06072020

Ich sitze im Zug. Die Fahrt geht nach Bielefeld, wo meine Psychotherapeutin ihre Praxis hat.
Gut 120 Kilometer sind zu überwinden. Eineinhalb Stunden fahre ich Zug, 20 Minuten fährt der Freund mich vorher zum Bahnhof, manchmal hat er dabei selbst Arbeitstermine vor oder hinter sich.
Ich übernachte bei einer Freundin. Zwei Mal am Tag so eine Fahrt würde mich so erschöpfen, dass ich den Rest der Woche zur Erholung brauche. So dauert es nur 2 Tage bis ich wieder auf meine ganze Arbeitsfähigkeit von 3 Stunden am Tag komme.

Die Therapeutin und ich arbeiten seit 8 Jahren zusammen. Die Krankenkasse hat vielleicht 2 oder 3 davon bezahlt.
Sie ist keine DIS-Spezialistin und auch keine Autismus-Spezialistin. Sie ist eine gute Psychotherapeutin, die sich regelmäßig fortbildet, Supervision in Anspruch nimmt und in den Urlaub geht, wie sie ihn braucht. Wie selten das unter Psychotherapeut_innen ist, habe ich in aller Schmerzlichkeit erleben müssen.

Es gibt für die Psychotherapie der dissoziativen Identitätsstörung noch keinen einheitlichen Behandlungsstandard. Es gibt fundierte Empfehlungen, Behandlungserfahrungen, eine Leitlinie. Und die Behandlung, die jedes Arbeitsteam durch mühsames “Trial-and-Error” entwickelt.

Es gibt keinerlei Erwähnung von autistischen Menschen mit komplexer Traumafolgestörung in der Fachliteratur.
Bei Wirksamkeitsstudien werden Menschen mit ASS aufgrund ihrer Behinderung praktisch prinzipiell ausgeschlossen.

Wenn ich die Stufen zur Praxis hochlaufe, ist mein linker Fuß „Ich lass mich drauf ein“ und mein rechter Fuß „Ich lass mich nicht drauf ein“. In den letzten 8 Jahren endete ich immer auf dem linken Fuß vor der Tür mit ihrem Namen am Klingelschild. Die Praxis ist einige Male umgezogen. Jedes Mal hatte ich Panik, was passieren würde, wäre es eine Stufenanzahl, die mich auf rechts landen lässt.

Ich habe ihr nie davon erzählt.

der Bindentest und die Männlichkeit im menstruierenden Körper

Es begann mit einer Mail, in der sinngemäß stand: “Möchten Sie Kulmine-Stoffbinden testen und darüber in ihrem Blog schreiben?” und mündete in ein Moment, in dem mir klar wurde, dass meine Männlichkeit eigentlich nichts mit meinem Körper zu tun hat.

Für uns ist das Menstruieren immer noch so etwas vor dem wir stehen und fassungslos bemerken: “Blut ohne Verletzung – wie krass ist das denn?!” und für mich, der jedes Fragenbogenkreuzkästchen vor den Worten “männlich” und “weiblich” mit einem massiven Körperdysmorphflash beantwortet, alles andere als der “Weiberkram”, zu dem es in der Werbung von Always ultra, o.B. und oft ja auch noch von den menstruierenden Menschen selbst, gemacht wird.

Ich glaube nicht an “heiliges Bluten” oder “die weibliche Kraft der Menstruation”, “Mondfrauen” und “rote Göttinnen” – aber ich finds schön, dass sich diese teilweise uralten Bilder gehalten haben. Eine große Urgöttin die Leben aus sich rauslassen kann, find ich auch grundsätzlich irgendwie cooler als eine “sicher und diskret” verstopfte Person.
Als die Email kam, waren andere Innens gerade schon auf der Suche nach günstigen Stoffbinden, weil unsere alten einfach mal ausgedient haben.

Eigentlich bluten wir frei und halten uns diese 3 Tage im Monat auch immer leer, damit das in Ruhe funktionieren kann, aber unser Herbst und Winter war so vollgestopft mit Terminen und Anwesenheiten, dass das alles gar nicht funktionierte. Darüber kam es dann auch mal wieder zu einer Infektion und der Mooncup musste auch ein bisschen ruhen.
Also konnte das Angebot diese super hochwertigen Stoffbinden von Kulmine zu testen gar nicht passender kommen.

Wir hätten nicht das Geld gehabt, sie uns als Set zu kaufen. Ganz klar nicht. Umso mehr Luxusgefühle kamen auf, als wir dann das Päckchen mit Seidenpapier drum rum in der Hand hatten und umso intensiver haben wir uns den Stücken gewidmet. (Wahrscheinlich hätte ich das sonst nicht mitbekommen und auch nicht gesagt: “Ja, gut, ich teste die auch und schreib dann als Innenmann übers Bluten”).
Das Erste, was uns auffiel, war wie weich der Stoff ist.
Ich will einen Schlafanzug aus dem Stoff – ohne Scheiß jetzt.
Sie sind nicht labberig, aber auch nicht steif. Das ist mir auch gleich aufgefallen. Auch nach der ersten Wäsche (60° normale Wäsche) sind sie nicht zerknüddelt und trocknen auch so, dass sich keine Knicke bilden. Unsere alten haben das gerne gemacht und das hat sich manchmal
als Scheuerfaktor echt fies bemerkbar gemacht .

