F.

F. war 5, als sie sich das erste Mal die Nase am Aquarium des mit uns verbündeten Menschen, die Nase platt drückte.
Auf die Frage wer sie denn sei, schwieg sie beharrlich, hatte sie doch eine Mission. „Achtung, jetzt kommt was- Augen und Ohren auf, mach dich ganz weit, damit alle hinter dir in Sicherheit sind.“

„Wenn ich groß bin, werd ich Ichtikologin. Das sind Leute, die sich mit Fischen auskennen. Hast du das gewusst?“. Elegant sind ihre Aufforderungen zum Vermeidungstanz bis heute.

Sie kauften ein zweites Aquarium zusammen. Einen „Fischekäfig“.
F. durfte mit aussuchen. Sie wurde gefragt, welche Fische sie schön fand und sie wurden dann auch gekauft.

In der Schreibtischschublade bei uns zu Hause, wuchs der Stapel von Bildern, auf denen zu sehen war, was sie alles auf einmal durfte. Katzen streicheln, Fische aussuchen, Blumen pflücken, Süßigkeiten essen, albern sein, etwas über „Prokojoten und Eukanidoten“ (Prokaryoten und Eukaryoten) erfahren, Spongebob gucken, eine Verbündete haben, Sachen fragen und erklärt bekommen…

Und dann, nach vielen solcher Momente, wurde sie zur Helferin für unsere Verbündeten.
„Sag mal F. kennst du das Innen, das…? Weißt du was es will? Was kann man da machen?“.
F. wusste es nicht immer, aber oft schon. 184426_web_R_K_B_by_Verena N._pixelio.de

Sie richteten unsere Guppyfarm ein. Wenn der Mensch mal keine Zeit für sie hatte, saß sie davor und fing an, den Fischen von ihm zu erzählen, während im Innen die Ohren aufgingen und lauschten.

F. ist gewachsen.
Jeder Moment mit diesem Menschen, der sie so ernstnahm und achtete, brachte sie mit weniger klar umrissenen Innens zusammen. Sie erwarb Kompetenzen wie Geduld, die Möglichkeit sich klarer auszudrücken und die Fähigkeit Gefühle, die ihr vorher fern lagen, wahrzunehmen.

Nach ein paar Jahren, stand sie dann da und sagte, dass sie jetzt „zweistellig ist“. Sie fühle sich älter und würde keine Babywörter mehr sagen. „Das ist kein Fischkäfig!“- sie atmete ein und sagte, als würde sie mit einem Menschen sprechen, der es nicht wüsste: „Das ist ein A-qua-ri-um! Ich bin nicht mehr klein. Du kannst jetzt ruhig mit Erwachsenenwörtern reden.“.
Es wurde gewürdigt. Das Wort blieb trotzdem. „Weils so niedlich ist.“

Wir haben von F. und über F. viel über uns selbst erfahren.
Ihre Aufgabe ist wichtig- auch wenn ihre Anwesenheit einen Hintergrund hat, den wir bis heute nicht kennen und ihr Auftauchen oft nicht an äußeren Umständen festmachen können. Sie hat einen Blick auf die Welt und ihre Menschen, der uns Alltagsinnens komplett fern und doch etwas ist, dass uns schon manches Mal geholfen hat, wenn er uns reflektiert wurde.

Sie ist ein Innenkind. Kindlich- doch das schon sehr lange. Sie versteht nicht immer alles gleich, aber sie kennt keine Scham wenn es darum geht, Dinge herauszufinden oder die Vermittlung dessen einzufordern. Sie mag Tiere und weiß, wie man mit ihnen umgehen muss. Ihr Blick dafür ist messerscharf und gleichsam intuitiv.

Sie wartet nicht darauf, dass sie jemand schützt. Sie wartet darauf, dass das Gegenüber merkt, dass es das bereits durch sein Sein tut.

Und doch.
Wenn sie im Körper war, habe ich blaugraulila Fingerspitzen und kalte Füße. Fühle in mir einen schrecklichen Gefühlsnachhall und Blitze in der rechten Sichtperiphere, während ich auf dem linken Auge lange nur sehr unscharf sehe.
Ihre innere Weite kommt mir manchmal vor, wie die liebenswerte Verpackung einer Bombe. Dann bin manchmal froh, dass sie für manche Menschen auf immer „die Kleine mit dem Fischekäfig“ sein wird und nicht die Stallhüterin der inneren Apokalypsenreiter, der sie auch ist.

Wir lernen an ihr, dass Innenkinder mehr sind, als der Einsmensch „C. Rosenblatt“ als Kind; oder als eine Ansammlung von Bewältigungsstrategien für die Gewalt in unserem Leben, die irgendwann abgepalten wurden, ohne sich weiter zu entwickeln. Sie ist ein Teil von uns, der sich doch bis heute nie ganz gezeigt hat, obwohl er, wenn er da ist, unübersehbar ist.

Das breite Lächeln und der leicht federnde Vermeidungstanz, ist dann doch immer wieder das, was überwiegt.
Bis sie sich vielleicht doch irgendwann mal eine Pause erlauben kann.

die andere Seite

Wir stehen gerade bei zwei Menschen so ganz flüchtig peripher im Ausstiegsprozess und irgendwie…

Es frisst uns nicht auf, wir fühlen uns nicht getriggert im Sinne von „Oh weh, oh weh“. Wir ziehen uns raus und nehmen mehr die Position ein, in der man Mut zuspricht und eine Richtung zeigt. Die Menschen bestärkt und den richtig professionellen Helfern hier und da eine Info gibt (und ihnen Mut macht und sie bestärkt).

Aber zwischendurch kommt da doch schon auch sowas hoch von: „Wieso hatte ich das nicht? Wieso mussten wir uns so lange quälen und die bekommen in mir jemanden an die Seite, der so viel gibt?“
Ich weiß, dass wir den Menschen viel geben. Ich weiß, wie krass man in der Situation danach lechzt, dass einem jemand sagt: „Es wird ein Ende haben, es wird in einer Eigenmacht enden, du bist so weit, du kannst das, ihr schafft das, es ist keine übergroße Sache, es ist nicht mehr, als das was es ist…“

Wir haben das so gebraucht damals. So sehr. Aber damals kam das nicht.
Unser mit uns verbündeter Mensch hat uns Sicherheit vermittelt, hat auf uns aufgepasst und war da. Doch es war nie formuliert und nie auf dieser Ebene genährt.
Der Mensch hat immer gehandelt und uns zur Handlung gebracht- was gut war!- doch „das Gefühlsding“ haben wir uns selbst einbringen müssen. Wir haben uns in etwas hineinsteigern müssen, dass manche hier jetzt so sehr suchen: Dieses Gefühl, dass alles richtig und gut ist und, dass man es wirklich geschafft hat.

Doch das Gefühl stellt sich nicht ein. Logisch- das kann es auch nicht, weil, dass was wir geschafft haben so einfach im Sinne von basisch, so ungegenständlich ist.
Man merkt Gefangenschaft nicht daran, dass man sich gefangen fühlt, sondern daran, dass es weh tut, wenn sich frei bewegen will.
Freiheit bemerkt man ja auch anhand der Dinge, die man plötzlich kann, ohne Schmerzen oder einen Schaden zu ertragen zu haben.

Vielleicht ist es Neid, vielleicht ist es Trauer, vielleicht ist aber irgendwie auch die Emotionskeule, die uns während des „aus- dem- Gewaltkontakt- Aussteigens“ selber erspart geblieben ist, weil wir uns nicht damit befasst haben.

Diese Menschen so zu beobachten, ist natürlich auch ein Spiegel in die Vergangenheit für uns. Diese Zerrissenheit, diese erzwungene und doch gefühlt selbst gewählte Loyalität zu den Tätern, dieser (Über-)Lebenswunsch, diese Ängste, die Abhängigkeit, der Druck, die Schlaflosigkeit, die Gewalt…
Uns wird klar, wie groß das Ding ist, dass wir vor ein paar Jahren da eben einfach mal so durchgezogen haben- einfach nur überlebt haben, ohne darüber nachzudenken- ohne wirklich so klar und fest vor sich selbst davon überzeugt zu sein, das Richtige zu tun.

Wir stehen jetzt auf der anderen Seite. Erwachsen, frei, mächtig, hilfreich für andere. Doch wie wir damit umgehen wissen wir nicht. Wir sind nicht verpflichtet etwas zu tun. Dafür stehen wir nur in der Peripherie und können auch jederzeit sagen, dass eine Grenze der Belastbarkeit erreicht ist.
In dem großen Hilfeapparat sind wir wirklich nur das kleine Stimmchen, dass immer wieder sagt, dass es sich lohnt, dass diese Menschen ein Recht darauf haben frei zu sein und so weiter.
Aber ich weiß, wie groß genau das für uns gewesen wäre, hätten wir das so immer zu hören bekommen.

Vielleicht habe ich tatsächlich Angst davor, von jemandem als wirklich so erwachsen, mächtig und hilfreich gesehen zu werden, weil es mit einer Verantwortung einher geht.
Vielleicht ist es einfach ein Symptom von asynchronem Wachstum. Wir haben das Eine fertig- doch das Andere noch nicht. Vielleicht sind wirklich noch nicht fertig gereift.

Jetzt um diese Zeit vor ein paar Jahren, haben wir auf einem Sofa gelegen und haben innerlich geschrien vor Schmerzen, haben die Hölle vor Augen immer wieder und wieder und wieder ablaufen sehen. Wir hatten so eine Scheißangst um unser Leben und hatten einen Bewegungsradius von 2 Metern um dieses Bett herum. WC, Kotzeimer, Kühlschrank, Bett, Hölle. Augen auf, Augen zu- es war egal-  immer nur Angst Angst Angst
Und obwohl wir nicht allein waren, war dieses Gemisch nicht wegzukriegen. Wir mussten dadurch und alles was wir nutzen konnten, war das „gemacht bekommen“ von dem mit uns verbündeten Menschen.

Ich bin unsicher in dem was wir tun. Aber nicht vor den Menschen, sondern nur vor mir selbst.
Merke, dass in mir Anspruch an mich ist, der weit über das hinausgeht, was von mir zu erwarten ist. Doch es ist so ungreifbar einfach. Das ist nichts von dem man irgendwie sagen kann: „Ja dann mach doch das und das“.
Das ist etwas Inneres, das irgendwie offenbar einfach nicht so groß ist, wie ich es gerne hätte…
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Es ist das Bild, dass ich immer von „der anderen Seite“ hatte, das sich nun auflöst und zeigt, was wirklich dort steht: Menschen, die es auch nicht besser wissen, besser können. Die nicht mehr als das geben können, was sie können- obwohl sie doch vermeintlich so viel besser da stehen, weil sie nicht diese Art von Hilfe brauchen.

Es wird so deutlich, dass es keine Götter sind, die mit einem Fingerschnippen alles beenden können. Sondern einfach Menschen, die vielleicht genau wie man selbst irgendwann mal genau die gleiche Hilfe gebraucht haben.
Es wird klar, dass es die andere Seite nur gibt, weil man sie dazu gemacht hat. Machen musste, weil es anders nicht zu ertragen war.

da ist er wieder

Eingerollt zwischen Ast und Stamm hockt er im Baum, wie ein Vogelnest aus Fetzen von Menschenkostümen. Er schützt seine Seite, während er eine Zigarette nach der anderen raucht und seinen Blick zwischen die Rillen der Rinde in eine Zeit fallen lässt, die ihm so nah, doch der Welt mit jedem Ticken der Uhr ferner ist.

