Konflikt und Traumalogik – Sicherheitsbedürfnisse und ein Umbau bei laufendem Betrieb

Nach dem dritten oder vierten emotionalen Flashback voller Verzweiflung und Angst habe ich den Auslöser verstanden. Und möchte meinen Kopf eigentlich gleich wieder vergraben, denn Wissen ist nichts ohne Macht.

Aber von vorn.
Ich bin in einem Konflikt mit jemandem. Und das ist eine Sache von verschiedenen Zeitebenen, Annahmen und Überlegungen. Ich hatte schon länger einen Punkt, war schon länger nicht zufrieden oder allgemein gesagt „glücklich“ mit dem Kontakt. Und habe nichts gesagt. Klassiker der Problemkreation, ja, wer kennt das nicht.
Darunter gibt es noch die Ebene, auf der die Gründe dafür liegen.
Der Person ging es sehr lange, sehr umfassend schlecht wegen Dingen, die nichts mit mir zu tun hatten. Ich wollte für sie da sein und war es auch. Ich habe zugehört, mitanalysiert, mitgefühlt, getröstet, Lösungen gesucht und zu vermitteln versucht.
Während es mir in den Wochen vor und auch nach Sookies Tod so schlecht ging, wie lange nicht. Während ich in eine neue Arbeit ging und die alte mitnahm, die zwischenzeitlich extrem belastend war. Parallel zu der emotionalen Achterbahn, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergeht.

Für mich liegen auf dieser Ebene einige Momente, in denen ich mich nicht gesehen gefühlt und das immer wieder mit der Erklärung weggedrückt habe, dass man diese Art von Support und Begleitung, die ich mir wünschte, auch leisten können muss. Und dass diese Person es einfach nicht kann. Jetzt gerade. Schon länger. Und vermutlich auch noch eine ganze Weile nicht. Dass das keine Aussage über mich ist. Dass das keine Aussage über unsere Beziehung ist. Dass das alles nur bedeutet, dass diese Person jetzt einfach um sich selbst kreisen muss und es bei mir liegt zu entscheiden, ob ich weiter mitkreise oder nicht.
Man kann ja auch Pausen voneinander einlegen und sich wiederfinden. Vielleicht irgendwann. Wenn es sich ergibt.

So lose und unverbindlich funktioniere ich nur leider nicht.
Kontakte mit anderen Menschen sind so anstrengend und fordernd für mich, dass ich eine Funktion, ein Ziel und klare Rahmenbedingungen brauche. Ich treffe niemanden anlasslos, ich bin nicht mit Menschen zusammen, die eventuell vielleicht dann spontan überlegen wollen, was wir wofür und wie miteinander machen.
Das hat etwas mit meinem traumabedingten Sicherheitsbedürfnis zu tun – aber auch damit, dass ich ein angenehmer Kontakt sein will. Ein fähiger, belastbarer Kontakt, der sich an das Zusammenkommen auch noch erinnern kann und nicht zu Hause angekommen komplett crashed, weil keine Energie mehr verfügbar ist.

Man kann diese Eigenschaft so framen, dass ich nur Kontakte will, die meinem gierigen Ego etwas bringen und die ich kontrollieren kann – man kann sie aber auch als gelebte Selbstfürsorge, Therapieerfolg in action und soziale Traumafolgereaktion begreifen. Und zwar gleichzeitig.
Wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt gehe, ist meine Komfortzone etwa 50 Kilometer hinter mir. Bei Menschen, die ich schon länger kenne (also round about 10,12, 13 Jahre), etwa 10. Es ist nichts und wird vielleicht auch nie etwas sein, das ich ohne Druck von meinem überlebenswichtigen Kontaktbedürfnis mache.
Und doch gibt es auch darin eine Ebene von Wohlfühlen, Genuss, Spaß, Inspiration und Wachstumspotenzialen. Nur weil es sauschwer für mich ist, heißt es nicht, dass es keinen Spaß macht oder immer schwer ist. Aber die Anstrengung, meinen sicheren Bereich zu verlassen, ist immer da und inzwischen, endlich, nach tausend Therapiejahren, auch etwas, das ich meinem „Gewinn“ daraus entgegenstelle.

