9 Jahre später

Eislicht“Ist doch komisch, dass die Schneeflocken erst weiß sind und dann wasserfarbig.”.
Sie hockt mit dem Rücken zu den Windböen am Rand des gefluteten Ackers und betrachtet die Flocken auf den Ohren des Hundes, der auf ihren Füßen sitzt.
“Es ist kalt.”.
Die Worte klirren in ihr wie Eiskristalle.
Schmelzen. Laufen ihr vom Kinn herunter.

Der Wind drückt den Schneeschauer weiter
und zerreißt die Wolkendecke.
“Ich wusste gar nicht, dass wir einen Hund wollten.”
Die Sonne betrachtet sich zögerlich in den Pfützen.

Sie steht auf und steckt ihre Armstümpfe zurück in die Jackentaschen.
“Du?”, fragt sie, “Weißt du, wo zu Hause ist?”.

subject: Zuschreibung

Endlich habe ich etwas fertig gestellt. Hurra.
Vielleicht brauche ich alle 6 Monate eine existenzielle Krise um Dinge zu schaffen?

Ich würde das natürlich niemandem empfehlen, denn Entselbstung schmeckt nach dieser Säure, die neben der Zunge entsteht, wenn einem die Panik in den Ohren rauscht und kleine Schweißtropfen auf der Oberlippe liegen.
Aber ich kann jetzt auch nicht sagen, ich würde das Ergebnis nicht doch auch mögen.
Das sind die kalten Finger und Füße, weil der Körper schon längst wieder auf Hungerzeit geschaltet ist. Die Rückenschmerzen, weil so ein IKEA-Küchenstuhl eben doch kein ergonomisches Wundersitzplätzchen ist. Das automatisierte Reinschütten von Kaffee.  Das Gehirn, das scheinbar ohne Körper ist.

Ich habe das Gefühl, alles zu geben, wenn ich in diese Art Arbeitsrausch komme und denke: “Genau so muss das ja auch sein. So und nicht anders. Wenn man arbeitet, dann muss man sich selbst vergessen. Nur so wird es was.”.
Erst später fällt mir auf, dass ich mich nicht vergessen habe, sondern weggelaufen bin, um zu vergessen.
Wenn ich vor Hunger, Jobcentersorgen, sozialen Unruhen, Versagens- und Vergangenheitsangst weglaufen will, dann funktioniert das fast ganz von allein.

Und dann ist es so eine kleine Aufgabe, wie eine Vita zur eigenen Person zu schreiben, die mich an mich erinnert.
Auch, weil ich im Moment nicht einmal so sicher bin, ob es mich überhaupt gibt.
Bin ich, wenn ich die Zuschreibungen anderer Menschen von mir abkratze?

Ich habe an die Irrwichte in Harry Potter gedacht.
Die Irrwichte verwandeln sich immer in das, wovor die Person, die sie anschaut, am meisten Angst haben. Niemand weiß, wie sie aussehen, wenn sie niemand ansieht.
Ich bin eine Irre, die am Gesellschaftsrand steht. Wenn Menschen mich anschauen, sehen sie alles, wovor sie Angst haben, sich ekeln, worüber die traurig sind, was sie sich wünschen, was sie ablehnen.
Und wenn ihre Augen zu sind, dann bin ich der Hauch, der Äther, ein formloses Irgendwas, das es vielleicht gar nicht gibt.

Wenn ich eine Vita über mich schreibe, dann schlüpfe ich in die Blicke anderer und reproduziere ihren Blick. Ich sortiere alles, was von mir für andere wahrnehmbar ist nach ihrer Angemessenheit und klebe sie passend in Formulare, Bewerbungen, Bettelbriefe … .
Ich glaube, die Psychologie sagt “Selbstunsicherheit” dazu.
Ich bin mir aber nicht unsicher über mein Selbst. Ich bin ich.
Ich bin nur nicht, was man mir zuschreibt und weiß nicht, was ich mir selbst zuschreiben könnte. 

Vielleicht ist es so, dass ich merke: Ich bin ein Subjekt.
Obwohl ich mein ganzes Leben lang vom Außen für das Außen zum Objekt gemacht wurde und werde.
Und dabei sogar mitwirke, indem ich in meinen Laptop tippe:
“Hannah C. Rosenblatt, Jahrgang 86, ist freie Autorin aus NRW …” , um zu vergessen, dass der Postbote gerade da war, es noch 5 Stunden bis Essen sind und die nächste Zuschreibung auf mich geklebt wird, sobald dieser Artikel veröffentlicht ist.

die Revolution

ÜberblickMir fliegen die Fetzen im Kopf herum und ich weiß nicht wohin. Mit mir, den Fetzen, dem Gestern, dem Jetzt, dem Irgendwann irgendwie und dem, was könnte.
Also schreibe ich.

So mache ich das eben.
Ich schreibe, weil es das ist, was mich morgens aufstehen lässt.
Nicht, weil mich die Wortlust so reizt, ich so gern in Metaphern plansche und mich am Liebsten mit Silben parfümieren würde, sondern weil …

nun, einfach so.

Ich schreibe Wörter ins Internet, weil ich mich in meinem analogen Alltag zu Wort melden müsste, obwohl es eigentlich keinen zentralen zuWortmeldungsannahmeschalter gibt. Man zieht keine Nummer und wartet bis man aufgerufen wird. Wortmeldungen erfolgen so scheinbar willkürlich, wie sie gehört und weitergetragen werden.
Meine Internetwörter dürfen wirr sein. Sind so privilegiert, dass sie auch ohne meinen Sinn mit sich zu tragen, in die Köpfe anderer Menschen ziehen können.

Meine Wörter können angeguckt werden und weil sie nicht herumzappeln und ineinander verhakt über den hellen Hintergrund kullern, erscheinen wie auf den Bildschirm gebügelt.

Wo ein Wort ist, da darf kein anderes sein. Wo ein Sinn ist, da darf kein anderer sein.
Und überhaupt darf nur sein, was man sinnlich für wahr und logisch an sich nimmt.

So muss ich vor Angst erschlottern, könnte sich mein Leben ändern. So muss ich mich von anderen Personen abhängig machen. So muss ich mächtig sein. So muss ich sein, für wen ich gehalten werde.
Auch, wenn ich nur Worte und Wörter abstelle.
Auch, wenn ich nicht bin, wer meine Wörter erfasst. Anfasst. Sich berührt oder gar gepackt fühlt.

