note on: die Menschlichkeit von Nazis

In letzter Zeit begegnet mir häufiger die Phrase „Man darf nicht vergessen, dass wir alle nur Menschen sind“. Als würde damit alles gesagt sein, ersticken darunter viele wichtige Gespräche über Solidaritäten, Verantwortungen und ihre Bedeutung für alle. Dabei sagt man damit allein nichts weiter als einen Fakt, der nichts mit dem Anlass zur Phrase zu tun hat.

Die Postperson in der Filiale sagte mir gestern, dass 3 Wochen ein Paket für mich bei ihr rumlag. Von dem wusste ich nichts. Dachte, der Versand aus UK würde einfach dauern. Brexit, Covid trallala. Ich hatte keine Benachrichtigung erhalten. Ja, die Zusteller sind auch nur Menschen. Ja, ich kenne Benno, unseren Zusteller. Der ist ein Mensch, der mir definitiv einen Zettel einwerfen würde. Und ein Mensch, der weiß, dass wir eine Ablageerlaubnis erteilt haben. Warum erinnert mich die Postfrau nur im Moment eines Fehlers, der mit einem Verlust für mich einhergeht, an Bennos Menschlichkeit? Warum erst in dem Moment, in dem ich etwas entschuldigen soll, was ich eigentlich nicht entschuldigen will, weil es klare Regeln für Fälle wie diesen gibt? Vielleicht, weil sie sich nicht streiten will. Oder nichts machen kann. Oder nichts machen will. Oder mich dazu bringen will, mich human zu streiten. Zivilisiert. Wenn schon.

Ich selber habe auf Twitter schon einmal geschrieben, dass man nicht vergessen darf, dass Nazis Menschen sind. Gerade, weil Nazisein nichts anderes sein kann als menschlich. Nazis sind keine Ungeheuer, Naturgewalt und erst Recht nicht die große übermächtige Eminenz, als die sie sich aufgrund ihrer Werte einordnen und behandelt werden wollen.
Der Hinweis auf die Menschlichkeit von Personen jeder Identität taugt nicht zur Entschuldigung oder Relativierung ihrer Handlungen. Nie. Er taugt allenfalls dazu, sich in den Erwartungen an das Miteinander zu versichern. Also dazu, dass wir einander erinnern, nicht mehr als üblich von einander zu erwarten. Auch von Nazis nicht.

Nun ist es aber so, dass ein Mensch zu sein keine universelle, also absolut kontextbefreite, Erfahrung ist, sondern auch eine soziale Position. Ein Status, definiert über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, verfestigt über soziale Normen und kulturelle Praxen.
Deswegen ist es so unsinnig, wenn Leute zum Beispiel sagen: „Ob Mann oder Frau oder etwas anderes, das ist ja eigentlich total egal, wir sind ja alle Menschen.“ Die Qualität des Lebens, die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, -verkörperung und vielem mehr sind extrem unterschiedlich und in der Folge auch die Art und Weise, wie man (sich) als Mensch (er)lebt.

Jetzt gibt es zwei beliebte Wege damit umzugehen.
Viele Menschen denken: „Okay, alle er_leben wir unterschiedlich, also darf man nicht von allen das Gleiche erwarten“ und fangen an hinzunehmen oder verfestigen immer weiter die Idee, dass Leute, die etwas nicht können, halt etwas nicht können. „So ist die Natur.“, „So sind Behinderte.“, „So sind Männer.“, „So sind Frauen.“ ist dann das Mindset, mit dem sie mit anderen Menschen interagieren.
Sie integrieren die Begrenzungen und Be_Hindernisse, die andere Menschen erleben, als etwas, das nun einmal so ist und also auch nicht anders zu erwarten sein kann. Und vermeiden so sehr bequem ihre eigene Rolle als Be_Hinderer_in, Be_grenzende_r und sehen ihre Menschlichkeit in der Akzeptanz der Grenzen bewiesen. Heißt: Weil sie bereit sind, andere Maßstäbe an andere Menschen anzulegen, empfinden sie sich als menschlich ihnen gegenüber.

