Lückenmädchen

Lückengras Ich habe gedacht, dass mein Schritt in eine Welt, die mehr als Nichts von mir erwartet, nur schief gehen konnte
Ich habe gedacht, dass mein Schritt aus einer Welt, die alles bis auf das Nichts aus mir herausholt, nur falsch sein konnte

Da ist dieses Gefühl gar nicht zu sein und sich zu wundern, dass es doch möglich ist zu berühren und berührt zu werden
Tot zu sein und trotzdem gefressen werden zu können

Und dann ist da die Bestätigung nur zu sein, weil beide Welten sind
Unverbindbar, blind für einander und doch einander nährend

ich bin verrückt
weil ich mich ver-rückt habe

ich verstehe diese Existenz nicht
diesen Zwang des “und wo geht es jetzt hin?”

Ich bin doch schon da
bin doch schon gemacht
habe nichts mehr zu geben

ich würde gerne so ein _da_sein werden

da gibt es diese Auffassung nicht mehr, als all seine Erfahrungen zu sein
in dieser Welt der Forderungen, gibt es kaum etwas, was mehr abgelehnt wird, als das, was meine Erfahrungen sind
wie soll es mir hier gelingen, ein Dasein zu entwickeln?

mit meinem Schritt aus der Welt, die mich so aushöhlte, habe ich mich im Weltbild ver-rückt
mit meinem Schritt in diese Welt die Entsprechung von mir fordert, mache ich mich selbst verrückt

mein Lückenleben ist nicht
ich Lückenmädchen bin Nichts
Lückenmädchen lebt Lückenleben
ist nicht und Nichts zu gleich

wenigstens habe ich jetzt ein Wort zum Namen für mich
Am Anfang war das Wort.

inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.

Werte fressen Worte auf

23.5.2014 Es gibt dieses weiße Rauschen in einem Moment, in dem sich so viel aneinander drängt, dass es ent- setzt.
Aufstehen oder umfallen lässt. Worten nachspringen, Formulierungen hinterherrennen macht.
Das ist ein Laufen, das Jahre dauern kann. Vielleicht nie endet.

Vielleicht aber, kommt man an einen Punkt, in dem eigener Ausdruck, eigene Wahrheit gegen Akzeptanz von außen aufgewogen werden muss, die vor einer Wiederholung des Entsetztwerdens schützt.
Manches Mal schon dachte ich aber auch, dass mein Ausdruck, meine Worte, mein Erzählen irrelevant für das Außen ist.
In meinem kleinen Kosmos des “danach” gab und gibt es immer Menschen, die über mir stehen. Die mir meine Erfahrungen bewerten, betrachten und in klitzekleine oder riesengroße Schubladen legen, noch bevor ich überhaupt einen sprachlichen Ausdruck und darüber eine eigene Bewertung finden konnte.

Als ich 16 war, lebte ich in einer Klinik und hatte das Gefühl, alle um mich herum lebten wie ich mit dem, was ich bis heute spontan mit ES oder DAS DA benenne, bevor ich mich an andere Worte wagen kann. Ich hätte meine Belastung und ihre Gründe, nennen können, wie ich wollte- ich hätte in ihren Augen nur die Schubladen bestätigt, in denen sie mich drin hatten.
Ich wusste durchaus, was das Wort “Missbrauch” meint und, dass es immer irgendwie mit der Familie zu tun hat und, dass das männliche Elter immer irgendwie der verachtete Part ist, fügte sich dann so zusammen.
Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich im Büro war und mich aus einer Angst/allgemeinen Übererregungsattacke herausberuhigte. Da saß ich und war froh, oben von unten unterscheiden zu können und der Mensch richtete Sätze an mich, wie: “Das hat mit deinen Vater zu tun, ne? Da ist was Schlimmes passiert, worüber du nicht reden sollst. Musst du auch nicht..” – Schweigen, das mir Tritte in den Rücken versetzte, doch jetzt endlich etwas zu sagen.

Die Stille wurde dichter, der Stationsbetrieb lauter, das weiße Rauschen in mir spann sich zu Watte und absorbierte mich.
“Was heißt schon “schlimm”- mir ist nichts “Schlimmes” passiert. Mir ist ETWAS passiert. DAS DA. ES. Nichts “Schlimmes”. Und, ja klar hat es mit meinem Vater zu tun. Irgendwie war er ja da. Genauso wie der Rest der Welt. Also irgendwie ja und nein. Und aber… also.. Und wer sagt denn, dass ich nicht darüber reden soll? Und wenn ich sowieso nicht darüber reden muss, aber eigentlich irgendwie gedrängt werde…”
Ich bin diese Wattewolken aus Fragezeichen und Verwirrung nie losgeworden und begegne ihnen manchmal auch heute wieder.

Bei der Tagung “Wir sind Viele”, hörte ich oft, dass es ein Verständigungsproblem zwischen Psychologie und Polizei gäbe und möchte fast ein bisschen darüber lachen, denn in meinen Augen beginnt das Problem schon damit, die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit als “Verständigungsproblem” zu bezeichnen. Nicht als ein Benennungs- und Transponierungsproblem (nicht “Transfer”- sondern “Transponierung”!).
Die Psychologie benutzt andere Schablonen als die Polizei und Justiz- kaum etwas ist deckungsgleich übertragbar. Die Verteilung von Relevanz ist nicht gleich, die Grundwerte mögen, wenn man sie jeweils weit genug runter bricht, die Gleichen sein- die direkten Motivationen und auch Framings hingegen, gehen so unterschiedliche Wege, dass mehr als eine Umbennenung passieren muss.
Die einen sind Ergebnis/Tatergebnis- und Täterzentriert, die anderen Tatmotivations/ Tatumstands- und Beteiligtenzentriert. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Gewalt und das Unrecht.
Dieses zu formulieren und zu benennen macht beide Parteien zu einer Definitionsmacht, die über allen direkt Tatbeteiligten steht und die von ihnen Abhängigen, sowohl in der Sprache als auch der eigenen Bewertung unterwirft.
Das muss nicht für alle ein Problem sein. Ich kenne viele Menschen, die zum Opfer und/oder Ausübenden von Gewalt wurden und sich die Worte von Justiz und/oder Psychologie dankend angenommen haben, weil es ihren quälenden Lauf den Worten hinterher beendete.

