das “so-tun-als-ob-die-DIS-Diagnose-neu-wäre”-Ding #1

Während sie uns die Treppen hinunter manövrierte, drehte sie sich zu mir und sagte: “Läuft doch gut, oder nicht? Landkartendings – check!” und fuchtelte ihr Fröhlichfuchteln.

Ich hielt inne und beschloss umzudrehen. Die Treppen zurück nach oben, Sturmklingeln und den krausen Wirrwusch zwischen Denken, Begreifen und Kontrollverlust per Telepathie ins Verstehen der Therapeutin hineinpflanzen. Beschloss: “Nein – Nein – Nein” und all die anderen Konstruktivitäten, für die ich bekannt bin.
Griff nach meinen glatten Wortketten zur Erklärung von allem, drehte mich um und bemerkte, wie andere schon längst um den Lenker des Fahrrads schwirrten, um nach Hause zu fahren.

“Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, wieso du dich immer so schuckich anstellst, wenn es mal irgendjemand von uns schafft, mehr als Mimimi und Nein-Nein-Nein zu sagen?”, fragte mich ein Knäul etwas neben der beschwingt auf dem Rad um sich fuchtelnden Jugendlichen.

Leises Grummeln walzte sich durch das Grau über unserem Kopf. “Ich bin nicht mehr phobisch euch gegenüber.”, antwortete ich und hörte, wie das Knäul missbilligend schnaubte.  “Uns nicht – aber dir selbst gegenüber – Herzilein – dir selbst gegenüber…”.

Manchmal denke ich noch: “Ach – ich warte jetzt einfach kurz bis ich wieder normal bin und dann mach ich alles wieder gut. So wie vorher.”. Dann krause ich neben uns her und summe in mich hinein, dass alles okay ist, weil alles okay ist und nichts nicht rückgängig gemacht werden kann.
Leider weiß ich schon, dass mein Vorher eine tröstliche Selbstverarsche ist, die mich über mein Unvermögen flauschen will. Und leider weiß ich selbst auch schon, dass jedes Nein-Nein-Nein und Mimimi nichts weiter beinhaltet als: “Wääh – ich will aber bitte nicht, dass das so ist, sondern bitte irgendwie weniger SO und mehr – naja – ich weiß auch nicht – fuchtel fuchtel keine Ahnung alles – Hauptsache nicht SO” as you know – i’m the queen of konstruktiv

Und trotzdem verfolge ich diese Therapie weiter. Stehe neben der Tür und beobachte, wie sie mit der Therapeutin reden, höre manchmal hin und manchmal weg.

Die Idee eines So-tun-als-hätten-wir-die-DIS-Diagnose-neu fand ich interessant. Denn ich hatte nie die Chance diese Diagnose als neu zu empfinden oder zu denken. Es gab sie schon, als meine Erinnerung beginnt und einen Umgang, eine Haltung, eine Identifikation damit zu haben, werden von mir genauso erwartet, wie von allen anderen eher in den Alltag wirkenden Innens, die sich damit schon seit 2003 auseinandersetzen.
Ich hatte mir einen sichereren Rahmen dafür gewünscht. Mehr aufgefangen werden, mehr Option sich umzudrehen und jemandem – auch wenn es gar nichts verändert – alles von mir empfundene: “Ja – aber – Mimimi” sagen zu können, um nicht damit allein sein zu müssen, während man nicht weiß, wohin damit.
Jetzt versuchen sie es im Rahmen der ambulanten Therapie weiter.

Es gibt jetzt eine neue innere Landkarte und sie lag heute vor der Therapeutin auf dem Boden. Ich dachte an Metaphern wie  “das Innerste vor jemandem ausbreiten” und viel “oh nein – nein – nein” und wunderte mich wie die Jugendliche und die Therapeutin so miteinander reden.
So ruhig und ganz klar umrissen.
So überhaupt gar nicht dem chaotischen Kreuzfeuer, das in meinen Ohren rauschte, entsprechend und allgemein so… surreal alltäglich.

“Dein Problem ist nicht, nicht zu glauben, dass du zusammen mit uns viele bist – dein Problem ist, dass du denkst, das Viele-Sein an sich, hätte mit dir nichts zu tun, Herzilein.”, sagte das Knäul mit den ersten auf uns herabfallenden Regentropfen.

Ich weiß, dass das stimmt.
Aber.