Die andere Art des Umgangs ist die starke Betonung einer Zusammengehörigkeit über alle Unterschiede hinweg. Eine Methode, die vor allem für jene Menschen praktisch ist, die nicht anerkennen wollen, wie facettenreich das menschliche Er_Leben und Sein ist oder, die nicht anerkennen wollen, dass die gleichen Lebensumstände in der gleichen Lebenszeit in der gleichen Gesellschaft zu erheblichen Unterschieden in den Lebensrealitäten der Menschen führen können. Die starke Betonung von Zusammengehörigkeit mit allen Menschen kann für unterprivilegierte, (mehrfach) diskriminierte Menschen nur verletzend sein, weil sie deutlich macht, wie wenig ihre Situation überhaupt an_erkannt wird.
Niemand, die_r in unserer Gesellschaft etwa rassistisch ausgegrenzt und bedacht wird, kann sich mit einer Gesellschaft zusammengehörig empfinden, die das passieren lässt. Geschweige denn kann man von so behandelten Menschen einfach erwarten, sich mit rassistisch motivierten Täter_innen zusammengehörig zu empfinden. In diesen Fällen ist es keine angemessene Erwartung, die gemeinsame Biologie als irgendetwas mehr als belastend, unangenehm, schwierig zu empfinden. Wenn dem doch so ist, dann ist es ein Plus. Ein Glück. Etwas von der Gewalt unberührtes von unbeschreibbarem Wert. Aber nie etwas, was erwartet werden darf.

Wie mein Umgang damit ist, kann ich noch nicht eindeutig verorten.
Ich kann Menschen gut sein lassen, wie und wer sie sind. Aber ich kann die Erwartungen vieler Menschen an die Praxis des Miteinanders nicht erfüllen. Für mich stellen sich in jeder Interaktion verschiedene Anpassungsaufgaben, die sich mir häufig verspätet erschließen oder deren Ziel ich nicht immer richtig einschätze. Ich bin dennoch immer um Anpassung bemüht, weil ich diesen Wert als zwingend für jedes Miteinander einordne. Daneben merke ich aber auch: Während mir klar ist, dass ich jede Interaktion und Kommunikation mit anderen Menschen benutze, um zu funktionieren oder Funktion zu geben, scheint dies den meisten anderen Menschen nicht bewusst auch so zu sein. Was dazu führt, dass ich mir im Grunde nie darüber sicher bin, was ich von anderen Menschen erwarten kann und entlang welcher Parameter sie ihre Erwartungen an mich überhaupt entwickeln.

Dieser und andere Komplexe, die traumabedingt sind, haben in mir tiefe Unsicherheit darüber erzeugt, wie menschlich ich bin bzw. was in Bezug zu mir als „nur menschlich“ zu erwarten ist. Meine biologische Verortung als Mensch ist mir sehr klar. Aber meine soziale Verortung nicht.
Ich bin immer wieder mit uneindeutigen Erwartungen an mich konfrontiert. Mal ist mir als menschlich anerkannt, dass ich Dinge nicht kann, in einer anderen Situation wieder nicht – da ist dann relevanter, wie ich gesellschaftlich verortet bin. Das eine Mal wird nicht von mir erwartet etwas zu entwickeln, das andere Mal doch, und zwar sehr selbstverständlich. Und gleichzeitig scheinen aber alle Menschen, mit denen ich zu tun habe, eine sehr eindeutige und universelle Idee davon zu haben, was sie für menschlich bzw. Menschlichkeit halten. Obwohl doch ganz offensichtlich ist, dass es diese Universalität gar nicht gibt.

