sie und ich und all das Geschepper

Sie steigt vom Fahrrad und stemmt sich gegen ein Wiedererleben, das die erschwerte Atmung angestoßen hat. Schaut mich an und wartet. Schließt das Rad ab und lässt mich ihre Schwierigkeiten fühlen.
Ich merke das leise Pfeifen, den Schleim auf den Bronchien und lasse los, bevor mich ein Schrei erreicht. Trete zurück und erlaube ihnen einmal mehr das neue Medikament.

Es schmeckt ekelhaft und verursacht ein unangenehm zittriges Schwindelschwankgefühl – aber sie können besser atmen. Es macht mich nervös, so viel chemisches Zeug zu benutzen. Es macht mich kirre zu merken, dass sie es wirklich brauchen. Schreien könnte ich darüber, wie kacke bedürftig sie sind. Und wie sehr ich sie nicht los werde.
Aber ich beherrsche mich. Und kontrolliere sie.

Ich werde von ihnen oft darauf geprüft, ob ich eigentlich noch alle Latten am Zaun hab und manchmal auch, ob es überhaupt einen Zaun zwischen uns gibt, der Latten haben könnte. “Ist dieses Innen eigentlich in Zeit und Raum orientiert?” – “Hat dieses Innen ZUFÄLLIG EVENTUELL Ähnlichkeit mit jemandem, der UNS mal wehgetan hat?” steht dann im Rund und ditscht an meine Stirn wie ein nerviges Insekt. Das ich entsprechend wegfuchtle und manchmal auch wütend totklatsche.

Ich bin kein Täter_innenintrojekt und, dass wir im Jahr 2016 leben, groß und erwachsen sind, weiß ich auch. Ich bin nicht täter_innenloyal. Ich hab nie jemanden gekannt, der war, was mit dem Wort “Täter_in” gemeint ist.
Die meiste Zeit frage ich mich, ob SIE eigentlich noch alle Latten am Zaun haben oder einfach so generell noch ganz dicht sind. Und in aller Regel komme ich zu dem Schluss, dass ich hier noch das heilste Licht auf der Torte bin.

Weil – unschlagbare Logik – ich ja niemanden brauche. Niemanden und nichts.
Weil – beste Taktik in all times – ich einfach gar nie erst irgendwelchen Quatsch anfange, der mich dazu bringt, irgendwas mehr zu wollen, als, dass einfach alles seinen Gang geht, damit ich möglichst wenig merke, dass es die anderen überhaupt gibt.

Aber im Moment läuft ja nichts seinen üblichen Gang. Der ganze schöne ordentliche ruhige Tagesplan ist kaputt und alle scheppern durcheinander und nerven mich. Sind mir peinlich. Zum Beispiel, weil sie  Schwachsinn reden. Oder irgendwas Okayes reden, aber klingen wie die kindliche Kaiserin auf dem Sterbebett. Orr!
Sie machen mich nervös, weil sie Dinge tun, die man nicht einfach so tun sollte, egal wie viele Außenmenschen sagen: “Mach mal ruhig”.
Tse. Sehr viele Außenmenschen dachten schon über viele Dinge “Mach mal ruhig” und jetzt haben wir ein Loch in der Ozonschicht, schmelzende Polkappen und Pelikane, die mehr Plastik im Bauch als Federn am Körper haben. Und natürlich noch viele andere echt schlimme Scheißdinge.

Aber ich hab vorhin darüber nachgedacht, wie das wäre, wenn sie nicht mehr da wären.
Weil mir aufgefallen ist, dass ich einerseits davon angehe, dass sie Dinge tun, die mich unruhig machen – andererseits mein Weg sie aus meinem Blick auf die Welt herauszusezieren darüber läuft, sie auf Schritt und Tritt und zu verfolgen, zu kontrollieren (also schon auch viel Nähe aufzubauen) und so lange in ihr Funktionsgetriebe hineinzugreifen, bis sie zerbröseln. Was ein bisschen dumm ist. Denn, wenn man will, dass etwas so läuft, wie man das will, dann sollte man es vielleicht nicht kaputt machen.

Ich hab drüber nachgedacht, ob ich sie so zerbröseln will. Ob das mein Ziel ist und ich damit leben muss, als eine “destruktive Kraft, die man zähmen/bändigen/hinter eine Mauer stellen muss” gedacht zu werden, obwohl mein Antrieb in sie hineinzugreifen ja nicht ist, sie zu zerstören oder kaputt zu machen, sondern zu kontrollieren, dass sie mich nicht dauernd beunruhigen mit ihrer – ja sorry – völlig bekloppten Hoffnung, um die Idee vom Glauben an die Menschheit und das Okaye, das es gibt, obwohl man es nicht sehen kann. (Auch so eine unschlagbare Logikstrategie *hust* )

Es ist schon gut, dass wir grad so scheppern, glaube ich.
Obwohls mich kirre macht. Gerade in diesem Umfeld.
[harsches Geräusch]

den Versuch wert

Wir hatten keinen guten Tag, waren circa 3 Löffelkästen über unsere Grenzen hinaus und nicht gefasst darauf, dass die Therapeutin Dinge wie “Das Leben ist voller Kompromisse” und “Sie müssen wissen, was es ihnen wert ist in der Klinik zu sein”, sagen würde.

Ich hatte keine Kraft für den Hinweis darauf, dass “einen Kompromiss eingehen” eigentlich soviel bedeutet wie “beide Seiten haben Anteil an der Lösung” und “beide Seiten haben etwas davon”. Ich hatte nur noch Kraft einen dieser inneren Giftpfeile abzufangen, der Schimpfworte und eine bittere Wahrheit auf sich geladen hatte. Die Wahrheit nämlich, dass unsere Kompromisse in aller Regel als gegeben betrachtet werden. Die Wahrheit nämlich, dass unser Leben voller mistig nerviger bis wirklich Kraft und Selbst zerfressender Barrieren, an so vielen Stellen Kompromisse, Zurücktreten, Schweigen, Aushalten und Durchziehen bedeutet und das genau niemand sieht, der es nicht weiß.

Ich rede hier nicht von Dingen wie “Gah scheiße – immer muss man nett und freundlich sein – nie darf man motzen.” oder “Mäh – nie darf anderen auf die Nase hauen – immer nur muss man konstruktiv sein.” oder “Mimimi – nie darf ich machen, was ich will.”.

Ich rede hier von Dingen, die für uns schwierig sind und die wir trotzdem tun,

weil sie den Versuch wert sind.

Das machen wir jeden Tag und wir sind okay damit. Irgendwie ist das einfach unsere Art diese Sache mit dem Leben leben zu probieren, daran zu scheitern und es dann nochmal neu zu probieren usw usw usw.
Es wird jedoch schwierig, wenn wir das Gefühl haben nicht in dem gesehen zu werden, was wir da eigentlich dieser Welt, dem Leben und den Dingen in ihm drin, an Bereitschaft uns zu widmen, entgegen bringen
Wenn der Preis, den wir dafür zahlen, vergessen wird und die Kraft, die wir daran verlieren und dann eben nicht mit in dieses Leben und seine Gestaltung hineingeben können, als “verborgen tief in uns drin” verortet wird und nicht als “darauf verschossen überhaupt irgendwo zu sein und das auszuhalten, ohne zu im- oder explodieren”.

Wir hatten ein Stille-Post-Missverständnis was die Versorgung von NakNak* während der Klinikzeit angeht (heute geklärt – alles gut).
Für uns ist es ein hoher Preis auf ihre Anwesenheit dort zu verzichten und worum es dabei geht, versuche ich immer an dem Beispiel der Blindenhunde zu erklären, wenn jemand fragt, wie denn eine blinde Person in so einer Klinik zurecht kommen sollte, ohne Blindenführhund.

Blindenführhunde gelten oft als durch andere Menschen ersetzbar. Das heißt: auf die Selbstbestimmung einer blinden oder sehbeeinträchtigen Person wird direkt geschissen – soll sie halt einen Stock benutzen (was nicht für alle blinden oder sehbeeinträchtigen Menschen geht) oder sich führen lassen (also abhängig sein und sich einer evtl. fremden Person anvertrauen).
Es ist an der Stelle der Barrierenkompensation, die sich durch Blindheit oder eingeschränktes Sehen ergeben, also essentiell, dass sich die behinderte Person anderen Menschen anvertrauen und mit ihnen kommunizieren kann, wo sie hin will, was sie haben will und so weiter.

NakNak* ist eine Assistenzhündin, die spezielle Aufgaben für uns erfüllt und die auch nur von ihr erfüllbar sind.
Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir so überreizt sind, dass ein Anfall direkt bevor steht. Andere Menschen merken uns nicht an, wie viel Verunsicherung, Angst, Verwirrung, Unklarheit und Überforderung sie bei uns auslösen (meist ja nicht mal dann, wenn wir es ihnen sagen). Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir desorientiert im Raum sind und uns selbst nicht mehr verorten können. Und ach – so viel mehr.

