das Ende am Anfang

Mein Mann und ich sitzen in der Kliniklobby, als ich ihre E-Mail lese.
Es ist warm, wir sitzen auf einer von Menschenbewegung umspülten Insel. Das Branden von Schritten und das Rauschen der Belüftungsanlage mischen sich in der künstlichen Noise Cancellung auf meinen Ohren.
Die Situation ist neu. Ungewohnt. Weird. Ein bisschen schreilustig auch.

Sie trennt sich von mir und ich merke nichts als Bliss. Entspannung. Ausatmen. Loslassen.
Im Mai habe ich noch geweint. Dann gewartet. Mich wieder von einer Nachricht niederschlagen lassen. Wieder gewartet. Die Luft angehalten. Gehofft, gerätselt und analysiert, wenn das Warten mir allzu viel Kraft abverlangte. Ich habe so viel darüber geredet, mich beraten lassen, versucht, mir zu erarbeiten, woran ich in diesem Kontakt überhaupt noch bin. Nicht verallgemeinert, keine Schlüsse zugelassen, die mich schuldlos oder verantwortungsfrei machen. In meiner Welt habe ich getan, was Freund_innen tun: Für die andere Person da sein, zusammenarbeitsbereit sein, paratstehen, um auf Wünsche, Ansprüche, Bedürfnisse im Kontakt eingehen zu können.
In der Welt aller anderen Freund_innen, meines Mannes, meiner Beraterin hingegen hat jemand meine Loyalität für gegeben hingenommen und in Teilen auch ausgenutzt. Wissentlich und willentlich hingenommen, dass ich in Sorge, in Trauer und Dauerbelastung um sie bin. Sie haben eine Lüge, die mich emotional erpressen sollte, sofort erkannt. Ich konnte das glauben und war über diese Einsicht unendlich traurig.
Um mich zu trösten, versuchte ich trotzdem so zu handeln, als wäre die Geschichte wahr. Ich wollte die Realität eines Kontaktes, der mich gezielt und absichtlich unter Druck setzt, nicht annehmen. Ich wollte die Realität, in der jemand einfach etwas komplizierter als viele andere Menschen zu Schlüssen und Entscheidungen kommt. In der ich halt einfach mal zurückstecken muss, warten muss, auch wenn es unangenehm ist. Wo ich halt noch länger als sonst warten muss, bis ich verstehe, was in der Person vorgeht. Wo es ganz spezielle, ganz ganz diffizile, hochempfindliche Zartheit und Fragilität gibt, um die herum ich möglichst sanft und achtsam, verständnisvoll und geduldig agieren muss.

Im Kontakt mit komplex traumatisierten Menschen begegnet es mir nicht sehr oft, aber doch immer wieder mal, dass Grenzen als Waffe eingesetzt werden. Dass „Ich kann nicht“ zu sagen, weniger darüber aussagt, was eine Person tatsächlich kann, als darüber, was eine Person möchte. Dass gelogen wird, um die eigenen Wünsche und Bedürfnisse, aber auch Gefühle nicht sichtbar zu machen.
Das gehört zu dem traumareaktiven Vermeidungs- und Selbstschutzverhalten, mit dem das Umfeld eingespannt wird.
Da wird immer wieder betont, wie doll andere ja gar keine Ahnung haben, wie sehr sie die betroffene Person ja gar nicht wirklich sehen oder verstehen oder einfach nehmen, wie sie ist. Als wäre der Anspruch von anderen Menschen, sich bitte auch auf die Ressourcen, Fähig- und Fertigkeiten von ihnen einzustellen, etwas, das der komplex traumatisierten Person jegliche Identität oder Lebenswert abspricht. Oder ein massiv gewaltvoller und daher bis ans Ende aller Tage unverzeihlicher Übergriff bis in die tiefsten Tiefen.
Die Reaktion ist auf allen Achsen unverhältnismäßig – es sei denn, man denkt Trauma mit. Wer auf dem Zettel hat, dass es Menschen gibt, die sowohl Gewalt- als auch Traumalogik in ihrem Sozial- und Bindungsverhalten integriert haben, kann den Flashback sehen. Kann begreifen, wie logisch es ist, dass diese Menschen sehr viel Kraft daraus ziehen können, sich eben nicht mehr alles gefallen zu lassen. Sich extrem zu verteidigen, sobald sie auch nur den Hauch von etwas spüren, das sie nicht bestätigt, oder etwas von ihnen abverlangt wird, wozu sie nicht aus sich selbst heraus bereit sind.