Die Unruhe, die Angst, die er im Nacken fühlt, das Wissen um sein Sein, er atmet es mit jedem kratzenden Rauchschwall im Kehlkopf wieder aus, noch bevor es ihn wirklich berührt. Von seinen Schultern laufen die Tränen der kleinen Herzen, die auf ihnen ruhen und rieseln auf den Frühling hinab.49564_web_R_by_Udo Altmann_pixelio.de

„Mach diese ekligen Dinger aus- du machst, dass das Körpergesicht irgendwann aussieht, wie das von der Mutterfrau“. Sie hängt zwischen zwei Ästen und baumelt kopfüber herab. Ihre Rattenschwänze berühren seine Knie, als ihre kleinen Hände sein Gesicht umfassen.

„Lass mich, das ist nicht mein Körper- geh weg! Ich will… lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Geht doch alle weg und lasst mich!“, wie ein angeschossenes Tier beißt er um sich und lässt die Kleine von ihrem Ast herunter fallen.

Sie landet im Gras, hört es beim Aufprall in ihr krachen und brechen, schaut nach oben auf seine gequälte Gestalt.

Und klettert wieder hinauf.

Täter- und noch mehr Kontakte Teil 4

„Innenperson nimmt Täterkontakte auf“
„DIS Täterkontakt Innenperson“
„Ich verstehe nicht, wieso manche Innenpersonen von ihr, immer wieder Kontakt aufnehmen.“
„Mich beschäftigen immer wieder die täterloyalen Anteile, die Kontakte halten…“

Dies sind Suchanfragen auf das Blog und Sätze, die ich so mal aufgeschnappt habe und aus denen ich schließe, dass es eine Art Interesse an dem Aspekt gibt.
Nur leider wird mir oft nicht so klar, was genau daran interessiert.

Ist es ein Interesse an de Innenpersonen selbst?
Ist es die Frage, wie es sein kann, dass „alle“ im System „ihres Multiplen“ keinen Kontakt mehr wollen- und aber dieser Einzelne ihn immer wieder sucht?
Oder ist es die Frage, ob man trotzdem den Kontaktabbruch schaffen kann und wenn ja, wie?

Ich sehe das so: Wenn sich jemand für die Innens selbst interessiert, soll er sie fragen oder signalisieren, dass man für das offen ist, was sie so zu sagen haben. Und dann, um Himmels Willen, bitte keinen Dummtüch reden, weil man überrascht/ verwirrt/ verängstigt von dem ist, was dann da so kommt.

Was ich von unseren BÄÄÄMs so mitbekomme, lässt mich denken, dass viele von ihnen noch nicht bei uns angekommen sind. Manche „sind nicht multipel“; manche wissen, „sie müssen nur warten, bis wir zur Vernunft gekommen sind“ (und uns klar wird, dass nur die Erfüllung unserer (pseudoreligiösen) Bestimmung uns „…was auch immer…“ macht); manche sitzen auch einfach nur da und erzählen haarscharf beobachtet, „was die Helfer jetzt gerade schon wieder… und sollste mal sehen… voll die […abwertendes…]… Guck mal, wie dumm du/wir/die Anderen… XY (Täter) sagt… XY meint… XY befiehlt… Du hast… Du bist… Ich muss…“ und manche von ihnen hops(t)en auf rosaroten Wolken herum und haben keine Ahnung von der Gewalt, die andere Innens erleben oder empfinden diese Gewalt gar nicht als solche, sondern als sinnbringend, wichtig, zwingend (und legitim) oder sogar richtig gut.

Dass wir nie eine Lehrbuchtraumatherapie gemacht haben ist, denke ich, irgendwie schon klar geworden, nicht wahr? Wir haben bis jetzt nicht konkret mit den BÄÄMs gearbeitet, sondern nur zurechtgespalten, dass wir von einem Umfeld angenommen werden, welches das, wofür sie einstehen oder was sie gut und wichtig finden, verurteilt bzw. mindestens ablehnt. Geht auch (Ergebnis dessen, kann in diversen Artikeln geguckt werden. Würd ich als Dauerzustand nicht empfehlen- vgl. hierzu unser aktuell schleichendes Sterben, dass wir mit toll wichtigen Artikeln und Produktivität in alle Richtungen erträglich zu gestalten versuchen*.).

Was wir aber schon durch haben, ist die Ebene der MittelBÄÄÄMs, die damals den realen Gewaltkontakt und den Kontakt zur Familie* gesucht haben und um die wird es im Folgenden gehen. Wenn wir unsere aktuelle Hölle dann überlebt haben, kommt der Rest. Wenn nicht, muss halt jemand anders ran.

Also.
MittelBÄÄÄMs nennen wir Innens, die nie Gewalt erlebt haben; die Gewalt an sich als normal einstufen und Innens, die über die Gewalt(menge/art) Annahme (Liebe zu ihnen) definieren und deshalb die Täter als nicht „böse/ schlecht/ negativ“ einstufen.
Wieso sollte Mensch auch einfach nicht mehr zu jemandem gehen und zu jemandem halten und ihn verteidigen, wenn er einem nie etwas getan hat, sondern im Gegenteil immer Schönes hat erleben lassen? Und wieso sollte Mensch sich um das Elend anderer (Fremder) kümmern, wenn es einem selbst doch gut geht?

Hier war es wieder der mit uns verbundene Mensch, der sich immer wieder aus dem Stand heraus aufgeregt und seine Empfindungen und Gedanken zu Verletzungen durch Täter an unserem Körper deutlich und offen zum Ausdruck gebracht hat, welcher eine Sortierung für uns alle ermöglichte.
Es ist nicht so, dass wir nie zuvor Kommentare oder Worte zu Verletzungen am Körper gehört hätten. Besser gesagt: Es ist ja nicht so, dass die Ohren unserer biologischen Behausung vorher nie etwas zu den gewaltbedingten Verletzungen gehört hätten. Aber es ist ein Unterschied, ob ein sachlich- anklagend- genervt- gestresster Notaufnahmearzt einen anguckt, wegguckt, und dem Zettel des Kurzberichtes sagt: „kühlen, schonen, in 10 Tagen zur Kontrolle“ oder, ob jemand einem das Shirt hochschiebt und fragt, obs weh tut und ob man weiß, wo es herkommt, was gewesen ist und laut seine Gedankengänge sagt (und obendrein fragt, ob mans versorgen (helfen) darf oder nicht und obs okay fürs Innen ist, wenn mans tut usw.).475215_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.de(1)

Auch wenn es bei uns genug Innens gab, die über diese Fragen (und auch Gedankengänge) die Wände auf 4 Beinen hochgegangen sind, gab es auch immer Innens (darunter eben auch die MittelBÄÄÄMs) die zugehört und gemerkt haben: „Oh- Ach guck mal an. So ne Reaktion kanns also auch geben. Hm. Okay…? Guck ich mir mal genauer an…. vielleicht eventuell… also mal so … einfach nur so… wie ich halt will… Ich muss ja aber nicht… merkt der Mensch ja nicht… vielleicht haut der ja auch wieder ab und es ist eh alles nur gelogen… aber, naja- ich kann ja gucken… so von hier aus… ob der Mensch Recht hat oder nicht, ob das was mit mir zu tun hat oder nicht…“

In Kombination mit vielen anderen Situationen/ Umständen in denen der Mensch dann Recht hatte und etwas aufgezeigt hat, was tatsächlich mit uns allen zu tun hat, gab es dann langsam eine Entwicklung dahin, dessen Ansicht anzunehmen. Mindestens einfach erst mal so hinzunehmen und für sich zu überprüfen.

Das war dann zum Beispiel der Hinweis an ein Innenkind, das keine Schmerzen empfindet und entsprechend halsbrecherisch auf der Couchlehne herumturnte oder „mal eben so“ eine Luftrolle vom Bett runter machen wollte, vorsichtig zu sein, weil es selbst zwar keinen Schmerz fühlt- die anderen Innens aber schon (vom Schaden am Körper, der uns alle beherbergt einmal ganz abgesehen). Oder auch der Hinweis an eine junge Frau die uns Innens „aushungern“ wollte, dass die Innens ein Teil von etwas sind, das zu ihr gehört und nichts direkt mit dem Körper zu tun hat (sondern mit etwas, das eben durch den Hunger zwar beeinflussbar- aber nicht wegmachbar ist). Der immer wieder kommende Hinweis auf die Weiblichkeit des Körpers, der Hinweis auf die Biographie, der Hinweis auf die Konfektionsgröße… (Eines Tages stand Frau Rosenblatt dann tatsächlich mal im Schuhladen und ließ sich Schuhe zeigen, die von etwa 5 jährigen Kindern getragen werden und hielt sich diese neben die eigenen Schuhe. Sie machte ein inneres Foto davon und holte sich das immer mal wieder ins Bewusstsein zurück.)

Die MittelBÄÄÄMs konnten von ihrer Sicht erzählen, mal hier was fallen lassen, mal da was erwähnen. Ein direktes Gespräch hat keiner von ihnen gesucht, bis zu dem Moment in dem sich der verbündete Mensch dann mal darüber aufgeregt hat, immer nur so Fetzen zu hören und nicht zu wissen, vom wem von uns die denn nun kommen. Gut- man muss sich nicht gleich darüber aufregen, aber irgendwie war es schon gut auch zu merken: „Ah okay das ist jetzt hier nicht nur so therapeutenlike- blablabla- Plattitüde: „Es interessiert mich, was sie zu sagen haben- aber eigentlich will ich nur hören, was ich hören will, ihnen gegenüber aber nicht sage. weil ich weiß, dass…“ (Sorry- liebe Helfer- aber manche von Ihnen machen das echt so und sind grotte wenns darum geht, genau das zu verstecken), sondern der Mensch da will es echt hören und wissen und verstehen- Wooooaaa!“.

Unterm Strich geht es also um den Bereich der Selbstwirksamkeit und einander kennenlernen, wahrnehmen, etwas über „die Anderen“ zu erfahren.
Wenn jemand merken kann: „Was ich tue hat Auswirkungen (auf mich und andere) und es gibt eine Reaktion (die positiv oder eben negativ ist)“ ist der Kreis von Ursache und Wirkung geschlossen.
Wenn ein Innen das nicht klar hat (und das geht nun mal nicht, wenn man vom Leben als Einsmensch vielleicht 10% direkt als zu sich selbst zugehörig empfindend (erinnerbar/nachfühlbar etc.) gelebt hat), dann gibt es für sie auch keinen Grund sich damit auseinanderzusetzen, was in ihrem Leben gut oder schlecht ist. Besser noch- wenn man nicht einmal mitbekommt, DASS man eben nur 10% seines Leben überhaupt wirklich und wahrhaftig erlebt- wie soll so jemand überhaupt auf die Idee kommen, dass es noch 90% Rest gibt?

