weiter_gehen

Es ist eine Frage des Atmens. Weil ich gegen den Strom atme und immer schön weiterknirschKRACHplapfschepperBÄNGsplitter…gehe, habe ich noch nicht geweint.
Weil die Welt doch so schön ist. Zum Niederknien und in der Luft zerfleddern schön. Reich. Voll.

Ich spare mir das Weinen auf, weil ich weiß, dass ich die Kraft, die es kostet mich in Tränen aufzulösen, noch brauche.
Für den Herztermin, einen Testtermin nächste Woche. Für zwei 4 Stunden Zugfahrten mit Hund. Für 4 themenintensive Arbeitsstunden in 6 Tagen.
Für die Foto- und Filmbearbeitung. Fürs nicht Loslassen. Fürs Aushalten dieses weiterkaputtgehens, ohne zu wissen wohin und wozu eigentlich.

Vielleicht geht man nur um zu gehen.
Ich weiß es nicht.

Unsere Therapeutin hat bald Urlaub und zum ersten Mal habe ich wirklich Angst davor den Sommer nicht zu überstehen, weil ich mir zu viel und zu wenig vorgenommen hab und nicht einmal weiß, ob ich irgendetwas davon wirklich schaffe.

Der Körper ist im Moment ein mitunter unaushaltbarer Ort, weil er auf vielen Ebenen als zu raumeinnehmend erlebt wird. Zum Einen, weil er seit Wochen, wenn nicht Monaten immer irgendwie irgendwo weh tut, versorgt werden will und doch dauernd den Dienst versagt und zum Anderen, weil die einzige Antwort, die mein Denken darauf hat, die MagersuchtBulimie ist, die nur auf der Verhaltensebene aktiv gedämpft werden kann.

Daneben rieselt es vom Inmitten bis zu mir, wie krass der Schmerz um soziale Verluste eigentlich ist und wie viel Untröstlichkeit um die Nichtlösung, die wir leben müssen. Es reicht nicht, dass sich weite Teile in ihrem Denken um die menschliche Natur bestätigt fühlen, es reicht nicht, dass andere Menschen uns in unserer Abgrenzung und Perspektive bestätigen, wenn ich doch eigentlich nur darauf warte auch mal positiv von Menschen überrascht zu werden.
Wenn ich eben doch darauf warte, dass das Telefon klingelt oder das Mailpostfach blinkt.

Da ist diese Versuchung loszulassen. Diesem Sog nachzugeben und einfach nicht zu denken. Mich eben nicht mehr an die Dinge zu erinnern, die ich machen willmusssollkannmöchte damit ich sie nicht aus Versehen dissoziiere. Da ist diese Idee, in den Zug nach Budapest zu steigen und einfach eine ganz wirklich Fremde unter Fremden zu sein. Ein Nichts. Ein Niemand. Ein ganz und gar richtig im Falschen und Unbekannten.
Und diese Hoffnung dann irgendwie okay weg zu sein.

Da ist der Wunsch nie ausgestiegen zu sein.
Da ist der Wunsch nie weggelaufen zu sein.
Da ist der verzweifelte Schrei ins Universum um 15 Jahre Fehlentscheidung.

Vielleicht lebt man nur, um zu leben.
Ich weiß es nicht.

viel~e sein

~ Fortsetzung ~

Das Eine ist: da gibt es ein Wort – eine Diagnose. Das Andere ist: da gibt es etwas, das mit diesem Wort, dieser Diagnose benannt wird.

Wenn die Diagnose gestellt wurde, gibt es früher oder später dieses Moment, in dem man andere Menschen in unterschiedlichen Kontexten dieses Wort sagt. Und dieses Moment entscheidet darüber, wie sich der Kontakt entwickelt und auch, wie man selbst in der Zukunft damit umgeht, dieses Wort für sich zu haben, bzw. dass es Menschen gibt, dessen Selbst- und Umweltwahrnehmung mit einer Diagnose bezeichenbar ist.

Wir sind inzwischen ziemlich fatalistisch was das angeht. Da für uns nicht nur alle Züge in Richtung Zukunft abgefahren sind, sondern auch noch der Bahnhof dazu abgerissen wurde, ist es uns egal (weil es uns egal sein kann) wer weiß, dass wir viele sind.
Die Essenz unserer Erfahrungen, die Diagnose anderen Mensch mitzuteilen ist: Es ist scheiß egal, ob es jemand weiß oder nicht – denn das Wissen darum ist nicht entscheidend.