Das Problem, die Falle, in der auch dieser Kontakt und ich gefangen waren, ist, dass der Flashback als solcher nie direkt adressiert werden kann. Es entsteht eine ständige Wiederholung von gewalt- und traumalogischen Schlüssen und dazu passenden Selbst- und Fremdzuschreibungen, die wiederum mit ganz spezifischem Anspruchsverhalten einhergehen.
Ich bin die_r Böse, die_r Täter_in, die hochproblematische Person mit Macht (also darf man allgemein legitimiert grob, respektlos oder sogar gewaltvoll mit mir umgehen) – die andere Person mein Opfer, das sich einfach nur verteidigt. Völlig zu Recht, denn was ich da anbringe, das geht ja mal überhaupt nicht. Und das wird man ja wohl noch machen dürfen. Sich verteidigen. Und dafür geht man ja schließlich auch in Therapie als Opfer, richtig – damit man lernt, sich endlich mal durchzusetzen und abzugrenzen und auch mal für sich einzustehen. Alle, die das Gegenteil sagen (oder sagen könnten), stecken mit mir („den Täter_innen“) unter einer Decke. Sind alle gegen das Opfer. Machen die Welt für jemanden zu einem schlimmen Ort, die_r es eh schon immer schwer hatte, weil sie_r so ja gewissermaßen eine komplett marginalisierte Person ist. Ein one of a kind, immer von allen unterdrückter Mensch, der in seinem Handeln ausschließlich wie ein Phönix aus der Asche steigt. Was jawohl nur gut sein kann.

Wenn man im therapeutischen Kontext davon spricht, dass man die eigene Opferrolle verlassen muss, dann geht es genau darum. Um so eine – traumalogisch absolut schlüssige! – Verkettung von Annahmen über die Situation, sich selbst und andere Menschen.
Ich merke so eine Kette bei mir immer wieder, wenn ich merke, dass ich nicht mithalten kann. Wenn meine Handball-Mitspieler_innen zum Beispiel bei lauter Musik trainieren wollen und ich aus dem Smalltalk ausgeschlossen bin, weil ich sie nicht verstehen kann. Dann merke ich wie der Schnellschluss immer wieder erst einmal ein traumalogischer ist: „Die hassen mich. Die wollen mich nicht dabei haben. Die wollen mich ausschließen, weil ich nicht kann, was sie können.“ Da habe ich die Situation noch gar nicht weiter beobachtet. Habe gar nicht geguckt, ob „die“ wirklich alle sind oder es anderen Gruppenmitgliedern auch so geht. Geprüft, ob sich wirklich alle unterhalten oder ob die meisten nicht eher einfach Musik hören und so dynamischer trainieren können, also eher eine Situation von „gemeinsam alle für sich“ entstanden ist. Ich habe außer Acht gelassen, dass es in dem Umfeld okay ist, zu fragen, ob wir nach einer bestimmten Zeit wieder leiser machen können. Dass Verhandeln und die Bedürfnisse miteinander abzugleichen ganz übliches, ganz alltägliches Verhalten unter Menschen ist.

Ich hatte sehr lange überhaupt keine Ahnung davon, dass mein Gespür für schwierige Situationen verzerrt sein könnte. Wenn jemand Gewalt an sich erkennen sollte, dann jawohl ich – ich hab doch genug davon erlebt.
Mit mehr Selbstregulation jedoch war es dann aber unübersehbar für mich. Ich war immer wieder eher bereit anzunehmen, dass etwas gegen mich gerichtet ist, als irgendetwas anderes – viel Banalereres, andere Leute Betreffendes, für mich noch näher zu Erforschendes. Weil ich das so gewohnt war. Weil das für mich mehr Sinn ergeben hat. Mir mehr Sicherheit über mich selbst in der Welt vermittelt hat. Opfer war ich immer. Immer war ich unterlegen und konnte nichts machen. Diese Rolle habe ich einfach immer gehabt. Im Realen. Im Gewalterleben als Kind, Jugendliche_r und junge erwachsene Person. Und als ich sie nicht mehr hatte, die Gewalt also endete, hatte ich überhaupt keine Vorstellung davon, was da noch alles für Rollen sein könnten außer die der Täter_innen. Als mich noch jeder Flashback direkt umgeworfen hat, ich mich von Symptomkompensation zu Vermeidung gehangelt habe, hatte ich auch noch gar keine Kapazitäten, das zu erforschen. Noch gar nicht genug Überblick über mich selbst. Noch gar keine Chancen, irgendetwas zu tun, das meinem Selbsterleben etwas anderes als passives Ertragen oder verzweifeltes Kämpfen um mein Leben hinzufügt.