Andere Menschen brauchen von uns immer immer immer mehr, als das einfache Reiz-Reaktionsmuster, an dem wir uns in unserem täglichen Leben entlang arbeiten, um halbwegs stabil und reagibel zu sein.
Unser Hund braucht ein Signal oder ein Handzeichen oder die spezifische Körperspannung, die wir haben, bevor ein Anfall uns umhaut, um zu wissen, was wir von ihr brauchen und was wann wie geht.
Wir müssen ihr nichts begründen. Wir müssen ihr nichts “beweisen” oder “ihr offensichtlich machen/zeigen”, dass wir irgendwas wirklich brauchen oder möchten. Wir müssen nicht “bitte bitte machen” und wir müssen auch nicht “danke” sagen. Sie hat gelernt auf Reize zu reagieren und fertig – den ganzen Sozialschmodder, den ein Mensch an ihrer Stelle bräuchte, braucht sie nicht – und wir sind entlastet von einem dieser tausend Löffelfresser im Alltag – denn was ein Mensch braucht, um uns gegenüber so gut gestellt zu sein, dass er uns hilft, müssten wir aus Schwällen von Worten herausraten oder wild bis strategisch drauflos versuchen. (Und all das noch genau bevor die traumabedingten Probleme mit zwischenmenschlichem Kontakt beginnen!)

Es ist kein Kompromiss zu sagen: Okay, wir versuchen es ohne sie.
Es ist eine runtergeschluckte Alltagsdiskriminierung und die Ansage an uns nach innen, dass wir mit unserer Kraft so sparsam wie nur irgendmöglich umgehen müssen, weil wir neben der Kleinigkeit “teilstationäre Klinikzeit” (und ihre Implikationen) auch noch “Barrierenkompensation Level 100” schaffen müssen.

Wir erwarten schon lange nicht mehr, dass sich Institutionen und Behörden endlich einmal mehr damit auseinandersetzen, wie barrierefrei sie überhaupt sind und welchen Stellenwert die Selbstbestimmung aller Menschen, die dort ein- und ausgehen hat. Für uns ist inzwischen total klar, dass Institutionen und Behörden dazu gezwungen werden müssen, die Hilfen und Hilfsmittel behinderter Menschen mit Brillen, Fahrstühlen und Sprachdolmetschern gleichzustellen.

Aber wir erwarten, dass nicht von uns erwartet wird so zu tun, als wäre auf das wichtigste Hilfsmittel in unserem Leben zu verzichten, ein Kompromiss.
Das ist es nicht. War es nie. Ist es nie.

Ich habe in den letzten beiden Tagen gemerkt, wie viel bewusster wir in den letzten Jahren dafür geworden sind, wo unsere Kraftgrenzen sind, was wir wie lange aushalten können und wann wir welche Art der Pause und Ruhe brauchen.
Und heute Abend merke ich auch deutlicher denn je, wie gut uns die DIS in all den Jahren davor geschützt hat, unter dem zusammenzubrechen, was “der ganz normale* Lauf der Dinge” für so viele Menschen bedeutet.
“Der normale Lauf der Dinge für die Mehrheit der Menschen” ist einer, dem wir nur mit einer DIS oder anderen wie auch immer gelagerten Abwehr- und Schutzstrategien begegnen konnten, weil er nicht für Menschen, wie uns gemacht/gedacht ist.

Die Therapeutin hatte versucht uns klar zu machen, dass es unsere Entscheidung sei festzulegen, wie viel uns dieser Versuch mit der Klinik kostet und wir haben nachwievor keine Antwort darauf, denn eigentlich ist unsere Entscheidung eine andere.
Wir müssen für uns festlegen, wie viel von unserer Substanz es kosten darf/soll/muss, auf etwas hinzuarbeiten, von dem wir bisher immer eher legendenartig gehört haben (you know diese Zauberwolke aus: “gutes/okayes Leben”, “aushaltbar_sein”, “mit sich irgendwie okay sein”, “mit dem, was man erlebt hat irgendwie okay sein”).

Ich finde das bitter.
Aber den Versuch kann es ja trotzdem wert sein.
Oder “auch wert sein”.

das Gegenteil von “Heilung”?

Das Wort drängt sich auf, wenn man nach Input sucht, wie das Leben nach Gewalterfahrungen jeder Art aussehen könnte.

“Heilung”

Heilen von Schmerz und Verletzung, Heilen von Erschütterung und jedem Ungemach, das je die Seele berührte.
Das Runde kommt ins Eckige und das Kaputte wird geheilt.
Atmen, meditieren, die Reise ins Ich und wenn alles nix hilft, gibts ein Ausmalbuch für Erwachsene zur N3er Packung Antidepressiva.

Vor Kurzem stolperte ich in eine Erweckungs-Eso-Welt-Planeten-Errettungs-Blase und fand das Wort “Heilung” erneut sehr häufig verwendet.
Heilung durch eine tägliche Handvoll Blaubeeren in der Sommerjurte auf spanischen Bergen mitten im Schoße von Mutter Natur und andere Freud wahrscheinlich mit kreiselnden Augen zurücklassende Angebote, begegneten mir dort – und stießen mich in ihren anmaßenden Grundannahmen ab.

Nichts gegen Blaubeeren und Sommerurlaub in Spanien – sicher tut das gut und ist ein tolles persönlich bereicherndes Erlebnis – aber “Heilung”?
Was genau muss kaputt oder krank sein, wenn es durch eine Auszeit mit gesundem* Essen geheilt werden kann?

Wie unvollständig muss man sich fühlen, wenn Orts- und Gewohnheits/Verhaltenswechsel die Erfüllung (Ganzheit = Heilung) bringen kann?
Geht es dort um Schwierigkeiten, die in der inneren Ist-Struktur liegen oder nicht doch eher darum, in einem Kontext zu leben, der diese Unvollständigkeiten nicht zu füllen in der Lage ist?

Als ich anfing mich mit der Behandlung von Traumafolgen auseinanderzusetzen, war genau dies ein Punkt, der mich immer hat spüren lassen, dass meine Probleme und damit auch meine Aussicht auf “Heilung” anders liegen.
Viele Menschen, die Gewalt erfahren haben und in unserer westlichen Gesellschaft mit Rollenerwartungen aufwachsen, die teils sogar nur dann erfüllt werden konnten (und nachwievor besser erfüllt werden können), wenn man eben jene Gewalterfahrungen gemacht hat, leben ganz zwangsläufig einen Alltag, in dem sie sich unvollständig, kaputt, defizitär, minderwertig, schlecht oder krank fühlen.
Wie leicht es ist, dann die Idee der “Heilung” und der Wege dorthin zu vertreten!

Da wird dann gelernt sich abzugrenzen, Nein zu sagen, sich zu erlauben, dass man sich gut fühlt und sich selbst (für sein Können) wertschätzt.
E voila: le “Heilung” to go für nur 25 Kurzzeittherapiestunden und einer Jahreskarte fürs Yogastudio um die Ecke – und wahrscheinlich ganz rein zufällig, genau das, was am Wenigsten etwas an der ursächlich gewaltvollen Kultur des Miteinanders verändert.

“Heilung”, das ist etwas extrem Individuelles. Die Heilung des Einen ist nicht die des Anderen.
Komisch, ne – ist doch der Schaden des Einen häufig doch das Erste, das an dem Schaden des Anderen entlang definiert und bewertet wird und die Optionen zum Heilung versprechenden Weg, dann doch alles andere als so individuell verfügbar, wie sie gebraucht werden.

Wenn ich mich damit auseinandersetze, was genau mein Ziel für mein Leben nach der Gewalt ist, dann denke ich überwiegend, dass für mich die Themen “Ankommen (und das merken und aushalten)”, “Merken, was ich merke, wenn ich angekommen bin (und das merken und aushalten)” und “Okay damit sein, was ich merke, nachdem ich angekommen bin (und das merken und aushalten)”, eine große Rolle spielen.
Ich fühle mich nicht unvollständig und ergo irgendwie auch nicht heilbar.
Mich gibts und ich bin da – doch ich bin nicht dort, wo ich mich in Bezug zu Irgendwas spüren kann.

Ich habe darüber nachgedacht, ob bei mir vielleicht etwas nicht entwickelt ist oder sehr früh kaputt ging, dass mich daran hindern könnte, mich als Ich zu empfinden, wenn ich keine Resonanz auf mich erlebe.
Viele bzw. die meisten Menschen, die ich kenne, finden sich oder Teile von sich in anderen Menschen oder in Dingen, die von Menschen gemacht sind. Ich tue das nicht und habe das nie. Ich weiß, dass ich bin, weil ich bin. Ich weiß, wie ich bin, weil ich bin, wie ich bin.
Mein Gefühl der Vollständigkeit oder Unvollständigkeit braucht also nicht andere Menschen oder das Ummichherum, sondern meine Wahrnehmung davon, wie ist, was ist, was mir passiert.