In mir aber lösen die Begriffe und das Spiel der Worte im Außen, Verwirrung und Verunsicherung aus.
Ein Innen schreibt: “Ich will das nicht “Vergewaltigung” nennen. Ich verstehe nicht, wieso sie [die Therapeutin] mir das zwar lässt, aber so gleichzeitig irgendwie redet, als würde ich denken, das wäre “Sex” gewesen. Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll.” und etwas später: “diese Wörter machen alle Gefühle. Gibt’s Wörter, wo keine Gefühle mit drin sind? Ich glaub, ich weiß nicht, ob ich Gefühle hatte. Vielleicht darf man sowieso nur darüber reden oder mit der Polizei und so, wenn es Gefühle gemacht hat? Schlimme oder unangenehme Gefühle”.

Und neben all der persönlichen Verunsicherung passiert, ganz nebenbei und subtil wie ein Mosaikbild, das sich über Jahre hinweg zusammenschiebt, die Bestätigung verschiedener Botschaften: “Nur wir ™ verstehen dich”; “niemand wird dich hören”; “sag was du willst und du kriegst, was du verdienst”.

Ein Großteil unseres Gehirns, etwa 60 %, ist jeden Tag damit beschäftigt alte, wie neue Reize zu verarbeiten. Wir Menschen unterstützen es darin mit unserem Ausdruck. Da sind Worte, aber auch die Kunst und die Körpersprache. Interaktionen mit allem, was außerhalb von uns ist, hilft uns.
In der letzten Zeit entwickelt sich in mir der Verdacht, dass wir genau in diesen Möglichkeiten zum Teil entweder von uns aus eingegrenzt sind oder dazu erzogen wurden, gewisse Grenzen einzuhalten.
Je mehr wir Kontakt zu Menschen brauchen, desto schwerer wird es Kontakte zu suchen. Wir werden abhängig davon, dass Menschen uns ansprechen, um überhaupt etwas auf irgendeine Art ausdrücken zu können.
Je deutlicher Erinnerungen arbeiten, desto mehr Einhörner und Schmetterlinge tauchen in unserer Kunst auf und wenn es konkretere Bilder sind, verschwindet jedes Wort dazu. Nur im Abstrakten schwammig bewortbaren bleibt etwas erhalten.
Selbst im körperlichen Ausdruck entwickelt sich ein Sprach- und Sprechproblem über das, was da eigentlich passiert. Wir springen von einer Form des Essmurks in die nächste- “normal” im Sinne von “ohne Ausdruck/Botschaft” haben wir, glaube ich, noch nie körperlich mit Nährendem agiert. Immer wenn es eine Einordnung gibt, gleitet ES in eine andere Art der Ver-nährung.

Mir kommt es vor, als wolle ES raus und würde inzwischen von sich aus in meinen Rücken, von hinten in die Kniekehlen treten, um mich und uns anzutreiben- zeitgleich aber vor jeder äußeren Belegung, Bewertung, Benennung mit einem schrillen Quietschen ausweichen, um sich einen neuen Weg raus zu suchen.

In meiner Vorstellung kommt es irgendwann in einer Lache aus Plasma heraus, lacht, wie der Joker lauter grelle Fragezeichen in die Luft und verbeugt sich bei seiner Selbstvorstellung.
Es wird sagen “Guten Tag, ich bin DAS DA.”.
Es wird sein Schnupftuch lupfen, einen Teller hervorzaubern und breit lächelnd fragen: “giftiges Pralinchen?”.

Und dann setzt es sich in ein Karussell und gackert außerhalb von mir seinen Tod durch weißes Rauschen aus VIELZUVIEL heraus.
Ohne sich zu erklären. Ohne sich be- greifbar zu machen.

Und ich werde Pralinen fressen, weil da plötzlich so viel Nichts in mir drin ist.
Weil ES in Wahrheit ganz und gar ich selbst bin und sonst gar nichts.

die Rosen blühen

Rosedraufsicht2
Früher wie heute denke ich, dass es keinen sichereren, schöneren, behüteteren Ort in dieser Welt geben kann, als den inmitten von vielen kleinen und großen, aneinander anliegenden Rosenblütenblättern
Niemand kann ihn zerstören, weil die Dornen der Rose und die Schönheit der Blüte zu Abstand gemahnen
Niemand kann mich entdecken, denn die Räume zwischen den Blättern und mitten im Kelch sind zu dicht, selbst für bohrenste Blicke

innensicht2
Ich kann hören, was außerhalb passiert
Und egal, wie viel Angst mir das macht

Wenn ich dort bin, ist alles in Ordnung

das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

post- Trauma

kaputt Ich hatte diesen einen klaren Moment, in dem ich nicht nur wusste: “Trigger – Flashback – gesamte Bandbreite von Überregung – Depression – mentale Isolation – Dissoziation – > hol dir Hilfe, sorg dafür, dass es einen doppelten Boden unter dir gibt”,
sondern auch wusste: “
Was hier jetzt gelaufen ist, ist eine Re- Traumatisierung für mich. Ich darf mich verletzt und kaputt, irgendwie zerstört und wund fühlen. Ich muss niemandem einen Grund zur Freude oder Bestätigung meiner Authentizität liefern. Ich muss niemandem sagen, was er oder sie gerne hören möchte, damit es ihm oder ihr mit meiner Not besser geht.
Ich muss niemanden bestätigen und meine Ablehnung von Äußerem rechtfertigen.”

Traurig ist es für mich, diese Gedanken und Impulse erst eine Woche später zu haben, nachdem ich zum zahnärztlichen Notdienst gehen musste, weil mir eine große Füllung aus einem eh schon mühsam geretteten Zahn gebrochen war.
Wieder eine Notsituation. Wieder ein Moment, in dem ich von innen Angst vor einer Art Sterben spürte, Hilfe suchte und dann so übergriffig mit mir umgegangen wurde.
Ich für mich, kam mir wie eine verdammte Heldin vor, wie ich da- kaum in der Lage Wörter zu produzieren, das Zittern zu unterdrücken, Tränen aus scheinbar 5 zusätzlichen Tränendrüsen rauslaufend zu haben und hyperventilierend – seinen Arm wegdrückte, aufstand und vom Stuhl kletterte.

