oh scheiße

Zwischen zwei Abgaben und einer überschrittenen Deadline war der Krampfanfall. In der Schule. Das haben wir lange vermeiden können, aber Notenvergabezeit ist Stresszeit, keine Zeit für einen Schritt nach dem anderen.

Die Lehrer_innen, die da waren, wussten viele Dinge nicht so recht. Entschieden für einen Notarzt. Der kam und britzelte uns seine Neonkleidung ins Hirn. Schob den Pulli am Handgelenk hoch und sagte: “Oh scheiße.”.
Und irgendwie war das gut. Es hat sich gut angefühlt, dass er das so gesagt hat. Oh scheiße, dieses Handgelenk ist einfach mal zu einem Drittel Suizidversuchsnarbengewebe und das andere auch.
Oh scheiße oh scheiße oh scheiße das alles. Dass das so ist, dass das so nötig war, dass es nie anders ging, dass man es für immer sehen wird. Oh scheiße, dass man da keinen Puls mehr fühlen kann, aber, wenn man sich Mühe gibt, unsere Not vor 18, 17, 16, 15 Jahren.

Oh scheiße, das Leben ist so fragil, aber gleichzeitig kannst du dein Blut aus dem Handgelenk wie aus einem Springbrunnen hüpfen sehen und doch nicht daran sterben. Das Leben ist nicht zwangsläufig, was man erlebt und trotzdem alles, was man leben kann. Und oh scheiße, wie schlimm das manchmal ist.

Ich mochte den Notarzt. Er hat mein Nochnichtwiedersprechenkönnen nicht zu brechen versucht. Hat alles angekündigt, hat uns allein gelassen, nachdem die Lage gesichert war.
Er hat die Scheiße gesehen und daran geglaubt, dass wir damit umgehen, damit leben können.

Das war toll, denn so ist das Leben auch.
Zeit, Prozess.
Scheiße in der Vergangenheit und Umgang damit für immer.

Überforderung

“So ein kleines Zeltpäckchen hatten wir noch nie im Arm”, dachte ich und wappnete mich für den Weg nach Hause.
Das nächste, was ich wirklich erinnere, ist ein Sanitäter, der mich anspricht. Ich bin nicht weit weg von zu Hause, bin bei mir, bin ganz da. Ich bin da und lebe. Ich könnte zurück auf mein Rad klettern und zu meinem Abendessen fahren. Es wäre okay für mich. Das, was gerade passiert, ergibt keinen Sinn für mich. Die Fragen, die Zahlen, das Piepen des Sauerstoff-Pulsdings an meinem Finger.

Wir fahren ins Krankenhaus und warten eine Weile. Dann kommt ein Arzt und fragt, wie es mir geht. Ich sage “Besser, danke.”, obwohl ich mich frage, was er denn meint. Was von all dem, was in mir vor sich geht, geht denn gerade mit mir?

Ich würde gerne jemanden anrufen und lass es dann bleiben. Jemand hat F. abgesagt. Das Smartphone ist plötzlich nichts weiter als ein Hafen, der von niemandem benutzt wird.

Haben Sie das öfter – Ja
Kennen Sie die Auslöser – Ja
Oh hm. Ja gut. Können Sie denn jetzt nach Hause – Ja

Ich werde entlassen und fahre zu NakNak*, die auf ihr Abendessen wartet.

Als mich das scharfe heiße Curry endlich richtig aus der Dissoziation reißt, ärgere ich mich darüber, dass ich dem Arzt den Auslöser nicht genannt habe. Es ist legitim unter Überforderung zusammenzubrechen. Scheiß egal, ob es eine emotionale oder physische Überforderung ist. Irgendwann bricht auch der stabilste Balken.

Wir brauchen Urlaub. Und emotionale Entlastung.
Die Freiheit und den Mut manchen Menschen in unserem Leben zu sagen, dass wir sie nicht länger tragen können. Dass wir im Moment ein zerbrochener Balken sind.

“Bin ich schon erholt?”

Häufig bewegen wir uns auf Ebenen die wenig bis gar nicht konkret sind. Obwohl sie um das Konkrete kreisen und sich daraus ergeben.
Das fällt mir an Tagen wie heute besonders auf.

Am Freitag hatten wir einen Krampfanfall in der Schule und mussten danach allein nach Hause. In unseren Alleinhaushalt, unserm Alleinleben mit all dem allein klar kommen.
In manchen Köpfen mag das wie ein Vorwurf hallen, ist in unserem Leben aber einfacher Fakt, der je nach Umstand mal gut, mal schlecht, mal schlimm, mal genau richtig, manchmal auch perfekt ist.

Wir wissen, was wir nach einem Anfall tun müssen und welche Ressourcen wir brauchen, um uns zu erholen.
Worin wir allerdings noch nicht sehr geübt sind ist, zu spüren, wann wir wirklich wieder fit sind und wann wir uns das nur einreden, weil wir dem eigenen Entsprechungswünschen nach außen nachgeben (wollen können (müssen))

Erholung, Ausruhen, Kraft tanken, das ist in unserem Alltag schon so lange eine Aktivität, dass wir das Gefühl für den Zustand selbst noch gar nicht näher betrachtet haben.
Wir gehen nach der Schule nicht 7 km wandern – wir machen bilaterale Stimulation, um die Verarbeitung der Reizüberflutung zu unterstützen.
Wir basteln nicht das ganze Wochenende, weil es so toll unanstrengend ist – wir basteln das ganze Wochenende, weil wir an unserer Frustrationstoleranz und Feinmotorik arbeiten müssen (und natürlich auch ganz gern einfach Dinge erschaffen).

“Bin ich schon erholt?”, das habe ich mich heute morgen gefragt und dann gemerkt, dass ich nicht weiß, wie sich das eigentlich anfühlt. “Erholt”.
Da stelle ich mir einen Zustand vor, in dem ich gar nicht weiß wohin mit meiner Kraft und Energie. Oder zumindest einen Zustand, in dem ich mich zu Dingen motivieren kann, ohne, dass die Belohnung fürs Schaffen dessen extra viel Zeit im Bett ist.

Ich kenne Zustände von Dauerstrom. Posttraumatischem Hyperarousel.
Ein Zustand, in dem ich auch nie weiß wohin mit all meiner Energie und Kraft – gleichzeitig jedoch auch nicht wirklich fähig bin, irgendetwas Konstruktives zu tun. Schon gar nicht über längeren Zeitraum. Der Hyperarousel ist dann eben doch nur ein Erregungszustand und kein allgemeines Energielevel.

Früher – also letztes Jahr um diese Zeit – haben wir uns mehr Tage Ruhe zugestanden, um uns von Anfällen zu erholen. Jetzt sind wir unsicher.
Da spielt auch die Klinikerfahrung letztes Jahr mit hinein.
Dort hatten wir jeden Tag hinzugehen und uns überfordern zu lassen, obwohl offensichtlich war, was es mit und an uns macht. Und wir habens passieren lassen, weil wir (vielleicht auch fälschlicherweise) annahmen, man wüsste, was der (therapeutisch) sinnvollste Umgang damit ist.
Das Klinikding ist für uns nachwievor nicht aufgelöst und gut. Wir wissen nachwievor nicht, was hinter den Anfällen steht, ob wir da etwas auflösen müssen, oder ob das Fallen und Krampfen einfach unsere Art des Meltdowns ist.

Ungünstig.
Aber Realität.

Realität, mit der wir heute irgendwie umgehen müssen und in der wir all die Facetten des Alleinlebens spüren.
Wir allein sind verantwortlich für das, was wir entscheiden. Das ist nicht schlimm. Manchmal macht es uns Angst, aber grundsätzlich denke ich, können wir diese Verantwortung gut tragen.
Wir sind aber auch allein in der Frage, woran wir uns in den Entscheidungsfindungen orientieren sollen. Und das ist schwierig.

Wenn es um unser Leben geht, scheuen wir inzwischen das laxe Trial and Error, das wir vor ein paar Jahren noch gewagt haben, weil es für unser Gefühl ständig um Leben und Tod ging.
Heute ist das nicht mehr so sehr der Fall.
Heute geht es um Gegenwart und Zukunft – was manchmal genauso viel Angst, Sorge, Unterlegenheits- bzw. Überforderungsgefühle, aber auch Kämpfergeist und Aber will!-Trotz auslöst, aber dann doch ein ganz anderes Level ist.

Heute wollen wir eher sicher gehen.
Abschätzen. Prüfen. Nachdenken. Nachspüren.
Erst mal schauen, ob und was genau wir wann wie wo und wofür anfangen. Erst einmal alle Konsequenzen für Scheitern und Versagen klar haben, um dann ganz langsam zu testen, ob es geht.
Nach Möglichkeit ohne Angst zu haben oder eine Angst wegdrücken zu müssen.

Angst wegdrücken kostet nämlich Energie.
Überhaupt alles kostet Energie. Logisch eigentlich – und doch fürchte ich, haben wir lange “Energie” mit “Erregung auf Anschlag” verwechselt und tun das zuweilen heute noch.

“Bin ich schon erholt?” ist damit eigentlich auch keine Frage nach Motivation oder Bereitschaft zur Schule zu gehen und sich dem auszusetzen, was uns dort jeden Tag erwartet. Eigentlich ist es mehr die Frage danach, was wir alles wegdrücken müssen, um dort sein zu können und ein bestimmtes Level der Präsenz zu halten – und wie viel wir von dort wegdrücken müssen, wenn wir am Abend in die Traumatherapiestunde gehen und wie viel wir von widerum all dem wegdrücken müssen, wenn wir dann zu Hause sind und “Erholung machen”.

Interessanterweise ist Hausarbeit und Tüddelkram im Moment das, was am meisten zur Erholung beiträgt. Was auch nochmal vor Augen führt, wie wenig wir Carearbeit wert_schätzen. Denn obwohl wir merken, wie gut es uns tut und wie viel weniger anstrengend einfach alles für uns ist, wenn wir frische Kleidung, eine saubere Wohnumgebung – und sowas Profanes wie eine Haarlänge, die nicht stört – haben, kümmern wir uns in letzter Zeit viel zu wenig darum. Um genauer zu sein: nur ums Nötigste.