Für mich war es hilfreich zu begreifen, dass es bei allen Vorgängen in der Welt auch die Möglichkeit der Beobachtung gibt. Und, dass ich Anteile in mir habe, die das gut können. Und Anteile, die mir diese Beobachtungserfahrung vermitteln können.
Das Schreiben und das Fotografieren, das hat mir den ersten Schritt aus der Opferrolle ermöglicht. Ich konnte meine gewohnten Schnellschüsse machen, aber auch erstmal nur gucken. Beobachten, mich mit dem befassen, was da ist und zu Schlüssen kommen, die neu für mich sind. Meine Traumatherapie hat genau das immer wieder unterstützt. Erst beruhigen, dann gucken, dann einordnen, dann verstehen, dann überlegen, welcher Umgang erwartet wird, ob und wie ich dem entsprechen möchte und welche Konsequenzen welcher Umgang haben könnte.
Zu keinem Zeitpunkt hat meine jetzige Therapeutin mich jemals angefeuert, mich endlich mal zu wehren. Oder gut gefunden, wenn ich (oder andere Innere) mich gewaltvoll oder absichtlich respektlos selbst verteidigt oder geschützt habe. Die gesamte Navigation dieser für mich neuen und handlungsfremden sozialen Rollen hätte ich ohne die freundlich zugewandte und grundsätzlich parteiliche, aber nicht auf meiner Opferschaft basierende Begleitung meiner Therapeutin nicht geschafft. Wir arbeiten zusammen, weil ich ein Ziel habe – nicht, weil ich ein Opfer war. Es ist ihr wie mir auch wichtig, dass wir dieses Ziel erreichen, weil wir uns davon mehr Lebensqualität für mich versprechen. Nicht weil ich zum Opfer wurde und Opfer nur das Beste vom Besten verdienen, sie haben ja schon so viel gelitten.

Opferschaft geht sehr schnell vorbei. Sie endet mit der Gewaltsituation.
Es ist ein relevanter Status, Opfer gewesen zu sein und eine prägende Erfahrung. Aber im Alltag, im Leben nach dem Trauma, das damit für manche Menschen einhergeht, entsteht sie seltener real als metaphorisch.
Das mag für manche Menschen provokativ klingen.
In unserer Gesellschaft spielen Opfer und Täter_innen ganz spezifische Rollen, weil damit Macht verhandelt wird und sich dies durch alle Facetten unseres Alltages zieht. Aber das außen vor gelassen, ist Opferschaft und auch die Opferrolle nichts, womit man im Leben wirklich weiterkommt. Irgendetwas für sich wirklich einfach nur schön machen kann. Die eigene Lebendigkeit genießen kann. Das Hier und Jetzt in aller Tiefe erfahren und erleben kann.
Deshalb ist „Man muss die Opferrolle auch mal verlassen“ zwar vielleicht erst einmal kränkend oder verletzend, weil man nicht den Eindruck hat, sie freiwillig eingenommen zu haben, sondern von den Umständen oder anderen Menschen darein gebracht worden zu sein (wie früher immer), aber auch ein wirklich zugewandter, das Leben eines Menschen sehr wertschätzender, Rat.
Es sei denn, man sagt das, ohne einen blassen Dunst davon zu haben, worum es bei diesem Ratschlag geht. Dann ist es eher Teil eines Abwehrverhaltens und Thema in einem Text über Hilfe als Gewalt.

Während mein Mann arbeitet, ribbele ich eine Strickarbeit mit Zählfehler auf.
Dieser Kontakt bestand über 10 Jahre. Der Konflikt ist entstanden, weil ich etwas von der Person brauchte und zunehmend bestimmter eingefordert habe. Am Ende konkret unterstützt von jemandem. Vielleicht gab es einige Stellen, an denen ich zarter hätte sein müssen. Wahrscheinlich habe ich mich oft viel zu direkt ausgedrückt und bestimmte Erwartungen von Zustimmung und Bestärkung enttäuscht.
Vielleicht habe ich auch schon seit Jahren gar nicht mehr als die Person funktioniert, als die mich mein Gegenüber kennengelernt hat. Vor 10 Jahren war die Reise zu dieser Person ein Akt, von dem ich mich monatelang erholen musste. Den ich erst Tage später überhaupt so prozessiert hatte, dass ich eine gewisse Sicherheit darüber hatte, was das für ein Treffen war und wie ich es fand. Ich war arm und allein. Hatte einen Alltag, der überwiegend von Angst und Vermeidung geprägt und von Symptomen bestimmt war.
Heute bin ich verheiratet, arbeite für Lohn und Ehre, arbeite mit Betroffenen und ihren Helfer_innen zusammen, habe zwei Bücher veröffentlicht und schaffe es, zielgerichtet und konstruktiv auf die Verarbeitung meiner traumatischen Erfahrungen hinzuarbeiten. Vielesein, meine Gewalt- und Opferschaftserfahrungen sind ein Aspekt neben vielen, die mein Leben bestimmen. Er taugt nicht mehr als Anlass oder Grundlage für einen Kontakt, geschweige denn eine Freund_innenschaft mit mir. Und das ist okay. Mir würde so viel von mir selbst fehlen, wäre das heute noch möglich.