Ich sah ein Mich da stehen vielleicht 6 oder 7 Jahre alt, verletzt und bedürftig und mein Ich so heldinnenhaft, weil ich es schaffte, genau in dem Moment, in dem das wichtig war, dieses Kind an mich zu nehmen- obwohl dieser (unfassbar furchtbare) Arzt und seine Helferin, die uns – natürlich ungefragt- ständig den Arm streichelte, genau diesem kleinen Mir und diesem großen Ich weiter zusetzten mit ihren sexistischen, unempathischen- einfach unangemessen groben Phrasen.

Und- es kam jemand, der mit uns ist.
Ich spürte, wie das Kleine in mir aufatmete und sich ein Gefühl ausbreitete, in dem es um Sicherheit durch ZeugInnenschaft, Gemeinschaft, durch Chance zur Überprüfung der eigenen Wahrnehmung geht.
Mein Atemrhythmus regulierte sich, meine Haut, die Hände und Füße wurden wieder durchblutet, die Angst wich Unverständnis und Wut, die näher an die eigene Lebendigkeit führte.
Ich musste nicht alleine in der Nacht noch mit der Bahn nach Hause, in meine Wohnung, die sich noch immer nicht wirklich wieder okay anfühlt. Ich musste nicht alleine sein. Ich musste nicht sachlich bleiben, weil “Na na na- der wollte dir doch nur helfen- was hast du denn erwartet- Ärzte sind Ärzte”. Ich musste nichts können- ich durfte mich schlecht fühlen und ich durfte mich auch heldinnenhaft fühlen. Das war so eine gute Insel, die mich nicht nur daran erinnerte, dass mein Anspruch von HelferInnen gut und grenzwahrend behandelt zu werden absolut in Ordnung ist, sondern auch noch durch mein bloßes in Not sein- nicht durch die Art, wie ich als Person bin- gerechtfertigt ist, und auch darin bestätigte, dass mein ablehnendes Verhalten in Ordnung war, obwohl ich ihn um Hilfe gebeten hatte.

Wenn einem etwas passiert, was im Kopf und im Gefühl alles auf einmal durcheinander wirbelt, dann hilft es manchen Menschen sich auf eine Ebene zu stürzen. Am liebsten die Sachebene, weil diese nicht mit persönlichen Befindlichkeiten vermischt sein darf. Das ist gesellschaftlich anerkannte Spaltung und “gesellschaftlich anerkannt” ist immer gut- gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dass einem gerade etwas (wieder) passiert ist, das so sonst gar niemandem jemals auf dem ganzen Planeten passiert ist.
Auch dabei geht es um Gemeinschaftsgefühle und ein Agieren, das absichern soll.

Was bei größeren Belastungen eine gute Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten und Aufrechterhaltung der Fähigkeit einen eigenen Alltag zu leben führt bzw. dabei hilft, kann bei einer Belastung, die das absolute “Zuviel” in sich hat (also ein Trauma ist) genau das sein, das zu innerer Spaltung führt, weil es ein weiteres “Viel” bedeutet.
Ich bin in der Therapiestunde nach der sogenannten Suiziddrohung tatsächlich vor der Therapeutin geplatzt und hab sie angeschrien und, anstatt mich zu erinnern, dass auch meine viel zu kurze Lunte zum Impulsdurchbruch in dem Moment, ein Symptom für nachwievor bestehende Überregung war, habe ich mich (und mein Leben und alles) fertig gemacht, weil ich nicht entsprechen konnte.
Ich konnte – und kann noch immer nicht zur Tagesordnung übergehen. Kann nicht in meinen Alltag zurück, weil mein Alltag und meine Alltagsumgebung kaputt ist.
Ich kann kaum schlafen, esse um mich zu fühlen- nicht um satt und genährt zu sein. Wenn ich mich zwinge mein Grübeln zu beenden, geht die Grübelenergie in meine Muskeln und Nerven, die unkontrollierbar unter meiner Haut zucken. Seit über einer Woche schwanke ich zwischen “Ich schreie gleich meinen Schmerz, meine Angst, meinen ganzen inneren Kosmos heraus” und “Bin ich überhaupt da?”

Ich will die Emotionen anderer Menschen nicht- sie sind mir mal scheiß egal gerade, weil meine eigenen mich beißen und aufessen wollen und ich mich kümmern muss, ihnen andere Quellen als meine Ich-Struktur anzubieten.

Wenn ich darüber rede/ schreibe, dann geht es mir nicht um Schuld, dann geht es mir nicht um Verantwortung, dann ist mir jedes “hätte”, “würde”, “wenn” fern. Dann geht es darum dieses VIELZUVIEL in seinen feinsten Fäden zu entwirren und nebeneinander darzulegen, zu betrachten, zu analysieren und erst dann zu einem verarbeitbaren Knäul zu machen. – Und eben nicht von mir zu erwarten dieses eine Erlebnis mal eben zu erklären- G’tt wie viel Zeit ich jetzt damit verbracht habe, diese Situation immer wieder erklären zu müssen – mich immer wieder damit konfrontieren zu müssen, immer wieder nochmal neu nachzufühlen – und dann die Sachebene zu bearbeiten.

Ich weiß, dass die da ist. Ich weiß, dass ich mich kümmern muss.
Ich weiß aber auch, dass die Tatsache, dass ich das gerade tue, genau das ist, was uns im Innen total auseinanderreißt und nicht auch noch haltbar ist.