Mimimi

innere Tode

Sie führt den Bleistift rasch übers Papier auf dem Schoß und schaut mich an.
“Und wenn es wieder passiert?”
Ihre Stimme klingt ruhig, aber ich bemerke das Rot in der Frage und sehe, dass sie sich an etwas erinnert, das lange vor mir passiert ist.

“Was ist denn passiert?”, frage ich, obwohl ich es gar nicht wissen will.
Sie antwortet, dass sie schon einmal so eine innere Landkarte mit Namen angefangen hat. Atmet ein, macht einen weiteren schnellen Strich und sagt: “Und dann bin ich gestorben.”.

Der Satz schlägt auf und kullert in das leere Rund zwischen uns.

“Aber du bist nicht wirklich gestorben, richtig?”, frage ich. “Du bist ja jetzt da.”. Sie nickt. “Aber trotzdem. Vielleicht passiert es wieder.”.

Ich weiß nicht, was ich ihr sagen könnte.
Ärgere mich schon wieder diesen Prozess nicht in der Klinik durchmachen zu können. Werde wütend, weil wir allein in eine Innenarbeit gehen und zwar durch äußere Vereinbarungen gesichert sind, aber keinen gleichermaßen gesicherten Beistand für die inneren Chaosherde haben. Dass wir einfach genau keine Helfer_innen haben, die schon vor 10, 12, 14, 15 Jahren innere Tode von Innens miterlebt haben und uns heute sagen könnten, worauf wir achten könnten. Was vermeiden. Wen unterstützen. Wann nachfragen lohnt und wann es eine Krise provoziert.

Unsere Therapeutin hatte sich gefragt, ob es uns überfordert dann doch jetzt einfach in die Erstellung einer aktuellen inneren Landkarte zu gehen. Und vermutlich hatte sie genau oder einen ähnlichen, wie unseren Gedanken: “Ja – nein – keine Ahnung – aber, ohne irgendeinen Anfang, gehts nicht weiter.”

Ich schaue dem Innen weiter zu und merke, wie sich mein Zwerchfell unter den erahnbaren Ausmaßen zusammen zieht.
„Ich will das alles nicht. Nicht so. Nicht so wie es ist, weil es anders nicht geht.“.
Ich denke das so oft, dass ich den Faden verliere und erst verzögert merke, dass ich es laut ins Telefon sage. “Ich will keine Herz-OP ohne Abitur, Studium, chirurgische Megaausbildung und 20.000 Simulationen bei milliardenschwerer  Fehlerhaftpflichtversicherung  hinlegen müssen, nur weil sich die studierte Task Force of Psychotrauma verweigert und lieber Blinddärme aus Leichen popelt.”, schiebe ich nach, weil ich den Vergleich gut finde und mir das auszusprechen plötzlich wichtiger ist, als irgendeine Prüfung des Raumes, in den ich das hineinsage.

Unsere Gemögte lacht.
“Hast du Angst?”, fragt sie. “Ja.”, sage ich und weine das Weinen von jemandem vor mir einfach weiter. “Wovor?”, fragt sie.

“Ich hab keine Ahnung”, sage ich. Und ertrinke in der Panik eines anderen Innens.

Multimythos Teil 5: von Multiversen und anderen Abstraktionen

Blasendunkel Was auch immer wieder gut kommt, sind beeindruckende Landschaften. Innere wenn möglich.
Multipelsein hat ja schließlich auch irgendwas mit System zu tun. Mit Persönlichkeitssystem halt.
Also fliegen in meiner Mailingliste immer mal wieder innere Landkarten von einzelnen Menschen herum und bewegen mich.

Zum Einen, weil das, was ich da sehe manchmal echt Stoff für eine Abwandlung der Buddenbroocks oder ein Schema für den gesamten Identitätenauflauf in dem Multiversen von Pratchett oder auch Walter Moers’ Zamonien sein könnte und zum Anderen, weil es mich als jemand ohne so ein umfassendes Bild über oder von seinem Innenleben, wie jemand “ohne Beweis” da stehen lässt.

