Missverständnisse und ihre Folgen

Es ist 2:40 Uhr.
Ich liege in unserer Schleiereulenhöhle, schaue auf die fluoreszierenden Sterne und höre dem Innen zu.

Wo es immer schreit und weint, schreit und weint es. Wo es immer Lösungen sucht, flackerflirrsirrsummen Wort-und Wissenscluster. Wo es nach Eindrücken greift, stinkt es nach Angstschweiß und wo ich bin, das ist es schmerzensstill wie im Auge eines Tornados.

Jemand von uns sagte, dass man klagen können müsste. Mehr als wehklagen, mehr als selbstbefreiend und selbstregulierend klagen. Man müsste strukturell klagen können. Auf Schmerzensgeld, Entschädigungen für entstandenes Leid und wirtschaftlichen Schaden, Wiedergutmachungsleistungen nach seelischen Verletzungen und Verletzung der Menschenrechte.
Allein die Möglichkeit das zu können – die Wahl darum zu haben, für sich auf struktureller Ebene eintreten zu können, würde für manche von uns einen erheblichen Unterschied bedeuten und die Situation erträglicher gestalten.

Man müsste es nicht einfach hinnehmen durch den verspäteten Aufnahmetermin in der Klinik, dann eben Dinge abgesagt zu haben, die Geldeinnahmen bedeutet hätten und jetzt vieles einfacher aussehen lassen würden. Man müsste nicht einfach hinnehmen, dass man uns behandelt hat, wie jemand di_er ganz die eigene Krankheit ist, statt ein Jemand, das seit 16 Jahren in der inhaltlichen Auseinandersetzung und dem Umgang mit dem eigenen als Krankheit bezeichneten Zustand ist. Man müsste das fachlich inkompetente Eingreifen in unsere zukünftigen Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten nicht hinnehmen.

Man müsste einfach nicht gezwungen sein, sich demütigen und kränken, behindern und verletzen lassen zu müssen. Von anderen Menschen. Erneut.
Und erneut ohne wie auch immer gelagerte Konsequenzen für diese Menschen.

Hintergund dieses Wunsches, war ein gestern angekommener Arztbrief von der Klinik, in dem in den Diagnosen stand wir hätten eine „dissoziative Identitätsstörung bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur“,  Asperger-Syndrom … , bla bla – der ganze Rest.
Nachdem wir mit den Kränkungsgefühlen, die mit dem Begreifen der Annahme der Gegenüber, dass es sich bei uns um a) eine Person mit Persönlichkeit und darauf fußend b) eine Person, die sich selbst so großartig macht, dass ihr alles Äußere irrelevant bis nieder(er) erscheint, weil sie ein inexistentes Selbstwertgefühl hat, handelt, fertig waren, klackerten Verständnisprozesse wie Dominosteinketten durch uns hindurch.

Plötzlich ergab alles Sinn. Die Verweigerung uns zuzuhören und ernst zunehmen. Die Vermeidung sich anzuhören, was genau wir für Schwierigkeiten aufgrund welcher Umstände und eigenen Reaktionen hatten. Der Entzug der Möglichkeit individuelle Lösungswege der Integration in die Therapieangebotsstrukturen für uns zu finden.
Wenn man denkt, jemand erhebt sich mit seinen Äußerungen oder macht sich wichtiger, als si_er ist, mit dem, was si_er sagt – ja sicher verhält man sich dann genau so, wie sich unsere Behandler_innen uns gegenüber verhalten haben.

Und wir dachten die ganzen 3 Wochen, wir müssten nur immer deutlicher und verständlicher sagen, was genau unsere Probleme sind.

Alice im Wunderlandszene, in der sich Alice seufzend an die Stirn greift
Alice im Wunderlandszene, in der sich Alice seufzend an die Stirn greift

Weil man uns immer wieder sagte, wir sollen mit diesen Menschen zusammenarbeiten, weil wir ja schließlich etwas von ihnen wollten.

Meryl Streep, die sich an die Stirn greift
Meryl Streep, die sich an die Stirn greift

Weil es für uns so ein üblicher Bestandteil der Interaktion mit anderen Menschen ist, weil wir verschiedene Behinderungen erleben.

Cäpt'n Picard, der sich an die Stirn greift
Cäpt’n Picard, der sich an die Stirn greift

Weil wir in dieser Klinik nie zuvor die Erfahrung gemacht haben, nicht gehört und verstanden zu werden.

weißer Mann*, der sich an die Stirn greift
weißer Mann*, der sich an die Stirn greift

Weil wir dachten, wir hätten in diesen Menschen viele Gegenüber, die daran interessiert sind uns gemäß unserem Auftrag an sie zu unterstützen und zu helfen.

einem weißen Mann*, der seinen Kopf mit beiden Händen hält, greifen zwei zusätzliche Hände an die Stirn
einem weißen Mann*, der seinen Kopf mit beiden Händen hält, greifen zwei zusätzliche Hände an die Stirn

 

Das Dilemma an so einer, wie der Begleitermensch sagt “Narzissmuskeule” ist: die absolut sichergestellte Abwertung aller Äußerungen, Einwendungen und Reaktionen, die von einer als narzisstisch bezeichneten Person kommen.
Das ist, wenn kein Narzissmus vorliegt, die absolute Unterwerfung einer Person unter die Deutungshoheit einer anderen und damit Gewalt.
So ein Umgang, wie der den wir erfahren haben wirkt sich damit auch zwangsläufig als genau so aus, wie wir es empfunden und auch gegenüber diesen Personen zurückgemeldet haben: ignorant und grausam.

Am Ende dieses Tages, in der Nacht zum nächsten Tag rastete die Erkenntnis bei uns ein, erneut Helfergewalt erfahren zu haben und genau nichts – aber auch gar nichts weiter tun zu können, als es aufzuschreiben, unser von uns dokumentiertes Handeln in der Situation auf zukünftig veränderbare Anteile zu prüfen und als die Gewalterfahrung abzulegen, die sie für uns war.

Selbstverständlich werden wir mit unserer Therapeutin darüber sprechen. Werden mit unserem schlauen Aspergerbuch unterm Arm in die Praxis gehen und ihr hoffentlich klar machen können, dass wir ihre Unterstützung dabei brauchen, diesen Arztbrief korrigieren zu lassen, weil er uns so, wie er jetzt ist, die Autismusförderung, die wir zum Schaffen der Berufsausbildung, zur effektiveren Nutzung ebenjener ambulanten Therapie und zur Anbahnung von so etwas wie Lebensqualität durch soziale Teilhabe brauchen, zerschießen kann (und aufgrund diverser Faktoren sogar relativ wahrscheinlich auch: wird).
Das ist eine Ebene, die wir können. Unter Aufwendung von viel psychischer Dissoziationsleistung, aber durch genug Erfahrungen geübt.

Die andere Ebene ist die Berührung eines wunden Punktes von uns.
Die ewige Frage danach, wer wir denn nun sind. Ob wir so etwas eine Persönlichkeit haben, oder nicht. Wie wir auf andere Menschen wirken und wie viel dieser Außenwirkung dafür verantwortlich ist und vielleicht schon unser ganzes Leben lang war, Gewalt zu erfahren.
Also: Waren wir vielleicht schon immer so ein Arschlochwesen, das man nur treten, schlagen, halbtot vergewaltigen kann, weil es so ein mieser Charakter, ein unangenehmer Störfaktor, ein unaushaltbares Irgendwas ist?

Machen wir unser Leben lang schon etwas, dass so logisch den Kontakt zu anderen Menschen für uns immer wieder ganz zwangsläufig in Gewalt an uns verwandelt?
Und kriegen wir genau das nicht mit, weil wir zu dissoziativ funktionieren, um das überhaupt jemals selbstständig verändern zu können?

Wir haben diese Fragen schon lange als typisch für in rape culture sozialisierte Menschen, die zwischenmenschliche Gewalt erfahren haben, erkannt und akzeptiert. Haben genauso lange die Antworten in uns parat, die uns sagen, dass wir selbst, wenn wir die schlimmsten, gemeinsten, bösesten Menschen auf der Welt wären, die Gewalt an uns nicht gerechtfertigt wäre.
Und dennoch sind sie da und wirken. Und tun weh, wenn passiert, was uns gerade passiert.