Ich habe diesen Text damit eingeleitet, dass durch die Phrase „Wir sind ja alle nur Menschen“ viele Gespräche erstickt werden. Sie werden nicht durch den Satz erstickt, sondern durch dessen Funktion der Entlastung von (als zu hoch wahrgenommener) Erwartungen an einander. Also am Ende durch den Übergriff, mit dem kontrolliert werden soll, was wer von wem wann und wieso erwartet.
Es ist eine Manipulationsstrategie.
Man soll sich unsicher darüber werden, ob es vielleicht wirklich zu viel verlangt ist, wenn man erwartet, dass Postzusteller_innen ihre Arbeit korrekt machen. Ob man nicht vielleicht doch ein bisschen zu hart mit Leuten ist, die sich neben Nazis auf eine Demonstration stellen, weil die ja auch nur Gefühle haben, die ganz doll menschlich sind.
Ja, die Beispiele sind tendenziös, okay. Es gibt viele Richtungen, in die man damit manipulieren wollen kann.
Aber der Punkt bleibt: Es ist Manipulation. Der Griff nach etwas, das mit anderen Mitteln auch konsensuell hergestellt werden kann.

Konsens bedeutet in dem Zusammenhang das offene Gespräch über die Erwartungen und die bestehenden Möglichkeiten, sie jeweils zu akzeptieren und zu erfüllen, mit dem Ziel sich zu einigen und eine passende soziale Praxis zu entwickeln.
Das hätte in der Postfiliale bedeuten können, dass mich die Person fragt, was ich von ihr erwarte und dass sie mir sagt, was sie und ich dafür tun können oder auch nicht.
In Bezug auf Nazis funktioniert das nicht, weil Nazis Konsens als Prinzip ablehnen und also ausschließlich gewaltvoll mit anderen Menschen interagieren wollen. Egal, wie groß die Bereitschaft aller anderen Menschen auf der Welt ist, sie in ihren Motiven und Werten zu verstehen und anzuerkennen, die Erwartung an konsensuelles Miteinander wird enttäuscht werden. Es ist menschlich, sich gegen Konsens zu entscheiden. Es ist menschlich, gewaltvoll zu werten, zu urteilen, zu handeln und dies in sich auch verkörpert und über sich selbst verwirklicht zu haben.
Es ist nicht unmenschlich, sich gegen ein gewaltvolles Miteinander zu entscheiden.

Die Menschlichkeit von Nazis verbietet die Einordnung ihrer Taten als unmenschlich, weil Menschen immer Menschen sind. Egal, wie schlimm, unverzeihbar, unerträglich und unvereinbar mit jedwedem zwischenmenschlichen Wert ihr Handeln ist. Die Menschlichkeit von Menschen ist nicht und kann nie ein passender Parameter zur Beurteilung der Angemessenheit von Erwartungen aneinander sein, weil sie nicht universell ist. Sie kann uns an eine Gemeinsamkeit erinnern. Kann uns davon abhalten, einander wie Tiere und Pflanzen, Gegenstände und Objekte zu bewerten und entsprechende Erwartungen zu formulieren. Kann der soziale common ground werden, als der er sich offenbar gewünscht wird – jedoch, er ist es noch nicht und wird es auch nie, wenn Menschlichkeit immer erst dann zum Diskussionsgegenstand wird, wenn er eine spezifische Funktion über sich selbst hinaus erfüllen soll.

Wie wir miteinander umgehen ist so eine Funktion.
Und wir sollten uns damit befassen, wie wir sie gestalten.

wenn etwas ist

Und dann steht da die 16 jährige “darkcloud” und soll wählen, wo gar nichts zu wählen ist.
Soll frei entscheiden, obwohl sie unfrei ist und keine Entscheidung von ihr tragbar ist.
Sie soll leben. Sie soll sich nicht verletzen. Sie soll was sagen. Sie soll etwas verstehen wollen. Sie soll sich gut fühlen. Sie soll nach innen hören, ob jemand mithört.

“Ich weiß noch, dass es mich ewig beschäftigt hat, ob man das Hören der anderen hören kann. “

Der Ton ist grässlich, das Bild unscharf. Die Spannung unerträglich.
Selbst 13 Jahre später schafft sie es, sich über das Videomaterial um meine Brust zu legen und mir den Atem zu nehmen.

Während ich ausatme und ein Stoppsignal nach vorne gebe, drehe ich mich nach innen.
An den Rändern murmelt es und im Inmitten weint es.
Das Rauschen des Tons und die Spannung verleiten mich dazu, vom Innen wegzutreiben und kurz bin ich dankbar für den Fersensporn mit dem wir an dem Tag schon 20 Kilometer gelaufen sind.