Wir pfeifen auf dem letzten Loch und rangieren mit einem Akku auf 25%. Manchmal weil wir denken: “Ach, wir haben schon mit weniger…”, manchmal, weil wir denken “Ja, aber das geht doch allen so…” (obwohl wir keinerlei Ahnung davon haben, wie es anderen mit ihren Akkus so geht) und aber auch, weil wir die Welt als einen rücksichtslosen, ja sogar gnadenlos vorwärtsströmenden Lauf der Dinge sehen, der es immer und immer von uns abverlangt weiterzumachen – ganz egal aus welcher Ressource heraus. Ob nun aus tollster Erholungsphase oder Todesangst.

Das Schlimme ist, dass das stimmt. Wenngleich vielleicht nicht ganz so brutal und gnadenlos wie das in uns etabliert ist. Aus Gründen.
Aber alles geht weiter und wir müssen Schritt halten, wenn wir Schritt halten wollen.
Natürlich können wir uns auch dagegen entscheiden. Natürlich können wir uns treiben lassen, loslassen und zurück in das, was wir vor der Ausbildung hatten.
Das hatte aber keine Zukunft.

Gerade denke ich, dass wir die Ausbildung vielleicht auch nur deshalb unbedingt so dringend schaffen wollen.
Wegen der Bildungslüge mit Zukunftsversprechen zum Einen, ja – aber auch wegen des Effekts den dieses Bildungs- und Zukunftsstreben auf uns hat.

Das Leben mit Traumafolgestörungen und Traumafolgen an sich, ist für uns sehr lange eins gewesen, das nur dieses Verschwimmen von Früher und Jetzt hatte. Das war kein “weniger leben” oder so – aber es war begrenzt und damit auch irgendwie eher statisch inmitten dieses großen Stroms der Dinge, die sich immer ändern und immer entwickeln.

Jetzt ist da Früher und Jetzt und Morgen und Übermorgen und in ein paar Jahren und so viele “Wir könnten auch…” und “Vielleicht machen wir …” ’s mehr, als wir uns selbst in den Phasen, in denen wir wer weiß was für große Höhenflüge hatten, als realistisch machbar vorstellen konnten.

Vorstellungen und Hoffnungen sind wie Trockenschwimmübungen. Manchmal. Wenn man sie sich ganz konkret machen kann.
Ich glaube, unsere Ausbildung ist unser Trockenübungsraum. Irgendwie.

Vielleicht müssen wir uns die Frage auch grundsätzlich anders stellen.
Nicht “Bin ich schon erholt?”, sondern “Sind wir wenig genug angestrengt?” oder „Was strengt uns gerade alles an?“.

Auf diese Frage fällt mir nämlich viel mehr auf, welche Kraftfresser wir sinnigerweise entfernen sollten.
Vielleicht ist das ja ein guter Schritt.

Störend

Ich hatte mich gefragt, wie sich der Begriff “emotionale Störung” wohl entwickelt hat, aber mein Leben ist im Moment deprimierend genug und so ersparte ich mir die Recherche. Doch erinnerte ich, wie meine Lehrerin in unserem Nachgespräch sagte, dass sie bemerkt hätte, dass wir nicht bei uns waren – nicht zentriert und eher “überwältigt von den Emotionen”, die in dem Moment in uns herrschten.

Ich versuchte ihr zu erklären, dass es nicht um ein Überwältigtsein von Gefühlen geht, wenn wir erleben, was sie von außen miterlebte, sondern um eine Art Zerfall von Welt und Sein, der für uns unaushaltbar ist.
Wie nachvollziehbar das jetzt war, weiß ich nicht und letztlich ist es auch nicht relevant in unserem Kontakt.
Aber ich fand es interessant meine eigene Beschreibung im Nachhinein noch einmal anzusehen und zu begreifen, dass es tatsächlich nie nur um Emotionen geht oder darum, dass uns Kompetenzen fehlen, mit Emotionen umzugehen.

Weder bei selbstverletzendem Verhalten, weder bei der Essstörung noch in irgendeinem anderen Moment, in dem uns unterstellt wurde (und bis heute wird) nur unseren Willen und Wunsch durchsetzen zu wollen, geht es darum frustriert darüber zu sein, dass es nicht geht, sondern um Überwältigtsein, Überforderung, Haltlosigkeit – unterm Strich: Not und tief greifende Trigger für Erinnerungen an frühe Erfahrungen der Haltlosigkeit, die verknüpft ist mit Todes- bzw. Vernichtungsangst und der Auflösung des Selbst.

Überwältigende Gefühle allein sind kein Problem für uns. Klar fuchteln wir dann ein bisschen und reden tagelang darüber, was diese Gefühle verursacht hat – es passiert etwas mit uns, wenn wir etwas Überwältigendes erfahren haben, ganz klar – aber wir können drüber reden, weil wir es erfassen konnten. Es gab einen Kontext, es gab uns und es gab eine Verbindung, die uns ermöglicht hat, die Überwältigung nicht nur zu erfahren, sondern auch einzuordnen.

Wenn wir zerfallen, wie am Dienstag, bleibt das aus.
Wir fuchteln nicht – wir schimpfen und schreien oder schlagen um uns (und verletzen uns dabei) – werden wir dann auch noch angefasst, verletzen wir vielleicht auch noch andere. Es gibt einen unterschiedlich umfassenden Zugriff auf die Erinnerung an die Situation und es gibt natürlich auch das Erkennen von stark in uns waltenden Gefühlen – es gibt aber keinen Willen zur Macht, keinen Frust über ausbleibende Optionen andere Menschen zu dominieren und auch keinerlei Gefühle, die über soziale Interaktion oder soziale (Wert-)Bindungen entstanden sind, die berührt werden.
Sehr wohl aber gibt es Not, Ohnmacht, Todes- und Vernichtungsangst. Das Gefühl weder selbst zu sein, noch als im Sein erkannt zu werden. Das kann man dissoziiert nennen – man könnte aber auch von einer Verschmelzung bis zur Selbstauflösung sprechen.

Wir haben ein Emotions-Mischungs-Problem. Eine Störung, die auftritt, wenn wir große Gefühle, mit großer kontextueller, räumlicher und zeitlicher Irritation vereinen müssen. Ich denke, dass alle Menschen irgendwann vor solchen Problemen stehen – ich nehme es aber so wahr, dass der gesellschaftliche Konsens dessen, wie groß genau eine Irritation auf den benannten Achsen sein kann/darf bis sie diese Störung in Menschen verursacht bzw. zum Problem wird, nicht mit unserer Einschätzung dessen, was “groß” ist, übereinstimmt.

Frust empfinde ich, wenn Menschen mir sagen, dass sie unsere Schwierigkeiten so verstehen, dass Dinge und Umstände für uns anders sind, als für andere Menschen, obwohl ich versuche ihnen klar zu machen, dass wir kein grundlegend anderes Erfassen von Dingen und Umständen haben, sondern viel mehr Sortierungs- und Prioritisierungsprobleme haben.
Für uns ist ein Tisch ein Tisch – das ist er aber erst, wenn es die Erkenntnis von Existenz über Tischplatte (mit ihren spezifischen Eigenschaften) und Tischbeinen (mit jeweiligen anderen Eigenschaften) unter den unterschiedlichen äußeren Einflüssen des Raumes (und manchmal auch der Zeit) zur Erkenntnis der Verbundenheit dieser Teile miteinander zur Erkenntnis der Abgrenzung vom Rest ihrer Umgebung geschafft haben.

Wir haben hier schon öfter darüber geschrieben, was wir meinen, wenn wir sagen “wir sehen viel” oder “wir nehmen viel wahr”. Viele Menschen haben das so gelesen, als würden wir sagen sagen wollen: “Wir sehen viel mehr als andere Menschen”. Tatsächlich aber sehen wir natürlich nicht “mehr” als andere Menschen – sehr wohl aber sehen wir in “mehr einzelnen Schritten” als andere Menschen und merken, welche Konstruktionsprozesse es braucht, bis wir orientiert und in Kenntnis gesetzt sind.

Frust empfinde ich, wenn ich merke, dass es egal ist, ob wir die Kraft aufbringen Menschen diesen Umstand mitzuteilen, oder nicht. Frust empfinde ich, wenn mir zu hoher Anspruch unterstellt wird, weil ich so viele Informationen einfordere, wie ich brauche und nicht nur so viele, wie andere glauben, dass ich sie brauche oder noch schlimmer: was andere Menschen glauben, was sie an meiner Stelle bräuchten und entsprechend gewähren.

Ich frage mich, ob eine emotionale Störung ist, wenn sich jemand von meinen Emotionen gestört fühlt. Wenn jemand denkt, meine Gefühle und Gedanken, meine Einschätzungen und Bewertungen eines Umstandes wären der Situation unangemessen, weil si_er sie nicht nachvollziehen kann. Und will.

Manchmal denke ich, dass ich es auch nicht nachvollziehen wollen würde, wäre es nicht so ein schon immer bestehender Bestandteil unseres Lebens.

Für uns ist das Umunsherum ein Wirbelsturm in einer Legotonne. Wir brauchen Zeit, Kraft und dieses eine Moment ohne Angst, um die Dinge und Menschen in ihrer Zusammensetzung, ihren Beziehungen zu- und miteinander zu erkennen. Die einzige immer in uns waltende Emotion (von der ich mir nicht einmal sicher bin, ob es eine Emotion ist) ist Angst (zu sterben).
Verändern sich Dinge, werden wir in unseren Annahmen irritiert, bekommen wir zu wenig Zeit, zu wenig Raum, krümelt uns auseinander, worin sich andere Menschen tritt- und selbst.sicher bewegen. Wem würde das keine Angst machen?

Seit einem Jahr scannen wir unsere Probleme auf die Schnittstellen von DIS und Autismus und verzweifeln an manchen Tagen darüber, wie sehr wir selbst unsere Probleme unterkomplexisiert haben, um bestehende Belastungen überhaupt auszudrücken. Um diese kleine Box der Psychotherapie nicht zu sprengen, um in Kliniken nicht mehr Aufwand zu bereiten, als eh schon durch die DIS-Diagnose entsteht, um Helfer_innen bei Hoffnung für uns zu halten. Um wenigstens etwas zu haben, anstatt allein mit dem zu bleiben, was jederzeit und jederorts in uns wirkt – egal wie positiv unsere Grundeinstellung ist, wie hoffnungsvoll wir in die Tage sehen, egal wie wir uns ernähren, egal welche Pillen wir essen usw. usw. usw..

