Fundstücke #7

Mir fallen nach und nach diese Momente ein.
Das eine Mal, in dem mir mein Vater etwas unterstellte, das ich nicht getan hatte und er sagte: “Du wirst ja ganz rot im Gesicht – guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede – du lügst doch!” und meine abgrundtiefe Wut über seine Dummheit, sein anmaßendes Deuten, den Umstand, dass er mich einfach umklatschen kann, obwohl er unrecht hat.
Dass man schon mal rot im Gesicht werden kann, wenn man wütend ist, bringt einem jeder Bugs Bunny – Cartoon bei. Ich verstand nicht, wieso es scheinbar nur diese Option für ihn gab. Wieso war denn das einzig mögliche in seinem Denken über mich, dass ich eine miese lügende Person bin?
Und meine Verkrampfung in dem Moment. Diese eine seelische Gesamtstarre, die verhindert, dass man auseinanderfällt.

Im Moment wache ich ständig aus solchen Fetzen auf.
Ob es Erinnerungsprozesse sind, die davon angetickt werden, weil ich oft darüber nachdenke, welche Schwierigkeiten ich früher schon hatte und wie damit umgegangen wurde, weiß ich nicht genau.
Aber, es sind mehrere Ebenen und die Parallelen sind enorm.

Mir ist etwas eingefallen, das schon Lundy Bancroft in “Why does he do that?” formuliert hatte.
Wenn Menschen Gewalt ausüben, dann geht es um ihr Denken. Ihre Bewertungen und Perspektiven auf bestimmte Dynamiken, Personen (Dynamiken-Dynamiken in Fleisch gegossen) und weniger darum, welche Handlungsoptionen sie außer der Körperverletzung, Demütigung etc. haben.  Sie können (wollen, müssen) diese nicht sehen, wenn ihr Blick ihnen vermittelt im Recht zu sein oder/und in irgendeinem Aspekt von einer anderen Person bedroht zu werden.
Es geht darum, dass sie etwas als Bedrohung (Störung) bewerten und nicht sehen können (wollen, müssen), dass es nicht so ist bzw. von der anderen Person nicht als solche intendiert ist.
Unterstützt und antrainiert wird so eine Perspektive vor allem bei weißen, cismännlichen Personen. Wer alles hat, muss auch alles verteidigen. Die Spannung (der Zwang, die Wahrscheinlichkeit) zu einer Perspektive, die gewaltvolles Agieren rechtfertigt oder logisch erscheinen lässt, ist bei privilegierten Personen höher.

Daneben gibt es das Lernen. Wenn man immer wieder von jemandem umgeklatscht wird und nicht versteht, warum eigentlich (weil man die Perspektive nicht teilt; weil man nicht gleichsam privilegiert ist; weil man keinen Fehler an sich empfindet;  weil man weiß, dass man in anderen Kontexten anders behandelt werden würde etc. etc. etc.), dann übernimmt man mehr oder weniger diffus bis klar, die Gründe (das, was von der Perspektive der gewaltvoll agierenden Person nach außen tritt) und ermöglicht sich damit einen Hebel über den auch neurologische (Schein-)Verarbeitung passieren kann.

Es ist nicht zwingend, Täter_innenansichten auf sich zu übernehmen. Aber es gibt den Überlebenstrieb und der umfasst eben auch, sein Innenleben zusammenzuhalten und sich deshalb Dinge auch nur scheinbar logisch begreiflich zu machen.  Am Ende kommen dann so Selbstansichten wie, dass man einfach grottendämlich ist, nie was richtig macht, hässlich ist, man plump ist, zu nichts zu gebrauchen ist, immer lügt, nie macht, was alle anderen machen… dass man falsch ist. Dass man ein Fehler ist und deshalb immer wieder korrigiert werden muss. Und mit diesen Selbstansichten kommt auch das Potenzial, in jeder anderen Person, die einem früheren Ich gleicht, so umzugehen, wie mit einem selbst umgegangen wurde. Und das muss nicht einmal bedeuten zuzuschlagen.

Mir ist eine kleine digitale Armbanduhr eingefallen.
Rosa/Lila mit schwarzem Karomuster. Plastikfantastik. Ich spielte damit herum, mein Vater nahm sie mir weg, weil wir essen sollten. Er warf sie in eine Salatschüssel. Sie war kaputt. Sie war für mich im Wortnäpfchen “kaputt”/”falsch”, weil er unruhig wurde und mich anmeckerte. Ich begann zu weinen, weil ich nicht verstand – aber doch genau wusste, dass er dieses Nichtverstehen nicht verstehen würde – erst recht nicht, wenn er schon unruhig und laut ist.
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich die Uhr danach überhaupt nochmal in der Hand hatte. Sie verschwand einfach. In meiner Fantasie blieb sie da. Bis ich mir selbst irgendwann in die Hand biss und damit eine Art inneres Dekret erließ, dass eine Zeigeruhr der Ersatz sein muss, weil meine Umgebung es als Ersatz sieht.
Ich musste ihre Sicht auf dieses Objekt annehmen und zwang mich selbst mit Gewalt dazu, weil ich etwas anderes vielleicht noch nicht gelernt hatte.

Ich bin bis heute eher Fan von Mechanik als Elektronik. Eine mechanische Uhr hätte man reparieren können. Ich hätte den Fehler – den Schaden erfassen und begreifen können. Mein Vater hätte nicht unruhig werden und sich freimeckern müssen.

Wenn ich so über meine Eltern rede – mit einem “müssen” im Satz – gibt es Impulse in Menschenstimmen, weil man meine Berücksichtigung ihrer Perspektive als etwas nimmt, das mit Rechtfertigung oder Entschuldigung einher geht. Ich will aber weder rechtfertigen noch entschuldigen, ich will mich befassen und die vollständige Logik bzw. das, was für mich eine vollständige Logik ist, äußern.
Das ist etwas, das meine Eltern nicht tun. Das ist, was auch manche meiner Verbündeten, Helfer_innen und Gemögten nicht tun. Weil sie es nicht müssen. Und manche auch: nicht können.

Es wird nie ein Ende geben, wenn ich Dynamiken ausblende. Es wird dieses Ende vor allem in mir drin nicht geben.
Meine Täter_innenintrojekte sind nicht alle ehemals kleine Kinder, die vor Angst schlotternd eine Boshaftigkeit nach der anderen rausspucken. Meine Täter_innenintrojekte brüllen mich auch an, ich soll sie gefälligst angucken, wenn ich mit ihnen rede. Sie brüllen, ich soll tun, was man mir gesagt hat. Sie schubsen mich, wenn ich träume, disse, in Details krabble und staune. Die zerren an mir herum und sagen, wie der Rest der Welt, dass ich unpassend handle, denke, fühle… bin. Und bis heute nehme ich sie wahr und verstehe nicht, was sie von mir wollen. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie wollen, was sie wollen und wozu das nützen soll. Denn eigentlich geht es nur um sie. Um ihr Denken und auf mich drauf schauen, obwohl sie mir egal wären, wären nicht sie diejenigen, die mich umklatschen können, wollen, müssen.

Wir teilen uns einen Raum, aber bedeutet das zwangläufig, dass wir uns einander teilen müssen?

In all den Auseinandersetzungen von Menschen, die von der eigenen Familie misshandelt wurden, gibt es diese Annahme einer Verbundenheit, die über den physischen und sozialen Raum hinausgeht und auf diese Annahme werden Konstruktionen gebaut, die diesen Raum logisch machen sollen, es aber nicht tun. Zumindest nicht für mich, weshalb ich heute oft in Ausstiegsgedanken und Zweifeln anderer Menschen sitze und mich frage, wieso die Emotionen, die mit der Herkunftsfamilie einhergehen so viel mehr Raum einnehmen, als bei uns damals die Überlegungen, wo man schläft, isst, trinkt, wie die Alltagsgestaltung und der eigene Lauf der Dinge geschehen soll. Wir fanden es schade aus diesem Raum zu gehen, weil er ja viel auch Klarheit und bestimmte Ebenen von Logik hatte. Aber wir sind nicht gegangen um jemandem eins auszuwischen oder auf eine Art zu bestrafen oder ähnliches. Dass man unser Verhalten so lesen könnte, merkten wir erst als wir mit Menschen darüber redeten, dass wir gegangen waren.
Vor uns selbst gingen wir, weil es das Wissen gab, dort auf lange Sicht zu sterben. Wir mussten gehen. Punkt.

Noch leichter war es, als klar war, dass wir in illegale Dynamiken eingebunden waren und im Grunde unhinterfragt Dinge taten, die eigentlich fremde Personen von uns verlangten.
Für uns standen in dem Moment keine moralischen Fragen im Raum oder ähnliches. Auf eine Art hatte es mehr Gefühle von vorweg genommener Scham und dem Wissen, dass Menschen nicht verstehen, welcher Hebel in einem da benutzt wurde. Selbst Personen, die von sich behaupten, sich auszukennen, verstehen das nicht. Sie nehmen einfach an, dass es der Hebel wäre, von dem sie bei anderen gehört/gelesen haben.

Und ich sitze da, beiße mir in die Hand und erlasse das Dekret mich an die 50 min Therapiezeit zu halten, anstatt zu versuchen es zu erklären und mich der Scham auszusetzen. Ich möchte nicht für so naiv und dumm gehalten werden, wie es unser Verhalten damals vermuten lassen könnte.

Ich weiß nicht, ob die Menschen, die sich schon lange mit traumatisierten Menschen und ihren Verarbeitungswegen auseinandersetzen, merken, welche Norm sie definieren, auch dann, wenn sie genau versuchen das nicht zu tun.
Als eine grundlegende Voraussetzung für Traumatisierungen gilt noch immer auch die Überforderung einer Person ihre Liebe für eine Person mit ihrem Hass, ihrer Ablehnung, ihrer Wut, ihrer Zärtlichkeit etc. etc. etc. zusammenzubringen.
Bis jetzt habe ich noch keine Publikation lesen können, in der die Problematik formuliert wird, sein Bewusstsein (seine Kognition?) für verschiedene Dynamiken, die mit (scheinbar) willkürlichen Emotionen und sozialen Rollen belegt werden, zusammenzuhalten.
So lese ich immer wieder von Kindern, die sich Liebe (im Sinne von Bedürfnisbefriedigung) wünschen und den Schmerz der Zurückweisung (im Sinne von “Bedürfnisse werden fehlinterpretiert/unbefriedigt/verdreht/missbraucht etc.)  als massiv zer-ver-störend erlebten und nicht verarbeiten konnten, nicht zuletzt, weil ihnen der Ausdruck verwehrt wurde – und nicht von Kindern, die sich fragen, ob es Liebe ist, wenn sie umarmt werden – es ihnen aber doch irgendwie weh tut und das doch eigentlich aber genau nicht Liebe sein soll – und die genau wegen ihres Ausdrucks dieses Konflikts misshandelt werden.