Ich merke an der Seite einen Flashback und beschließe das Ende des Versuchs.
Mit Traumakonfrontation habe ich nicht gerechnet, obwohl mir schleierhaft ist, warum eigentlich nicht.

Als wir in die milde Sommerwärme hinaus treten, wähle ich eine schlichte Mustermusik und lasse S. allein in der fremden Stadt.
In den letzten Wochen habe ich verstanden, dass ich ihn nie hören werde. Er ist nonverbal und spricht mit Bildern. Wenn er kann, schreibt er.
Darauf muss man erst mal kommen.

Als wir an Wasser vorbeikommen setze ich mich ins Gras und wiege das Telefon in der Hand. Ich möchte mehrsam sein. Mich verbinden. Ich möchte mitteilen, dass es weh tut. Ich möchte Erleichterung.  Am Ende spreche ich mit einer Viele-Gemögten und wähle dann die Telefonnummer der Therapeutin.

Über uns kreist ein Vogelschwarm. Ab und an quakt eine Ente.
Und die Welt dreht sich weiter.

Niemand wusste, dass “darkcloud”, M. und die anderen, sogar auf dem Klinikgelände von Tätern angesprochen wurden. So sagt es die Therapeutin, die damals mit ihnen gesprochen hatte und die Gesprächsaufzeichnungen heute für uns zugänglich gemacht hat. “Die hatten ja alle keine Ahnung, wie gefährdet ihr noch wart.”, sagt sie und ich frage mich, ob sie Ahnung hätten haben können.
Ich glaube, wir hätten mehr äußern können, wenn wir nicht hätten frei drauflos sprechen müssen. Wir haben noch nie einfach nur Substantive benutzt oder angedeutet und uns darauf verlassen, dass die Menschen, denen wir sie übermitteln verstehen, welche Wörter darin sind. Wir kommunizieren nicht symbolisch.

Wir essen wildgepflückte Brombeeren und schauen dem Wasser beim Fließen zu. Ich lasse die gesehenen Bilder an mir vorbeiziehen und betrachte mein Mitleid. Die Personen, die versuchen zu helfen, zu versichern, zu beruhigen und das Mädchen in schwarz, das einzelne Worte nach vorn scriptet und sich Antworten abkämpft, noch während es in Todesangst und allgemeiner Desorientierung ist. Ruhig auf einem Stuhl sitzend.

Ich verstehe noch einmal mehr, warum es Helfer_innen schwer fällt anzuerkennen, dass Situationen, in denen sie ihre Arbeit so gut machen, wie sie es können, traumatisch auf die Personen wirken können, denen sie helfen wollen.
Man sieht es nicht. Es gibt keine Schreie, kein Blut, keine Zerstörung. Es gibt nur eine sich langsam zersetzende innere Konsistenz bei gleichzeitiger Anpassung.

Ich erinnere mich daran, dass irgendwann jemand sagte, M. sei tot. C und C wären jetzt an ihrer Stelle da. Leider weiß ich nicht, ob das verstanden wurde. Ob klar war, dass es einen massiven Bruch gegeben haben musste, wie er nur aufgrund von toxischem Stress zustande kommt.
Noch während wir in der Klinik waren – dann ohne Täterkontakte. Ich weiß nicht, ob das jemals irgendwie als Idee im Raum stand: “Könnten wir “die sechszehnjährige E.” mit dem, was wir implizit verlangen, so massiv überfordern, dass es für ihr Gehirn die gleichen Auswirkungen hat, wie es die Überforderungen  durch absichtliche physische und psychische Verletzung der Täter_innen hatten?”.
Wo steht der Diskurs der Fachwelt um die Frage wie freiwillig Kinder und Jugendliche eigentlich in eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung einwilligen können? Welche Definition von Konsens liegt dem zugrunde?
Wie freiwillig waren wir dort und lauschten nach einem Hören der anderen, wenn die Wahl war, zurück in ein Heim für geistig und körperlich behinderte Menschen mitten in den Wallakutten zu ziehen, wo es immer wieder zu Übergriffen von Täter_innen kam oder sich das Leben zu nehmen? Ist “das kleinere Übel mit Hoffnungsschimmer”, nicht eben doch auch ein Übel?