Wir haben 4 Jahre daran gekaut die DIS als psychische Entwicklungsform zu akzeptieren, die den Großteil der bestehenden Persönlicheitstheorien in ihrer Anwendung ausschließt. Haben noch 2 weitere Jahre für die Trauer um einen Normalitätsfakor (nämlich den eine (Kern oder Ursprungs) Persönlichkeit zu haben) gebraucht und konnten erst dann damit beginnen das als gegeben anzunehmen, was uns von einander in der Innenarbeit begegnet.

Jetzt kauen wir seit der Autismusdiagnostik an der Anerkennung eines weiteren in uns liegenden Faktors, der eine Persönlichkeitsentwicklung erschwert bzw. spezifisch beeinflusst haben wird und fühlen uns zunehmend einer guten Prognose beraubt.

Bisher haben wir weder Literatur, noch valide Fallbeispiele noch theoretische Modelle zur angemessenen Traumatherapie von autistischen Menschen mit DIS (oder andersherum hochdissoziativen Autist_innen) gefunden. Wir sehen uns vor einer Zukunft der Hilfen und Unterstützungen, die sich immer wieder durch so grundlegende Missverständnisse aufgrund von menschlichem Versagen und fachlichen Inkompetenzen auszeichnen wird, wie jetzt während der 3 Klinikwochen geschehen.
Also: Helfergewalterfahrungen, denen wir weder präventiv noch im Nachhinein mit so etwas wie Entschädigungsforderungen und als legitim verankerten Anspruch auf Wiedergutmachungen für erlittenen Schmerz begegnen können.
Zeigt mir mal bitte, wo genau hier der Opferbonus, das Behindertenspecial, der Ego-Keks, auf den ich mich selbstverherrlichen kann, ist.
Vielleicht würde das schon reichen, zu ertragen, was hier gelaufen ist.

Es ist 4:34 Uhr, als ich das letzte Mal auf die Uhr schaue und mein Gesicht an das Fell von NakNak lege, um mich von ihren Atembewegungen in den Schlaf hinein und weg von der Not streicheln zu lassen. Ich höre ein Weinen und merke irgendwann, dass ich mich selbst höre.

Und dann ist es morgens und ich stehe auf einer Wiese circa 8 Kilometer von unserer Wohnung entfernt.

innere Tode

Sie führt den Bleistift rasch übers Papier auf dem Schoß und schaut mich an.
“Und wenn es wieder passiert?”
Ihre Stimme klingt ruhig, aber ich bemerke das Rot in der Frage und sehe, dass sie sich an etwas erinnert, das lange vor mir passiert ist.

“Was ist denn passiert?”, frage ich, obwohl ich es gar nicht wissen will.
Sie antwortet, dass sie schon einmal so eine innere Landkarte mit Namen angefangen hat. Atmet ein, macht einen weiteren schnellen Strich und sagt: “Und dann bin ich gestorben.”.

Der Satz schlägt auf und kullert in das leere Rund zwischen uns.

“Aber du bist nicht wirklich gestorben, richtig?”, frage ich. “Du bist ja jetzt da.”. Sie nickt. “Aber trotzdem. Vielleicht passiert es wieder.”.

Ich weiß nicht, was ich ihr sagen könnte.
Ärgere mich schon wieder diesen Prozess nicht in der Klinik durchmachen zu können. Werde wütend, weil wir allein in eine Innenarbeit gehen und zwar durch äußere Vereinbarungen gesichert sind, aber keinen gleichermaßen gesicherten Beistand für die inneren Chaosherde haben. Dass wir einfach genau keine Helfer_innen haben, die schon vor 10, 12, 14, 15 Jahren innere Tode von Innens miterlebt haben und uns heute sagen könnten, worauf wir achten könnten. Was vermeiden. Wen unterstützen. Wann nachfragen lohnt und wann es eine Krise provoziert.

Unsere Therapeutin hatte sich gefragt, ob es uns überfordert dann doch jetzt einfach in die Erstellung einer aktuellen inneren Landkarte zu gehen. Und vermutlich hatte sie genau oder einen ähnlichen, wie unseren Gedanken: “Ja – nein – keine Ahnung – aber, ohne irgendeinen Anfang, gehts nicht weiter.”

Ich schaue dem Innen weiter zu und merke, wie sich mein Zwerchfell unter den erahnbaren Ausmaßen zusammen zieht.
„Ich will das alles nicht. Nicht so. Nicht so wie es ist, weil es anders nicht geht.“.
Ich denke das so oft, dass ich den Faden verliere und erst verzögert merke, dass ich es laut ins Telefon sage. “Ich will keine Herz-OP ohne Abitur, Studium, chirurgische Megaausbildung und 20.000 Simulationen bei milliardenschwerer  Fehlerhaftpflichtversicherung  hinlegen müssen, nur weil sich die studierte Task Force of Psychotrauma verweigert und lieber Blinddärme aus Leichen popelt.”, schiebe ich nach, weil ich den Vergleich gut finde und mir das auszusprechen plötzlich wichtiger ist, als irgendeine Prüfung des Raumes, in den ich das hineinsage.

Unsere Gemögte lacht.
“Hast du Angst?”, fragt sie. “Ja.”, sage ich und weine das Weinen von jemandem vor mir einfach weiter. “Wovor?”, fragt sie.

“Ich hab keine Ahnung”, sage ich. Und ertrinke in der Panik eines anderen Innens.

wie ich einmal meine Knie entdeckte und mich in einen Baum verwandelte

Und plötzlich gings. Der stabile Stand und das fluffig bewegliche Obenrum.
Heute morgen – in der Dusche.

Seit etwa 9 Jahren leben wir diffusem Schwindel. “Verspannungsbedingt” dachten wir und beendeten irgendwann die Auseinandersetzung damit. Manchmal mögen wir Schwindel sogar ganz gern, weil er uns hilft in veränderte Bewusstseinszustände zu gehen bzw. sie zuzulassen.
Im Alltag ist er hingegen etwas, das uns daran hindert, uns aus der Bereitschaft uns jederzeit abfangen können zu müssen zu bewegen.

Während des ersten Mals Qigong üben, in der Klinik, dachte ich: “Na, das kann ja heiter werden” und war versucht an eine Balanceübung zu glauben. Dann sagte der anleitende Mensch, dass es um bewegliche Stabilität ginge. Was auch etwas mit Balance zu tun hat, aber irgendwie nicht so angestrengt, wie wir das so hübsch eingeübt haben in den letzten Jahren.

Ich wende immer noch viel zu viel Kraft auf, um den Körper zu bewegen. Obwohl die Situation, in der es wirklich nötig war, jeden noch überhaupt von mir willentlich zu nutzenden Muskel so sehr anzustrengen, dass es weh tut (also ich ihn überhaupt fühle), damit ich mich bewegen konnte, schon viele Jahre vorbei ist.
Daneben ist es eines unser Reiz-Ableitsysteme hart zu werden. Jedes Zuviel an Reizen oder Überlastungen, bahnt sich Muskelkrämpfen oder versteiften Gliedmaßen den Weg aus dem Körper heraus. Je komplexer die Belastung, etwa weil man hart versucht nicht besonders zu sein und doch besonderisiert wird – etwa in einer Klinik – desto komplexer die Entladung.
Auf Zehenspitzen laufen, Krampfanfälle unterschiedlicher Schwere, Fuchtelbewegungen, (Stachel)-Buckel, Arme eng am Körper halten – und: die Beine wie zwei Stahlpfeiler zwischen Bauch und Boden geklemmt.

Ich dachte heute morgen darüber nach, ob wir uns so einen Qigongkurs vielleicht auch außerhalb der Klinik ermöglichen können. Der anleitende Mensch war ein freundliches ausgedorrte Büropflanze-Grüngelb und sein Faden so wie das, was er sagte: stabil und leicht. Sowas für eine Weile im Alltag zu haben und danach nach Hause zu schweben, wie wir jedes Mal nach dem Üben in den letzten drei Wochen, hätte schon was.

Wenn wir duschen gehen, kann ich mich meistens ganz gut fühlen und ich wollte nochmal etwas testen, was der Mensch gesagt hatte, nachdem ich ihn fragte, ob ich etwas falsch mache, wenn mir manche Übungen den Schwindel bereiten.
In einem Nebensatz sagte er, dass man ja den vorderen Teil des Fußes belasten würde, wenn man stünde und …
Ich hingegen belaste immer den Hacken und ein Stück von der äußeren Seite. Deshalb auch der tolle Fersensporn und mein Soldatengang – wenn ich nicht gerade wie ein sterbendes Schwanenküken auf Zehenspitzen umherstakse.

