Fundstück

Meine Regulation ist gestört. Das weiß ich und trotzdem tauche ich meine Hände in die Küchenspüle.
Ob das jetzt zu heiß war oder nicht, werde ich schon noch erfahren. Denke ich. Es dampft nicht verdächtig und eigentlich habe ich nichts anders gemacht als sonst. Aber mir fehlt das Stück zwischen Reizerfassung und Erkenntnis.

Während ich den Abwasch mache, denke ich an das Kind und den Bösen. Der Böse ist auf einer Insel und irgendwo lacht es immer noch darüber, dass die Therapeutin ihn von uns versorgt wissen wollte.
Ich weiß gar nicht, ob die Bösen überhaupt solche Bedürfnisse haben. Sie haben ja nicht mal das Bedürfnis nicht als “die Bösen” von mir gedacht zu werden.

Ich kratze auf der Teflonpfanne herum. “Es haftet ganz schön inbrünstig auf so einer Antihaftbeschichtung”, denke ich und überlege, ob meine Hände eigentlich immer so rot sind, wenn ich abwasche.

Und das Kind? Wieso schreit es eigentlich gar nicht?
Weiß es denn nicht, dass es ihm etwas Schlimmes passiert..e? Es muss doch jetzt ein Weh haben, ein Weh klagen, ein Weh in den Äther schicken und schreien.
Das macht man doch so.
Wir hatten mit der Therapeutin besprochen, dass wir uns kümmern. Dass wir es von dort mitnehmen und gut versorgen. Weil man das so macht.

“Noch einmal mit Pril abwaschen.”, denke ich, “und dann ist die Flasche alle und dann können wir endlich wieder das Fit nehmen.”. Ich denke an die Frauenhände meiner Familie* in Küchenspülen neben denen oft, immer, manchmal, das Fit stand und merke, wie erbärmlich meine Art Familien*verbundenheit eigentlich ist. An andere Dinge, die mich dem was eine meine Familie* hätte würde wenn gewesen worden wäre, näher bringen, kann ich mich aber auch nicht erinnern.

Es schreit nicht, es weint nicht, es bewegt sich nicht. Ich fühle nur Nichts von ihm. Weißes Rauschen, das kein Dissen ist.
Ist es dann eigentlich leiden? Wenn es nicht leidet, braucht es dann “gut kümmern” von uns?

Mein Abwasch ist fertig und in der Spüle vor meinem Bauch, treiben Speisereste, Fettaugen und letzte Restschauminseln umher.
“Wie fühlt sich eigentlich Ekel an?”, frage ich mich und fühle mich so fern von all dem was ist und wäre hätte würde wenn. “Wieso habe ich das jetzt eigentlich gemacht?”.

Ach ja, da war das Kind, vielleicht im Grundschulalter, das vor einer Wand kniet und weder sieht noch hört, noch ist und die Frage, ob es wohl leidet.
Und die Verlassenheit vor der Frage, ob man sich kümmern muss, wenn es kein Leiden gibt.

Die Frage was Leiden ist.

Und der Versuch um etwas anderes als dieses weiße Rauschen, das nicht ist und war und wird und ganz in Wahrheit überhaupt alles gar nicht ist.
So wie ich.

zur zweiten Episode “Viele–Sein”

Diesmal geht es um neue Wege und die Privatisierung, die das Leben mit Traumafolgen erfährt.
Ein Gespräch war nicht möglich, aber das hat uns glücklicherweise nicht abhalten können.

Also bitte – hier geht’s lang zur zweiten Episode “Viele – Sein” dem Podcast über das Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur.

K.r.ämpfe

Es ist eine Autoritätsperson, die ihr etwas beibringen soll.
Sie möchte das. Fragt an dem Kloß im Hals vorbei. Wird losgeschickt. Ohne Zielangabe. Um der Erfahrung Willen. Natürlich. Wozu auch sagen, was auf sie zu kommt? Wozu auch vorbereiten – das Leben fragt auch nicht.
Die schwarze klebrige Farbe schwemmt Ekel hoch. Sie soll sie auf der Platte verteilen, mit Gaze in die Rillen drücken und vom Rest abwischen. Sie reibt und schiebt gegen das Erbrechen an. Ist still, wie die Jugendlichen um sie herum.
Es redet ein Junge im Kumpelton. Unter Kumpels ekelhaftes Zeugs anfassen, nicht wissen worum es geht – irgendwo wird nach Wörtern gejagt, um Luft gekämpft.
“Oh G’tt heute wurde so viel um irgendwas zum Festhalten, um Klarheit, um ein Später gekämpft.”. Die Welten krachen kreischend ineinander.