Erinnert hat mich der “Befund” des Arztes am Dienstag daran.
Wie lange hatte ich die Idee, es würde uns viel besser gehen, wären wir nicht hochbegabt. Und wie lange hat es gedauert, bis ich diese Idee als ableistischen Bullshit identifiziert hatte.
Es ging bei uns nie um einen Geist, der zu viel Freizeit hat und uns Quatsch in den Kopf produziert, an dem wir dann leiden. Es ging immer wieder um Menschen, die unsere komplexe Problematik auf den kleinsten gemeinsammöglichen Diagnoseschlüssel, auf die allgemeingültigste Phrase, auf ein linear aufgebautes Naturgesetz eindampfen – und uns, die dabei mitgemacht haben. Aus Angst zu sterben. Aus Angst allein bleiben zu müssen.

Es geht nicht darum, dass andere Menschen zu dumm sind für unsere Probleme. Es geht darum, dass sie uns nicht verstehen können oder wollen. Das ist etwas anderes.
Das ist jedoch genau das, was uns nie zugestanden wird. Der Umstand wirklich genau so un- und missverstanden zu werden, wie wir das herausanalysieren.

Die wenigsten Menschen halten sich für normal. Doch die meisten Menschen halten ihre Art sich der Welt und sich selbst zu widmen für normal und damit für genau die Art “wie man das nun einmal so macht”.

Wir machen es anders.
Bei uns funktioniert es anders.

Vielleicht ist das schon alles, was stört.

Fundstücke #35

Seit etwas über einer Woche gehen wir mit kalten Händen und Füßen ins Bett. Zittern ein bisschen, rollen uns hin und her, stehen dann irgendwann doch auf, um die Körnerkissenschuhe und die Wärmflasche warm zu machen.

Wir essen genug, wir bewegen uns genug – es ist nur das Weiche im Körperinneren, das sich tot stellt.
So ist jedenfalls unser Erkenntnisstand im Moment, denn so wie es derzeit bei uns läuft, ist für uns auffällig, dass wir leichter als sonst auseinanderfallen. Dass es immer weniger braucht, um uns zu verwirren, zu verunsichern und innere Tode zu sterben.

Am Montagabend gingen wir ins Bett und standen noch zwei Mal auf, weil die Körnerkissen erkaltet waren. Um 7 ging der Wecker zur Schule.
Wir standen auf, folgten dem Tagesplan, motivierten uns zur Schule, in dem wir uns zeigten, dass wir nur Fächer haben würden, die uns liegen und wenig Stress bedeuten.
Wir kamen pünktlich zur Bahn – und die verspätete sich.

In der Schule kamen wir dann dennoch okay pünktlich an – nämlich zu dem Zeitpunkt, an dem unsere Mitschüler_innen die Tische umstellen sollten. So standen wir in dem Raum und wurden von der Lehrerin rausgeschickt, wegen des Krachs.
Sie holte uns nach einer Weile, die wir in der Flurhalle standen, in einen Raum rein, der nicht mehr unser Klassenraum war.
Wir wussten nicht, wo wir uns hinsetzen sollten und als wir uns für einen der einzelnen Tische entschieden hatten, kam die Information, dass wir einen Test schreiben würden.

Niemand hatte uns Bescheid gesagt. Trotz nerviger WhatsApp-Gruppe und ausgetauschten Telefonnummern, hatte es niemand geschafft uns mitzuteilen, was in der letzten Woche, die wir wegen des Krampfanfalls  verpasst hatten, unterrichtet und angekündigt wurde.

Das Nächste, das ich erinnere, ist mein Blick von unten auf die Linde im Schulhof, während der über uns hinwegfliegende Hubschrauber meinen Kopf mit seinem Krach zerschmetterte. Dann, wie niemand von unseren Notfallkontakten kommen konnte. Dann, wie mir Fragen gestellt wurden. Dann, wie wir durch einen von Röhrenleuchten durchgeflackerten Flur gefahren wurden.

Und dann das:
tweet

Da war der Pfleger, der uns genug Raum gab, uns langsam zu erholen und der Arzt, der uns später in den Arztbrief schreiben würde: “Verhaltens- und emotionale Störung bei leichter Intelligenzminderung” und eine “Intensivierung der Psychotherapie” vorschlägt.
Er ist Team “Du und deine Reaktionen sind das Problem – nicht deine Lebensbedingungen” und auch sonst ist er ein Arschloch, das ich zu hauen mindestens überlegen würde, sollte ich ihn jemals treffen, wenn ich mich nicht gerade so abgrundtief schlecht fühle, wie ich das nach so einem Krampfanfall tue.

Wir werden untersucht und dürfen auf unsere Ergebnisse im Ambulanzempfangsbereich warten. Das Telefon fräst sich 15 Mal durch unser Gehör. Viele Menschen schauen uns an, schauen wieder weg. Die sogenannten schwer- und schwerstbehinderten Menschen verhalten sich rücksichtsvoller und ich mag sie, obwohl mich ekelt, dass einer nach Urin riecht und ein anderer erkältet herumschnoddert.

Wir mussten ins Krankenhaus, weil die Schule die Verantwortung nicht übernehmen konnte. Im Krankenhaus macht man ein bisschen Standardzauber und teilt uns mit, dass ein Taxischein von der Krankenkasse nicht finanziert wird. Wir laufen also in die Stadt zur Straßenbahn. Übergeben uns in eine Grünanlage und reden uns ein, dass es nur die Anstrengung ist und kein Hirntumor, den man schon wieder übersehen hat. Wir merken mit jedem Schritt durch die spätsommerliche Stadt, dass die Verantwortung für uns weh tut und verstehen, warum sie niemand für uns mittragen will.

In der Fußgängerzone sehen wir unsere gesetzliche Betreuerin und ihren Mann. Erinnern uns daran, dass sie letzte Woche noch einen Antrag auf Verlängerung des Hartz stellen wollte. Wir schauen bei der Sparkasse vorbei und erfahren, dass der Antrag entweder nicht bewilligt wurde oder vielleicht auch noch gar nicht gestellt wurde.
Wir steigen in die Bahn. Steigen in unsere Wohnung und erinnern uns, dass die Rauchmelderwartung heute ist.

Ich will heulend zusammenbrechen, aber mein Zusammenbrechscharnier ist im Laufe der letzten Stunden von dem Eis in meinen Gliedmaßen erstarrt. Darum putze ich die Wohnung bis die Wartungsperson kommt.
Dann esse ich Ananasstücke, die mir die offenen Stellen im Mund (die ich mir von was weiß ich woher geholt habe) ausbrennen und schreibe unserer Lehrerin zurück, dass sie ruhig jetzt schon zu uns kommen kann, um NakNak* zu bringen.

Sie erzählt uns, dass wir geschimpft haben, bevor der Anfall kam und ich freue mich darüber. Ich finde es gut, dass wir laut geworden sind, statt uns ein weiteres Gliedmaß anzuschlagen. Sie zeigt auf, wie alle einfach so davon ausgegangen sind, dass wir Bescheid wissen.
Wir reden lange, finden Ideen so etwas in der Zukunft zu verhindern und treffen weitere Absprachen.  Unsere Mitschüler_innen müssen damit leben, dass wir wütend auf sie sind, wenn sie sich ignorant verhalten, auch wenn sie das nicht mit Absicht tun.
Ich muss damit leben, die zu sein, die wütend über ihr Verhalten ist, weil sie es, egal, wie sie es beleuchtet, nicht versteht.

Später telefonieren wir mit Renée und ich merke, wie sich der Stachelpanzerbuckel eines anderen Innens auf meinem Rücken langsam auflöst.

Am frühen Abend gehe ich mit warmen Körnerkissen und der Wärmflasche ins Bett und merke, dass die Fastleiche unter meiner Haut schreit, ohne einen Ton zu veräußern.

Diese Woche dürfen wir in der Schule noch fehlen. Dann sind Herbstferien.

Wir haben 3 Wochen für Leichenbergung und uns mehr unterstützenden Strukturaufbau.

Heute ist wie gestern. Nur anders.

“Ich habe da auch überhaupt keine Ahnung von.”, sagte unsere Hausärztin und drückte sich die Schultern gegen ihre Ohrläppchen.
Sie meinte dissoziative Krampfanfälle und vielleicht auch Kampfanfälle im Allgemeinen.
Ähnliches hatte unsere Neurologin, die als unsere Psychiaterin im Helfernetz auftritt, gesagt, als wir zuletzt vermehrt Krampfanfälle und motorische Tics hatten. Sie empfahl uns zu einem anderen Neurologen zu gehen. Einem, der sich besser auskennt und eine entspreche Wartezeit für Termine hat.

Und letztlich auch nicht mehr sagen konnte als: “Alles psychisch – ich kann da nichts machen.”

Wir sind dankbar für die Ehrlichkeit mit der uns das gesagt wird. Es ist uns lieber gleich zu wissen, dass wir nicht mit Kompetenzen und Hilfe rechnen können, als zu glauben, sie wäre da und in dieser Annahme enttäuscht zu werden.
Es ist aber auch schlimm, denn “alles psychisch” bedeutet “alles in deiner Psyche begründet” und eben nicht “alles in etwas begründet, worauf deine Psyche reagiert”.

Wir fühlen uns nicht als “psychisch krank” und hassen es, wenn diese Formulierung verwendet wird, um Lebensrealitäten wie unsere zu beworten.
Solange uns die Medizin nicht helfen, uns aber sehr wohl von “körperlich Erkrankten” abgrenzen kann, weigern wir uns auch uns diesem Sprachgebrauch entsprechend zu verorten.