Es ist schwierig von Wort zu Wort zu gehen. Sie abzuschreiten und sie wie ein Bild im Museum zu betrachten. Sie vielleicht in sich hallen zu lassen. Zu gucken, wo sie wie Bomben einschlagen und Lawinen lostreten.
Wie furchtbar muss es für andere sein, zu wissen, dass ich mich von den Wörtern befreien kann, einfach, indem ich meine Hände um einen Stift lege und irgendwo in mir los lasse. Wie unaushaltbar muss es sein, eine Wortmeldung zu hören, die ungewohnt und fremd ist. In der die gleichen Worte, wie die eigenen verwendet werden, aber doch…

nicht gleich sind.

Oder schlimmer noch: die eigenen entsinnen, verque(e)ren. Etwas sagen, woran man lieber abstrakt, als konkret nachdenkt.
Lieber an Andere denkt, als die, in denen man sich selbst sucht.

Meine Wörter sind Minen. Wenn man sie berührt, tun sie weh. Wenn man sie liegen lässt, dann starren sie durch Zeit und Raum.

Mit meinen Wörtern male ich meine Unsichtbarkeit ins Internet.
Ich stricke kein Buchstabendeckchen um mein zum Opfer geworden sein. Ich klebe keine Protestrufe auf mein behindert werden, behindert sein.
Mein verkrüppelt worden sein.
Der Punkt am Ende eines jeden Satzes, ist mein Welten erschütternder Imperativ.
Dass ich meine Stimme mit Buchstaben einkleide, ihr eine Mütze aus Silben über die Ohren ziehe und mit Bedeutung besohle, ist die krasseste Revolution, die ich jeden Tag vom Schweigemauerzaun brechen kann.

Ich verstehe, wie erschreckend das ist.
Deshalb stelle ich meine Wörter ins Internet.
Eine Werbung, ein Katzenbild, eine Email später ist meine Revolution im großen,
nie enden wollenden Strom aus Einsen und Nullen aufgelöst.

Verschwunden.
Unsichtbar.
Erst dann passiert, wenn man danach sucht.
Erst dann gefährlich, wenn sie gefunden und so wie ist, weiter getragen wird.

das ist auch Hartz 4

Irgendwie ist es ja so: Ich kotze meine gallenbittere Hartz 4 Realität hier hinein und mit Trauma und Gewalt hats dann doch erst auf den zweiten Blick zu tun.

Für mich, uns, die kleinen harten Knubbel unter der Haut über meinem Innen, für die ist das eine Wiederholung.
Jede Solidarität, jedes Mitfühlen, jedes Verstehen, das dann doch nichts ändern kann, tut weh, weil sich für sie, uns, etwas wiederholt.

Da sind Leute ohne Gesicht. Eine Macht, die alles von einem weiß. Alles von einem zu wissen verlangt. Vor der es keine Geheimnisse geben kann. Darf.
Da ist die Ohnmacht. Da ist das Wissen, dass es nur einen Knick braucht. Nur eine falsche Bewegung. Ein falsches Wollen. Ein falsches Wünschen. Eine einzige individuelle Regung, die auch nur ein einziges Kästchen sprengt
und das Leben, wie es war, ist zu Ende.

Und da ist auch
das Mitteilen von Not. Von Ohnmacht, Verzweiflung, Widerwillen, Ekel, Ungerechtigkeit.
Und dann die Worte.
“Oh ja, das ist sicher furchtbar.”
”Hartz 4 ist die totale Scheiße”
”.. so unmenschlich”
”Gewalt…”

Ich hab neulich so eine dieser wabrigen Erinnerungen gehabt, auf die kleinere Schatten folgten.
Die Horterzieherin, die fragte, obs denn nicht weh tut. Die Lehrerin, die sagte, ja Eltern könnten manchmal ganz schön blöd sein. Die Klassenkameradin, die stumm nickt und ihren Fußspitzen erzählt, dass sie weiß, was ich meine. Die Kinderärztin, die auf ihren PC tippt und sagt, dass alles da drin steht.
Und die Welt, die sich einfach weiter gedreht hat, als wäre nichts passiert.

Ist es eine Art Undankbarkeit, wenn ich gar nichts mehr erwidern kann, wenn mir Menschen ihr Mitgefühl mit meiner Hartz fear ausdrücken? Wenn sie fragen, ob sie mir helfen können und ich im Kämmerlein unter dem Vorwurf, andere Menschen dazu gebracht zu haben, zu denken, sie müssten mich retten, zerrissen werde, nur noch ein Danke herauskriege, das auch “Okay- nimm mich einfach” heißen könnte?

Hat mich das Hartz so zerstört oder war das schon immer so?

Ich denke manchmal, es ist eine Fähigkeit von uns – einer dieser komischen Faktoren, die beim Überleben helfen, dass wir uns ausdrücken können. Dass wir das so oft an Sprechproblemen und Wortlosigkeit vorbei  geschafft haben.
Und dann steht man in so einer Gesellschaft, die so ganz viel aus symbolischen Akten zieht. Aus Pro- und Kontrapositionierungen und Worten, nach denen man Taten gar nicht vermisst.

Ich habe mich vorhin bei einem alten Wunsch ertappt.
“Wenn es nur bitte bitte endlich vorbei wäre.”.
Ich denke wirklich oft: “Ja, gut – ich nehme die Armut, die begrenzten Möglichkeiten. Ich ziehe die Rentenlosigkeit und den Plastezahnersatz mit Mitte 30 und tausche gegen die Angst den Briefkasten zu öffnen und die Spirale aus Kämpfen und Verlieren.”

Ich hab einen ähnlichen Kompromiss als Jugendliche gemacht.
Weil ich in der Jugendhilfeeinrichtung ständig so furchtbare Bauchschmerzen und untergründig schwelende Todesangst hatte, hab ich getauscht und bin zurück nach Hause gezogen. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es da eigentlich immer so war.

Ich weiß auch nicht, wie man ohne Rente und mit Plastezähnen so lebt.
Ich würds trotzdem gegen diese Hartz fear tauschen. Ernsthaft.

Aber Hartz 4 kann man nicht tauschen. Das kann man nur vererben.
Es gibt kein Raus für mich. Für uns. Jedenfalls nicht jetzt. Dieses Jahr. Nächstes. Übernächstes. Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch noch überübernächstes Jahr nicht.

Und alle verstehen, wie furchtbar das für uns sein muss.

Und die Welt dreht sich einfach weiter.

und dann…

BesuchLichterausschnittund dann öffnet sie die Tür und die Dezemberkälte rieselt von ihren Kleidern auf die Schmutzfangmatte.
Die Stimme vom anderen Ende, der Körper aus dem Früher
es ist… sie ist tot
und blutet aus den Augen im Warten auf das Ende.
Sie schaut sie an und fragt: “Darf ich reinkommen?”. Bohrt eine Lanze in ihren Bauch.
Sie nickt, lächelt, weitet das Loch, reißt an sich herum.
Der Hund, die Begrüßung, das Geraschel, das Trippeln, die letzten 6 Monate fallen im Flur übereinander her und an ihr vorbei.