Der Notfallzahnarzt hat es mir sehr leicht gemacht, nicht entsprechen zu wollen. Manche Menschen in meinem sozialen Umfeld machen es mir nicht so leicht.
Bei manchen steht viel Zukunft auf dem Spiel und viel mühsam abgerungenes Zutrauen – zum Beispiel bei der Therapeutin.
Bei manchen steht viel Zuspruch und stärkende Unterstützung in Gefahr- zum Beispiel bei der Frauenberatungsstelle.
Bei manchen steht viel Leichtigkeit und nährende Alltagsinsel in Frage- bei unseren Gemögten zum Beispiel.

Es geht darum, mir zugestehen zu können, dass ich gerade nicht die “C. Rosenblatt” bin, die sonst aus ihren Texten, ihrem Wirken, ihrem Auftreten herausrezeptioniert wird.

Für äußere Beobachter war das alles “unangenehm”, “ätzend”, “totale Scheiße”, “nicht schön”.
Aber uns drin war das eine Situation, die uns traumatische Situationen in unserem Leben hat fast 1 : 1 noch mal- schon wieder- erleben lassen und zwar nicht nur eine- die ganz ganz fern zurück liegt und verarbeitet, gerächt und begraben ist- für die wir irgendwelche Maßstäbe in irgendeiner Form haben- sondern mehrere, die nachwievor in uns drin ablaufen – immer und immer und immer wieder.
Das ist nicht nur “ätzend”.
Tut mir leid – ich wünschte, ich könnte mich mit diesen Menschen hinsetzen und mit dem Abwurf eines plumpen “is ja blöd gelaufen” alles das einfach abhaken.

Kann ich aber nicht.
Und ehrlich gesagt will ich das auch nicht, weil es mir vorkommt, als würde ich das tun, um mir Gemeinschaft von Menschen zu sichern, die mich nur annehmen, wie ich das kleine Mich beim Zahnarzt, wenn ich mit ihnen auf der Sachebene treffe: Sortiert, sachlich, mäßig emotional, _ein_fach, unempfindlich, stark, stabil, freundlich, empathisch und nicht zuletzt: dankbar

Uns ist etwas wirklich richtig Schreckliches passiert und ich nehme mein Umfeld verschoben wahr.
Mir drängen sich permanent unausgesprochene Ansprüche auf und immer wieder flackert dieses tausend Male bestätigte, x- fach eingebrannte Kindwissen auf: “Wenn du dem nicht entsprichst, wird es weh tun bis du nicht mehr bist.”. Alle- wirklich alle jemals verwendeten Antennen fahren auf Hochtouren und lösen den Vollalarm aus, sobald irgendeine Form von Nicht-Kontrolle wahrgenommen wird.

Das geht nicht weg mit: “Macht es euch mal gemütlich”, “Habt es schön”. Auch das ist ein Imperativ auf den mein Innenleben mit diesem uralten Reflex des: “Ja, ich bemühe mich so sehr wie ich kann! Ehrlich- ganz wirklich- ich mache was ich kann- ich tue was du willst” reagiert.

Ich weiß nicht, was mir jetzt hilft.
Ich hab keine Ahnung, was wir jetzt brauchen.

Was ich will ist: _sein_ dürfen; mich in der Welt fühlen dürfen, von deren Rand ich mich heruntergefallen wahrnehme
Auch ohne Aktivismus auf allen Ebenen. Auch mit Heldinnencape und Heulrotztropfen auf der Brust. Auch mit Brüllen vor Ohnmachtsgefühlen. Auch ohne akut geäußerte Dankbarkeit. Mit Verletzlichkeit, die man mir nie zugetraut hätte. Mit allen Gedanken und aller ungefilterten Intellektualität, die mich vielleicht schwer verständlich macht. Mit aller Nicht-Gegenseitigkeit, die mein Fordern mit sich bringt. Mit allem, was andere Menschen nie tun würden/ könnten/ wollten/ dürften/ müssten/ sollten.

Ich bin mit all dem gerade da. Wird mir begegnet, als sei dem nicht so, taucht jemand anders auf und das ist das Problem, das ich als Viele – Mensch habe.
Innere Spaltungsprozesse bzw. Innens, passieren nicht wegen Gewalt, sondern wegen vieler Überdosen “ZUVIEL”.
Wenn wir bzw. meine Psyche als Einsmensch eines in unserem Leben gelernt haben, dann ist es Anpassung durch Spaltung. Es wird immer wieder passieren, dass wir spalten (weg gehen) wenn wir nicht mit allem _sein_ können und das Außen wird genau das nicht spüren, wenn es sich nur um sich dreht.

Und sich darüber beschwert, was mir denn einfällt, sie mit meiner Not zu belästigen oder, wie dieser Zahnarzt, auf meine Panik mit einem genölten: “Was soll das denn jetzt- nu stell dich mal nicht so an- leg dich hin und lass XY machen” reagiert.

Ja verdammt- ich kann die Gründe für sowas sehen und verstehen. Ich weiß, der Arzt hatte einen scheiß langen Tag und in seiner Welt haben “kleine Mädchen” voll viel Interesse daran, einem tollen großen alten Arzt zu gefallen – was für ein Unkomfort, dann so zu agieren, wie ich.
Ich weiß, was das für ein Gefühl ist von: “Woa fuck- was mach ich denn jetzt?!”- wenn jemand kommt und einem sagt: “Ich kann nicht mehr- mir geht es schlecht und alles ist zu viel- ich weiß nicht, was ich machen soll”. Ich weiß genau, dass man sich dann erst mal hilflos und ohnmächtig fühlt, als erstes Gedanken an Verantwortung und Schuld hat und mehr oder weniger bewusst hat, dass man auf sich selbst achten muss.
Ich weiß aber auch, dass es verdammt noch mal so so so so viel öfter dran ist, jemandem einfach nur die Hand hinzuhalten und mal so einen Moment so gar nichts zu machen oder zu verlangen oder zu wollen oder zu verändern oder wegzumachen oder oder oder
und diesem Menschen einfach mal kurz – und sind es 2-3 Minuten das Gefühl zu geben da_sein_ zu dürfen.

Auf mehr warte ich gar nicht. Mehr suche ich nicht. Mehr will ich nicht.

 

Wir bekommen gerade von allen Seiten so viel “mehr” angeboten.
Und

können

nichts

damit

anfangen.