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Früher habe ich mir diesen „Gewinn“ immer eingeredet und heute bin ich zunehmend streng mit mir, was das angeht. Ein bisschen Einrederei ist gut – das kann motivieren. Aber wenn es so viel ist, dass es Selbstbeschiss wird, dann ist es selbstverletzendes beziehungsweise in meinem Fall auch ein soziales Trauma reinszenierendes Verhalten aufgrund von traumalogischer Überlegung (von Kinderinnens und Jugendlichen). Vor allem dann, wenn ich als erwachsener Anteil lieber das glauben will, als die Realität zu sehen und mich damit zu befassen.

In meinem aktuellen Konflikt ist mir diese Einrederei aufgefallen. Und irgendwann auch, dass ich schon länger verpasst habe, darauf zu achten, was ich mir für den Kontakt mit der Person eingeredet habe. Was ich mir und uns alles versprochen habe, was wir auch von dem Kontakt hätten, ohne nach innen zu erklären oder zu trösten oder nach außen zu handeln, als sich nichts davon eingestellt hat.
In diesem Nimbus nach Sookies Tod war jeder Kontakt ein Gewinn, einfach, weil wir dann zeitweise nicht allein waren. Es war dieser verletzliche Zeitraum, in dem man uns auch hätte ernsthaft verletzen und ausnutzen können und wir es nicht als verletzend oder ausnutzend empfunden hätten. Weil wir ja nicht allein waren in der Zeit.

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Aus Gründen, die mir jetzt fern und fremd erscheinen, dachte ich, es würde reichen, der Person, mit der ich den Konflikt habe, das zu sagen. Das hat es aber nicht.
Auch das ist etwas, worüber ich mich heute total ärgere. Weil ich genau solche Unachtsamkeiten ja eigentlich kenne, täglich kompensiere und sogar eine Phrase dazu kenne: „Die_r Auti sagts ein Mal und hat damit alles geklärt. Die_r Neurotypische sagt: Woher hätte ich wissen sollen, wie wichtig dir das ist – du hast ja nur ein Mal was gesagt.“

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Ich wurde also schon länger enttäuscht, habe mich nicht gesehen gefühlt und als ich etwas dagegen tun wollte, wurde auch das übergangen.
Aber der Person ging es so schlecht, dass ich wochenlang auf Anzeichen von Suizidalität geachtet habe. Es war nicht die Zeit für das, was ich zu dem Zeitpunkt schon längst als mein albernes, erbärmliches, komplett bescheuertes Mimimi empfand. Denn wer in der Zeit vor allem für mich da war, um unsere Einsamkeit, meine Trauer und unsere allgemeinen Verlorenheitsgefühle logisch zu machen, waren (und sind) Täter_innenintrojekte.
Ich reagierte nicht mehr auf Nachrichten der Person, die für mich einigermaßen abrupt nichts mehr über ihre inneren Vorgänge schrieb, sondern über ihre veränderte Lebensumgebung. Für mich waren die Nachrichten ein weiteres Krisenanzeichen und Merkmal eines verschlechterten Allgemeinzustandes. Wer sich nicht mehr fühlt, kann halt auch nichts mehr dazu schreiben. Wer sich nicht mehr fühlt, kann andere nicht mehr fühlen. Ich wusste, dass der gewaltvolle Innenterror, mit dem ich zu kämpfen habe, im Kontakt mit der Person in diesem Zustand immer neues Futter finden würde. Egal, wie minimal die Unachtsamkeit, die Nichtbeachtung sein würde – sie würde reichen, um Prozesse in mir zu starten, die mich tiefgreifend und grundlegend verletzen, in Flashbacks stoßen und im Gefühl maximaler Ohnmacht zurücklassen.
Völlig egal, ob die Person noch in der Krise ist oder nicht – also egal, ob sie sich und mich gerade fühlen kann oder nicht.

Das ist einer dieser sozialen Aspekte von Traumafolgestörungen, wo mein Autismus praktisch nicht mehr von meiner Traumafolgestörung zu unterscheiden ist. Ich kann die Lage einfach nicht lesen, nicht richtig bzw. eindeutig und real-objektiv einordnen, abschätzen, abgrenzen, bewerten. Damit habe ich absolut keine Chance auf Klarheit, festen Boden, Ordnung … die grundlegende Sicherheit, die einfach jeder Mensch für jeden Kontakt braucht.
Egal, ob autismus- oder traumabedingt ist die Lage für mich belastend und gerade im jüngsten Verlauf auch retraumatisierend, wenn ich nicht ganz bewusst reflektierend, meine Ressourcen nutzend damit umgehe. Also nicht – wie es sich sicher anfühlt – dazu schweige, mir keinen Trost und Versicherung von außen hole und nur meine eigene Position sichernd darüber nachdenke.