Es gibt diesen naja- Halbmythos- der von einem linearen “je mehr, desto mehr” ausgeht und entsprechend riesengroße Systeme aus dem Innen zur Folge hat.
Was da dran ist, weiß ich nicht- es sind individuelle und subjektive Selbstinventuren.
Fakt ist: es gib die These der strukturellen Dissoziation und diese stützt sich darauf, dass sich die Spaltungstiefe bzw. der Umfang der Spaltung verändert bzw. spezifiziert, je häufiger es zu traumatischen Situationen kommt, in denen dissoziiert werden muss, um einen Informations/Reizoverload zu verhindern.
So sagt die These auch, dass dissoziative Strukturen entlang bestehender (und neurobiologisch angelegter) Notwendigkeiten entstehen. Sie sind also am Überleben des Individuums orientiert.
So stelle ich mir mein “System” auch eher wie einen Schaltplan vor: Wird an einer Stelle zu viel Strom reingejagt, springt die Sicherung an und leitet den Fluss an die Stelle, die damit umgehen kann oder weniger Verluste zur Folge hat, wenn sie versagt.
Die Systeme in meiner Mailingliste sehen da anders aus und so komme ich zu meiner Dauerschleife: “Abstraktion ist nicht gleich Dissoziation”.
Es gibt Menschen, die sich innere Rollenspiele oder auch ganze innere Welten erschaffen, um mit (durch ein Trauma zu begründende) Überforderung zurechtzukommen.
Sie dissoziieren aber nicht, sondern abstrahieren.
Abstraktion ist auch “Entfernung”- aber eben nicht “Trennung”.
Eine Entfernung zu generieren hat etwas mit Bewusstsein zu tun- man kann nur von sich halten, was man an sich dran hat.

Für mich spielt der Mythos in der Ecke der Alltagsgewalt und seinen Leidvergleichen.
Je mehr Gewalt, desto  mehr Innenleben, desto mehr Leid, desto mehr Verpflichtungsdruck auf dem Außen, sich dessen anzunehmen- sei es mit Aufmerksamkeit, Fürsorge, Mitgefühl, Halt.
Ergebnis: Sicherheitsgefühl durch Bindung- Verbundenheit

Die Realität der Folgen von Mensch-gegen- Menschgewalt hat aber eher die Kette:
Je mehr Gewalt desto mehr Unterwerfung/ desto weniger Bindungssicherheit, um mehr Innenleben zu verhindern, um weniger Außendruck in Bezug auf sich zu empfinden, um zu überleben.
Ergebnis: Sicherheitsgefühl durch Trennung- Autarkie

 

Ressourcen:
eine Folie von Michaela Huber zur Theorie der strukturellen Dissoziation
ein Text von der Internetseite “Traumatherapie Ruhr”, der die strukturelle Dissoziation näher erklärt
ein Artikel zur Alltagsgewalt

ein paar Fragen an mich, als “multiple Persönlichkeit”

Es ist mir eine Freude etwas hier wiedergeben zu dürfen.
Dies ist ein (leicht bearbeiteter) Mitschnitt von einem Austausch mit einer Leserin dieses Blogs. Ich werde sie im Folgenden “Martha” nennen.

Es begann damit, dass wir den Sendungsausschnitt von Frau TV, in dem die multiple Frau Liza von sich erzählt, gemeinsam anschauten.
Für alle, die ihn noch nicht kennen: hier kann man ihn sich ansehen.

C. Rosenblatt: Ich finde den Begriff „Persönlichkeiten“ immer so irreführend … das werd ich irgendwie auch mal noch aufnehmen im Blog
Martha: Oh, ich würde gern wissen warum ?
C. Rosenblatt: Weil die Innens keine Persönlichkeiten an sich sind. Also bei keinem Multiplen. Also klar- jetzt halt die Frage „Was ist Persönlichkeit?“ Es ist ja so, dass jeder Mensch irgendwie Abneigungen, Vorlieben, Begabungen und seine „Macken“ hat-  sein Sein halt einfach
Martha: Ja.14519_web_R_by_danii_pixelio.de
C. Rosenblatt: Okay. Nehmen wir mal eine Discokugel. Wenn man sie sich genau anguckt besteht sie aus vielen Spiegeln. Das coole Glitzern kommt von den Lichtstrahlen, die jeweils einzeln reflektiert werden. Bei nicht multiplen Menschen könnte man sagen- da gibts keine kleinen einzelnen Spiegel, sondern so ineinander fließende Dellen, Beulen und Huckel- manchmal auch Risse. Wenn eine Lampe draufleuchtet, wird nicht die ganze Kugel jeweils zurückreflektieren, aber auch nicht nur ein minikleiner Teil davon
Martha: Ja.
C. Rosenblatt: Bei Multiplen ist es so, dass eine Lampe auf so eine aus vielen Spiegelteilen (die jeweils voneinander getrennt sind) leuchtet und nur diese reflektiert. Das heißt, es ist ein Anteil der Gesamtpersönlichkeit der dort wie autark aussieht- es aber nicht ist.
Martha: Wow. Gut erklärt. Schreib das. Das ist wirklich nachvollziehbar- ich mein das ernst
C. Rosenblatt: Okay wow
Martha: Ich bin ja nun eine dellige beulige Huckelkugel und ich versteh’s
C. Rosenblatt (ein in sich freudig hopsendes Innen spürend): ^^
Martha: Und es macht auch Sinn…weil bei mir an manchen Stellen def. große Risse sind. Da wo der böse Mann war. Ja. Nein du zuerst
C. Rosenblatt: Hm- ich wollte nur einwerfen: Ja und da, wo so ein Splitter ist, da so am Riss- da würdest du ja auch nicht von dir sagen, dass das eine andere Persönlichkeit ist. Da fehlen einfach so ganz viele Aspekte, an denen man gemeinhin „Persönlichkeit“ festmacht.