Um diese Selbstwahrnehmung zu fördern, hilft uns auch bis heute gestalterisches oder handwerkliches Schaffen. Dazu gehören eben das Gewerke hier, das Tagebuch, der Blog, die Foren… alles wo wir Spuren lassen. Oder eben auch ganz schlichte Aktivitäten mit anderen Menschen (Wobei- einen Abstrich mache ich da: Solche Gesprächsgruppen, zum Beispiel in der Klinik, helfen nur bedingt- irgendwie ist das immer so etwas, dass so diese Anpassungsschiene an schiefe Sozialkonventionen verstärkt. Heißt: Es tauchen da Innens auf, die das Setting und die Themen aushalten können und der Rest von uns hat keine Chance irgendwas Neues zu lernen oder einfach so wahrzunehmen. Es ist ja immer das Gleiche- wie beim Straßenbahnfahren: Hingehen sitzen, Oberflächenblabla machen und wieder weggehen. Ich weiß nicht- entweder machen wir da immer irgendwas falsch oder das ist einfach irgendwie nur genau für sowas da.).

Naja und dann die Umsetzung.
Wir haben damals irgendwann mit diesen Innens, die immer nur gute Dinge mit den Menschen früher erlebt haben, einen Pakt geschlossen, dass wir einander einfach so stehen lassen und uns für einander aufmachen, wenn keiner mehr bei uns Angst hat. Also so nach dem Motto: Wenn hier richtig Ruhe und Sicherheit für alle ist (und so, dass das für alle auch als Ruhe und Sicherheit gefühlt ist), dann versuche ich deine guten Erlebnisse zu begucken und du versuchst meine schlimmen Erlebnisse zu begucken. Versprochen für alle! Aber erst mal- guck hier ist jemand der noch richtig schlimme Angst hat und guck mal der da, dem gehts auch noch sehr schlecht… Lass uns die mal irgendwie erst versorgen…“. Dadurch, dass wir damals richtig viel in Kontakt mit einer Außenperson waren, konnten sich beide Seiten sicher sein, dass auch noch jemand anderes bemerkt, wenn jemand von uns in Not ist, wenn wir gerade (noch) dafür blind sind, so dass dieses gegenseitige Versprechen auch auf einer Basis stand. Und wir hatten ja nun langsam auch gelernt, wie man sich um einander kümmern kann. Wie man mit Angst einigermaßen zurecht kommt, was „sich etwas Gutes tun“ heißen kann, ohne, dass hier gleich die VERBOTEN-Schilder hochknallen und so weiter.
Nebenbei wurde ja auch durch gerade diesen Kontakt (und auch den Kontakt mit den Helfern und Therapeuten) gezeigt, dass Zuneigung, Fürsorge und Interesse nicht bei allen Menschen in der Anzahl der Schläge oder im Ausmaß des Schmerzes gemessen wird. Das war für die Innens, die vorher so dachten sehr wichtig (und neu und gruselig und erst mal konnten sie das gar nicht glauben und mussten das austesten und ach ach ach).

Dies war eine Entwicklung, die so nebenher mitten im Beieinander- Miteinander sein (und in der Tagesklinik) passiert ist.
Man hätte sich in der Zeit noch eine Million mal vor uns stellen können und diese neuen Wahrheiten kopfisch in uns einbringen wollen.
(Ein Buch und du hast diese Wahrheiten kopfisch in dir- aber um den Kopf gehts bei sowas nicht- auch eine Schleife von der wir aber bis heute nicht so wirklich kuriert sind *räusper*).
Die Versuche sich von den gewaltvollen Täterkontakten zu lösen sind so lange gescheitert bis es genug Innens für einen tragfähigen Pakt gab. Wir hätten niemals das Angebot des verbündeten Menschen annehmen können, um bei ihm unterzukommen und hätten die Zeit danach ebenfalls never ever- egal wie isoliert und technisch abgesichert und haste nicht gesehen- man uns untergebracht hätte, auch nur einen Tag so überstanden, wenn wir innen nicht soweit gewesen wären, dieses Ziel (Angstfreiheit und Sicherheit und Ruhe für alle, damit man einander irgendwann zeigen (und anerkennen) kann, was man (üb)erlebt hat) miteinander tatsächlich erreichen zu wollen.

Das braucht Zeit.
Geduld, Kraft, Hoffnung, Mut, innere Überzeugung auf allen Seiten, dass das schaffbar ist; immer wieder Resilienz ohne Ende, wenn es zum x-ten Mal zum Kontakt kam und man zum x-ten mal denkt, es nicht zu schaffen und sich zu fragen, wozu man das Ganze eigentlich macht und natürlich braucht es das auf allen Seiten. Nicht nur wir mussten das aufbringen, sondern auch der Mensch an unserer Seite.
Ziele zu haben, die alle betreffen und die auch viele als genau solche empfinden, hat sich für uns, als ziemlich schwierig herausgestellt. So blieb erst mal nur der benannte Pakt und anderes wurde als „optionale Ausschmückung“ nebendran geheftet.

Ich weiß bis heute nicht, was für (gute oder auch schlimme) Erfahrungen manche Innens gemacht haben, die sie bewegt haben mich bei dem Kraftakt „Gewaltkontakte beenden“ zu unterstützen, weil sie sie mir irgendwann zeigen dürfen. Aber ich weiß, dass ich jetzt immerhin eine reale Chance darauf habe, was ich vorher nicht hatte. Dafür hat es sich bis jetzt gelohnt und war für uns auch „den Schmerz wert“.

Fortsetzung folgt

*Ja uns gehts echt schlecht zur Zeit. So schlecht, dass wir das „schleichendes Sterben“ nennen.

Hilfe ist, was hilfreich ist

462315_web_R_by_Maren Beßler_pixelio.deEs begab sich Folgendes auf meinen letzten Jammerartikel.
„Vi“ schrieb vom Weinen das kommen und den haltenden Händen, die irgendwann da sein werden. Und noch bevor eine Ausrichtung der Ohren im Innen passieren konnte, knallte die Tür mit der Aufschrift: “Um G’ttes Willen- alles- bloß das nicht!” zu. Sie schrieb, sie kenne dies und fühle sich dann hilflos als Helfer und fragte, was für ein Verhalten ich mir dann wünschen würde von den Menschen.

Einfach platt runterzurasseln, was gut wäre, und wieso und in welcher Situation zum Beispiel, erscheint mir nicht so sinnig, weil es für uns oft mehr auf eine Haltung und ganz subtile Grundlagen ankommt, als auf bestimmte Handlungen. So wirklich ausformuliert haben wir das noch nicht- entsprechend bitte ich um etwas Nachsicht, wenn sich das nun Folgende etwas gestückelt liest und noch eben nicht so klar macht, worum es mir geht. (Kommentarfunktion ist an und nutzbar: Fragen, Gedanken, Impulse… bitte immer gern)

Also:
Sonntagmorgen fiel auf, dass wir seit Mittwoch nichts gegessen hatten. Die Schwächung, die zusammen mit diesem Wust aus Körpererinnerung, Ängsten und Doppelbildern einher geht, triggert immer tiefere Schichten des Innen an. Es war klar, dass der Hunger-Schwächezenit bald erreicht sein und sich in wahllosem Fressen, Selbstverletzung der chirurgisch relevanten Art oder auch Täterkontakt entladen würde.
Dann klingelte das Telefon: „So, ich bin in 10 Minuten da. Ich bitte euch alle, mir die Tür aufzumachen.“ Eine Gemögte von uns hatte eine Not-SMS bekommen. (Standardisiert in den SMS-Entwürfen abgelegt, abrufbar mit zwei Tastenschlägen und abgesprochen in stabilen Zeiten).
Die ganzen 10 Minuten redete sie davon, wer sie sei und warum sie käme und was sie machen wollte. Es wurde ein Gespräch, das uns eine Art Haltestange zur Wohnungstür wurde und ermöglichte sie zu öffnen.

Es ist eine Extremsituation für uns gewesen.
Nicht, weil gerade etwas Extremes geschehen ist. Nur, weil es sich in genau diesem Moment ganz genau nach einer Extremsituation anfühlte. In solchen Momenten sind wir wirr und flackern wie die Poltergeister zwischen absolut basischer Existenz, die uns in ein animalisch anmutendes Sein fallen lässt, und einer Mischung von sowohl überdeckender als auch schützend- abwehrender Rationalität jeder jemals in den Kopf eingebrachten Überzeugung.
Wir werden zu einer Chimäre, die sich wie das Wachs einer Lavalampe immer wieder verändert. Es ist Stasis und Anpassung in einem- zusammengestückelt und nicht in der Lage sich der Gesamtsituation als solcher anzupassen.
Da ist der Schmerz- er ist da- doch auch wieder nicht, denn die verursachende Verletzung ist schon über 20 Jahre verheilt. Da ist Hunger und ein Isolationsgefühl- doch ein voller Kühlschrank, Tageslicht und die Möglichkeit sich zu bewegen. Da ist das begangene „Verbrechen“ und da aber viele Stimmen, die sich positiv dazu äußern.

Und in all das hinein kommt etwas ganz Neues: ein Mensch der real für uns da sein will.
Allein das ist für uns schon so krass, weil es in jedem dieser, gerade in dem Moment gefühlten, Umstände entweder erst gar keine Menschen gab- oder nur Menschen die uns verletzt haben. Und es sind auch entsprechend nur Innens „da“, die genau davon ausgehen.
Die Gemögte, die gestern kam, schrieb mir heute morgen, dass es sie immer wieder schockiert, dass sie in solchen Zeiten am Telefon mit uns Alltagsleuten sprechen kann (die relativ gefasst in Worte fassen können was mit ihnen passiert)- es aber sofort kippt, sobald sie dann vor uns steht. „Ich sehe wie euer Körper sich fast augenblicklich in diese verkrümmte Haltung zieht und die Pupillen aufspringen. Das ist so krass immer wieder.“

Wir haben mit der Zeit bemerkt, dass es uns hilft, wenn sie „über uns drüber“ agiert – aber nicht direkt mit uns.
Gestern zum Beispiel, ging sie einfach ruhig weiter sprechend durch bis in die Küche, während wir im Türrahmen des Schlafzimmers hockten. Sie begrüßte (und beruhigte) unseren Hund, räumte unser Chaos beiseite und erzählte einfach da weiter wo wir aufgehört hatten. Von der langweiligen Bildungssache, die sie verlassen hat; was sie gerade tut; wieso sie gekommen ist und was sie jetzt machen wird und womit und warum. Als würden wir antworten und als sei das hier jetzt gerade die normalste Sache der Welt. Sie schaut uns nicht an und erwartet keine Antwort- macht aber immer wieder Nischen frei in die wir einsteigen könnten.

In solchen Momenten mit Reorientierungsskills und was weiß ich zu kommen, würde nur schief ankommen- es passt nicht in die Situation- ist nicht erlernt, wie wir Frontgänger das gelernt haben. Die Reorientierung passiert durch genau die Möglichkeit festzustellen, dass der normale Lauf der Dinge gerade ein ganz Anderer ist.
Allein dadurch, dass dort jemand (aus sicherer Entfernung beguckbar) steht und eben nicht direkt mit uns interagiert, passiert schon eine deutliche Markierung die zu trennen hilft.