Mir hilft es gerade, diesen Komplex wie ein Mehrebenenmodell zu betrachten, in dem verschiedene Strömungen und Sachstände zusammenkommen, weil es ihn weniger persönlich macht und mir Sicherheit durch Klarheit gibt.
Im Moment stehen immer wieder Scham über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche an diesen Kontakt im Vordergrund. Immer wieder merke ich, dass wir uns in einem perfiden Gedankenspiel darum befinden, was wir hätten besser oder anders machen können – das wir nie beenden können, weil der Zeitpunkt vergangen und die Person gerade nicht mit uns im Kontakt ist. Aber zur Sicherheit – zum Wohlbefinden in dieser Kacksituation – geht das immer wieder los. Das ist bekannt. Das verspricht das Finden eines zukünftigen Handelns, in dem uns das nicht nochmal passiert. Ohne dieses Versprechen je einlösen zu können, denn das Leben ist nicht so kontrollierbar. Aber man weiß ja nie!

*

Das so hingeschrieben klingt so klar und überlegt. Das ist es auch. Das ist die Ebene, die ich gut kann. Ich kann super gut intellektualisieren und analysieren. Auch solche Situationen.
Womit ich aber gerade an den Rand meiner Kraft komme, ist der emotionale Teil. Der Teil, der mich gewissermaßen gemacht hat. Das Kompensieren emotionaler Nichtverfügbarkeit von anderen Menschen. Das Funktionieren, obwohl weite Teile meines psychischen Systems massiv Bedürfnismeldungen auf mich pressen, die ich nicht mit meinem Intellekt, meiner geistigen Haltung, meiner Selbstmotivation befriedigen kann. Ich kann ihnen (mir) in der Angelegenheit (noch) nicht (immer und effizient) helfen.
Und das ist ein massiver Trigger.

Und das ist jenes Wissen, das mir überhaupt nichts bringt, wenn ich nicht die Macht/die Kontrolle/die Kraft/die Kenntnis/die Fähig- und Fertigkeiten habe, daran etwas zu ändern.

Und so ist auch diese Situation wieder ein Umbau bei laufendem Betrieb.
Ich versuche mein Gefühl von Klarheit über die Situation zu einem Sicherheitsgefühl zu konvertieren, das auch die Inneren fühlen können. Ich muss darauf achten, meinen Anteil an diesem Konflikt nicht größer werden zu lassen, als er ist – damit die Inneren merken, dass so etwas nicht dafür taugt, mich als Person zu bewerten. Und ich muss üben, wie es ist und was es mit mir macht, wenn ich ihre Bedürfnisse fühle. Wie viel Kontrolle verliere ich, wann und warum, wenn ich ihre Ängste spüre? Kommt es zu Wechseln? Wenn ja: Kann ich sie beeinflussen? In welcher Art? Kommt es zu Flashbacks? Welches Handeln unterbricht sie? Wie viel davon ist wirklich so wort- und kopflos, wie ich es befürchte? Welche Umstände sind gerade gut für diese Auseinandersetzung und welche nicht? Was gibt mir Sicherheit während dieses Prozesses von ständigem Probieren, Wahrnehmen, Kontrolle verlieren, Angst haben, mich ohnmächtig erleben und trotzdem zurück in die Kontrolle arbeiten?

Und auch: Wie dringend muss es diese Person sein? Wie wichtig ist es, wofür ganz objektiv und ganz subjektiv und ganz ideell, dass dieser Kontakt bestehen bleibt?
Die Person will uns keinerlei Sicherheiten über Klärungsräume oder -potenziale geben – woraus können wir alternativ Kraft und Sicherheitsgefühle ziehen, um eventuell vielleicht doch gegebene Chancen in der Zukunft effektiv zu nutzen? Und ist ein Kontakt, der uns keine Sicherheiten geben will, ein sicherer Kontakt? Wie wichtig ist uns Sicherheit in diesem Zusammenhang? Woraus haben wir vor dem Konflikt Sicherheiten für uns gezogen? Steht das jetzt alles infrage oder fühlt es sich nur sicherer an, es in Frage zu stellen?
Welche Dinge wie alleingelassen werden, nicht gemocht/bestraft werden wegen Selbstausdruck, Dinge zeitlich nicht überschauen können sollen, sind Folgen eines Angriffs (aus Selbstverteidigung oder Kontroll/Sicherheitsbedürfnis) und welche sind Annahmen, die wir machen, weil wir sie für unsere Traumalogik brauchen (um uns sicher zu fühlen)? Welche anderen Logiken können wir jetzt anwenden?