“Sie wartet darauf, dass sie ihre Geliebte hervorwürgt, wie ein sorgfältig angedautes Gewölle”, denkt sie und wartet darauf, verscheucht zu werden. “So ist es immer wenn Menschen wissen, dass man viele ist. Eine zwei drei werden geschätzt gemocht geliebt, ein paar mehr bemitleidet und getragen, der Rest aus konstruierter Ferne beäugt und für das Dunkle gehalten”, weiß sie und schraubt das Lächeln aus dem Gesicht.

Sie hängt die fremde Jacke auf und verfolgt diesen Körper mit den Augen in die Küche.
Betrachtet den Blick auf sich und in das Loch hinein.
“Ich hab Lebkuchen.”, schrillt es daraus hervor.
Der Körper lächelt und nickt. Lässt die Stimme an ihren Haaren zündeln.

Ein Gedanke scheppert auf den Boden und lässt es in der Küche regnen.
“Du bist da.”.
“Ich bin da.” sagt sie und schneidet Seelenfleisch in Streifen bevor es ertrinken kann.

Unaushaltbar ist es, wenn sie jemand mag.
Wenn sie jemand mag, dann tickt im Hintergrund eine Uhr. Nicht lange dauert es, bis DER Fehler passiert. DAS Moment da ist. DER Augenblick, in dem sie alles verderben und alles Ticken ein Ende hat.

So halten sie inne und warten, lauschen auf das Ticken und lassen alles ohne sie passieren.
Am Rand spulen kleine Radikale ihre Kreisel in die Luft und spülen ab und zu einen Brocken aus dem großen Lauf der Dinge an sie heran. Sie nehmen keinen Anteil, sie berühren nichts und niemanden. Sie warten bis sie vergessen, dass sie warten und verschmelzen zum Nichts. Nichts ist nie falsch. Nie greifbar. Nie schuldig. Nie mehr Etwas als nichts und niemand selbst.

Sie sind das Loch. Wo sie enden, beginnt das Schweigen.

Und dann ist sie da.
Dann ist sie einfach da und alles wird zu allem.

Und das Ticken auf den Moment zu, wird zu dem Moment selbst.
“Ich möchte das verstehen.”, sagt sie und legt die Hände um die Teetasse.

Vor ihren Augen wird sie die Gemögte, die mit ihren Worten Sprache in das weiße Leer des Innen kleckst.
Einfach so.

Weil es um ein Verstehen geht und darum etwas zu tragen, das un.aus.haltbar ist. 

 

und dann sagte ich zu ihr…

euer komisches Berlin – Teil 2

Und es ist Angst, die an die Innenwände meines Körpers schwappt, wie ein Fluss, der seit immer und vor allem da war.

Mein Gehirn rotzt mir diese beißende Kinderangst hinters Gesicht und reitet auf dem polterstolperndem Puls im Hals davon. Manchmal neben jemandem her, der durch dieses Betonland joggt und dabei aussieht, wie eine Mahnung vor Labelverselbstung.

Es ist, dass es anfängt weh zu tun, weil es eben nicht weh tut, sondern eine quälende Schleife aus Wucht und schwehlendem Viel ist, die kein Ende nimmt.

Ich bin nicht dünnhäutig, ich bin randvoll mit Adrenalin und andere Menschen mit mir. Es geht ums Überleben, wenn man sich von A nach B bewegt, weil man sich von A nach B bewegt.

Berlin ist rücksichtslos und „dit is Berlin“.
Es ist, dass Rücksichtslosigkeit unter Häute kriecht und Wurzeln nach außen treibt.
Dass Barrieren sind, die machen, dass Menschen hilfloser im Inmitten stehen, als sie müssten und am Ende ausgeliefert sind.

Die Bahnansagen sind kaum zu verstehen und auf den Monitoren läuft Quatschfernsehen. Wo ich wohne, werden dort Umsteigemöglichkeiten, Fahrtverlauf und Uhrzeit angezeigt. Wo ich wohne, kann ich es mir leisten vor lauter Angst zu vergessen, wo und wann ich bin.

Hier wird man gefressen und dit is halt Berlin.

Füße, Flucht und Mammuts

“Man legt den Toten ein Tuch übers Gesicht. Ist das nicht komisch?”

Der Morgen ist diesig. Kalt. Feucht.
Ich bedecke meine Füße mit warmen Handtüchern. Warte darauf, dass es weh tut.

Ich war weg in der Nacht und irgendwo, auf dem Weg über Stock und Stein, hat das Innen auf der Flucht meine Füße verloren.

“Menschen und Trauer, das ist so eine Mischung.”.
Der Wasserkocher klickt.
Ich beherrsche mich und warte.

Schütte das Wasser auf die anderen Handtücher.
Warte.
Tausche sie aus.

Meine Füße sind tiefrot und schwarze Trauerränder krönen meine Zehen.

Es klingt so lustig, wenn ich auf Twitter darüber sinniere, dass es Mammuts braucht, um meine Nachbarn, nein die Geräusche meiner Nachbarn, fernzuhalten.
Tatsächlich wäre ein Mammut auch gut, um die Wohnungstür abzudichten.

Vielleicht würde es die Angst, das Kippen in die Panik- vielleicht das Fallen ins “Weg weg weg!” – stoppen.

Ich lege mir einen Fuß in den Schoß und streiche das kribbelnde Stechen, das durch die Haut nach außen zu drängen versucht, weg.

NakNak* liegt in ihrem Körbchen und beobachtet mich.

“Weißt du, wie das heißt?”, frage ich sie. “Dissoziative Fugue, könnte man das nennen. Füüüügk. Nur französischer gesagt.”. Zum Glück weiß der Hund, dass ich kein Französisch spreche.
Vieles wäre sonst peinlicher.

“Man könnte aber auch sagen, dass ich zu dämlich bin, meine Wohnung so einzurichten, dass mein Bett irgendwo steht, dass ich den Sex der Nachbarn nicht mehr so höre.”.
Ich lege den Fuß ab und nehme den anderen hoch.
Massiere und erinnere mich an den Tod.

Ich bin auf eine tote Amsel getreten.
Vielleicht 5 – 6 Kilometer von meiner Wohnung entfernt.

Mit dem zerknüllten Taschentuch aus meiner Schlafanzughose, habe ich ihr Gesicht bedeckt.
Und dann bin ich zurück nach Hause gegangen.