Wir stiegen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und nachwievor anhaltendem Schwindel, Schmerzen in der Hand und kurz vorm Erbrechen vor Müdigkeit in die Bahn zurück nach Hause. In den nächsten paar Tagen haben wir schulfrei. Können uns ausruhen. Können hübsch zu Hause bleiben und uns den Bauch über den Hosenbund hängen lassen.
Könnte man so annehmen.
Tatsächlich schliefen wir kurz, nahmen NakNak* in Empfang und fielen in ein Stimmungstief.

Der Anfall war von einer Situation ausgelöst, in der uns das Management der eigenen Hilfen entglitten ist. Den Anfall selbst konnten wir nicht regulieren. Die Hilfen nach dem Anfall war okay und doch unzureichend. Trotzdem wir getan haben, was wir konnten. Wir haben gesagt, was wir brauchen. Wir haben gesagt, was wir wollen. Wir haben gekämpft und verloren. Irgendwie.
Und am Ende bleiben wir allein in unserer Wohnung, lesen im Internet, recherchieren nach Yoga-Übungssequenzen, googeln nach neueren Forschungen über dissoziative Prozesse und ihre neurologischen Strickmuster.
Wir fühlen uns scheiße, sind müde und können doch nicht mehr schlafen.
Irgendwann zerlegt es uns im Schlafzimmer und beinahe fallen wir mit dem Kopf auf die provisorische Treppe zu unserem Bett. Ein paar Stunden vorher hatten wir von jemandes Tod durch Epilepsie erfahren.
NakNak* legt sich neben uns und atmet unsere Wange an.

“Es liegt alles allein in unserer Hand”, denke ich und möchte zeitgleich heulen vor Frust über die Last, die ich daran spüre.
Ich plane unsere Wohnung neu. Plane mehr Platz zum Hinfallen ein, überlege die Wiedereinführung der Notfalltaste am Telefon, die NakNak* betätigen kann. Bitte eine Gemögte, um Zeit, eine stationäre Betreuung mit uns zusammen rauszusuchen und versuche meine Angst vor dem endgültigen Ende von Autonomie und finanzieller Unabhängigkeit mit Tränen zu verdünnen.
Ich schwimme durchs Internet und finde weder Insel noch Hafen für mich und uns und den ganzen Haufen Zeug, über den wir mit anderen Menschen in Austausch gehen wollen würden.

Wieder denke ich über einen Antrag auf Kostenübernahme auf eine stationäre Therapie in einer spezialisierten Klinik nach und darüber, wie dicht der soziale Filz wohl ist, der uns auch diesen Versuch an Hilfe zu kommen verunmöglichen würde.
Und lasse es wieder bleiben.
Diese Art der Hilfe ist für alle anderen. Wir haben schon alle anderen Optionen, sind schon besser versorgt als viele andere. Wir sind nur nicht kompatibel genug. Nicht gut genug. Nicht genug, um sein zu dürfen, wer wir auch noch sind.

Die Nacht geht vorbei und zum ersten Mal seit Wochen, kann ich mich aus einem unkontrollierten Erinnern herauswinden.
Mit der gestauchten Hand können nicht aufs Rad steigen und das ekelhafte Körpergefühl vom Fahrtwind abschmirgeln lassen. Wir gehen in die Küche und setzen uns ans Fenster.
Mir ist klar, dass ich nicht wirklich blute und doch gehe ich in das Rinnsal hinein und verfolge es auf seinem Weg an mir herunter. Ich habe keine Angst, mir ist nicht schlecht. Ich bin das Blut und müde, abgekämpft und dumpf.
Am nächsten Morgen schreibe ich auf, wer noch da war, was ich gemacht und gedacht habe.

Neben all dem, was ich nicht beeinflussen kann, ist die Therapie und der Hausaufgabenklops das, was mir im Moment Hoffnung und einen Faden in die Welt gibt.

Ich verstehe endlich, was es mit mir macht, wann immer Ärzt_innen und andere Helfer_innen sagen, sie hätten keine Ahnung: Ich denke, dass ich diese Ahnung haben muss. Denn irgendwo muss sie ja sein. Es kann ja nicht – es darf ja auch nicht sein, dass niemand weiß, was mit mir passiert, wenn es um so etwas Schlimmes geht.

Es darf doch nicht so sein, dass es für uns keinen Grund zur Annahme gibt, dass es irgendwann und durch etwas, das man tun kann, aufhört zu passieren.
Es muss doch etwas geben, das uns davon erlöst immer wieder so global die Kontrolle über uns und unseren Körper zu verlieren.

Ich sehe die Parallele zum Gewalterleben anderer Innens früher und sehe, wie oft wir mit der Frage nach dem Kontext und der inneren Mechanik dessen, was mit uns und an uns passierte, alleine gelassen wurden. Für mich wird darüber auch verstehbarer, warum sich organisierte Gewalt in additiven Kontexten bewegt, statt einfach nur in den Intensionen der Täter_innen: Sie haben keine Ahnung – aber für sie ist das okay und auch nicht relevant eine Ahnung zu haben, denn das draufgepappte Konstrukt um ihre Handlungen erlöst sie davon.

Für unsere Hausärztin ist es auch nicht relevant eine Ahnung zu haben. Für unsere gesetzliche Betreuerin und den Richter ist es ebenfalls nicht relevant eine Ahnung davon zu haben, was bei uns passiert. Sie können sich auf die eigene menschliche Begrenztheit und ihre Rolle in bestehenden Strukturen zurückziehen und sich so einen meterhohen Grenzzaun zwischen sich und uns aufbauen.
Es ist ihnen erlaubt blind taub und handlungsunfähig vor uns aufzutreten und uns zu vermitteln, wir müssten uns selbst retten helfen.

Und wir, die wir seit Jahren und immer unsere Probleme allein lösen oder durch alleingestemmte Projekte leichter machen, weil es keine anderen Optionen gibt, sprechen darauf natürlich an.
Wir sind die einzige Person, die während und nach dem Termin gelitten hat. Wir sind die Einzigen, die sich vom Krankenhaus nicht ausreichend versorgt gefühlt haben. Wir sind die Einzigen mit diesem Körper. Wir sind die Einzigen mit dieser Psyche. Wir sind allein mit dem, was uns passiert. Wir sind der Einzelfall von dem niemand eine Ahnung haben muss.
Weil man ja nicht von allem eine Ahnung haben kann.

Unsere Therapeutin sagt uns immer wieder, wir sollten uns darauf konzentrieren, dass heute alles anders ist als früher.
Nach Erfahrungen wie diesen, fällt es mir sehr schwer daran zu glauben, dass sich die der früheren Gewalt zugrunde liegenden Dynamiken nicht mehr in unserem Leben befinden und keinerlei (re)traumatisierenden Einflüsse mehr auf uns haben.

Es fällt mir so schwer, dass ich sage, dass heute wie gestern ist. Nur anders.

“Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht”

Vor dem Termin hatte ich Angst. Termine, die mit dem Gericht zu tun haben, machen mir immer Angst.
Nicht, weil ich fürchte, man würde mich für irgendetwas ins Gefängnis sperren oder mich bestrafen, sondern, weil ich weiß, dass wir dem, was dort passiert, nie gewachsen sind.

Wir haben das Problem, das viele Viele und viele autistische Menschen haben: man sieht uns nicht an, was in uns vorgeht.
Entweder macht mein Gesicht etwas, das von anderen Menschen nicht korrekt übersetzt werden kann oder es macht gar nichts, weil all meine Kraft in das Erfassen der Vorgänge um mich herum geht und nichts mehr übrig bleibt für Körpersprache.
Wir haben das Problem, das viele Menschen, die (lange) in sogenannten “Hilfe”systemen leben, weil wir es brauchen: wir sind abhängig von jenen, die strukturell oder persönlich als unsere Helfer_innen auftreten bzw. bestellt werden – was bedeutet, dass wir unfrei sind und nur so befähigt zur Befähigung sein können, wie sie (und die gegebenen Strukturen) uns dazu ermächtigen bzw. befähigen.

Und wir haben das Problem, dass wir uns all dessen bewusst sind. Während viele andere es nicht sind und auch nicht sein wollen.

Ich hatte vor dem Termin Angst, weil ich Angst vor unserer gesetzlichen Betreuerin habe. Vor ihrer Ignoranz mit der sie mit der Macht, die wir ihr übertragen haben, umgeht. Vor ihrer falschen Überzeugung, die sich durch keine unserer Richtigstellungen und Erklärungen korrigieren lässt.

Wir rutschen nachwievor selbst immer wieder in die Todesangst, von der wir Pädagog_innen und anderen Betreuer_innen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, erzählen. Wir selbst erleben uns immer wieder in der Überzeugung, dass, wenn dieser eine Zettel falsch ausgefüllt wird – dieser eine Beschluss falsch ist – dieses eine Gutachten unzutreffend ist – dieser eine Bericht strunzfalsche Aussagen enthält – dieser eine Antrag inkorrekt ausgefüllt wird – wir sterben werden (weil wir etwas falsch gemacht haben/niemand uns helfen wird/wir allein und ausgeliefert (bleiben) werden/weil wir unter- oder gar nicht versorgt werden/weil das doch jede_r kann und es unsere Strafe ist, zB etwas Beantragtes nicht zu bekommen, damit wir es beim nächsten Mal gefälligst richtig machen…)

Das ist kein überkandideltes Einbildungsängstlein, das man im Fall des Falls auch durch eine Kognition auflösen kann. Das ist eine Angst, die uns den Hals zupulst und den gesamten Organismus mit toxischem Stress flutet. Das ist Traumawiedererleben. Das ist, was man, wenn man so will, “PTBS-Dünger” und “Traumatherapiegift” nennen könnte.
So ein Stresslevel verändert die Denkstruktur, verändert die rein neurologisch verfügbaren Möglichkeiten, um Inhalte zu erfassen und zu verarbeiten und verändert natürlich auch die Ressourcen der sozialen Interaktion und verbalen wie nonverbalen Kommunikation.
Zusammen mit unseren allgemeinen Schwierigkeiten andere Menschen zu lesen und ihre Handlungen und Aussagen zu verstehen, sind wir folglich bei allen Gesprächen mit solchen Schwerpunkten massiv gehandicapt.
Und ich schreibe hier bewusst “gehandicapt”, denn behindert werden wir an der Stelle ganz klar von der Ignoranz der Menschen, mit denen wir es dann zu tun haben und von den Strukturen, die diese Ignoranz erlauben.

