aus Einsen und Nullen aufgelöst.

Verschwunden.
Unsichtbar.
Erst dann passiert, wenn man danach sucht.
Erst dann gefährlich, wenn sie gefunden und so wie ist, weiter getragen wird.

obwohls alle™ machen

Es ist kein neues Thema.
Eigentlich.
Und doch kommt es immer wieder auf. Ist Anlass für Tränen, Wut, Fragezeichen, die wie Pilze aus dem Boden der sicher geglaubten Basis schießen. Verletzung, Kränkung, durch diesen, objektiv betrachtet, winzigen Schritt zu nahe an einen heran.

Trolle und Schwarmdummheit, wie es der Autor Arno Frank in der Fluterausgabe zum Thema „Internet“ in seiner Polemik: „Was sagt man dazu?“ nennt.

An vielen Stellen seines Textes nicke ich zustimmend.
Ja, das Internet ist ein Raum, der eine breite Öffentlichkeit anspricht und so frei gestaltet ist, dass, wenn schon nicht direkte Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden, jeder Mensch in der Lage ist, sich dort ein Nest zu bauen und von dort aus gegen AutorInnen von Blogs, Webseiten und Foren zu kommentieren oder großflächig Ketten rasseln zu lassen.

Niemand kann sie hindern, denn das Recht auf freie Meinungsäußerung greift, sofern sie nicht gegen andere Gesetze verstoßen.
Es ist entfernt von sozialem Anstand, von Respekt und dem Bewusstsein über die eigentliche Fremdheit zwischen AutorInn und KommentatorIn.

Das Internet stellt eine künstliche Form von Kommunikation dar.
Tatsächlich passiert im menschlichen Gehirn auch real nicht genau das Gleiche, als wenn man sich über die gleichen Themen analog austauschen würde. Ein Großteil unserer Spiegelneurone gehen schlafen, wenn wir im Internet chatten, Emails schreiben oder Twitternachrichten austauschen. Das sind genau die Neurone, die uns im direkten Austausch helfen würden Gefühle von Empathie und Nähe zu entwickeln. Kompromissbereitschaft verstärken oder auch Toleranz walten zu lassen.

Wir empfinden Texte oder auch virtuelle Kommunikation dann als „echt“ und „real“, wenn sie gewalt-ig ist oder einen ganz erheblich wunden Punkt bei uns trifft (und verletzt).
Ob dies bei allen Menschen so ist, weiß ich natürlich nicht, aber wenn ich von mir ausgehe, erklärt sich so auch, warum viele Kommentare in Foren, oder unter Artikeln hochgradig emotionsbelastet sind. Es sind starke Affekte, die da walten. Ein mittleres oder niedriges Erregungslevel senkt die Bereitschaft überhaupt einen Kommentar zu hinterlassen. Der Text hat ja auch nichts mit einem gemacht, was man nun unbedingt mal noch eben los werden will. Was soll man dann also noch darunter schreiben als: „Schöner Text“?

Unsere Haltung war zwischenzeitlich einmal die, dass wir davon ausgingen: „Es meckert niemand- dann kanns ja nicht so schlimm sein.“. Das ist eine Positionierung, die wir für uns allerdings ablehnen oder mindestens ungern hinnehmen. Einfach, weil sie bedeutet: „Ich muss gerade keine Gewalt aushalten, dann mache ich wohl alles richtig.“. Das ist, als würde man von einen Hundeerziehungserfolg sprechen, weil der Hund nicht mehr an der Leine zieht, weil er Schläge als Strafe zu erwarten hat.

So haben wir 21 Jahre lang leben müssen und wissen, dass viele Menschen da draußen noch immer so leben müssen. Das finden wir furchtbar, weil es Gewalt als normalen Bestandteil des Miteinanders impliziert.

In diesem Blog sind wir bisher fast verwöhnt worden. Zumindest erscheint es uns so, wenn wir erleben, was andere Menschen zu ertragen haben oder durchstehen mussten.
Wir hatten auch unter den feministischsten Artikeln noch keine Kommentare von sogenannten „Maskutrollen“ und wir haben keine direkt körperlichen Gewaltandrohungen erhalten.
Alles fein?
Nein.
Bereits drei Mal erhielten wir Kommentare von Menschen, die uns davon überzeugen wollen, dass Kinderfolterdokumentation auf freiem Willen der Opfer basierend entstehen. Acht Mal waren wir damit konfrontiert, dass uns jemand davon überzeugen wollte, dass wir es als erfüllend erleben würden, vergewaltigt zu werden.
Mehrere Male sahen wir uns Kommentaren gegenüber, in denen zumindest für uns ein Bild von uns als Person deutlich wurde, das einfach nicht stimmt.