Ich nenne das heute “diese typische Alltagsgewalt”, die so ganz neben anderen Kontexten steht und eigentlich jeden Tag statt gefunden hat.
In der Öffentlichkeit. Im Grunde durch jede Person, die eine Dimension meines Raumes berührt hat.
Wenn ich heute sage, dass mein Leben schwierig ist (war), weil es einen Zustand permanenter Überforderungen bedeutet (hat), wird es schnell übersetzt mit: “es gab keine Misshandlungspausen” = “chronische Traumatisierungen” = “komplexe/schwere/tiefgreifende Schäden”.
Es wird normiert innerhalb von etwas, das es gibt, um einen bestimmten Bereich außerhalb der Norm zu definieren.

Gewaltvoller Alltag ist aber kein Norm-abweichungs-bereich.
Alltagsgewalt ist Alltag, ist alle Tage mit Gewalt voll.

Elternmord

Wir sitzen in der Küche und neben unserem Gespräch, hopst die Nacht unterm Fenster entlang.
Der Mensch sagt: “Man könnte es auseinanderklamüsern und einen Anfang finden.”. Seine Hände bewegen sich von einander weg. Eröffnen ein symbolisches Feld in das unsere Entwicklung und unsere familiäre Interaktion hineinpassen soll.

Das Inmitten pulsiert und vielleicht weine ich am Rand des Außen, weil es so herzzerreißend ist.
So ein Wunsch, ein Interesse – so ein Moment, in dem man doch nur eine Frage hat und die doch nur beantwortet haben möchte – so ein Moment, in dem man doch nur verstehen möchte, so ein Moment ist zu zart für das, worum es geht.

“Es geht ja nicht um Schuld. Hier wird niemand gerichtet.”, so etwas sagen Psycholog_innen in jedem Elterngespräch ums krankbeklopptkaputtgespielte Kind und in meiner Familie hat das nie funktioniert. Wie soll das generell auch funktionieren, wenn Eltern – egal, ob sie ihr Kind absichtlich oder aus eigener Unerfahrenheit, Not, Ohnmacht, Impulsivität, eigenen unverarbeiteten Traumatisierungen heraus misshandeln oder nicht – sich gar nicht im Wunsch nach Verstehen auf genau der Ebene der Objektivität bewegen können.
Der Anspruch nicht in Schuld-Unschuld- Dualismen zu agieren,  blendet innere Dynamiken und den sozialen Kontext in dem Menschen leben, aus.

Gespräche ums Selbst und Sein, passieren nicht in luftleeren Räumen.
Kein Gespräch ist ohne Bezug.

Es wäre spannend, wären Menschen Objekte, deren Entwicklung man anhand von Etappen und Ereignissen systematisieren kann.
Es wäre so praktisch, dass man es er/begreifen kann, könnte man menschliche Entwicklung innerhalb von Mikrokosmen beschreiben und analysieren, wie Schimmelwachstum in einer Petrischale.
Menschen sind aber nicht so. Schon gar nicht sind Familien so. Und Misshandlungsfamilien haben, zumindest ist das meine Idee, jeweils so spezifische Dynamiken zwischen und an jeder einzelnen Interaktion, das von einer systemischen Multiplizität gesprochen werden könnte. Dass man am Ende sagen könnte: Misshandlungsfamilien sind in einer rhizomatischen Dynamiken-Dynamik verhaftet, die zu beobachten nur dann überhaupt praktisch möglich ist, wenn man selbst in ihr lebt. Doch diese Beobachtungen daraus heraus zu formulieren wäre aufgrund ebenjener Beteiligung nicht mehr möglich, weil es Teil der Dynamik ist, genau dies nicht zu tun bzw. dazu nicht befähigt zu werden.

Das ist, was Schweigegebote und die Misshandlungsfamilie als abgeschlossenen Raum im Raum im Raum schwer bewortbar macht.
Das Ende der Äußerung kann sein einen Aspekt einer Dynamik zu transportieren: “Was zu Hause passiert, bleibt zu Hause.” – also ein Schweigegebot sichtbar zu machen. Dem Beobachter von außen bleibt aber der Weg zu dieser Dynamik verborgen und die Dynamiken, die genau dieses Ende benötigen, um das Gesamtsystem (den Raum mit seinen Dimensionen) aufrecht zu erhalten.
Die Reflektion tötet am Ende die Misshandlungsfamilie bzw. bringt sie in existenzielle Gefahren.  Am Ende gibt es Abstoßung.

Und irgendwann gibt es eine Person, die mit fast 29 Jahren in ihrer Küche sitzt und überlegt, ob das Gegenüber verstehen könnte, wenn sie sagt:
“Du kannst nicht mit meiner Familie sprechen, weil ich sie ermordet habe. Ermorden musste, damit ich über sie nachdenken konnte. Damit ich meiner Therapeutin überhaupt die Fetzen meiner Erinnerungen mitzuteilen wagen kann.”.
Es ist Teil des So-tun-als-ob-Spiels, das Teil einer inneren Dynamiken-Dynamik ist, die unsichtbar blieb, weil Abstoßung ein heimlicher Akt ist.

Aussteiger_innen sollen heroische Selbstretter_innen sein, die die Gewalt an sich erkannt haben und etwas Besseres für sich  wollen.
Sie sollen selbstbestimmt sein und eine Linie ziehen – eine Entscheidung treffen und diese verteidigen.
Aussteiger_innen morden nicht. Sie gehen einfach weg und korrigieren den Blick zurück von sich aus nach vorne.

Wäre Abstoßung nicht heimlich, gäbe es noch andere Stereotypen.

Ich habe meine Eltern getötet und halte bis heute ihre Leichen in meinen Armen.
Analysiere, seziere, bedenke etwas, das diese Welt schon längst verlassen hat und mich nicht mehr braucht, um sich am Leben zu erhalten.
Das ist nicht, was in den schlauen Büchern zu Ausstieg aus gewaltvollen Kontexten steht, aber es ist auch ein Aussteigen, dass es mir ermöglicht hat nicht zu verharren und meine Therapiemöglichkeiten zu nutzen.

Es ist die Maxime: “Es ist vorbei”, es ist die Erleichterung über die Wertung des eigenen Wortes, der eigenen Er-Lebensrealität – das So-tun-als-ob-Spiels der Psychologie, das einen Raum ohne Kontext ermöglichen will, um Probleme und ihre Lösungen zu erdenken.
In Bezug auf Gewalt funktioniert das nicht, weil Gewalt immer und immer und immer selbstbestätigend ist und eben auch in einem leeren Raum existiert, allein schon in dem Umstand, dass es den Raum gibt bzw. geben muss und kann.

Wenn man Gewalt in einen Raum steckt, steckt man Schuld, Scham, Schmerz automatisch mit dazu und muss zwangsläufig reduzieren, um etwas zu sehen, dem man sich soweit widmen kann, dass man es verstehen bis begreifen kann. Doch es wird – es muss – dann unvollständig sein und am Ende unbefriedigend, sinnlos, verrauchte Energie. Das Gefühl, den eigenen zarten Wunsch nach Verstehen unter etwas schwerem, großen – überforderndem Irgendwas erschlagen zu fühlen.

Als wir eine Jugendliche waren, sahen wir dieses überfordernde Ding, über viele Psycholog_innen in Elterngesprächen rollen und bekamen immer wieder zu spüren, dass “Abgrenzung” an der Stelle bedeutet, dieses Ding auf uns abzulegen, weil es ja sowieso schon mit uns zu tun hatte.
Und als Teil der Dynamiken-Dynamik sind wir darunter nicht dekompensiert, eben, weil wir ein Teil davon waren.

Heute wirft man mir gerne vor Sackgassen-Situationen zu kreieren.
Man mag es nicht, wenn ich Dynamiken innerhalb von Dynamiken aufzeige und zeige, dass Gewalt = Gewalt ist und nichts weiter.

Man möchte gerne glauben, da gäbe es Wege und Mittel, wenn nur der Raum frei genug ist.
Man möchte gerne glauben, dass dieses Moment des Verstehenwollens als harmlos gesehen werden kann.

Und ich lasse sie ihre Vermeidungstänze machen.
Weil ich weiß, wie wichtig sie sind, um sich am Leben und Glauben zu erhalten.

Autismus und DIS #4

Es gibt diese Tage von denen man nicht weiß, dass es Tage sind. Dieses Sein voll Reiz und Reaktion, ohne irgendeine Dimension, die ihre Hand austreckt und vor dem Ertrinken bewahrt.
Wenn man den Absprung aus dem intrusivem Erleben in die Orientierung hinein nicht geschafft hat, sondern von Impuls zu Impuls springt und froh ist, wenn man einen Fetzen seines Intellekts sieht und sich ver_stehend erlebt.

Wir müssen sortieren. Vor der Flut des Innen und Außen stehen wir. Sind seltsam unberührt, doch Schreie fühlend, die aus dem Inmitten quellen, dringen und drängen wollen.
Man kann nichts damit anfangen, weiß keine Reaktion und am Ende ist der Impuls egal, obwohl er macht, das man kopflos getrieben wird.

Während die einen noch vor dem Wort “Autismus” stehen, als sei es ein Kleid, in das hineinzuschlüpfen, man sich errechnen muss, obwohl die Zahlen im Kopf weh tun, ruft es im Innen nach einer höheren Instanz, die anleitet und beruhigt. Sicherheit, Entlastung schafft.
Andere lauern auf ihren Moment an ihren Projekten zu arbeiten – um ihr Ende finden und genießen zu können, um sich von der helldunkelbunten Masse  des Inneren lösen zu können, die stiert und starrt und dumpf pulsend versucht das eigene Sein möglichst wenig fühlen.

Es ist der Gedanke, die Verheißung, die Idee, ein Sein – ein Sosein zu haben, das nicht impliziert ein So-tun-als-ob-Spiel zu spielen, damit man überleben kann.
Die Idee, dass kein Innen mehr so tun müsste, als wäre es wie die, mit denen sie es zu tun haben. Die Verheißung, aufhören zu können diese eine Kluft zu überbrücken zu versuchen und trotzdem noch zu sein.
Das ist ein Maß an Orientierung, im Hier und Heute, das wir nicht kennen.
Das wir nicht sortieren können, weil es zu viel bedeutet.
Es bedeutet nicht nur anzuerkennen: mein Innenalter, entspricht nicht dem Körperalter; mein Selbst ist von einem fragmentierten Ich (vielen ichs) umgeben und definiert oder “ES und DAS DA ist vorbei” – es bedeutet auch: Die Kluft ist wirklich und das Spiel “So tun, als ob sie überwindbar sei”/ “So tun, als ob sie nicht da wäre”, könnte jetzt aufhören. Ist vielleicht schon vorbei und wartet darauf, dass auch wir aufhören.