Ich hab mein Gewicht also ein bisschen mehr nach vorne verlagert und dachte, dass das ja nun nicht besonders stabil ist. Weil ich ja so stehe wie ein Skischanzenspringer. Und dann ist mir eingefallen, dass ich ja Knie hab. Und – das liest sich jetzt vielleicht schräg bis lustig, aber, das war wirklich genauso so ein Gedanke: “Hm- wie kann ich das denn jetzt irgendwie … knicken?”.

Naja. Also: ich habe meine Knie entdeckt und stand dann irgendwie recht stabil in unserer Dusche. Wie ein Baum im Regenwald.
Mich hat überrascht nicht hinzufallen oder abzusacken oder irgendwie in mich zusammenzufallen. Ich musste nicht einmal die Arme weiter weg vom Körper halten oder mich irgendwoanders mehr anspannen, um mich zu halten.
Tse. Ich wusste vorher nicht einmal, dass das eine Sorge von mir war. Hinfallen, absacken, (zusammenbrechen und vielleicht nicht mehr aufstehen können).

Ich werd mich jetzt vielleicht öfter mal baumartig irgendwo hinstellen.
Es fühlt sich ziemlich gut an.

Es ist alles noch da

Vorhin, in den letzten Schwingungen des Spontankontaktes mit der Therapeutin, die wir gedenken “unsere Therapeutin” zu nennen, fiel mir auf, wie üblich es jetzt weiter geht.
Mit NakNak* rausgehen – nur entspannter. Abendessenszutaten einkaufen – nur entspannter. Bloggen – nur ohne den Beigeschmack etwas Verbotenes zu tun. Ins Bett gehen und schlafen – nur ohne vorher einen Wecker zu stellen.

Alles ist noch da. Alles funktioniert noch.
Voll krass.

Weil, eigentlich müsste doch alles in Scherben sein. Schließlich hat man uns aufgegeben und weggeworfen. Schließlich ist man in der Klinik zu der Erkenntnis gekommen, dass man mit uns kein Arbeitsbündnis geschafft hat (und dadurch offensichtlich automatisch zu dem Schluss, dass sich das auch niemals je ever überhaupt je hätte eventuell vielleicht mal noch entwickeln können, wenn man uns und unserer Entwicklung Zeit gibt – weil Zeit ist Geld und Geld gibts ja von den Krankenkassen nie genug und darum kämpfen mag man nicht mehr,weil aus Gründen und Selfcare. Muss man ja auch verstehen – ) und uns entlassen hat.

Tatsächlich sind wir nicht in Scherben. Aber es ist ein bisschen was kaputt gegangen, das weniger mit uns, als mit dem zu tun hat, was wir so tun und weshalb wir es tun.
Unsere Loyalität gegenüber dieser Klinik und manch ihrer Akteur_innen hat einen weiteren derben Spalt in sich und bringt uns in tiefer greifende Zweifel und Konflikte über unsere Haltung, die wir nach außen vertreten.
Etwa dann, wenn mal wieder eine Email kommt, welche Klinik es ist und welche anderen wir empfehlen können. Oder dann, wenn es um Behandlungsansätze und unsere Erfahrungen damit geht. Oder dann, wenn jemand ähnlich verletzt, gekränkt und Teilen angebrochen, wie wir aus dieser Klinik herauskommt und hofft mit uns jetzt doch mal so richtig über “diese bescheuerten Therapeut_innen” oder “diese scheiß Klinik” herzuziehen.

Wir sind nicht so. Und wir waren auch nie so.
Obwohl wir von einem Therapeuten sexuell misshandelt wurden, in Kinder- und Jugendpsychiatrien fehl- bis miss_be_handelt wurden, von Dutzenden Therapeut_innen und Kliniksystemen verachtet, dressiert und verkorkst wurden, waren wir nie die Person, die anfängt gewaltvoll auf diese Personen zu reagieren oder gegen sie zu agieren.
Wir haben nie jemanden angezeigt. Wir haben uns nie gewehrt. Wir haben nie Schmerzensgelder oder Entschädigungen aufgrund von Falschbehandlungen oder Falschdiagnosen verlangt. Obwohl wir schwere Schäden davon getragen haben und diese bis heute nachwirken.

Wir haben nur immer wieder aufs Neue gehofft, man würde sehen, wie groß ist, was wir Behandler_innen in die Hände legen, wenn wir sie um die Hilfe bitten, die sie anbieten bzw. als von ihnen als leistbar anbieten
Immer ein bisschen weniger, aber doch: in Hoffnung

Es ist eines dieser großen Geheimnisse und Rätsel für uns, wonach Menschen bemessen, wann was wie genau für sie ist. Wie genau Menschen eigentlich abzirkeln, ob und wenn ja, was genau sie eigentlich von dem erfassen, begreifen und verstanden sein lassen, was sie wahrnehmen.
Manche Menschen nehmen diese Rätselhaftigkeit für uns ernst und öffnen sich für uns. Sie machen sich für uns ein bisschen leichter lesbar. Ein bisschen einfacher für uns. Sie machen sich barrierefreier für uns.
Manche, weil sie genau das als Teil ihrer Arbeit inkludieren und fachlich kompetent genug sind, zu wissen und begriffen zu haben, dass gerade komplex traumatisierte Menschen (gut lesbare und dadurch) abschätzbare und verlässliche Gegenüber brauchen, um in Kontakt gehen zu können, der eine konstruktive Arbeitsbeziehung zur Folge haben soll. Manche, weil sie uns irgendwie sympathisch finden und wollen, dass wir sie auch sympathisch finden. Manche, weil sie uns etwas schenken wollen. Manche, weil sie merken, wie sehr wir uns daran aufrauchen sie zu verstehen und Mitleid haben.

Und manche nehmen diese Rätselhaftigkeit nicht ernst. Verstehen das Problem nicht. Stehen vor ihrer kognitiven Dissonanz und kriegen unser Auftreten nicht zusammen mit dem rabenschwarzen Loch der Not, die sich logischerweise aus solchen Rätselhaftigkeiten ergeben. Für manche Menschen wirken wir vielleicht (sehr wahrscheinlich) nicht glaubhaft oder aufrichtig in diesem, so fühlt es sich jedenfalls für mich an: Geständnis von Rätseln, Unwissen, Unsicherheit, Angst und Not daran.

Und manche Menschen sind einfach ignorant. Nicht bei uns, sondern hauptsächlich bei sich und dem Oben und Unten, das sie davon befreit, sich damit zu befassen, wie problematisch ihre Ignoranz ist.
Der Begleitermensch nannte das “Therapeutendünkel” und ich nenne es das logische Ergebnis aus wer weiß wie vielen Kämpfen mit kranken Kassen, Gutachterbullshit, fachlichen Querelen und dieser einen Prise Überheblichkeit, die mit Deutungsmacht einhergeht. Wer sich nicht stellen muss, weil es auch anders geht, tut es nicht. Wer hunderte Patient_innengesichter und –geschichten an sich vorüberziehen sieht, ohne sich je für mehr als diese eine Episode ihres Lebens mit_verantwortlich fühlen zu müssen oder zu sollen, der kann fallen lassen, was verwirrt, irritiert, weh tut, stört.

Wir hätten allen Grund wütend zu sein oder aggressiv aus Gefühlen von Verletzung.
Tatsächlich aber haben wir gerade den Impuls, Mitleid mit den Menschen in diesem Klinikapparat zu haben.

Mitleid ist eine Form der Gewalt. Vielleicht eine der schlimmsten.
Denn auch sie entwürdigt, entmündigt, entmachtet. Negiert jede Form des eigenen Willens und Wollens, löscht jede Idee von eigenen Fähig- und Fertigkeiten eines Individuums aus.
Wer Mitleid hat, sagt, dass eine Person keine andere Wahl hat. Nicht anders kann (hier: “kann” als Fähigkeit gedacht) und das ganz sicher schlimm für diese Person ist. So schlimm, dass sie leidet.