Für mein Gefühl passiert die Hilflosigkeit der Außenstehenden oft dadurch, dass sie sich machtlos fühlen. „Ich kann nicht machen, dass sie mit mir in ein Gespräch und darüber in ein Gefühl und darüber dann einen anderen Zustand kommen“. Da wird die Macht der Normalität oft sehr unterschätzt und an einem Niveau angesetzt, das oft(noch) gar nicht da ist. Es wird dann oft davon ausgegangen, dass es erträglich ist zu sprechen (dass man es in dem Moment überhaupt kann oder es von innen überhaupt erlaubt ist) oder auch: dass es überhaupt aushaltbar ist Gefühle zu spüren bzw., dass da eine Sicherheit im Umgang damit ist oder auch immer wieder gern genommen: dass wir überhaupt wissen, was das da für ein Gefühl (oder auch Innen) ist.

Tatsache ist für uns immer wieder, dass unsere Gemögten dann nicht hilflos sind. Sie fühlen sich nur so, weil sie nicht bewusst haben, dass allein ihr da sein, schon Hilfe sein kann. Einfach nur feste, klare, sicher ruhige Anwesenheit ist mir schon so oft mehr Hilfe gewesen, als ein gereichter Igelball, offene Arme zum Reinweinen oder ein aufgezwungener Dialog, der meine Aufmerksamkeit in die Gegenwart fesseln soll.
Ja ich verwende hier „aufgezwungen“ und „fesseln“ sehr bewusst- weil sich für uns genau solche Dinge oft, wie „Verhelfgewaltigung“ anfühlen. Der Imperativ und Hilfe schließen sich für uns gegeneinander aus. „Ich will, dass du jetzt…!“, „Mach jetzt…!“, „Fass XY an!“, „Spüre ABC!“. Diese Sätze haben wir oft in anderen Zusammenhängen gehört und es gibt ein Umschalten auf genau diesen Modus. Aber keine Orientierung und erst recht kein Ankommen in einer Gegenwart, in der wir uns gleichberechtigt mit unserem Gegenüber erleben können (und damit „sicher“ im Sinne von „geschützt“- da wir uns nie auf anderer Menschen Schutz verlassen, ist es unabdingbar für uns, uns jederzeit in der Lage zu fühlen, uns immer selbst in Sicherheit bringen zu können).

Inzwischen dauert es bei uns nicht mehr sehr lange bis jemand „da“ ist, der diese Gegenwartsmarker erkennt. Früher waren es auch mal Stunden, in denen unsere Gemögte „Normalität spielen“ musste bzw. es irgendwann einfach so auch tat, weil ihr das „so tun als ob“ zu anstrengend wurde und ihr klar wurde, dass sich dadurch nichts verändert. Sie fügte sich in ein (für sie gefühlt passives) Da(bei)sein und wurde dadurch gleich viel weniger bedrohlich und plötzlich auch ansprech-annehmbar für uns.

Hinter meiner Ablehnung von Gefühlen bedürftiger Innens steht unsagbare Angst vor Kontrollverlust. Nicht nur die Angst vor „Himmel- wie das jetzt wirken muss!“, sondern auch vor „Kann mein Gegenüber überhaupt aushalten, was ich da so viel mächtiger, als ich mich selbst, fühle, wahrnehme?“ und dem realen Kontrollverlust in Form von dissoziativer Amnesie durch „Anwesenheit“ eines anderen Innens und dem was es erzählt (denn das bedeutet für mich: das Gegenüber weiß etwas über mich, das ich selbst nicht weiß).
Das heißt aber nicht, dass meine Gemögten deshalb hilflos meiner Not gegenüber sind. Sie sind nur machtlos gegenüber meiner Verweigerung Kontrolle (mich) abzugeben, damit sie mir meine Not abnehmen können. Sie „aktiv meine Not behandeln können“.
Ganz fies ausgedrückt: Sie müssen nur damit klar kommen, dass ich meine Fähigkeit mich zu schützen und für mich zu sorgen „höher/ besser“ einschätze, als das, was sie für mich tun können- egal ob das aus objektiver Sicht stimmt oder nicht. In meinem Gehirn läuft eine Hilfe, die sich schon zig mal mehr bewährt hat, als das was mir Helfer angetragen haben- das anzuerkennen ist etwas, dass ich inzwischen von Helfern und Gemögten tatsächlich verlange. Sie müssen es nicht glauben und bestätigen- aber hinnehmen und anerkennen definitiv. Ich erkenne ja auch ihre Hilfsmöglichkeiten an und respektiere den Rahmen in dem sie sie bieten können.

Sie können mir, trotz aller Abwehr, noch eine Bereitschaft vermitteln, dass sie es aushalten könnten. Dass sie keine Angst vor dem was mir so diffus beängstigend übermächtig vorkommt haben. Sie können trotzdem da sein- präsent und verankert sein. Sie können mir trotzdem, da wo ich fassungslos- sprachlos- wirr bin, einen Rahmen in Verbalisierung (oder allgemeiner: Kommunikation) und Sortierung bieten. Sie müssen nur aushalten, nicht zu wissen, ob ich es auch tue und ob mir ihr mächtiges Handwerkzeug auch wirklich hilft.

Das wird, meiner Meinung nach, viel zu oft auch falsch in der Ausbildung zum Helfer beigebracht. Dort wird gelernt, dass man die und die Technik- das und das Handeln (Katalog XY) abspulen muss, um zu helfen. Das mag auf einer handwerklichen Ebene stimmig und wichtig sein (zum Beispiel für Chirurgen oder so) aber sobald ein Miteinander nötig ist, ist es oft eher die Fähigkeit auch einfach mal die die Hände vor den Mund zu nehmen (und da zu lassen), mit dem Herzen zu hören und mit dem Körper und dem Sein _da_ zu_sein_, die wirklich als hilfreich ankommt.

Viele Helfer lernen früh abstinent zu sein. „Grenzen sie sich ab“ heißt es dann ganz viel und direkt wird eingeübt, sich komplett aus einem entstehenden Miteinander herauszuziehen, statt diesen ganzen (zu dem Zeitpunkt ja total jungen!) Menschen erst mal Gelegenheit zugeben, ihre Grenzen für sich allein zu spüren und zu festigen. Zu merken: Ja, wann genau ist Nähe zum Klienten eigentlich eine Belastung für mich? In dem Moment in dem ich ihm zuhöre und Stress von meinem Arbeitgeber bekomme, weil ich zu viel Zeit investiere/ mir unterstellt wird, ich würde keine Distanz wahren etc.- oder in dem Moment in dem mein einstudierter Katalog nicht mehr greift und ich mich machtlos fühle- obwohl doch mein Studium mir genau beigebracht hat, wie ich Menschen ausrechnen, einkategorisieren und doch irgendwie auch manipulieren kann? Oder in dem Moment in dem mir klar wird: „Ja, jetzt ist Passivität gefragt und ich habe noch nicht gelernt, diese zu praktizieren.“? Oder ist es tatsächlich doch der Moment, in dem ich keine Grenze mehr ziehen kann zwischen meinen Empfindungen und denen meines Gegenübers?

Das was ich da gerade miterlebe (eine unserer peripheren Gemögten ist derzeit in der Ausbildung zum Psychotherapeuten) ist eine Dauerbeschallung in: Grenzen sie sich ab – ohne genauere Definition dessen oder Handlungsalternativen zum Katalog der Schemen F bis K. Die Hände in den Schoß zu legen und einfach nur da zu sein- zu warten bis der Klient tatsächlich und wirklich von sich aus Kontakt aufnimmt, wird gar nicht gelehrt.

Eine unserer Gemögten hat mal gesagt, sie sei dankbar, dass wir diese tierisch-niederen Anteile haben, weil es für sie keinen besseren Augenöffner hätte geben können. Sie musste warten, warten, warten. Wusste- würde sie konfrontativ agieren, würde sie verletzt, wusste aber auch, dass diese Anteile nur da waren, weil es eine extreme Bedürftigkeit gab, die nichts mit ihr zu tun hatte (das kommt ja auch gerne mal- die Nummer mit: Sie werden von ihrem Gegenüber manipuliert, damit sie ihm Aufmerksamkeit schenken …). Für sie war es ein Lehrstück in Sachen: Du gestaltest die Realität in der du bist.
Sie hatte damals einfach nur etwas getan, dass für diese Anteile früher niemals jemand getan hat: sie hat sie nicht angefasst, nicht angestarrt, ihnen Zugang zu Licht, Wasser und Nahrung gewährt und sonst nichts. Das hat schon gereicht, um Hilfe zu sein. Es war ein deutlicher Marker und entsprechend gab den Versuch sich an die so gestaltete Realität anzupassen (es gab einen Wechsel zu anderen Innens).

Sie musste gar niemanden halten- sie musste „nur“ aushalten, dass wir vor langer Zeit etwas nicht ausgehalten haben und, dass sie dies nicht rückgängig machen und von uns nehmen kann.

Ich schrieb in dem letzten Artikel, dass es ein Warten auf die Tränenexplosion ist.
Auf die Frage von Vi schrieb hier bei mir jemand: Ja was glaubt sie denn wer da weinen würde? Sie glaubt doch nicht ernsthaft, dass da jemand weinen würde, der damit klar käme und darauf vertrauen würde, dass da Hände sind, die nur halten (nicht anfassen und weh tun) wollen?!
Wieso erkennen so viele nicht an, dass sie uns (jenen die die Türen zuschmeißen) erst mal zugestehen müssen, die Bestimmer zu sein und sie uns erst mal davon zu überzeugen haben, dass das auch wirklich klar geht alles und, dass wir uns erst mal sicher sein müssen, das auszuhalten- ohne dass sie gleich denken, dass es an ihnen liegt oder so?

Ich kann mir grob vorstellen wie das sein muss, zu wissen: „Boa die Rosenblätter die sind nur noch grüner Flattersalat: denen gehts schlecht. Und dann beißen sie mich auch noch, wenn ich ihnen sage, dass ich sie mag und ich sie aushalte und sie bei mir ruhig weinen dürfen. Sie schubsen mich ja richtig weg- als würden sie mich gar nicht mögen und als sei ich total inkompetent…“
Ich weiß aber auch, dass wir hier schon solche Szenen von Hilfe durch Halt, Trost und Nähe erlebt haben- eben immer dann, wenn wir die ganze Zeit bestimmen konnten und uns in dem was wir taten selbst sicher waren.

Es hilft mir, wenn ich Helfer habe, bei denen ich den Eindruck habe, einfach sein zu dürfen, weil sie einfach sind. Zeigen sie mir reale Normalität mit allen guten und auch furchtbaren Gefühlen, traue ich mir meine Normalität und auch Gefühle hinter dieser Tür zu zeigen und anzuschauen. Zeigen sie mir, dass sie sich trauen, das auszuhalten, dann traue ich mich das auch…

Hilfe ist was hilfreich ist- nicht was als hilfreich irgendwo dargestellt wird.
Hilfreich ist was hilft und manchmal ist genau dies einfach nur das, was früher in Zeiten der Gewalt fehlte: Jemand der helfen wollte, sehen wollte, verstehen wollte… da sein wollte.

Tanzstunde

Du bist phobisch? Du hast was zu verbergen? Du brauchst dringend eine Vermeidungsstrategie?