Zeitlücken

Es ging mir besser, hatte ich gedacht.
Meine Zeichnungen waren ruhig und fließend, ich tröpfelte langsam in sie hinein.

Und dann verweigerte der Scanner den Dienst, weil er auch ein Drucker ist, dessen Tinte auch aufgebraucht werden kann.
Ich habe das Gerät von jemandem übernommen, mit dem ich heute keinen Kontakt mehr habe. Also nehmen Fragen wie: “Wo füllt man die Patronen am günstigsten auf, ohne extrem viel zahlen zu müssen? Wie macht man das? Wie entfernt man die Patronen? Wenn ich in den Drucker fasse, werde ich dann sterben?” viel Platz ein und irgendwo darinnen habe ich mein Bewusstsein für Körper, Raum und Zeit verloren.

Meine Zeitverluste merke ich nicht so, dass ich das Gefühl habe “da schiebt sich ein anderes Innen vor” oder “und dann wurde alles schwarz und plötzlich wieder hell” oder “ach da war ich ein bisschen konfus und ich weiß nicht mehr genau…”. Für mich ist es so, dass ich das Gefühl habe zu vergessen, dass ich da bin. Als würden solche Fragen, wie die nach den Druckerpatronen, mich aus dem Raum saugen, in dem mein Bewusst-sein für die eigene Existenz ist.

Früher habe ich nicht so deutlich gespürt, wann sie Zeit so eine Falte für mich geschlagen hatte. Da war ich irgendwie mal weg und irgendwann merkte ich mehr oder weniger überraschend, dass es mich ja gibt, ohne Zeit zu haben, mich darüber zu wundern oder zu erschrecken, weil ich damals noch zur Schule ging. Einen Tagesablauf mit Struktur im Außen hatte.
Ich hatte keine Zeit, keinen Raum und keinen Anlass mir Gedanken anzusehen wie: “Habe ich eine Familie? Was bedeuten die Worte Mutter, Vater, Familie, Liebe, Nähe, Zukunft und Vergangenheit für mich eigentlich?”. Heute weiß ich, dass das Teil der Funktionalitätserhaltung ist, die die DIS eben bedeutet.
Ich wäre zerfallen, wäre mir damals wie heute bewusst gewesen, dass ich keine Erinnerungen an meine Familie habe. Das ich nie geliebt habe und mein emotionales Spektrum zwischen Angst und Produktivität allein liegt. Wäre mir damals aufgefallen, dass ich mich nie erinnerte, wie, wo und wann – vielleicht mit wem zusammen – ich meine Hausaufgaben gemacht habe, hätte es mich zerrissen.

Heute ist mein Tagesablauf ein “unser Tagesablauf” und ich weiß das.
Dass ich Zeit verliere ist mir bewusst und den anderen auch. Wir wissen, dass wir auf Angstspitzen achten müssen – nicht auf konkrete Ereignisse im Außen. Es hat keinen Sinn ins Tagebuch zu schreiben, dass der Scanner nicht arbeitet, weil die Druckerpatronen leer sind. Das Innen, das statt mir an der Lösung des Problems arbeitet, muss notieren, dass es Überforderungsgefühle und Ängste gab [und vielleicht noch hochgetriggerte Reste- die wiederum aber nur mit Überschriften benannt werden] und zwar um XY Uhr in, zum Beispiel, der eigenen Wohnung.
Und dann geht die Listenschreiberei los. Das Innen notiert seine gemachten Etappen – wenn es denn schreiben kann* – neben seiner eigentlichen Aktivität.

Und genau so eine Liste habe ich mich gestern schreiben sehen.
Von mir, aber eben doch nicht mir.

Ich hatte nie das Gefühl, das ein anderes Alltagsinnen mal beschrieb, dass es sich wie ein Püppchen in eine fremdbekannte Welt gepflanzt fühlt, wenn es wieder bewusst für sich und uns wird. Aber diesmal hatte ich es und es war furchtbar mit einer neuen Dimension.
Normalerweise wäre so eine Episode so ausgegangen, dass ich vor dem Drucker verschütt gehe und Stunden später im Zeichnen/Schreiben/Lesen merke: “Oh, ich bin ja ganz schön steif geworden – ich mach mir mal einen Tee- Oh es gibt mich – Oh Mist – wie viel Zeit hab ich verloren? Wo ist die Liste? – Ah okay, es ist nichts sehr Außergewöhnliches passiert. Uff, okay Business as usual…”

Und diesmal saß ich in einem Café in der Altstadt, von dem ich weiß, dass wir es eigentlich boykottieren, weil es nicht barrierefrei und sowieso auch viel zu teuer für uns ist, vor einer Tasse Kakao und sah meine Hand aufschreiben, dass das Auffüllen der Druckerpatrone 25€ kostet und man sie in einer Stunde abholen kann.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich war noch nie in einem Café drin. Als Gästin.
Was ich von der Innenstadt gesehen und erlebt habe, sind die Innereien von BehandlerInnen*praxen und dem KünstlerInnen*bedarfeladen.

Und dann saß ich eine halbe Stunde vor der Tasse, als wäre ich in einem Wartezimmer.
Und obwohl ich mich unwohl fühlte, hatte ich Angst rauszugehen und den Laden zu suchen, in dem ich die Patronen abholen konnte. Die Stunde war schon längst um, draußen dunkelte es Novemberdunkelheit, aber es war dieser Zustand des “da und doch weg” in dem ich mich der Stadt stellen sollte, der mich wieder in Angst fallen ließ.

Und als ich Stunden später dachte: “Hm, ich müsste den Drucker allgemein mal wieder reinigen” war schon alles vorbei.
Ich pustete meine Comicseite für mich auf. Machte sie nötiger fertig zu stellen, als eigentlich geplant, um nicht noch mehr zu denken oder zu fühlen. 

Ich erinnere mich nicht einmal, ob dieser Kakao gut geschmeckt hat. Habe ich ihn getrunken? Ich erinnere mich nicht.

Zeit verlieren ist nicht lustig. Meine Amnesien produzieren für mich nie irgendeine Situation, über die ich dann eine ach so lustige Episode schreiben könnte, die einen Platz im großen Märchenbuch der Multimythen bekommen könnte.
Es geht immer wieder um Angst, die für mein Gehirn nicht anders  kompensiert werden kann, als mit der Dissoziation.

Sein eigenes Dissoziieren spüren und beworten zu können, kann heißen, dass es einen Fortschritt gibt. Aber wenn sich dieser Fortschritt so stückig und schlimm anfühlt, vergeht mir schon der Impuls zum hoffnungsvollem Blick auf das Geschehen.
Dann geht es mir plötzlich doch nicht wirklich besser.
Dann bekomme ich auch Angst vor dem eigenen Heilen.

ein weiterer Faden

Ich habe heute morgen gemerkt, dass ich gerade das 16-17-fast 18 jährige in mir betrauere und bemitleide. Nicht, weil es so lange in einer Klinik sein musste, sondern weshalb es dort sein musste.