Das Wunder der Rezeption!
Man sucht das Bekannte und verknüpft es mit den gemachten Erfahrungen, moralischen Werten und seinem Weltbild. Daraus entsteht auch die Kette: „Das muss der bloggende/ schreibende Mensch jetzt so und so meinen- geht ja gar nicht anders- meinen ja alle so“.
Schlimm, wenn dann jemand versucht ohne Wertung zu schreiben oder mindestens einen möglichst breiten Interpretationsraum zu erschaffen versucht. Das ist anstrengend und keine leichte Kost für zwischendurch.

Mir fallen solche Texte selbst oft schwer als Leserin, weil sie mich vornehmlich informieren oder mir Aspekte zum Nachdenken mitgeben, statt mir eine persönliche Meinung oder eingleisige Sichtweise zu präsentieren.

Entsprechend trifft es mich- uns als Autorin, die sich wirklich darum bemüht eben nicht auf Stereotypen und Eingleisigkeit zurückzugreifen, in der Hoffnung noch besser und noch richtiger verstanden zu werden, wenn mir Kommentare begegnen die implizieren, das wäre der Fall.
Das ist dann zum Einen eine Nichtachtung unseres Bemühens (mit dem Implizit einer journalistischen Leuchtfeuerleistung, die hier frecherweise enttäuscht wird, denn Überraschung: Wir sind weder Journalistin noch Leuchte) und zum Anderen eine unverschämt anmaßende Haltung uns als Person gegenüber, die nicht mit sozialer Nähe erklärt werden kann, wie man es vielleicht im analogen Leben tun kann, wenn man einander schon lange kennt, jeden Tag sieht und spricht.

Das löst ein berechtigtes Empfinden von Grenzverletzung aus, die wir hier für uns und auch unsere LeserInnen ausschließen wollen.
Wir sind darum bemüht hier eine sichere Insel für so viele Möglichkeiten des Lebens ohne Gewalt zu erschaffen, wie möglich. Doch natürlich ist dieses Bemühen angreifbar.
Schon allein durch unsere Position als Administratorin, die einzig durch die Verantwortung, die wir uns hier sowohl annehmen als auch einfach vor dem Gesetz haben, begründet ist, ist dieses Blog de facto kein gewaltfreier Raum. Doch das ist kein Freifahrtschein in Richtung: „Na wenn die das macht…“.
Auch nicht für uns.

Wir möchten uns hier aufhalten, ohne, dass uns, wie in den letzten Tagen, Übelkeit überkommt, sobald wir unser Emailpostfach öffnen oder die Website an sich.
Ich mag es nicht, festzustellen: „Yeay verdammt- wir können ja doch ganz schön giftstachlig werden, wenn uns jemand hier zu nahe kommt.“. Genauso wenig, wie ich es mag zwischen vernünftig denkenden Erwachsenen, wie eine Kindergärtnerin Grenzen aufzuzeigen. Vor allem, wenn sie für mich persönlich eigentlich mit Flatterband, Leuchtschildern und Warnhinweisen ausgestattet im Bewusstsein sind.

Wir haben diese Position inne, doch halten es für grundsätzlich möglich miteinander Kontakt zu haben, ohne, dass wir diese nutzen müssen.

Und da komme ich an einen Punkt, an dem ich nicht mit dem Artikel, der oben verlinkt ist, d’accord bin.
Nein, ich muss es nicht akzeptieren, wenn sich jemand hier so verhält. Und nein, nur weil es die Masse ist, muss ich ihr hier keinen Platz lassen. Nur, weil Gewalt im Miteinander als normal dargestellt und oft genug mit der Öffentlichkeitspräsenz legitimiert wird, ist sie noch lange nicht auch wirklich legitim!

Wir erinnern uns mal kurz was von 1939 bis 1945 eine Menschenmasse so richtig und normal und legitim fand…

Nur weil es viele Menschen tun, ist es nicht automatisch auch richtig.
Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt gegen andere Menschen, als Gewalt selbst.

Nur weil es noch nicht überall praktiziert wird, ist es kein unerreichbares Ziel, das wir hier verfolgen.