Willkommen zur Einführungsveranstaltung: “How to Vermeidungstänze and everything about”

Wir beginnen mit der Grundhaltung
Folge deiner Angst! Hör auf sie bewältigen zu wollen!
Du brauchst nicht mal genau wissen, wovor genau du Angst hast, damit du sie wegbekommst- das klappt sowieso nie. Wichtig ist nur, dass du nicht anfängst darüber nachzudenken, ob sie nun berechtigt ist oder nicht. Oder, ob sie irrational ist oder nicht. Oder, ob es vielleicht einfach albern ist, jetzt Angst zu haben.
Nachdenken und Selbstreflektion sind Feinde von Angst.
Für einen anständigen Vermeidungstanz ist Angst unabdingbar!
Nimm deinen rasenden Puls und lass ihn zum Takt deiner Füße werden.

Vertraue niemandem.
Sowas macht nur unnötig sicher. Auch ein Angstfeind.

Nutze deine (durch deine Gewaltsozialisierung eingeübte) Fähigkeit Menschen bis aufs Kleinste zu beobachten und herauszufinden, was sie so für Typen sind. Verlasse dich dabei niemals auf Klischees. Alles was du siehst ist wahr- fang bloß nicht an deine Wahrnehmung mit der Wahrnehmung anderer abzugleichen.
Nochmal- Nachdenken und Reflektion sind tödlich für die nötige Grundangst!

So, nun zur Praxis.
Eine Freiwillige einmal bitte! Ah sie Frau Rosenblatt- sie können das ja schon so gut, sie…

“Huch, ich habe gar nicht das Richtige an für eine Freiwilligendarstellung, wissen Sie? Heute ist ja auch Samstag. Eigentlich ist tanzen jetzt heute nicht so angebracht. Wissen Sie, einmal war ich in der Disco und da… “

Grandios Frau Rosenblatt! Eine perfekte Darstellung, wie man von einer lobenden Erwähnung und einer direkten Ablehnung meiner Aufforderung wegtanzen kann! Gut gemacht! Eigentlich brauchen sie diesen Kurs hier gar nicht mehr- sie sind schon so gut!

Schauen sie mal- das, was Frau Rosenblatt jetzt macht- dieses Dissoziieren- das ist aus ’nem anderen Kurs! Dafür braucht man ein lange und extrem trainiertes Angstgehirn. Das bringe ich ihnen hier aber nicht bei. Sowas sollte niemand gut können müssen. Es ist auch ein Schutz- wie die Tänze, die sie hier lernen möchten, aber den kann man in der Regel nicht so gut gebrauchen, weil er reflexhaft vom Gehirn gemacht wird, ohne, dass zum Beispiel Frau Rosenblatt hier viel dagegen tun kann, außer sich durch grandiose Tänze im Vornherein davor zu retten.
Außerdem hat das Dissoziieren in dieser Form viele unangenehme Nebenwirkungen wie Amnesie, (Körper- Empfindungs-) Kontrollverlust und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sowie ein eher rudimentäres Beziehungsleben und einen Fokus so weit wie ein Stecknadelkopf.

Vermeidungstänze sind keine leichten Spaß- oder Gesellschaftstänze. Es sind Tänze mit Angst als Motor- nicht der Macarena oder das Gehopse zu Sommerhits!
Sie müssen sich klar machen, dass Arbeit auf Sie zu kommt und sie einsam werden bzw. zu einem Automaten, der pro Person ein Tanzrepertoire abspult.

Um ihre Angst aufrecht zu halten, dürfen sie auf keinen Fall Bewusstsein für sich und ihre Themen entwickeln. Das heißt ganz deutlich, das soziale Beziehungen strikter Auslese und Konstellationsplanung unterworfen sein muss.

Niemals dürfen ihre unterschiedlichen Tanzpartner gemeinsam ihnen gegenüber auf diese Themenbereiche zu sprechen kommen.
Es sei denn sie haben unseren Fortgeschrittenen- Kurs besucht.

Zum praktischen Teil nochmal.
Belesen sie sich, studieren sie Menschentypen, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf alles, was sie umgibt und gleichen diese Gegebenheiten mit ihren Tanzpartner ab. Je subtiler sie vorgehen und je mehr sie ihrem Gegenüber entsprechen, desto unauffälliger  und damit wirksam ist ihr Tanz.

Am besten starten sie bei ihnen unbekannten Menschen. Diese Menschen wissen noch nichts von ihnen und den Dingen, die ihnen (Todes)Angst einjagen.
Im günstigsten Fall haben sie eh schon gelernt, niemals nach außen zu zeigen, wann sie in Panik kommen oder Angst haben- dies ist sehr förderlich, da so das Gegenüber keinerlei Anhaltspunkte darüber hat, was in ihnen vorgeht. Es ist abhängig davon, dass sie Worte sprechen, die ihm einen Eindruck vermitteln.
Das ist ihre Chance!

Sie haben vielleicht ein festes Themenkorsett in dem sie sich gefahrlos (im Sinne von die Angst besetzten Bereiche ausgrenzend) bewegen können. Vielleicht ist es so steif, dass jeder Schritt heraus bereits genug phobische Unruhe verursacht, um einen Minimoonwalk hinzulegen. Das ist natürlich perfekt.
Anderen sei geraten sich vorzubereiten und die möglichen Tanzvarianten gezielt zu üben.

Menschen hören gern gute Nachrichten. Komplimente. Lustige Anekdoten. Diese Tanzvariationen gehören zum Einmaleins. Small Talk ist nicht anderes als ein Vermeidungstanz- nur wird hier der Faktor Angst oft umbenannt- das muss sie aber nicht irritieren. Nicht jeder kann zu seiner Angst oder gar Phobie stehen.

Im weiteren Verlauf wird es nötig eine sachlich- pseudovertrauliche Tanzatmosphäre aufrecht zu erhalten. Niemand ist immer fröhlich und wenn sie- warum auch immer- Kontakt über eine längere Zeit mit ihrem Tanzpartner haben, ist es wichtig normal zu wirken. Bauen sie auf Insidern zwischen ihnen auf, versuchen sie sich in immer längeren Schleifen bis sie sich in einem Niveau bewegen das ihnen angenehm ist.
Als Beispiel: Sie haben möchten den Themenbereich Katzen vermeiden, weil sie schon bei dem Gedanken an diese Tiere eine Gänsehaut bekommen.
Ihr Gegenüber arbeitet aber in einer Tierpension und würde auch ohne zu Zögern einfach von Katzen zu sprechen anfangen. Menschen sprechen gern von ihrem Beruf. Seien sie doch einfach mal der Erste, bei dem der Mensch die Gelegenheit hat sich über die gesetzlichen Regelungen seines Berufes auskotzen kann! Oder die Steuer. Oder die Kunden. Oder die baulichen Anforderungen. Oder die Zukunft dieses Berufes. Von all diesen Punkten können sie sich immer weiter entfernen. Kunden, Steuer, bauliche Anforderungen und Berufszukunft gibts für so ziemlich jeden Beruf.
Diesen ersten Tanzschritt müssen sie machen- sie müssen ihren Partner schon in eine Richtung führen- ist es der richtige Kanal bei dem Menschen, sind sie in Nullkommanichts von der Tierpension mit maunzendem Klientel, bei den Bauvorschriften von Tiermastbetrieben und der Bio-Vegan-Fleischfressdebatte angekommen.

Sagen sie ihrem Tanzpartner niemals, dass er ein Tanzpartner ist!
Er wird versuchen sie zu stören, anstatt mitzumachen. Auch hier ist es, im Fall des Falls, dass ihnen das doch mal so rausrutscht (Niemand ist perfekt! Auch Vermeidungstänze müssen geübt sein), hilfreich, wenn derjenige weder genau weiß, wie ihre Tänze aussehen, noch wann genau sie damit anfangen.
Nutzen sie eigentlich sinnbefreite Konventionen- auch wenn sie für den Kontakt eigentlich eher unprioritär sind. Machen sie eine nette Bemerkung über die Einrichtung, die Kleidung ihres Gegenübers, vielleicht bieten sich Fragen nach Urlaub und Familie an. Bemerken sie Augenringe? Versuchen sie es mit einem Diskurs über Matratzen und Bettgestelle… IKEA ist auch immer wieder ein sehr breites Feld- von dort aus kann man auch gut zum Thema Kinderarbeit und nun aktuell auch Pferdefleisch hinübergleiten.

Es gibt auch Situationen in denen ihr Gegenüber sehr hilfreich sein kann- selbst wenn er weiß, dass sie Vermeidungstänze machen. Da sie ihm ja nie sagen werden, wovor genau sie so phobisch sind, weiß er es nicht und versucht es aber vielleicht herauszufinden.
Aaaah na- ich merke schon das treibt ihren Puls schön hoch- super! Nun brauchen sie nur noch zu warten, wann der erste Schritt vom Tanzpartner kommt. Steigen sie ihm auf die Füße und beginnen sie einen philosophisch-neurowissenschaftlich- anthropologisch- kulturhistorischen Diskurs über sein Interesse an ihrer Angst.

Die wenigsten Menschen geben zu, dass sie es einfach nur spannend um der Sache willen finden und dass es ihnen nicht um sie dabei geht. Genauso wenig Menschen geben zu, dass sie sie einfach nur reinlegen wollen. (Sie wissen ja- vertrauen sie niemandem- sie alle wollen sie nur reinlegen!).
Die Menschen werden anfangen sich zu rechtfertigen und ihre eigenen Tänze aufzuführen. Wenn sie richtig in Schwung sind, brauchen sie sich nur noch zurückzulehnen und zuzugucken.

Vielleicht fragen sich manche Kursteilnehmer: “Wozu der ganze Aufwand?”

Sehen sie Frau Rosenblatt hier. Sie wird ihnen ihre Sicht erzählen.
“Angst ist ein Warnzeichen. Angst bedeutet Gefahr.
Angst ist tödlich für einen selbst. Mit jedem Moment in dem ich Angst habe, gehe ich innerlich weiter kaputt. Für mich ist es- gerade mit dem Reflexschutz meines Gehirns zusammen- fast unmöglich zu sagen, wovor genau ich so eine Angst habe.
Was ich allerdings sehr genau weiß ist, wovor ich keine Angst habe.
Ich habe keine Angst davor einsam zu sein. Ich habe auch keine Angst vor dem Gefühl der Demütigung oder Erniedrigung, wenn mich andere Menschen als unfähig oder dumm betrachten. Das sind alles Dinge, die ich selbst schon weiß. Ich mag es nicht besonders, wenn es andere von mir denken- doch Angst habe ich nicht davor.

Ich habe irgendwann bemerkt, dass aus dem leichten Kribbeln in der Haut, schnell richtige Todesangst wird, die ich nicht aushalten kann. Zusammen mit dem Hirnreflex der Dissoziation, habe ich ab einem Zeitpunkt keine Chance mehr mich in Gefilde zu bringen, in denen ich die Kontrolle über die Situation habe.
Solche Situationen führen in der Regel dazu, dass die Menschen auch noch anfangen Mitleid mit mir zu haben oder ganz besonders lieb zu mir zu werden- was mich in nur noch grässlichere Angst bringt.