Es gibt verschiedene Modelle. Welche zum Knöpfen, welche zum Reinlegen, kleine große, dünne dicke und: faltbare
Die haben sich für uns als die, die für uns am besten gehen herausgestellt, obwohl wir eigentlich eher zur Flügelfraktion gehören. Die faltbaren Kulmines sind etwa 25 cm lang und 21 cm breit und man kann sie sich jeweils so zurecht falten, wie es grad wichtig und gut ist.
Man sieht, wenn sie durchgeblutet sind (auch bei den roten und blauen Modellen) und ich hatte, trotzdem es ja doch ein kleines Polster ist, das man unter sich trägt, kaum dieses typische Bindenwindelgefühl.

Aber klar sind es Binden. Wir hatten Auslaufmomente, es gab Stoffwülste, die im Sitzen auf die Vulva gedrückt haben, diese komische Art von Präsenz, die der Versuch von “Auffangen, was nirgendwosonst landen soll” mit sich bringt. Ich habe gemerkt, dass ich genau wieder anfing Ekelmomente zu haben, die lange weg waren, nur weil ich wieder Unter- und Strumpfhosen kalt auswaschen musste. So werden auch die Kulmines für uns weniger Dauereinrichtung als viel mehr Ergänzung oder Ersatz für Mooncup und freie Menstruation darstellen.

Ich hab mir auf die Schulter geklopft, als ich die Testerei durch hatte und dachte kurz drauf, wie blöd, das eigentlich ist.
Für mich war das Bluten ganz früher gar nie im Kopf und wurde eigentlich auch erst zum Problem, als ich lernte, es sei nicht normal, dass ich mich männlich wahrnehme. Schließlich hat mein (der) Körper Merkmale, die zu der Bezeichnung “Frau” führen und schließlich menstruiere ich. Als könnten Männer nicht auch in solchen Körpern stecken.
Überhaupt, als gäbe es nur Männer und Frauen und maximal noch irgendwie so etwas dazwischen. So komische Exoten oder Intersexuelle.

Ich bin in weiten Teilen meiner Präsenz im Alltag damit beschäftigt, mir den Körper als meinen eigenen bewusst zu halten. Das heißt: ihn mit all seinen Bedürfnissen und Funktionen nicht zu dissoziieren. Früher bin ich einfach losgerackt und habe getan, was getan werden musste.
Essen, trinken, ausscheiden, schlafen, wärmen – gehörte damals aber nie dazu.
Heute weiß ich, dass auch das soziale Umfeld, mit dem wir uns umgeben haben, mir das auch nicht aushaltbar gestaltet hätte.
Es gibt ja viel Scheiße, der Frauen(körper) entsprechen sollen (müssen) um als passend und “richtig” wahrgenommen und behandelt zu werden. Und in Abgrenzung dazu gibt es viel Scheiße, der Männer(körper) entsprechen müssen.
Mein Umfeld wusste, dass ich ein Mann bin und immer, wenn ich präsent wurde, war ich es, der Zeugs schleppen, ganz besonders cool und hart re-agieren sollte. Dem Technik gefallen und der Rest der Welt egal sein sollte. Ich sollte “auf Frauen stehen”. Niemand hat mich je gefragt, obs mir nicht besser gefiele, an der Seite von Frauen zu sein – ich sollte immer auf ihnen stehen, oder sie haben wollen, was mir jedes Mal neben sozialem Druck, auch echt Widerwillen zu Beziehung oder Miteinander (mit Frauen) ausgelöst hat.

Inzwischen ist unser soziales Umfeld anders. Es ist eins, in dem meine Beschäftigung mit dem Körper und auch dem Bluten als so kräftezehrend und doch auch spannend und organisch angenommen wird, wie es das für mich ist.
Mir ist während der Bindentests aufgefallen, wie empfindlich meine Haut ist und wie groß diese Empfindung für mich war. Einfach zu fühlen: das da ist meine Haut. Sie ist an mir dran, umgibt mich und hält mich zusammen. Und eben auch zu merken, dass ich keinen Penis brauche, um der Mann zu sein, der ich bin. Ich brauche auch nicht die Abwesenheit von Brüsten, Uterus und Vulva, um ein Mann zu sein.
Was wichtig ist, ist was ich fühle, wie ich es fühle und wie ich diese Empfindungen bei mir behalten kann.

Ein Umfeld, das das Bluten peinlich und eklig findet und lieber nie darüber redet, macht es mir schwer damit einen Umgang zu haben, der unbelastet ist (was nicht heißt, dass ich finde, alle Menschen müssten immer darüber reden wollen!) Ich habe meine Ekelmomente nicht gehabt, weil ich das Menstruationsblut eklig fand, sondern, weil das Auswaschen einfach eklig ist. Ich betrachte das Blut immer lieber so wie es ist und eben nicht so vermatscht oder auf Stoff. Irgendwie kommt es mir dann einfach echter vor und so, als hätte es wirklich etwas mit mir zu tun.
Ich erlebe es als bereichernd, wenn ich fühlen kann, dass der Körper etwas mit mir zu tun hat und in allem, was er tut, okay ist. Die Stoffbinden von Kulmine habe ich dabei als gute Unterstützung empfunden, gerade weil ich sie so nutzen kann, wie ich sie ge-brauchen kann.

Zum Abschluss noch ein paar Menslinks
der Artikel von dem Trans-Mann, der menstruiert (englisch)
die Liste, was man mit Mensblut so anstellen könnte (englisch)
die Petition für pestizidfreie Menstruationsartikel
der Artikel zum Tabu “Menstruation + Sportler_Innen” (englisch)
der Kulmineshop
unser letzter Menstruationsartikel