Als meine Arbeit zu einem kleinen braunen Fadenball gewickelt ist, denke ich, wie witzig ist, dass das Ende dieses Balls auch der Anfang vom Neuversuch ist. Genau wie ich hier sitze für den Beginn von etwas, fast direkt nachdem dieser Kontakt endet. Und warum hier eigentlich nicht alle schreiend vor Lachen über die Gänge torkeln, weil irgendwie alles immer als das eine endet und als etwas anderes neu anfängt und endet und anfängt.

die to-not-do Liste

Ende Mai erlebte ich einen Meltdown in einer Fahrschulstunde und schrieb hier darüber.
Wenige Tage später ist Sookie gestorben. Die Prüfung hatte ich nicht bestanden.
Die zweite, wenige Wochen später, ebenfalls nicht.

Mein Problem: Angst.
Nicht vor dem Autofahren. Nicht vor dem Verkehr.
Vor Missverständnissen. Unverständnis. Druck. Unzutreffenden Motivationsphrasen. Beobachtet werden. Fehlannahmen über meine Fähig- und Fertigkeiten. Meine Ortskenntnisse. Meine Kraftreserven.

Und: Der Umstand, dass meine Angst bereits umfassend bestätigt wurde. Sowohl im kleinen Dauerelend, das meine Interaktion mit anderen Menschen ist, als auch im großen Horror des Meltdowns.

In zwei Wochen habe ich wieder Fahrstunden. Weil ich darum gebeten habe.
Ich will das weghaben. Es gibt gerade zu viele Bereiche in meinem Alltag, die mit Angst zu tun haben. Ich will Siege. Heroische Momente von Überlegenheit über die Angst.
Und jetzt sitze ich doch hier und habe

Angst.

So richtig mit Schwitzen, Durchfall und Puls im Hals. Einfach nur, weil ich jetzt Termine habe und entsprechend auch wirklich was damit machen muss.
Es ist nichts passiert. Außer eine reale Möglichkeit.

Ich weiß, dass das der Punkt ist, an dem ich üblicherweise Vermeidungsverhalten anbahne. Deshalb schreibe ich das hier auf. Sehr wahrscheinlich will ich mega mega busy sein in den nächsten zwei Wochen. Ich hab ja immer so wahnsinnig viel zu tun. Dies und das und ja, ich bin ja immer so wichtig für alles Mögliche, das natürlich auch immer des Todes unverschiebbar ist.
Aber vielleicht auch mal nicht?

Ich werde eine to-not-do Liste schreiben.
Alles, was ich machen will, um mich zu betäuben, schreibe ich auf.
Vielleicht teile ich sie hier.

traumabasierte „Entscheidungen“ erkennen und was helfen könnte

Es gibt traumareaktives Verhalten, das man selbst als Entscheidung wahrnimmt.
Man glaubt, man würde sehr rational bewerten, würde das einzig Mögliche Richtige tun; in eine Zukunft handeln, die besser wäre als ~alles~ jetzt. Und dann bleibt man bei Menschen, die eine_n nicht gut behandeln, verlässt von jetzt auf gleich eine Arbeitsstelle, Freund_innen, die Stadt, das eigene Leben. Oder man geht invasiver vor als nötig, wendet körperliche, seelische, psychische, ökonomische, strukturelle Gewalt an und lügt, um die eigene Ohnmacht, Angst, „Schwäche“ so weit von sich zu weisen bis man sie nicht mehr fühlt.

Dieses Verhalten dient der Stress- und Emotionsregulation. Alle Menschen kennen dieses Verhalten von sich, nicht alle haben dazu auch eine komplexe Traumafolgestörung, die es ihnen erschwert, es auch als solches zu erkennen und zu verändern.
Traumareaktive/traumabasierte Entscheidungen werden oft gefällt, um unaushaltbare Gefühle zu beenden vermeiden. Emotionale Betäubung zu  unterbrechen, bedrängende Ohnmachtsgefühle, Verwirrung, Unsicherheit, die an Todesangst erinnert, zu stoppen verdrängen. Häufig werden auch Probleme, die sich durch das Fehlen eigener Werte und Meinungen oder der Angst, diese zu vertreten, ergeben, mit  solchen Entscheidungen gelöst aufgeschoben.
Nicht jede traumabasierte Entscheidung ist deshalb irrational oder falsch – aber sie ist nicht wirklich selbstbestimmt, nicht so frei, wie nicht traumatisierte Menschen entscheiden können und in der Regel dient sie der Kompensation von Problemen – nicht der Lösung.