Es bedeutet Gespräche für andere genauso anstrengend wie für uns zu machen.
Indem wir aufhören so zu tun, als würden wir wissen, was das gegenüber meint. Indem wir schweigen, wenn eine Antwort von uns bedeuten würde, sie wäre unbefriedigend eingedampft für uns – aber bereichernd und inspirierend für andere. Indem wir äußern, wann wir verwirrt sind, uns gestört, bedroht, unberührt fühlen.

Es bedeutet Alltagsgewalt an uns zu unterlassen und uns in der Folge nicht mehr zu Konventionen zu zwingen, die uns unsinnig und schmerzend erscheinen.
Es bedeutet zuzulassen, dass das Konzept von innerer und äußerer Sicherheit, die Gewalt an uns bedeutet, die wir wahrnehmen doch bis heute nicht nach außen getragen haben, weil die Norm es nicht gern hat, normativ genannt zu werden.
Es bedeutet Selbstfürsorge als so schwer und überfordernd sichtbar zu machen, wie wir sie erleben.

Es bedeutet ein Zugeständnis an die Alleinigkeit, den Autismus als Lebensform, vor dem man sich verschlossen hat, weil unsere Gesellschaft die Alleinigkeit mit Einsamkeit, mit Asozialität und darüber mit Anormalität verbunden hat und so tut, als wären Kluften, wie die über deren Überwindung wir uns schon unser ganzes Leben lang aufrauchen,  schlicht inexistent, weil nur wir sie spüren.

Es bedeutet ein Zugeständnis an den Unterschied zwischen der Einsamkeit der Opfer und derer, die Opfer waren und der Einsamkeit, die sich aus Inkompatibilität und Lügen_leben ergibt.
Es bedeutet die Anerkennung einer Isolation, die beides ist: Entlastung und Auslieferung

Es bedeutet: Dinge werden sich verändern.

friendly reminder

es gibt eine neue Episode „Viele-Sein“

Diesmal verlassen wir das übliche Format des Audiopodcast und teilen ein paar Kleinode positiver Ressourcen.

Viel Spaß!

spontan

“Das ist doch die einzige wirklich gute Konvention in Psychogesprächen: dass manche Konventionen nicht sein müssen.”, sagt es ins Telefon und verabredet sich. Spontan.
Weil darum und weil. Und so.

Ich weiß nicht genau, wann wir zuletzt die Möglichkeit hatten, mehr oder weniger risikolos über unser Denken und Wahrnehmen zu sprechen. Eigentlich könnte man ja annehmen, dass wir das ständig in der Therapie tun, doch das ist nicht der Fall.
In unserer Therapie geht es auch darum zu schauen, wie der Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen aussehen kann. Könnte. Sollte.
Es geht um Selbstwahrnehmung. Nicht um die Qualität und die Wege dahin oder darum, wie man seine Kommunikation er- und bearbeitet.

Sie wartet an der verabredeten Stelle. Läuft ein Stück vor. Betrachtet das T-Shirt der Person im an ihr vorbei fahrendem Auto.
“Dunkel. Ein dunkles Shirt. Das ist er.”. Ich weiß nicht, ob sie mich hört oder bemerkt.
Es kommt keine Reaktion auf meinen Hinweis, dass dunkle Shirts kein Alleinstellungsmerkmal sind.

Das Auto kommt zurück. Der Mensch darinnen ist tatschlich die Person, mit der es sich verabredet hat, damit sie sprechen kann. Und die anderen auch. Wenn sie wollen.
Wenn es überhaupt geht.

Es ist seltsam, wie viele Schrauben an dem Treffen sind.
Wir begegnen uns auf einem der Friedhöfe, auf dem sie sich wohl fühlen und setzen uns auf die Wiese, die am wenigsten stresst.
Der Mensch fragt, was wir von ihm brauchen, damit es okay ist.
Mir fällt ein, dass wir uns die Frage in Bezug auf unser Sitzen im Therapieraum bis heute nicht zu Ende beantwortet haben.

Während sie und es einander die Brocken zuwerfen, um sie nach außen zu bringen, fangen wir die Worte des Menschen ein und breiten sie vor uns aus. Schnörkellos und linear.
Hm.
Komisch.

Vom Rand dringen Warnungen und ein dumpfes Weinen.
Donner rumpelt durch die Wolken und das Gewitter tanzt bereits durch die Haarspitzen.
Es beginnt zu regnen und wir setzen uns in einen überdachten Durchgang der Trauerhalle.

Der Regen rauscht und potenziert den Verkehrslärm zu einem reißenden Nervenfeuer unter der Haut. Der Hall des Tunnels zerrt an den Worten und mein Wunsch für sie den Faden nicht zu verlieren hält dagegen.
Ich halte einfach alles irgendwie zusammen, weil kein Gewitter endlos ist.

Man könnte meinen, wer so viel Ansprache und Widmung wie wir bereits erfahren hat, der hätte schon alles durch.
Ich denke oft, dass wir schon alles gesagt haben. Dass wir eigentlich leer sind.
Dass wir eigentlich nichts mehr zu geben haben.

Und dann sehe ich, wie groß die Kluft zwischen Geben und Annahme mitunter ist.
Und falle hinein.
Erinnere, dass ich sie mit aller Macht vergessen wollte, weil sie mir unüberbrückbar erscheint. Erinnere eine Episode nach der anderen, in der wir uns verausgabten um uns verstanden und angenommen zu fühlen. Erinnere wie viele in dieser scheinbar unsichtbaren Tiefe ertranken und verstarben.

Vielleicht war es eine gute Idee, die eigene Intelligenz endlich ernst zu nehmen und sich zu trauen, sie durch die eigenen Augen anzusehen. Sie orientiert am eigenen Er-Leben zu erkunden.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem das Ergebnis mitgeteilt wurde und daran, was für eine seltsame Aufregung im Raum lag. Es war eine dieser erwartungsvollen Aufregungen, in der wir uns als im Auge eines Tornados sitzend erlebten und nicht wussten, welche Re_Aktion jetzt zu wählen sei.
Egal, was wir getan oder nicht getan hätten – unsere Rolle in dem Moment war ganz klar, es zu verderben. Aktiv – etwa, indem wir sagen, was wir sagten:”Okay.” oder passiv, indem wir waren, was wir damals schon waren: allein und ohne jede Möglichkeit nach außen dem zu entsprechen, womit andere Menschen ihre Zahlen, Worte und Werte aufladen.
Ich weiß noch, dass ich mich bei der Psychologin damals für ihren Aufwand, die Auswertung überhaupt machen zu können, entschuldigte und gleichzeitig dachte: “Ey – ja aber wieso glaubt sie mir denn auch nicht einfach und gut is?!”

Während der Mensch spricht und fragt, merke ich, wie dankbar sie ihm dafür sind.
Einfach fürs Fragen. Fürs wissen wollen.
Obwohl viele Obwohls ihre Ecken in die Schläfeninnenseiten bohren.

Es ist diese Verheißung des Loslassens, die da wieder auftaucht und von der wir dachten, im Laufe unseres Erwachsenwerdens, würde sie weniger verlockend auf uns wirken.
Wenn wir erwachsen seien, dachten wir, dann könnten wir besser mit dieser Kluft umgehen, mit Menschen umgehen, uns verstehbar machen, uns irgendwie soweit integrieren, dass es uns nicht mehr stört…
Das Erwachsensein würde alles ausgleichen, was wir als fehlend wahrnahmen.
Erwachsenwerden und Erwachsensein verlor damit seinen Status als Teil des Lauf der Dinge und wurde zum Werkzeug.

Der Mensch fragte, was es bedeuten würde, eine Aspergerdiagnose zu haben.
Und während sie und es sich auf Ebenen des Außen und des Mehr beschränken, wird mir klar, dass meine Ebene das Innen und das Weniger umfasst und ich vielleicht genau deshalb keinen Zugriff auf die Worte hatte, die sie nach außen fallen ließen.
Für mich würde es bedeuten: Loslassen und sein zu können.

Nicht viele, nicht ich, nicht etwas oder jemand zu sein, sondern einfach zu sein und diesen in meine Handinnenfläche gedrückten Faden, in diese so überbordend nicht- bis missverständliche Welt loszulassen.
Ich würde das Inmitten nicht mehr zusammenhalten, “weil man das so macht” und mir genau das zur kraftzehrenden Angewohnheit wie eine Sucht aus äußerem Zwang geworden ist.
Ich würde helfen einen Platz zu finden, in dem sie und ich und wir und die anderen auseinanderfallen könnten, damit wir uns in Ruhe erkunden können.

Ich glaube nicht, dass andere Menschen verstehen können, wie das ist, wenn man sein Leben lang etwas zusammenhält, das man nicht einmal kennt.
Nicht: “Sich zusammenreißt und sich anders verhält, als man vielleicht will.”
Ich meine das, was man für sein Selbst hält. Das, wo nie ein Trauma seinen Weg hinfinden konnte, weil es sich nicht dort befindet, wo ein Trauma allgemein verortet wird, wenn es nicht körperlich sichtbar ist.

Die Luft ist dicht und feucht, als sie auf der Bank sitzen.
“Ich halte es für wichtig, die Testung machen.”, sagt der Mensch und begründet sich mit einem Artikelabschnitt aus dem Blog von Vielen.

“Ich halte es für wichtig, die Testung zu machen.”, will sie nach vorn geben.
Ich fange es ab. Stopfe es zurück.
Sie wählt ein anderes Wort.
“Okay.”.

ein „bisschen viele sein“

(~ Fortsetzung ~)

“Ein bisschen verrückt sind wir ja alle.”, “Wir sind doch alle irgendwie viele”…
Mich machen solche Worte wütend, weil sie mich verletzen und ich mich ohnmächtig davor fühle.

Nein, wir sind nicht alle ein bisschen irgendwie verrückt und irre. Und nein, wer nicht viele im Sinne einer DIS ist, die:r ist nicht irgendwie auch ein bisschen viele.

Verrückt oder auch irre sein bedeutet nicht “some crazy shit” zu machen oder “voll irre Dinger abzuziehen”. Also Dinge zu tun die anders sind als andere – wagemutig, halsbrecherisch, gegen die Konventionen, gegen alle Regeln.
Menschen, die von sich sagen, dass sie viele sind, sind keine Menschen, die viele verschiedene soziale Rollen erfüllen/ sozialen Erwartungen gerecht werden müssen.

Diagnosen sind keine Label, die man sich selbst aussuchen und bedienen kann.
Eine medizinische oder psychiatrische Diagnose ist ein anderes Wort für “Abgrenzung vom Üblichen”. Dieses Übliche, das könnte dieses ominöse “Wir” in “Wir sind doch alle irgendwie verrückt” sein.