Es wird immer mehr ekelerregende klebrige Schwärze. Sie schaut hoch. Sieht in ein leeres Gesicht, das sie betrachtet. Erschrickt. Macht ihr verqueres Lächelgesicht. Reibt weiter. Die Autorität guckt. “Ich glaub, ich hab zu viel Farbe genommen – kann ich was tun, um…?” – “Ja ist gut, dass du zuviel genommen hast- das ist ne Erfahrung. Ohne gehts nicht.” umgeht er ihre Frage. Sie reibt. Kann sich wieder nicht durchsetzen.
Der Lehrer geht durch den Raum und redet von der Wichtigkeit von Fehlern. Alle wissen, dass es um sie geht. Niemand sagt etwas. Niemand sagt ihr etwas.

Sie steht auf. Sucht den Wasserhahn. Er steht vor ihr, breitet die Arme aus, versperrt ihr den Weg. “Nee jetzt nich Hände waschen, mach doch weiter – das ist doch…”

“Ja blöd ist das. Total blöd. So blöd. Ich bin so blöd. Ja ich bin so blöd. Ich bin so blöd, dass ich dachte, du bringst mir was bei. Ich bin so blöd. Wieso bin ich immer so blöd. Wieso gehe ich auch hier hin?”. Sie sagt: “N… kann nich.”.
Im Inmitten hat es zu schreien angefangen. Ein erster Krampf in der linken Hand bahnt sich seinen Weg.

Sie zieht sich an. Zittert, haspelt, stolpert mit ihren Lauten durch den Raum. Will was sagen und kann nur wurtscheln. Ein Kumpeljunge lacht. Ein zweiter stimmt ein. Kein Beistand. Keine Beruhigung. Kein Raum. Keine Luft. “Wieso bin ich so blöd Wieso bin ich immer so blöd Wieso bin ich hier hingegangen Wieso hab ich was gesagt”

Ein Zucken, das im Krampf endet. Lichtblitze. Rauschen im Kopf.
Wieso bin ich so blöd Ich habe vergessen, nach einem ruhigen Raum zu fragen Ich habe vergessen, mir einen Notfallkontakt unter den Lehrer_Innen zu besorgen Ich habe vergessen, mir ein Netz für solche Fälle zu machen Ich habe vergessen, nicht nur okay gefunden werden zu wollen

Ich habe vergessen, jemandem von meiner Behinderung zu erzählen
Ich habe vergessen mein Lernumfeld barrierenärmer für mich zu machen
Ich wollte hier nichts von “diesem DAS DA” haben

und liege kurze Zeit später auf dem Boden eines stinkenden Schulkos.
Hoffe, dass niemand – keines der gefühlten tausend Kinder und Jugendlichen, die im Schulgebäude herumlaufen – reinkommt und mich so sieht.

Ich weine ein bisschen, schaue der anderen beim Erdungstwittern zu, bemerke, wie andere überlegen, ob sie einfach in einen anderen Kurs gehen. Höre Gedanken zu einem Projekt, zu einer Gemochten, die wie ein weißes Rauschen schon den ganzen Tag begleiten. Das Inmitten ist still. Weint statt mir weiter. In meinem Innen herrscht Ebbe mit Springsinflut.
Die Erde dreht sich weiter.
Das unwillkürliche Zucken bleibt.
“Ich muss endlich einen Termin bei diesem special Neurologen machen”, raunzt es neben mir. Jemand wechselt Strumpfhose und Unterwäsche. Tastet den Kopf ab. Es ist so eine erbärmliche Krisenroutine. Oder erbarmungswürdig. So richtig weiß ich nicht, was ich dazu fühle.