Gerade in den frühen Büchern, in denen es um DIS und ihre “Heilung” geht, geht es um Vervollkommnung. Die Spaltung wird als früher nötiges Übel gesehen und ihre Aufhebung zum der Heilung im Heute notwendigen Arbeitsziel erkoren.
Das gespaltene Selbst gilt dort als erfolgreich therapiert, wenn es heil (also vereint/integriert/verschmolzen) ist – wobei sich manche Autor_innen sehr wohl auch noch über seelische Narben und die Frage des “Ende gut alles gut?” Gedanken gemacht haben. Am Ende überwog in der Literatur, die ich gelesen habe, aber doch die Idee eines grundlegenden Selbst, das unberührt von einer Spaltung des Seins (Ist) ist und mittels: Überraschung! Veränderung der äußeren Umgebung sowie Gewohnheits/Verhaltensveränderungen wie Muttererde bereit gemacht werden kann, um alles Abgespaltene (wieder) in sich aufzunehmen.

So eine schöne Idee mit so viel Entsprechung in der Natur, dem Lauf der Dinge, dem Reproduzierbaren im Kleinen, wie im Großen.
Kein einziges Sinnspruchbüchlein würde je gedruckt, ohne diese Vorstellung. Kein einziges Achtsamkeits-Meditations-Eso-Dings könnte sich ohne diese Bilder so erfolgreich vermarkten, wie es passiert.

Inzwischen wird dieses Bild in der Traumabehandlungsliteratur nicht mehr so häufig verwendet.
Man weiß inzwischen mehr über DIS, mehr über die Wege von komplex traumatisierten Menschen nach dem Ende einer Therapie. Mehr und mehr wird sich darauf verlegt einen Gedanken von Akzeptanz und ausbalancierter Integration des Geschehenen als geschehen mit individueller Benotung zu verbreiten.

Was auf mich wirkt wie: “Naja – ihr Leben liegt in Schutt und Asche – hier ein Bauplan und meine Cheerleaderpompoms – Sie kriegen das schon wieder hin.” und die Frage aufwirft, wie relevant die Idee von “Heilung” eigentlich noch ist.
Ist diese Idee eigentlich überhaupt noch haltbar oder ist “Heilung” zu einem Schlagwort geworden, das ein “das wird schon wieder” andeuten will, weil es außer motivierenden DIY-Kopfgeburten nichts zu bieten hat?

Und was ist eigentlich das Gegenteil von “Heilung”?

Fundstücke #20

Nächste Woche Montag ist der Aufnahmetermin in der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Gestern holte ich den dazu nötigen Krankenhauseinweisungsschein und den Bericht der psychiatrischen Station ab, in der wir vor einem halben Jahr waren.

“Ph, ein halbes Jahr”, denke ich, “dann kanns mir ja nu nicht mehr soooo schlecht gehen. Wenn ich was Ernsthaftes hätte, dann hätte ich das halbe Jahr gar nicht geschafft.”.
Das denke ich, weil das gerne so hätte. Weil mich das in meinen Gedanken um den eigenen Zustand beruhigt und in Einklang zu bringen ist mit dem Gefühl, die Einzige zu sein, die sich bewegt, was verändern will, das Okaye halten und das Nichtokaye auf zu-Okayem-Entwickelbarkeit prüfen will.

Wie schon geschrieben, gehören wir zu den Menschen, die mehr Zeug tun und schaffen, je schlechter es ihnen geht. Uns beruhigt es, wenn wir mit unseren Intrusionen und anderen unkontrollierbaren Momenten nicht ohne äußeren Rahmen sein müssen. Wenn die Welt ein Oben und Unten hat, weil es etwas gibt, das einen Anfang und ein von uns (mit) zu gestaltendes Ende hat.

Kontrolle hat aber ihren Preis. Wir wirken zuweilen lieblos, kalt, unnahbar, wenig mitschwingend, strikt intellektuell und wenn wir das im Zusammenhang mit einem Moment der Kraftlosigkeit oder einem allgemeinen “Es geht mir nicht gut” erklären, dann wirkt es unglaubwürdig oder konstruiert.
Meistens, weil wir irgendeinen uns noch nicht bekannten Kommunikationsfehler machen. Manchmal vielleicht aber auch, weil man uns mitunter einfach “böse” oder “nicht so toll, wie alle immer denken, weil…” braucht.

In den vergangenen 6 Monaten haben wir viel Zeit damit verbracht zu bemerken, was für ein schwieriger Kontakt wir sind. Wie schwer es für außenstehende Menschen sein muss, mit uns umzugehen. Wie anspruchsvoll und fremd wirken muss, was wir vertreten und formulieren.
Es gab so viele Momente, in denen wiederkehrend gleiche Schwierigkeiten ohne jeden Filter bis zu uns Rosenblätter vorgedrungen sind, dass die Lage in ihrer Quintessenz nicht als verändert im Vergleich zu vor 6 Monaten erscheint.

Das bedeutet nicht, dass wir noch immer akut suizidal sind und uns aktiv darüber Gedanken machen, unser Leben zu beenden. Aber es bedeutet, dass wir bewusst spüren und uns bewusst damit auseinandersetzen, dass eine Ursache für die Auseinandersetzung mit dem Aufhören, dem “es einfach sein lassen” und dem “einfach loslassen”, nachwievor besteht und es keine Wege gibt sie zu umgehen.

Gestern habe ich also die Sachen für die Klinik abgeholt.
Zu Hause las ich dann in dem Bericht und dachte darüber nach, wie widersinnig es ist, von Mediziner_innen und Psycholog_innen beobachtet zu werden, als wäre ich ein von gesellschaftlichem und sozialem Kontext losgelöstes Individuum, während ich selbige um Unterstützung dabei ersuche, mich in den bestehenden gesellschaftlichen und sozialen Kontexten besser und/oder anders zurecht zu finden.

Etwas später dachte ich, wie widersinnig es ist mit Menschen, die unsere Behinderungen nicht als wahrhaft und aktiv mit in den Kontakt hineinspielend anerkennen, an inklusiven Projekten zu arbeiten, über unser Sein zu reden oder sich zu wünschen, sie würden sich eventuell mit uns bewegen.

Warum machen wir nur immer wieder so widersinnigen Quatsch?
Weil wir hoffnungslos leicht reinzulegen sind. Denke ich. Weil wir alles kontrollieren können, außer die Impulse, die von dem Wunsch kommen, dass sich Dinge verändern und nicht so (unaushaltbar) schwerschwierigschlimm sind, wie jetzt.
Weil sie nicht abzutöten ist – diese beknackte scheiß Hoffnung auf Erlösung, Loslassen, atmen und okay damit sein.

Man kriegt so viel verbogen und verdreht in sich, um zurecht zu kommen, sich am Leben zu halten und irgendwie immer weiter zu machen. Mit all dem Gift, das die Gewalt in uns reingepumpt hat, kommen wir klar – leben mit einer vielleicht bis zum Ende unseres Seins toxisch strahlenden Mülldeponie unter hunderten Schichten des Könnens, Machens, Wünschens und Wollens.
Aber mit dem einen Bereich, in dem es möglich ist zu glauben, statt zu wissen, handeln wir uns immer wieder Probleme ein.

Wir arbeiten viel mit Glauben, weil wir unsere Reaktionsentscheidungen nicht auf Wissen oder dem Eindruck des Wissens fällen. Wenn Menschen mit uns sprechen, dann sagen sie uns hunderte Dinge gleichzeitig, meinen aber vielleicht nur eins oder zwei. Wir raten. Orakeln und puzzeln und zupfen dann das hervor, wovon wir glauben, dass dies die Dinge sind, die sie meinen.

Wir haben uns lange eingebildet, dass wir gut in diesem Ratespiel sind, weil wir in den gewaltvollen Kontexten unserer Lebenszeit häufig gut geraten haben und das einfach gut können mussten, um nicht in den emotionalen Reaktionen auf das Bewusstsein der eigenen absoluten Auslieferung zu ertrinken.
Inzwischen haben wir bewusst, dass wir einfach Glück hatten und keinesfalls irgendwelche besonders entwickelten Fähigkeiten, die uns special beim Überleben geholfen haben.

Gewalt überlebt man, oder nicht. So einfach ist das. So einfach, schlicht und bitterkalt ist diese Realität der Gewaltopfer und die Vergangenheit der zu Opfern gewordenen.

Nur, ob das mit dem Leben genauso ist, weiß man nicht.
Leben muss man leben, um es über_leben zu können.

Und wie genau das geht, ohne dass wir Schaden nehmen, wissen wir noch immer nicht.

all the shades of “Schweigen”

Mit „Schweigen“ und „Opfer“ – „Schweigen“ und „sexueller Missbrauch“ kommen die Klicks. Damit kriegt man die Leute an die Inhalte zum Thema. Hier eine Broschüre mit Hilfeangeboten und Beratungsstellen, da ein bahnbrechend aufrüttelnder Film. Hier ein berührender „Roman“ und da ein „vom Mantel des Schweigens“ befreiter Skandal. „Die Opfer müssen ihr Schweigen brechen!“ – ein stetiger Imperativ, wo und wann auch immer es um Strafverfolgung und ihre Hindernisse geht.
Wie schwierig dieser Strudel ist, habe ich schon oft im Blog von Vielen beschrieben. Habe aufgezeigt, welcher Schuldspruch an die Opfer und zu Opfer gewordenen damit getragen wird. Habe formuliert, wie laut Opfer und zu Opfer gewordene sind, selbst, wenn sie keine Worte für das haben, was ihnen passiert ist.