Mitleid gilt häufig noch als etwas, das wichtig ist, weil es mit Mitempfinden oder Verständnis verwechselt wird.
Wir haben aber weder Verständnis dafür, wie die Entscheidung “der Klinik™” zustande gekommen ist, noch können wir irgendetwas mehr erfühlen als die Idee einer ängstlich vermeidenden Haltung uns gegenüber bzw. dessen, was wir repräsentieren (was auch immer das wohl sein mag)

Wir ermahnen uns, uns die gewaltvolle Struktur “Klinik” als Teil verschiedener gewaltvoller Strukturen (wie “Psychopathologie”und “Gesundheitssystem”) innerhalb der allgemein bestehenden Gewaltkultur unserer Gesellschaft, nicht als die gleiche unveränderbare und unkritisierbare Grundlage anzunehmen, wie diese Menschen, sondern ihnen die Verantwortung über die Stützung und das eigene Profitieren an diesen Strukturen zu überlassen. Denn da wurden Entscheidungen getroffen. Da wurde und wird etwas getragen, das, neben vielen eher positiven Eigenschaften, auch als toxisch, gewaltvoll und menschenverachtend anzuerkennen nicht schwer ist, wenn man sich damit so brachial kritisch auseinandersetzt wie es die aufrichtige Auseinandersetzung mit jedem Aspekt des menschlichen Seins und Wirkens erfordert.

Ja, wir intellektualisieren. So sind wir. Wir tun das nicht, weil uns das so schön aus Schmerz, Verletzung, Trauer und Not bringt und uns in irgendeiner Form ermächtigt. Wir tun das, weil wir das tun. Ganz schnörkellos und ohne tiefere Bedeutung, als die, die es für uns hat: Kontext (für unseren Schmerz, unsere Verletzung, Trauer und Not).

An unsere Schnörkellosigkeit muss man sich gewöhnen. Dafür braucht man Zeit, Kraft, Mut zum Irrtum und den Wunsch zu verstehen.
Das geht in jedem Rahmen und egal, wie gut oder schlecht wir uns in diesen Rahmen hineinoperieren können.

Was unser Arbeitsbündnis nicht hat zustande kommen lassen, war ein einziges grundfestes Missverständnis, das man nicht glauben will.
Weil so viele tausend erdeutete Ideen und Fehlannahmen über uns als Person und unser Re_Agieren so viel besser gepasst haben, um uns und unsere Behandlung zu vermeiden.

Als Patient_in kann man nicht beides leisten: sich selbst und seine Behandler_innen davon überzeugen, dass es sich wirklich lohnt.
Dass diese Doppelbelastung nun ein Ende hat, darum sind wir froh.

Was bleibt sind vermehrte Zweifel, ob wir unsere Engagements für komplex traumatisierte Menschen überhaupt noch jemals unter Einbeziehung von behandelnden Menschen fortführen wollen. Offensichtlich wäre vieles einfacher gewesen, wären wir nicht der Mensch hinter “Hannah C. Rosenblatt”.
Andererseits denke ich, dass unsere nervig irritierende Schnörkelosigkeit ist, was dieser eingeschworenen Traumabubble hier und da fehlt.

Wer weiß.
Erstmal einfach weiter im Text.

Podcast schneiden, Nachwachshausumfrage bewerben, die 321 Emails aus der Klinikzeit lesen und beantworten, eine gute Sonnencreme finden und die erste Miniradtour vor der Großen planen.

Es ist alles noch da.

Fundstücke #22

Ich bin nah am Wasser gebaut. Die Klinik saugt und saugt und bis zum Ende mancher Termine weiß ich nicht, ob sie uns auch etwas gibt, außer die Reflektionsfläche der eigenen Therapieerfolge neben dem kaputt, zerschlagen, verkorkst, wild verwachsen sein, zu bieten.

Noch immer sind die Sprechprobleme im Kontakt mit den anderen Patient_innen da. Noch immer torkeln oder balancieren wir uns selbst überwiegend auf Zehenspitzen mit schwer unterdrückbaren Fuchtelbewegungen durch die Flure. Und noch immer ertragen wir Reiz-Reaktions-Schmerzen, ohne es mitzuteilen.
Das tun wir nicht, weil wir glauben, das müsse so sein oder wir hätten es nicht anders verdient, als allein mit etwas klarzukommen, das niemand mit uns teilt.
Es geht nicht anders.

Und es geht wirklich nicht anders.
Vielleicht will ich deshalb eigentlich nur noch weinen. Weil ich es so hart anders können will und brachial wie nie zuvor merke, dass es nicht (mehr?) geht, wie früher.
Einfach von einer Mitpatient_in ansprechen und vereinnahmen lassen, damit wir nicht allein sind. Einfach Gespräche mit küchenpsychologischen Inhalten, wie dem, “dass niemandem mehr aufgebürdet wird, als si_er zu tragen in der Lage ist”, aushalten. Einfach über Schreckmomente gehen. Einfach in den hellhörigen Bereichen der Klinik stehen. Inmitten von 15-20 redenden Menschen, die alle Dinge tun, nach irgendwas riechen und Massen von Wissensclustern vor uns explodieren lassen. Einfach so. Ohne NakNak*sein und trotzdem durchhalten. Aushalten. Dissen und unauffällig konform wie alle anderen therapeutisch wertvoll funktionieren.
Ich merke so krass, wie nie in den letzten 4 Jahren, dass wir “die Rosenblätter” und “die anderen Innensysteme” sind. Und eben nicht “Frau P.”, die alle eineinhalb Jahre in die Seelenwerkstatt einfährt, weil ihr Leben eine stinkende Scheißkloake ist, aus der sie ganz offensichtlich nicht ohne ein paar therapeutische Rettungskräfte rauskommt.

Wir hatten gestern und heute einen Krampfanfall, bei dem wir umgefallen sind. Kommt immer gut, wenn man die Patientin ist, die als extrem verängstigt, schüchtern oder awkward gilt, weil sie das Maul nicht aufkriegt. Nicht.
Vor allem, wenn man Angst davor hat, in irgendeiner Art und Weise aufzufallen, weil “auffallen” in einer Klinik in der Regel “auffällig sein” bedeutet, ist so ein Krampfanfall superklasse. Nicht.
Die Krönung ist: spektakuläres “die Kontrolle über sich und seinen Körper verlieren” vor Menschen, die sich überwiegend aus Gründen der Erfahrung und ihren Folgen, die Kontrolle über sich und den eigenen Körper verloren zu haben, dort befinden, wo man sich selbst befindet.

Es fällt mir schwer, nicht permanent zu denken: “Ich will mich hier niemandem antun.” oder mich darüber auseinander zu pflücken, was für eine ekelhafte Belastung, Störung, Fremdheit und Monstrosität ich bin.
Es fällt mir schwer, die aufsteigenden und durchbrechenden Klinikflashbacks abzufangen, zu reorientieren und so zu tun, als würde mich nichts belasten, außer der wortlosen Masse hinter “Therapie ist ja auch anstrengend.”.

Ich zwinge mir positives Denken ab und merke selbst, dass meine positiven Aberungenschaften überwiegend daraus bestehen, zu hoffen, dass niemand unter mir leidet, weil alle so super gut von dem Klinikprogramm profitieren und sich von mir abgrenzen können.
Oder darauf zu hoffen, dass es mir nach einem Termin vielleicht nicht besser, aber etwas gelöster und entspannter geht. Überwiegend werden diese Hoffnungen auch erfüllt, aber ob ich gelöster bin, weil ich meinen Körper nicht mehr spüre, oder entspannter bin, weil kein einziges Innen mehr hinter mir steht – das merke ich erst auf dem Weg nach Hause.
Mal an einem Fastunfall, weil ich eine Ampel bei Rot überfahren bin, mal an einem Faststurz, weil mich der Fahrtwind auf der Kleidung völlig fertig macht. Mal, weil ich mich dabei beobachte, wie ich vom Rad steige und mir einen Ast auf den Rücken schlage, wie ein Flagellant.
Dass ich entspannter und gelöster bin, weil etwas wirklich gut getan hat, merke ich im Moment am stärksten nach dem Qigong üben. Weil wir nach den Terminen genug Kopf für “das-muss-ich-heute-noch-erledigen” und “wir-werden-es-uns-jetzt-gemütlich-machen” haben, das wir brauchen.