Der Lehrer ist so einer, der sich vielleicht entschuldigt, aber nicht nachfragt, was schwierig ist. Er ist einer, der gesagt bekommen will und nicht begreift, was für ein Umfeld manches zu Sagendes braucht. Vielleicht lieber von Empfindlich- und Befindlichkeiten ausgeht, als von echten, komplexen Problemen, die auch irgendwie mit ihm, seiner sozialen Rolle, seinem Status zu tun haben, obwohl es mein Körper, mein Gehirn, mein einfach von Traumata schief und krumm verwurschteltes Ich ist, das quer schießt.

Als ich nach Hause gehe, höre ich Jugendliche einander “voll behindert” an den Kopf werfen.

Die Welt guckt komisch und die Erde dreht sich weiter.
Und heute nachittag werde ich ein Gespräch einleiten mit “Es tut mir leid, dass ich gestern aus dem Kontakt gegangen bin. Ich hätte dir sagen müssen, dass …”

Nichtbehinderte Menschen finden es meistens geil, wenn die Menschen, die Rücksicht auf ihre Behinderungen einfordern, so reden, als hätten sie eigentlich überhaupt nichts damit zu tun.
Als wären sie kein Teil der Barrieren.
Kein Teil des Lebens mit Behinderung eines anderen Menschen.

Sie finden es geil, wenn die Leute, die ein Problem haben, sich alleine drum kümmern. Sie finden es geil, weil sie dann denken können “Ach, dieses Inklusionsding ist ja total einfach.”. Sie findens geil, wenn sie nichts weiter wissen müssen. Sie findens geil, wenn die Behinderung etwas ist, was sie nicht stört.
Eigentlich wollen die meisten nur wissen, was sie potenziell stören könnte an meiner Behinderung.
Sie wissen ja nicht, dass ich weiß, dass ihnen das Herz einmal durchs Hosenbein rutscht, wenn ich irgendwo nahe einer der Altbautreppen hinfalle und einen Krampfanfall habe. Sie wissen ja nicht, wie das ist, kleinen Kindern zu erklären, “was die Frau da hatte”. Sie wissen ja nicht, wie mich Sanitäter_Innen und so ein Massenauflauf nach einem Anfall nur noch mehr stresst und meine Sprache ganz weg geht. Sie haben ja keine Vorstellung davon, was für eine innere Hölle Krankenhäuser in mir aufmachen. Sie wissen ja nicht, dass ich kein flexibles Notfallnetz mehr habe.

Beziehungsweise: Ich weiß, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass sie es wissen.
Die Mehrheit der Menschen lebt eben nicht mit dissoziativen Krampfanfällen nach komplexer Traumatisierung.

Die Mehrheit kann einfach mal losziehen und ihre Erfahrungen machen.

Leben, lernen, Viele sein 2.0

“Du hast doch hier … Foto – Wasser und so Schnecken und Zeugs .. Foto…”, hatte er gesagt, “Willste die nicht auch mit ausstellen?”, hatte er gefragt.
Und Frau Rosenblatt stand da und “antwortete”: “Öh, wurschtel wurschtel blasülz schwallawurschtel…, ja ….?” und die Erde drehte sich weiter.

Es heißt, man lerne für das Leben in der Schule.
In Wahrheit lernen wir gerade eine Facette von Leben, die für uns ganz lange verloren geglaubt war und jetzt auf eine Entfernung herangerückt ist, aus der wir sie betrachten, aber auch erspüren können, wenn wir das möchten. Das sind Dinge wie Anerkennung von Menschen, die weder mit uns befreundet sind, noch einen (staatlich) verordneten Gedeihauftrag an uns haben, noch nur auf uns konzentriert sind. Das sind aber auch Dinge wie, Individualität als nicht störend sondern allgemein bereichernd in einer Gruppe zu erfahren.
Das sind Erklärungen zu Fehlern, die man gemacht hat, um der Erklärung willen. Nicht zur Vermeidung einer Wiederholung oder um einen Status zu belegen.