Das ist zum Beispiel auch ein Punkt, der die Therapie und die Kommunikation so schwer macht. Es ist schwer für Menschen ohne DIS die Flachheit seines Gegenübers zu erfassen. Also wenn ich etwas sage, dann meine ich auch nur genau das- ohne große Emotion oder Intension. Manche Menschen sagen mir aber trotzdem, nachdem ich ihnen etwas erklärt habe, dies sei eine tolle Begabung oder ich wäre ja so lieb, ihnen das zu sagen. Ich bin aber weder lieb, noch begabt. Ich gebe einfach eine Information weiter.
Dass mir eine Dimension fehlt im Erleben, ist mit so ein Knackpunkt an der DIS. Und deshalb mag ich auch den Blog so. Es ist ein flaches Medium- ich wirke „dicker- globaler“ als ich bin und komme so leichter in Kontakt.
Ich bin jetzt fertig 🙂

Martha: Ok, da würde ich gern einhaken hehehe
C. Rosenblatt: Okay
Martha:  Also: wenn zum Beispiel Leute dir sagen, du wärst so lieb ja…dann gibt /gab es ja eine Interaktion und das ist einmal die Dimension der Person, die dich als lieb interpretiert und deine.
Erstmal hat natürlich eine andere Person das Recht auf ihre jeweiligen Gefühle und Eindrücke…es kann also schlicht bedeuten…du warst lieb zu mir, das hat sich wohlig angefühlt, stimmig…dieses Gefühl gehört dann der Person…unabhängig davon, ob du diese Intention dabei hattest oder eben nicht, wie du sagst.
Dann bist da du. Du hast dieses Gefühl eben nicht in dem Moment, sondern warst schlicht ganz und gar Informationsträger und Weiterleiter…hab ich das soweit richtig verstanden ?
C. Rosenblatt: Ich habe diese Gefühle nie. Sie sind schlicht nicht in mir drin. Also das ist so… hm… wie eine kartographierte Discokugel- ich bin ein kleiner Spiegel der ganz weit weg und durch viele Barrieren von dem Bereich der Gefühle getrennt ist. Aber zum Beispiel ein anderes Innen „sitzt“ vielleicht direkt in mitten dieses Gefühlsbereichs und kann ausschließlich diese Gefühle reflektieren- aber nicht das wo ich draufsitze (Ratio) Dieses Innen kann (eigentlich fast ausschließlich) lieben und mögen- aber nicht sehen, ob das schlau ist
Martha: Ja. So habe ich das auch verstanden. Als Abgetrennt-Sein.