Wenn wir versuchen Menschen klar zu machen, was viele sein bedeutet, dann versuchen wir es mit einer Abgrenzung des Üblichen – nämlich der sozialen Rollen, die in unserer westlichen Gesellschaft üblich sind.
Und ja, soziale Rollen und der Umstand, dass die Menschen diese Abgrenzungen verstehen haben sehr viel mit unserem westlichen Selbstverständnis und auch mit dem Kapitalismus in unserer Gesellschaft zu tun.

Heute ist es so, dass niemand nur eine Rolle in unserer Gesellschaft inne hat.
Selbst wenn man völlig allein lebt ist man immernoch gleichzeitig auch Single, Steuerzahler_in, Konsument_in, Arbeitskollege/Arbeitskollegin, Leistungserbringer_in, jemandes Tochter/Sohn, und alles, was man an sich selbst noch bemerkt und beachtet.
Der Übergang von Identität und sozialer Rolle erscheint oft fließend und, weil das so ist, machen es sich manche Menschen sehr leicht: sie tun einfach so, als ob das Eine das Andere ist. Und weil der Kapitalismus genau diesen Mechanismus nutzt, um seine Konsumenten zu erreichen (aber auch: sie zu binden und zu definieren), fühlen sich viele Menschen darin bestätigt. Stichwort Gendermarketing.

Was nun genau der Unterschied zu Identität und sozialer Rolle ist, wird viel diskutiert und ich fürchte eine leichte Antwort darauf gibt es nicht, denn ganz losgelöst von einander sind sie dann eben doch nicht.
Was für das Verstehen des viele seins wichtig ist, ist, dass es kein aktiv gelebtes Bewusstsein um die Gleichzeitigkeit gibt. Selbst dann, wenn sie (durch die Diagnose und vielleicht auch eine begonnene Therapie) bewusst gemacht wurde und der Ratio klar ist, dass es sie gibt, wird sie nicht als solche erlebt, weil an dem Punkt die Dissoziation as in “dissoziative Identitätsstruktur” ins Spiel kommt.

Für mich als Innen (18 Jahre alt, K., Autorin so ziemlich jedes Rants in diesem Blog) ist mein sein – mein viele sein – verbunden mit Angst und Unsicherheiten vor denen ich mich ohnmächtig fühle. Ständig passiert mir irgendwas, was mich in genau diesen Zustand – mein Ich, mein ganz eigenes “Da_sein” – bringt und ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals anders war.
Mein Kopf weiß, dass ich auch lachen und ausgelassen sein kann – ich habe das aber noch nie erlebt und dabei das Gefühl gehabt, dass ICH das erlebte.

Entweder schwebe ich neben solchen Momenten irgendwie daneben und achte – ich weiß nicht mal wieso genau – einfach nicht drauf (und denke in solchen Momenten auch nicht: “Oh ich weiß ja, dass ich mal besser drauf achten sollte” und hasse mich inzwischen für genau das, weil ich denke: “Das soll die Therapie doch auslösen – wieso tut sie das nicht?!”.
Oder ich bin einfach nicht dabei und weiß von diesen Momenten so lange nichts, bis mir jemand mitteilt, dass mein Körper diesen Moment erlebte. Wenn ich dann zurückdenke und mich aktiv darauf konzentriere, dann kann ich eine Ahnung davon fühlen. Vielleicht ist das aber auch nur Einbildung, weil ich mir wünsche, ich würde genau das fühlen, denn faktisch würde ich nicht merken, wenn ich ausgelassen und fröhlich bin, weil ich es einfach noch nie war.
Ich würde merken, dass etwas anders ist als sonst – dass ich anders bin als sonst und würde – ta da: Angst bekommen und mich ohnmächtig fühlen und würde darüber wütend werden.

Es gibt eine Idee vom Viele sein, die sagt, dass die Innens in Menschen, die viele sind, da sind um bestimmte Funktionen zu erfüllen und bei einer sekundären DIS kann ich mir dieses Modell auch gut passend vorstellen.
Bei einer sekundären DIS gibt es eine sogenannte Hauptperson (manche sagen auch “Host”), die für frühere Traumatisierungen (und manchmal auch traumanahe Situationen) amnestisch ist, und eine Reihe von Innens, die gar nicht oder nur teilweise amnestisch sind. Für uns klingt die Konstruktion dieser Innenleben von Personen, die viele sind, reichlich defizitorientiert, weil sie impliziert, dass die Hostperson ein Hohlbrot ist, das ohne die anderen Innens im Grunde nicht lebensfähig ist. Tatsächlich ist das aber nicht so.
Wenn man schon davon anfangen will, dass Innens einander brauchen und irgendwo auch von einander abhängig sind, dann sollte man schon so eine Einteilung in “Hauptperson” [A(nscheinend)N(ormale)P(ersönlichkeit)] und “das andere Gekröse” [E(motionale)P(ersönlichkeit)] einfach mal lassen.
Manche Menschen mit DIS tun das für sich schon, in dem sie sich selbst im Innen als “System” bezeichnen.

Es gibt aber eben auch die tertiäre DIS mit der wir leben und in der sich die Innens nicht mehr 1:1 immer und in Bezug auf alles zuordnen lassen, weil es mehrere (Funktions-)Systeme gibt, für die es untereinander ebenfalls eine Amnesie gibt.
Mit so einem Innen ist es durchaus möglich mehrere Leben, die tatsächlich autark nebeneinander her ablaufen zu haben,  wenn man sieht, welche Funktionsbereiche diese bedeuten.
Wir haben erst gemerkt, dass wir von der Kunstschule eigentlich nichts weiter wissen, als, dass wir da tatsächlich hingehen und einen Fotokurs mitmachen, als wir danach gefragt wurden, was wir da nun eigentlich konkret machen. Die Kunstschule fordert ein Funktionslevel ab, das ein anderes Funktionssystem bei uns abruft/anspricht, als das Bloggen im Büro zu Hause.

Genauso solche “Huch-  Ääääh hä?!” – Momente, wenn uns jemand dann nach Details aus uns innerlich fremden Funktionsbereichen fragt, bestimmen unser Leben.
Das war tatsächlich noch nie anders und die Leistung – wenn man denn überhaupt von Leistung bei Anpassungsreaktionen sprechen will – ist, dass wir über diese Momente nie an einen Punkt gekommen sind, an dem wir nicht mehr weiterleben konnten.

Frage an alle, die bis hierhin gekommen sind: Gemerkt, dass wir gerade von “Leistung” und “Funktion” sprechen und nicht mehr von “Identität”?

Im Zuge diverser Veröffentlichungen zum Thema DIS (egal ob sekundär oder terziar oder im Fließbereich zu anderen dissoziativen Störungen* (wie der DDNOS oder auch (!Achtung, wir sortieren das so – Psychiatrie/Medizin nicht!) das Borderlinesyndrom) wird vom “fragmentierten Selbst” oder der “zersplitterten Seele” oder dem “multiplen Ich” gesprochen.
Es werden also Formulierungen verwendet, die nichts mit Leistung (Anpassungsleistung) oder Funktion zu tun haben,  sondern welche, die wiederum mit Identitäten und darüber dann wieder um sozialer Rolle vermengbar sind.

Das wiederum macht es sehr schwer seine Lebensrealität als Mensch, der viele ist und eben mit einer tertiären DIS lebt, irgendwie klar zu machen, denn einerseits ist dieses Schema um DIS sehr gut um zu erklären, wo Defizite liegen, wie welche Funktionen warum sinnhaft und logisch (wenn auch unter Umständen dysfunktional in äußeren Kontexten) sind; andererseits sind diese Schemata unbrauchbar als Kartografie des Ich eines Menschen.

Für uns als Einsmensch braucht es aber ein Ich an dem ein Verständnis von eigener Identität kleben kann, ohne, dass es eventuelle andere Identitäten und Ichs in sich ausklammert, um sich als Teil des “Wir” zu betrachten, das in Sätzen wie “Wir sind doch alle irgendwie verrückt” steckt.
Ich, K. gelte als Autorin, weil ich Dinge schreibe und Menschen zu Menschen, die schreiben sagen, sie seien Autor_innen.

Ich für mich bin einfach immer nur K. die wütend wird, wenn sie sich ohnmächtig fühlt. Ich definiere mich über meinen Zustand. Ich betrachte mich als Zustand eines ICH, das in Folge der erlebten Gewalt nicht in der Lage war sich so im Außen zu finden, dass es eine Identität entwickeln konnte.
Und nein – der Umstand, dass ich einen Namen habe, bedeutet nicht, dass ich eine Identität habe – das bedeutet nur, dass ich mich so benenne.

Für uns ist klar, dass das Vielesein keine Identität ist. Die soziale Rolle, die Menschen, die viele sind gern aufgedrückt wird, schwankt irgendwo zwischen Opfer, Kranke, Verrückte, Überlebende – alles Rollen, die mit einer Leistung bzw. einem Status verknüpft sind, die nichts mit den Menschen und ihrem Selbst zu tun haben. Man muss kein Ich haben, um Opfer (geworden) zu sein, um krank zu sein, um verrückt zu sein oder überlebend(e) zu sein – man muss nur etwas sein, das jemand anderes benennt.
“Opferidentität” ist auch deshalb ein Arschnasenwort, das bitte gerne auch nicht mehr verwendet werden muss.

Für mich ist klar, dass es schwierig ist das, Ich in meiner Selbstbeschreibung irgendwie von dem ICH, dessen Zustand ich bin zu trennen. Das liegt aber nicht daran, dass das nicht sein kann oder daran, dass ich hier unlogisches Zeug daher rede, sondern daran, dass der Begriff von Selbst und Sein und Ich und Identität und dem, was den Menschen als Menschen mit Seele und der Fähigkeit zwischen sich und anderen zu unterscheiden ausmacht, noch nicht fertig und klar und einfach zu definieren ist.
Schon gar nicht, wenn man es möglichst einfach haben will.

Die Menschen, die mir früher immer wieder gesagt haben, meine Probleme und alles, womit wir uns an sie gewendet haben, wären ja viel zu viel, die haben in aller Regel nicht mal so weit gedacht, dass das Kernproblem aller Probleme in unserem Leben nicht die Tatsache ist, dass wir funktionieren, wie wir funktionieren, sondern, dass wir immernoch funktionieren und einfach immer wieder vor der Frage stehen, ob wir überhaupt für ein ICH oder ein Selbst funktionieren und wenn ja, was das eigentlich genau ist. (Und wenn nein: Sind wir dann noch etwas, was man als „Mensch“ bezeichnet?)

Wenn wir nicht gerade gegen massive dissoziative Symptome anleben oder mit den Folgen, die unverarbeitete Traumatisierungen eben mit sich bringen beschäftigt sind und uns 24/7/365 um das eigene noch-immer-am-Leben = im Funktionieren – sein versichern.

So zu er-leben, wie es Menschen tun, die viele sind, ist eine Lebensrealität die “verrückt” im Sinne von „nonkonform“ zu nennen, schlicht ignorant und versimpelnd ist.