So funktioniert das Leben nicht. Schon gar nicht unseres. Aber diese kleine Facette davon gibt es und sie funktioniert so. Und wir dürfen sie leben.

Ich merke, dass es mir im Moment sehr gut tut, mal wieder Kontakt mit Menschen zu haben, in dem es nicht um mich geht oder darum, was in der Welt fehlt oder schwierig ist oder sich verändern sollte. Und ich merke, dass es mir gut tut, Hannah Rosenblatt, die gerne fotografiert und rumkunstet und wurschtelt und ein klitzebisschen verquer ist, zu sein und nicht die Hannah Rosenblatt, die sich im Internet öffentlich zu Gewalt, ihren Formen und Traumafolgen äußert und für politischen Opferschutz einsetzt.

Ich muss nicht straight sein, ich muss mich nicht zusammenreißen auf Emails, die mich von oben herab in meiner inzwischen 7 Jahre lange andauernden völlig autonomen öffentlichen Arbeit zu Trauma und Gewalt, zurechtweisen wollen, nicht zu antworten. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern kann tun, was ich eben tue, ohne, dass ich als Konkurrenz oder potenzielle Aufmerksamkeits-Twitterfame-oder “Multiszenenbekanntheits” – Diebin gelte.
Es tut mir gut, einmal Dinge zu tun, die nicht auf einen (vermeintlichen) Status zurückfallen.

Was ich tue ist
dramatische Taschentücher zu zeichnen und als Illustration auf einem Blatt miteinander zu verbinden

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dramatische Kompositionen in Plastikfolien zu ritzen, die später als Tiefdruckplatte verwendet werden

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Gerätschaften zu benutzen, die wir vorher noch nie benutzen konnten

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zu lernen, wie wir mit unseren Gerätschaften auch arbeiten können
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zu versuchen die kleine, fast ganz erwachsene Eule und das Eulenelter, zum Leben zu erwecken

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und  ganz bewusst zu lernen, dass, wenn wir, nach einem langen Tag des Lernens und Erfüllung spüren, einen Sonnenuntergang sehen, das einfach nur bedeutet, dass wir nach Hause gehen, wo uns außer NakNak*s Wiedersehensfreude und Abendbrotshunger, nichts erwartet, was uns genau diesen Tag aus dem Bewusstsein schwemmt.

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Neben all dem Schönen und vielleicht auch durch all den Raum für Kreation und Produktion, brechen Bodenplatten unter uns auf.
Wir verlieren (Therapie-) Zeit, fremdeln mit dem Uns, das wir schon so lange leben, erinnern, statt zu schlafen, zweifeln und k.r.ämpfen.
Wir lernen “die Anderen” kennen.

der Bindentest und die Männlichkeit im menstruierenden Körper

Es begann mit einer Mail, in der sinngemäß stand: “Möchten Sie Kulmine-Stoffbinden testen und darüber in ihrem Blog schreiben?” und mündete in ein Moment, in dem mir klar wurde, dass meine Männlichkeit eigentlich nichts mit meinem Körper zu tun hat.

Für uns ist das Menstruieren immer noch so etwas vor dem wir stehen und fassungslos bemerken: “Blut ohne Verletzung – wie krass ist das denn?!” und für mich, der jedes Fragenbogenkreuzkästchen vor den Worten “männlich” und “weiblich” mit einem massiven Körperdysmorphflash beantwortet, alles andere als der “Weiberkram”, zu dem es in der Werbung von Always ultra, o.B. und oft ja auch noch von den menstruierenden Menschen selbst, gemacht wird.

Ich glaube nicht an “heiliges Bluten” oder “die weibliche Kraft der Menstruation”, “Mondfrauen” und “rote Göttinnen” – aber ich finds schön, dass sich diese teilweise uralten Bilder gehalten haben. Eine große Urgöttin die Leben aus sich rauslassen kann, find ich auch grundsätzlich irgendwie cooler als eine “sicher und diskret” verstopfte Person.
Als die Email kam, waren andere Innens gerade schon auf der Suche nach günstigen Stoffbinden, weil unsere alten einfach mal ausgedient haben.