Außer mit diesem fremden Lächeln immer besser und immer reflexhafter rauszulügen: “Danke”

 

Vielleicht können wir das in zwei drei vier fünf Wochen, wenn wir keine Angst mehr vor dem Zusammenbruch unserer bürokratisch regulierten Lebenslegitimation haben müssen. Wenn wir diesen Strafanzeige-OEG –Mist irgendwie in einer Art abgesicherten Handlungsablauf haben. Wenn ich vielleicht endlich einmal richtig ausgeschlafen habe.
Wenn es nicht mehr so weh tut, Gemögte verloren zu haben. Sicherheiten verloren zu haben.
Wenn die Erinnerung wieder etwas weiter im Hintergrund ist.

Vielleicht dann.
Dann sind wir wieder voll der Bereitwilligkeit uns auch für die Gefühle und Lebenswelten anderer Menschen zu öffnen und uns zurückzustellen.
Aber jetzt nicht.

der Folterbericht 2014 von Ai und die Notwendigkeit über Menschenrechte Bescheid zu wissen

”Folter ist verboten” meint ein Großteil unserer Gesellschaft ™ und trotzdem ist die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter noch immer absolut unterfinanziert.
Was heißt das für uns?
Folterbericht lesen, auf sich achten [Video und Texte = graphic!] und überlegen, was die eigene Haltung in Bezug auf Gewalt und Menschenrechte ist.
zur Seite von Amnesty international


Es gibt Menschen, die meinen, weil bei uns hier in Deutschlands Straßen nicht jeden Tag literweise Blut verteilt wird, wären wir ein Land in dem Menschenrechte kaum ein Thema sind.
Überraschung- allein der Fakt, dass das Thema Menschenrechte etwas ist, das als eine Art Intellektuellenaccessoire fern vom täglichen Leben gilt, zeigt uns, wie viel Informationsbedarf nachwievor besteht, um öffentliche Diskurse zu Gewalt und das Ziel eines friedlichen Miteinanders zu erreichen.

Ein Volk, das nicht bemerkt bzw. keine Kenntnis davon hat, dass es Orte und Situationen gibt, in denen sämtliches Grundrecht beschnitten oder abgesprochen wird, ist ein Volk, das Gewalt verharmlost, ignoriert, internalisiert und nicht zuletzt permanent ausübt.

Etwa, indem es die einzige unabhängige Stelle zur Folterbekämpfung in Klinken, Heimen und anderen Haftanstalten nicht im Ansatz ausreichend finanziert.
Etwa, indem es in der Berichterstattung den Fokus auf Menschenrechtsverletzungen außerhalb der eigenen Landesgrenzen legt.
Etwa indem es Entschädigungen für Betroffene niemals „ohne wenn und aber“ ermöglicht.
Etwa indem ein Klima geschaffen und gehalten wird, in dem Hilfeeinrichtungen zum Strafinstrument werden.
[…insert so much more…]

Links zum Thema Menschenrechte bzw. Organisationen:
Das Jugendnetz hat eine schöne Übersicht auf ihrer Plattform Menschenrechte gestaltet.
Das „Forum Menschenrechte“ ist ein Netzwerk deutscher Menschenrechtsorganisationen – ein interessanter Newsletter erscheint wöchentlich.
Die „internationale Liga für Menschenrechte“ hat ebenfalls einen umfangreichen Webauftritt.
Eine „Bühne für Menschenrechte“ sensibiliert für das Thema mit dokumentarischem Theater und eröffnet so ganz neue Räume sich mit den Thema Menschenrecht im Zusammenhang mit Antirassismus und Migration zu befassen.
Das deutsche Institut für Menschenrechte hat neben einer um Barrierefreiheit bemühten Webauftritt auch einen Twitterkanal (@DIMR_Berlin), den ich nur empfehlen kann.
Die „Infomationsplattform human rights“ aus der Schweiz hat eine großartige Zusammenfassung für ThemeneinsteigerInnen erstellt.

die Frage

Flauscheblume Es ist eine Frage, die ganz harmlos in einer Musterpackung Fragezeichen liegt. Sie beißt nicht, schreit nicht…
Sie war einfach da und rollte aus dem Mund des Anwalts in meinen Kopf hinein:
Was genau ist Ihnen denn passiert?

Seit 2001 stellen mir PsychologInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen und Menschen aus anderen Kontexten, Fragen zu meinem Lebenslauf, meinem Befinden, meinen Vorlieben und Abneigungen, aber niemals hat jemand diese Frage gestellt.

Was genau ist denn passiert?

Die Frage belastet mich nicht, weil mir sofort eine besondere Situation eingefallen ist, oder weil ich Schweigegebote und Drohungen im Kopf hatte, sondern, weil sie sich langsam wie eine Retardtablette aufgelöst hat und mich dem Bewusstsein zuführte, dass ich bis heute die schlimmsten und mächtigsten Erfahrungen in meinem Leben mit niemand anderem als den TäterInnen teile und so eine Art TäterInnenkontakt halte, der näher kaum sein könnte.

Die Frage kullerte in meinem Kopf herum wie eine Kugel in einer Schale und stieß einen großen Ochsenfrosch an, der mit einem dumpfen “Quak” auf die Berührung reagierte.
Fröschequaken, Grillenzirpen, das ist die Art Stille, die sich auf solche Fragen ausbreitet. Es ist nicht Nichts, aber viel mehr als artikuliertes Hintergrundrauschen ist es in der Regel auch nicht.
Mein ganzes ES und alles DAS DA, ist eine einzige wabernde Masse. Wie ein Eintopf der 21 Jahre Zutaten erhielt und bereits 28 Jahre auf dem Herd steht.