Traumabasierte Entscheidungen bestätigen so gut wie immer auch Traumawahrheiten. Also die Wahrheiten, Einsichten, Ideen, die man brauchte, um der erlittenen Traumatisierung Sinn und Kontext zu bieten. „Mir wurde XY angetan, weil ich … bin.“, „Alle [Berufsbezeichnung/Geschlecht/äußerliche Eigenschaft/sonstige Zugehörigkeit des_der Täter_in] sind abstoßende Arschlöcher“, „X ist tödlich/Y ist lebensgefährlich“, „Ich habs nicht anders verdient, weil ich …“
Traumawahrheiten sind keine Lügen. Sie sind nur nicht so umfassend, belastbar richtig, wie man sie wahrnimmt – und so manche Traumawahrheit ist als Legitimationsgrund für Gewaltausübung sehr tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Etwa: „Leute, die X tun, sind selber schuld, wenn dann Y [etwas Schlimmes, Traumatisierendes] passiert.“

Woran erkennt man eine Traumawahrheit?
Sie dreht sich immer (irgendwann in der Argumentationskette) um Leben und Tod, um 100 % richtig/wahr und 100 % falsch/gelogen, um Top oder Flop. Es gibt kein Dazwischen, kein „Moment mal kurz…“, keine Optionen für Gleichzeitigkeit. Sie sorgt dafür, dass man an sich selbst einen anderen Maßstab anlegt als an andere Menschen.
Und was viele Traumawahrheiten noch auszeichnet, ist der Zirkelschluss. Also eine logische Kette, die immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückfindet und sich damit selbst bestätigt. Das ist die Eigenschaft, die viele Traumareinszenierungen anstößt und auch diesen Erfahrungen wiederum Kontext und Logik gibt.

Was kann man tun, wenn man merkt, dass man sich in einer Situation befindet, die zu traumabasierter Entscheidung führen könnte?
Was mir gut hilft ist, zu prüfen, wie erwachsen meine Gefühle und Einschätzungen zu einer Situation gerade sind und wie erwachsen ich mich fühle in Bezug auf das Entscheiden selbst.
Für mich ist ein Marker für „Ich fühle mich erwachsen“, dass ich mich traue, in Betracht zu ziehen, gar keine Entscheidung zu treffen und mir Zeit dafür zu erbitten oder sie mir zuzugestehen. Ich weiß, dass mein erwachsen sein, mein überlegt und rational sein, im vorderen Teil meines Gehirns steckt und dass dort tendenziell Sendepause ist, wenn ich Zeitdruck habe. Also sorge ich für so viel Zeit, wie ich aushalten und vor anderen auch verantworten kann. Das kann ein Zeitraum von 5 Minuten sein, es können aber auch Wochen und Monate sein. Je länger ich mir, uns, Zeit für eine Entscheidung gebe, desto breiter wird das Spektrum dessen, was die Entscheidung für mich, für uns, bedeutet. Aus einer 1 oder 0-Entscheidung wird so eine 1 oder 2 oder 3 oder 4 oder auch gar nix-Entscheidung und dies wiederum erfordert auch mehr Überlegung (Erwachsenheit) von mir und festigt mich in der Situation.
Denn was das Kindliche, Jugendliche, Traumatisierte in mir sehr gut kann, sind 1 oder 0-Entscheidungen. Also die klassische Traumamechanik. Alles, was schnell gehen muss, um das Überleben zu sichern. Die Dinge, mit denen ich heute konfrontiert bin, sind aber Entscheidungen des Lebens. Gestaltungsfragen, wenn man so will. Wenn ich uns mehr Zeit gebe, können sie diesen Unterschied manchmal miterleben, was hilft, wenn es darum geht noch mehr zwischen früher und heute zu unterscheiden.

Was mir auch hilft ist, ist zu prüfen, ob ich Angst vor den Konsequenzen meiner Entscheidungen habe.
Das ist ziemlich tricky, weil oft auch extrem konfrontativ, aber manchmal muss man da durch, weil es nur so weitergeht. Eine Situation kann zum Beispiel sein, dass man sich überlegt eine Beziehungsperson zu verlassen, weil man nicht (mehr) zufrieden ist mit der Beziehung. Dann kann es sein, dass man vor allem kindliche Panik vor dem Beziehungsabbruch spürt – aber auch die erwachsene Überforderung (die Todesängste triggert) vor einem Leben ohne irgendeine Beziehungsperson im Leben.
Und dann hilft es vielleicht zu gucken: Habe ich wirklich keine andere Beziehungsperson in meinem Leben? Wofür genau brauche ich eigentlich eine Beziehungsperson in meinem Leben? Sterbe ich, wenn da keine_r ist oder ist es nicht vielleicht eher so, dass ich aus mir heraus keine Selbstfürsorge oder -versorgung oder Lebensziele und -sinn aufrechterhalten kann/will/werde, weil noch nie alleine gemacht? Das sind schmerzende Fragen und vielleicht geht man mit Antworten aus dem Prozess, die niemand wissen darf, weil es so peinlich ist – aber was sich daraus ergibt, hilft eine reflektierte, informierte Entscheidung zu treffen.