Natürlich wird sich überall nach wie vor an allen Ecken und relevanten Stellen auf „das Schweigen der Opfer“ bezogen – und nicht darauf, wer was wo wie wann hören, aufnehmen, begreifen kann, will, muss.
Natürlich wird auch immer noch darüber gesprochen, wie man helfen kann, Wege und Mittel aus den Schweigegeboten, denen Opfer und zu Opfern gewordene unterliegen, zu finden.
Und natürlich steht daneben das Schweigen all derer, die durch diese Bemühungen mit etwas belastet werden, das mit ihnen selbst überhaupt nichts zu tun hat.

Wir berichtigen ‚unsere Menschen‘ nach wie vor, wenn sie uns einfach zu der Gruppe derer zählen, die mit Schweigegeboten zurechtkommen müssen.
Wir wurden nie einem Schweigegebot unterworfen. Wir wurden Redeverboten unterworfen.
Das ist etwas anderes und für uns ist es ein relevanter Schritt gewesen, das zu erkennen und zu begreifen, denn ein Verbot ist etwas anderes als ein Gebot.

Wir erleben die Auseinandersetzung mit Schweigen im Kontext von Gewalt einseitig täter_innen(willen)zentriert und nicht zuletzt, als immer wieder die konkret betroffenen Personen in ihren Handlungsoptionen normierend.
Es ist so selten, dass in einer Fachtagung, einem Kongress, einer breit wirksamen Veranstaltung darüber gesprochen wird, wie sich die Auffassung von Schweigen als Schutz allein und nicht auch als notwendiges gewaltkulturelles Fundament der Gesellschaft, auf das Anzeige- und Strafverfolgungs , so wie das -verurteilungssystem auswirken.

Man spricht so gern von Liese Müller, die schrecklich leidet, weil sie ein unfassbar furchtbares Geheimnis hat, das sie nicht teilen kann. Man beschreibt so gern den Käfig ihres Schweigens und nicht zuletzt natürlich den wahnsinnig inspirierenden Befreiungskampf daraus, was dann auch schnurstracks zu Heilung, Gerechtigkeit und Regenbogen überm Sonnenuntergang führt.

Der soziale Tod von Hilda Stein, ihrer Familie und ihrer Herkunftsfamilie – die Scham, die Not an jedem Wort und jeder Selbstwirksamkeit – das langjährige und dann gescheiterte OEG-Verfahren – die Jahre der Therapie und der Versuche irgendwie auf einen grünen Zweig zu kommen – ohne je in einen Zustand zu kommen, in dem sie mehr sagen konnte als: „Ich wurde von XY misshandelt“ – das fehlt.

Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass es kein „das Schweigen brechen“ ist, wenn man einen Oberbegriff für erfahrene Gewalt benutzt oder einfach eine_n Täter_in benennt (und anzeigt).
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, was eine Straftat ist, und was nicht.
Heute wie früher, wissen alle Menschen in der Umgebung, wann genau man was nicht sagen soll.
Und das betrifft nicht nur das Sprechen über Gewalt und Opferschaftserfahrungen.
Das betrifft auch das Sprechen über Krankheiten, seelische Befindlichkeiten, Menstruation und die Beschaffenheit von Kinderwindelinhalten. Zum Beispiel.

Schweigen gebieten nicht nur Gewalttäter_innen. Schweigen gebietet auch und meist sogar noch vor denen, die den Schutz durch Schweigen von ihren Opfern einfordern, unsere Gesellschaft und die (Gewalt-)Kultur, die sie pflegt.

Ich formuliere es radikal und dadurch leicht misszuverstehen, wenn ich schreibe: „Ein Schweigen der Opfer gibt es nicht“ und bleibe dennoch dabei.
Denn es ist wichtig zu verstehen, dass das Verschweigen von Gewalt(ausübungs)- und Opferschaftserfahrungen (also auch: globalen Ohnmachtserfahrungen) nichts ist, was in irgendeiner Form für bestimmte Personengruppen reserviert sein darf.

Die Anerkennung einer eigenen Opferschaft wird dadurch erschwert, dass man sich durch das soziale Reglement, wer wann worüber wo und vor wem etwas zu sagen verpflichtet ist, oder nicht, wer sich wann wo wie und wem gegenüber einer Aussage entziehen darf und wer nicht, eine eigene Position suchen muss.
Es ist nicht immer und ausschließlich der Druck vor der Angst, eine Opferschaftserfahrung könnte nicht geglaubt werden oder die Angst vor einer Strafe durch eine_n Täter_in, die Menschen daran hindert, gemachte Opferschaftserfahrungen zu beworten. Noch allzu oft ist es auch das ganz klare Spüren der Unerwünschtheit dieses Themas oder das Bewusstsein um Ohnmachtserfahrungen als dem Leben in dieser Gesellschaft immanent.
Genauso wie heute nach wie vor der soziale Tod eintreten kann, wenn man sich nonkonform in Bezug auf die Regeln der thematischen Angemessenheit verhält.

Natürlich stehen daneben die Überlegungen: „Okay, wenn wir das nicht wollen – wenn wir dieses Reglement aufbrechen wollen, dann müssen wir darüber reden. Und zwar immer und überall – wir verschonen niemanden. Sich rausziehen und die Augen verschließen, das erlauben wir nicht. Niemand soll sagen dürfen, er kenne niemandem, dem SO ETWAS mal passiert ist.“.

Für uns ist das ein Ansatz, der an der falschen Stelle anfängt. Weil wir wissen, dass jeder Mensch in der Umgebung auf jeden Fall jemanden kennt, dem SO ETWAS mal passiert ist – es aber nicht immer unbedingt auch weiß. Und zwar aus Gründen, die in der Umgebung dieser Menschen und den Möglichkeiten des konkret betroffenen Menschen liegen.

Was nutzt es Ella Kranz, die den örtlichen Kindergarten leitet und schwere Medikamente einnimmt, um trotz massiver PTBS-Symptome weiter arbeiten zu können, wenn Hannah C. Rosenblatt in allen Einzelheiten über ihre ersten 21 Lebensjahre schreibt? Oder Ute Koch jede Sekunde ihrer erlittenen Vergewaltigung durch ein Mikrofon ins Fernsehen spricht?
Ella Kranz braucht das nicht. Niemand braucht das. Niemand, außer vielleicht Hannah C. Rosenblatt, Ute Koch und all die anderen, die irgendwann das Gefühl haben, dass es richtig ist, die Einzelheiten und Details auszusprechen, um sie eben überhaupt einmal ausgesprochen zu haben – weil man es konnte oder wollen konnte oder können wollte oder oder oder
Jedenfalls braucht sie das nicht, um zu erfahren, dass sie nicht allein ist und es Hilfe für sie geben kann, die ihr auch so solidarisch zur Seite steht, dass sie weder ihren Job noch ihre soziale Position verliert. Dafür braucht sie das ausdauernde Engagement von Helfer_innen, strukturelle Sicherheiten und das Zutrauen in sich, durch diese Zeit ihres eigenen Lebens gehen zu können – also eine Umgebung, in der sie schweigen und sprechen kann, aber nicht muss.

Ich möchte Menschen mit meinen Erfahrungen verschonen, um mich zu schonen. Ganz klar.
Ich komme nicht gut mit all diesem reflexhaft abgespulten Zeug zurecht, das Menschen von sich geben, wenn sie nicht wissen, was sie von sich geben sollen, könnten, wollen. Deshalb halte ich meine Opferschaftserfahrungen als Teil von mir, wie meine Hundehaltungserfahrungen, meine Bastelerfahrungen, meine Schreiberfahrungen, meine x anderen Lebenserfahrungen in Kontakte hinein und entbinde Menschen ganz grundsätzlich von einer Reaktion darauf.
Ich erlaube ihnen mit mir zusammen darüber zu schweigen und einfach gemeinsam zu sein in dem Wissen, dass diese Erfahrungen da sind.

Das ist meine Art der sozialen Selbstermächtigung in dieser unserer Gesellschaft, die sowohl mich als Person, die zum Opfer wurde und mein offizielles Verschweigen von Straftaten an mir, als auch all die Abwehr- und Selbstschutzmechanismen in meinen Mitmenschen geformt hat.
Ich bin kein „schweigendes Opfer“, weil mich die Polizei oder irgendein gewaltkultureller Opfermythos so braucht, um mir meinen Schmerz, mein Leiden und nicht zuletzt auch uns als Mensch, der viele ist, zuzugestehen und anzuerkennen.
Ich bin eine Person, die etwas verschweigt, weil sie es kann, nachdem es jahrelang aktiv von ihr zu können gefordert wurde, und zwar von jemanden, der sie ganz global beherrscht hat.