*

Das ist ziemlich viel für eine_n allein.
Und ich habe noch viele andere Dinge zu bearbeiten.
Die leichter sind. Die nicht so wehtun. Für die ich schneller und sicherer auch belohnt werde.

Grmpf.
Ich will meine Dissoziation zurück.
Mimimi 😅

Autismus und Ver.Bindung #2

Bindung ist ein Ergebnis von Kommunikation.
Von guter Kommunikation, von schlechter Kommunikation. Von Kommunikation, die mit beliebigem Adjektiv beschrieben werden kann. Egal, wie kommuniziert wird, es wird immer eine Ver.Bindung hergestellt. Auf Basis dessen werden die verschiedenen Kommunikationskanäle trainiert und ausgestaltet. Die Bindung, die Kinder mit ihrer Familie aufbauen, gilt als der erste Entwicklungsraum dafür. Man weiß, wie wichtig stabile Beziehungen zu Menschen sind, welche die Grundbedürfnisse der Kinder an.er.kennen und sie dabei begleiten, sie erfüllt zu bekommen. Wie wichtig es ist, dass die Gefühle von Kindern auch von außen wahrgenommen, eingeordnet und begleitet werden. Wie wichtig es noch bis in die Jugendzeit ist, beim Prozessieren bestimmter Erfahrungen und Gefühle unterstützt zu sein.

Bindung und Bindungsstörungen werden entsprechend häufig im Kontext von (früher) Kindheit und (komplexem) Trauma besprochen. Es gibt sehr viele Forschungsergebnisse zu den schwerwiegenden Folgen von Vernachlässigung und Bindungsstörungen. Und sehr viel Text zu Autismus als Bindungsstörung. Vor allem viel misogynen Text. Denn als erste und in den Leben vieler Menschen einzige Bezugsperson für Kinder galt die Mutter. Bis heute hält sich das Bild vom reinen, intuitiv richtigen Mutterinstinkt, der dafür sorgt, dass eine Person ganz einfach aus sich selbst heraus einem Kind ganz und gar gerecht werden kann. Und das mit Leichtigkeit, denn natürliche Reflexe und Instinkte, sind keine Arbeit. Nichts, was man bewusst und aktiv erlernen oder trainieren muss. Nichts, was auch etwas vom Kind oder dem sozialen Umfeld erfordert.

Ich weiß nicht und werde vermutlich auch nie erfahren, wie ich als Kind war. Als Erwachsene kann ich heute nur mutmaßen und von den Erinnerungen, die ich inzwischen an meine Kindheit habe, rückschließen. Im Wissen, um meine Traumawahrheiten, muss ich dabei auch darauf achten, mich nicht störungsverantwortlich zu machen. Ver.Bindung erfordert Kommunikation. Kommunikation erfordert Sender und Empfänger in Kongruenz. Die gleiche Wellenlänge sozusagen. Und die Fähigkeit, die eigene Wellenlänge auf das Gegenüber anpassen zu können.