Aus C. und C. sind später die Rosenblätter hervorgegangen. Also auch ich.
Ich mag über die eineinhalb Jahre Klinikzeit nicht sagen, sie hätten nichts gebracht.
Das stimmt nicht.
Aber wir hätten etwas anderes gebraucht.

In einem Utopia wäre die DIS-Diagnose, genau wie die Autismus-Diagnose, spätestens in der zweiten Klinik gestellt worden. Da waren wir 15 Jahre alt und hatten erst 5 Suizidversuche hinter uns.
Es hätte eine Pflegefamilie oder eine Kleinstwohngruppe gegeben, die sich mit einem 1:1 Betreuungsschlüssel um uns kümmern konnte. Wir wären auf eine integrative Gesamtschule gekommen und hätten jeden Schulabschluss machen können, den unsere Leistungsfähigkeit hergibt. Wir hätten kompetente Traumatherapie bekommen durch Therapeut_innen, die nicht an uns lernen, sondern mit uns.
In einem Utopia wäre es uns erspart geblieben von Hilfemaßnahmen auf eine Art traumatisiert zu werden, die ein spezifisches Funktionssystem für Therapie hervorbringt.

In einem Utopia hätten wir nicht jahrelang gedacht, wir wären ein schweigsames Opfer.
In einem Utopia hätte man unser Sagen gehört.

Ich stehe auf und laufe zum Bahnhof.
S. gefällt die Musik und die kleinen Wasserfontänen auf dem Vorplatz. Er deutet auf das im Sonnenlicht glitzernde Wasserspiel und lächelt selig.

Der Gedanke: “Wenn etwas ist, dann muss man sich damit auseinandersetzen.”, zieht durch mein Denken.
Ich schreibe das Inhaltsverzeichnis für unser Buch nieder.

Scheiße, die sind nett zu mir!

oder: “Wie viel Dissens verträgt der Konsens?”

Dass “Freiwilligkeit” kein Synonym für “Konsens” ist, ist für mich Fakt, weil ich persönlich das Konzept des freien Willens ablehne. Freiheit gibt es nur dort, wo nichts ist (Abwesenheit von Machtdynamik und damit Machtungleichgewicht = Abwesenheit von Gewalt = alle und alles ist gleich (ohn/mächtig) – wir* aber leben in einem Land, dass von mindestens Staatsgewalt dominiert und normiert ist, welche wiederum patriarchaler (Norm)Gewalt entsprungen ist. Also keineswegs in einem gewalt(en)freien Raum.

So bedeutet Konsens für mich ein Konzept, das bestehende Machten (Gewalten) anerkennt und eine beider/allerseits gleich be/er/entmachtende Positionierung ermöglicht und damit arbeitet.
Die Grundlage für Konsens ist neben Anerkennung von Unter- und Überlegenheiten, auch das Anerkennen, das Unter- wie Überlegenheit mit spezifischen Anpassungs- und Reaktionsmustern, Habitus, körperlichen, kognitiven und psychischen Befähigungen (aber auch ihrem Fehlen) und einem individuellem (Un-) Bewusstsein für eigene Präferenzen einhergeht.

Mein Tweet “Ich bin aufgewacht und der erste Mensch, der mich anschaut, lächelt. Vielleicht schlaf ich noch? <3”, ist für mich entsprechend sehr groß, da er mir selbst viel reflektiert:

– ich habe es geschafft unter Menschen zu schlafen
– ich habe es ausgehalten, dass mich ein Mensch anschaut, so dass ich merken konnte, dass er mich anlächelt
– ich konnte mir bewusst werden, dass sich das für mich angenehm und unwirklich neu anfühlte

Doch was stelle ich mit dieser Erkenntnis an?
Es ist das Eine zu spüren, das Freundlichkeit wenig mehr, als den Wunsch nach Harmonie und das Privileg der Gemeinschaft, die in Harmonie miteinander sein möchte, braucht, das Andere ist, in sich selbst genau das als neue Option, neue und fremde Interaktionsgrundlage zu empfinden.