~ Fortsetzung folgt ~

viele sein erklären

~ Fortsetzung ~

“Und wann hast du gemerkt, dass du in der Pflicht bist alle Menschen mit DIS zu repräsentieren?”

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann das zum ersten Mal in einem Gespräch zwischen unserer Gemögten und uns aufkam und was der Auslöser war.
Dass ich das nicht mehr weiß, macht mir klar, dass es für uns bei dem Thema Projektion und Anspruch an uns um mehr geht, als nur das übliche Problem, das Blogger_innen (und *ist_innen allgemein) haben.

Immer wenn ich mit der DIS sichtbar wurde, gerade in Jugendhilfeeinrichtungen oder Betreuungen, manchmal auch bei Mediziner_innen, Beratungsstellen und Praxen für Psychotherapie, gab es die große Unwissenheit. Man sollte es nicht glauben, aber bis heute wissen Mediziner_innen nur selten mehr über Traumafolgestörungen* als das, was unter dem Begriff der PTBS benannt wird.
Bis heute ist es nicht selbstverständlich, dass es in Frauenberatungsstellen mehr als eine oder zwei Berater_innen gibt, die Kenntnis von dissoziativen Störungen als Traumafolge haben.
Mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu tun zu haben, ist den meisten Erzieher_innen in der Jugendhilfe klar, doch was dies in Bezug auf ihre Arbeit bedeuten muss und worin sich diese Besonderheiten begründen, wissen die wenigsten. Ähnliches gilt für Eingliederungshilfen für Erwachsene.

Wir haben heute eine so glatt geschliffene Art die DIS zu erklären, weil wir jahrelang oft nichts anderes als unbezahlte Aufklärungsarbeit gemacht haben, die nicht als solche anerkannt wurde, sondern oft genug auch unter “die Bekloppte reden lassen” einsortiert wurde.
Dass wir dort etwas taten, was weder in unserer Verantwortung lag, noch etwas ist, wofür sich manche Behandler_innen richtig was bezahlen lassen (und dabei oft auch noch weit weniger wirklich begreifbar machen), war uns nicht klar.

Dass es aber auch Auswirkungen auf den Blick auf uns als glaubhafte, wahrhaft multiple Person haben würde, wussten wir ebenfalls nicht und vergessen das auch heute oft.

Es gibt die Diskrepanz zwischen den Worten, die man für seine Umwelt- und Selbstwahrnehmung hat und dem, was man davon wie nach außen für andere sichtbar (findbar) ist.
Wenn ich sage, dass ich depersonalisiere oder derealisiere (das sind die Artikel im Blog, die immer wieder so klingen, als würde ich eine Geschichte schreiben), dann merkt es das Außen nicht unbedingt. Vielleicht sieht man eine motorische Fahrigkeit, bemerkt Schwierigkeiten mit der Sprache, bemerkt, dass es verzögertes Reagieren gibt – doch all das geht nicht zwangsläufig miteinander einher.

Und dann gibt es da die Problematik, dass die Diagnosebeschreibung oft auch das eine oder andere (unausgesprochene) Vergabegebot unter BehandlerInnen begründen.
Das heißt, wenn ein creepy Sherlock auf mich zukommt, 20 Minuten mit mir zu tun hat und mein Sein anhand der Diagnosekriterien seziert, wird si:er nicht immer zu 100% Übereinstimmungen finden.
Solche Personen blenden dann oft auch unsere Entwicklung und ihre Folgen aus.
Es ist kein Anzeichen von einer Nicht-DIS, wenn man nach 13 Jahren DIS- Diagnose irgendwann aufhört, die Diagnose an sich so in Zweifel zu ziehen, wie man das noch tat, als sie frisch war bzw. wie man das noch tat, als man begriff, was sie impliziert.
Es ist auch kein Anzeichen einer Nicht-DIS, wenn man nicht für jede umstehende Person offensichtliche Wechsel des Seins hat. (Genauso wenig ist es ein Anzeichen einer DIS solche Wechsel zu haben.)

Hinzukommen Faktoren wie der, dass es kaum Diagnosen gibt, deren Symptome nicht auch Schnittmengen haben können mit anderen Diagnosen. Wir sehen das ja an den Bereichen, in denen unsere Symptome auch als spezifisch für einen bestehenden Autismus betrachtet werden können. Und wir sehen das an Dingen, wie der chronischen Essstörung, der chronischen Depression und den Schlafstörungen, die ebenfalls verschiedene Folgen und Auswirkungen mit sich bringen.

Eine unserer Jugendhilfebetreuer_innen war Bulimikerin (recovered) und hat jedes andere unserer Probleme ausgeblendet, weil sie nur die Essstörung und ihre Folgen wirklich begriffen hat. Viele traumatisierte Kinder und Jugendliche entwickeln Essstörungen (und andere Süchte).
Ich kann über diese Herangehens- und Arbeitsweise der Betreuerin also gar nicht sagen, sie hätte Scheiße gebaut – sehr wohl aber kann ich sagen (und tue das auch), dass sie die grundlegende Struktur unserer Selbst- und Umweltwahrnehmung ausgeblendet hat, was am Ende für uns bedeutete, nicht die Hilfe (und Ansprache) zu erfahren, die wir gebraucht hätten.

Das Schlimme ist: Uns war das damals nicht so klar und als wir das klar hatten, sind wir auf das ewige Professions-sorry-gesülze reingefallen. Das bedeutet, wir haben sie aus ihrer (den Leistungsträger aus seiner) Verantwortung genommen, weil uns immer wieder gesagt wurde, unser Sein wäre so krank, dass sich da nur Ärzt_innen WIRKLICH RICHTIG GUT drum kümmern können. Und Psycholog_innen. Wenns denn sein muss.
“Ein_e ganz normale_n 08/15 Erzieher_in kann das ja gar nicht stemmen das Thema und das kann man ja auch nicht erwarten, dass die sich jetzt noch extra hier wegen einem Fall fortbilden… “, das ist so der Tenor unserer Betreuungen gewesen.

Das Problem ist natürlich: unser Recht fachlich kompetent betreut zu werden wurde nicht gewahrt.
Das Problem ist aber auch: es hat ja trotzdem gut geklappt

Ja, das ist wirklich ein Problem, denn: nur weil ich aus der Sache insofern heil raus bin, als dass ich nicht in eine Klinik musste oder tatsächlich verstorben bin, heißt es nicht, dass da gute Arbeit an und mit mir passiert ist.

In der Eingliederungshilfe, die wir zuletzt in Anspruch genommen haben, gab es eine fertige Erzieherin, die fortgebildet war und eine, die gerade eine fertige Erzieherin wurde, die fortgebildet war. Das macht zwei über eine “Krankheit” näher informierte Betreuungspersonen. Nicht: zwei kompetente, supervidierte, kontinuierlich weitergebildete, im Team vernetzte, gut für sich sorgen könnende Fachkräfte.

Es läuft für diese beiden Personen so, wie es für viele läuft, die etwas wissen, was die Kollegen nicht wissen können, weil nur eine oder zwei Personen des Teams die Fortbildung vom Arbeitgeber finanziert bekommen: sie kriegen die entsprechenden Fälle zugeschoben und wenn sie sich nicht abgrenzen können, sich verantwortlich für die Menschenleben hinter der Diagnose fühlen oder (das gibts auch) sie nur noch die Arbeit mit Personen, die mit dieser Diagnose gelabelt sind, erfüllend finden, dann übernehmen sie diese Fälle natürlich.
Und betreuen am Ende vielleicht ausschließlich Menschen mit DIS. Was unterm Strich und tatsächlich zu oft im Scherz gesagt bedeutet: Gruppenbetreuung bei jedem Termin.

Es bildet sich in der Folge gerne mal eine Betreuungsrandgruppe.
“Du und deine Multis… (ihr wollt immer ne Extrawurst/ ihr seid doch beide nicht mehr ganz dicht/ die verändern dich total (zum Negativen – ich will nichts mehr mit dir zu tun haben)… )”, das wird dann schnell zum üblichen Ton.
Das Ergebnis sind Betreuer_innen, die in ihrem Team keinen Rückhalt erleben, die sich nicht trauen Urlaub zu nehmen, in Ruhe Krankheiten auszukurieren, die sich für ihre Betreuten aufopfern und die irgendwann nach 20 – 30 Jahren, bei Mindestlohn und verweigertem Streikrecht verbrennen und chronisch krank bis arbeitsunfähig bis selbst eine Betreuung, eine Therapie brauchen.

Und die Multiplen? Sind die dumm und merken das nicht? Nein. Natürlich nicht. Sie wurschteln sich zurecht, weil ihre “Krankheit” sie dazu befähigt das zu können. Am Ende einer Betreuungszeit gibt es immer die Möglichkeit zu sagen: “Na es war schwierig, aber das hat ja geklappt.”.
Die nachfolgende Person mit DIS übernimmt in der Folge ein Erbe, das sie vielleicht aufgrund früherer Betreuungen schon kennt und eigentlich loswerden wollte: nämlich den Anspruch, dass es schon klappen können muss, weil es ja bei allen Menschen mit DIS, die vorher da waren auch geklappt hat.

Für uns war ein wichtiger Schritt uns nicht mehr herzugeben für diese Dynamik.
Wir sind aus der Betreuung raus, statt zu versuchen auf Fort- und Weiterbildungen unserer Betreuer_innen zu bestehen und suchten nach einer Psychotherapeutin, die erfahren ist, aber noch keine 20 30 40 Jahre mit Menschen mit DIS arbeitet.

Es hat sich für uns gelohnt offen zu sein. Wir leben in einer Stadt, die auf vielen Ebenen gut für uns ist. Hier gibt es viele offen nicht heterosexuell lebende Menschen, es gibt viele Menschen, die den Begriff “Inklusion” nicht als feschen Sozialaufwertungbutton auf sich kleben haben, es gibt eine bunte Frauenrechtsbewegung und das Thema “Trauma” wurde und wird hier bis heute an entsprechenden Stellen diskutiert.
Natürlich haben auch wir lange nach einer Therapeutin gesucht, aber die Absagen, die wir erhielten (und die wir erteilten) basierten aber nur in 2 von 27 Fällen auf dem Umstand, dass die Personen absolut keine Ahnung von Traumafolgen hatten.

Wir sind mit einer Attitüde in die Gespräche reingegangen, die jede_n Diagnosezweifler_in darin bestätigt hätten, dass wir eine Hysterikerin (eine Fakerin) sind, die ein “diagnose passing” (also: von den Behandler_innen in dem Glauben gelassen werden, man würde diese eine Krankheit behandeln) erhalten hatte.
Für uns ist es ein Problem, dass wir an uns bemerkt haben: es gibt diese permanenten Notlösungen, weil einfach niemand sagen will, er oder sie hätte Ahnung von dem viele sein einer jeden einzelnen Person, letztlich aber doch so handeln muss.