Thematisch haben wir genau 5% arbeiten können.
Wüssten aber auch gerade nicht, wo das möglich wäre. Vielleicht in der Kunsttherapie. Da haben wir – falls wir 6 Wochen dort sind, wie geplant – noch 3 Termine á 1,5 Stunden. Wie gesagt, falls wir die 6 Wochen da sind, auf die wir uns eingestellt haben. Und – jetzt muss ich fast lachen unter all dem Geheule – falls man in der Kunsttherapie überhaupt thematisch arbeiten darf. Vielleicht darf man nur in der Gesprächstherapie an Themen arbeiten und in allen anderen Terminen nur an Ressourcen? Wer weiß?! Ich weiß es nicht, denn irgendwie scheinen alle zu glauben, wir wüssten, was wir wo wie wann dürfen oder nicht dürfen, sollen, müssen, können, oder eben nicht und sagen uns entsprechend genau nichts darüber, was wir wo wie wann dürfen oder nicht dürfen, sollen, müssen, können, oder eben nicht.

Wir rechnen damit, dass wir morgen rausgeschmissen werden.
Weil man uns nicht helfen kann und zu dem Schluss gekommen ist, dass wir nicht profitieren.
Vielleicht, weil wir ein böses Mädchen sind, vielleicht aber auch, weil man halt nicht allen helfen kann, die Hilfe wollen. Brauchen.
Solche Fälle gibts.
Man gibt sie nur nicht gern zu.

Wir rechnen damit, weil wir katastophisieren. Kann auch sein, dass wir morgen nur deshalb schon wieder ein Gespräch mit der Einzeltherapeutin und der Oberärztin haben, weil man zu einem Schluss gekommen ist, der in meinem Kopf derzeit überhaupt nicht denkbar ist.

Letztlich, weil sich eine Schleife seit nun fast 3 Wochen durchgehend dreht und nicht beruhigt.
“Kann man mir nicht helfen? Ist alles umsonst (gewesen)? Hätte ich doch besser sterben sollen? Hätte ich all das Leiden unter mir, dem Leben und der Welt um 15 Jahre abkürzen können, weil es doch nichts gibt, was macht, dass es endlich aufhört?”

Ich weiß, dass diese Schleife veraltet und reflexiv ist. Ich weiß aber auch, dass diese Schleife ein 14 jähriges Mädchen ist, das von niemandem im Außen hört, wie weit der Begriff “Hilfe” und wie eng verknüpft er mit “Entwicklung” und “Hoffnung” ist, weil man denkt, dass die Frau Rosenblatt das doch schon längst weiß.

Bei der ganzen Therapieerfahrung und dem Intellekt.

Wände streicheln oder: Wissen ist Kontext

Ich habe am Wochenende stundenlang Wände angestrichen (“Wände gestreichelt”) und die köstliche Kombination aus Streichgeräusch und Cellomusik in meinem Mund hin und her bewegt.

Was unseren Gemochten, die wir gedenken zukünftig “Freunde” zu nennen, eine nervig lästige Arbeit war, die sie lange vor sich herschoben, war uns ein stundenlanges Schwelgen in Erbsenmoment und endlichem Vakuum. Endlich, weil klar war, dass wir irgendwann fertig sein werden – Vakuum, weil wir in weiten Teilen nicht in der Arbeit waren, sondern irgendwo dort, wo wir so mit uns sind, dass wir diesen Zustand als Idee der Ein.s.igkeit bezeichnen.
Dafür sind Erbsenmomente gut. Um uns an diese Idee zu bringen. Uns in einen Raum zu erweitern, der irgendwo zwischen den Rändern von “assoziiert” und “dissoziiert” ist, doch nie bleibt.

Meditation? Trance?
Oder ein Reflex des Gehirns äußere Monotonie mit innerem Budenzauber zu füllen?

Wir mögen diesen Zustand.
Deshalb streichen wir gerne, laufen lange (langweilige Hunderunden), fahren vorzugsweise Fahrrad, drehen Kreisel, drehen uns selbst, sortieren, symetrietesieren.
Ich fühle mich dann sicher. Die Welt ist mir dann ein guter Ort, weil sie sowas kann und uns in dem Zustand kaum noch hat.

Was andere Menschen so an uns nervt, reizt, stört, als ungewöhnlich und nicht einfach im Kontakt wahrnehmen lässt, sind die tausend scheinbar offensichtlichen Fragen und In-Fragestellungen, die aus heraus kullern. Selbst Menschen, die wache, kritische, neugierige Menschen mögen, mögen es nicht an Grenzen des eigenen Wissens und Erklären.Könnens geführt zu werden. Das ist so, weil es eine kaputte Haltung zu Unwissen und Unerklärbarkeit gibt.
Für viele Menschen ist Wissen gleich Macht. Für uns ist Wissen gleich Kontext.

Kontext ist Orientierung. Kontext ist das Oben und Unten, das für so viele Menschen ganz selbstverständlich da ist, nie infrage steht, nie tückisch, erschreckend, unerträglich wirkt. Kontext ist, von wo wir uns in immer weiteren Kreisen entfernen und so die Menschen mit ihrer Welt von uns befreien können.

Wir sind ein Mensch, der aufwacht und um Kontext ringt. An manchen Tagen vielleicht auch einzig, um sich aus allem entfernen zu können, weil nicht aushaltbar ist, was ist und war und vielleicht auch immer sein wird.
Und das ist, was für uns den Kern unserer dissoziativen Identitätsstruktur darstellt und das Drama um die Autismusdiagnose erklärt.

Ich bin nie sicher, ob ich die Nacht, den Morgen, die Mittagszeit, den Abend überlebe. Ob ich die ganz alltäglichen Handlungen wie Aufstehen, Zähne putzen, sich waschen, die Kaffeemaschine anmachen, mit NakNak* rausgehen usw usw usw überhaupt erinnere. Wer mich kennt und wer nicht, ob und wenn ja wessen Tagesplan und Tagesplan B, C oder D dem Lauf der Dinge standhält, ob meine Haut schmerzt, als würde sie verbrennen oder mich eine überbordende Schmerz-Reiz-Reaktion zerfetzt– das ist Zufall für mich. Immer und immer und immer wieder. Schon immer.

Und immer wieder ist es entweder die weiße Wattewand oder das tiefschwarze All zwischen mir und der Welt, was mich beruhigt und aus dem Kämpfen entlässt. Immer wieder ist es der letzte, äußerste Rand dessen, was ein Mensch empfinden kann, der uns verortet und mir den gröbsten aller Kontexte produziert: Ich (bin)

Neulich blieb von einem Wortschwall, der an uns gerichtet war, der Satz “Sie machen immer alles mit dem Kopf.” bei mir kleben.
Es klang wie ein Vorwurf. Die Kenntnis eines Defizits.
Und nicht wie die Anerkennung eines von uns autonom steuerbaren Handelns, uns irgendwie zu orientieren. Uns selbst zu sichern. Uns selbst zu verorten. Diese Welt für uns er.greifbar zu machen. Kontakt herzustellen, den wir er.tragen und pflegen, gestalten und entwickeln können.

Vielleicht haben wir keine Intuition oder diesen einen special emotionalen Punkt innerer Sicherheit um das Bewusstsein des Selbst.seins, der immer wieder über diverse Therapieansätze anzusprechen versucht wird.
Sehr wohl aber haben wir Massen von Wissensclustern im Kopf, deren Anwesenheit für uns niemals je infrage stand oder fehlte oder uns im Stich gelassen hat. Sicher ist das kein Ausgleich für eine Ebene des menschlichen sich-selbst-bewusst-seins, doch ganz sicher ist es weder Defizit oder etwas, das uns daran hindert, am Leben teilhaben zu können.

Es macht unsere Art das Leben auszuhalten und immer weiter zu versuchen es zu be.leben, einfach nur sehr viel anders, als das sehr vieler anderer Menschen, die versuchen das Leben auszuhalten und immer weiter zu versuchen es zu be.leben.
Nicht mehr, nicht weniger.

böse Mädchen

Wir griffen nach zeitlichen Folgen, versuchten ein Nacheinander zu finden und zu fühlen, warfen uns dann aber doch wieder nur in den Lauf der Dinge.
Hörten einer Person zu, die über Essen sprach und rannten wieder zurück zum nächsten Termin.
Sammelten uns. Sprachen aus, woran wir seit dem Aufnahmetag in der Klinik kauen: Wir fühlen uns nicht erwünscht. Nicht gehört, nicht gesehen, nicht verstanden – und schrägerweise ist dieses Gefühl genau dort präsenter, wo man sich voll und ganz auf uns konzentriert. Beziehungsweise, voll und ganz darauf konzentriert ist, uns Dinge zu sagen. Egal, was das mit uns macht, für uns bedeutet oder wie es von uns aufgenommen wird oder werden kann.