Ein verbindendes Element meiner Gewalterfahrungen ist genau dieses Un(be)greifbare und die Definition des “_da_Seins”.
In den Situationen, an die ich gerade denke, war nichts und niemand _da_.
Ich sah nichts und hörte nichts als die Geräusche, die ich selbst verursachte und selbst die verschwammen irgendwann mit dem, was meine Nerven nur noch rudimentär an mein Bewusstsein weiterleiteten. Ich dachte meine Brocken und nahm die Qualität und ihre Zusammenhänge nicht mehr bewusst war.
Da war nur  Nichts und ganz viel Niemand zum Teilen. Zum Mit- teilen. Zum Anteil haben. Da wurde sich einfach irgendein abfallender (Persönlichkeits-) Anteil genommen, der selbst produziert wurde – und zwar von den TäterInnen.
Ich brauchte keine Worte dafür zu entwickeln oder zu verwenden, was mir passiert ist, denn passiert ist mir nur Kontakt mit einer Art von _Nichts_, das am Ende eines Schmerzes und einer Angst auftauchte, die völlig normal für mich waren und nie mit einem Begriff belegt wurden, der eindeutig war.

Ich habe meine Sprachmacke nicht, weil mir irgendein Genschalter umgelegt wurde, sondern, weil es genau das einzige Mittel war (und bis heute ist) an dem ich Punkte zur Selbstpositionierung finden konnte.
Doch niemand in meinem Umfeld sprach die gleiche Sprache wie meine Familie*.

In jeder Familie gibt es geflügelte Worte oder Synonyme, die nur in dieser Gruppe verstanden werden, eine Geschichte und Bedeutung haben, was gerade Familien oder ähnlich funktionierende Kleingruppen zu ganz einzigartigen Kosmen macht.
Natürlich gibt es dann auch eine Bewegung des Angleichens und Anpassens an äußere – andere – Systeme. Zum Beispiel den Kindergarten, die Schule und so weiter. Doch meine Chance dieser Anpassung mit einem Bezug zu beiden Systemen war bereits kaputt, als der Kontakt dazu unvermeidbar wurde.
Dazu kommt meine Hochbegabung, die mich sehr früh hat sowohl die Logik von Sprache erfassen, als auch die Verwendung der Wortbatterien in Bezug auf äußere Kontexte hat zuordnen lassen.

Als ich dem Anwalt gegenüber saß, kam mir ein weiteres Problem neben der Sprache in den Sinn.
Was genau meint er eigentlich mit “was genau”?

Ich weiß, dass in juristischen Kontexten konkrete Taten relevant sind- weiß aber auch, dass meine Schädigungen, nicht nur in genau diesen konkreten Taten begründet sind, sondern eben auch in dem allgemeinen Umgang voller Mikroaggressionen, Abwertungen, Abschottung und immer wieder betonter Andersartigkeit.
Wie oft sich allein am Esstisch über dem Abendessen gegenseitig und (für mich) systematisch gedemütigt wurde, dies aber vor anderen Menschen “Abends kommen wir alle zusammen und erzählen uns vom Tag” genannt wurde. Allein sowas macht in meinem inneren System heute Zahnräderknirschen auf mehreren Ebenen.
Das ist keine brutale Gewalt – aber es ist Gewalt unter der ich gelitten habe, weil sie mich immer wieder verwirrte und mit nichts kongruent anfühlte. Weder mit meiner Selbstwahrnehmung, noch mit dem Bild, das andere soziale Systeme von mir sowohl in, als auch mit meiner Familie* hatten.
Ich weiß, dass genau solche Gewalten nur allzu oft und allzu gerne auf die Betroffenen individualisiert werden und deshalb oft nicht mitgemeint sind in der Frage danach, was passiert ist und trotzdem sind es genau diese Situationen die immer herrschten.

Dieses grundlegende Klima von „Achtung Gefahr“ – „Gefahr“ – „inneres Sterben“ – „Ruhe/Stille/ Tod nach dem Sterben“ , das ist mir passiert. Das genau ist mir passiert.
Diese Wiederholung, diese Schlange, die sich in den Schwanz beißt- immer wieder, weil sie nie satt wird, das ist passiert. An mir, mit mir, in mir drin und immer wieder objektiv ungesehen, weil unbenannt von situativ objektiven BeobachterInnen.

Ich mache mir Sorgen, dass wir dieser Frage nach dem was passiert ist, die falschen Antworten geben. Nicht für das Außen, sondern für uns.
Ich weiß, dass die Justiz eine andere Sprache verwendet und weiß, dass auch der Fokus ein anderer ist. Weiß, dass es um Sichtbarkeit geht und als sichtbar eben gilt, was nicht nur individuell wahrnehmbar/ sichtbar ist. Es geht darum der Gefahr, dem Sterben eine objektivere Sichtbarkeit und Worte zu geben.
Obwohl ich und wir doch immer alle unsere Augen zugemacht haben, um gar nichts mehr wahrnehmen zu müssen; obwohl wir doch noch gar keine Chance hatten, Worte für das Erlebte – das objektiv sichtbar Erlebte- zu finden.
Auch, weil einfach wirklich nie jemand gefragt hat.

Am Anfang war das Wort.
Wo im Verlauf stehe ich, wenn ich kein Wort habe?

Genesis?

Hineinschauend in einen  Topf voll eigener Ur- Suppe?

und macht das Teilhabegesetz, dass meine Behinderung sichtbar wird?

klitzeschnecke 2017 soll es dann in Kraft treten: das Teilhabegesetz, welches Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kommen lassen soll.

Ich mache mir seit einiger Zeit Gedanken darüber, wie eigentlich abstoßend es ist, dass die Gesellschaft an deren Rand ich vor mich hinlebe, in unserer Zeit noch immer daran arbeiten muss, Menschen nicht auszuschließen.
Dass ich mir noch immer anhören muss, ich solle mich nicht selbst am Rand ebenjener Gesellschaft verorten.
Dass Menschen mit Hilfebedarf, Hilfe erhalten, aber letztlich auf einer anderen Achse in unter Umständen Hilfe bedürftiger Position gehalten werden.
Dass Menschen durch die
menschenverachtende Praxis von Hilfegewährung zu schwerbehinderten Menschen gemacht werden- dieses aber in der Regel weder wissen, noch Fürsprache erhalten.