Wir haben unsere Diagnose Menschen mitgeteilt, damit sie uns helfen – sie haben uns nicht geholfen.
Wir haben unser Sein vor Menschen erklärt, von denen wir dachten, es gäbe den Wunsch mit uns in Beziehung zu sein – sie haben den Kontakt kaputt gemacht und Teile von uns gleich mit.
Wir haben die DIS als Behinderung angegeben, haben beim Jobcenter, bei Mediziner_innen und Betreuungspersonen die DIS erwähnt, erklärt, vermittelt – wie viel das gebracht hat, kann man ja sehen: 10 Jahre Hartz 4, ein GdB von 70 wegen “depressiven Störungen”, eine Allgemeinmedizinerin, die uns nach einer schwerwiegenden Diagnose alleine aus der Praxis torkeln lässt und Betreuungspersonen, die uns weder beim Ausstieg geholfen haben, noch in irgendeiner Form ihr Verhalten und seine Wirkung auf uns, reflektieren.

Am Ende geht es nicht darum, dass die wichtigen Menschen in einem Leben wissen, dass man viele ist, sondern darum, dass sie es begreifen und zwar nicht als eine Laune des Laufs der Dinge oder eine Entscheidung eines verwirrten Geistes, sondern als massive Entwicklungsstörungsproblematik und zwar auf die Entwicklungsstörung “massives, wiederholtes, komplexes Trauma in der frühen Kindheit”.

Wir haben letztes Jahr und dann auch noch dieses Jahr enge Kontakte zu Menschen beendet bzw. beenden müssen, weil nicht begriffen bzw. einem Begreifen folgend gehandelt wurde, was für eine massive, innerglobale Not das Verhalten dieser Menschen uns gegenüber ausgelöst hat.
Man erwartete von uns zum Beispiel Reaktionen, die existenzielle Bedrohungsgefühle, so wie kindliches Erleben von konkretem Überschwemmtwerden eigener Emotionen, Gedanken und Ängste, ausklammern, innerhalb von Konflikten, die genau das aber losgetreten haben.

Viele sein bedeutet einfach nicht nur: X hat einen Konflikt und Y weiß davon nichts.
Es bedeutet: X und Y plus eine unbekannte Anzahl anderer Innens versuchen verzweifelt A und B plus eine unbekannte Anzahl von Innens von dem Bewusstsein um einen Konflikt im Außen fern zu halten, damit der Alltag weiter läuft, während H I J K L M N plus noch wieder unbekannt viele andere schon längst in Wiedererleben stecken und das gesamte Inmitten lahmlegen – während die Umlaute einen Termin nach dem anderen abracken, und jederzeit irgendwo komplett neu anfangen können (und es in aller Regel auch tun).
Viele sein bedeutet: In einem Menschen passieren viele Prozesse gleichzeitig und autark nebeneinander her – und doch haben einzelne Ereignisse im Außen die Macht, sie alle mit einem Schlag zu beeinflussen, sobald es bestimmte Faktoren gibt, die mit existenzieller Bedrohung einhergehen bzw. so interpretiert werden.

Die Menschen zu denen wir den Kontakt beendet haben, haben vergessen oder vielleicht auch nie wirklich begriffen, wie wichtig es ist uns immer und immer und immer – auch nach vielen gemeinsamen Jahren und Erfahrungen – zu vermitteln, dass es sich bei einem Konflikt oder allgemeiner: Schwierigkeiten nicht um existenzielle Bedrohungen handelt.
Ja, so blöd das klingt: Wir müssen sehr oft hören, dass wir an Dingen, die für andere eine Kleinigkeit sind, nicht sterben oder in unserer psycho-physischen Integrität verletzt werden.

Für uns ist es ein Akt gewesen, das zu fühlen und wissen und zu lernen. Und das Ende dieses Prozesses ist für uns, zu lernen, dass wir uns das auch selbst nach innen bringen können und uns das von dort innen auch geglaubt wird. Soweit sind wir noch nicht.

Womit wir beim nächsten Aspekt wären. Uns Rosenblättern wird oft sehr viel mehr Belastbarkeit und Stabilität zugetraut, als tatsächlich da ist und manche Menschen sind zutiefst enttäuscht von uns, wenn wir das nicht bedienen können.
Was wiederum bei uns alles mögliche anmacht und letztlich dazu führt, dass wir uns nach außen noch mehr anstrengen, noch härter machen. Ich denke, das passiert vielen Menschen und ist nichts, was speziell mit unserem viele sein zu tun hat.
Das Problem ist: Wenn man viele ist und sich nach außen hart wie Stein macht, dann hat man, wenn die Tür hinter einem zu geht und kein Außen in dem Sinne mehr da ist, keine Kraft mehr für die unversorgte Hölle, die in einem drin brennt.