In anderen Settings ist das Gefühl nicht da. Wir gehen angenehm anonym unter in den Gruppen. Machen unsere Übungen, spüren nach, fragen rein, schwingen mit, versuchen uns zu bewahren, was sich an guten Empfindungen einen Weg sucht. Alles läuft okay und genau so, wie wir uns das erhofft hatten.
Doch wehe wir haben einen Einzeltermin oder wir werden durch als hilfreich intendiertes Verhalten ins Erinnern getriggert.
Dann bricht die Hölle los.

Und es ist eine Hölle.
Eine, die wir schon mal erlebt haben. Mehrfach. Über Jahre.
Und die, außer für uns, den Begleitermenschen, unsere Therapeutin und die Flauscherzen in unserer Twittertimeline scheinbar für niemanden sonst real ist. Denkbar ist. Möglich ist. Wahrhaft ist.

Nach dem Termin fahren wir nach Hause und rupfen uns und sie aus der Zeit heraus.
Wir machen uns weit, weich und warm. Gehen zur Seite und lassen sie fertig weinen im Tausch gegen einen Schnitt vom Hals bis in die Scham. Wir streicheln NakNak*, streicheln unsere Nerven. Lassen Seifenblasen durchs Bullergeddo fliegen und lauschen dem Tanz der vielen geschenkten Kreisel auf unserem Laminatfußboden.
Wir schenken uns einen Erbsenmoment, der eine Stunde dauert. Schenken einem Fast-noch-ein-Kind den Trost, den es braucht und erfahren, dass sich für sie etwas wiederholt.

Irgendwann kann auch ich den Schmerz in der verletzten Hand fühlen und denke darüber nach, ob wir noch Kraft für den verwaltungsrelevanten Überweisungsquatsch von der Klinikärztin zur Ambulanz im anderen Krankenhaus haben, damit sich ein special Körperarzt die Hand ansieht.
Und dann muss ich lachen.

Dann lache ich bis ich weine und das Mittagessen erbreche.
Weil ich mich “behandlungsbedürftig selbst verletzt” habe, während unsere Behandler_innen im Raum saßen und sich vermutlich genauso vor dem, was da aus uns herausgebrochen ist, erschreckt haben, wie wir selbst. Was ein den gemeinsamen Absprachen entsprechender Grund wäre uns zu entlassen.

Das 14 jährige fast-noch-ein-Kind beobachtet mich und mein Lachweinkotzen. Und ich merke ihre Verwirrung. Merke, wie gut es wäre, würde ich mich selbst dort in diesem Klinikrahmen so sicher und geschützt fühlen, wie es unsere Behandler_innen tun.
Ich sage dem fast-noch-ein-Kind nicht, dass alles okay wird. Ich verspreche ihr nicht, dass ich sie schützen werde.
Ich schaue nach innen. Suche nach einer Wahrheit, die ich mit gutem Gewissen an ihr Herz legen kann.

Und verspreche ihr, dass sie für mich niemals das böse Mädchen sein wird, für das sie sich hält.

wir können uns “Selbstbestimmte” nennen

Wir haben es nie als “Flucht” gesehen und wollen uns auch nicht mit minderjährigen Flüchtenden und Geflüchteten vergleichen. Es ist unvergleichbar, was diese Menschen erfahren und erfahren haben.
Aber in einem jüngst erschienen Artikel der “Zeit” steht ein Satz, der mich nah fühlen lässt: “Ein Schutzersuchen haben sie nicht gestellt”.
In Verbindung mit der Meldung über 10.000 verschwundene unbegleitete Kinder und Jugendliche in Europa wird mir der Hals eng, weil sich mir sofort die Frage aufdrängt, was mit diesen Kindern und Jugendlichen passiert. Sind sie noch am Leben, oder inzwischen tot gespielt? Werden sie gequält, ausgebeutet und verletzt und tauchen als Erwachsene irgendwo zwischen den Rändern der Welt wieder auf?

Oder haben sie es geschafft, irgendwie zu Schutz und Für_Sorge zu kommen?
Geht es manchen jetzt vielleicht gut?

Wie gesagt – wir und unser Leben ist mit einem eines aus dem eigenen Zuhause vertriebenen Menschen nicht zu vergleichen. Wir sind nicht vor Krieg geflüchtet und vielleicht sind wir überhaupt grundsätzlich nicht geflüchtet, sondern einfach nur weggelaufen bis wir das Gefühl hatten, sicher zu sein.
Wir waren natürlich nicht sicher. Niemand, kein Mensch ist sicher, wenn er allein, ohne Mittel und Fähigkeiten zur Selbstversorgung irgendwo auf der Straße steht. Aber ein Schutzersuchen haben auch wir erst stellen können, nachdem uns jemand sagte, dass wir das tun können und dabei jemanden an der Seite haben, der uns in diesem Ersuchen solidarisch ist.

Dieses Jahr ist es 14 Jahre her und erst heute morgen hatte ich den Gedanken, wie schrecklich es für die Person, die wir vor 14 Jahren waren, gewesen sein muss, diesen Schritt zu tun. Weggehen, aufgeben, loslassen.
Weggehen von einer schwelenden Gefahr für Leib und Leben. Die Hoffnung aufgeben, dass es jemals durch irgendetwas aufhört, das man selbst tut oder nicht tut. Jede Idee von einem Morgen, das so sicher und klar vor einem erscheint, dass kein anderes zu existieren scheint, loslassen.

Gerade jetzt, wo so viele Kinder und Jugendliche, die uns irgendwann im Lauf der letzten 14, 15, ..20, 25… Jahre irgendwie einfach verschwunden sind, weil wir uns so sehr vor ihnen und ihren Wahrheiten geschützt haben, dass wir sie aus den Augen verloren haben, aus dem Inmitten ins Rund und zuweilen bis ins Hier und Jetzt gespült werden, bekomme ich eine Ahnung davon, was für ein global krasser Schnitt das gewesen sein muss.

Wir waren kein Mädchen, das Armut, Betteln, spontane Verwertungsimprovisation und soziales Wendehalsen kannte und konnte. Wir waren kein Mädchen, dem man angesehen hat, wie ernsthaft die Not und die Bedrohung war, in der es gelebt hat und wir waren kein Mädchen, dem man geglaubt hat (bzw. geglaubt hätte), dass es sich in einer ernsthaft bedrohlichen Situation befand.
Wir galten immer schon sehr schnell als außerordentlich intelligent, sprachbegabt und klug und immer wieder stießen Personen an ihre eigene kognitive Dissonanz durch diesen Eindruck von uns als Einsmensch und versperrten uns damit den Weg anzuerkennen, dass wir als Person jede Eigenschaft der Welt hätten haben können und trotzdem einer zerstörerischen Gewaltdynamik in der eigenen Familie vollkommen schutz- und hilflos ausgeliefert waren.

Ich habe selbst lange geglaubt, es sei ein Beweis unserer inneren Kraft, wie wir uns durch die kurze Episode des Straßenlebens bewegten und dann ins System der Jugendhilfe gingen. Wie wir durchzogen weder Kontakt zur Familie zu wollen, noch in der gleichen Stadt wohnen bleiben zu wollen.
Und jetzt sehe ich die 14, 15, 16 Jährigen von damals durch unser Heute taumeln. Sehe mir ihre Gedanken an. Sehe, wie gnadenlos sie von der ständigen Verwirrung vor der Welt und dem Lauf der Dinge im Kleinen wie im Großen, in Grund und Boden gestampft werden und sich auflösen, weil sie dem genau nichts entgegenzusetzen haben, außer Todesangst und lähmend toxisches Stresserleben, das letztlich die Samen zu uns Rosenblättern und anderen Systemen ausgestreut und immer wieder gedüngt haben wird.

Inzwischen frage ich mich, ob das Weglaufen vor 14 Jahren vielleicht auch ein Suizidversuch war, den sie nie jemandem hätten erklären können.
Und auch nie hätten zugeben können, selbst dann, als klar war, dass sie vor weiterer Gewalt und Ausbeutung weggelaufen waren.