Heute ist es meine Entscheidung zu schweigen. Meine globalen Opferschaftserfahrungen sind vorbei und die Macht der Täter_innen ist auf einer Ebene in meinem Leben, die nicht mehr nur mit mir allein zu tun hat und sich deshalb auch nicht mehr auf mich allein konzentriert.

Mein Schweigen ist losgelöst von Schulddynamiken.
Mein Schweigen ist losgelöst von Errettungs- und Heilungsphantasien.
Mein Schweigen ist losgelöst von meiner früheren Opferschaft.

Mein Schweigen ist, was es ist: Schweigen, aus Gründen, die ich allein bestimme, auch dann oder sogar trotz dem, ich damit Täter_innenwillen oder Interessen von Täter_innen schütze, berücksichtige oder bewahre.
Mein Denken, Fühlen und Leben im heutigen Hier und Jetzt, will ich nicht so täter_innenzentriert passieren lassen.

Für mich ist es wichtig, dass sich um Opfer und zu Opfern gewordene gekümmert wird, weil sie zu Opfern wurden und das etwas mit ihnen macht bzw. gemacht hat. Und nicht, um Täter_innen zu drohen oder sie zu bestrafen oder zu beschämen.
Die Auseinandersetzung mit Straftäter_innen ist in unserer Gesellschaft ganz klar und strukturell geregelt. Wir haben Gesetze, die sie als Täter_innen definieren. Wir haben eine Justiz, die ihre Taten verurteilen und ihre Strafen bemessen soll und wir haben Gefängnisse, die sie genauso aus der Gesellschaft herausreißen, wie es die Gewalt- und Ohnmachtserfahrung ihrer Opfer zuweilen tut.

Für Opfer und zu Opfern gewordene fehlt etwas Vergleichbares.

Eine detaillierte Beschreibung meines früheren Leides wird solche Strukturen nicht entwickeln. Sehr wohl aber könnten sie dazu beitragen zu normieren, wer was erfahren haben muss, um welche Hilfen, wie wo vor wem einfordern zu dürfen.

Meiner Ansicht nach, muss man davon wegkommen, sich mit dem „Schweigen der Opfer (und zu Opfern gewordenen)“ auseinanderzusetzen und sich endlich mehr damit beschäftigen, wie man hört, was Opfer und zu Opfern gewordene sagen und wie man dann damit umgeht als Gesellschaft.
„Wir Opfer und zu Opfern gewordene™“ schweigen nämlich alle unterschiedlich und die Anerkennung dessen bleibt aus.

Genauso wie weiterhin darauf verzichtet wird, sich mit dem Schweigen der Täter_innen auseinanderzusetzen.
Ein einziges Mal will ich in einer Missbrauch-Trauma-Gewaltpräventionsverstaltung sitzen und hören, dass die Täter_innen ihr Schweigen brechen sollen und man sich etwas überlegt hat, wie man das wohl möglich machen könnte.

Es ist Zeit, sich dem Schweigen zu widmen, anstatt sein Ende einzufordern.

was ‘unsere Leute’ wissen sollten

Und manchmal geht es gar nicht darum, wie dringend ich verstanden und gesehen werden möchte, sondern darum, dass ich das Moment verpasse, in dem ich meinen Impuls übergehe, zu akzeptieren, wie dringend mein gegenüber mich und das, was ich sichtbar mache, ein_fach, simpel und leicht braucht.

Unsere täglichen Über.Belastungen sind für mich so üblich, dass ich die Menschen vergesse, deren größte Nähe zu großen, komplexen Problemen, der Kontakt mit mir ist. Manchmal und mit zunehmendem Kontakt zu anderen Menschen mehr, vergesse ich, dass es für sie ein großer Schritt aus einem Kosmos, in dem grundlegend alles als okay, einigermaßen heil, ausreichend gesund und genügend sicher wahr.genommen wird, ist, mit uns in Kontakt zu kommen.

Früher hatte ich das noch bewusster als in der letzten Zeit und habe Menschen in der Folge gemieden oder mich ihrer Sphären entsprechend angepasst.
Heute merke ich an vielen Stellen, welche Folgen so eine “aber eigentlich ist ja grundlegend alles heil und okay” – Haltung hat und bin konfrontativer. Will nicht hinnehmen, wie sich der Großteil der Menschen vor der Auseinandersetzung mit durchaus und bereits in der eigenen privaten Praxis veränderbaren Problemen, scheut oder verschließt. Will nicht akzeptieren, wie viele Menschen sich für etablierte Floskeln entscheiden, auch und teilweise sogar obwohl sie wissen, welche Aussagen sie damit auch treffen, obwohl sie sie eigentlich ablehnen.
Ich will nicht akzeptieren, wie viele Missstände by the way im täglichen Lauf hingenommen werden, weil jede noch kleine Veränderung zur Zumutung mutiert. Zu diesem einen großen Schritt in einen Kosmos hinein, in dem die persönliche , als heil und okay wahrgenommene Grundlage, schlicht nicht mehr da ist bzw. durch die etablierten kulturellen Praxen als inexistent erscheinen.

Andererseits ist es für diese Menschen eben doch manchmal eine Zumutung. Eine Überforderung. Eine Belastung, die man nicht halten kann, auch, wenn man sich grundsätzlich dazu bereit erklärt hat, sie auf sich zu nehmen.
Ich verpasse das Moment schnell, weil ich schneller bin in der Erfassung und Verarbeitung all dessen, was ist. Bis Menschen verstanden haben, was ich alles mitbedenke und worauf meine Formulierung einer Problem- oder Konfliktlage basiert, bin ich schon längst in dem Prozess der Verarbeitung des Gefühls unverstanden, ungesehen zu sein. Und manchmal eben auch des Eindrucks, umgeben von Menschen zu sein, die einfach keinerlei Resonanzboden für eine gemeinsame  oder einander verstehende Kommunikation bieten, oder dem, von Menschen umgeben zu sein, die plump drauflos raten und von sich auf mich und uns schließen und das für Gegenseitigkeit halten.

Ich nehme mir oft vor langsamer zu machen. Atmen, denken, warten, Gedankenstopp.
Leider bedeutet “Gedankenstopp” bei mir noch immer “dissoziieren”, weil es denkt, wie es denken kann – egal, ob ich das bewusst halten will oder nicht.
Dabei ist der günstige Verlauf noch der, dass, wann immer ich mir sage: “Stopp ”, mein Denken die 100 Shades of “Stopp” mit all ihren Auswirkungen, eventuellen Bedeutungen in diversen (allen) Kontexten und Fragen, die sich an diesem Umstand generell entlang befinden (like: Müssen sich Tiere –> Reptilien –> [neurologischer Aufbau und erforschte Befähigungen von Reptilien] eigentlich auch in ihrer Verarbeitungsgeschwindigkeit stoppen oder verhindert ihre neurologische Befähigung dies?) bearbeitet.
Die ungünstige Variante ist, dass ich irgendwo an eine Gedankenstelle komme, die etwas Unverarbeitetes (also Traumainhalte) negativ angetriggert und mich komplett aus dem Kontakt reißt und das ist leider genau die Variante, die ich und wir am Tag mehrfach erleben.

Und ja, das bedeutet auch, dass ganz übliche Missverständnisse oder Momente, in denen man einander erst einmal auf eine Ebene bringen muss, bei uns Wechsel auslösen und damit sogar unmöglich machen, dass manche Innens (so wie ich) überhaupt je erleben, wie sich ein Konflikt oder eine schwierige Situation in eine Gegenseitigkeit oder ein thematisches Verbundensein auflösen.

Wenn man ein bisschen was übers Vielesein weiß, dann weiß man auch, dass wir Innens jeweils andere Fertig- und Fähigkeiten haben und oft auch von sich sagen: “Mein Leben ist ein ganz anderes als das der anderen.”. Vielleicht hilft meine Beschreibung solcher Kommunikationsprobleme und ihrer Folgen ein bisschen besser zu verstehen, wie es zu dieser Aussage kommt.
In meinem Kosmos gibt es Zillionen ungeklärter Konflikte, in denen ich nicht gesehen werde und mit dem Gefühl zurückbleibe, eine Lösung sei immer irre wichtig – aber nie von mir machbar, denn ich habe nie erlebt, wie sich etwas, das ich aufzeige, in gegenseitigem Verstehen löst.

Mein Kosmos ist damit auch grundlegend nicht heil und okay und auch: nicht veränderbar.
Denn auch diese Erfahrung fehlt mir. Ich bin immer wieder damit konfrontiert, dass Menschen sich dazu entscheiden diesen meinen Kosmos aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus zu betreten und wieder daraus zu verschwinden, aber mit mir zusammen einen gemeinsamen zu bilden funktioniert nicht.
Ich kann nicht einmal bewerten, wie das für mich ist, denn erfahren habe ich das noch nicht. Aber meine Vorstellung davon, wie es wäre gemeinsam zu sein, ist schön. Immerhin schön genug, dass ich diese Erfahrung gerne mal machen möchte.