Stehst du dann mit dem jeweiligen Innen (um beim Beispiel zu bleiben hier mit jenem, das gerade liebt und mögt) im Kontakt oder kannst zumindest versuchen, Kontakt herzustellen und ist das von Fall zu Fall verschieden ?
C. Rosenblatt: In der Regel haben wir keinen Kontakt. Aber zum Beispiel werden die Aussenpersonen manchmal zu sowas wie einer dieser „Ums Eck“-Spiegel. Zum Beispiel in der Therapie die Therapeutin oder Gemögte im Alltag, die viel mit uns zu tun haben.Zum Beispiel hm.. ich erkläre gerade etwas und das Gegenüber sagt oder fragt oder macht etwas, das ein bisschen Licht über die ganzen Sperren bringt und das andere Innen auch anleuchtet. Dann nimmt die Aussenperson manchmal etwas wahr und meldet es mir zurück (z.B. Du weinst ja- bist du traurig?)
Ich kann dann versuchen nachzuvollziehen, was wohin geleuchtet hat und so dann sehen: Aha es kommt von Innen XY. Und manchmal ist es auch so, dass ich etwas merke- aber das Gegenüber nicht. Dann sage ich: Oh, ich merke, da kommt gerade ein Herzklopfen und ein Zittergefühl in den Muskeln (oder: Ich merke da ein Innen, “hinter mir”) und das Gegenüber kann mir helfen, indem es mir hilft einzuordnen was das ist (z.B. Angst) und mit mir reinleuchten, wo es her kommt
Martha: Verstehe.

Weißt du eigentlich wie viele Innens und bämms (sind das eigentlich auch Innens, spezielle Innens?) du hast ? Falls nicht, ist es wichtig rauszufinden wieviele es gibt?
C. Rosenblatt: Also die BÄÄÄMs sind Täterintrojekte und täterloyale Innens. Eigentlich sind sie Innens wie wir alle. Aber dadurch, dass sie so bedrohlich empfunden werden und (also die Introjekte) ganz genau den Tätern nachgebildet sind, bilden sie eine eigene Gruppe für sich. Wir sind heute nur  noch XYZ Innens (als “ganze Innens”), und hm, zu wissen wieviele es gibt, ist eigentlich (ganz streng genommen) irrelevant. Wichtig ist nur zu wissen, wer bzw. was alles da ist. Das ist zumindest unsere Erfahrung. Es gibt ja noch ganz viele Zwischenstufen auf dem Weg zu Heilung. Da werden aus einzelnen klar umrissenen Innens irgendwann einfach so „Huckel und Dellen“ und so. Wenn man dann immer so eine Zahl im Hinterkopf hat, stelle ich mir das kontraindiziert vor.  Es schürt eine Angst zu sterben oder zu verschwinden
Martha:  Ja, das ist nachvollziehbar.

Liza hat ja gesagt, sie händele all das wie eine innere WG. Hast du auch so ein Bild  oder passt das nicht für dich?
C. Rosenblatt: Das passt nicht für uns. Wir haben mal für die Therapeutin ein Bild gestaltet in dem wir den „Ecken“ innen so symbolisch gezeichnet haben. (Also die BÄÄÄMs wohnen zum Beispiel in einem furchteinflößendem Gebäude mit Wassergraben und hohen Mauern das dauernd brennt, der Schwan wohnt in einer besonders sicheren, warmen Umgebung, manche Prä-Teenie-Innenkinder in so einer Höhle… ) Wir sagen einfach immer „das Innen“ und benutzen Metaphern für die „Umgebung“/“die Gefühle“ um die jeweiligen Innens herum. Früher haben wir auch mal diese „Hausgemeinschafts-Metapher“ verwendet, doch sie passt nicht, weil manches einfach zu sehr auf der Metaebene ist. Da geht das Bild zu schnell dran kaputt.

Martha: Du sagst, ihr habt keinen Kontakt zueinander…wie kommuniziert ihr ? Geht das dann immer nur mit einer spiegelnden Außenperson ?
C. Rosenblatt: Nicht nur. Es ist am Effizientesten (da mehrere Ebenen „bedient“ werden), aber wir schreiben eigentlich ständig etwas auf, was gerade aufwallt oder irgendwie wichtig erscheint. (Zettelwirtschaft Aaaah!) Und so ist dann das Papier ein bisschen Außenspiegel. Und manche Innens haben auch so Kontakt- manchmal sind die nicht so stark von einander getrennt oder- so wie der Schwan ein Innen ist, das „auf der Spitze sitzt“ und über viele Trennungen hinweg schauen kann und so Kontakt machen kann.
Martha:  Ja, Zettel hatte ich irgendwie auch im Kopf…alles aufschreiben…macht Sinn.
C. Rosenblatt: Das ist ein bisschen immer so wie bei Rasenlatscherei- je öfter man über die Grenzen hinweg geht, desto weniger Grün wächst dazwischen und desto mehr Austausch geht dann. Das ist dann eben so etwas Gedanken-impulsiges.