Held_innenhafte Selbstrettung geht einfach immer nicht so gut zusammen mit so einem vermeintlich schwachem oder feigem Akt, wie dem der Selbsttötung bzw. dem bewussten “sich-nicht-mehr-aktiv-ums-eigene-Überleben-bemühen”.
Aber vor uns selbst, denke ich, können wir diese Idee gut stehen lassen und annehmen. Es entlastet eine Ecke im Innen um einen schambesetzten Aspekt dessen, was hinter dem Ding stand, dass wir am 1. Mai 2002 getan haben.
Heute sehen wir sie und ihr Sterben vor, für den Rest der Welt, profanen, einfachen, ganz üblichen Abläufen und Dingen und sind offen für die Option, dass sich noch viel mehr als die Gewalt in ihrem Leben als schlicht unaushaltbar und unlebbar dargestellt haben kann und wird.

Unsere vielen verschwunden Kinder- und Jugendlichen sind nicht mehr verschwunden. Wir können uns “Selbstbestimmte” nennen und können die Verknüpfung “weglaufen”= “flüchten” von uns abtrennen. Das ist ein Privileg und wir spüren dem gerade im Moment sehr bewusst nach.

Wir entscheiden uns heute dafür, den ersten Mai als einen Tag, an dem wir, aus Gründen, eine große selbstbestimmte Entscheidung getroffen haben, zu denken und aufzuhören, ihn als “den Tag, an dem wir weggelaufen sind” zu verwenden, an dem wir uns für etwas auf die Schulter klopfen, das insgesamt sehr viel mehr war, als das.

den Versuch wert

Wir hatten keinen guten Tag, waren circa 3 Löffelkästen über unsere Grenzen hinaus und nicht gefasst darauf, dass die Therapeutin Dinge wie “Das Leben ist voller Kompromisse” und “Sie müssen wissen, was es ihnen wert ist in der Klinik zu sein”, sagen würde.

Ich hatte keine Kraft für den Hinweis darauf, dass “einen Kompromiss eingehen” eigentlich soviel bedeutet wie “beide Seiten haben Anteil an der Lösung” und “beide Seiten haben etwas davon”. Ich hatte nur noch Kraft einen dieser inneren Giftpfeile abzufangen, der Schimpfworte und eine bittere Wahrheit auf sich geladen hatte. Die Wahrheit nämlich, dass unsere Kompromisse in aller Regel als gegeben betrachtet werden. Die Wahrheit nämlich, dass unser Leben voller mistig nerviger bis wirklich Kraft und Selbst zerfressender Barrieren, an so vielen Stellen Kompromisse, Zurücktreten, Schweigen, Aushalten und Durchziehen bedeutet und das genau niemand sieht, der es nicht weiß.

Ich rede hier nicht von Dingen wie “Gah scheiße – immer muss man nett und freundlich sein – nie darf man motzen.” oder “Mäh – nie darf anderen auf die Nase hauen – immer nur muss man konstruktiv sein.” oder “Mimimi – nie darf ich machen, was ich will.”.

Ich rede hier von Dingen, die für uns schwierig sind und die wir trotzdem tun,

weil sie den Versuch wert sind.

Das machen wir jeden Tag und wir sind okay damit. Irgendwie ist das einfach unsere Art diese Sache mit dem Leben leben zu probieren, daran zu scheitern und es dann nochmal neu zu probieren usw usw usw.
Es wird jedoch schwierig, wenn wir das Gefühl haben nicht in dem gesehen zu werden, was wir da eigentlich dieser Welt, dem Leben und den Dingen in ihm drin, an Bereitschaft uns zu widmen, entgegen bringen
Wenn der Preis, den wir dafür zahlen, vergessen wird und die Kraft, die wir daran verlieren und dann eben nicht mit in dieses Leben und seine Gestaltung hineingeben können, als “verborgen tief in uns drin” verortet wird und nicht als “darauf verschossen überhaupt irgendwo zu sein und das auszuhalten, ohne zu im- oder explodieren”.

Wir hatten ein Stille-Post-Missverständnis was die Versorgung von NakNak* während der Klinikzeit angeht (heute geklärt – alles gut).
Für uns ist es ein hoher Preis auf ihre Anwesenheit dort zu verzichten und worum es dabei geht, versuche ich immer an dem Beispiel der Blindenhunde zu erklären, wenn jemand fragt, wie denn eine blinde Person in so einer Klinik zurecht kommen sollte, ohne Blindenführhund.

Blindenführhunde gelten oft als durch andere Menschen ersetzbar. Das heißt: auf die Selbstbestimmung einer blinden oder sehbeeinträchtigen Person wird direkt geschissen – soll sie halt einen Stock benutzen (was nicht für alle blinden oder sehbeeinträchtigen Menschen geht) oder sich führen lassen (also abhängig sein und sich einer evtl. fremden Person anvertrauen).
Es ist an der Stelle der Barrierenkompensation, die sich durch Blindheit oder eingeschränktes Sehen ergeben, also essentiell, dass sich die behinderte Person anderen Menschen anvertrauen und mit ihnen kommunizieren kann, wo sie hin will, was sie haben will und so weiter.

NakNak* ist eine Assistenzhündin, die spezielle Aufgaben für uns erfüllt und die auch nur von ihr erfüllbar sind.
Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir so überreizt sind, dass ein Anfall direkt bevor steht. Andere Menschen merken uns nicht an, wie viel Verunsicherung, Angst, Verwirrung, Unklarheit und Überforderung sie bei uns auslösen (meist ja nicht mal dann, wenn wir es ihnen sagen). Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir desorientiert im Raum sind und uns selbst nicht mehr verorten können. Und ach – so viel mehr.

Andere Menschen brauchen von uns immer immer immer mehr, als das einfache Reiz-Reaktionsmuster, an dem wir uns in unserem täglichen Leben entlang arbeiten, um halbwegs stabil und reagibel zu sein.
Unser Hund braucht ein Signal oder ein Handzeichen oder die spezifische Körperspannung, die wir haben, bevor ein Anfall uns umhaut, um zu wissen, was wir von ihr brauchen und was wann wie geht.
Wir müssen ihr nichts begründen. Wir müssen ihr nichts “beweisen” oder “ihr offensichtlich machen/zeigen”, dass wir irgendwas wirklich brauchen oder möchten. Wir müssen nicht “bitte bitte machen” und wir müssen auch nicht “danke” sagen. Sie hat gelernt auf Reize zu reagieren und fertig – den ganzen Sozialschmodder, den ein Mensch an ihrer Stelle bräuchte, braucht sie nicht – und wir sind entlastet von einem dieser tausend Löffelfresser im Alltag – denn was ein Mensch braucht, um uns gegenüber so gut gestellt zu sein, dass er uns hilft, müssten wir aus Schwällen von Worten herausraten oder wild bis strategisch drauflos versuchen. (Und all das noch genau bevor die traumabedingten Probleme mit zwischenmenschlichem Kontakt beginnen!)

Es ist kein Kompromiss zu sagen: Okay, wir versuchen es ohne sie.
Es ist eine runtergeschluckte Alltagsdiskriminierung und die Ansage an uns nach innen, dass wir mit unserer Kraft so sparsam wie nur irgendmöglich umgehen müssen, weil wir neben der Kleinigkeit “teilstationäre Klinikzeit” (und ihre Implikationen) auch noch “Barrierenkompensation Level 100” schaffen müssen.

Wir erwarten schon lange nicht mehr, dass sich Institutionen und Behörden endlich einmal mehr damit auseinandersetzen, wie barrierefrei sie überhaupt sind und welchen Stellenwert die Selbstbestimmung aller Menschen, die dort ein- und ausgehen hat. Für uns ist inzwischen total klar, dass Institutionen und Behörden dazu gezwungen werden müssen, die Hilfen und Hilfsmittel behinderter Menschen mit Brillen, Fahrstühlen und Sprachdolmetschern gleichzustellen.

Aber wir erwarten, dass nicht von uns erwartet wird so zu tun, als wäre auf das wichtigste Hilfsmittel in unserem Leben zu verzichten, ein Kompromiss.
Das ist es nicht. War es nie. Ist es nie.

Ich habe in den letzten beiden Tagen gemerkt, wie viel bewusster wir in den letzten Jahren dafür geworden sind, wo unsere Kraftgrenzen sind, was wir wie lange aushalten können und wann wir welche Art der Pause und Ruhe brauchen.
Und heute Abend merke ich auch deutlicher denn je, wie gut uns die DIS in all den Jahren davor geschützt hat, unter dem zusammenzubrechen, was “der ganz normale* Lauf der Dinge” für so viele Menschen bedeutet.
“Der normale Lauf der Dinge für die Mehrheit der Menschen” ist einer, dem wir nur mit einer DIS oder anderen wie auch immer gelagerten Abwehr- und Schutzstrategien begegnen konnten, weil er nicht für Menschen, wie uns gemacht/gedacht ist.