Manchmal spüre ich die Anstrengung des Gegenübers und nehme mir vor, es in Ruhe zu lassen. Ich mache mich selbst weg und verschließe mich vor der Person. Dann gehe ich aus dem Kontakt und nehme den Konflikt mit. Ich ordne ihn mein Bild davon, wie die Welt und das Miteinander für mich funktioniert und vielleicht, durch die mir durchgehend bewussten Wiederholungen bestärkt, auch immer nur laufen kann.

Und will all diejenigen beißen, die mir erzählen, wie grundlegend okay und heil doch alles eigentlich ist.
Wenn sie beim nächsten Mal über mich stolpern.

Was sollen denn die Leute denken?

Wann immer ich auf Menschen treffe, passiert es, dass ich merke: da gibt es ein Paralleluniversum. Da gibt es ein Wertesystem, eine Einordnung dessen, was ich transportiere, eine Falle, in die ich hineintappe, egal wie zart, überlegt, vorsichtig, respektvoll, anerkennend, lieb und artig ich meine social awkward Elefantenfüße in den Kontakt halte.

Wann immer ich gegen eine falsche Einordnung angehe, gelte ich als “wehrhaft”, “aggressiv”, “störrisch”, “zickig”, “launisch”, “motzig”, “aufmüpfig”, “mutig”, “unbeugsam” oder ein anderes Innen als “monologisierend”, “intellektuell zu anspruchsvoll”, “haarspalterisch”, “kleinlich”, “anstrengend”, “viel” oder ein anderes Innen als “komisch”, “awkward”, “offensichtlich behindert”, “bedrückt”, “dissoziativ (bzw. als “sich in die Dissoziation flüchtend”), “unsozial”, “einzelgängerisch”.

Es hilft nicht und tröstet auch nicht zu wissen, dass andere Menschen meine Inhalte nicht “falsch” einordnen, sondern “anders (als ich)”. Im Gegenteil. Tatsächlich gibt es mir das Gefühl ohnmächtig und handlungsunfähig zu sein, denn was genau ich tun muss, damit Menschen mit mir gleichermaßen einordnen, was wir einander mitteilen, weiß ich nicht und wusste ich noch nie.
Was ich tue ist, dass ich immer wieder sage, dass nicht stimmt, wie mich andere Menschen einordnen. Und dann merke ich, dass die Menschen nicht verstehen, warum für mich wichtig ist, dass sie mich richtig einordnen.

99% aller Gespräche, die ich mit Menschen führe, haben etwas mit Hilfen und Unterstützung zu tun. Mit Zusammen.Arbeit und entsprechenden gegenseitigen Abhängigkeiten. Ich bin das Innen, das unsere Therapeutin als “starkes Innen, das den schwachen Innens helfen kann, weil es ja so stark (wehrhaft, aufmüpfig, mutig…) ist” eingeordnet hat.
Ich bin das Innen, vor dem andere Menschen sich fürchten oder Angst haben, weil ich es selten bis nie akzeptiere, wenn meine Probleme und Konflikte auf mich allein individualisiert werden und ich die Menschen in ihrem Anteil daran zur Mit.Verantwortung ziehe. Niemand mag mich, weil si_er sieht und versteht, wie Dinge und Momente auf mich wirken – die meisten nehmen mich hin, weil sie am Ende etwas davon haben und ich nicht das einzige Innen in diesem Einsmensch bin.

Die Konsequenz ist, dass ich überfordert und überladen werde. Immer wieder. Und damit auch immer wieder in Erinnern und Auftauchen im Alltag getriggert werde. Ich weiß nicht, was genau ich tun muss oder kann, um das zu unterbrechen. Denn, das was ich denke, was ich tun kann, tue ich. Mit inexistentem Erfolg.

Noch immer fragt die Therapeutin nach mir, wenn es einem Innen nicht sehr gut geht, ein Alltagsproblem zu klären ist oder die Idee da ist, dass es funktionales Re_Agieren braucht.
Noch immer sagen mir Menschen, ich würde Dinge falsch einordnen oder, wenn sie sich bemühen aus dem Wertungsbias rauszugehen, “anders” einordnen und “aber, eigentlich …”.

Am Ende merke ich immer öfter, wie ich in einem Kontakt stehe und Risse in mir selbst fühle, weil von all dem, was ich sage, genau nicht eingeordnet wird: “Hier gibt es ein Missverständnis. Hier gibt es ein gegenseitig falsches Einordnen. Stopp. Bitte Stopp.”.
Manchmal denke ich, dass das nicht gehört wird und manchmal merke ich, wie es als Dominanzgeste von mir eingeordnet wird, wenn ich es ganz platt durchziehe und nämlich ein Thema, eine Auseinandersetzung, einen Konflikt beende. “Aha, jetzt hab ich sie am Arsch – jetzt hat sie keinen Bock mehr zu reden. So Kindergarten, ey!”

Das sollen die Leute natürlich nicht von mir denken. Ich habe kein Interesse daran Recht zu haben, die Bestimmerin von allem zu sein oder, dass mir nur nach dem Sinn gesprochen wird. Solche Ebenen sind mir egal, weil sie für die Dinge, die mich und uns so allgemein beschäftigen keine Rolle spielen.
Sehr wohl aber spielen sie für andere Menschen eine Rolle, denn diese Ebenen bestimmen offensichtlich sehr maßgebend mit, wie was von wem eingeordnet wird.

Sitzt ein Huschi in der Therapie und sagt: “Stopp” oder verbröckelt unter einer Dissoziation, gilt es nicht als Akt des Versuchs die Situation (oder die Therapeutin dominierend) zu bestimmen (jedenfalls nicht bei unserer Therapeutin und auch nicht bei anderen Menschen in unserem Umfeld). Aber wenn ich das sage, als anscheinend normal funktionierendes Alltagsinnen, dann aber auf jeden Fall.
Mein Stopp gilt als ein anderes, als eines von einem anderen Innen und das hat nichts damit zu tun, dass ich selbst ein anderes Innen bin, als das andere. Wir werden nur jeweils anders eingeordnet. Und zwar von Außenstehenden.

Manchmal merke ich, wie ich in die getriggerte Schleife hineinkomme, in der ich nur denke: “Nein Stopp Ich will das nicht” und merke, wie ich überhaupt gar nichts weiter aufnehmen – gleichzeitig aber auch nicht herausbringen könnte.
Ich merke selbst, wie ich in so einem Moment nur darauf warte, dass es aufhört und meine Gefühle kompensiere, indem ich aktiv gegen die Einordnung des Gegenübers angehe. Ich weiß, dass ich in solchen Momenten will, dass die Leute hauptsächlich aufhören irgendwas von mir zu denken. Ich will weg sein – ich will raus aus ihrem be.denken sein – will verschwunden und unsichtbar sein – aber statt mich aufzulösen, werde ich immer fester ins Bewusstsein gekettet. Ich kriege meinen Durst, sehe diese eine Wand und merke, wie die Haut allein das Fleisch um mich herum zusammenhält. Und kann genau nichts dagegen tun oder sagen oder machen, dass ein anderer Mensch entsprechend seiner falschen Schlüsse einordnet, was mit mir ist und was bedeutet, was ich sage.

Ich merke, wie die Menschen in unserem Leben diese meine – ja Qual, ich will es nicht anders nennen, denn für mich ist es quälend und schrecklich – für einen Teil von uns halten und so einordnen. Für viele Menschen “bin ich halt so” oder “habe eben manchmal solche Momente, in denen es nervig und anstrengend ist mit uns zu tun zu haben”.
Für sie ist es nicht das Miterleben eines Flashbacks und schon gar keine Zeugenschaft meines Wiedererlebens einer Traumatisierung, die mich zur Folge hatte.

Und ja. Das ist bitter. Traurig. Schlimm. Ich empfinde mich unsichtbar in meinem Schmerz. Vielleicht auch ungehört in meinem Schmerz. Obwohl ich ihn äußere. Obwohl ich ihn nicht verberge. Obwohl ich transparent damit umgehe und immer wieder sage, was ich wie wahrnehme.
Aber ich tue es mit den falschen Botschaften. Auf meine Worte achtet man nicht. Worauf stattdessen geachtet wird, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was genau ich wie anders kommunizieren muss. Muss ich mehr lächeln? Muss ich bestimmte Handgesten machen? Muss ich meine Körperhaltung irgendwie anders machen? Muss ich die Tonlage meiner Stimme anders machen? Oder muss ich einfach nur nicht ich sein? Ist das das ganze Geheimnis? Dass man sich einfach nur verstellen muss und ein so-tu-als-ob-Spiel veranstaltet, damit die Leute denken, was man selbst denkt?