Wir haben gemerkt, dass alte Bekannte wie die Suizidalität, der Drang sich zu verletzen (kaputt bis tot zu machen), die Essstörung und hinten dran natürlich: die Täter_innenintrojekte mit ihrem Hass, auftauchen und es zusätzlich erschweren offen zu legen und zu erklären, worum es beim viele sein geht.

Viele sein bedeutet nämlich in dieser Welt auch: viel sein.
Es ist belastend, nervig, anstrengend, wenn eine Person immer und bei allem darum bittet, (bitten und betteln muss), dass manche Dinge einfach nicht gehen, weil sie Dinge auslösen, die dann wieder irgendwas abverlangen und und und

Ich habe seit der Diagnosestellung durchgehend das Gefühl eine Belastung zu sein. Ein Fehler, ein Mensch, dem man sich aus moralischen und nicht aus positivem “Einfach so” – Grund widmet und die Stimmen, die mir schon früher gesagt haben, dass ich anstrengend und nervig bin, bestätigen das natürlich.
Die Störung, der wir als Einsmensch ausgesetzt wurden, zieht sich bis heute durch unser Leben und hat sich mit uns selbst vermengt.

Heute stören wir, weil die Störung unserer Entwicklung nicht folgenlos endete.

Viele Personen, die von uns erfahren, dass wir viele sind und dass das so ist, weil wir 21 Jahre lang auf allen Ebenen miss-be-handelt wurden, übertragen die Verbindung “viele sein” = “misshandelt worden sein” auf uns “Rosenblätter sein” = “Gewaltthematik”.
Und was machen Menschen, die die Wahl haben, ob sie sich widmen oder nicht, mit Gewaltthematiken? Richtig: sie verpissen sich, machen den Kopf zu, fangen an die gesellschaftlich anerkannten Vermeidungstänze aufzuführen – und lassen uns stehen.
Im günstigsten Fall hängt nichts an dem Kontakt – da können wir dann selbst auch gehen und trösten uns mit dem Gedanken: “Naja, wenigstens hat sie Person jetzt mal davon gehört.”.

Schlimm wird es bei Personen, die nah sind. Oder nah geworden sind. Oder wo es um Abhängigkeiten geht.
Die letzte KJP in der wir waren, hatte die DIS-Diagnose zum Beispiel negiert und uns als Hysterikerin (jupp – die gibts noch als Diagnose) behandelt, was im Großen und Ganzen bedeutet auf nichts (und niemanden) von uns zu reagieren. Was für uns einen Raum aufmachte, in dem wir 24 Stunden am Tag spürten, dass wir alleine waren. In einem fremden Bundesland, mit dem Wohnort Kinder-und Jugendpsychiatrie, in der ein Pfleger seine Position ausnutzte.

Anderes Beispiel ist die Jugendhilfe, die wir teilstationär danach in Anspruch nahmen. Wir sagten, dass wir viele sind und, dass wir Gewalt erfahren.
Die Diagnose wurde von einer Klinik für Psychosomatik dann bestätigt und [Trommelwirbel] NICHTS passierte. [TUSCH]
Wir wurden in unserer Wohnung überfallen – das Schloss wurde 3 Wochen später ausgetauscht.
Ostersamstag 2007 riefen wir den Hintergrunddienst der Betreuung an, weil wir nach einem Spaziergang, verletzt in unserer Wohnung gelandet waren, obwohl wir eigentlich untergetaucht bei unserer damaligen Gemögten lebten. Wir baten um Begleitung ins Krankenhaus. Spurensicherung, Anzeigeerstattung – hatten wir (schweinemutig wie nie zu vor!) im Kopf – der Betreuer im Dienst, hatte aber die Stadt verlassen. Wollte so gerne ein ruhiges Wochenende. Er bat um Verständnis – wir nickten, legten auf, zersplitterten.

Viele bunte Schimpfwörter haben wir heute dazu im Kopf.

Vor allem, wenn wir heute in Veranstaltungen wie der Fachtagung “Wir sind viele” letztes Jahr in Mainz sitzen und hören, warum so viele Betreuer_innen so viel derbe Kackscheiße mit ihren Betreuten machen: Sie haben einfach keine Ahnung oder keine andere Wahl und nicht zuletzt sind manche auch einfach ignorante Arschlöcher, die, weil sie Gewalt selbst nicht erlebt haben, keinen Grund sehen davon auszugehen, dass es sie gibt und eben auch nicht folgenlos bleibt.