Was wir verstehen ist, dass auch wir Gefühle verletzt haben werden, falsch rezipiert haben können und mitunter eine Linie in unseren Texten fahren, die nicht die Gleiche unserer LeserInnen ist.
Verletzungen tun uns leid, natürlich- (ja, wir meinen Mariesofie und Mosine im Moment)- aber, sie entstanden nicht aus Willen heraus auch tatsächlich zu treffen, sondern aus einem Affekt, der auf etwas folgte, das nun einmal passiert, wenn man einander weder analog kennt, noch Körpersprache und allgemeinen Habitus lesen kann.

Wir haben dafür mit Psychosomatik deluxe bezahlt; uns Strategien für die Zukunft überlegt und uns klar gemacht, dass dies nicht alle Beteiligten auch tun.
Das ist etwas, das wir im Grundsatz akzeptieren, doch hier nicht dulden werden.

Wir sind nicht unsere Texte.
Wir veröffentlichen Texte von uns, doch versuchen dabei so wenig tendenziös wie möglich zu sein.
Wir haben eine Position inne, die uns eine gewisse Gewaltausübung möglich macht, doch wollen sie nicht nutzen müssen.

Es ist unser Blog, unser Wirken, unsere Gedanken, die hier sichtbar werden.
Wir wollen sie im Grundsatz akzeptiert haben, genauso, wie wir die Texte anderer AutorInnen im Grundsatz akzeptieren, stehen lassen und kommentieren, ohne die AutorInnen als Person in Frage zu stellen, zu bewerten oder über ihre Motive zu mutmaßen.
Das ist weder zu viel verlangt, noch impliziert es eine Intension von uns, immer und mit allen Texten unsere LeserInnen glücklich zu machen, oder das Denken, dies auch zu können.

Es geht um genau den Respekt vor der eigenen Person, den man in der analogen Welt schon oft genug vermisst.
Das Internet und unser Blog mit seinen Möglichkeiten Gemeinschaften und Austausch entstehen zu lassen, muss nicht so gestaltet werden, wie das Umfeld, mit dem man umgehen muss, wenn der Computer aus ist.

Auch wenns alle so machen.

Heim, Klapse, Knast

Wir haben einen interessanten Menschen kennengelernt.
Als er uns zum ersten Mal bei uns besuchte, freuten wir uns sehr, weil wir damals gerade wieder eine dieser stummen Kurzphasen hatten. Wir hatten bereits wieder 4 Tage kein Wort gesagt

„Seltsam,“ dachte ich, „dass mir diese Sprachlosigkeit erst unangenehm auffällt, wo ich die direkte Möglichkeit zu sprechen habe.“
Im Laufe der folgenden Stunden sollte sich das Sprechen sogar richtig auswachsen. In ein Reden, Kommunizieren… in ein Aussagen.
Es wurde mein erstes richtiges Gespräch über die Psychiatrie und meine Zeit darinnen seit 2005.

Nicht in die Tasten gedonnert oder durch die Feder meines Füllers gedrückt. Sondern richtig gesprochen und gehört, während ich selbst hörte.
Hörend- da spricht jemand von Kasernierung- wo ich immer von Internierung gesprochen hatte.
Hörend- da kann jemand meinen Gedanken zur Verstärkung einer Essstörung durch Esspläne und Strafsysteme drum rum, ohne Wenn und Aber unterstreichen und ergänzen.
Spürend- da ist soviel Unausgesprochenes, das vermutlich noch nicht einmal vor sich selbst aussprechbar ist- genau wie für mich.

Dass ich nicht allein bin mit meiner Psychiatriekritik, weiß ich schon eine ganze Weile.
Dass ich nicht die Einzige bin die Dinge twittert wie: „Liebe Ethik, könntest du mal im Gesundheitssystem vorbei kommen und mit deiner Anwesenheit glänzen? Du fehlst. Liebe Grüße, die Patienten.“ ist auch klar.
Aber wache, produktiv- reflektierte Bitterkeit habe ich lange nicht mehr gesehen.

Bitterkeit begegnet mir oft. Resignation. Ohnmacht. Wut. Natürlich. Gerade bei anderen Psychiatrieüberlebenden und deren Verbündeten.
Doch Wachheit nicht. Bewusstsein. Ungetrübte Wahrnehmung. Die Möglichkeit ein zwei Gedanken mehr als: „Ist halt ein Scheißsystem das da abgeht“ zu haben.