Eigentlich bluten wir frei und halten uns diese 3 Tage im Monat auch immer leer, damit das in Ruhe funktionieren kann, aber unser Herbst und Winter war so vollgestopft mit Terminen und Anwesenheiten, dass das alles gar nicht funktionierte. Darüber kam es dann auch mal wieder zu einer Infektion und der Mooncup musste auch ein bisschen ruhen.
Also konnte das Angebot diese super hochwertigen Stoffbinden von Kulmine zu testen gar nicht passender kommen.

Wir hätten nicht das Geld gehabt, sie uns als Set zu kaufen. Ganz klar nicht. Umso mehr Luxusgefühle kamen auf, als wir dann das Päckchen mit Seidenpapier drum rum in der Hand hatten und umso intensiver haben wir uns den Stücken gewidmet. (Wahrscheinlich hätte ich das sonst nicht mitbekommen und auch nicht gesagt: “Ja, gut, ich teste die auch und schreib dann als Innenmann übers Bluten”).
Das Erste, was uns auffiel, war wie weich der Stoff ist.
Ich will einen Schlafanzug aus dem Stoff – ohne Scheiß jetzt.
Sie sind nicht labberig, aber auch nicht steif. Das ist mir auch gleich aufgefallen. Auch nach der ersten Wäsche (60° normale Wäsche) sind sie nicht zerknüddelt und trocknen auch so, dass sich keine Knicke bilden. Unsere alten haben das gerne gemacht und das hat sich manchmal
als Scheuerfaktor echt fies bemerkbar gemacht .

Es gibt verschiedene Modelle. Welche zum Knöpfen, welche zum Reinlegen, kleine große, dünne dicke und: faltbare
Die haben sich für uns als die, die für uns am besten gehen herausgestellt, obwohl wir eigentlich eher zur Flügelfraktion gehören. Die faltbaren Kulmines sind etwa 25 cm lang und 21 cm breit und man kann sie sich jeweils so zurecht falten, wie es grad wichtig und gut ist.
Man sieht, wenn sie durchgeblutet sind (auch bei den roten und blauen Modellen) und ich hatte, trotzdem es ja doch ein kleines Polster ist, das man unter sich trägt, kaum dieses typische Bindenwindelgefühl.

Aber klar sind es Binden. Wir hatten Auslaufmomente, es gab Stoffwülste, die im Sitzen auf die Vulva gedrückt haben, diese komische Art von Präsenz, die der Versuch von “Auffangen, was nirgendwosonst landen soll” mit sich bringt. Ich habe gemerkt, dass ich genau wieder anfing Ekelmomente zu haben, die lange weg waren, nur weil ich wieder Unter- und Strumpfhosen kalt auswaschen musste. So werden auch die Kulmines für uns weniger Dauereinrichtung als viel mehr Ergänzung oder Ersatz für Mooncup und freie Menstruation darstellen.

Ich hab mir auf die Schulter geklopft, als ich die Testerei durch hatte und dachte kurz drauf, wie blöd, das eigentlich ist.
Für mich war das Bluten ganz früher gar nie im Kopf und wurde eigentlich auch erst zum Problem, als ich lernte, es sei nicht normal, dass ich mich männlich wahrnehme. Schließlich hat mein (der) Körper Merkmale, die zu der Bezeichnung “Frau” führen und schließlich menstruiere ich. Als könnten Männer nicht auch in solchen Körpern stecken.
Überhaupt, als gäbe es nur Männer und Frauen und maximal noch irgendwie so etwas dazwischen. So komische Exoten oder Intersexuelle.