Ich erinnere mich sehr deutlich daran, wie relevant der Satz „Das hab ich nicht gehört“ oder „Ich hab dich nicht gehört“ in meiner Kindheit war. Meine Eltern haben mich oft ohrenärztlich untersuchen lassen. Mein Gehör war jedoch in Ordnung. Heute kenne ich die ICD 10 Nummer F 80.20, die Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung [AVWS]. Heute verstehe ich, welche Annahmen andere Menschen allein aufgrund meiner Schreib- und Sprechfertigkeiten (Hyperlexie) hatten.
Und, dass sie falsch waren, ohne, dass ich irgendetwas hätte tun können, um sie zu berichtigen. Ich konnte sehr schnell sehr gut lesen und schreiben – und Worte sehr gut aussprechen – hatte aber ein unterdurchschnittliches Bedeutungsverständnis. Ein unvorstellbarer, nicht nachvollziehbarer Widerspruch für viele Menschen. Man verstand mich als clever, aufmerksam und sehr gezielt in allem, was ich als Sender_in ausgab. Niemand hatte eine Ahnung davon, wie sehr meine Kommunikation auf bloßer Wiedergabe ich-fremder Inhalte beruhte. Was nicht bedeutet hat, dass meine Kommunikation selbst auch ich-fremd war. Ich wusste, dass ich, um mit anderen verbunden zu sein, etwas sagen und auf das reagieren musste, was sie sagten. Und ich wusste, dass es relevant ist, was man, wem wann wie sagt. Die lautsprachliche Kommunikation war damit schon damals das Puzzle, das ich bis heute in jedem Kontakt zusammenbringen muss. Und auch ganz gut kann, denn mein Wort-(bildliches) Gedächtnis ist durch das viele Lesen seit meiner Kindheit umfang- und abwechslungsreich.

Als ich in der Grundschule mit Hörspielkassetten in Kontakt kam, trainierte ich unwissentlich auch meine auditive Wahrnehmung. Meine Kassetten waren das Spezialinteresse, das man bei mir übersah. Während mein autistisches Geschwist über Straßenbahnhaltestellen, Mülltonnen und Pokémon referierte und Plüschtiere im Bett aufreihte, sammelte ich Kassetten nach Verlag und Sprecher_innen und konnte jede einzelne mitsprechen, bevor ich ihren Inhalt auch verstand. Die Kassetten wurden mir das Hilfsmittel zur Barrierenüberwindung, wie es schriftliche Kommunikation bis heute für mich ist.
Die Kassettengespräche konnte ich so oft anhören, wie ich sie brauchte. Da bei einem Hörspiel immer auch mitgedacht wird, dass die Hörenden die Umstände eines Gespräches nicht aus der Körpersprache und der (sozialen) Umgebung schließen können, werden diese Aspekte explizit genannt oder beschrieben. Das war für mich, als würden im Hörspiel die „Störgeräusche“, die in meinem Lebensalltag immer wieder dazu führten, dass ich zum Beispiel meine Eltern „nicht hören konnte“, einfach ausgeschaltet sein. So kam ich in die Lage, Inhalte auch kontextuell zu begreifen und nicht nur wie eine Art Schnellfeuer aus Geräusch und Anspruch in einer Umgebung voller verschiedener Reizschnellfeuer und Ansprüche an die Reaktion darauf.

Als ich sehr klein war, hatte ich diese Hilfsmittel noch nicht. Die Wahrnehmungswelt in der ich er_lebte, stelle ich mir heute als zwangsläufig chronisch stressend, chronisch überfordernd vor. Die verbindende Kommunikation mit anderen Menschen als praktisch unmöglich. Ich nehme an, dass ich eventuell nie einen Unterschied „sehen“ konnte zwischen absichtsvoller Misshandlung und liebevoller Zuwendung.
Überhaupt zu verstehen, was gerade vorgeht – in welchem Kontext ich und das aktuelle Geschehen, in das ich involviert bin, passiert – ist bis heute die Herausforderung, mit der ich (wie andere Autist_innen auch) zu kämpfen habe. Und an der ich weitaus häufiger scheitere, als man es mir anmerkt, geschweige denn zutraut.

Das Ausmaß an Anstrengung, die mit der Kompensation dieser sogenannten „Kontextblindheit“ einhergeht, ist enorm. Das Ausmaß der Überlegenheit von Menschen, die damit keine Schwierigkeiten haben, ebenfalls. Ich bin darauf angewiesen, immer die Kraft dafür zu haben, Erlebtes und Erfahrenes analytisch zu prozessieren. Häufig als „overthinking“ missverstanden, ist es meine einzige Chance zum Selbstschutz und zur Anpassung im Kontakt mit anderen Menschen und gleichzeitig das Verhalten, das mir am häufigsten als Grund für meine psychische Belastung vorgehalten wurde.
Da der Kontext die Kommunikation zwischen Menschen maßgeblich bestimmt, gehen meine Kontaktschwierigkeiten, meine Ver.Bindungsprobleme mit anderen, entsprechend weit über Themen wie Vertrauen, einander mögen und die richtigen Worte im richtigen Moment hinaus.