In Bezug auf die kindliche Panik, die man in so einer Situation vielleicht fühlt, nur eine Sache: Man hilft Kindern nicht, wenn man ihnen gibt, was sie wollen, weil sie Todesangst haben – man hilft ihnen, wenn man ihnen die Todesangst nimmt, indem man für Sicherheit sorgt. Und man ist nicht in einer sicheren Situation, wenn sie Todesangst auslöst.

Überforderungsgefühle von erwachsenen Menschen werden selten benannt. Meistens, weil sie mit Schwäche und Unfähigkeit verbunden werden und deshalb auch mit Minderwertigkeit. Überforderung ist aber nichts weiter als ein Marker dafür, dass etwas fehlt. Vielleicht braucht es Fähigkeiten, vielleicht Werkzeug, vielleicht Unterstützung, vielleicht eine Änderung der Aufgabe – alles Dinge, die übrigens in Bezug auf schwierige Erfahrungen den Unterschied zwischen Trauma und „belastendes Lebensereignis“ ausmachen. Überforderung ist das Stück vor Trauma, das zu spüren im Alltag für mich enorm an Wichtigkeit gewonnen hat. Reguliere ich meine Überforderung, reguliere ich das traumatisierende Potenzial von neuen Erfahrungen, neuen Aufgaben, plötzlich eintretenden Sondersituationen.
Auch hier ist es natürlich wichtig wieder zu gucken, was ich wirklich selbst regulieren kann, aber in Bezug auf wichtige, große Entscheidungen, die ich für mich selbst treffe, ist es einfach wichtig, dass ich mir klarmache, dass ich mit Überforderung etwas machen kann und ihr nicht so hilflos ausgeliefert bin wie in früheren traumatisierenden Situationen.

Was möglicherweise noch helfen könnte, ist eine Liste zu haben, auf die man sich in Bezug auf das eigene Leben geeinigt hat. Oder eine Liste mit Dingen, die einem_einer einfallen, wenn man sich fragt, was man im Leben möchte, was man vom Leben möchte oder woraus das eigene Leben bestehen soll. Wichtig dabei: Nicht als „Irgendwann mal in der Zukunft, möchte ich…“ gedacht oder formuliert, sondern ganz konkret, jetzt und hier.
Bei uns steht drauf, dass wir leben wollen, dass dieses Leben nicht mehr wehtun soll und dass wir uns so in unserem Leben auskennen (können) wollen, dass wir darüber erzählen können. Das sind Punkte, die wir uns erarbeitet haben und die wir als Messlatte für alles herannehmen.
Das heißt nicht, dass wir jeden Schmerz vermeiden und auch nicht, dass wir uns zum Beispiel gegen das Schweigen über unser Leben entschieden haben, aber es bedeutet, dass wir uns zum Beispiel auf jeden Fall von Menschen trennen, die uns (wiederholt) verletzen oder unseren Schmerz am Leben nicht ernst nehmen oder erleichtern helfen und auch, dass wir so lange weiter Traumatherapie machen, bis wir uns für uns genug und sicher im eigenen Leben auskennen (und uns das auch nicht gegenseitig erschweren oder verunmöglichen) bzw. so lange wir es aushalten, daran zu arbeiten.

Was noch helfen könnte, ist sich mit jemandem zu beraten, die_r nicht von der Entscheidung betroffen ist. Am besten mit jemand, die_r Traumalogik kennt, versteht, enttarnen kann. Es nutzt überhaupt nichts, wenn mir in einer Situation, in der in mir nur noch traumalogisches Denken passiert und meine Entscheidung eigentlich eine Reaktion ist, eine andere Person mir ihr (untraumatisiertes) Bauchgefühl zur Situation mitteilt. Ja, das kann auch mal passen, aber das hilft mir nicht, von der Reaktion zur informierten, erwachsenen Entscheidung zu kommen.
Ich brauche dann jemanden, die_r mich fragt, was ich fühle, was ich denke, welchen Druck ich spüre und mir anträgt zu prüfen, ob und wenn ja in welchen Aspekten, diese Gefühle wirklich heutig und der Situation angemessen sind. Jemand, die_r emotionale Distanz zu meinem Problem einhält und mir so zeigt, dass das überhaupt möglich ist.