Also habe ich gelernt mich wie in einem Swingmedley von Thema zu Thema zu bewegen.
Viele Menschen mögen Swing. Sie freuen sich über Gelegenheiten in denen ihnen jemand zuhört, sie von sich reden können, über Themen sprechen können, die sie bewegen.
Alles was ich tun muss, ist den Takt zu wahren und ab und an die Führung zu übernehmen.

Inzwischen kann ich es so gut, dass ich kaum noch darüber nachdenken muss.
Was allerdings proble…”

Na na na Frau Rosenblatt. Sollte das etwa der Anfang einer Reflektion werden?!
Nein, nein- damit fangen wir gar nicht erst an.
Wir fangen jetzt an zu üben.

>Suchen sie sich bitte einen Partner!
Ich verteile jetzt die zu umtanzenden Themen…

Ewigkeit

“Hallo?”
-“…” Anlauf… Druck- Atem im Gaumen ballen, Zunge formen
”C.? Seid ihr das?”
– “…” Anlauf… Luft zusammenpressen-  Luft woher? Zu was soll es werden?
Mehr als ein ersticktes Schniefen kommt nicht raus.
”Ich schick dir eine SMS, halte das Handy ans Telefon dass ich höre, dass sie da ist, ja? Wir haben das abgesprochen, damit ich weiß dass ihr das seid, okay?”

Das Mädchen steht im Arbeitszimmer als das Mobiltelefon auf dem Tisch vibriert.
”Ah ich höre es, okay.” Es raschelt am anderen Ende. “Wer ist denn da? Kennen wir uns schon?”
– “…” sie atmet ein, spannt alles an und würgt doch nur leere ungeformte Luft hervor.
”Hast du Angst? Was ist passiert?”, mehr zu sich als zu dem Kind sagt sie: “Ihr seid sicher.”

[Nein kann ja gar nicht sein, ich hab grad… da war grad ich hab doch gesehen… da ist doch… kann doch wieso sicher… ist doch nicht sicher wenn… da ist doch!!! Weißt du da… da da daaaa da…!!!]

“Traust du dich in die Küche? Im Frostfach ist eine Tüte mit Suppengemüse- leg dir die mal auf den Bauch.”

[Ich… und wenn da… und was wenn… ich nein ich beschütz mich doch da ist… und wenn ich jetzt sterbe was wenn… ich hab doch… da ist doch…  ich kann nicht]

“Ich ruf sofort die Polizei und H. an, wenn ich höre, dass was passiert! Fest versprochen! Dann kommen sie alle zu euch und helfen euch. Das geht ganz schnell. Die sind dann in ein paar Minuten da. Versuch mal in die Küche zugehen. Das Kalte hilft dir vielleicht. Du bist ja ganz außer dir.”

Ich kralle mich in ihre Worte, die Sicherheit der Gemeinsamkeit- höre sie durch Nebelwatte und kann fast lachen. Denn ich bin außer ihr. Ich stehe daneben, schwebe um diese Szenerie.

Ich nehme einen der Fäden auf, der von dem Mädchen herunter hängt und ziehe es in die Küche, lasse es in das Frostfach fassen. Halte ihren Arm damit sie das Telefon nicht fallen lässt.
”N.? Ich könnte mir vorstellen, dass du irgendwo mit bei euch herumschwebst und mich hörst. Kannst du versuchen etwas zu sagen?”, sie wartet und ich fühle mich ertappt. Plötzlich bin ich unsicher- nicht wegen der Situation, sondern wegen der Sicherheit mit der sich eine Außenstehende in unserem Sein bewegt.
”Nicht vergessen- nicht die Hand im Eisfach liegen lassen. Nehmt lieber das Gemüse in die Hand und legt euch die Tüte auf den Bauch.” Ich höre wie sie sich in ihrem Bett zurechtwickelt und werde erst jetzt gewahr, dass es halb 5 am Morgen ist. Die Arme…

“Gehts? Kannst du langsam was sagen?”
Die Nebelwatte löst sich unter dem Eis auf, die Dämme brechen.
Das Mädchen weint und weint und weint.
Ihr hemmungsloses Schluchzen wird zu einem Damm um sie herum. In solchen Fluten würde ich ertrinken. Alles was ich machen kann ist warten und es sich leerlaufen lassen. Ich versuche das Innen zu lichten. Eine Hilfe für sie zu finden.
”Ja… wein dich aus… ist okay. Ich warte.“

Anlauf… Luft… eine Form im Kopf wird zur Form im Mund… wird zum Wort… Absprung
Sie spricht.
Sie wird getröstet, beruhigt, im Heute orientiert.
Sie löst sich auf und wird zu einem der kleinen Herzen, dass in der Brusttasche von jemandem behütet wird.

“Hm, bist du noch da?”
-“Ja, ich bin da.”
”Na? Lust auf Suppe heute Abend?”
-“Hm?”
”Das Gemüse müsste jetzt langsam aufgetaut sein.” sie kichert.
-“Entschuldige.” Ich versuche den Körper irgendwie zu sortieren und die Tüte wieder ins Frostfach zu legen. “Ich weiß nicht, wieso wir so zerfallen im Moment. Mehr als Wahlwiederholung ging nicht.”, ich wische das Gesicht frei und atme durch.
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”Es ist okay- wirklich! Ich hab da schon was im Kopf, wieso das alles grad so krass ist. Aber ich bin keine Expertinesse- ihr müsst das mit eurer Seelenfrau unbedingt irgendwie auf die Kette kriegen. Wann ist wieder Termin?”
– “Donnerstag”
”Oh man…das ist ne Ewigkeit in Kinderrechnung”

Ja…
oh man
Das ist es auch ohne Kind zu sein.

ein paar Fragen an mich, als “multiple Persönlichkeit”

Es ist mir eine Freude etwas hier wiedergeben zu dürfen.
Dies ist ein (leicht bearbeiteter) Mitschnitt von einem Austausch mit einer Leserin dieses Blogs. Ich werde sie im Folgenden “Martha” nennen.

Es begann damit, dass wir den Sendungsausschnitt von Frau TV, in dem die multiple Frau Liza von sich erzählt, gemeinsam anschauten.
Für alle, die ihn noch nicht kennen: hier kann man ihn sich ansehen.

C. Rosenblatt: Ich finde den Begriff „Persönlichkeiten“ immer so irreführend … das werd ich irgendwie auch mal noch aufnehmen im Blog
Martha: Oh, ich würde gern wissen warum ?
C. Rosenblatt: Weil die Innens keine Persönlichkeiten an sich sind. Also bei keinem Multiplen. Also klar- jetzt halt die Frage „Was ist Persönlichkeit?“ Es ist ja so, dass jeder Mensch irgendwie Abneigungen, Vorlieben, Begabungen und seine „Macken“ hat-  sein Sein halt einfach
Martha: Ja.14519_web_R_by_danii_pixelio.de
C. Rosenblatt: Okay. Nehmen wir mal eine Discokugel. Wenn man sie sich genau anguckt besteht sie aus vielen Spiegeln. Das coole Glitzern kommt von den Lichtstrahlen, die jeweils einzeln reflektiert werden. Bei nicht multiplen Menschen könnte man sagen- da gibts keine kleinen einzelnen Spiegel, sondern so ineinander fließende Dellen, Beulen und Huckel- manchmal auch Risse. Wenn eine Lampe draufleuchtet, wird nicht die ganze Kugel jeweils zurückreflektieren, aber auch nicht nur ein minikleiner Teil davon
Martha: Ja.
C. Rosenblatt: Bei Multiplen ist es so, dass eine Lampe auf so eine aus vielen Spiegelteilen (die jeweils voneinander getrennt sind) leuchtet und nur diese reflektiert. Das heißt, es ist ein Anteil der Gesamtpersönlichkeit der dort wie autark aussieht- es aber nicht ist.
Martha: Wow. Gut erklärt. Schreib das. Das ist wirklich nachvollziehbar- ich mein das ernst
C. Rosenblatt: Okay wow
Martha: Ich bin ja nun eine dellige beulige Huckelkugel und ich versteh’s
C. Rosenblatt (ein in sich freudig hopsendes Innen spürend): ^^
Martha: Und es macht auch Sinn…weil bei mir an manchen Stellen def. große Risse sind. Da wo der böse Mann war. Ja. Nein du zuerst
C. Rosenblatt: Hm- ich wollte nur einwerfen: Ja und da, wo so ein Splitter ist, da so am Riss- da würdest du ja auch nicht von dir sagen, dass das eine andere Persönlichkeit ist. Da fehlen einfach so ganz viele Aspekte, an denen man gemeinhin „Persönlichkeit“ festmacht.

Das ist zum Beispiel auch ein Punkt, der die Therapie und die Kommunikation so schwer macht. Es ist schwer für Menschen ohne DIS die Flachheit seines Gegenübers zu erfassen. Also wenn ich etwas sage, dann meine ich auch nur genau das- ohne große Emotion oder Intension. Manche Menschen sagen mir aber trotzdem, nachdem ich ihnen etwas erklärt habe, dies sei eine tolle Begabung oder ich wäre ja so lieb, ihnen das zu sagen. Ich bin aber weder lieb, noch begabt. Ich gebe einfach eine Information weiter.
Dass mir eine Dimension fehlt im Erleben, ist mit so ein Knackpunkt an der DIS. Und deshalb mag ich auch den Blog so. Es ist ein flaches Medium- ich wirke „dicker- globaler“ als ich bin und komme so leichter in Kontakt.
Ich bin jetzt fertig 🙂

Martha: Ok, da würde ich gern einhaken hehehe
C. Rosenblatt: Okay
Martha:  Also: wenn zum Beispiel Leute dir sagen, du wärst so lieb ja…dann gibt /gab es ja eine Interaktion und das ist einmal die Dimension der Person, die dich als lieb interpretiert und deine.
Erstmal hat natürlich eine andere Person das Recht auf ihre jeweiligen Gefühle und Eindrücke…es kann also schlicht bedeuten…du warst lieb zu mir, das hat sich wohlig angefühlt, stimmig…dieses Gefühl gehört dann der Person…unabhängig davon, ob du diese Intention dabei hattest oder eben nicht, wie du sagst.
Dann bist da du. Du hast dieses Gefühl eben nicht in dem Moment, sondern warst schlicht ganz und gar Informationsträger und Weiterleiter…hab ich das soweit richtig verstanden ?
C. Rosenblatt: Ich habe diese Gefühle nie. Sie sind schlicht nicht in mir drin. Also das ist so… hm… wie eine kartographierte Discokugel- ich bin ein kleiner Spiegel der ganz weit weg und durch viele Barrieren von dem Bereich der Gefühle getrennt ist. Aber zum Beispiel ein anderes Innen „sitzt“ vielleicht direkt in mitten dieses Gefühlsbereichs und kann ausschließlich diese Gefühle reflektieren- aber nicht das wo ich draufsitze (Ratio) Dieses Innen kann (eigentlich fast ausschließlich) lieben und mögen- aber nicht sehen, ob das schlau ist
Martha: Ja. So habe ich das auch verstanden. Als Abgetrennt-Sein.