Tieren hingehen, ist der Kontext oft weniger wichtig. Entsprechend viel leichter fällt es mir, mit ihnen in Kontakt zu gehen und in Ver.Bindung zu sein. Selbst wenn sie mich sensorisch überreizen oder der Kontext über unseren Kontakt hinaus diese Ver.Bindung nicht unterstützt. Um einen Hund zu verstehen, brauche ich mich nicht im Geringsten anstrengen. Ich weiß, dass Straßen scheiße laut und chaotisch unübersichtlich sind. Ich fühls – ein Hund muss mir das nicht erst signalisieren. Genauer gesagt weiß ich genau, welche Signale ich an einer Straße von einem Hund erwarten kann, um in der Annahme bestätigt oder korrigiert zu werden, wie der Hund den Moment erlebt.
Die Mischung aus „wenig Anstrengung“ und häufiger Kongruenz der Empfindungen in Alltagssituationen hat es mir sehr leicht gemacht, eine Ver.Bindung zu meiner Assistenzhündin aufzubauen und diese in ihrer Ausbildung und unserem gemeinsamen Alltag zu gestalten.
Mit ihr im Leben war es leicht für mich, mich generell mit der Welt und im Potenzial mit anderen Menschen verbunden zu fühlen. Jetzt, wo sie gestorben ist, habe ich diese Verbundenheitsgefühle nicht mehr.

Autismus und Ver.Bindung #1

Ein Alien zu sein, kam mir nie in den Sinn. Die Idee, auf dem falschen Planeten zu leben, erscheint mir bis heute merkwürdig. Jeder Planet, den ich kenne, wäre nicht bewohnbar für mich. Alle Planeten, die ich nicht kenne, sind so weit entfernt, dass meine Phantasie nicht reicht, um mir eine Geschichte zu dem Umstand meiner Anwesenheit auf der Erde zu erzählen. Als was wäre ich hier gelandet? Als Ausgestoßene_r oder Verlorene_r? Als Wander_in oder als Geflüchtete_r?
Manchmal wäre ich lieber ein Alien als ein Mensch, der sich fremd fühlt. Was damit zu tun hat, dass ein Alien zu sein für mich bedeutet, der Norm menschlicher Existenz entsagen zu können. Niemand weiß wirklich, wie Aliens sind. Man weiß nur, dass sie nicht sein können wie Menschen.

Möglicherweise kein Mensch zu sein, ist hingegen etwas, das mich schon lange begleitet. Eine Idee, eine Annahme, eine Er_Lebenswahrheit, die sich durch mich hindurchzieht und alle Innens mitberührt. Niemand von uns bezeichnet sich mit der Überzeugung, geboren aus täglich bestätigter Sicherheit, als Mensch.
Ja, da ist viel Traumawahrheit dabei. Aber nicht nur. Nicht einmal überwiegend.

Im Moment von Gewalt ist die eigene Menschlichkeit für mich immer die Schwäche gewesen, die ich nicht überwinden oder verstecken konnte. Der Grund, weshalb es weh getan hat, war meine Menschlichkeit. Der Grund, weshalb ich weinen, schreien, es nicht aushalten … es überleben musste, war meine Menschlichkeit. Der Grund, weshalb ich das alles konnte, war meine Menschlichkeit.

Im Moment des Lebens ist es der permanente Disconnect, das ständig zu berichtigende Mismatch mit anderen, das mich immer wieder so grundlegend in meinem Zugehörigkeitsgefühl zu Menschen verunsichert. Schon mein ganzes Leben lang. Egal, wo. Egal, worum es geht. Egal, welcher Kontext. Zeitraum. Ort.
Die Einsamkeit, die sich daraus ergibt, geht weit über ein ständiges Gefühl des Missverstanden seins oder Ungesehen seins hinaus, das so viele andere Menschen auch im Leben haben. Mit beidem könnte ich umgehen. Nicht gern. Natürlich nicht. Aber letztlich es ist leichter sich verständlich und sichtbar zu machen als sich miteinander in einer Weise zu verbinden, die jene Art der Zugehörigkeitsgefühle auslöst, die ich gern hätte. Die ich mit Sookie empfinden konnte.