Und, wenn eine andere Person involviert ist, kann es helfen, mit dieser Person über diese Entscheidung zu sprechen.
Manchmal entstehen Dynamiken zwischen Leuten, in denen man sich gegenseitig in Reiz-Reaktions-Dynamiken bringt, die nur mit Konfrontation zu stoppen sind. Und damit meine ich nicht „stoppen, wie einen Zug“, sondern, wie in „innehalten und mal aussprechen, was man gerade denkt und möchte oder will oder eben nicht mehr möchte“. Manchmal merkt man dann, dass man eigentlich die ganze Zeit (traumabasiert) reagiert und gar nicht wirklich macht, was man eigentlich möchte.

Das ist alles nicht einfach, aber machbar. Es ist möglich im üblichen Alltag Entscheidungen zu treffen und Dinge zu verändern. Indem man Entscheidungen trifft, die sich auf die realen konkreten HierHeuteJetzt-Umstände und Fakten beziehen, trifft man eine Entscheidung, die der Heilung oder, anders formuliert, Weiterentwicklung nach dem Trauma, mehr Raum gibt und so direkt dazu beiträgt.

über Vermeidung als individuellen Selbstschutz und die Erinnerung daran, dass jeder Mensch eine Insel für sich selbst ist

Die Ablösung tut weh und den Schmerz will ich vermeiden.
Vermeidung ist gut. Vermeidung ist nicht gleich Verdrängung, „wegmachen“, Dissoziation. Jedenfalls nicht für mich.
Ich weiß in der Regel, was ich vermeide. Bin sehr bewusst und aktiv bei der Sache, die ich vermeiden will, sonst würde ich nicht spüren, ob und wann ich sie erfolgreich vermieden habe.

Schmerz verändert mich. Dissoziiert mich. Greift in mich hinein und verschiebt meinen Bezug zu Dingen. Und das ist am Ende, was mich am meisten überfordert. Wenn ich einen Schmerz habe, bin ich nicht mehr ich selbst und die Welt um mich herum auch nicht.
Die Kompensation dessen ist zwangsläufig die Dissoziation, denn sie erzeugt Kongruenz. Er_gibt Sinn, könnte man sagen. Denn in mir entsteht im Moment des Schmerzes eine Trennung zwischen mir und allem Äußeren. Eine Lücke, die gefährlich ist in einer Welt, in der alle (noch) ganz dicht sein müssen. Alles passen muss, weil die Mechanik des Miteinanders nicht eine einzige Leerstelle zu kompensieren in der Lage ist.

Das Vermeidungsverhalten komplex traumatisierter Menschen wird in der Regel deshalb problematisiert, weil Erinnerungsauslöser vermieden werden, was den Prozess der Verarbeitung verhindert. Sich zu erinnern ist notwendig für die Verarbeitung. Zu vermeiden ist notwendig für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Lebensfunktionen. Als komplex traumatisierter Mensch befindet man sich also immer in einem Spannungsfeld zwischen funktionalem Leben und Verarbeitungsprozessen, die mit dem Gefühl einhergehen, diese Funktionalität zu gefährden und damit das eigene Leben.
Das macht die professionelle Traumatherapie so anspruchsvoll. Man hat es immer wieder mit einer Situation zu tun, in der es um Leben und Tod zu gehen scheint und versucht mit der Therapie, mit der therapeutischen Beziehung, einen Raum zu schaffen, in dem die komplex traumatisierte Person sich traut, Lebensgefahr (wieder) zu erleben oder sich selbst als in dieser Gefahr wahrzunehmen und gleichzeitig die Sicherheit, die im Hier und Jetzt, dem Heute besteht.
Hier haben es von Menschen komplex traumatisierte Menschen besonders schwer. Denn andere Menschen und die Beziehung zu ihnen ist, ob bewusst oder unbewusst, ein Auslöser und also oft auch etwas, das vermieden wird.

Von Menschen traumatisierte Menschen sind aus meiner Sicht sehr funktionale Vermeidungskünstler_innen, denn sie verbinden oftmals Dissoziation (Trennung/Ver_Meidung) und Beziehung (Bezug/Kontakt/Erinnerungsauslöser) und schaffen es in vielen Fällen die Widersprüchlichkeit dessen in sich – nicht im Außen! – zu integrieren. Manche, weil sie hoch dissoziativ funktionieren und sich der Widersprüchlichkeit nicht bewusst sind und manche, weil sie es schaffen, diesen Umstand als (natürlich) gegeben hinzunehmen (oder vermittelt bekommen, dass es sich dabei um Hinzunehmendes, weil Unveränderliches, handelt).
Menschen sind soziale Wesen und es ist nur logisch, das Bedürfnis nach menschlichem Kontakt als genetischen Imperativ zu akzeptieren oder aber auch als etwas anzunehmen, das im gleichen Maße zum Überleben beiträgt, wie es die Vermeidung (der Möglichkeit) von zwischenmenschlicher Gewalt tut, weil es das eigene kulturelle Erbe, die Geschichte der Menschheit, so lehrt.