Ich treffe auch oft auf Alternativforderungen.
Und bin dann doch wieder mit Absonderungsideen konfrontiert. Sei es, dass man sich komplett von dem bestehenden Wissen und allen Erfahrungen der Psychiatrie als medizinischer (und sozio-kultureller) Zweig abwendet, oder doch wieder klassifiziert in „behandelbar“ und „unbehandelbar“.

Im ICD- Rosenblatt gibt es keine Krankheiten.
Da gibt es den chronischen Flauschmangel, die überbordenden (und belastenden) Ideen und die kreativ gewachsenen Gehirne und Körper. Also nichts, was in irgendeiner Form Absonderung und Dressur erforderlich macht, sondern Zuwendung, Austausch, Abklärung und Neukonstruktion der Lebensumgebung.

Also irgendwie: ein Zuhause mit offenen Ansprechpartnern.

Und da ist der Haken. Wir haben noch kein gesellschaftliches Klima in dem solche Räume Usus sind. Wenn es uns schlecht geht, sind wir privilegiert, wenn wir Verbündete haben. Eine Familie, die uns bedingungslos um- und versorgen will/kann/ darf, wenn wir auf Unterstützung, Nähe, Wärme, Zeit und Raum angewiesen sind.

Die Blüten die meine oben erwähnten „Krankheiten“ treiben, haben sowohl ihre Wurzeln in der Abwesenheit von Selbigem oder verursachen keine feste Anbindung an solche sozialen Kontakte.

Wer irre ist, ist einsam. Abhängig und doch haltlos.
Es ist, als sei man falsch gepolt- im wahrsten Sinne des Wortes. Man ist ein Plus-Pol in einer Masse von Plus-Polen und nicht in der Lage von sich aus zu einem anziehenden Minus zu werden. Das ist die „Krankheit“. Das fehlen der Kraft aus sich heraus andere Pole an sich anzuziehen.

Die Lösung dieses Problems war einen einheitlichen Minuspol zu gestalten, der bedingungslos anzieht. Und anzieht und anzieht und anzieht. Alles was auch nur einen Hauch Plus in sich trägt (oder vorgibt), wird unter Umständen angezogen und festgehalten.
Was Plus ist und was Minus, ist immer wieder im Wandel.
Doch immer immer immer wird „das Andere“- das was in einer Masse, als „anders“, „unpassend“, „unangepasst“, „unvereinbar“ bezeichnet wird,  abgestoßen. Es passiert keine Integration des „Anderen“ in seiner Mitte, sondern eine Absonderung, um die eigene Konformität, seine Normen und Werte zu zementieren.

Wir haben gestern Abend über Bethel gesprochen.
Bethel ist ein Stadtteil von Bielefeld, der bekannt ist für seine Epilepsieforschung, seine Hilfseinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, für seine sozialpsychiatrischen Betreuungs- und Behandlungsangebote.
Ich hatte mich ein bisschen in meiner Kritik verrannt und es als abgeschlossenes Ghetto für alle die arm, alt, krank, hilflos bzw. hilfsbedürftig, behindert und schwach gelten, bezeichnet. Das stimmt auch. Bethel schaltet und waltet nach Kirchenrecht. Alles was dort passiert, bleibt dort. Die Bedürftigen haben nicht Kraft zu streiken und Mitarbeiter haben kein Streikrecht.
Aber es ist auch ein Beispiel für die Art Integration „des Anderen“ die heute passiert.

Die Menschen, die diese Menschen versorgen und behandeln sind ein Minuspol und sind einzig durch ihre Fähigkeit ohne Hilfe eine Selbstversorgung zu schaffen (und entsprechend in der Lage auch von dort wegzugehen) überlegen. Sie brauchen ihre „Patienten“/ Klienten, weil sie ihren Arbeitsplatz stellen und gehen so in eine Symbiose.
Das ist der Grund, weshalb es so einfach ist, in den Bereichen, der Pflege und Medizin von Wirtschaftlichkeit zu sprechen. Die Hilfsbedürftigkeit der Menschen wird zum Werkzeug, um dessen Nachschub man sich keine Sorgen machen muss. Man beutet also im Grunde die „Irren“, die Kranken, die Schwachen, die Armen und jene, die sich nicht selbst versorgen können aus, ohne dass ein Widerstand von irgendeiner Seite kommt.