Diese Sache mit dem “alles aufschreiben” Das wird meiner Meinung nach, auch oft vernachlässigt in Büchern. Also das wird zum Beispiel in „Aufschrei“ von Truddi Chase erwähnt- zu Anfang- aber dann nie wieder. Wir hatten früher extrem viele Listen und wehe eine war weg- Hölle!
Inzwischen gibt es nur noch ein-zwei- wenn es uns schlecht geht , vielleicht drei, die so nebeneinander her laufen und aber alle nicht mehr stark voneinander abweichen. Aber wir brauchen sie nachwievor wie die Fische zum Leben. Sonst gibt es Chaos.

Martha: Gibt es das längerfristige Ziel die Innens langsam zu Huckeln und Dellen zu machen, oder ist es so, wie es jetzt ist schon gut lebbar? Wenn meine Freundin zum Beispiel sagt, dass sie durch ein Außen (SPIEGEL) drauf gebracht wurde, dass ein BÄMM besonders dominant auftritt gerade…welche Möglichkeiten hat sie jetzt?
C.  Rosenblatt: Also wir haben dieses Ziel definitiv. Unser „System“ war mal fast doppelt so groß wie jetzt- du kannst dir nicht vorstellen wie verstümmelt man existiert. Bzw. wie krass einem die Verstümmelung bewusst wird, je näher man aneinanderrückt. Wir empfinden es als sehr bereichernd- wenn auch beängstigend diese Trennungen weg zu haben. Aber nicht alle Multiple haben das als Ziel.
Manche wollen und brauchen- gerade wenn sie noch Gewalt ausgesetzt sind, oder eine Familie versorgen müssen oder einen Beruf haben der extrem belastend ist (Arzt, Pädagoge,Lehrer…) auch unbedingt noch diese Trennung. Bei denen gibt es den Wunsch nach einem Funktionsmodus und einem Ende der akuten PTBS (die meistens irgendwie am Anfang der Diagnose steht) und wollen dann einfach „funktionieren“ ohne zu leiden. Das ist zumindest etwas, das ich so mitbekommen habe. Ob das ein Zustand ist, der lange hält weiß ich natürlich nicht.

Die Frage mit den Möglichkeiten nach dem dominanten Auftreten des BÄÄÄMs habe ich jetzt nicht so ganz erfasst, glaube ich. Kannst du die Frage bitte anders formulieren?
Martha: Das bezog sich jetzt explizit auf die Situation meiner Freundin…dass da ein Anteil aufgetaucht ist, der an ein Familienmitglied erinnert (also ein BÄÄÄM)…dieser ist nur in ihr Bewusstsein gelangt, weil eine außenstehende Person sie darauf angesprochen hat. Sie hatte vor allem eins: Erinnerungslücken…ihr hat das große Angst gemacht als sie darauf aufmerksam gemacht wurde…welche Möglichkeiten hat sie jetzt aus deiner Sicht damit einen konstruktiven Umgang zu finden ?215236_web_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_pixelio.de
C. Rosenblatt: Also jemand schrieb ja neulich schon, ein bisschen „ran zutasten“. Also zu schauen, was genau dieses Innen- oder auch BÄÄÄM das kann ja nur deine Freundin wissen, wo sie dieses Innen einsortieren würde (- nach der Reaktion darauf, denke ich aber, dass es sich um ein Täterintrojekt und damit also ein „BÄÄÄM“ handelt), anleuchten zu lassen oder selbst anzuleuchten.
Nun weiß ich aber nicht wie weit sie schon ist. So wie das klingt, wusste sie noch nichts von diesem Innen und muss sich jetzt erstmal ganz viel darüber erschrecken und schlimm fühlen. Und dann akzeptieren dass es da ist, dann rausfinden, warum es gerade in dieser Situation auftauchte… und bei all dem werden sie und ihre Innens die Mauer dazwischen etwas niedergetreten und können dann einen Umgang mit diesem Innen absprechen. Und wenn das alles respektvoll und im richtigen Maß abläuft, wird das auch klappen.
Jedes Innen, das auftaucht kommt, weil es gebraucht wird. Weil seine Präsenz bzw. die an es gebundenen Handlungsmuster wichtig und sinnig zum Erhalt des Schutzes ist.
Martha: Ja. Das kenne ich ja auch. Das ist grundsätzlich etwas, was alle Menschen entwickeln die von Traumata betroffen sind. Muster. Automatismen. Persönlichkeitsanteile, die die Regie übernehmen. Gewünscht ist eine Kompensation, die das Erleben aushaltbar macht. Die in diesen Moment(en) Sinn mach(t)e und später, wenn die akute Not vorüber ist hinderlich/einschränkend/u.Ä. ist auf irgendeine Art, wenn auch erstmal oft unbewusst weil verdrängt. Ich fand zudem auch einen wichtigen Aspekt in dem Beitrag über Liza, dass all das nur eine gesunde Reaktion darstellt die das Überleben sichert..auf das eigentlich Kranke, das der/die Täter verübt/en…