Stehst du dann mit dem jeweiligen Innen (um beim Beispiel zu bleiben hier mit jenem, das gerade liebt und mögt) im Kontakt oder kannst zumindest versuchen, Kontakt herzustellen und ist das von Fall zu Fall verschieden ?
C. Rosenblatt: In der Regel haben wir keinen Kontakt. Aber zum Beispiel werden die Aussenpersonen manchmal zu sowas wie einer dieser „Ums Eck“-Spiegel. Zum Beispiel in der Therapie die Therapeutin oder Gemögte im Alltag, die viel mit uns zu tun haben.Zum Beispiel hm.. ich erkläre gerade etwas und das Gegenüber sagt oder fragt oder macht etwas, das ein bisschen Licht über die ganzen Sperren bringt und das andere Innen auch anleuchtet. Dann nimmt die Aussenperson manchmal etwas wahr und meldet es mir zurück (z.B. Du weinst ja- bist du traurig?)
Ich kann dann versuchen nachzuvollziehen, was wohin geleuchtet hat und so dann sehen: Aha es kommt von Innen XY. Und manchmal ist es auch so, dass ich etwas merke- aber das Gegenüber nicht. Dann sage ich: Oh, ich merke, da kommt gerade ein Herzklopfen und ein Zittergefühl in den Muskeln (oder: Ich merke da ein Innen, “hinter mir”) und das Gegenüber kann mir helfen, indem es mir hilft einzuordnen was das ist (z.B. Angst) und mit mir reinleuchten, wo es her kommt
Martha: Verstehe.

Weißt du eigentlich wie viele Innens und bämms (sind das eigentlich auch Innens, spezielle Innens?) du hast ? Falls nicht, ist es wichtig rauszufinden wieviele es gibt?
C. Rosenblatt: Also die BÄÄÄMs sind Täterintrojekte und täterloyale Innens. Eigentlich sind sie Innens wie wir alle. Aber dadurch, dass sie so bedrohlich empfunden werden und (also die Introjekte) ganz genau den Tätern nachgebildet sind, bilden sie eine eigene Gruppe für sich. Wir sind heute nur  noch XYZ Innens (als “ganze Innens”), und hm, zu wissen wieviele es gibt, ist eigentlich (ganz streng genommen) irrelevant. Wichtig ist nur zu wissen, wer bzw. was alles da ist. Das ist zumindest unsere Erfahrung. Es gibt ja noch ganz viele Zwischenstufen auf dem Weg zu Heilung. Da werden aus einzelnen klar umrissenen Innens irgendwann einfach so „Huckel und Dellen“ und so. Wenn man dann immer so eine Zahl im Hinterkopf hat, stelle ich mir das kontraindiziert vor.  Es schürt eine Angst zu sterben oder zu verschwinden
Martha:  Ja, das ist nachvollziehbar.

Liza hat ja gesagt, sie händele all das wie eine innere WG. Hast du auch so ein Bild  oder passt das nicht für dich?
C. Rosenblatt: Das passt nicht für uns. Wir haben mal für die Therapeutin ein Bild gestaltet in dem wir den „Ecken“ innen so symbolisch gezeichnet haben. (Also die BÄÄÄMs wohnen zum Beispiel in einem furchteinflößendem Gebäude mit Wassergraben und hohen Mauern das dauernd brennt, der Schwan wohnt in einer besonders sicheren, warmen Umgebung, manche Prä-Teenie-Innenkinder in so einer Höhle… ) Wir sagen einfach immer „das Innen“ und benutzen Metaphern für die „Umgebung“/“die Gefühle“ um die jeweiligen Innens herum. Früher haben wir auch mal diese „Hausgemeinschafts-Metapher“ verwendet, doch sie passt nicht, weil manches einfach zu sehr auf der Metaebene ist. Da geht das Bild zu schnell dran kaputt.

Martha: Du sagst, ihr habt keinen Kontakt zueinander…wie kommuniziert ihr ? Geht das dann immer nur mit einer spiegelnden Außenperson ?
C. Rosenblatt: Nicht nur. Es ist am Effizientesten (da mehrere Ebenen „bedient“ werden), aber wir schreiben eigentlich ständig etwas auf, was gerade aufwallt oder irgendwie wichtig erscheint. (Zettelwirtschaft Aaaah!) Und so ist dann das Papier ein bisschen Außenspiegel. Und manche Innens haben auch so Kontakt- manchmal sind die nicht so stark von einander getrennt oder- so wie der Schwan ein Innen ist, das „auf der Spitze sitzt“ und über viele Trennungen hinweg schauen kann und so Kontakt machen kann.
Martha:  Ja, Zettel hatte ich irgendwie auch im Kopf…alles aufschreiben…macht Sinn.
C. Rosenblatt: Das ist ein bisschen immer so wie bei Rasenlatscherei- je öfter man über die Grenzen hinweg geht, desto weniger Grün wächst dazwischen und desto mehr Austausch geht dann. Das ist dann eben so etwas Gedanken-impulsiges.

Diese Sache mit dem “alles aufschreiben” Das wird meiner Meinung nach, auch oft vernachlässigt in Büchern. Also das wird zum Beispiel in „Aufschrei“ von Truddi Chase erwähnt- zu Anfang- aber dann nie wieder. Wir hatten früher extrem viele Listen und wehe eine war weg- Hölle!
Inzwischen gibt es nur noch ein-zwei- wenn es uns schlecht geht , vielleicht drei, die so nebeneinander her laufen und aber alle nicht mehr stark voneinander abweichen. Aber wir brauchen sie nachwievor wie die Fische zum Leben. Sonst gibt es Chaos.

Martha: Gibt es das längerfristige Ziel die Innens langsam zu Huckeln und Dellen zu machen, oder ist es so, wie es jetzt ist schon gut lebbar? Wenn meine Freundin zum Beispiel sagt, dass sie durch ein Außen (SPIEGEL) drauf gebracht wurde, dass ein BÄMM besonders dominant auftritt gerade…welche Möglichkeiten hat sie jetzt?
C.  Rosenblatt: Also wir haben dieses Ziel definitiv. Unser „System“ war mal fast doppelt so groß wie jetzt- du kannst dir nicht vorstellen wie verstümmelt man existiert. Bzw. wie krass einem die Verstümmelung bewusst wird, je näher man aneinanderrückt. Wir empfinden es als sehr bereichernd- wenn auch beängstigend diese Trennungen weg zu haben. Aber nicht alle Multiple haben das als Ziel.
Manche wollen und brauchen- gerade wenn sie noch Gewalt ausgesetzt sind, oder eine Familie versorgen müssen oder einen Beruf haben der extrem belastend ist (Arzt, Pädagoge,Lehrer…) auch unbedingt noch diese Trennung. Bei denen gibt es den Wunsch nach einem Funktionsmodus und einem Ende der akuten PTBS (die meistens irgendwie am Anfang der Diagnose steht) und wollen dann einfach „funktionieren“ ohne zu leiden. Das ist zumindest etwas, das ich so mitbekommen habe. Ob das ein Zustand ist, der lange hält weiß ich natürlich nicht.

Die Frage mit den Möglichkeiten nach dem dominanten Auftreten des BÄÄÄMs habe ich jetzt nicht so ganz erfasst, glaube ich. Kannst du die Frage bitte anders formulieren?
Martha: Das bezog sich jetzt explizit auf die Situation meiner Freundin…dass da ein Anteil aufgetaucht ist, der an ein Familienmitglied erinnert (also ein BÄÄÄM)…dieser ist nur in ihr Bewusstsein gelangt, weil eine außenstehende Person sie darauf angesprochen hat. Sie hatte vor allem eins: Erinnerungslücken…ihr hat das große Angst gemacht als sie darauf aufmerksam gemacht wurde…welche Möglichkeiten hat sie jetzt aus deiner Sicht damit einen konstruktiven Umgang zu finden ?215236_web_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_pixelio.de
C. Rosenblatt: Also jemand schrieb ja neulich schon, ein bisschen „ran zutasten“. Also zu schauen, was genau dieses Innen- oder auch BÄÄÄM das kann ja nur deine Freundin wissen, wo sie dieses Innen einsortieren würde (- nach der Reaktion darauf, denke ich aber, dass es sich um ein Täterintrojekt und damit also ein „BÄÄÄM“ handelt), anleuchten zu lassen oder selbst anzuleuchten.
Nun weiß ich aber nicht wie weit sie schon ist. So wie das klingt, wusste sie noch nichts von diesem Innen und muss sich jetzt erstmal ganz viel darüber erschrecken und schlimm fühlen. Und dann akzeptieren dass es da ist, dann rausfinden, warum es gerade in dieser Situation auftauchte… und bei all dem werden sie und ihre Innens die Mauer dazwischen etwas niedergetreten und können dann einen Umgang mit diesem Innen absprechen. Und wenn das alles respektvoll und im richtigen Maß abläuft, wird das auch klappen.
Jedes Innen, das auftaucht kommt, weil es gebraucht wird. Weil seine Präsenz bzw. die an es gebundenen Handlungsmuster wichtig und sinnig zum Erhalt des Schutzes ist.
Martha: Ja. Das kenne ich ja auch. Das ist grundsätzlich etwas, was alle Menschen entwickeln die von Traumata betroffen sind. Muster. Automatismen. Persönlichkeitsanteile, die die Regie übernehmen. Gewünscht ist eine Kompensation, die das Erleben aushaltbar macht. Die in diesen Moment(en) Sinn mach(t)e und später, wenn die akute Not vorüber ist hinderlich/einschränkend/u.Ä. ist auf irgendeine Art, wenn auch erstmal oft unbewusst weil verdrängt. Ich fand zudem auch einen wichtigen Aspekt in dem Beitrag über Liza, dass all das nur eine gesunde Reaktion darstellt die das Überleben sichert..auf das eigentlich Kranke, das der/die Täter verübt/en…

Hast du manchmal Angst, dass du auch übergriffig sein könntest, irgendwann irgendwo bei irgendwem ? Ich habe diese Angst manchmal…
C. Rosenblatt: Ja.
Obwohl ich inzwischen ziemlich genau spüre, dass es nicht dazu kommen wird, weil es in uns als Gesamtperson (so wie ich sie gerade erahne oder besser gesagt so durch die Rückmeldungen von Außen zusammenstückle) weder eine Neigung zu Sadismus noch zu einer allgemeinen Befriedigung durch Macht über andere Menschen (oder auch Tiere) gibt. Selbst die Täterintrojekte und jene die angeblich bereitwillig anderen Menschen geschadet haben, taten dies, weil sie es mussten- nicht von sich aus.
Das ist zum Beispiel etwas in dem Aspekt der Dimensionalität wichtig ist. Es kann sein, dass ein BÄÄÄM zum Beispiel in einer Situation in dem es von Außen erneut gezwungen wird (oder sich gezwungen fühlt und es keine andere Möglichkeit für das Gesamtsystem gibt, anders zu handeln) etwas zu tun, ganz genauso handelt wie früher und übergriffig wird. Aber sobald auch nur ein einziger Aspekt  deutlich anders ist als früher (und dieses BÄÄÄM in der Lage ist sich zu orientieren in der Zeit), wird es nicht zu dieser Handlung kommen. Das Muster bezieht sich in der Regel auf genau eine bestimmte Art Emotion(s-Befindlichkeitenmischung), Aussensituation und/oder Anspruch von Außen und wird dann quasi abgespult. Fehlt etwas davon oder ist einfach anders eingefärbt, kommt es zwar zu einem „Triggergefühl“ der ordentlich Schlimmes mit sich bringt, aber switcht dann eher zu einem Innen das mit einer Situationsumgebung wie der sich bietenden assoziiert ist.
Also als Beispiel, mussten wir mal im Biounterricht ein Tier sezieren. An sich ist das etwas, dass jemand schon mal machen musste. Dieses Innen stand auch extrem nah „vorn“ kam aber nicht heraus, weil die Grundsituation (Schule, anderes Sozialgefüge, anderes Grundgefühl, Zwang- aber doch Handlungsalternative…) eine andere war. Das Ergebnis war ein „Ahnungsdonner“ für die Person die gerade in der Schule stand und es gab einen Switch zu einem anderen Innen, das weiter entfernt von sowohl dem „Schul- Innen“ als auch dem „Sezier-kundigen- Innen“ war und weder Gespür für die beiden Innens noch Erinnerung an irgendwas von dem hatte, was gewesen ist,
So in etwa verlaufen inzwischen fast alle Situationen die uns in eine real bedrohliche Situation führen könnten. Es ist noch nie passiert, dass ein BÄÄÄM jemanden tatsächlich aus Spaß oder aus eigenem Antrieb verletzte, wie die Täter früher.
Was nicht heißt, dass es keine aggressiven Innens gibt, die sich auch körperlich wehren bzw. verteidigen- aber da stehen andere Sachen hinter.