Als ich meinen Artikel über die Wahl zum Suizid geschrieben habe, gab es einen Kommentar,  den ich nicht freischaltete, weil er mich angebrüllt hatte. Da ging es darum, was man denn meiner Ansicht nach machen sollte, wenn sich jemand suizidieren will und man damit konfrontiert ist (die von mir aufgeführten Vorschläge zählten offenbar nicht als Idee)
Heute würde ich antworten, dass man Menschen auch Gründe und Perspektiven für ein Leben geben
und dafür sorgen muss, dass sie diese Perspektiven auch verfolgen können, wenn man von ihnen zu leben verlangt. Ansonsten ist der Anspruch an suizidale Menschen, gefälligst am Leben zu bleiben, nichts weiter als ein reaktionärer, egoistischer Kackscheißanspruchhaufen, der nichts mit dem suizidalen Menschen zu tun hat.

Als ich Ende 2002 in diese Kinder- und Jugendpsychiatrie kam, hatte ich keinen Sinn frei für solche Dinge und auch das hatte Gründe, die ich bis heute gut nachvollziehen kann. Selbst heute habe ich in ähnlichgleichen Lagen noch immer eher Suizidgedanken, -pläne, -ideen , als die Selbst-Sicherheit und die Möglichkeit mich allein zum Weiterleben zu befähigen.
Dass Leben so wahnsinnig viel mit Befähigungen zu tun hat, die weit mehr als kognitive oder körperliche oder auch soziale Fähigkeiten, die man auf irgendeine Weise erlernen kann, meint, habe ich durch diese Reise und die Gespräche mit der Kliniktherapeutin und auch der Klinikschulenlehrerin aus der Zeit, einmal mehr verstanden.

Zu der Zeit _konnte_ ich nur noch nicht leben wollen.
Mir sind einige Situationen gefallen, in denen ich mich heute “reaktives Hörnchen” nenne. Oder “flattrig zittriges Espenblatt”.
Ich hatte ja keine Ahnung von Traumafolgen, von Stressphysiologie und der Mechanik des Grauens.
Wenn man 16 ist, dann ist man genau in dem Stück Entwicklung, in dem Geister als Unfug markiert sind – der Lauf der Dinge aber, vor allem an sich selbst, so voller Zauber, Magie, ungreifbarer Wunder ist, dass das eigene Wachsen und Erkennen nicht nur auf der sozialen Ebene absorbierend sein kann.

Ich hatte keine Worte dafür, weil ich dissoziierte, was da in mir waltet. Damals habe ich von einem Tag vielleicht 5 bis 10 % bewusst aufgenommen und vielleicht 1% als Idee von dem Hauch einer Ahnung der Essenz des Lebens als Lauf der Dinge, aktiv in mir gehalten. Ich war von Angst absorbiert und bin es bis heute in gewissem Maß.
Heute kenne ich die Graustufen meiner Angst – ich habe eine Skala von Panik & Knock out bis Unruhe & Anpfiff zum Vermeidungstanz.
Die Skala damals war von […Wortlos…] bis Tavor/Fixierung/Paniksymptome.

Sogar die Medikamente kann ich jetzt mehr als Hilfe stehen lassen.
Nach dem, was ich von den jugendlich kindlichen Innens hinter mir aus dem Gestern ins Heute schwingen fühlte, müssen sie sich oft als eine Insel dargestellt haben, was mir wiederum die Benzodiazepinabhängigkeit als junge Erwachsene noch besser erklärt.
Wenn es nichts und niemanden auf der Welt gibt, außer eine chemische Reaktion, die zum Atmen und Wahrnehmen befähigt, wie es “alle” verlangen – tja, dann eben chemische Reaktion und das Gefühl “alle” zu belügen in Sachen “sich keinen Schaden zufügen”.

“Die Umstände, in denen ich leben musste, waren oft lebensfeindlich.”
Das ist mir als Gedanke auch gekommen und erklärt mir die Selbst-Bilder einer Assel, einer Kakerlake, eines grüngesichtigen Mutanten unter einzelnen jugendlichen Innens. Auch da wieder: eigentlich wussten und wissen sie: “Ich bin ein Mensch” –  sie wussten und wissen aber auch: “Was ich damals zu leben – zu überleben gezwungen wurde, hatte nichts menschenwürdiges, nichts menschliches – erfordert aber bis heute zum Teil noch Fähigkeiten, die nicht mit Menschlichkeit benannt werden”.
Es bestärkt mich noch einmal mehr darin meine Armut auch Armut zu nennen. Diese Lebensumstände, in denen es eben doch noch existenzielle Angst und globales Ausgeliefertsein ganz real greifbar immer wieder gibt, nicht zu relativieren, weil irgendjemand anderes eine andere Sicht darauf hat. Es bestärkt mich in meiner eigenen Einschätzung über mein Leiden und auch Leben. Wenn ich es als furchtbar wahrnehme, dann ist es furchtbar. Wenn ich das Gefühl habe, es ist unaushaltbar, dann halte ich es nicht aus.

Ich erinnerte mich daran, wie es nach der Entlassung aus der Klinik dort war und ich umgeben von Menschen, die Forderungen an mich stellten, denen ich nicht gerecht werden _konnte_. Wie das war, als es plötzlich hieß, ich würde hysterische Rollenspiele abziehen, um betüddelt zu werden. Als “alle Welt” (und ja, so eine Welt kann auch nur eine kleine Kreisklapsenstation umfassen, wenn sich sonst niemand mehr nach einem erkundigt und die Welt hinter dem Klinikzaun endet) dachte, ich würde es nie raus schaffen. Als “alle” davon ausgingen, ich würde nie 19 Jahre alt werden.
Ich hatte mich in zurück in das reaktive Hörnchen verwandelt, das die Zeit vor dem langen Klinikaufenthalt so gut überstanden hatte.

Klar, brauchte es Jahre zu glauben, dass ich mich auch als Mensch wahrnehmen darf. Klar, habe ich mich an Menschen gehängt, die mir ihre Selbstzerstörung als selbstverständlich heldinnenhaft vorlebten und bis heute anderen hilflosen, verzweifelten Menschen vorleben. Klar, habe ich jahrelang versucht in Arbeit, Leben und Leben lassen zu kommen, wie es die Gesellschaft ™ verlangt.
Obwohl diese mein Fehlen nicht merken würde, wie sie das Fehlen aller, die ohne Stimme sind, nicht bemerkt.
Selbstverständlich verzweifle ich regelmäßig daran, dass Forderungen an mich gestellt werden, die eine Veränderung an oder in mir meinen und negieren, dass ich auch in Reaktion auf Dinge, die um mich herum verändert werden müssten, lebe.
War doch die Erkenntnis auf etwas zu reagieren so ein wichtiger Schritt zu verstehen, was mit mir passiert.