Als ich die erste Nacht in der Hütte lag und versuchte meinen Körper auszuruhen, erkannte ich, dass ich den Trigger unterschätzt hatte, den es für mich bedeutet, wenn sich Nachts die Tür zu dem Raum öffnet, in dem ich schlafe.
Mein Denken und Fühlen passte sich an, schrumpfte, wurde weich, waberte wie Morgennebel ganz dicht neben meinem Gesicht.

Um mich herum wuselte es sachte. Einzelnes Lachen, gedämpfte Stimmen und das Rauschen des Waldes rahmten den Campkontext ein und allein mein Erinnern bildete für sich einen Dissens in all dem.
Diese Scheiße gehört in der Form nicht in eine Gruppe in der Diskriminierungen und andere Gewalten benannt und beendet werden wollen. Dieser rostige Nagel, den mir mein Kopf immer wieder neu in meine eiternden Wunden reintreibt, passt einfach nicht. Für mich. Als Fakt.

Mir wurde einmal mehr bewusst, wie viel von der Gewalt, die ich er- mit- ge- lebt habe, in mir selbst verankert ist und nicht durch den Konsens einer Ablehnung oder den Wunsch zur Veränderung verschwindet.
Auch in meinem Workshop wurde es kurz zum Thema, als ich sagte, dass man ein Trauma- ich möchte es ab sofort lieber “eine Erfahrungsverwundung” nennen – nicht “überwinden” kann. Wunden, Verletzungen, Schmerzen, die über physische Versehrungen hinausgehen, sind nichts, was man Kraft seiner geistigen Entscheidung oder Haltung allein “hinter sich lassen“ kann.
Wunden sind Löcher, Täler, die man durchschreiten oder mühsam umgehen muss.
So erlebe ich das jedenfalls. Was man überwinden kann – wo die Berge und Huckel zum überwinden und beklettern sind- sind meiner Meinung nach die Art Ängste, die erneute Ängste vor Verletzung, Ausbeutung und Verrat anhäufen.

Ich kann nicht in Gruppen sein, in denen meine Position heißt “Mach mal einfach- das wird schon alles passend sein.”. Gesagt mit Lächeln, ist es der Overload.
Dann muss ich sowas denken wie: “Vielleicht schlaf ich noch? <3”. Als Übersprungshandlung, weil Overload. Wohin mit all meiner Okayheit? Wie lange gilt mein Okaysein, als okay? Wie viel Nichtokaysein von mir wird geflissentlich übersprungen, kompensiert oder hobelt sich im Lauf der Zeit zu einem Huckel im Okaysein ab? Woran werde ich merken, wenn ich nicht mehr okay bin und mein Verhalten allen Konsens auf die Grundfesten reduziert und zu Gunsten einer Wunschvorstellung zwangsweise immer wieder neu belebt wird, wenn nicht durch Gewalt? Das ist doch woran ich immer und überall all mein Nichtokaysein merke! Absolut verlässlich und auf allen Ebenen.

Ich hätte es nicht ausgehalten, dort zu sein, wenn ich nicht den Workshop/Vortrag gemacht hätte. Ich brauchte meine innere Positionierung innerhalb einer Verwertungsgewaltendynamik (die nur vor mir selbst und einem nicht vorhandenen äußeren Beobachter von Belang und Bestand war!) um mir das Mehrsamsein in dieser großartigen neuen Form erlauben zu können.
Ich hätte nicht den Mut gehabt, nicht die innere Erlaubnis der Annahme zu vertrauen, dass sich jede/r* gut und hilfreich für die Gemeinschaft einbringen kann. Der Mut zur Überprüfung wäre nicht da gewesen.

Wieviel meiner Gewalt(en)sozialisierung ist umlernbar umerfahrbar überschreibbar durch Erfahrungen in konsensualen Miteinanders?
Ich reproduziere doch für mich selbst Gewalten bzw. Machtungleichgewichte, um mir diese Erfahrungen zu erlauben- sind sie dann noch purer Konsens oder eher das, was von meinem Eitersumpf übrig bleibt?