Vor dem Termin hatte ich noch getwittert, dass ich mir NakNak* an unserer Seite bei dem Gespräch gewünscht hätte. Zum Einen, weil wir uns im Innen grundlegend anders aufstellen können, wenn wir nicht nur für uns, sondern auch sie sorgen müssen und sie uns frühzeitig einen Krampfanfall meldet – zum Anderen aber auch, weil sie durch ihre Anwesenheit als Assistenzhund greifbarer macht, dass wir eine behinderte Person sind. Dass wir “wirklich etwas haben” und nicht nur so tun oder es eine Frage der individuellen Einschätzung von Außen ist, ob da etwas ist oder nicht und wenn doch, wie sehr.

Doch bei Gericht herrscht kategorisches Hundeverbot. Natürlich könnten wir uns um einen medizinischen Zettel bemühen auf dem steht, dass wir echt was haben und der Hund in echt hilft, besser klar zu kommen – aber natürlich müssten wir dazu mal wieder eine_ Mediziner_in beanspruchen, unsere Zeit für andere Dinge abknipsen, unseren Fokus erneut nicht auf uns und das was wir brauchen legen, sondern darauf, was andere (ablierte) Menschen brauchen, damit sie etwas tun dürfen, damit wir bekommen, was wir brauchen.
Der Satz ist jetzt recht lang – man darf ihn sich trotzdem mal tief in den Kopf tun und dann einen Blick auf die Behindertenrechtskonvention werfen, bitte danke.

Ich wünsche mir mehr Bewusstsein um diesen Umstand bei anderen Menschen. Ich wünsche mir mehr Bewusstsein darum, dass Behinderungen der Wahrnehmungs_Verarbeitung existieren und ganz konkrete Folgen für das Miteinander haben.
Wir haben massive Probleme in Gesprächstermine zu gehen, ohne zu wissen worum genau es konkret gehen wird. Was von dem, was wir sagen wollen und wichtig finden, gehört überhaupt in diesen Termin? Was genau sollen wir leisten? Müssen wir große Entscheidungen treffen – und wenn ja – was sind die Kriterien, an denen wir uns dazu orientieren sollten/können/müssen?

Diese Probleme haben wir nicht erst seit gestern. Die haben wir schon seit immer – doch existenziell problematisch wurden sie erst, seit wir mit 15 zum ersten Mal vor einer Jugendamtssachbearbeiterin gesessen haben und ohne die Tragweite unserer Aussage überhaupt selbst umfassend verstehen und überblicken zu können, unserer Fremdunterbringung zustimmten.

Unser Gerichtstermin gestern, war die Folge unseres Anrufs dort, nachdem unsere Betreuerin auf unseren Zusammenbruch über das Ende unserer Sicherheit sagte, sie wüsste wie es uns jetzt ginge und anderen grenzüberschreitenden Bockkackscheißmist von sich gab, der uns in massive Zweifel brachte, ob sie überhaupt je verstanden hat, was wir ihr über unsere Geschichte, Trauma und Autismus als unsere zentralen Probleme gesagt hatten.
Was wir nicht wussten war, dass, wenn man in so einem Fall bei Gericht anruft und fragt, ob es Klärungsoptionen gibt, die man nutzen könnte, um weiterhin gut miteinander zu arbeiten, das automatisch als Beschwerde gilt und damit einen Betreuerwechsel einleitet.
Der Richter beantwortete unsere Unkenntnis dessen lapidar mit “Ja, manchmal sind Wissensdefizite hinderlich.”

Dass meine Erziehung und Therapie schon länger passiert war, fand ich in dem Moment auch hinderlich.
Denn statt ihn zu hauen oder anzuschreien, wie ich es gerne getan hätte, bekam ich den ersten Krampf im rechten Arm, Schreie im Kopf und einen Hyperarousel aus der Hölle.  Spätestens jetzt hätte NakNak* angefangen zu bellen und mich zu kratzen. Und alle Anwesenden hätten gemerkt, dass jetzt Stopp ist.
Dass jetzt schon der Moment ist, in dem nichts mehr geht. Weder lieb-Performance, noch brav-Tänzchen, noch konstruktiver Beitrag zum Thema.
Aber NakNak* war nicht da. Und ich habe es nicht gemerkt.
Ich dachte, ich müsste retten, was zu retten ist. Zusammenreißen, stark sein, nicht einknicken, dran bleiben, für mein Recht auf eine gesetzliche Vertretung, die angemessen ist, kämpfen, mich darum bemühen, verstanden zu werden, nicht aufgeben selbst zu verstehen – obwohl niemand merkt, dass ich nicht verstehe.

Ich traf eine Entscheidung von der ich nicht weiß, ob sie richtig war und auf Wegen, die sich mir nicht erschlossen, da ich noch längst nicht fertig war mit dem, was ich zu sagen hatte, war das Gespräch dennoch einfach plötzlich zu Ende.
Wir gingen raus auf den Flur, die Betreuerin wollte “schnell noch was mit uns besprechen” und ich hatte das Gefühl jeden Moment einen Schrei aus mir herauszukotzen, dessen Ursprung, Sinn und Ziel mir fremd war.

Für mich waren Zeit und Raum schon längst zerbrochen und lose an seinen Fäden aus dem Universum herunterbaumelnd, wie ein Sitz im Kettenkarussell. Und wenn man mich fragt, dann ist es genau das, wovor wir Angst haben, wenn wir Angst vor Kontrollverlusten haben.

Es ist Trauma 101.
Traumatische Erfahrungen sind deshalb traumatisch, weil das Gefühl für den Kontext (und sich selbst darin) verloren geht. Verstärkt wird es durch körperliche Versehrungen oder emotionale Not. Manchmal geht es auch darum, etwas zu erfahren, das niemand sonst erfährt bzw. das nicht alltäglich ist, was die Kontextualisierung erschwert.

Für uns hochtraumatisierte Person mit Problemen der Kommunikation und Interaktion, war dieser Termin von Anfang an einer, bei dem klar war, dass wir genau das (wieder)erleben werden. Und niemand hats gerafft. Niemand.
Ausnahmslos.

Wir wussten nichts vor diesem Termin über diesen Termin, außer, dass es um unsere Betreuungszukunft geht. Was alles bedeuten kann. Da wir noch keine gesetzliche Betreuung vor dieser hatten, haben wir noch nicht genug konkrete Erfahrungen auf die wir zurückgreifen konnten, um uns den Kontext zu erschließen.
Und da niemand verstanden hat, dass wir ein bisschen mehr brauchen als “kommen sie da mal hin, es ist ein wichtiger Termin”, haben wir auch nicht mehr bekommen – und natürlich auch nichts weiter gefordert.
Mehr Forderungen kosten mehr Kraft und davon haben wir seit einer Weile häufig gerade mal soviel, dass wir nicht vergessen zu essen, zu trinken, uns nicht das Leben zu nehmen.

Trotzdem lautet die Prämisse für alle und immer: Wenn sie was wollen/brauchen – fordern sie es ein.

Irrational sind sie. Solche Einladungen zu etwas, das in der Regel weder gemocht noch selbst gerne erfüllt wird.
Weshalb sie eben auch immer wieder an uns als Option herangetragen werden. “Soll sie halt was sagen, wenns ihr nicht passt – wer schweigt stimmt zu.”

Wer schweigt, weil zum Fordern keine Kraft da ist, hat in dieser Logik selbst schuld und damit die eigene Diskriminierung verursacht.
Muss ich jetzt noch einen Satz dazu schreiben wie unfassbar ignorant und abstoßend so eine Haltung ist?

“Keine Kraft” bedeutet in unserem Leben sowas wie: “Scheiße, ich hab mir die letzte saubere Hose vollgepisst, weil ich schon seit Stunden auf Küchenboden liege und nicht mehr hochkomme. Scheiße, ich muss Wäsche waschen. Scheiße, ich muss sie aufhängen. Scheiße, ich hab für morgen nur noch Klamotten, die zu groß sind, anzuziehen. Scheiße, ich hab so viel Gewicht verloren. Scheiße, ich muss mehr essen. Scheiße, hab ich heute überhaupt schon gegessen? Scheiße, hat der Hund gegessen? Scheiße, der Hund muss noch raus. Scheiße, ich bin so scheiße zu ihr. Scheiße, ich kann keinen Hundesitter engagieren. Scheiße, ich komme mit nichts hinterher. Scheiße, es ist so viel zu tun. Scheiße, ich bin so viel zu wenig vor all dem Viel.”, zu denken, währenddessen die Sonne untergehen zu sehen und zum x-ten Mal den Timer für irgendwas, was an diesem Tag zwingend dringend zu erledigen ist, zu bemerken.
Und. nicht. zu. können.
Nichts fordern zu können. Nichts sagen zu können. Und auch: nichts und niemanden um irgendetwas bitten zu können, weil irgendwann nicht einmal mehr klar ist, wo man überhaupt anfangen sollte. Was geht. Was man fordern könnte.
Was man mehr tun kann, als zu sagen: „Ich habe keine Kraft.“ oder „Ich kann nicht.“

Uns wird so lapidar hingerotzt, wir müssten einfach mehr Hilfe fordern, dass nicht gewertschätzt wird, wie viel es von uns abverlangt, wenn wir es tun. Wie viel Not dahinter ist, wenn wir das tun. Es wird übersehen, dass unsere Forderungen niemals und zu keinem Zeitpunkt so lapidar an andere Menschen herangetragen werden, wie es mit der Aufforderung dazu an uns passiert.
Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht.
Und das ist uns gestern zum Verhängnis geworden.
Schon wieder.
Trotzdem wir mit dem Begleitermenschen da waren.

Die Betreuerin sagte etwas, ich stopfte mir den nächsten Schreiimpuls in den Hals und lief weg.
Ich erinnere mich daran, dass ich meine steinharte Hand mehrmals gegen Wandstücke schleuderte und daran, dass ich dem Begleitermensch etwas später sagte, dass ich deshalb ins Krankenhaus wollte. Tatsächlich hatte ich es ihm aber mit dem Talker vermittelt und auch danach noch einige Stunden nicht mit Lautsprache kommuniziert.