Das ist die Wahl, die die Menschen treffen, die mit mir zu tun haben.
Entweder erkennen sie die Mechanik des Grauens in mir an und sehen meine Reaktionen [das Symptomcluster das letztlich dann DIS heißt] oder bleiben bei einer Sicht auf mich, die einzig das Außen umfasst und implizieren einen Plan, einen Willen, eine Absicht.
Manche Menschen sind vielleicht auch mutig und trauen mir je nach Situation beides zu. Lassen beides in meinem Leben und meiner Er-Lebensrealität einen Platz haben und erkennen an, dass uns nicht sehr viel unterscheidet.

Ich bin traurig darüber, dass ich, die heute jungen Innens, damals so wahnsinnig viel Angst hatten und haben mussten, obwohl wir uns in relativer Sicherheit befunden haben.
Ich bin traurig darüber, dass ich eine Bewertungsdynamik von außen erst jetzt in mir merke. Nämlich, dass ich selbst so oft zwischen HelferInnen*seite und Seite derer, die Hilfe brauchen oder erbitten, trenne und auch werte.

So drücke ich auch deshalb den Wert meiner Arbeiten und verlange weder aktiv Honorare noch bestehe ich auf angemessene Beiträge zur Unterstützung, weil ich ja nur veröffentliche, was in meinem stinkenden Höllenloch des “Inmitten von mir” gereift ist und raus muss. Ich habe ja nichts gelernt, bin ja nur aus Versehen überhaupt noch da.

Zum ersten Mal bin ich auch traurig darüber, dass ich mich selbst noch immer so sehr hasse, widerlich finde und bis heute über Platz im Herzen anderer Menschen wundere, weil ich etwas anderes noch immer nicht _kann_ – obwohl ich inzwischen auch keine Gesten, die etwas mit Wertschätzung meiner Arbeit oder auch meiner Person zu tun haben, ablehne, weil ich sie zu (er)tragen gelernt habe.

Ich bin traurig, dass ich erst jetzt auch merke: mein Selbsthass war nie die Entscheidung, die mir unterstellt wurde mit jedem: “Du musst dich einfach mal toll finden- geh doch mal raus- der erste Freund macht das alles gut- du musst dich mal zurecht machen, dann siehst du wie schön du bist – du musst nur mal glauben, was andere Positives über dich sagen”.
Mein Selbsthass ist genauso sehr auch Reaktion auf den Hass, der in mich eingebracht wurde, wie eingeschliffenes Muster der Selbstbetrachtung.

Es ist traurig und bitter, Hass als Motiv neben Erklärungen wie “hat eben auf etwas Falsches von mir reagiert” , “ich bin eben…”, “ich hätte halt…”, “er/sie/* ist ein kranker Mensch, deshalb….”, “er/sie/* wusste es nicht besser…”, “er/sie/* hatte ja auch keine andere Wahl…”, “er/sie/* ist SadistIn* und deshalb…” und so viele mehr, die wie ein Karussell in mir herumkreiseln, zu stellen.

„Es ist okay zu trauern“, denke ich.
Und starre mich gleichzeitig fassungslos an.

„… dass ich sowas _kann_ …“

Norm-, Name-, Vielesein

Es gibt Schmerzen in die man hineinsozialisiert wird. Die man als gegeben auffasst und sich immer mal wieder von der linken auf die rechte Schulter, vom rechten auf den linken Arm nimmt, während man sein Leben lebt. So ging es mir und uns mit dem Namen des Körpers und der Tatsache, dass dieser eine keine Entsprechung im Innen hat.
Es gibt so viele Menschen, die mit dem Namen, der ihrem Körper nach der Geburt gegeben wurde, unglücklich sind und ihn ändern, oder sich lieber mit einem Spitznamen benennen lassen, daneben kam mir mein Namensweh eigentlich nie außergewöhnlich vor.
Ungewöhnlich wurde er gemacht, als klar wurde, dass der Einsmensch “Cecile” nur total selten mit dem Spitznamen “Cecile” angesprochen werden wollte, sondern lieber “Hannah”  oder noch anders und das von Moment zu Moment immer wieder neu.

Wir sind Viele in einem Körper-Leben und unsere Namen werden manchmal als eine Art Handhabe oder Henkel zum Be-Greifen dieser Vielheit verwendet. Ich denke mir heute, dass so versucht wird, uns zu begreifen- uns ein bisschen vielleicht auch festzuhalten, um de Chance zu bekommen, mehr als nur einen kurzen Blick nach uns zu schmeißen und ein Bild entstehen zu lassen, in dem weniger Zweifel und Unsicherheiten auftauchen.
Ja, ich glaube sogar, dass manche Menschen, die von unserer Vielheit wissen, lieber unsere Namen auswendig lernen und auf ein Verhaltensclusterschema kleben würden (was für eine Arbeit!) als sich zu fragen, wo dieser Wunsch nach Eingrenzung und Greifbarkeit herkommt. Was er genau zur Folge haben muss, sowohl für mich und auch für unseren Kontakt.

Bei meiner ersten Gemögten gab und gibt es das stringente Vermeidungsmuster in ihr, das ihr das Nachdenken über diese Fragestellungen verbietet. Sie kann (und darf vor sich selbst) nicht über sich selbst nachdenken, weil ihr das Angst macht. Wir hatten uns damals auf einen Patt geeinigt und beschlossen, dass sie, wenn sie mit einem Innen zu tun hatte, das sie nicht kannte oder wir uns in einer Situation befanden, in der es wichtig für uns als Einsmensch, der sich und sein Innenleben erst noch kennenlernen muss, ist nach den Namen fragt und mit jeder Antwort zufrieden ist. Manche Innens haben ihre Namen gesagt, manche nicht. Dann hat sie sie nach dem Kontext benannt, damit eine Orientierung und Sortierung passieren konnte.

Ich hatte so die Chance zu merken, dass bei weitem nicht jedes Innen tatsächlich ein Innen ist, das einen Namen für sich selbst hat. Es gibt Innens, die sich selbst nicht als ein Selbst wahrnehmen und auf die Frage nach einem Namen nur sagen können, dass sie es nicht wissen oder keinen haben. Es gibt auch Innens, die auf jeden Versuch von außen irgendwie klassifiziert – be- (ange)- griffen zu werden wieder zerstieben wie eine Parfumwolke. Und es gibt Innens, für die ich einen Namen habe- die sich selbst aber anders nennen. (Ja, nein- es ist einfach nie kompliziert genug.)