Hast du manchmal Angst, dass du auch übergriffig sein könntest, irgendwann irgendwo bei irgendwem ? Ich habe diese Angst manchmal…
C. Rosenblatt: Ja.
Obwohl ich inzwischen ziemlich genau spüre, dass es nicht dazu kommen wird, weil es in uns als Gesamtperson (so wie ich sie gerade erahne oder besser gesagt so durch die Rückmeldungen von Außen zusammenstückle) weder eine Neigung zu Sadismus noch zu einer allgemeinen Befriedigung durch Macht über andere Menschen (oder auch Tiere) gibt. Selbst die Täterintrojekte und jene die angeblich bereitwillig anderen Menschen geschadet haben, taten dies, weil sie es mussten- nicht von sich aus.
Das ist zum Beispiel etwas in dem Aspekt der Dimensionalität wichtig ist. Es kann sein, dass ein BÄÄÄM zum Beispiel in einer Situation in dem es von Außen erneut gezwungen wird (oder sich gezwungen fühlt und es keine andere Möglichkeit für das Gesamtsystem gibt, anders zu handeln) etwas zu tun, ganz genauso handelt wie früher und übergriffig wird. Aber sobald auch nur ein einziger Aspekt  deutlich anders ist als früher (und dieses BÄÄÄM in der Lage ist sich zu orientieren in der Zeit), wird es nicht zu dieser Handlung kommen. Das Muster bezieht sich in der Regel auf genau eine bestimmte Art Emotion(s-Befindlichkeitenmischung), Aussensituation und/oder Anspruch von Außen und wird dann quasi abgespult. Fehlt etwas davon oder ist einfach anders eingefärbt, kommt es zwar zu einem „Triggergefühl“ der ordentlich Schlimmes mit sich bringt, aber switcht dann eher zu einem Innen das mit einer Situationsumgebung wie der sich bietenden assoziiert ist.
Also als Beispiel, mussten wir mal im Biounterricht ein Tier sezieren. An sich ist das etwas, dass jemand schon mal machen musste. Dieses Innen stand auch extrem nah „vorn“ kam aber nicht heraus, weil die Grundsituation (Schule, anderes Sozialgefüge, anderes Grundgefühl, Zwang- aber doch Handlungsalternative…) eine andere war. Das Ergebnis war ein „Ahnungsdonner“ für die Person die gerade in der Schule stand und es gab einen Switch zu einem anderen Innen, das weiter entfernt von sowohl dem „Schul- Innen“ als auch dem „Sezier-kundigen- Innen“ war und weder Gespür für die beiden Innens noch Erinnerung an irgendwas von dem hatte, was gewesen ist,
So in etwa verlaufen inzwischen fast alle Situationen die uns in eine real bedrohliche Situation führen könnten. Es ist noch nie passiert, dass ein BÄÄÄM jemanden tatsächlich aus Spaß oder aus eigenem Antrieb verletzte, wie die Täter früher.
Was nicht heißt, dass es keine aggressiven Innens gibt, die sich auch körperlich wehren bzw. verteidigen- aber da stehen andere Sachen hinter.

Hier endet der Teil des Austauschs, den wir gern mit unseren LeserInnen und BesucherInnen teilen. Vielleicht war die eine oder andere Frage ja auch für meine anderen nicht selbst von DIS betroffenen LeserInnen interessant.

Wie immer wird hier kein Anspruch auf Ausschließlichkeit und das Zutreffen der dargestellten Abläufe und Gegebenheiten bei allen Menschen mit DIS erhoben.
Ich weise außerdem darauf hin, dass es sich hier um einen Mitschnitt unter Betroffenen handelt- nicht um einen Austausch unter professionell mit dem Thema arbeitenden Menschen.
Weiterhin geht es hier nicht um die subjektive Wahrnehmung meines Innenlebens sondern um eine annähernde Darstellung der Struktur des Selbigen.