Wir hatten einen Krampfanfall, der übermäßig lange anhielt und waren auch lange danach nicht in der Lage zu re-interagieren.
Das Erste, was ich konsistent erinnere, ist die Wand des Krankenhausimmers, deren Oberfläche nach Kiwi schmeckte.

Ich erinnere Schwindel, Erschöpfung, den Wunsch nach Versorgung, die mir etwas von dem nimmt, worunter ich litt. Schmerzen, Scham, Selbsthass, Schuldgefühle, Wut, Ohnmacht, unerträgliche Mitgefühle für andere Menschen.
Nach einigen Stunden und zwei Röntgenaufnahmen des Arms, verließen der Begleitermensch und wir das Krankenhaus mit Schwindel, Erschöpfung, Schmerzen, Scham, Selbsthass, Wut, Ohnmacht und dem Gefühl, die eigene Not selbst verursacht zu haben.

Im Arztbrief steht der Begleitermensch als unser Betreuer.
Weil er weder Freund noch Passant war, wurde er eben der Betreuer für eine behinderte Frau, die weder zu sprechen noch Blickkontakt aufzunehmen hinkriegt und deshalb ganz sicher in einer betreuten Wohngruppe lebt.

Wenn wir allein ins Krankenhaus mit einem Krampfanfall eingeliefert wurden, dann wurde uns immer vermittelt, wir hätten uns nicht genug um Hilfe bemüht.
Nun waren wir Begleitung eines als helfend kategorisierten Menschen und entnehmen aus dem Brief, dass wir als jemand wahrgenommen wurden, di_er keine Hilfe mehr braucht, weil ja schon Hilfe da ist.

In “Die Soziologie der Behinderten” beschreibt Günther Cloerkes (unter anderem) wie so etwas passiert.
Es passiert aus Angst vor dem selbst gemachten und gelebten Tabu der Nonkonformität, die Behinderung und behindert sein bedeutet.
Wenn wir so sind – wann immer wir so viel Not durchleben und das nicht verstecken (können/wollen) – erschrecken wir Menschen, denn sie merken, wie wenig es braucht, um so wertlos/krank/ausgeliefert/leidend/bedürftig/* zu werden, wie sie uns gerade wahrnehmen und in was für eine prekäre Lage sie sich selbst mit allem, was sie in Bezug auf uns tun, manövrieren.
Es tröstet und entlastet, wenn man die Wurzel einer Behinderung in einem Menschen bzw. dessen Psyche oder Gehirn verorten kann. Es tröstet und entlastet, wenn man sich mit der Idee von einem “guten Platz für einen nicht so richtigen richtig normalen alle belastenden Menschen” ent.sorgen kann.

Was es mit uns macht, wenn wir diesen Menschen ihre Strategien immer wieder kaputt machen müssen, weil sie Bullshit oder nicht die Realität sind, bleibt dabei unbedacht.
Wie viel Kraft es uns kostet bei anderen (ablierten) Menschen das Unbehagen zu lösen, die Unsicherheit zu nehmen, zu versprechen, jederzeit alle möglichen Fragen zu klären und all diesen Extraservice zu stemmen, den es braucht, damit ablierte™ Menschen uns als “ganz normal” unter sich dulden – danach fragt niemand.
Daran denkt scheinbar auch niemand.
Und ja, ich finde das scheiße. Ich finde das richtig scheiße.

Und ich finde mich scheiße, weil ich das gerne könnte. Immer und für alle.
Kann ich aber nicht immer.
Weil ich eben doch eine Person bin, die ist, wie sie ist. Traumatisiert. Viele. Autistisch.

Und leidend.

Mal mehr mal weniger.
Mehr, wenn wir Tage wie gestern in eine Zeit, wie die der letzten Wochen und Monate integrieren müssen. Weniger, wenn wir genug Entlastung durch gute Hilfen haben, die an uns herangetragen werden, ohne dass wir bitten und betteln, fordern und kämpfen müssen, sondern, weil man versteht, was wir sagen.

Ich mag solche Jammerpostings nicht. Würde auch lieber einen kessen Spruch nach dem anderen bringen und zeigen, dass unser Leben nicht nur grau in schwarz in Not und Elend ist.
Aber manchmal ist es das.

Und dann wäre es schön zu spüren, dass das gesehen wird. Es wäre schön, sich damit nicht allein gelassen zu fühlen.
Es wäre schön gewesen, hätte man uns im Krankenhaus helfen können.
Es wäre schön gewesen, hätten wir an diesem Tag von vornherein jede Hilfe haben können, die wir gebraucht hätten.

Es hätte uns allen so viel erspart.

Verbindungen

Die Therapiestunde endete mit einem Flächenbrand, der unterm Scheitel begann, sich über einen Krampfanfall auf den gesamten Körper verteilte und bis in den späten Abend unterm Denken schwelte.

Menschen verstehen nicht, wenn wir versuchen zu vermitteln, wie schwer Sprache wird, wenn es uns nicht gut geht. Die wenigsten wissen, dass wir in Krisen seit Jahren das Fingeralphabet und einzelne Grundgebärden nutzen, um zu kommunizieren. Die meisten wissen, dass wir Menschen meiden, wenn wir nicht sprechen können. Die meisten denken, wir wären dann lieber allein. Niemand denkt daran, dass die Kluft des Missverstehens zwischen uns auch ein Grund ist.

Dass es der Weg zu Worten ist, der alles erschwert, wenn wir zwischen Erinnern und Nachspüren stehen und auf Impulse aus dem Heute reagieren sollen, haben wir gestern verstanden.

Das Hier und Heute verlangt nach Reaktionen, die bestimmte Formen haben muss. Der Mindeststandart sind Lautsprache und Blickkontakt. Ist das nicht gegeben, wird geraten und nachgefragt. Wird mit jeder Frage eine Palette von optional gemeinten Räumen eröffnet, von denen einer zu wählen ist. Exakt einer führt zielgenau zu dem Verstehen, das gebraucht wird – die anderen schließen dieses Verstehen nicht aus, führen aber zu weiteren Fragen mit neuen Räumen und Wegen, die zu gehen sind. Auch dann, wenn man keine Kraft dazu hat.
Hier kommt die Zeit <—-> Kraft –Dynamik dazu.
Je mehr Kraft wir in ein Hier und Heute pumpen müssen, damit es uns versteht, desto weniger schaffen wir es dauerhafte Belastungen zu kompensieren. Wie zum Beispiel überflutende Körpererinnerungen, Pseudohalluzinationen, den Drang die Satzbausteine rauszuwerfen, die mit am wenigsten Anstrengung zu greifen sind, den Impuls das zu Sagende nicht mehr zu kontrollieren oder schlicht Dinge zu tun, die uns entlasten, aber im Hier und Heute nicht okay sind (selbstverletzendes oder spezifisch selbstansprechendes Verhalten).

Es hätte uns gut getan, real verletzungsbedingte Schmerzen zu haben oder im komplett Dunklen oder Stillen oder Eingeengten zu sein.
Paradoxerweise hätte es uns wahrscheinlich am Besten geholfen, zurück zu einem “normalen” Reiz-Reaktionsmuster zu finden, wäre die Gewalt, die für uns neben dem Jetzt passierte, das Jetzt gewesen.

Wir haben Anfang dieser Woche unser Podcast “Viele-Sein” mit den Sommers aufgenommen (wird bald veröffentlicht) und dabei auch darüber gesprochen, dass durch den Ausstieg ein Faktor in unserem Leben wegfiel, der vieles in uns zusammengehalten hat: die Gewalt.
Nach gestern und im Zusammenhang mit den Überlegungen um die Autismusdiagnostik denke ich auch: die Reize und die Eindeutigkeit, die mit der Gewalt einhergingen.

Manchmal blende ich (erwachsenes Alltagsinnen) aus, wie auch aufgefasert frühere Gewalt schon auf uns eingewirkt hat. Wir wurden misshandelt – aber das war nicht immer das, was einen Leidensdruck auslöst. Manchmal kommt der Leidensdruck eher aus einem Bedauern des gegenseitigen Missverstehens oder anderen Dynamiken, die nicht dazu führen, verbunden zu sein.
Dazu gehörte schon früher auch: die Un_Logik von Gewalt zu durchschauen, eine Idee von Opportunismus als Faktor von Gruppengewalt zu haben, loyal sein zu wollen, aber andere Kontexte nicht ausblenden zu können – zusammengefasst vielleicht: das eigene Denken nicht unterdrücken zu _können_  obwohl man doch sehr möchte und merkt, dass die dominierenden Personen das doch auch so gern möchten.

Zwischenmenschliche Gewalt gilt als zusammenhängend mit Trennung. Wenn jemand jemandem Gewalt antut, dann muss eine Trennung her. Separation gilt als (einziger) Weg des Umgangs. Stichwort: Alle in den Knast (in Therapie/ Psychiatrie/Rettungseinrichtung/helfende Hände)
Manchmal frage ich mich, ob von uns erwartet wird, vor allem deshalb unter der Gewalt auch im Nachhinein zu leiden, weil es moralisch schlimm ist, Gewalt erfahren zu haben und moralisch schlimm ist, Gewalt auszuüben.

Für mich ergibt sich aus diesem moralischen Anspruch, die Trennung zum Leiden darunter, dass sie nicht mehr so passiert, wie ich mit ihr umgehen kann und ein Verbot, Dinge als quälend, schlimm, (gewaltvoll) zu empfinden, die für andere Menschen einfach so damit einhergehen ein Leiden lindern zu wollen.

In meinem Erleben war es ein Kraftaufwand bis an den Rand der Therapeutin zu sagen: “Wäre ich jetzt zu Hause, würde ich einen Krankenwagen anrufen.” – ich weiß nichts mehr von dem, was danach geschehen ist, außer einem zerreißenden Impuls aus dem Nicht-IchWir nach dem anderem.
Fragen, Berührungen, Entscheidungen, Geräusche, Licht, verwirrende (Decken-) Muster in einem Vielzuviel, das keinen Kontext mehr hatte und nicht mit mir zu verbinden war. Ich konnte mich nicht mehr verbinden und gleichzeitig mich selbst nicht berühren.
Im Bericht aus dem Krankenhaus wurde daraus “Lichtempfindlichkeit – eventuell liegt eine Migräne vor”.
Meine Versuche mich ausdrücken verwandelten sich in “psychomotorische Unruhe”.