So passiert es eben auch, dass ich hier als Bloggerin* die betroffen ist, so schnell zum Vorzeigemulti gemacht werde, obwohl ich schon die Bezeichnung “Multi” zum Kotzen finde. So kommt auch der Anspruch an mich zustande, “den Multis” doch gefälligst nicht zu schaden, indem ich bestimmte Haltungen vertrete, die für mich gut und wichtig sind. Etwa die Haltung, nach der es einfach keine inneren Terminpläne und Wechsel geben kann, oder die Haltung, dass (die meisten) Innenkinder am sichersten in der Therapie sind – und nicht im Alltag eines erwachsenen Menschen.

Ich gehöre auch nicht zu denen, die sagen: “Ja viele sein ist bei jeder Person anders” – paradoxerweise ist das für mich nicht so. Ich habe aber auch noch keine Worte dafür, was denn genau wie bei allen, die viele sind, gleich sei und ich will mich in der Hinsicht auch nicht festnageln lassen.
Überhaupt: immer wieder diese Intensionen mich als Einsmensch auf irgendwas festnageln zu wollen, weil ich etwas für die Öffentlichkeit zugänglich ausgedrückt habe.

Ich ermutige immer wieder sich bitte gerne selbst ein Blog zu schreiben, sich selbst in Worte zu bringen und sei es, das man damit beginnt auf meine Texte zu antworten, ihnen etwas hinzuzufügen, eine Gegenrede zu formulieren. Verdammte Axt- mich vollnölen und mit Forderungen zu überschütten ist so leicht, sich analog über unsere Texte und uns als Person zu beschweren und das immer schön damit zu garnieren, dass wir ja höchstwahrscheinlich gar nicht viele sind, weil man ja viel behaupten kann in diesem Internet und weil es ja gar nicht möglich sein, was wir hier alles von uns unserer Lebensrealität erzählen BLABLABLA – aber selbst den Arsch hoch zu kriegen und sich auszudrücken, sich selbst mal zu reflektieren und zu gucken: “Hm ist das denn bei mir anders und wenn ja wie?” oder “Was denke ich eigentlich über XY?” oder “Wie ist das viele sein/multipel sein/Opfer gewesen sein/ mein eigenes Sosein eigentlich für mich?”, das ist dann, aus welchen Gründen genau, nicht möglich oder zu viel … Verantwortung?

Ich habe als Jugendliche vor Betreuer_innen, die keine Ahnung hatten, bereits die Verantwortung übernehmen müssen, für jeden nach uns folgenden Menschen mit DIS zu sprechen. Es ist so klar, dass, weil die Hilfen so beschissen sind, aber alles gut ging, der nächste Mensch wieder vor dem gleichen Ding steht, wenn ich nicht das Maul aufmache oder mich aus der Nummer rauswinde und vertrete, viele sein wäre so individuell, dass man da halt eigentlich gar nichts zu sagen kann und sich auch auf nichts verlassen kann und ach überhaupt man weiß es ja nie so genau und Festlegungen gehen nicht.

Bullshit ist das. Richtig bequemer Bullshit, der einfach immer wieder dazu führt, dass keine Entwicklung passiert.
Es gibt immer noch Menschen, die sich einen sekundären Krankheitsgewinn von einer DIS vorstellen können und sich genau in dieses “Man weiß es halt nicht genau” hineinbegeben.
Ich finde es wichtig öffentlich sichtbar zu vertreten, dass (frühere) Opferschaft absolut 0 Gewinn mit sich bringt.

[Fußnote: jede Unterstützung, die wir von Leser_innen hier erhalten, all die Geschenke und Geldspenden, erhalten wir vielleicht, weil klar ist, dass wir benachteiligt sind. Vielleicht auch aus Mitleid. Vielleicht mochten sich auch Schenker_innen frei machen. Vielleicht aber, ist es einfach mal die Bezahlung, die wir nicht als Gehalt auf unser Konto bekommen, weil wir jede Woche um die 5000 Wörter schreiben und uns offen angreifbar machen, damit andere Menschen, die viele sind, die queer sind, die Opfer geworden sind; die einfach gerne hier lesen, in Worte und Ideen kommen.
Soll es geben. Vielleicht gibts das für mich – psst: ich weiß ganz sicher, dass das so ist]

Wir finden es wichtig, dass die DIS auch auf die Art besprochen und betrachtet werden kann, wie wir das jetzt machen.
Für uns ist es nicht mehr wichtig, dass Mediziner_innen uns gesund machen, weil unser Konzept von Gesundheit und Krankheit ein anderes ist, als das, was immer und unbedingt die Medizin braucht. Das geht für uns nicht mit einer Abwertung der Personen einher, für die das so ist und wir haben das sehr oft schon klar gemacht.
Für uns ist unsere Therapeutin die Person, die sich unserem inneren Chaos widmet und uns dabei begleitet, (unter)stützt es sowohl zu verstehen/begreifen und es zu sortieren ohne es zu normen. Sie ist nicht die, die uns heil macht, repariert oder uns beibringt, wie wir zu sein haben. Sie ist unsere Prozessbegleitung- nicht unsere Dompteurin.

Wir sind fertig damit unserem Umfeld zu erklären, was viele sein ist.
Gerne erklären wir das noch Menschen, die gar keine Ahnung haben. Aber nicht mehr hier im Blog, nicht mehr in unserem Privatleben als ein Mensch, der sich gut um sich kümmern möchte und der sich entwickeln will.

Wir denken oft, dass die Traumatherapieszene endlich ihren Scheiß zusammenkriegen muss und damit aufhören muss, die Leiden der Behandelten zu individualisieren, was bedeutet: dieses Leiden außerhalb (sozial)politischer Kontexte zu erfassen und zu verorten. Es muss einen Diskurs geben, in dem Lösungen gefunden werden, jeder Person einkommens-“rasse”-klasse-alters-zeit- unabhängig die Verarbeitung von Traumatisierungen zu ermöglichen und nicht den tausendsten darüber, wie und ob und nach welcher Schule und wie zertifiziert und nach wessen Lehre und wer mit wem und wo gabs mal Zwist und BLABLABLA innerhalb von episch unnötigen Diskussionen mit der Politik™ darum, was wann wie wo und ab wann überhaupt.

(Achtung ich verwende jetzt ein kollektives Wir – niemand muss sich davon angesprochen fühlen)
Wir Betroffenen müssen aber genau unseren Scheiß zusammenkriegen. Wir sind aus Gründen von Hilfesystemen abhängig – das bedeutet aber nicht, dass wir alles darin auch hinnehmen müssen, weil das ja nun einmal so ist.
Wir dürfen uns dafür einsetzen, dass unsere Betreuer_innen vernünftig fort- und ausgebildet, bezahlt und berechtigt werden. Wir dürfen uns dafür einsetzen, dass unsere Therapeut_innen nicht mehr von Gutachter_innen angekackt werden. Wir dürfen dafür kämpfen, auch dann noch als leidend und belastet und what ever gesehen und anerkannt werden, wenn wir nicht mehr tun, was diesem Stereotyp entspricht.
Wir dürfen jemand sein der viele ist – und nicht so viele, dass wir niemand sind.

Wir brauchen keine Verantwortung übernehmen, die nicht unsere ist – wir dürfen verlangen, dass die Gesellschaft, die mit dafür gesorgt hat, dass wir viele sind, den Arsch hoch kriegt und Gutmachung an uns versucht.

Wir dürfen aufhören zu glauben, weil eine Person, die viele ist, etwas für sich geltendes sagt, sei die eigene Selbstwahrnehmung des viele seins falsch.
Wir sind – es gibt uns und wir sind die Einzigen, die das konkret und richtig für uns beworten können.

Es geht darum aufzuhören sich einzelne „Viele“ rauszusuchen und als Statt-selbst-Sprecherinnen zu wählen. Wir können das und wir dürfen verlangen, dass andere zuhören und begreifen.

Ihr* braucht keine H. C. Rosenblatt, die euch Wörter gibt. Ihr könnt sie nehmen, weil sie da sind und das ist okay. Ihr könnt aber auch eigene Wörter suchen, finden und nutzen. Sie sind genauso richtig.

~ Fortsetzung folgt ~

Autismus und DIS #1

„Mussten Sie als Kind verschiedene Rituale durchführen?“, fragte der Psychologe im Autismus Therapiezentrum und schaute mich an.

Für mich sind durch die Frage viele Aspekte noch einmal bewusster geworden. Zum Einen ist mir aufgefallen, dass ich die Frage sofort als eine überprüfte, die sowohl wörtlich als auch auf die faserige Art zu verstehen ist, was ich früher nicht so bemerkt hätte.
Weil mir das aufgefallen war, ist mir eine globale Tragik aufgefallen, die in mein so typisches Hadern um all das “hätte würde wenn”, das über meiner Kindheit und frühen Jugend schwebt, gehört. Hätte man mich vor vielleicht 20 – 23 Jahren mit dieser Frage konfrontiert – was hätte ich dann geantwortet? Ich weiß, dass ich vor 12 Jahren danach gefragt wurde und keine Antwort gab.

Ich weiß, dass ich heute solche Fragen absichtlich mit Wortspielen wegvermeidungstanze, etwa in dem ich antworte: “Ja klar – wir haben jedes Weihnachtsfest begangen, jedes Silvester, jeden Geburtstag – klar mussten wir eine Zillion Rituale in unseren Leben durchführen.”, denn bisher wurde ich nämlich nur nach Ritualen gefragt, um zu erfahren, ob ich sogenannte “rituelle Gewalt” erfahren habe, weil das gängige Bild von Menschen, die viele sind, genau diese eine Art der Gewalterfahrung beinhaltet.

Ich bin amnestisch für meine Kindheit und frühe Jugend – es kann alles und nichts passiert sein. Kein Ja oder Nein zu einer Frage nach etwas, das über die zur Verfügung stehenden Worte erdeutet werden muss, trägt zu einer Faktenlage bei. Am Ende macht es mir nur Druck, weil ich eventuell lüge – egal wie ich antworte.
Und so mache ich also Wortspiele und denke mir dabei, dass dies eine prima Methode ist, um auf etwas hinzuweisen. Für uns ist es wichtig immer wieder aufzuzeigen, dass es toxischer Stress ist, der Menschen zu vielen werden lässt und keine spezielle Form der Gewalt.

Meiner Erfahrung nach, sind solche offensichtlichen Wortspiele allerdings keine Methode um zu zeigen, dass ich eine klarere Formulierung brauche, um manche Themen bzw. meine Gedanken zu manchen Themen in der Therapie zu äußern. Offene Forderungen hingegen transportiere ich wahrscheinlich immer irgendwie falsch.