Ich lese Berichte über Teilhabe, Behinderungen und Inklusion und fühle mich ausgegrenzt, weil meine Art der Behinderung nie benannt, geschweige denn problematisiert wird.
Immer wieder gibt es diesen Umgang mit dem Thema der Inklusion, der seinen Fokus auf körperliche und/ oder geistige Defizite, die mittels spezieller Assistenz, bestimmter Raumumbauten und technischem Equipment “ausgeglichen” werden, hat.
Es wird über Inklusion gesprochen, doch agiert, als spräche man über Integration und erklärt so – auch ganz ohne Worte – wieso Menschen mit psychisch bedingten Behinderungen niemals in solchen Berichten auftauchen oder gar gehört werden, wenn es um Konzepte für Teilhabe und Zukunft für alle Menschen geht.

Ich komme mir mit meinen Unzulänglichkeiten so oft wie der Sondermüll unter “den Behinderten ™” vor, weil es für mich weder Seelenprothesen noch gesellschaftlich anerkannte Arbeitsumgebungen gibt.
In meinem Fall reicht es einfach nicht, das Klo zu vergrößern, Haltegriffe anzubringen oder den PC umzurüsten.
Um mir zu helfen braucht es, was der Begriff “Humanität” meint und genau das ist ein Problem.

Psychisch begründete Behinderungen werden immer wieder individualisiert und so auf einer Ebene betrachtet, die die Gesellschaft ™ von der Aufgabe das Grundrecht aller Menschen auf Hilfen und Gleichberechtigung zugänglich zu machen, enthebt.
Immer wieder begegne ich Sprüchen wie “Depression? Ja hatte ich auch mal- ich hab Urlaub gemacht und dann gings wieder. Depressionen haben ja alle irgendwann mal- hast du das gewusst- ist total normal so ne Depression” oder “Traumafolgestörung? Noch nie von gehört- aber ich kann mir vorstellen, dass dein Leben nach dem Trauma, nie wieder sein wird wie vorher. Da muss man sich durchbeißen und du schaffst das auch- du bist so ne starke Persönlichkeit!”.
Wenn ich solche Gespräche führe, blinkt in meinem Kopf ein Leuchtschild, dessen Schrift ich manchmal gerne durch meine Stirn hindurch leuchten lassen würde, einfach, weil ich zu beschäftigt bin, darüber nachzudenken, ob es sich nun lohnt diesen Menschen über seinen Ableismus und seine Ignoranz aufzuklären, um mein Missfallen laut zu äußern.

Ich erlebe es als großen Mangel, dass Menschen mit psychisch bedingten Beeinträchtigungen keine FürsprecherInnen haben, weil Individualismus und das dazugehörige Stigma noch immer so massiv um sich greift.
Für mich begänne gesellschaftliche Teilhabe an genau diesem Punkt: Teilhabe am öffentlichen Diskurs um Inklusion

Meine Kämpfe um Autonomie und Lebensqualität sind so eng mit der Gesellschaft ™ verbunden, dass eine Wortmeldung immer wieder mehr als symbolische Rampeneinweihung, Blindenschriftkurse für alle oder Werkstättenaufbaufinanzierungen zur Folge haben muss.
Oh weia.
Dann müsste neu über die Krankenkasse als Bürokratie um Menschenleben gedacht werden. Medizinische und auch therapeutische Ethik müsste ihre Themenfelder auf allgemeine Zugänglichkeit erweitern. Wir würden plötzlich über marktwirtschaftliche Barrieren sprechen, die sich allein aus bereits bestehenden Diskriminierungen entspannen und immer wieder neu entwickeln.

Wir würden tatsächlich darüber sprechen, dass Geld einen abstoßend menschenverachtenden Gradmesser in der Frage nach lebenswertem Leben darstellt.
Ja, wir müssten uns der Frage nach lebenswertem Leben stellen.

In der derzeit öffentlichen Debatte um Inklusion von Menschen mit Behinderungen gibt es diese Haltung von “Nein, nein- Menschen mit Down-Syndrom sind nicht wertlos- sie können noch arbeiten! Und schau mal hier: dieser Mensch im Rollstuhl kann ebenfalls noch super arbeiten, wenn man nur diese und jene Barriere wegnimmt!”
Es geht um (Weiter) Ver _ Wert_ ung, Leistung – diesen Traum von “Wenn du nur willst- wenn du dich nur anstrengst- wenn du nur arbeitest und irgendetwas aus dir machst- dann bist du jemand und deine Existenz hat einen Zweck. So wirst du zur Stütze unserer Gesellschaft und ergo völlig inkludiert.”.

Wie unsere Gesellschaft derzeit mit genau der Frage nach dem Wert des Lebens umgeht und welche Preise sie für die Nichtbeantwortung zu zahlen bereit ist, ist aktuell sowohl in der noch immer krassen Situation der Hebammen, wie in der letzten Planung des GBA in Bezug auf die Psychotherapierichtlinie zu erkennen.

Es geht darum das Minimum zu investieren und das Maximum herauszuholen. Wer dem nicht entsprechen kann, fällt raus und braucht ein Gesetz um noch – nun seien wir doch ehrlich- mindestens im rein kostenverursachendkonsumierendem Teil der Gesellschaft ™ existieren und dies als “Teilhabe” bezeichnen zu dürfen.

Meine gesellschaftliche Teilhabe begänne mit Sichtbarkeit, Entstigmatisierung, dem Ende der Pathologisierung, Schutz vor Gewalt, aller Hilfegewährleistung und der Anerkennung (und Wahrung) meiner Würde in Kontexten der Hilfen.
Das ist eine ziemlich lange Liste, die ich in weiten Teilen auch mit allen Menschen gleich bereits jetzt teile.

Das ist ziemlich peinlich für ein Land, das bereits 2007 die Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat und seit 2009 verpflichtet ist, ihr nachzukommen.

OEG 2.0 – Vorspiel –

Wasser2 Nächste Woche habe ich einen Termin bei einem Rechtsanwalt.
Es wird um einen Antrag auf Opferentschädigung und all den ganzen Rattenschwanz aus organisierter Gewalt und Opferschutz, DIS und Anonymität gehen.