3

18.32 Uhr, 4 Stunden nach dem Anfall und der Gabe von Schmerzmitteln und einem leicht sedierenden Mittel gegen Übelkeit später, saßen wir mit unserer Therapeutin unter einer Raumdecke mit  reiz-voll-em Muster im Foyer der städtischen Psychiatrie.
Es waren inzwischen 4 Stunden voller Missverstehen und überbordenden Versuchen und Fehlschlägen der Kommunikation vergangen.
Patient_innen liefen an uns vorbei. Gesprächsfetzen, Rufe und das Geräusch der automatischen Schiebetür durchdrangen die Halle.
Wir hatten zuletzt in der Praxis der Therapeutin einen Schluck Wasser zu uns genommen und zuletzt vor über 24 Stunden etwas gegessen.

Wessen Denken fing langsam wieder an, im üblichen Rahmen zu funktionieren?
Genau.

Wir wissen, dass man nicht oder nicht viel hätte anders machen können und das ist auch nicht, worüber wir jetzt nachdenken. Uns wird ja gern gesagt, wir sollen sagen, was man hätte anders machen sollen, weil man zu gern missversteht (verstehen muss/will), warum wir solche Ereignisse hier mit_teilen.
Ich teile sie, weil ich möchte, dass Menschen verstehen, wie es uns ging, während die Helfenden um uns herum, ihr Bestes taten ein Leiden zu lindern, das sie in uns vermuteten. Ich möchte auf das trennende – das auf uns sehr ähnlich wie erlebte Gewalt  wirkende – Missverstehen hinweisen, das dazu führte, dass wir uns sehr viel länger gequält haben, als vielleicht unumgänglich gewesen wäre.

Ich möchte ausdrücken, dass wir uns tatsächlich tief gequält haben und am Ende wieder unsere Anpassungsfähigkeiten an Zustände körperlicher wie psychischer Erschöpfung, dazu führten, Kontakt mit dem Außerhalb aufnehmen zu können, wie es das Außerhalb braucht, um zu verstehen.
Es ging uns nicht besser – wir sind einfach nur in eine andere Art Notzustand gekommen, der weniger am Sprechen und am Weg zur Lautsprache behinderte.
Das ist ein Unterschied, den ich versuche sichtbar zu machen, weil ich davon überzeugt bin, dass es vielen Vielen schon so ergangen ist, die sich dann aber nicht zu äußern trauen (können), dass es ihnen unter den Worten noch immer nicht “okay” geht.

Als wir noch einmal Stunden später in unserem Käfig lagen und Wasser aus einer Flasche durch einen Strohhalm trinken konnten, konnten wir endlich auch NakNak* spüren und uns darüber auch im erinnernden Innen mit dem Hier und Heute verbinden. Es war dunkel, still und so eng, dass wir uns nicht frei bewegen konnten.
Es war wieder okay.
Endlich.

das Gespräch

Was ich immer wieder auch spannend finde – und ja tatsächlich auf die Art spannend, wie sie zum Streichen eines langen weißen Bartes Anlass gäbe, besäße ich einen solchen – ist die Art Beschämung oder auch peinlich berührt seins von Menschen, denen ich von meiner Behinderung erzähle, mit der Intension gemeinsam zu einem Umgang zu kommen, der weder für mich erniedrigend und schlicht nicht hinnehmbar ist (wie etwa die Notwendigkeit sich auf den Boden eines Schulklos legen zu müssen, weil sich auf die Schnelle kein anderer Ort finden lässt, an dem es einem einigermaßen privat grottenschlecht gehen kann) noch für andere Personen mit Überforderung oder auch dem Eindruck verbunden ist, irgendwie benachteiligt oder gestört zu werden.

Dass ich mit dem Lehrer, dessen Verhalten am Vortag massiv dazu beigetragen hatte, nicht zu sagen: “Äh – du ich kriege gleich einen Krampfanfall – wo ist bitte ein ruhiger Raum/eine stille Ecke/ eine Möglichkeit das hier nicht zu einem riesen Ding werden zu lassen?” , noch nicht gleich reden konnte, war mir klar. Vielleicht, werde ich das erst nächste Woche können, oder in zwei Monaten. Mir ist das erst einmal egal, weil ich weder den Lehrer noch den Kurs im Moment als etwas erlebe, das ich akut wirklich brauche. (Letztlich brauche ich ihn natürlich doch, weil meine Mappe auch solche Sachen, wie die, die wir da machen können, braucht.)
Wichtig war mir einen “Verbündeten” zu finden, dem ich sagen kann: “Hör mal – ich lebe mit diesen Krampfanfällen und ich brauche einen Landeplatz, an den ich gehen kann, wenn ich merke, dass einer anrauscht und ich brauche eine Person, die davon weiß, damit es im Fall, dass ich es mal nicht mehr dorthin schaffe – ja sorry diese Möglichkeit gibts auch – jemanden gibt, der anderen Leuten sagen kann, was los ist.”
Ich habe also versucht eine Ver-Bindung herzustellen und ich glaube, wie schwer so etwas Personen fällt, denen genau das immer wieder zum (lebensbedrohlichen) Verhängnis wurde, kann man sich ein bisschen vorstellen.

Ich habe mir am Abend nochmal durchgelesen, was das schlaue Buch zu gewaltfreier* Kommunikation so rät, habe im Internet nach Texten und Foreneinträgen gesucht, in denen es darum geht, mit Menschen, die nicht mit der gleichen Behinderung wie man selbst leben, über solche Dinge zu reden.
Selbstverständlich habe ich das noch am gleichen Abend gemacht, obwohl mir jeder Muskel wehgetan hat und ich eigentlich Dinge wie menschliche Nähe und Wärme, Trost und das Gefühl von aufgehoben und nicht verlassen sein, gebraucht hätte.
Aber hey, man kann ja nicht alles haben. Das Leben hart und die Welt ist kalt – nach 8 Jahren Herzischaukeln im Kuschelparadies ohne Lohnarbeit oder Bildungsmaßnahmen unter anderen Menschen, darf man sich auch nicht so verhätscheln. (Ja – mein Kopf denkt solche Sachen wirklich, lacht sich aber gleichzeitig auch aus dafür, weil klar ist, was das für ein Schwachfug ist)

Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren, hätte nicht wieder in die Schule gehen können. Sie hätte vielleicht im Sekretariat angerufen, den Bildungsvertrag gekündigt und sich auf unbestimmte Zeit mit Dingen wie hungern, fressen, sich aufschneiden, Medikamente überdosieren oder 24/7 Deals mit Täter_Innen eingelassen und sehr wahrscheinlich an keiner Stelle etwas von ihren Gefühlen und Gedanken abgestellt.
Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren hätte schlicht keine gehabt.

Heute weiß ich, wie auch politisch mein Re-Agieren in solchen Situationen ist. Für mich ist es keine persönliche Agenda, die sich um meine Flauschgefühle dreht, wenn ich an einen Ort gehe, an dem ich mich einige Zeit am Tag bewege und schaue, wie dieser mit meiner Behinderung nutzbar ist.
Zu einer persönlichen Sache gemacht, erlebte ich aber meine Formulierung dessen, als ich dann vor dem Leiter des Fachbereichs stand und ihm zuhörte.
Ich weiß jetzt nach ein paar Gesprächen und Austauschen und auch eigener Reflektion, dass ich alles richtig gemacht habe, aber vor einer Person stand, die mir zum Einen nicht den gleichen Respekt entgegenbringt, wie ich ihr und zum Anderen, vermutlich noch nie bewusst und aktiv mit der Behinderung eines anderen Menschen umgegangen ist, weil sie es nie musste.

Ich stand in diesem Büro, gestählt aus tausend Gesprächen dieser Art in der Jugendhilfe, den Hilfen für junge Erwachsene, der Psychiatrie, jeder – wirklich jeder – “Diskussion” im Internet und dieser etwa 25 Jahre ältere Mann fängt an, mir eine Vermeidungstanzrevue vorzumachen, die den Titel “ein Kessel Buntes” sehr gut tragen könnte.
Erst die Leugnung eines Problems über Derailing, dann der Apell an mich “dramatisier mal nicht”, dann die Individualisierung des Leidens unter der Situation, dann der oberpeinliche Versuch mir ein Vorbild und Role-Model zu sein “ich würde an deiner Stelle…” und dabei zu vergessen, dass ich diejenige mit den Anfällen bin und nicht er, dann kommt der Höhepunkt über den Versuch mich mit völlig unangebrachten Komplimenten zum Schweigen zu bringen “Hannah du hast Talent und du bist ein toller Mensch – echt jetzt”, die ich – 10 Jahre Psychotherapie olé! – mit einem schlichten “Ja, weiß ich, danke.” beantwortete, was er dann wiederrum scheiße finden musste, damit er mich darauf hin als borniert in die Situation stellen kann und seinen Vermeidungstanz mit einem lösungsbefreitem Schweigevorhang beenden konnte.

Ich glaube, es war ihm peinlich und wirklich unangenehm sich von mir angesprochen zu sehen. Vielleicht hätte ich ihn noch mehr flauschen müssen in der Situation, aber ehrlich gesagt halte ich es für falsch, mir solche Dinge, wie einen ruhigen sauberen Ort zum Krampfen bzw. zum gegen das Krampfen anarbeiten und ein Miteinander in dem meine Behinderung wenigstens bekannt ist, quasi zu erschleichen oder zu ermanipulieren. Mal abgesehen davon, dass einfach nicht gut darin bin, Menschen zu manipulieren oder “mir zurecht zu biegen” oder sowas. 