Für die Einen ist es eine nervige Sprachmacke – eine Spitzfindigkeit, die ich auch mal lassen kann. Für mich bedeutet “es sein lassen” hingegen “das Sprechen sein lassen”, weil es mich übermäßig anstrengt zu raten, was denn jetzt genau was wie meint.
Manchmal denke ich, dass die Therapie deshalb oft auch so anstrengend ist.
Wenn ich im Rausbringen von etwas kämpfe, versucht meine Therapeutin oft einzelne Wörter zu etwas zu machen, wofür ich viele gemacht habe. Und diese einzelnen Wörter schneiden aber alle etwas ab und sind in der Folge falsch. Und dann sage ich ihr, dass es nicht so ist, wie sie sagt. Und dann sagt sie “Wie ist es denn?” und ich wiederhole meine vielen Wörter und sie sagt wieder ihre einzelnen und dann sage ich “Orr!” und es entsteht so ein Moment, in dem ich entweder umschwenke oder wir beide auf die Uhr gucken, ob die Stunde nicht eventuell schon vorbei ist (was sie meist schon längst ist).
Manche von uns sagen in der gleichen Situation aber auch gar nichts mehr und hören auf darüber zu sprechen.

Was mir außerdem bewusst wurde, war etwas, was mich überhaupt erst zu dem Zentrum und dem Wunsch nach einer Diagnostik auf das Asperger Syndrom brachte: die Erkenntnis, dass Symptome häufig zwischen Verhaltensweisen und Sein (Selbst) trennen, weshalb Verhaltenstherapien immer wieder als der Heilungshit in der Medizin gelten bzw. geändertes Verhalten als Heilungsbeweis gilt.
Ich habe darüber nachgedacht, dass viel der zwischenmenschlichen Gewalt in meiner Familie* auch als “Erziehung” bzw. als “erziehende/korrigierende Maßnahme” aufgefasst wurde (vielleicht: bis heute wird).

Wenn man früher meine Eltern gefragt hätte: “Tillt ihr Kind durch, wenn Dinge anders laufen als sonst?” Dann hätten sie geantwortet: “Nein- wir bestimmen hier wer wann wie wo und weshalb durchtillt” oder (das ist dann der Dreh, wenn klar wird, dass die Kinder irgendwie doch alle kaputt gespielt sind und man gut dran tut, zu sagen, sie seien krank) “Hm, eigentlich tillt es immer durch, weil es ja krank ist – machen Sie’s mal gesund.”.

In dem Abklärungsgespräch, das wir gestern hatten, sollten wir viele Fragen dazu beantworten, wie wir früher waren und natürlich scheiterten wir, weil wir nicht über Deutungsräume lügen wollten. Was ich aber auch merkte war: es wurde gar nicht nur nach Verhaltensweisen gefragt, die kamen und wieder gingen, sondern nach Dingen an uns als Mensch, die auf ihre Art immer schon da waren, wie das Viele sein schon immer da war, egal wie sich das über die Jahre nach außen geäußert hat.

Für uns sind viele unserer Schwierigkeiten abgelegt unter: “Naja – dein Kopf mal wieder.”. Ich denke so oft, dass es sich nicht lohnt Kraft zu investieren, um Gespräche, Kontakte, Auseinandersetzungen anzufangen oder weiter zu machen, weil ich zu viel erklären müsste, zu viel reden und erklärend beworten müsste, damit ich und das, was ich äußere, verstanden werden.
Wie gut, dass man von Mädchen bis heute eher erwartet die Klappe zu halten und “Schweigen ist Gold, Reden ist Silber” in den Kopf drückt, als darauf zu bestehen, dass sie sich ihren Gedanken, Ideen, Theorien und Empfindungen entsprechend äußern bzw. sichtbar machen – und zwar immer und überall, ohne sie zu sanktionieren, wenn sie dabei nonkonform sind.

Wir gehören zur klitzekleinen Gruppe der Menschen mit einem IQ von über 170 und wenn wir mit diesem Quotienten argumentieren, weshalb uns seichtes Soapgeplänkel, Small Talk und wenig gehaltvolles Kommunizieren allgemein eher nervt oder nicht interessiert, denken viele Menschen, sie würden das verstehen. Ich merke von diesem Verstehen oft nichts, denn sie sagen dazu dann Dinge wie: “Ja, das ist bestimmt unterfordernd”- als ob wir es geil fänden immer von allem geistig gefordert zu sein. Als sei “genervt sein” oder auch “nicht interessiert” sein, etwas, das nur aus einer Nichtbedienung von Vorlieben heraus entsteht und nicht etwa auch aus Langeweile oder Überreizung, die bei Menschen, denen bestimmte (unangenehme) Dinge schneller und vielleicht unausblendbarer erscheinen, vielleicht schon nach zwei Episoden aufkommt und nicht erst nach 7 Staffeln.

Wir brauchen keine reine Beschäftigung mit Quantenphysik oder unterschiedlichen Systematiken, um unterhalten oder berührt zu werden oder uns bereichert zu fühlen, aber wir brauchen Klarheit, die in uns nicht entsteht, wenn Menschen ständig Dinge abschneiden, um es sich selbst leichter zu machen. Ich hasse sexistische Stereotypen in Serien zum Beispiel nicht, weil es mich nervt ein Hetenpaar nach dem anderen in den immer gleichen Konflikten zu sehen, sondern, weil sie mich auffordern mir im Kopf ständig das, was fehlt zu ergänzen.
Für mich ist dieses Ergänzen auch keine Entscheidung “mache ich das jetzt oder nicht?” sondern etwas, das mir Druck macht und nicht auszublenden ist.
Im Gegensatz zur gefühlten Mehrheit der Menschen kann ich nicht einfach Dinge weglassen, von denen ich weiß, dass sie eigentlich dazugehören.

Deshalb ist Traumabearbeitung für uns ebenfalls so ein allumfassend belastendes (bis erneut traumatisierendes) Ding.
Manche Menschen denken, es sei schlimm sich mit der traumatischen Situation zu befassen und neue Erkenntnisse über sich zu verarbeiten – ich finde es schlimm, weil sich mit jeder neuen Perspektive neue zu ergänzende Universen eröffnen und ich sie nicht beworten kann. Dann kann ich nach ein paar Tagen oder Wochen sagen: “Es arbeitet in mir” oder “Das ist alles ganz schön viel”, aber der ganze Rest bleibt in mir drin und muss von mir allein zurecht sortiert werden.
Und meistens schaffe ich genau das nicht – es entsteht Druck und noch mehr Druck und noch ein bisschen mehr Druck und es kommt zu so einem Moment, in dem ich merke, das es mir besser geht, mich aber auch fragen muss: “Oh – war dieses Innen schon immer da?”.

Es gibt laut verschiedenen Therapeut_innen, die mit rituell misshandelten Personen arbeiten, sogenannte “Programme”, die in diese Personen konditioniert/erzogen/trainiert wurden, um Geheimhaltung, stetige Verfügbarkeit und eine gewisse bedingungslose Hin(Her)gabe an die misshandelnden Personen(gruppen) zu gewährleisten.
Ich weiß nicht, wie oft Menschen schon von uns gedacht haben, wir hätten so ein Programm in uns drin, das Traumaarbeit verhindern soll, weil wir eben diese Reaktion von immer neu auftauchenden Innens haben, obwohl wir ganz sicher keine Gewalt wie früher mehr erfahren.

Und ich weiß auch nicht, wie oft ich schon geäußert habe, dass viele Innens bis heute eher aufgrund von Überforderungen bzw. dem toxischen Stress, der in mir entsteht, wenn ich überfordert bin (und keine Hilfe erhalte, weil es zu unbewortbar ist, um verstehbar nach außen gebracht zu werden und damit allein bleibe, weil es eben die Mehrheit der Menschen ist, die mich nicht versteht), entstehen.

Es ist aus meiner Sicht ein massiv unterbeachtetes Problem der Diagnose “dissoziative Identitätsstruktur”, dass viele Entstehungsmechanismen in Kategorien und Unterkategorien gesucht (und gefunden) werden, ohne die zum Beispiel in den Genen der betroffenen Personen angelegten (“naturgegebenen”) Faktoren gleichsam zu werten.
Natürlich passt die Idee, ich wäre so abgerichtet und gequält worden, dass ich nie “Eine” werde – die Idee, dass ich vielleicht mehr Unterstützung und Widmung nach einer Traumabearbeitung brauche, um nicht mehr werden zu müssen, damit ich hinter dem, was mein Kopf mir aufzeigt, nachkomme, passt aber genauso gut.

Hier kommen wir aber dann auch an die Probleme der Gruppe begleitender, therapierender und medizinisch be.handelnder Menschen, die sich und ihre Arbeit in Widmungsnormen und Zeitvorgaben gedrückt sieht und jeden Wunsch (jede Notwendigkeit) ihrer Klient_innen nach einem wie auch immer geartetem “mehr”, mit “mehr Aufwand”, “mehr (unbezahlte, unabgesicherte, nicht von der breiten Masse der Bevölkerung unterstützte und gewertschätzte) Arbeit”, “mehr abverlangter Kraft”, “mehr abverlangtem persönlichen Wachsen” abwägen muss.

Es ist am Ende, so argwöhne ich jedenfalls manchmal, dann irgendwie einfacher? befriedigender? egostreichelnder? richtiger? belohnter? aufopfernd und selbstlos für einen als massiv gequälten und ergo massiv leidend gelabelten Menschen gegen ein System zu kämpfen (und im Scheitern vor einer Übermacht mit den Behandelten verbunden zu sein).
Ja ja die Rosenblatt ist jetzt böse, das sie sowas ins Internet schreibt.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, bei denen wirklich solche Programme gesetzt wurden – über die spreche hier aber nicht.
Ich spreche über Therapeut_innen, die die gegebenen Potenziale und Wuchsrichtungen ihrer Klient_innen ausblenden, um ihre eigene Situation von Über.Forderung und Rückhaltlosigkeit unter Kolleg_innen und Gesellschaft besser zu ertragen. Von Therapeut_innen, die ihren Klient_innen eher zwischenmenschliche Traumatisierungen, die zu Sprech- und Kommunikationsproblemen führten in die Patient_innenbiografie schreiben, als anzuerkennen, dass dort schon vor der Gewalt etwas schwierig gewesen sein könnte.

Ich weiß nicht genau, wie unsere Therapeutin uns so für sich persönlich einordnet, aber sie hat auf all unsere Abgrenzungen zu ritueller Gewalt (und allgemein jeder Objekt.ivierung dessen, was wir erinnern) geäußert, dass sie das akzeptiert und berücksichtigt.
Mehr brauchen wir nicht, um gut miteinander zu arbeiten.

Wie sich unsere Therapie verändert, sollte sich herausstellen, dass wir durchaus auch die Kriterien für eine sogenannte “Störung auf dem autistischen Spektrum” erfüllen, wissen wir nicht. Es gibt kein Buch zur Traumabehandlung von Autist_innen mit dissoziativer Identitätsstruktur.