Hier im Blog und in Medien, die mit dem Internet verbunden sind, tragen wir unseren Schirmnamen “Hannah C(ecile) Rosenblatt”, unter dem sich alle Innens eingefunden haben. Er passt für alle, obwohl er nicht genderneutral ist und ziemlich deutschklischeejüdisch klingt. Beim Jobcenter, der Krankenkasse, der Rentenkasse, in diversen Kliniken und bei ÄrztInnen- faktisch überall dort, wo Bürokratiepferdewirte ihre Amtsschimmel unterstellen, kommt der Körpername zum Einsatz und damit Innens, die entweder nichts mit dem Internet und unseren Projekten zu tun haben, oder eher beobachtend über allem schweben.
Wir haben für uns erkannt, dass es uns gut tun würde, den Schirmnamen ins analoge Leben zu bringen, weil es uns hilft nicht mehr so automatisiert umgekrempelt zu werden und mehr vom gemeinsamen Leben wahrzunehmen.
Mit “Hannah” wird eben nicht mehr nur Hannah angesprochen, sondern irgendwie auch wir anderen mit. Der Name ist an der Stelle eine Art Gummihaut, die ganz viel weiter ausgedehnt werden kann, als nur der Name, der mit der Geburt gegeben wurde.

Früher, als die Selbsterkenntnis: “Ich bin Viele und deshalb passt der Körpername nicht- es ist also okay, wenn ich mich unterscheide” noch frischer war, gab es diesen Drive, sich als Innen sehr genau zu definieren und von den anderen abzugrenzen. Da ging es ganz allgemein und bezogen auf alles, um die totale Abgrenzung, um sich selbst wahrzunehmen und vor sich selbst zu versichern.
Ich glaube, wir haben damit nach außen einen ziemlich nabelschaulichen Eindruck hinterlassen oder einen, der denken lässt: “Oh, die will also Viele sein, aha- diese Fakerin, ey.” oder “Die hält sich wohl für besonders “anders”.”. Heute kann ich sagen, dass ich nie Viele sein wollte, es aber leider nun mal schon war, als ich das bemerkte und, dass wir uns damals auch tatsächlich für besonders “anders” gehalten haben.

Heute weiß ich, dass ich schlicht den defizitären Blick der Psychiatrie gespiegelt habe und mich selbst in Abgrenzung zur (angeblichen) Einsheit anderer Menschen gesucht habe. Vielleicht auch suchen musste, denn in anderen Kontexten hatte (und hat ein bisschen bis heute) mein Viele- Sein ja gar keine Berechtigung bzw. keinen Platz.
In dieser Selbstkonstruktion, die in Abgrenzung zur nicht hinterfragten Norm des Einssein, war die Kenntnis der Namen also extrem wichtig. Ich habe eine innere Landkarte, die noch aus der Zeit kommt, als die Diagnose gestellt wurde. Es ist im Grunde nichts weiter als eine Namensliste, mit der man so eigentlich gar nichts anfangen kann. Also – sogar wir können damit heute nichts mehr anfangen, weil es dort nicht um die Dynamiken untereinander geht- nicht darum wer was macht oder denkt oder wen kennt usw., sondern darum, dass wir einfach da sind.
Name- batsch- Sichtbarkeit-batsch- WoakrassichbinVieleohmeinG’tt- batsch – das ist, was von all der Namensauflisterei nach heute fast 12 Jahren übrig ist.

Heute ist für uns klarer, worum es beim Vielesein eigentlich geht und welche Stellung darin unsere Namen für uns haben.
Wir haben sie als Fragment früher wichtiger Positionierungen und Abbilder in einem von absoluter Zerstörung bedrohten Selbst begriffen. Ein bisschen sind unsere Namen wie Zellmembranen, manchmal aber auch wie Zellkernhüllen. Sie haben mit uns zu tun – nicht mit dem Außen, das uns umgibt. Nicht mit den Menschen, die mit uns zu tun haben.

Ja, wir passen uns an das Außen an und dann tauchen dort jeweils andere Innens auf. Aber die Namen dieser Innens sind für den Kontext nicht relevant, sofern dieser nichts mit uns als Einsmensch, der Viele ist, zu tun hat.
Die Frage wann, was, wie viel oder wenig mit uns als Einsmensch zu tun hat, liegt aber nicht nur bei uns und das ein Stolperstein.
Einer der Angst und Druck macht, weil er außerhalb unserer Kontrolle liegt.

Ich gehe manchmal so blind für uns als Einsmensch durch den Alltag, dass ich nicht mehr bewusst habe, wie oft ich eigentlich nur reaktiv bin, um von mir irgendwie dämmrig, aber doch dringlich wahrhaft wahrgenommene Gefahren zu umgehen. Da spielen natürlich erfahrene Traumatisierungen mit rein und die Qualität eines Erinnerns an dissoziiertes Material- damit einhergehend aber doch auch meine Positionierung in Bezug darauf. Wenn ich etwas nachfrage, oder erfahren will, dann frage ich mit meinem spezifischen Sein und Fähigkeiten nach- nicht mit dem Sein, dass dieses – Ich, M. von und zu Rosenblätterbuschdings- Sein – nicht immer und frei steuerbar aufrufen (anschalten) kann.
Deshalb ist es für mich Druck, wenn Außenmenschen wissen wollen, wer ich bin. Wie ich heiße. Wenn Außenmenschen nur mit mir reden wollen und nicht mit anderen Innens. Ich kriege Panik, weil ich weiß, dass ich mich nicht an- und ausmachen kann. Weil ich weiß: Ich kann dem Wunsch des Menschen, der dort mit mir sprechen will, nicht verlässlich und sicher entsprechen. Ich kann mich nicht anpassen- ich kann nicht gewinnen- ich bin ausgeliefert- ich bin bedroht- ich werde sterben – globaler Alarm- die Welt plumpst aus ihren Angeln und alles geht kaputt, nur weil _ich_ …
Für Menschen, die nicht in genau solchen real (lebens)bedrohlichen Ereignisketten sozialisiert wurden, klingt das vielleicht übertrieben. Für mich ist das Er-Lebensrealität, die durch mich durchflutscht wie Petroleum durch ein Schaf.