Was mir unter anderen Menschen, die viele sind, daneben begegnet ist eine mich traurig machende Bereitschaft zu glauben, dass Betreuungspersonen oft deshalb keine Ahnung vom Umgang mit komplex traumatisierten Menschen haben, weil sie nur Faker_innen vorher betreut haben.
Eine ähnliche Abwertung passiert meiner Ansicht nach, wenn Menschen sagen: “Ja in Klinik XY kriegen ja alle, die wollen eine DIS-Diagnose und deshalb machen die da nur Bullshit, weil da sind ja nur Fakes, die davon profitieren.”.
Leute: Scheiße entsteht, wenn Scheiße passiert und was in unserer Gesellschaft und in unserem Gesundheits- und Sozialleistungssystem passiert, ist so widerwärtig stinkende Scheiße, über die man sich genauso aufregen kann – nur komisch: das passiert ja gar nicht.

Haben wir da etwa einen blinden Fleck, weil es sich leichter in Richtung einer konstruierten Autorität motzen und abwerten lässt, als sich zu solidarisieren?

~ Fortsetzung folgt ~

Fundstück

Meine Regulation ist gestört. Das weiß ich und trotzdem tauche ich meine Hände in die Küchenspüle.
Ob das jetzt zu heiß war oder nicht, werde ich schon noch erfahren. Denke ich. Es dampft nicht verdächtig und eigentlich habe ich nichts anders gemacht als sonst. Aber mir fehlt das Stück zwischen Reizerfassung und Erkenntnis.

Während ich den Abwasch mache, denke ich an das Kind und den Bösen. Der Böse ist auf einer Insel und irgendwo lacht es immer noch darüber, dass die Therapeutin ihn von uns versorgt wissen wollte.
Ich weiß gar nicht, ob die Bösen überhaupt solche Bedürfnisse haben. Sie haben ja nicht mal das Bedürfnis nicht als “die Bösen” von mir gedacht zu werden.

Ich kratze auf der Teflonpfanne herum. “Es haftet ganz schön inbrünstig auf so einer Antihaftbeschichtung”, denke ich und überlege, ob meine Hände eigentlich immer so rot sind, wenn ich abwasche.

Und das Kind? Wieso schreit es eigentlich gar nicht?
Weiß es denn nicht, dass es ihm etwas Schlimmes passiert..e? Es muss doch jetzt ein Weh haben, ein Weh klagen, ein Weh in den Äther schicken und schreien.
Das macht man doch so.
Wir hatten mit der Therapeutin besprochen, dass wir uns kümmern. Dass wir es von dort mitnehmen und gut versorgen. Weil man das so macht.

“Noch einmal mit Pril abwaschen.”, denke ich, “und dann ist die Flasche alle und dann können wir endlich wieder das Fit nehmen.”. Ich denke an die Frauenhände meiner Familie* in Küchenspülen neben denen oft, immer, manchmal, das Fit stand und merke, wie erbärmlich meine Art Familien*verbundenheit eigentlich ist. An andere Dinge, die mich dem was eine meine Familie* hätte würde wenn gewesen worden wäre, näher bringen, kann ich mich aber auch nicht erinnern.

Es schreit nicht, es weint nicht, es bewegt sich nicht. Ich fühle nur Nichts von ihm. Weißes Rauschen, das kein Dissen ist.
Ist es dann eigentlich leiden? Wenn es nicht leidet, braucht es dann “gut kümmern” von uns?

Mein Abwasch ist fertig und in der Spüle vor meinem Bauch, treiben Speisereste, Fettaugen und letzte Restschauminseln umher.
“Wie fühlt sich eigentlich Ekel an?”, frage ich mich und fühle mich so fern von all dem was ist und wäre hätte würde wenn. “Wieso habe ich das jetzt eigentlich gemacht?”.

Ach ja, da war das Kind, vielleicht im Grundschulalter, das vor einer Wand kniet und weder sieht noch hört, noch ist und die Frage, ob es wohl leidet.
Und die Verlassenheit vor der Frage, ob man sich kümmern muss, wenn es kein Leiden gibt.

Die Frage was Leiden ist.

Und der Versuch um etwas anderes als dieses weiße Rauschen, das nicht ist und war und wird und ganz in Wahrheit überhaupt alles gar nicht ist.
So wie ich.

zur zweiten Episode “Viele–Sein”

Diesmal geht es um neue Wege und die Privatisierung, die das Leben mit Traumafolgen erfährt.
Ein Gespräch war nicht möglich, aber das hat uns glücklicherweise nicht abhalten können.