Es ärgert mich, dass das Gespräch so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, weil ich jetzt zwar weiß, dass es einen ruhigen Raum gibt, aber noch immer keinen Notfallkontakt unter der Lehrer_Innenschaft habe und also im Fall des Falls immer noch genug Kraft und (neurologische) Fähigkeit haben muss, um Personen, die keine Ahnung haben und vor denen ich vielleicht in dem Moment auch ein bisschen Angst habe oder so, zu sagen: “Bitte schließ mir den Raum auf, ich darf da sein.”.
Ich fühle mich allein gelassen mit etwas, das nicht nur mit mir allein zu tun hat, aber nur so betrachtet werden will.

Und ich kann das verstehen.
Wenn man mit Menschen mit Behinderungen immer wieder so umgeht, als sei das Leben mit einer Behinderung eine Privatsache, die ganz eigentlich ergo im öffentlichen Leben keine Rede wert sein darf, dann sind solche Haltungen wie von dem Fachbereichsleiter logisch und üblich.
Ich habe gemerkt, dass ich ihn mit meiner Festigkeit im Thema irritiere und überfordere. Dass ihn meine Forderung nach Würdigung meiner Gefühle von auch Demütigung und nach einem Umgang mit solchen Situationen, der ihn mit einbezieht, auch erschreckt, weil plötzlich Grenzen (Barrieren) für ihn sichtbar wurden, die lange nicht sichtbar waren.
Deshalb habe ich ihn letztlich auch in Ruhe gelassen, obwohl ich genau weiß, dass es nur einen Krampfanfall die Treppen runter dauert, bis er seinen Bezug zu meiner Behinderung unumgänglich fühlt, weil ihm dann nämlich Versicherung und Schulleitung aufs Dach steigen und Schuld ein Thema wird, das dann wieder zu mir wandern muss und letztlich wieder für mich einen Bildungsweg verunmöglicht.

Ich bin 28 Jahre alt und dort, weil das die einzige zeitlich flexible Vorbildungsoption für mich ist um meinen Lebenslauf aufzumotzen, um mich irgendwo zu bewerben, wo man mich am Ende mit 100€ im Monat entlohnt, wo andere Menschen etwa 1.200€ erhalten.
Mein Leben ist kein Ding in dem ich mir den flauschigsten Ort für mich suchen kann, weil es ja so wahnsinnig viele Optionen gibt.

Ich weiß, dass ich von Menschen, die ihr Leben lang nie so massive Abhängigkeiten gefühlt haben, wie ich, nicht erwarten kann zu verstehen, wie groß der Druck für mich ist, mich zurecht zu finden und freiwillig am Leben zu bleiben.
Aber ich weiß auch, dass es keine falsche Forderung an diese Menschen ist, meine Behinderung als Teil eines gemeinsam verlebten Tagesgeschehens zu sehen, die einen bestimmten Umgang miteinander erfordert.

Wie es jetzt weiter geht, weiß ich noch nicht.
Aber das weiß ich im Moment ja sowieso in Bezug auf nichts in meinem Leben und vielleicht muss ich das jetzt einfach aushalten.
Das Leben ist hart und die Welt ist kalt.

K.r.ämpfe

Es ist eine Autoritätsperson, die ihr etwas beibringen soll.
Sie möchte das. Fragt an dem Kloß im Hals vorbei. Wird losgeschickt. Ohne Zielangabe. Um der Erfahrung Willen. Natürlich. Wozu auch sagen, was auf sie zu kommt? Wozu auch vorbereiten – das Leben fragt auch nicht.
Die schwarze klebrige Farbe schwemmt Ekel hoch. Sie soll sie auf der Platte verteilen, mit Gaze in die Rillen drücken und vom Rest abwischen. Sie reibt und schiebt gegen das Erbrechen an. Ist still, wie die Jugendlichen um sie herum.
Es redet ein Junge im Kumpelton. Unter Kumpels ekelhaftes Zeugs anfassen, nicht wissen worum es geht – irgendwo wird nach Wörtern gejagt, um Luft gekämpft.
“Oh G’tt heute wurde so viel um irgendwas zum Festhalten, um Klarheit, um ein Später gekämpft.”. Die Welten krachen kreischend ineinander.

Es wird immer mehr ekelerregende klebrige Schwärze. Sie schaut hoch. Sieht in ein leeres Gesicht, das sie betrachtet. Erschrickt. Macht ihr verqueres Lächelgesicht. Reibt weiter. Die Autorität guckt. “Ich glaub, ich hab zu viel Farbe genommen – kann ich was tun, um…?” – “Ja ist gut, dass du zuviel genommen hast- das ist ne Erfahrung. Ohne gehts nicht.” umgeht er ihre Frage. Sie reibt. Kann sich wieder nicht durchsetzen.
Der Lehrer geht durch den Raum und redet von der Wichtigkeit von Fehlern. Alle wissen, dass es um sie geht. Niemand sagt etwas. Niemand sagt ihr etwas.

Sie steht auf. Sucht den Wasserhahn. Er steht vor ihr, breitet die Arme aus, versperrt ihr den Weg. “Nee jetzt nich Hände waschen, mach doch weiter – das ist doch…”

“Ja blöd ist das. Total blöd. So blöd. Ich bin so blöd. Ja ich bin so blöd. Ich bin so blöd, dass ich dachte, du bringst mir was bei. Ich bin so blöd. Wieso bin ich immer so blöd. Wieso gehe ich auch hier hin?”. Sie sagt: “N… kann nich.”.
Im Inmitten hat es zu schreien angefangen. Ein erster Krampf in der linken Hand bahnt sich seinen Weg.

Sie zieht sich an. Zittert, haspelt, stolpert mit ihren Lauten durch den Raum. Will was sagen und kann nur wurtscheln. Ein Kumpeljunge lacht. Ein zweiter stimmt ein. Kein Beistand. Keine Beruhigung. Kein Raum. Keine Luft. “Wieso bin ich so blöd Wieso bin ich immer so blöd Wieso bin ich hier hingegangen Wieso hab ich was gesagt”

Ein Zucken, das im Krampf endet. Lichtblitze. Rauschen im Kopf.
Wieso bin ich so blöd Ich habe vergessen, nach einem ruhigen Raum zu fragen Ich habe vergessen, mir einen Notfallkontakt unter den Lehrer_Innen zu besorgen Ich habe vergessen, mir ein Netz für solche Fälle zu machen Ich habe vergessen, nicht nur okay gefunden werden zu wollen

Ich habe vergessen, jemandem von meiner Behinderung zu erzählen
Ich habe vergessen mein Lernumfeld barrierenärmer für mich zu machen
Ich wollte hier nichts von “diesem DAS DA” haben

und liege kurze Zeit später auf dem Boden eines stinkenden Schulkos.
Hoffe, dass niemand – keines der gefühlten tausend Kinder und Jugendlichen, die im Schulgebäude herumlaufen – reinkommt und mich so sieht.

Ich weine ein bisschen, schaue der anderen beim Erdungstwittern zu, bemerke, wie andere überlegen, ob sie einfach in einen anderen Kurs gehen. Höre Gedanken zu einem Projekt, zu einer Gemochten, die wie ein weißes Rauschen schon den ganzen Tag begleiten. Das Inmitten ist still. Weint statt mir weiter. In meinem Innen herrscht Ebbe mit Springsinflut.
Die Erde dreht sich weiter.
Das unwillkürliche Zucken bleibt.
“Ich muss endlich einen Termin bei diesem special Neurologen machen”, raunzt es neben mir. Jemand wechselt Strumpfhose und Unterwäsche. Tastet den Kopf ab. Es ist so eine erbärmliche Krisenroutine. Oder erbarmungswürdig. So richtig weiß ich nicht, was ich dazu fühle.

Der Lehrer ist so einer, der sich vielleicht entschuldigt, aber nicht nachfragt, was schwierig ist. Er ist einer, der gesagt bekommen will und nicht begreift, was für ein Umfeld manches zu Sagendes braucht. Vielleicht lieber von Empfindlich- und Befindlichkeiten ausgeht, als von echten, komplexen Problemen, die auch irgendwie mit ihm, seiner sozialen Rolle, seinem Status zu tun haben, obwohl es mein Körper, mein Gehirn, mein einfach von Traumata schief und krumm verwurschteltes Ich ist, das quer schießt.

Als ich nach Hause gehe, höre ich Jugendliche einander “voll behindert” an den Kopf werfen.

Die Welt guckt komisch und die Erde dreht sich weiter.
Und heute nachittag werde ich ein Gespräch einleiten mit “Es tut mir leid, dass ich gestern aus dem Kontakt gegangen bin. Ich hätte dir sagen müssen, dass …”

Nichtbehinderte Menschen finden es meistens geil, wenn die Menschen, die Rücksicht auf ihre Behinderungen einfordern, so reden, als hätten sie eigentlich überhaupt nichts damit zu tun.
Als wären sie kein Teil der Barrieren.
Kein Teil des Lebens mit Behinderung eines anderen Menschen.

Sie finden es geil, wenn die Leute, die ein Problem haben, sich alleine drum kümmern. Sie finden es geil, weil sie dann denken können “Ach, dieses Inklusionsding ist ja total einfach.”. Sie findens geil, wenn sie nichts weiter wissen müssen. Sie findens geil, wenn die Behinderung etwas ist, was sie nicht stört.
Eigentlich wollen die meisten nur wissen, was sie potenziell stören könnte an meiner Behinderung.
Sie wissen ja nicht, dass ich weiß, dass ihnen das Herz einmal durchs Hosenbein rutscht, wenn ich irgendwo nahe einer der Altbautreppen hinfalle und einen Krampfanfall habe. Sie wissen ja nicht, wie das ist, kleinen Kindern zu erklären, “was die Frau da hatte”. Sie wissen ja nicht, wie mich Sanitäter_Innen und so ein Massenauflauf nach einem Anfall nur noch mehr stresst und meine Sprache ganz weg geht. Sie haben ja keine Vorstellung davon, was für eine innere Hölle Krankenhäuser in mir aufmachen. Sie wissen ja nicht, dass ich kein flexibles Notfallnetz mehr habe.

Beziehungsweise: Ich weiß, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass sie es wissen.
Die Mehrheit der Menschen lebt eben nicht mit dissoziativen Krampfanfällen nach komplexer Traumatisierung.

Die Mehrheit kann einfach mal losziehen und ihre Erfahrungen machen.