Das geht nicht weg, indem ich mir sage: “Ich bin erwachsen und mein Überleben hängt nicht mehr davon ab, wie gut jemand mich behandelt.”. Im Fall des Falls ist eine Erinnerung daran gut, die Bedrohung, die ich davon erlebe, ist aber nach wie vor da und meine einzige Strategie damit umzugehen ist, immer wieder zu sagen: “Ich bin Viele und das weißt du, weil du entweder danach gefragt hast oder mich als Mensch der Viele ist, kennengelernt hast. Du weißt das nicht, weil es relevant für dich im Umgang mit mir als Einsmensch ist, sondern um mich zu verstehen und aufgrund dieses Verständnisses meine vielen Äußerungen und Ver- Haltungen einsortieren zu können.”
Mehr kann ich leider für meine Gegenüber nicht tun.

Eine unserer Gemögten spricht öfter mal von der Unsicherheit, die sie hat, wenn es um Menschen, die Viele sind, geht. Sie will nichts falsch machen, will nicht zu weit vortreten, will nichts, was zu zu viel führt verursachen. Sie wünscht sich Sicherheiten in mitten dieser Vielheit, die sie und das Verhältnis, in dem sie sich mit Viele- Menschen bewegt, umschwirrt und ich mag sie dann immer wieder gerne in Wattewölkchen einwickeln, damit sie diese Angst besser aushalten kann.
Mir zeigt ihre Unsicherheit immer wieder, wie sehr etabliert die Einzelheit von Menschen, das Einssein, als Norm gilt und wie wenig Platz darin für Vielheit ist. Man geht bei Vielheit davon aus (bzw. das ist das allgemeine Framing), dass viele unterschiedliche Systeme involviert sind, die unver_eins_bar in einem Menschen miteinander kämpfen. Diese “innere Kämpfe” –Metapher findet sich überall und dient nicht zuletzt als fast Rechtfertigung für Psychotherapie und Veränderung der Rahmenbedingungen durch (sozial)pädagogische Interventionen. Dabei sagt “Vielheit” erst mal gar nicht mehr, als einfach nur “viel” bzw. “nicht nur eins”. Es ist ein anderer Normrahmen- ein anderer innerer Kontext und genau deshalb ist dort Unsicherheit. Es ist fremd, vielleicht nicht selbst in sich gefunden, bewusst und/oder etabliert. Heute, wo wir Menschen in Städten zu tausenden- in unseren Wohnungen aber immer häufiger allein leben, ist das Konzept der Vielheit vielleicht sogar noch fremder und ferner, als zu Zeiten, in denen das Weltbild noch aus vielen Göttern und Göttinnen bestand und unsere Lebensumgebungen auf Gruppenstärken ausgelegt war.

Es gibt viele Sagen, Mythen und Fabeln, in denen Menschen auch Götter auch Tiere auch Moral auch Gedanke auch Kraft auch Gefühl auch Umwelt sind. Also (ein bisschen über einen weit gespannten Bogen gehopst): viel(e) sind.
Heute sind diese Selbst-e- Bilder, krank, speziell, fremd und auf eine Art dargestellt, die letztlich immer wieder transportiert, dass sie keine Norm darstellen, weil sie nicht der Norm der Einsheit entsprechen. Die Sozialisierung der (westlichen) Menschen donnert von Anfang an die Denkmuster: “Wenn etwas nicht der Norm entspricht, musst du es so markieren. Wenn du damit zu tun hast, muss es bis ins Kleinste verstehen und durchschauen- sonst macht es dich vielleicht tot.”.
Es ist also nur logisch und verständlich, dass sich meine Gemögte unsicher fühlt. Sie muss sich auf eine Norm einlassen, die sie selbst nicht lebt und in deren Verstehen sie auf die Worte aus einem Normkontext, der keinerlei äußere Entsprechung hat (und damit für sie auch keinerlei Versicherung in den Kontexten, die sie lebt und kennt) bauen muss. Sie muss sich auf Unstetigkeit, stetige Veränderung und Wandel ohne für sie immer gut erkennbare Ursachen und Logiken einlassen und hat nur das als Konstante.
Gleich ist die Ungleichheit. Stetig ist die Unstetigkeit. Sicher ist die Unsicherheit. Die Einzelheit ist die Vielheit.

Mit jedem Mal, das ich meinen Namen sage und nach außen bringe, macht die Rezeption der Einsmenschen mein Selbst zu einer Einsheit, die ich nicht bin und heute, wo der innere Wunsch eben nicht mehr die innere Vereinzelung nebeneinander her ist, sondern das Strömen vieler in eine gemeinsame Richtung, auch nicht mehr sein möchte.
Ich mag nicht verleugnen, dass ich es manchmal gut finde, wenn das außen merkt: “Ah okay, das ist die Theoretikerin bei den Rosenblättern- die M.- yeay wir können jetzt diese und jene Diskussion führen, die mit anderen Innens nicht gleich gut funktioniert”, letztlich kann man diese Diskussion aber auch einfach anfangen und ich werde auftauchen, wenn es geht.
Man muss mit manchen Themen nicht warten, bis “das passende” Innen da ist. Man muss meinen Namen nicht kennen, um bestimmte Dinge mit mir zu unternehmen. Niemand außer mir braucht meinen Namen.

Es ist kein echter Verlust, wenn man ihn nicht kennt. Es ist ein gefühlter Verlust im Bereich der Sicherheit und damit Kontrolle, ja. Aber ich fange doch auch nicht an, selbsterklärte Einsmenschen in Vielheiten zu zerhacken, damit ich mir ihre (Er-) Lebensrealitäten näher an meine Norm bringen und darüber dann sicherer mit ihnen interagieren kann.
Nur, weil ich etwas möchte und nicht kriege ist es kein Verlust oder immer sofort eine Gefahr.

Ich musste gerade lachen, weil gerade der letzte Satz so ein riesengroßer Wunderwasweltangelsprung für uns Rosenblätter immer wieder ist. Für uns bedeutet der Satz, dass wir unsere Panik in Bezug auf dieses Leben mit uns drin und um uns herum runterschrauben dürfen. Dass wir da sein und überprüfen dürfen, was wirklich unser (biologisches, psychisches) Leben bedroht.
In Bezug auf Außenmenschen und unsere Namen als Innen in dem Körper der Hannah C. Rosenblatt heißt, bedeutet er vielleicht, dass sie atmen und überprüfen dürfen, dass ihnen nichts kaputt geht, wenn sie sie nicht wissen. Dass ihnen keine Gefahrenlage dadurch entsteht, wenn sie uns nicht kontrolliert einschätzen können.

Angst kennen wir alle so gut, dass es vielleicht gerade im Umgang miteinander darum geht, dass wir uns auf das, was sicher aneinander ist, zu konzentrieren um es in uns selbst zu etablieren.
Vielleicht.