Ich weiß nicht, ob er schon einmal Menschen vertreten hat, die mit so schweren Beeinträchtigungen in der Selbst- und Umweltwahrnehmung leben und/oder, die aus organisierten TäterInnenkreisen ausgebrochen sind. Eigentlich ist mir das auch nicht wichtig.
Der Antrag soll passieren, durchgehen, Therapiefinanzierung vorerst sichern und fertig aus.
Ich will keine OEG- Rente oder sonst irgendwas.

Aber werde ich überhaupt als Gewaltüberlebende wahrgenommen?
In der letzten Zeit nehme ich öfter auf, dass mir mehr zugetraut wird, als ich tatsächlich kann und, dass auch mehr Erwartungen an mich gerichtet werden, als ich entsprechen kann.
Natürlich stärkt mich das auch manchmal, aber in den letzten Wochen tut es das eher nicht.
Alles, was sich anschaltet, ist ein Modus in dem es mir prima geht, solange Menschen um mich sind.
Bin ich allein, geht es mir schlecht. Und damit meine ich nicht die “ein bisschen Schokolade auf der Couch und ein schönes Buch- dann wird das schon”- Variante, sondern die “ich bin so scheiße ich hasse mich ich sterbe jetzt mit einem Platzen als schleimig stinkender Ball, der es nicht verdient hat auf diesem Planeten zu sein bitte bitte bitte dieser Schmerz ist nicht aushaltbar”- Postkarte aus der Opferwelt.

Ich habe inzwischen genug Kontakt zu AnwältInnen, BeraterInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen gehabt, um zu wissen, dass es sehr wohl passiert, dass die Hilfesuchenden gescannt werden. Wie glaubwürdig sie sind. Wie sie wirken, ob sie lügen oder übertreiben- ob sie Ansprüche erfüllen bzw. Vorstellungen entsprechen.
Natürlich sind Menschen eben einfach so, ja. Von mir aus.

Aber wie soll ich dem nachkommen? Muss ich das überhaupt?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kommt mir hoch und desto einsamer fühle ich mich. Zumindest emotional als eine, die etwas überlebt hat.
In all diesen Ansprüchen und Vorstellungen, gibt es eine Art Drehkreuz um Stärke, Belastbarkeit und diesen Klumpen aus subjektiver Vorstellung um die Schilderungen von Gewalterfahrungen.
Ich sage nie und habe nie vor jemandem gestanden und gesagt, was ich dazu sagen wollte.
Immer klebe ich irgendein Etikett darauf, von dem ich weiß, dass es pseudosynonym verwendet wird. Dann sage ich “Ich wurde als Kind misshandelt” oder “Ich habe massive Gewalterfahrungen gemacht”, meine aber ein geschrieenes: “IchbinvorAngstgestorbenEshatsowehgetanGenaumitteninmirdrin” und ein verzweifelt rausgeweintes “Dashateinfachnieaufgehört”.
Im Anspruch geht es um Sachlichkeit, wo höchste Emotionen in mir sind. Da geht es um aktives Handeln, wo ich ohnmächtig und voller Angst bin.

Immer wieder werde ich für so stark und belastbar gehalten, weil ich Aktivität und Sachlichkeit mit Worten vorgeben kann.
Was dahinter steht, rückt in den Hintergrund, in meine kleine private Hölle, in der Worte wie Sterne am Himmel glitzern, während ich mit dem Gesicht nach oben, wieder und wieder unter Schmerzen erinnerungssterbe. Lautlos. Spurlos. In meinem Kopf. In meinem Körper.

Das ist ein Muster, das mir so alt und so normal erscheint.
So viele Menschen in meinem Leben sind nach außen anders, als für sich allein oder privat und kaum jemand bezeichnet das als gesellschaftlich anerkanntes Spalten/ Dissoziieren von Lebensrealitäten.
Kaum jemand versteht mich, wenn ich sage, dass ich wirklich verrückt werden könnte, weil sich mir die Absurdität der äußeren Umstände durch den Verstand bohrt, wie ein Korkenzieher: Ich-  die Dissoziierte wie Dissoziierende- begibt sich in eine äußere Spaltung, um ganz erlaubt eine Therapie bezahlt zu bekommen, die mir helfen soll, meine Wahrnehmung zu verbinden.
Ich, die zur Gewalt sagen will, was niemand hören will, weil es zu viele Emotionen macht, soll sachlich machen, was ausgerechnet meine Psyche- etwas per Definition definitiv nichts Sachliches ist, betrifft. Ich soll aktiv tätig sein, weil ich passiv geopfert wurde.

Und das soll ich glaubhaft tun. So, dass man merkt, dass ich belastet bin, aber noch genauso kräftig, dass ich das auch vertreten kann und aber nicht zu sehr, da der Schaden sonst nicht anerkannt werden kann.

Und in all dem fehlt ein Part, den ich selbst sogar noch schütze, weil ich mich selbst schütze: die TäterInnen, die ich weder anzeigen, noch in Regress nehmen lassen will
Die ich benennen möchte mit der schlichten Etikette: “TäterIn” nicht mit  “hmhmhm”.
Deren Taten ich mit meinen Gefühlen benennen will, nicht mit dem, was man nach außen hätte sehen können.

An diesem ganzen Opferentschädigungsding stellen sich nicht verschiedene Gebote und soziale Ächtung schwierig für mich dar.
Es ist die Selbstdarstellung als Opfer nach außen, die so absolut keine positiven Folgen nach innen haben.
Egal, wie verbunden das sein wird, wenn mir ein Schaden anerkannt wird und ich offiziell “Opfer” bin- das wird Nächte, wie die letzte nicht wegmachen. Das wird mein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Gemögten nicht schrumpfen lassen. Das wird mir Erinnerungsschmerzen, Alpträume, schlaflose Nächte, Selbsthass, Angstattacken und dieses durchdringende Schreien in meinem Kopf nicht wegmachen.

Es ist die Selbstdarstellung als passives Opfer, obwohl ich doch jetzt aktive Taten ausübende bin.

Und es ist das Agieren, obwohl ich mich im Moment eher tot und unfähig vor allem und jedem fühle und mich schäme, weil ich weiß, dass ich für viele ganz anders erscheine.