Also bitte – hier geht’s lang zur zweiten Episode “Viele – Sein” dem Podcast über das Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur.

der Bindentest und die Männlichkeit im menstruierenden Körper

Es begann mit einer Mail, in der sinngemäß stand: “Möchten Sie Kulmine-Stoffbinden testen und darüber in ihrem Blog schreiben?” und mündete in ein Moment, in dem mir klar wurde, dass meine Männlichkeit eigentlich nichts mit meinem Körper zu tun hat.

Für uns ist das Menstruieren immer noch so etwas vor dem wir stehen und fassungslos bemerken: “Blut ohne Verletzung – wie krass ist das denn?!” und für mich, der jedes Fragenbogenkreuzkästchen vor den Worten “männlich” und “weiblich” mit einem massiven Körperdysmorphflash beantwortet, alles andere als der “Weiberkram”, zu dem es in der Werbung von Always ultra, o.B. und oft ja auch noch von den menstruierenden Menschen selbst, gemacht wird.

Ich glaube nicht an “heiliges Bluten” oder “die weibliche Kraft der Menstruation”, “Mondfrauen” und “rote Göttinnen” – aber ich finds schön, dass sich diese teilweise uralten Bilder gehalten haben. Eine große Urgöttin die Leben aus sich rauslassen kann, find ich auch grundsätzlich irgendwie cooler als eine “sicher und diskret” verstopfte Person.
Als die Email kam, waren andere Innens gerade schon auf der Suche nach günstigen Stoffbinden, weil unsere alten einfach mal ausgedient haben.

Eigentlich bluten wir frei und halten uns diese 3 Tage im Monat auch immer leer, damit das in Ruhe funktionieren kann, aber unser Herbst und Winter war so vollgestopft mit Terminen und Anwesenheiten, dass das alles gar nicht funktionierte. Darüber kam es dann auch mal wieder zu einer Infektion und der Mooncup musste auch ein bisschen ruhen.
Also konnte das Angebot diese super hochwertigen Stoffbinden von Kulmine zu testen gar nicht passender kommen.

Wir hätten nicht das Geld gehabt, sie uns als Set zu kaufen. Ganz klar nicht. Umso mehr Luxusgefühle kamen auf, als wir dann das Päckchen mit Seidenpapier drum rum in der Hand hatten und umso intensiver haben wir uns den Stücken gewidmet. (Wahrscheinlich hätte ich das sonst nicht mitbekommen und auch nicht gesagt: “Ja, gut, ich teste die auch und schreib dann als Innenmann übers Bluten”).
Das Erste, was uns auffiel, war wie weich der Stoff ist.
Ich will einen Schlafanzug aus dem Stoff – ohne Scheiß jetzt.
Sie sind nicht labberig, aber auch nicht steif. Das ist mir auch gleich aufgefallen. Auch nach der ersten Wäsche (60° normale Wäsche) sind sie nicht zerknüddelt und trocknen auch so, dass sich keine Knicke bilden. Unsere alten haben das gerne gemacht und das hat sich manchmal
als Scheuerfaktor echt fies bemerkbar gemacht .

Es gibt verschiedene Modelle. Welche zum Knöpfen, welche zum Reinlegen, kleine große, dünne dicke und: faltbare
Die haben sich für uns als die, die für uns am besten gehen herausgestellt, obwohl wir eigentlich eher zur Flügelfraktion gehören. Die faltbaren Kulmines sind etwa 25 cm lang und 21 cm breit und man kann sie sich jeweils so zurecht falten, wie es grad wichtig und gut ist.
Man sieht, wenn sie durchgeblutet sind (auch bei den roten und blauen Modellen) und ich hatte, trotzdem es ja doch ein kleines Polster ist, das man unter sich trägt, kaum dieses typische Bindenwindelgefühl.

Aber klar sind es Binden. Wir hatten Auslaufmomente, es gab Stoffwülste, die im Sitzen auf die Vulva gedrückt haben, diese komische Art von Präsenz, die der Versuch von “Auffangen, was nirgendwosonst landen soll” mit sich bringt. Ich habe gemerkt, dass ich genau wieder anfing Ekelmomente zu haben, die lange weg waren, nur weil ich wieder Unter- und Strumpfhosen kalt auswaschen musste. So werden auch die Kulmines für uns weniger Dauereinrichtung als viel mehr Ergänzung oder Ersatz für Mooncup und freie Menstruation darstellen.

Ich hab mir auf die Schulter geklopft, als ich die Testerei durch hatte und dachte kurz drauf, wie blöd, das eigentlich ist.
Für mich war das Bluten ganz früher gar nie im Kopf und wurde eigentlich auch erst zum Problem, als ich lernte, es sei nicht normal, dass ich mich männlich wahrnehme. Schließlich hat mein (der) Körper Merkmale, die zu der Bezeichnung “Frau” führen und schließlich menstruiere ich. Als könnten Männer nicht auch in solchen Körpern stecken.
Überhaupt, als gäbe es nur Männer und Frauen und maximal noch irgendwie so etwas dazwischen. So komische Exoten oder Intersexuelle.