Ich bin in weiten Teilen meiner Präsenz im Alltag damit beschäftigt, mir den Körper als meinen eigenen bewusst zu halten. Das heißt: ihn mit all seinen Bedürfnissen und Funktionen nicht zu dissoziieren. Früher bin ich einfach losgerackt und habe getan, was getan werden musste.
Essen, trinken, ausscheiden, schlafen, wärmen – gehörte damals aber nie dazu.
Heute weiß ich, dass auch das soziale Umfeld, mit dem wir uns umgeben haben, mir das auch nicht aushaltbar gestaltet hätte.
Es gibt ja viel Scheiße, der Frauen(körper) entsprechen sollen (müssen) um als passend und “richtig” wahrgenommen und behandelt zu werden. Und in Abgrenzung dazu gibt es viel Scheiße, der Männer(körper) entsprechen müssen.
Mein Umfeld wusste, dass ich ein Mann bin und immer, wenn ich präsent wurde, war ich es, der Zeugs schleppen, ganz besonders cool und hart re-agieren sollte. Dem Technik gefallen und der Rest der Welt egal sein sollte. Ich sollte “auf Frauen stehen”. Niemand hat mich je gefragt, obs mir nicht besser gefiele, an der Seite von Frauen zu sein – ich sollte immer auf ihnen stehen, oder sie haben wollen, was mir jedes Mal neben sozialem Druck, auch echt Widerwillen zu Beziehung oder Miteinander (mit Frauen) ausgelöst hat.

Inzwischen ist unser soziales Umfeld anders. Es ist eins, in dem meine Beschäftigung mit dem Körper und auch dem Bluten als so kräftezehrend und doch auch spannend und organisch angenommen wird, wie es das für mich ist.
Mir ist während der Bindentests aufgefallen, wie empfindlich meine Haut ist und wie groß diese Empfindung für mich war. Einfach zu fühlen: das da ist meine Haut. Sie ist an mir dran, umgibt mich und hält mich zusammen. Und eben auch zu merken, dass ich keinen Penis brauche, um der Mann zu sein, der ich bin. Ich brauche auch nicht die Abwesenheit von Brüsten, Uterus und Vulva, um ein Mann zu sein.
Was wichtig ist, ist was ich fühle, wie ich es fühle und wie ich diese Empfindungen bei mir behalten kann.

Ein Umfeld, das das Bluten peinlich und eklig findet und lieber nie darüber redet, macht es mir schwer damit einen Umgang zu haben, der unbelastet ist (was nicht heißt, dass ich finde, alle Menschen müssten immer darüber reden wollen!) Ich habe meine Ekelmomente nicht gehabt, weil ich das Menstruationsblut eklig fand, sondern, weil das Auswaschen einfach eklig ist. Ich betrachte das Blut immer lieber so wie es ist und eben nicht so vermatscht oder auf Stoff. Irgendwie kommt es mir dann einfach echter vor und so, als hätte es wirklich etwas mit mir zu tun.
Ich erlebe es als bereichernd, wenn ich fühlen kann, dass der Körper etwas mit mir zu tun hat und in allem, was er tut, okay ist. Die Stoffbinden von Kulmine habe ich dabei als gute Unterstützung empfunden, gerade weil ich sie so nutzen kann, wie ich sie ge-brauchen kann.

Zum Abschluss noch ein paar Menslinks
der Artikel von dem Trans-Mann, der menstruiert (englisch)
die Liste, was man mit Mensblut so anstellen könnte (englisch)
die Petition für pestizidfreie Menstruationsartikel
der Artikel zum Tabu “Menstruation + Sportler_Innen” (englisch)
der Kulmineshop
unser letzter Menstruationsartikel

Eisnacht

imEis“Wieso war mir das jetzt so wichtig nicht alleine nach Hause zu gehen?”, grimme ich mich selbst an.
Aus meinem Handy krümeln die Worte der Gemögten und legen eine Spur von dem Park, in dem ich meine Füße im Ententeich wiedergefunden habe, bis zu mir.

Ihr Mitleid ekelt mich fremd. Ich finde sie peinlich in ihrem Bemühen um uns. Die Angst tritt von innen gegen meine Haut und ich merke an mir, dass ich nicht nur einen Weg nach Hause suche, der die 3 Kilometer abkürzt, sondern mir auch ein Ausweg aus dieser Not.lage ist.
Wäre mein Mund nicht so verklebt würde ich schreien, glaube ich. Einfach nur so. Ohne Wörter.

Sie spricht von Wohnung umstellen, von Türen verschließen, von Zetteln an der Wohnungstür.