Ist das Geheimnis des Verstanden werdens dann am Ende nicht einfach nur Manipulation? Wie echt ist ein gegenseitiges Verstehen, wenn ich gemacht habe, dass jemand denkt, was ich denke?

Was würden die Leute denken, wenn ich ihnen sage, dass ich sie mittels bestimmter Veränderungen meiner Kommunikationskanäle dazu gebracht habe, mich zu verstehen? Wie berechtigt wäre dann meine Sicht auf mich als jemand, die kein Interesse daran hat, die Einordnungen anderer Menschen zu dominieren bzw. zu bestimmen?

K.

“Hör doch auf mir helfen zu wollen!”, beendete sie das Gespräch mit unserer Gemögten und besiegelte es mit dem Ausschalten des Handys. Ihr Puls flatterte unter der Haut und ein Jemand schleuderte den rechten Arm mit aller Wucht gegen die Backsteinwand neben ihr.

Es ist halb 2 Uhr nachts und sie noch immer damit beschäftigt sich von der Therapie und den ausgelösten Gefühlen runterzuregulieren.
Während sie sich mit dem Rücken gegen die Kellerwand stemmt und ein Paket tiefgefrorenes Fleisch an den geprellten Handrücken hält, schaut sie auf die alten Fahrräder, den verdreckten Fahrradanhänger, den Sperrmüll, den selbstgebauten Hörnchenkäfig, die letzten nie geöffneten Umzugskartons.

Ich merke, wie sie dagegen ankämpft zu weinen oder die unwillkürlichen Laute von sich zu geben, die Menschen so von sich geben, wenn sie etwas loslassen, das sie bedrückt. Von Schlauberg tropft der Impuls herunter das bestehende Adrenalinlevel zu nutzen. Sie atmet durch, putzt sich die Nase und trägt das Fahrrad vors Haus. Wir ziehen sie an und klemmen ihr den Helm auf den wirren Kopf.
Meine Flügel halten ihre Hände auf dem Lenker und sie rast los.

Wir hören ein Käuzchen und erschrecken einen Hasen als wir durch die Gegend fahren bis die Kälte des Fahrtwindes in der Lunge sticht.
Die untrainierten Beinmuskeln fühlen sich an wie heiße Metallteile. Es regnet.

“Merkst du dich eigentlich?”, frage ich sie und betrachte fasziniert, wie sie sich durch ihre eiserne Haut allein zusammenhält. “Ach.”, antwortet sie und scheucht mich aus ihrem Denken.
“Ich will nicht, dass ‘es mich gibt’.”… “Ich will nicht ‘da sein’.” … “Ich will ‘mich’ nicht merken.” … “Ich will nicht.” … “Ich will nicht, dass es ‘mich’ gibt.” … “Ich will nicht angeguckt werden.” … “Ich will nicht ‘da sein’.”

Wir steigen vom Rad und setzen sie auf eine Parkbank. Langsam kriecht die nasse Kälte von der Kleidung auf die Haut und lässt sie schaudern. Wir warten bis sie zittert und mehr und mehr Worte sie aus ihrem Denkkreisel heraustreten lassen.

Die ersten Vogelstimmen sind zu hören, als wir mit einer Wärmflasche unter allen Decken und Gewichten, die wir finden konnten, in unserem Bett liegen.
“Ich will DAS DA einfach nicht. Klar?”, denkt sie in das Rund zwischen sich und allem. “Klar.”, antworte ich und fühle sie in meine Federn rieseln wie feiner Strandsand.

spontane Integration

Die Stunde war zu Ende und während ich in die neue Jacke mit den Flauschstellen schlüpfte, trug sie ein Jemand auf dem Arm Stück um Stück tiefer ins Innen.

Wir hatten gearbeitet und ich spürte es an einem flirrenden Zucken unter der Haut. Der Notwendigkeit die Unterwäsche zu wechseln und unter die Dusche zu gehen, als wir zu Hause waren. An dem Wunsch NakNak* immer im gleichen Zimmer zu wissen.
Über den Nachmittag kletterte die Temperatur von 37 auf 38 auf 39 auf 40 Grad und ließ die Wahrnehmung des Heute schwanken. Am Abend begannen die intrusiven Gedanken und Gefühle, Pseudohalluzinationen und schmerzhafte Muskelkrämpfe.

Während ich versuchte der versorgenden Stimme aus dem Nebenmir zu folgen,  Aspirinbrause zu trinken und Lavendelöl auf Brust und Nacken aufzutragen, hörte ich sie schreien.  Später fiel mir auf, dass es mich verwirrt hatte sie schreien zu hören. Wir hatten doch an ihrer Erfahrung, dem Ereignis, das sie zu einem Jemand hatte werden lassen gearbeitet, damit ein Teil des ES zu schreien aufhörte.

Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie sich trauen würde, sich für den Teil des ES vor ihr zu öffnen und es in sich aufzunehmen. Vielleicht ist dieser Schritt aber auch nichts, was sich vorbereiten lässt.
Manchmal sind die Unterschiede zwischen Innens, die ein Jemand sind und dem, was wir als ein Teil des ES bezeichnen, nur minimal und manchmal braucht es nur eine bestimmte Resonanz vom außen, um die Ebenendifferenzen auszugleichen bzw. anzupassen. Ich stelle es mir vor, als würde der Umstand mit der Therapeutin durch einen Moment zu gehen, eine Art Schmiermittel einbringen, um diesen einen Ausgleich in Gang zu setzen, der früher aus Kapazitätsmangel in der Situation gestoppt wurde.
Das ist, als würde nachträglich etwas passieren, das nötig ist, auch wenn oder vielleicht auch obwohl, es akut keine Auswirkungen auf unser äußeres Funktionieren mehr hat.

In den folgenden Tagen haben wir darüber nachgedacht, ob sie jetzt in diesem Zustand noch überhaupt jemals wieder in der Lage sein kann, so zu funktionieren, wie sie es bisher konnte. Mir fiel dabei auf, wie sich die Annahme hinter der Frage gewandelt hat. Vorher ging es nicht um ihre Fähigkeit – es ging um ihre Intension. Die damaligen Umstände, die Frage nach bestehenden Zwängen oder Verpflichtungen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir uns gefragt, ob sie überhaupt die Fähigkeit für ein anderes Handeln hat. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass wer verletzend (re-)agieren kann, selbstverständlich und wie einem Naturgesetz entsprechend auch ohne zu verletzen (re-)agieren kann. Obwohl wir selbst wissen, wie tiefgreifend sich die strukturelle Dissoziation unseres Selbst auf das jeweilige Fähig- und Fertigkeitenniveau seiner Bestandteile (also uns Innens und das, was wir Teile des ES, Seelen, Energien… nennen) auswirken kann.

Nicht jedes Innen, das kocht, kann auch essen. Nicht jedes Innen, das weiß was zu tun ist, kann auch tun, was zu tun ist.
Wir haben das in Bezug auf sie ausgeblendet und sind jetzt umso dankbarer, dass wir das im Nachhinein reflektieren konnten.

Manche Menschen fragen sich, ob Innens verschwinden, wenn sie sich integrieren oder mit anderen verschmelzen. Manche fragen sich, was genau da eigentlich passiert, wenn wir sagen “Sie hat es in sich aufgenommen”.
Wir haben noch keine Verschwindeerfahrung von Innens im Rahmen traumatherapeutischer Arbeit gemacht. Uns sind immer nur Innens bzw. ganze Systeme “verschwunden” oder kaputt dissoziiert, wenn wir Gewalt in Kombination Todeserwartung bzw. Nahtoderfahrungen üb.erlebten. Und dabei war es irrelevant, ob die Gewalt von früheren Täter_innen ausging oder von Menschen, die man außen als Teil einer Hilfe bzw. eines Hilfesystems bezeichnet.
Wir haben für uns inzwischen sehr klar, dass die Rechnung “Gewalt = Dissoziationsbereitschaft = Spaltung = DIS, wenn sinnhaft fürs Überleben” eine irreführende ist, die unserer Ansicht auch dringend und gerade in der Öffentlichkeitsarbeit präzisiert werden muss in: “toxischer Stress = Verstärkung bestehender Dissoziationsbereitschaft = erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spaltung = Etablierung kompensierender Mechanismen (zum Beispiel einer DIS)”

Uns ist aufgefallen, dass wir davon ausgingen eine größere Veränderung wahrnehmen zu werden, nachdem wir die spontane Integration des Innens mit dem Teil des ES gespürt haben. Doch bis jetzt stellen wir die Veränderung eher an uns und unserem Zugang zu dem Innen fest bzw. merken, dass wir es anders sehen können.
Wir sehen mehr Worte in ihrem Denken und sehen, wenngleich nach und nach weniger deutlich, welche Worte von ihr und welche aus dem Teil des ES sind. Und wir spüren Gefühle in einer Wellenbewegung, wo vorher “emotionsähnliche Reaktionen” wie durch ein Katapult immer die gleiche Linie entlang geschossen kamen.
Sie ist noch die Gleiche. Sie hat keine 180° Kehrtwendung ihrer Ansichten, Ab- und Zuneigungen oder Loyalität gemacht. Aber da ist jetzt ein Schrei in ihr wo vorher keiner war und wir merken, dass wir eine Kehrtwendung in unseren Ansichten von ihr machen.
Von einem Jemand, dem wir uns widmen, weil wir etwas einfordern, wird sie zu einem Innen, das eine innere Sitzwache und viel von unserem Zuspruch braucht, um nicht gleich wieder auseinanderzufallen, weil es einen nun auch eigenen Schmerz nicht mehr aus_halten kann.