Ich fühle mich der Erde zugehörig, weil ihre Pflanzen und Tiere, ihre Objekte und Phänomene mein Bindungspunkt sind. Auf einer Wiese voller Leben bin ich kein Fremdkörper. Im Wind, im Wasser, im Sand, im Licht stehend, kann ich mich so gleichzeitig mit dem Leben fühlen, dass meine Form und Funktion kein relevanter Aspekt ist. Ich habe in mir einen Modus, in dem ich so sein und bleiben könnte. Einfach so da, meinen Bedürfnissen folgend, im ständigen gegenseitigen Kontakt mit dem direkten Ummichherum.
Das ist kein traumanaher Zustand. Kein „reines, pures Innenkind, das mir das Schöne am Leben zeigt“. Kein dissoziatives Nirvana oder „mein wahres Ich“. Es ist ein Selbstzustand, den ich wie so viele meiner Macken und Gefährlichkeiten unterdrücke, um das Leben unter Menschen nicht merkwürdig oder abstoßend zu gestalten. Damit sie sich mit mir verbinden. Wollen. Können. Damit sie mich nicht verletzen, weil sie annehmen, sie wären unbedeutsam für mich. Ich sei emotional kalt. Würde sowieso nichts spüren.

Diesen Zustand zu unterdrücken, hatte ich als Kind überhaupt nicht und als Jugendliche_r noch nicht durchgehend drauf. Als Sookie da war, brauchte ich ihn nicht unterdrücken, weil unser Kontakt praktisch auf ihm basierte.
Jetzt merke ich das Gewicht, die Anstrengung dessen sehr deutlich. Merke, dass dieser Zustand immer auch damit zu tun hat, etwas zu prozessieren und in mir zu integrieren. Und dass ich ihn nur noch beim Schreiben ganz natürlich zulasse. Wenn ich allein bin, meinen totalen Gehörschutz trage und die absolute Kontrolle über die Gerüche und Texturen des Zimmers habe. Wenn es nur noch meine Fingerspitzen und Gedanken sind, die Verbindung herstellen.

der behinderte Therapeut – von Kompensation und keinen Bock mehr haben

Gestern haben wir zum ersten Mal mit einem Psychotherapeuten zu tun gehabt, der eine Behinderung allgemein sichtbar kompensiert.
Das war für uns etwas Besonderes und hat viel bewegt, unter anderem gerade weil er ebenfalls mit einer Behinderung lebt.

Er lebt mit einer Hörbehinderung und trotz Prothese muss er daneben noch viel selbst aktiv kompensieren, um andere Menschen gut zu hören. Für uns war es total gut das zu sehen.
Seine Kompensation ist mir überhaupt nur aufgefallen, weil ich mich davon bedrängt gefühlt habe, dass er immer wieder mein Gesicht bzw. mein Mundbild gesucht hat. Wir können es nicht gut haben, wenn Menschen uns mit ihrem Gesicht den Eingangsbereich in die Welt verstellen oder generell viel Bewegung in den Blickbereich reinbringen, weil es uns überreizt und überanstrengt. Er aber muss das ja machen. Obwohl er die Unterstützung durch ein Cochlea-Implantat hat.

Er war mir in der Situation ein gutes Vor_Bild davon, dass Behinderungen zu kompensieren nicht damit aufhört, dass man die beste™ Unterstützung hat, die möglich ist, um sich an die Menschen anzupassen, die diese Unterstützung nicht brauchen.
Und sein Verhalten hat mir deutlich gemacht, dass Kompensation ein aktiver Prozess ist.

Außer dem Begleitermenschen sagt mir niemand, was ich eigentlich immer übernehme, um meine Schwierigkeiten zu kompensieren. Und dass das einigermaßen viel und in aller Regel sehr viel mehr ist als andere Menschen machen müssen. Alle sagen mir immer nur, wie toll ich sie kompensiere. Wie viel ich so ganz toll schaffe und bliblablö. Was für mich eigentlich irrelevant ist, weil ich in der Regel froh bin, Dinge überhaupt verstanden und dann auch noch geschafft zu haben. Das ist in gewisser Weise das Einserschüler_in-Problem. Man strengt sich unfassbar an, wird aber für die 1 gelobt – nicht für die Anstrengung und auch nicht dafür, dass man sich diese Anstrengung überhaupt gegeben hat. Sie wird einfach als gegeben angenommen. Wie Luft. Oder Bäume. Einfach so da. Ganz selbstverständlich.