Die Therapeutin hatte versucht uns klar zu machen, dass es unsere Entscheidung sei festzulegen, wie viel uns dieser Versuch mit der Klinik kostet und wir haben nachwievor keine Antwort darauf, denn eigentlich ist unsere Entscheidung eine andere.
Wir müssen für uns festlegen, wie viel von unserer Substanz es kosten darf/soll/muss, auf etwas hinzuarbeiten, von dem wir bisher immer eher legendenartig gehört haben (you know diese Zauberwolke aus: “gutes/okayes Leben”, “aushaltbar_sein”, “mit sich irgendwie okay sein”, “mit dem, was man erlebt hat irgendwie okay sein”).

Ich finde das bitter.
Aber den Versuch kann es ja trotzdem wert sein.
Oder “auch wert sein”.

das Gegenteil von “Heilung”?

Das Wort drängt sich auf, wenn man nach Input sucht, wie das Leben nach Gewalterfahrungen jeder Art aussehen könnte.

“Heilung”

Heilen von Schmerz und Verletzung, Heilen von Erschütterung und jedem Ungemach, das je die Seele berührte.
Das Runde kommt ins Eckige und das Kaputte wird geheilt.
Atmen, meditieren, die Reise ins Ich und wenn alles nix hilft, gibts ein Ausmalbuch für Erwachsene zur N3er Packung Antidepressiva.

Vor Kurzem stolperte ich in eine Erweckungs-Eso-Welt-Planeten-Errettungs-Blase und fand das Wort “Heilung” erneut sehr häufig verwendet.
Heilung durch eine tägliche Handvoll Blaubeeren in der Sommerjurte auf spanischen Bergen mitten im Schoße von Mutter Natur und andere Freud wahrscheinlich mit kreiselnden Augen zurücklassende Angebote, begegneten mir dort – und stießen mich in ihren anmaßenden Grundannahmen ab.

Nichts gegen Blaubeeren und Sommerurlaub in Spanien – sicher tut das gut und ist ein tolles persönlich bereicherndes Erlebnis – aber “Heilung”?
Was genau muss kaputt oder krank sein, wenn es durch eine Auszeit mit gesundem* Essen geheilt werden kann?

Wie unvollständig muss man sich fühlen, wenn Orts- und Gewohnheits/Verhaltenswechsel die Erfüllung (Ganzheit = Heilung) bringen kann?
Geht es dort um Schwierigkeiten, die in der inneren Ist-Struktur liegen oder nicht doch eher darum, in einem Kontext zu leben, der diese Unvollständigkeiten nicht zu füllen in der Lage ist?

Als ich anfing mich mit der Behandlung von Traumafolgen auseinanderzusetzen, war genau dies ein Punkt, der mich immer hat spüren lassen, dass meine Probleme und damit auch meine Aussicht auf “Heilung” anders liegen.
Viele Menschen, die Gewalt erfahren haben und in unserer westlichen Gesellschaft mit Rollenerwartungen aufwachsen, die teils sogar nur dann erfüllt werden konnten (und nachwievor besser erfüllt werden können), wenn man eben jene Gewalterfahrungen gemacht hat, leben ganz zwangsläufig einen Alltag, in dem sie sich unvollständig, kaputt, defizitär, minderwertig, schlecht oder krank fühlen.
Wie leicht es ist, dann die Idee der “Heilung” und der Wege dorthin zu vertreten!

Da wird dann gelernt sich abzugrenzen, Nein zu sagen, sich zu erlauben, dass man sich gut fühlt und sich selbst (für sein Können) wertschätzt.
E voila: le “Heilung” to go für nur 25 Kurzzeittherapiestunden und einer Jahreskarte fürs Yogastudio um die Ecke – und wahrscheinlich ganz rein zufällig, genau das, was am Wenigsten etwas an der ursächlich gewaltvollen Kultur des Miteinanders verändert.

“Heilung”, das ist etwas extrem Individuelles. Die Heilung des Einen ist nicht die des Anderen.
Komisch, ne – ist doch der Schaden des Einen häufig doch das Erste, das an dem Schaden des Anderen entlang definiert und bewertet wird und die Optionen zum Heilung versprechenden Weg, dann doch alles andere als so individuell verfügbar, wie sie gebraucht werden.

Wenn ich mich damit auseinandersetze, was genau mein Ziel für mein Leben nach der Gewalt ist, dann denke ich überwiegend, dass für mich die Themen “Ankommen (und das merken und aushalten)”, “Merken, was ich merke, wenn ich angekommen bin (und das merken und aushalten)” und “Okay damit sein, was ich merke, nachdem ich angekommen bin (und das merken und aushalten)”, eine große Rolle spielen.
Ich fühle mich nicht unvollständig und ergo irgendwie auch nicht heilbar.
Mich gibts und ich bin da – doch ich bin nicht dort, wo ich mich in Bezug zu Irgendwas spüren kann.

Ich habe darüber nachgedacht, ob bei mir vielleicht etwas nicht entwickelt ist oder sehr früh kaputt ging, dass mich daran hindern könnte, mich als Ich zu empfinden, wenn ich keine Resonanz auf mich erlebe.
Viele bzw. die meisten Menschen, die ich kenne, finden sich oder Teile von sich in anderen Menschen oder in Dingen, die von Menschen gemacht sind. Ich tue das nicht und habe das nie. Ich weiß, dass ich bin, weil ich bin. Ich weiß, wie ich bin, weil ich bin, wie ich bin.
Mein Gefühl der Vollständigkeit oder Unvollständigkeit braucht also nicht andere Menschen oder das Ummichherum, sondern meine Wahrnehmung davon, wie ist, was ist, was mir passiert.

Gerade in den frühen Büchern, in denen es um DIS und ihre “Heilung” geht, geht es um Vervollkommnung. Die Spaltung wird als früher nötiges Übel gesehen und ihre Aufhebung zum der Heilung im Heute notwendigen Arbeitsziel erkoren.
Das gespaltene Selbst gilt dort als erfolgreich therapiert, wenn es heil (also vereint/integriert/verschmolzen) ist – wobei sich manche Autor_innen sehr wohl auch noch über seelische Narben und die Frage des “Ende gut alles gut?” Gedanken gemacht haben. Am Ende überwog in der Literatur, die ich gelesen habe, aber doch die Idee eines grundlegenden Selbst, das unberührt von einer Spaltung des Seins (Ist) ist und mittels: Überraschung! Veränderung der äußeren Umgebung sowie Gewohnheits/Verhaltensveränderungen wie Muttererde bereit gemacht werden kann, um alles Abgespaltene (wieder) in sich aufzunehmen.

So eine schöne Idee mit so viel Entsprechung in der Natur, dem Lauf der Dinge, dem Reproduzierbaren im Kleinen, wie im Großen.
Kein einziges Sinnspruchbüchlein würde je gedruckt, ohne diese Vorstellung. Kein einziges Achtsamkeits-Meditations-Eso-Dings könnte sich ohne diese Bilder so erfolgreich vermarkten, wie es passiert.

Inzwischen wird dieses Bild in der Traumabehandlungsliteratur nicht mehr so häufig verwendet.
Man weiß inzwischen mehr über DIS, mehr über die Wege von komplex traumatisierten Menschen nach dem Ende einer Therapie. Mehr und mehr wird sich darauf verlegt einen Gedanken von Akzeptanz und ausbalancierter Integration des Geschehenen als geschehen mit individueller Benotung zu verbreiten.

Was auf mich wirkt wie: “Naja – ihr Leben liegt in Schutt und Asche – hier ein Bauplan und meine Cheerleaderpompoms – Sie kriegen das schon wieder hin.” und die Frage aufwirft, wie relevant die Idee von “Heilung” eigentlich noch ist.
Ist diese Idee eigentlich überhaupt noch haltbar oder ist “Heilung” zu einem Schlagwort geworden, das ein “das wird schon wieder” andeuten will, weil es außer motivierenden DIY-Kopfgeburten nichts zu bieten hat?

Und was ist eigentlich das Gegenteil von “Heilung”?