“Wenn ich jetzt so ein Loch unter der Nase hätte, dann könnte ich schreien.”, denke ich und ziehe meine durchnässten Hausschuhe aus. “Meine Schreie würden in den Ästen hängen bleiben und es würde aussehen, wie Laubgeister.”.
Sie fragt, ob ich noch da bin. Ich nicke. Sie schubst ihre Stimme noch eine Oktave höher. “Bist du noch da?!”.

Ich schnipse vors Handy. Denke an diese App mit der man einander beim Telefonieren sehen kann.
Sie hat schon wieder vergessen, dass ich keine Lautsprache kann. Sie vergisst ständig, dass ich Text brauche.

“Wieso werde ich ständig vergessen?”, denke ich und halte es für den besten ersten Schrei von mir.

Auf dem Gehweg vor dem Haus liegt der Schlüsselbund.
“Wie bescheuert kann man sein?”, knirsche ich hinter mich und nehme das kalte Metall in die Hand. Die Füße der Legosuperwoman streifen meine Handwurzel.

Die Gemögte will weiter reden. “Ich kann euch doch jetzt nicht allein lassen!”.
“Wenn ich jetzt losschreien würde, dann würde ich die Wohnung damit vergiften.”, denke ich und öffne die Tür, hinter der NakNak* wartet.

“Ich bin nicht mehr allein”, sagt die andere und legt ihr verfrorenes Vogelherz auf die Heizung.
Es ist 5 Uhr 37, als es aufhört weh zu tun und 7 Uhr 3, als ich ins Handy tippe:
„Es ist niemand „weggelaufen“.
Wer „wegläuft“ nimmt sein Handy nicht mit und schließt auch nicht die Tür hinter sich ab.“

Ich tippe auf „senden“ und ziehe die Decke etwas höher.
„Ich wäre gern mein eigener Schrei“, denke ich und schaue dem Tag beim heller werden zu.

 

9 Jahre später

Eislicht“Ist doch komisch, dass die Schneeflocken erst weiß sind und dann wasserfarbig.”.
Sie hockt mit dem Rücken zu den Windböen am Rand des gefluteten Ackers und betrachtet die Flocken auf den Ohren des Hundes, der auf ihren Füßen sitzt.
“Es ist kalt.”.
Die Worte klirren in ihr wie Eiskristalle.
Schmelzen. Laufen ihr vom Kinn herunter.

Der Wind drückt den Schneeschauer weiter
und zerreißt die Wolkendecke.
“Ich wusste gar nicht, dass wir einen Hund wollten.”
Die Sonne betrachtet sich zögerlich in den Pfützen.

Sie steht auf und steckt ihre Armstümpfe zurück in die Jackentaschen.
“Du?”, fragt sie, “Weißt du, wo zu Hause ist?”.

manchmal…

blubbern
“manchmal denke ich,
dass ich mir ein Loch unter der Nase graben muss,
damit das ganze Kopfblubbern raus kann”

 

irgendwo sein

upupandawayUnd dann ist es doch wieder eine Zeit, in der ich in einen Telefonhörer hinein sage: “Ich weiß ja auch nicht, was ich bei der Frau Doktor soll. Meine Therapeutin hat gesagt…”

Ich bin da. Ich bin präsent und verhalte mich. Und alles zieht an mir vorbei.
Ich bemerke das, bin bewusst dafür, dass ich zur Zeit so viel dissoziiere wie zuletzt vor Jahren. Ich habe Wörter. Ich habe Ressourcen. Ich stapfe durch die Tage und bin und bin und bin.

Ich sitze vor meiner Neurologin und sage ihr: “Ich glaube nicht, dass es epileptische Anfälle sind. Ich weiß doch, wie meine Traumametaphorik ist.”. Ich schüttle den Kopf und erwarte eine Art blechernes Scheppern, das die ganze Welt durch meine Ohren wahrnehmen kann.

Die Neurologin und ich gehen ins elfte gemeinsame Jahr und ich habe immer noch das Gefühl einen Fehler zu machen, wenn ich von “uns” statt von “mir” spreche. Ich muss mir noch immer mein Menschenkostüm über die Ellenbogen ziehen, weil sich meine Seelenphysis auf ein jugendliches Mädchen zusammenkrümelt.
Noch immer kämpfen wir um die Unantastbarkeit des Verbotes von Benzos jeder Art, wenn wir die Treppen zu ihrer Praxis hochgehen.