Ich bin in weiten Teilen meiner Präsenz im Alltag damit beschäftigt, mir den Körper als meinen eigenen bewusst zu halten. Das heißt: ihn mit all seinen Bedürfnissen und Funktionen nicht zu dissoziieren. Früher bin ich einfach losgerackt und habe getan, was getan werden musste.
Essen, trinken, ausscheiden, schlafen, wärmen – gehörte damals aber nie dazu.
Heute weiß ich, dass auch das soziale Umfeld, mit dem wir uns umgeben haben, mir das auch nicht aushaltbar gestaltet hätte.
Es gibt ja viel Scheiße, der Frauen(körper) entsprechen sollen (müssen) um als passend und “richtig” wahrgenommen und behandelt zu werden. Und in Abgrenzung dazu gibt es viel Scheiße, der Männer(körper) entsprechen müssen.
Mein Umfeld wusste, dass ich ein Mann bin und immer, wenn ich präsent wurde, war ich es, der Zeugs schleppen, ganz besonders cool und hart re-agieren sollte. Dem Technik gefallen und der Rest der Welt egal sein sollte. Ich sollte “auf Frauen stehen”. Niemand hat mich je gefragt, obs mir nicht besser gefiele, an der Seite von Frauen zu sein – ich sollte immer auf ihnen stehen, oder sie haben wollen, was mir jedes Mal neben sozialem Druck, auch echt Widerwillen zu Beziehung oder Miteinander (mit Frauen) ausgelöst hat.

Inzwischen ist unser soziales Umfeld anders. Es ist eins, in dem meine Beschäftigung mit dem Körper und auch dem Bluten als so kräftezehrend und doch auch spannend und organisch angenommen wird, wie es das für mich ist.
Mir ist während der Bindentests aufgefallen, wie empfindlich meine Haut ist und wie groß diese Empfindung für mich war. Einfach zu fühlen: das da ist meine Haut. Sie ist an mir dran, umgibt mich und hält mich zusammen. Und eben auch zu merken, dass ich keinen Penis brauche, um der Mann zu sein, der ich bin. Ich brauche auch nicht die Abwesenheit von Brüsten, Uterus und Vulva, um ein Mann zu sein.
Was wichtig ist, ist was ich fühle, wie ich es fühle und wie ich diese Empfindungen bei mir behalten kann.

Ein Umfeld, das das Bluten peinlich und eklig findet und lieber nie darüber redet, macht es mir schwer damit einen Umgang zu haben, der unbelastet ist (was nicht heißt, dass ich finde, alle Menschen müssten immer darüber reden wollen!) Ich habe meine Ekelmomente nicht gehabt, weil ich das Menstruationsblut eklig fand, sondern, weil das Auswaschen einfach eklig ist. Ich betrachte das Blut immer lieber so wie es ist und eben nicht so vermatscht oder auf Stoff. Irgendwie kommt es mir dann einfach echter vor und so, als hätte es wirklich etwas mit mir zu tun.
Ich erlebe es als bereichernd, wenn ich fühlen kann, dass der Körper etwas mit mir zu tun hat und in allem, was er tut, okay ist. Die Stoffbinden von Kulmine habe ich dabei als gute Unterstützung empfunden, gerade weil ich sie so nutzen kann, wie ich sie ge-brauchen kann.

Zum Abschluss noch ein paar Menslinks
der Artikel von dem Trans-Mann, der menstruiert (englisch)
die Liste, was man mit Mensblut so anstellen könnte (englisch)
die Petition für pestizidfreie Menstruationsartikel
der Artikel zum Tabu “Menstruation + Sportler_Innen” (englisch)
der Kulmineshop
unser letzter Menstruationsartikel

Eisnacht

imEis“Wieso war mir das jetzt so wichtig nicht alleine nach Hause zu gehen?”, grimme ich mich selbst an.
Aus meinem Handy krümeln die Worte der Gemögten und legen eine Spur von dem Park, in dem ich meine Füße im Ententeich wiedergefunden habe, bis zu mir.

Ihr Mitleid ekelt mich fremd. Ich finde sie peinlich in ihrem Bemühen um uns. Die Angst tritt von innen gegen meine Haut und ich merke an mir, dass ich nicht nur einen Weg nach Hause suche, der die 3 Kilometer abkürzt, sondern mir auch ein Ausweg aus dieser Not.lage ist.
Wäre mein Mund nicht so verklebt würde ich schreien, glaube ich. Einfach nur so. Ohne Wörter.