Wir merken, wie wir zu ihren Begleiter_innen in einem uns alle verändernden Prozess werden.

Fundstücke #18

An dieses Loch in der eigenen Kindheit habe ich mich in den letzten Jahren irgendwie gewöhnt. Ich habe mich daran gewöhnt zu wissen, dass ich nichts weiß und kämpfkrampfe seit Jahren daran herum es eigentlich auch nicht wissen zu wollen und gleichermaßen nicht er_tragen zu können, wenn mir so ein Klumpen Erinnerungen wie zähflüssiger Eiter ins Denken fällt.

Es ist erschreckend und abstoßend für mich. Aus Gewohnheit. Weil mich immer alles erschreckt und abstößt, was ich von dem Kind, das ich und wir einmal war und waren, ohne es zu erinnern, erfahre. Und wenn ich fertig bin mit erschrecken und abgestoßen sein, dann stehe ich da und halte so ein bitter trauriges Fetzstück eines Lebens in der Hand und weiß nicht so recht wohin damit.

Da war so dichte Sommerhitze, dass der Körper nur von ihr zusammengehalten war. Die großen Betonplatten mit den Teerwürsten am Rand bildeten ein warmhartes Unten und die Baumkronen begrünten das Oben. Dieser Hort war ein schöner Ort. Ein Stück zwischen Schule und Zuhause, in dem nur die Hausaufgaben zu erledigen und sich gut mit den anderen Kindern zu vertragen Pflicht war. Die Erzieher_innen hatten einen Schlauch mit Löchern bespickt und damit ein Wasserspiel für den Sommer gebaut. Die  Kinder rannten dort nackt umher und hatten Spaß.
Und ein Mädchen aus der Klasse fragte, warum Körperteile des Kindes so rotblaulila waren.
Da ist das Bild, wie ich mich selbst anschaue und erschrecke.
Und so viele Wörter gleichzeitig vor Augen habe, dass sie sich zu einem weißen Rauschen vermengen.

Es ist so leicht einen weiten intellektuellen Bogen zu spannen und ihn dann in ein Weltbild zu klemmen, das das Kind als Individuum verschwinden lässt. Es ist so leicht, wenn man sagt: “So ist das Leben nun einmal. So sind die Menschen nun einmal. So kann es eben auch laufen.”
Das ist die Nachahmung gesamtgesellschaftlicher Dissoziation. Das ist, was machte, das man dachte, alle wüssten ES und wenn ES etwas außergewöhnlich Schlimmes wäre, dann würde diese eigene Unsichtbarkeit inmitten dieser Gesellschaft, dieser seiner eigenen sozialen Umgebung nicht mehr gegeben sein.

Ich wusste von dieser Episode. Wusste, dass ich und wir der Mitschülerin antworteten, dass wir es nicht wüssten oder so etwas ähnliches. Wir erlauben uns, das Nichtwissen unserer Antwort als übliches Vergessen einzuordnen. Niemand kann sich immer an alles detailgetreu erinnern.
Aber das Wörterding. Und das weiße Rauschen. Das Erschrecken über die Erkenntnis einer Verletzung durch einen Hinweis von außen. Die Erinnerung, dass sie uns erst nach dem Toben unterm Wasserspiel angesprochen hat. Eine vorläufige bittere Idee, dass uns sonst niemand angesprochen hat. Und nicht verstand, als wir etwas sagten.

Und Jahre später die Information, wie relevant Zeug_innenaussagen bei fehlenden Beweisen ist. Und, dass unser Hort heute nur noch eine begrünte Hinterhoffläche ist.

Es macht mich traurig anerkennen zu müssen, dass die schwierigen Erfahrungen des Kindes, das ich und wir früher einmal waren, sich so viel fester in unser Er_leben und alltägliches Sein hineingefressen haben, als die Orte, an denen es sich gut gefühlt haben könnte. Jedenfalls gut genug, um zu vergessen, dass es ein Zuhause gibt, in dem es verletzt wird.

Es ist ein schmerzhaftes Ding anerkennen zu müssen, dass das Kind, das ich und wir einmal waren, schon damals ich und wir waren.

Dass dieses Erschrecken über die Wahrnehmung und das Bewusstsein über etwas von oder an sich selbst schon damals da war, genauso wie der Wörterquirk und die Überforderungen, die daran entlang auch zu Dissoziationen geführt haben und uns vielleicht genau deshalb zu so vielen haben werden lassen, wie wir sind. Und eben nicht nur, weil die Gewalt und das “so tun als ob-Spiel” darum herum überfordert hat, sondern das gesamte Er_Leben überall darum herum.

Ich habe mich an die Idee einer dissoziativen Amnesie gewöhnt, die mit ihrem Ende definiert, dass ich nicht mehr das Kind bin, das ich und wir einmal waren. Ein therapeutisches Re_Orientierungsmärchen, das kurzfristig hilft eine Barriere zu errichten, doch langfristig zur Annahme führen kann, Erwachsene seien keine Kinder bzw.  erwachsen zu sein sei unverbindbar mit Kindlichkeit oder kindlicher Bedürftigkeit.

Ich habe mir überlegt, dass ich gut damit leben könnte zu sagen, dass das Kind, das ich und wir früher einmal waren, noch heute viele Schwierigkeiten hat, die es früher schon hatte und die Teil seines Erwachsenenlebens sind, weil es selbst auch der erwachsene Mensch ist, der ich und wir heute sind.

Das ist keine große Idee, weil Multipelsein das nicht ausschließt.
Der Schritt für mich ist die Möglichkeit, als wahr(haft) anzunehmen, dass die vielen fremden, weil dissoziierten Sozialuniversen überlebt von vielen vielen Kinderinnens, überlebt und beschützt von vielen vielen anderen Innens, Seelen und Energien, die irgendwann von ganz anderen Innens, Seelen und Energien überlebt, beschützt und ins Erwachsenenleben getragen wurden, die wiederum von anderen überlebt, beschützt und in einen weiteren Abschnitt Erwachsenenleben getragen wurden usw usw usw in einem einzigen Leben passiert sind und bis heute passieren.

Neben der Erklärung für mein Erschrecken und Nichterinnern, mein ständig fremd im eigenen Leben sein, die ganze Angstproblematik, die Symptomatik des unkontrollierten Erinnerns und all das, hat die Diagnosestellung der DIS nichts aufgelöst.
Schon gar nicht mein Bild von mir, die völlig problemfrei wäre, wären diese dysfunktionalen Reaktionen und schwierigkeitsbeladenen Innens nicht mehr da oder einfach funktionaler und orientiert, dass ihre Schwierigkeiten heute vorbei sind.

In den letzten Wochen haben wir aber neue Dinge versucht, die wir für uns als individuelle Herangehensweise empfinden.
Dazu gehörte Überforderungen wahr(haft)zunehmen und entsprechend anders zu arbeiten und auch zu interagieren, aber auch der Beginn den Wörterquirk als Baustein therapeutischer Arbeit zu nutzen.
Ich merke, dass es uns gut tut und hilft. Weil es etwas ist, das wir alle gleich bzw. sehr ähnlich erleben.

Darüber merke ich aber auch, wie sehr wir unsere Individualität aus “So ist das Leben nun einmal. So sind die Menschen nun einmal. So kann es eben auch laufen.” heraushalten. Wie sehr wir, obwohl wir wissen, dass auch wir zum Lauf der Dinge, diesem Leben, dieser Gesellschaft gehören uns erst dann dort zu finden trauen, wenn wir unauffällig bis unsichtbar sind.
Keine Erwachsene, die mal Kind war. Keine Person, die Wörterquirks hat. Keine Person mit Loch in der Selbst- und Umweltwahrnehmung. Keine Person mit fremden Problemen im eigenen Leben.

Jeder Erinnerungseiter bringt mich in ein Moment, in dem ich merke, welche Ähnlichkeiten ich und wir mit dem Kind, das wir früher einmal waren, haben.  Wie sehr mein Fremdheitsgefühl nicht an den Problemen der Innens, sondern an der Zerrissenheit meines Mit_Nach_Empfindens und der manchmal daraus folgenden Unnachvollziehbarkeit ihrer Reaktionen darauf liegt.

Ich merke, wie ich mich daran gewöhnt habe Wörter für Symptome zu benutzen, wo Wörter für uns und unser in diesem Leben passieren, sein müssten.