Während wir uns gegenüber anderen Helfer_Innen, Mediziner_Innen und gemochten Kontakten immer wieder so aktiv um Bindung und Beziehung bemüht haben, um letztlich zu scheitern, so irrelevant waren diese Kämpfe und Bemühungen bei ihr. Wir sind immer wieder als undefiniertes Wurschtelknäul bei ihr aufgeschlagen und als undefiniertes Wurschtelknäul wieder gegangen, ohne, dass es ihre Position als unsere behandelnde Ärzt_In oder unsere als Patient_In berührt hätte.

Sie sagt nicht so bohrende Dinge wie: “Das macht Ihnen Angst, nicht wahr?”, wenn ich sage, dass ich alle 2 bis 3 Tage die Kontrolle über meinen Körper verliere. Sie fragt, was ich davon merke, was ich dazu denke. Ich habe nie den Eindruck, dass ich mit ihr über meine Gefühle dazu reden müsste. Es ist irrelevant für unser Gespräch, unseren Kontakt, für ihr Bild von mir, ob ich das tue oder nicht.
Ich bilde mir ein, dass sie nicht über mich nachdenkt und das erleichtert mich.

Ich glaube, sie ist die einzige Helfer_In hier in der Stadt, die alle unsere Vermeidungstänze und Krankheits- oder auch Symptomkonstruktionen chronologisch mitbekommen hat.
Von “das sind die Anderen- ich weiß auch nicht” bis “vielleicht habe ich einen Tumor” bis “haben mich die Medis, die ich als Jugendliche kiloweise essen musste, vielleicht hirnkrank gemacht?” bis “ich bin Viele aber nicht die Anderen” – ist alles schon in Wörterschlangen aus unserem Kopf in ihren hineingekrabbelt und hat nichts bewirkt.

Am Montag haben wir unsere Akte bei ihr gesehen.
Ein ganz schmales Papierstäpelchen mit Klinikberichten und Konsiliarberichten drin.
Ich glaube, das ist die erste Akte zu uns, die ordentlich, sachlich, ganz und gar unbedrohlich ausgesehen hat.
Irgendwie einfach nur da. Nur präsent und weiter nichts.
Wir hatten auch schon Akten von uns in der Hand und vor Augen, die man mit beiden Händen tragen musste und aus denen an den Rändern Zettel herauslugten, wie Maden aus einer Biotonne.

Am Montag saß ich in ihrem Zimmer und bemerkte, dass es mir oft fehlt zu fühlen, dass nur relevant ist, was ich selbst auch weiß. Dass das gemeinsame Wissen das ist, was ich weiß. Über mich, über mein Viele sein, über die wissenschaftliche Seite der Dissoziation über meine Empfindungen dazu. Ich habe gespürt, wie viel freier ich Dinge bei ihr ausdrücke, gerade, weil sie nicht wie meine Therapeutin sagt (und sagen kann) “Ich weiß Dinge über dich und dein Leben, die du nicht weißt”.

Sie hat mich gefragt, ob ein Klinikaufenthalt eine Option wäre.
Ich erinnerte sie daran, dass sie mir vor einem halben Jahr gesagt hatte, die beste Option sei die ambulante Psychotherapie. Und sie sagte: “Wenn es Ihnen aber immer schlechter geht, dann stimmte das nicht.”. Einfach so.
Weil es mir ‘schlechter’ geht, ist ihre Annahme falsch gewesen. Nicht ich. Nicht das, was ich mit meiner Präsenz auslöse.

Irgendwie beruhigt das etwas und ein paar Jemande in mir.
Es gibt so viele Menschen, denen ich Angst mache. Die unruhig werden, wenn ich da bin. Es gibt so viel an mir, das Menschen einfach nicht stehen lassen können. Nicht bei sich selbst verorten möchten. Es gibt so viele Menschen, die mich irgendwohin schicken, ohne mir zu sagen, warum ich dort überhaupt hin und sein soll.