Sie spricht von Wohnung umstellen, von Türen verschließen, von Zetteln an der Wohnungstür.

“Wenn ich jetzt so ein Loch unter der Nase hätte, dann könnte ich schreien.”, denke ich und ziehe meine durchnässten Hausschuhe aus. “Meine Schreie würden in den Ästen hängen bleiben und es würde aussehen, wie Laubgeister.”.
Sie fragt, ob ich noch da bin. Ich nicke. Sie schubst ihre Stimme noch eine Oktave höher. “Bist du noch da?!”.

Ich schnipse vors Handy. Denke an diese App mit der man einander beim Telefonieren sehen kann.
Sie hat schon wieder vergessen, dass ich keine Lautsprache kann. Sie vergisst ständig, dass ich Text brauche.

“Wieso werde ich ständig vergessen?”, denke ich und halte es für den besten ersten Schrei von mir.

Auf dem Gehweg vor dem Haus liegt der Schlüsselbund.
“Wie bescheuert kann man sein?”, knirsche ich hinter mich und nehme das kalte Metall in die Hand. Die Füße der Legosuperwoman streifen meine Handwurzel.

Die Gemögte will weiter reden. “Ich kann euch doch jetzt nicht allein lassen!”.
“Wenn ich jetzt losschreien würde, dann würde ich die Wohnung damit vergiften.”, denke ich und öffne die Tür, hinter der NakNak* wartet.

“Ich bin nicht mehr allein”, sagt die andere und legt ihr verfrorenes Vogelherz auf die Heizung.
Es ist 5 Uhr 37, als es aufhört weh zu tun und 7 Uhr 3, als ich ins Handy tippe:
„Es ist niemand „weggelaufen“.
Wer „wegläuft“ nimmt sein Handy nicht mit und schließt auch nicht die Tür hinter sich ab.“

Ich tippe auf „senden“ und ziehe die Decke etwas höher.
„Ich wäre gern mein eigener Schrei“, denke ich und schaue dem Tag beim heller werden zu.

 

9 Jahre später

Eislicht“Ist doch komisch, dass die Schneeflocken erst weiß sind und dann wasserfarbig.”.
Sie hockt mit dem Rücken zu den Windböen am Rand des gefluteten Ackers und betrachtet die Flocken auf den Ohren des Hundes, der auf ihren Füßen sitzt.
“Es ist kalt.”.
Die Worte klirren in ihr wie Eiskristalle.
Schmelzen. Laufen ihr vom Kinn herunter.

Der Wind drückt den Schneeschauer weiter
und zerreißt die Wolkendecke.
“Ich wusste gar nicht, dass wir einen Hund wollten.”
Die Sonne betrachtet sich zögerlich in den Pfützen.

Sie steht auf und steckt ihre Armstümpfe zurück in die Jackentaschen.
“Du?”, fragt sie, “Weißt du, wo zu Hause ist?”.

irgendwo sein

upupandawayUnd dann ist es doch wieder eine Zeit, in der ich in einen Telefonhörer hinein sage: “Ich weiß ja auch nicht, was ich bei der Frau Doktor soll. Meine Therapeutin hat gesagt…”

Ich bin da. Ich bin präsent und verhalte mich. Und alles zieht an mir vorbei.
Ich bemerke das, bin bewusst dafür, dass ich zur Zeit so viel dissoziiere wie zuletzt vor Jahren. Ich habe Wörter. Ich habe Ressourcen. Ich stapfe durch die Tage und bin und bin und bin.

Ich sitze vor meiner Neurologin und sage ihr: “Ich glaube nicht, dass es epileptische Anfälle sind. Ich weiß doch, wie meine Traumametaphorik ist.”. Ich schüttle den Kopf und erwarte eine Art blechernes Scheppern, das die ganze Welt durch meine Ohren wahrnehmen kann.

Die Neurologin und ich gehen ins elfte gemeinsame Jahr und ich habe immer noch das Gefühl einen Fehler zu machen, wenn ich von “uns” statt von “mir” spreche. Ich muss mir noch immer mein Menschenkostüm über die Ellenbogen ziehen, weil sich meine Seelenphysis auf ein jugendliches Mädchen zusammenkrümelt.
Noch immer kämpfen wir um die Unantastbarkeit des Verbotes von Benzos jeder Art, wenn wir die Treppen zu ihrer Praxis hochgehen.