Hier endet der Teil des Austauschs, den wir gern mit unseren LeserInnen und BesucherInnen teilen. Vielleicht war die eine oder andere Frage ja auch für meine anderen nicht selbst von DIS betroffenen LeserInnen interessant.

Wie immer wird hier kein Anspruch auf Ausschließlichkeit und das Zutreffen der dargestellten Abläufe und Gegebenheiten bei allen Menschen mit DIS erhoben.
Ich weise außerdem darauf hin, dass es sich hier um einen Mitschnitt unter Betroffenen handelt- nicht um einen Austausch unter professionell mit dem Thema arbeitenden Menschen.
Weiterhin geht es hier nicht um die subjektive Wahrnehmung meines Innenlebens sondern um eine annähernde Darstellung der Struktur des Selbigen.

von Vermeidungsblasen und Tumoren

Nach Jahren habe ich mal wieder ein psychotherapeutisches (Fach)Buch zum Thema Trauma und DIS in der Hand und könnte es eigentlich schon wieder an die Wand schmeißen, in die Seiten hineinspringen, es auffressen, vollkotzen, zerpflücken… in die Hand nehmen und jedem Außenmenschen um die Ohren hauen, der mir über den Weg läuft.
An meine Brust drücken… hoffend, dass mein Innen etwas spürt, sieht, dass es gesehen wurde. Schau da ist Hoffnung, da ist Heilung.
Es verflüssigen und mir multipelschläuchig intravenös in den Körper einbringen, auf dass es diesen quälend berstenden Wissensdurst genauso stillt, wie das Gefühl der Einsamkeit.

Es ist nur ein Kapitel.
Und das “in der Hand halten” von etwas, das von uns drin steht.
Doch es reicht.

Es reicht mich zu erinnern wie es war, als die Innens noch maligne Microhirntumore waren.
Ich habe nicht unter ihnen gelitten.
Ich hatte keinen Leidensdruck vom Viele-Sein. Das habe ich bis heute nicht.
Ich habe unter einer ständig schwelenden Todesangst gelitten. Genau wie heute- auch wenn der Grund inzwischen ein anderer ist.
Jede Amnesie, jeder Kopfschmerz, jede Seltsamkeit an mir bedeutete für mich: “Der Tumor ist gewachsen- gleich bist du tot.”. Alles was ich mir nicht erklären konnte, wurde durch den Tumor erklärt. Meine Angst bekam eine Berechtigung.
Ich habe eine ganz liebe Vermeidungsblase aufgepustet.
An einem Tumor kann jeder erkranken. Damit bin ich nicht allein.
Vor dem Tod haben viele Menschen Angst. Es ist akzeptabel Angst vor tödlicher Krankheit zu haben.
Ein Tumor wächst im Körper. Niemand kann einem anderen Menschen einen Tumor antun.

Ein Tumor hat keinen Finger, mit dem er auf jemanden zeigen kann.

Es reicht, mir zu zeigen, wie lieb ich bin.
Immernoch.
Lieb in meiner kleine Vermeidungsblase.
“Nein das war nur ein … Tumor…
Es war nicht… nein nein es war nur ein… mehrere Tumore…”

Zu wissen, dass es Innens sind, die meine Stücke vom Zeitkuchen wegknabbern, runterschlingen, auffressen, in sich hineingestopft bekamen und nun wieder herauskotzen müssen, war lange gleichsam eine Art Tumor.
Eine sprachverführende Vermeidungsblase für mich.

Multiple Persönlichkeit.
Mehrfache Persönlichkeit.
Mehrfaches Sein.

“Ja prima. Ich hab den Tumor- die Innens sind einfach nur nicht davon betroffen.
Die sind ertrinkend, erstickend, aufgerissen, benutzt, kaputt. Sie baumeln noch immer nackt von einer Decke, posieren für andere, stinken wie ein verdrecktes Tier, sind ekelerregend, bemitleidenswerter Abschaum, halten auf Wunsch die Körperlichkeit eines anderen, bieten sich an. Sie sind so niedrig, dass man sie gar nicht mehr erniedrigen kann.

Ich bin eine andere Persönlichkeit. Mit mir hat das nichts zu tun.
Mein Sein ist ganz anders.
Ich sterbe nur an Todesangst.
Ich werde in einem Krankenhausbett sterben, ganz lieb. Ganz still.
Die Innens werden in ihrem Dreck verrotten, sollen sie doch schreien, an- klagen.
Ich bin lieb.
Ich bin ein anderer Mensch als sie.
Sie sind meine Krankheit. Sie sind mein Seelentumor.
“Einmal rein- und abschneiden bitte!”

Die Wissenschaft klärte mich auf. Eröffnete mich.
Sie griff zum Skalpell und entfernte eine Schicht meiner Vermeidungsblase.
Ich kann das Innen nun, freioperiert von verwischter Sprache, als dissoziierte Aspekte meiner Identität- meiner Gesamtpersönlichkeit an mich heranrationalisieren.

Ich habe meiner Vermeidungsblase ein Element hinzufügen können, dass eine gewisse Diffusion ermöglicht, eine grundlegende Trennung allerdings aufrecht erhält. So bekam ich Gelegenheit zu 423597_original_R_K_B_by_Sigrid Roßmann_pixelio.desehen, dass auch andere Innens lieber mal “500gr biographische Amnesie kaufen wollen”, statt das Grauen anzunehmen. Ihnen fehlen zwar nicht die ersten 16 Jahre des Körperlebens wie mir, aber auch sie treiben in dieser Seelenlösung aus Angst, Schmerz und Verletzung herum, einzig durch ihre Vermeidungsblase geschützt.
Vielleicht nicht so lieb wie ich.
Wenn ich meinen Gemögten (und dem Blog hier) trauen kann, dann sind sie wohl eher bockig, kernig, charming, bedürftig, kalt, mutig, frech, aufmüpfig, emanzipiert, liebevoll, fürsorglich.
Gleich und doch verschieden.
Getrennt aber doch verbunden.

Ich lese Sachbücher wie dieses nicht so gern.
In der Regel erhöhen sie den Druck. Oft sorgen sie dafür, dass ein Innen an eine durchsichtige Seite meiner Vermeidungsblase gepresst wird und ich es erschreckt anstarre, wie einen Vogel der gegen das Küchenfenster geflogen ist.

Meist fällt mir dann auch gleich noch das Buch aus der Hand, kippe ich fest verklebt in meiner Angst weg und ergieße mein Denken in die unendliche Weite der Vermeidung. Vielleicht der Selbsttäuschung, der Illusion und der Traumtänzerei.

“Es war doch nichts.
Ich dysfunktioniere auf zellulärer Ebene, das ist es!
Das Schlimme… das Böse… das … nein das ist nicht… nein das ist nur ein Tumor.

Ich war doch immer lieb. Warum sollte mir jemand so etwas angetan haben?”

Erst wenn ich das Buch beiseite lege, das Leben kennenlerne; sehe, dass Liebsein kein Garant für Liebgehabt werden ist, schaffe ich es, meine Vermeidungsblase etwas zu öffnen und das Innen davor etwas näher zu betrachten. Zu sehen, wie sehr ich es mit meinem Denken verletze.

Wie sehr ich mich selbst zum Tumor mache.

Waldgespräch

Es ist ein seltsames Gespann.

Ein Hund, der wie ein Reh durch die flirrenden Schneeflocken springt, rennt, hopst, mit Zweigen kämpft und zwei Gestalten, die nebeneinander her laufen. Die eine hat den Blick auf den Boden- die andere hält ihre Begleitung in der Sichtperipherie.

“Es ist komisch.”
– “Ich weiß”
”Wieso sehen sie das, aber nicht alle anderen auch?”
– “Ich weiß nicht mein Herz”
Sie steckt sich die Fingerkuppe in den Mund, fängt an die Nagelhaut herunterzureißen.
– “Nimm lieber etwas Schnee in die Hand oder in den Mund. Vielleicht will NakNak* auch was spielen.”
”Ach Affenscheiße”
Sie tritt in die vereiste Fahrrinne eines Waldarbeiterwagens. Wischt sich Tränen von den Wangen.
”Ich weiß immer noch nicht, wie man das nennt, wenn man sich vor welche stellen will und denen sagen will: Guck was du mir angetan hast!”
– “Ist dir das so wichtig? Willst du das wirklich mal machen?”
”Ja! Die sollen sehen, dass sie mich und- ja ach fuck ey- uns alle richtig verletzt haben”
– “Du weißt, dass wir das niemals machen werden, oder? Und selbst wenn doch- sie werden sich nicht bei uns dafür entschuldigen, dass sie ihre Arbeit gemacht haben.”

Sie hebt die Schultern, wirft NakNak* einen Blick zu. Runzelt die Stirn, pustet ein paar Flocken vom Schal. “Vielleicht will ich gar nicht, dass sie sich entschuldigen. Sie sollen nur nicht mehr so tun, als wärs nur mein Problem. So nach dem Motto: Alle anderen haben damit nich so Probleme- du bist die Einzige die hier schon wieder rumspinnt. Die sollen sich schämen.”
– “Haben sie dir das gesagt? Dass du rumspinnst?”

Sie wendet sich ab, sucht den Weg zu unserem Waldplatz für Zeiten wie diese.Höhle Sie schweigen, lassen ihre Tränen die Wangen abkühlen.

“Ich hab nicht gesponnen, richtig? Wenn etwas schlimm ist, dann ist es schlimm, nicht wahr? Egal, wie es andere nennen oder wie sie das empfinden, ne?”
– “Ja, es war schlimm für dich, also war es schlimm.”

Sie sitzen dort und reichen einander die Hand.

Im Schutz einer kleinen Höhle zu ihren Füßen drängen sich andere Herzen aneinander. Die beiden haben sie noch gar nicht bemerkt, obwohl es doch deren Schmerz ist, über den sie weinen.