Meine eigenen Anstrengungen sind für das Außermir gleichermaßen unsichtbar. Und ich selbst denke oft, dass ich mich erst dann wirklich und richtig aufrichtig angestrengt habe, wenn ich in einem Kontakt in Dissoziation und danach vor Erschöpfung in Tränen zerfalle.
Meine eigene Aktivität, die aktive Kompensation der Behinderung, ist mir selbst nicht als außerordentliche Aktivität bewusst, denn ich kann mich dabei nicht beobachten und die Menschen, mit denen ich zu tun habe, müssen nicht kompensieren, was ich kompensiere. Was bedeutet, dass ich bei niemandem beobachten kann, was ich selbst immer mache.
Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht da ist. Und auch nicht, dass sie selbstverständlich ist.

Bei dem Termin mit dem Therapeuten ging es darum abzuklopfen, ob wir miteinander arbeiten könnten.
Ich sagte ihm, dass ich schon sehr viele Therapeut_innen hatte und keine Haut mehr dafür habe, jemanden an mir lernen zu lassen. Mich als Anstoß für eine eigene berufliche Weiterentwicklung zu benutzen.
Ich habe das vor 8 Jahren auch unserer Therapeutin gesagt und musste in dem Moment daran denken. Wie ich das damals gesagt habe und doch damit okay war, dass sie sich selbst nicht als Expertin bezeichnen würde, aber versicherte, sie würde dafür sorgen, mir nicht zu schaden.
Wie ich damals den Schrei im Kopf und diesmal den Kloß im Hals hatte, als würde er gleich rauskommen und als alles zerstörende Bestie durch das Zimmer fahren. Nein, es ist echt nicht mehr drin. Nein, da ist keine Haut mehr. Da ist ein Ende, eine Grenze. Ein StoppAusEnde.

„Ja, das kann ich verstehen. Also dass man irgendwann keinen Bock mehr hat alles zu erklären und was das bedeutet“, hat er darauf geantwortet. Und ich hab mich verbunden gefühlt. Dass er das kennt, glaub ich. Sofort. Obwohl ich glaube, dass alle Menschen das kennen. Aber behinderte und chronisch kranke Leute kennen es einfach wie ich. Und er.
Für einen Moment war das wie damals in der Wohngruppe mit den ganzen anderen behinderten Mitbewohner_innen, in der wir kurz gewohnt haben. Als würden wir auf dem Sofa sitzen, rauchen und über die Welt, an deren Rand wir leben, reden. Weit weg. Als hätte das nichts mit uns zu tun, dass wir keinen Bock mehr haben uns erklären zu müssen. Als bliebe unsere Verweigerung folgenlos, weil sie nichts bedeutet.

In den letzten Wochen habe ich einen Brief an unsere Therapeutin formuliert. Am Ende, auf Seite 8, schreibe ich ihr, dass ich gemerkt habe, was das eigentlich für eine Aussage ist, wenn ich sage, dass ich keinen Bock mehr habe, mich zu erklären. Ich habe erkannt, dass ich das nur zu anderen Leuten mit meinen Anstrengungen im Leben sagen kann, um ernsthaft darin verstanden zu werden – und alle anderen das als vorübergehende Motivationslosigkeit verstehen. Verstehen müssen, denn sie sehen die Anstrengung ja nicht. Sie begreifen ja auch gar nicht, was ich ihnen damit offenbare. Sie begreifen nicht, dass ich ihnen damit sage, dass ich mich ihnen nicht zeige, mich vor ihren Augen verstecke. Mich ihnen und ihrer Einsicht entziehe. Aus dem Kontakt gehe und ihnen nichts weiter als einen reflexhaft Phrasen und Satzteile ausspuckenden Fleischsack zur Interaktion verfügbar mache, in den sie m.eine Persönlichkeit hineinprojizieren, um ihrem eigenen Handeln Sinn und Raum zu geben. Niemand begreift diese Art von Suizid.

Meine Verweigerung ergibt sich nicht daraus, dass die Kompensation in der Kommunikation, in der Erklärung, zu anstrengend ist. Sie ergibt sich daraus, dass sie nicht dazu führt, dass ich verstanden werde. Daraus, dass sie so oft vergeblich ist.
Und man doch nie umhinkommt, denn ohne Kommunikation keine Ver_Bindung.