Während wir uns gegenüber anderen Helfer_Innen, Mediziner_Innen und gemochten Kontakten immer wieder so aktiv um Bindung und Beziehung bemüht haben, um letztlich zu scheitern, so irrelevant waren diese Kämpfe und Bemühungen bei ihr. Wir sind immer wieder als undefiniertes Wurschtelknäul bei ihr aufgeschlagen und als undefiniertes Wurschtelknäul wieder gegangen, ohne, dass es ihre Position als unsere behandelnde Ärzt_In oder unsere als Patient_In berührt hätte.

Sie sagt nicht so bohrende Dinge wie: “Das macht Ihnen Angst, nicht wahr?”, wenn ich sage, dass ich alle 2 bis 3 Tage die Kontrolle über meinen Körper verliere. Sie fragt, was ich davon merke, was ich dazu denke. Ich habe nie den Eindruck, dass ich mit ihr über meine Gefühle dazu reden müsste. Es ist irrelevant für unser Gespräch, unseren Kontakt, für ihr Bild von mir, ob ich das tue oder nicht.
Ich bilde mir ein, dass sie nicht über mich nachdenkt und das erleichtert mich.

Ich glaube, sie ist die einzige Helfer_In hier in der Stadt, die alle unsere Vermeidungstänze und Krankheits- oder auch Symptomkonstruktionen chronologisch mitbekommen hat.
Von “das sind die Anderen- ich weiß auch nicht” bis “vielleicht habe ich einen Tumor” bis “haben mich die Medis, die ich als Jugendliche kiloweise essen musste, vielleicht hirnkrank gemacht?” bis “ich bin Viele aber nicht die Anderen” – ist alles schon in Wörterschlangen aus unserem Kopf in ihren hineingekrabbelt und hat nichts bewirkt.

Am Montag haben wir unsere Akte bei ihr gesehen.
Ein ganz schmales Papierstäpelchen mit Klinikberichten und Konsiliarberichten drin.
Ich glaube, das ist die erste Akte zu uns, die ordentlich, sachlich, ganz und gar unbedrohlich ausgesehen hat.
Irgendwie einfach nur da. Nur präsent und weiter nichts.
Wir hatten auch schon Akten von uns in der Hand und vor Augen, die man mit beiden Händen tragen musste und aus denen an den Rändern Zettel herauslugten, wie Maden aus einer Biotonne.

Am Montag saß ich in ihrem Zimmer und bemerkte, dass es mir oft fehlt zu fühlen, dass nur relevant ist, was ich selbst auch weiß. Dass das gemeinsame Wissen das ist, was ich weiß. Über mich, über mein Viele sein, über die wissenschaftliche Seite der Dissoziation über meine Empfindungen dazu. Ich habe gespürt, wie viel freier ich Dinge bei ihr ausdrücke, gerade, weil sie nicht wie meine Therapeutin sagt (und sagen kann) “Ich weiß Dinge über dich und dein Leben, die du nicht weißt”.

Sie hat mich gefragt, ob ein Klinikaufenthalt eine Option wäre.
Ich erinnerte sie daran, dass sie mir vor einem halben Jahr gesagt hatte, die beste Option sei die ambulante Psychotherapie. Und sie sagte: “Wenn es Ihnen aber immer schlechter geht, dann stimmte das nicht.”. Einfach so.
Weil es mir ‘schlechter’ geht, ist ihre Annahme falsch gewesen. Nicht ich. Nicht das, was ich mit meiner Präsenz auslöse.

Irgendwie beruhigt das etwas und ein paar Jemande in mir.
Es gibt so viele Menschen, denen ich Angst mache. Die unruhig werden, wenn ich da bin. Es gibt so viel an mir, das Menschen einfach nicht stehen lassen können. Nicht bei sich selbst verorten möchten. Es gibt so viele Menschen, die mich irgendwohin schicken, ohne mir zu sagen, warum ich dort überhaupt hin und sein soll.

 

 

außer…

mehr Kunst machen, habe ich mir gewünscht
und gedacht
ich versuche einfach mehr
ich habe mir Tintenfedern gekauft und Tusche
und gemerkt, dass es gut funktioniert
obwohl ich linkshändig arbeite
ich hab ein Skizzenbuch gekauft
und gedacht, dass ich alle Techniken,
die mit dem üblichen Skizzenblock nicht gehen,
probieren werde
und dann habe ich Acryl mit Serviettentechnik
Wasserfarben und Liner,
Tusche und Bleistift,
Buntstift und Fasermaler,
Tee und Bleistift,
vermischt
und dann
muss ich versuchen nicht zu weinen,
weil mir auffällt, was alles möglich ist
außer
auszudrücken, was unter meiner Haut erinnert wird