Wir wissen nicht, ob wir ein weiteres rosenblattsches Special an uns integrieren und gleichzeitig an dem Wunsch ein Teil dieser Welt zu werden, festhalten können.

Herzensangelegenheiten #6

“Und das ist also Apparatemedizin”, denke ich, während ich meine Arme vor meinen nackten Oberkörper verschränke und warte.

“Ich bin ein Wellenbrecher”, denke ich. “Ein FlashFlashFlashwellenbrecher…”, ich lache beinahe, weil ich die Melodie von Flipper im Kopf habe. “Denn das ist ein Flää’ hääsch Flää’ hääsch ti didel di …”.

Die Krankenschwester, die mir sagte: “Machen Sie ihren Oberkörper ganz frei und legen die Sachen dorthin.”, steht mit dem Rücken zu mir und tippt in einen Computer.
“Können sie mir sagen, was jetzt gleich passiert bitte?”. Ich ärgere mich über das Bitte in dem Satz, weil – Hallo ich stehe halb nackt in einem Raum vor einer Fremden, in einem Raum mit 3 Türen, einer Liege, schwer einsehbaren Ecken und vielen Gerätschaften. Warum zum Teufel sage ich noch “Bitte”. Warum zum verdammten Mistdreckshenker muss ich darum betteln, mich orientieren und versichern zu können?

Ich denke: “Oh oh, wenn ich mich jetzt aufrege, dann verfälscht das die Werte.”. Und dann lache ich wirklich, weil ich schon seit 20 Minuten jenseits von cool bin und das auch weiß. “Scheiß auf die Werte”, denke ich.
Die Krankenschwester misst links und rechts den Blutdruck – warum ich dafür so ganz ausgezogen sein musste, verstehe ich nicht. Hinter mir brodelt es und ich zittere. Sie sagt nichts. Notiert die Werte.
Sie sagt, ich solle mich hinlegen. Ganz entspannt hinlegen. Und ich denke hochgradig ressourcengeimpft an eine Gitarre. Die ist auch immer gespannt, kann aber auch ruhig irgendwo herumstehen. “Das ist ein Fläää’ häsch Fläää’ häsch ti didel di…”

Ich weiß noch, dass ich früher immer irgendwie hart geworden bin und einfach nur hab machen lassen. N. der Wellenbrecher, der Stein in der Brandung.
Und jetzt liege ich da und auf meiner Brust saugen sich Elektroden fest. Ich lasse sie einfach machen. Lasse die Krankenschwester einfach machen. Ich bin ein Stein.
Ebenfalls sehr steinig ist die Ärztin, die in den Raum tritt. Sie schaut auf das Gerät, schaut auf die getippten Worte der Krankenschwester.
Fragt, ob ich rauchen würde. Ich hätte gern ein medizinisches Belohnungsbienchen dafür, dass wir vor inzwischen fast 3 Jahren aufgehört haben.

Sie fragt, weshalb wir da sind. “Zufallsbefund”, krächze ich.
Ich weiß, dass dieses Anamnesegespräch die einzige Chance für Patient_innen ist, sich irgendwie kurzfristig an ihre Behandler_innen zu binden. Kurz zu ermöglichen, miteinander durch die Untersuchung bzw. später auch die Behandlung zu gehen. Die ganzen Ziffern und Zahlen und Nummern und Werte schreddern uns das.
Die Ärztin fragt nur nach Zahlen und Werten, gibt Anweisungen zu atmen, während sie ihr Stethoskop auf meiner Brust umherschiebt.

Von innen kommt der Druck etwas zu sagen. Kontakt nach Außen zu machen, damit das Innen nicht so nah rückt. Ich weiß nicht mehr, welches Außen jetzt eigentlich das Richtige ist und bleibe still. Ich lasse machen und es ist egal. Wellenbrecher-N. ein Stück Fleisch unförmig, bleich, zerstört. Egal.

Ich soll mich auf die Seite legen während die Ärztin meine Lunge behorcht und dann einen Ultraschall vom Herzen macht.
Mein Herz ist schön.
Es hat kleine flatternde Klappen und bewegt sich in aller Ruhe.

“Na, die Aufregung geht jetzt langsam?”, fragt die Krankenschwester und ich würde sie gerne hauen. Wenn sie doch gemerkt hat, dass ich “aufgeregt” war, wieso zum – naja – hat sie nicht mit mir geredet?
Aber mein Herz wackelt noch immer so schön auf dem Monitor herum. Wir hören uns die Klappengeräusche an. Verfolgen den Blutfluss. Betrachten das Gewebe. Irgendwo innen lacht es, dass man das irgendwie auch Selbstberuhigung nennen könnte: das eigene Herz angucken.

Schade, dass sie nichts erzählt hat. Sie musste Zahlen aufsagen und Tasten auf dem Gerät anschlagen.
Ich denke, diese Gerätemedizin macht erstaunlich wenig Spaß, wenn die Menschen, sie nur benutzen, aber nichts von ihr haben. Also Spaß an der Nutzung oder Faszination oder so.
Ich bin hingerissen.

Und dann soll ich Fahrrad fahren und darf mich schon wieder nicht anziehen. Ich habe eine Jacke, die hätte offen bleiben können. Aber nein. Mich streift ein Kinderinnen und ich lasse es in den Wogen, die sich an mir brechen ertrinken.
Ich trete mechanisch auf eine Mechanik ein und die Untersuchungsmaschinistin aka Krankenschwester tippt auf ihren Computer ein. Die Ärztin bespricht ein Diktiergerät. Ich soll mich auf eine Zahl konzentrieren und diese halten. Die Nummer 60 und ich werden Untersuchungsbegleiter.

“Ihr Herz funktioniert gut soweit. Was sie da haben, haben viele andere auch und können gut damit leben. Es ist wie Sommersprossen. Niemand weiß woher man das bekommt und es geht nie wieder weg.”, sagt die Ärztin, als sie mir zum ersten Mal konkret gegenüber sitzt.
Auf einem Zettel, den sie mir reicht steht, was wir machen können, um unser Herz zu entlasten.

“Sie werden nicht sterben” von jemandem zu hören, steht nicht auf diesem Zettel.

“Fehlerbekämpfung”

Kennst du diese Filme, milchig verträumspielt, glitzernd und leicht. Es geht mehr um Atmosphäre und Gefühl, als um die Bilder.
Am Ende ist da Leere und die Rasierklinge in deiner Hand ist nicht mehr, was sie ist.

In so einem Film hört man im Hintergrund immer ein Windspiel oder ein Xylophon, das so tut als wäre es eins. Es gibt Text, den man in der immer gleichen Moll-Tonart gesprochen hört und die Worte der gezeigten Menschen werden zum Stimmenwind_spiel.
Kurze Sätze. Nichts weniger.
Als Kunst.

Irgendwie so.
Tropf tropf.

Ich denke manchmal, ich bin zu alt für den Scheiß.
Vor 600 Jahren noch, wurden die Menschen in Europa etwa 30 Jahre alt und ich werde in 2 Monaten 29.

Mein erstes weißes Haar habe ich nicht wachsen sehen und bin traurig darüber. Ich habe es erst entdeckt, als es bereits wie eine kleine Antenne aus meinem Scheitel ragte. In meinem eigenen Kunstfilm wäre es eine Aufnahme mit wanderndem Schärfebereich und Linsenpunkten.

Das Tropfen auf den Boden, wäre vielleicht eine schwarz-weiß Aufnahme.
Es hätte so viel WÄMMS wenn anderer Menschen Augen das Schwarz von aus mir raus sähen.
Es wäre so traurig.

Kennst du diese Filme, die eigentlich nichts erzählen. Dich aber berieseln mit milchigem Bilderfluss und Windspielplinkerplänker.
So ist mein Bluten von dem ich denke: Ich bin zu alt für diesen Scheiß.
Es sind bald 20 Jahre Selbste verletzendes Verhalten. Schlitzritzratz. Bluttropftropf.

Ich bin zu alt um nicht mehr zu sein. Wenn man etwas angefangen hat, dann sollte man es auch zu Ende gehen lassen können.
Und aufhören zu versuchen, es gar nicht erst zu beginnen.
Wenn etwas angefangen hat, dann geht es nicht mehr zurück.
Es geht nur noch so, wie es gehen kann.

In mir drin ist die Erinnerung daran, wie sehr ich ein Fehler war. Bin.
Nicht “wie ich bin”, nicht “was oder wer ich bin”, sondern ich. Physisch, psychisch, Ich.

Wie gut, dass entschieden ist, dass ich ein Fehler bin.
In meinem Film, wäre das ein Bild von meinen Füßen. Leicht überbelichtet, milchig, Fokus auf die Fesseln.
Links und rechts tropft es fast unmerklich auf den Boden der Tatsachen und man hört das Schluchtzecho mehr, als das Weinen selbst.

Ich habe die Angewohnheit zu denken, wenn man ein Fehler sei, dann müsse man sich berichtigen.
Obwohl gerade Fleischgeist gewordene Fehler nicht gerade dafür bekannt sind, irgendwann berichtigt zu sein. Am Ende ist es das Los des Fleischfehlers ein ewiges Mahnmal zu sein.

Kennst du diese Filme, die kurz nach der Erstausstrahlung als Thinspirations in deinem Fress-Kotz-Hungerhungerhungerforum auftauchen. Verlinkt auf irgendeinen nicht europäischen Server. Out of focus. Out of space. So wie du mit diesem Hungerbauch voller Lebensmittel, die deine Lunge quetschen und in mühevoller Arbeit auf kalten Fliesen rausgewürgt werden müssen. Müssen, weil es so  weh tut. Weil es einfach zu viel ist um rausgeblutet zu werden.

Dafür verwendet man ebenfalls viel Licht. Harte Schatten. Der Fokus liegt auf dem Aufklatschen des Erbrochenem.
In meinem Film wären die Hände zu sehen. Das Rauschen. Dieses Moment, in dem man mittendrin nicht mehr kann, nicht mehr will, nicht weiß, wer wo wann wieso man ist. So viel mehr als weniger.

Das Rauschen wäre mein Windspielplinkplank.
Die Stille, die direkt aufs Gedankenhören drückt.

Mein Film wäre eine lange Reihe von Schreitoden, die man überleben wollen muss.
Weil es kein Ende gibt. Keine schlichte Buchstabenzeile, die dich wissen lässt, dass alles gut wird.

Vielleicht gäbe es ein Stillleben am Ende. Eine Aufnahme von 20 Sekunden, in dem das, was ich in einer einzigen Fressattacke esse, angeordnet ist. Neben dem Verbandszeug, den Klingen. Einem Zettel auf dem steht:
Ich bin seit 29 Jahren und kämpfe seit 20 Jahren dagegen an.

“Fehlerbekämpfung” könnte er heißen.
Und nichts verändern.
Aber ich hätte gezeigt, dass ich versuche, etwas wieder gut zu machen.
Etwas Jemanden Mich zu berichtigen.