„Wieso denn auch- ist doch gut, wenn sich einer um „die da“ kümmert. Die müssen ja nun mal irgendwo hin.“

Nein! Müssen sie nicht! Sie müssen versorgt werden bzw. Hilfe bei der Selbstversorgung (im Falle von Gefängnissen, Hilfe die Gründe für ihre Straffälligkeit zu verstehen und „draußen“ verändern/ verhindern/ regulieren/ abschaffen zu können) haben- mehr nicht.
Es sind nicht sie, die sich hergeben müssen oder die sich anpassen müssen, obwohl sie genau das noch nicht- oder auch nie können.
Das was jemand lernen muss um massekonform zu leben, lernt er nicht in einer Masse, die „anders“ ist, wie er selbst. Und so, wie der Kapitalismus auf diese Symbiose einwirkt, reicht der Einfluss der „Minusse“ (in Form der HelferInnen, PflegerInnen, TherapeutInnen, ÄrztInnen) nicht aus. So ergibt sich ein gewisser Masseerhalt „der Anderen“ und das Rad dreht sich weiter wie bisher. Kapitalismus funktioniert nur mit der Billigung von Ausbeutung.

Was wäre, wenn wir die Bedürftigen unter uns hätten? Wenn wir unsere Kraft aufwendeten und selbst zum Minus würden?
Wir müssten neu lernen. Neue Werte und Normen konstruieren, vielleicht auf Konformität verzichten.
Ja, vielleicht stünde dann öfter mal jemand auf der Straße und brüllt uns an.
Ja, vielleicht hätten wir viel mehr Kontakt mit Körperflüssigkeiten, als uns lieb ist.
Ja, vielleicht würden wir sogar Käfige für unsichtbare Tiger bauen.
Aber was ist denn daran so schlimm? Wer hat denn einen Schaden davon?
Was davon bleibt für immer? Einer der brüllt, ist irgendwann auch fertig. Einer der sabbert, kann lernen sich auch selbst den Mund abzuwischen oder kann einfach auch immer trocken gewischt werden- das machen wir doch bei Babys auch.
Wen stört ein Käfig in der Wohnzimmerecke oder in der Innenstadt? Wir stellen doch auch hässliche Kunstgerüste in die Landschaft.

Es ist ein hinderndes „Kosten-Nutzen-Rechnen“ und die eigene Unwilligkeit, die uns hier im Weg steht und über viele hundert Jahre in Form von Heimbauten und der Institution Psychiatrie bedient wurde.
Wir müssten uns umstellen für eine Gruppe von Menschen, die uns nichts geben kann, womit wir unsere Familie ernähren können.
Streng biologisch betrachtet, also Ballast sind, dessen man sich zum Wohle des eigenen Fortbestands entledigen muss. Würden wir noch in Höhlen leben, wären diese Einrichtungen also etwas, das zum Wohle aller beiträgt. Doch nie war es so einfach seinen Fortbestand zu sichern und zu nähren, wie heute.

Heute sind wir einfach nur unwillig neu zu konstruieren und zu integrieren. Als sei dies etwas, das unseren Fortbestand und unsere Lebensqualität in den Grundfesten unsicher macht. Dabei ist das Einzige was berechtigt Gefühle von Unsicherheit oder auch richtiger Angst hervorrufen könnte, die vor dem uns Unbekanntem.

Wir sollten also alle anfangen uns einander bekannt zu machen. Ohne Stereotype, ohne Wertung, ohne die eigene Lebensrealität im Anderen zu erwarten oder zu suchen.
Doch das gelingt aus freiwilligem Bemühen einzelner Menschen nicht. So lange es Abschiebeinstitutionen gibt, wird abgeschoben.
Heim, Klapse, Knast- übrigens alles Einrichtungen, die von Menschenrechtlern regelmäßig besucht und beanstandet werden. In Deutschland macht dies zum Beispiel die „nationale Stelle„.
Zuhause oder im Sportverein braucht es solche Begutachtungen nicht. Dort ist man Mensch, dort darf man sein. Dort wird man nicht zwangsweise hingebracht. Dort gilt das Grundgesetz.

Es ist nötig den Menschen im „Anderen“ zu erkennen.
Wären unsere Abschiebemöglichkeiten jetzt plötzlich weg, so glaube ich, würden wir das endlich tun. Es wäre krass, es wäre hart, es würde uns oft und an vielen Stellen über unsere Grenzen hinaus belasten. Doch es könnte gehen. Ich glaube, dass das möglich ist.
Ich glaube, wir hätten darin eine Chance, uns mit allen die uns umgebenden Gewalten auseinanderzusetzen und ein Miteinander zu erschaffen, in dem es Ausgewogenheit auf vielen Ebenen gibt.
Wir müssen uns nur trauen.