Das Problem: Diese Wahrnehmung führt zu einer spezifischen Perspektive und formt so eigene Werte und Normen. Zum Teil Werte und Normen, die nicht vereinbar sind mit dem Außen, der außer-ichlichen Umgebung. Sprich: anderen Menschen.
Ein übliches Dilemma, denn jeder Mensch ist für sich selbst eine Insel, abgetrennt von anderen Menschen – völlig unabhängig von Vermeidung und der Wahl von Bezugspunkten.

Eine für mich relevante Erinnerung.
Mein Vermeidungsverhalten hat etwas mit der Angst vor Kontrollverlust und der Vermeidung von Gewalterfahrungen durch Menschen zu tun. Das Vermeidungsverhalten meiner ehemaligen Therapeutin vielleicht nur mit ihr selbst und ihren (Un-)Fähigkeiten bzw. der Kompensation dessen.
In jedem Fall eignet sie sich nicht mehr dazu, zu verarbeiten, was das (Vermeidungs-)Verhalten anderer Therapeut_innen mit mir gemacht hat. Obwohl es gerade jetzt – für mich unübersehbar, ganz offensichtlich und sogar von ihr selbst getan – sichtbar ist und sich als Illustration, als Beispiel anbietet. Sie es doch eigentlich nicht übersehen kann – würde sie es nicht vermeiden (müssen).

Eine neue Einsicht. Eine neue Ohnmacht.
Ein alter Schmerz. Eine Wiederholung früherer Traumatisierung.

enjoy

Neuroleptikahimmel Es ist Zeit
für die Anlage neben dem Bett

keine Zahlen beim Verschwimmen betrachten
keine Treffsicherheit
nur Play

Enjoy the silence
Laut dröhnend mitten in den Kopf

Es ist Zeit für Stille
Stasis- Baby!

Ich kann mich nicht erinnern, ob ich mit dem Song mehr als jemanden, den ich kenne, verbinde.
Sie hat mir mal die Maxi-CD von dem Song geliehen und ich glaube, ich habe sie ihr nie wieder zurückgegeben.

haha die Maxi CD
Frisbee- Mäuschen!

Sie sitzt da und steckt Bleistifte in die Löcher ihrer Kassetten
vorspulen, zurückspulen
Tesafilm auf die Löcher, um zu überspielen
Radio aufzunehmen
mit ohne Stimme- Baby!

All I ever wanted
All I ever needed
is here in my arms

und ich liege auf dem Bauch
das Gesicht im Kissen

Ich spüre, wie sie auf meinem Rücken kniet
meine Schädeldecke hochnimmt, um mit einem Stöckchen mein Gehirn zum Schreien zu bringen

Ich bin noch nicht einmal wieder weggelaufen, seit ich die Tabletten nehme
Ich kanns nicht

nicht weggehen, nicht wegsehen
Eskapismus fürn Arsch, Mäuschen!

Und die Liste der Dinge, die von meinem Eskapismus leben, wächst und wächst und wächst

“So”, sagt er und rückt seine Brille zurecht, “und was passiert, wenn Handlungsdruck und Stasis aufeinander treffen?”

words are very
unnecessary

und aus dem Off scheppert das Lachen des Jokers

Herbstsein

P1010134Zwischen fallenden Blättern stehen

den Wind umarmen

in Nebelschwaden tanzen

Auf Zehenspitzen, kaum den Boden berühren und doch…

mit

weg

aneinander vorbei

laufen

Angst?
Ich laufe mit dir mit
oder vor dir weg
oder an dir vorbei

Ich bin nicht verletzt
Hör doch mein Lachen im Rauschen an deinen Ohren
Ich blute nicht
Ich versprühe flüssiges Leben in alle Richtungen
In Tropfen und leuchtenden Schlieren hinter mir her.
Bin ich, bin ich da.

Ich mag den Herbst, denn er ist so wunderbar kräftig in seiner Art des natürlichen Mordens
Alles stirbt und wallt ein letztes Mal auf
P1010054Leuchtet wie ein letzter Versuch von einem Wunder zu zeugen

Ich kann noch so sehr versagen die Zeitfäden zu verwirren, ich kann immer sagen: Es ist Herbst
Ich gehe raus und bin sofort da
Hallo Welt! Wer will mit mir laufen?

Auf Zehenspitzen
entrückt im wundervollen Sterben der Welt
lebendig, sterbend, tot
und dabei mitten in der eigenen Geburt

Es ist ein Sein im Herbst
Vielleicht ist es meins
wenn ich den Boden berühre

Wenn

Tick Tack

Tick Tack Tick Tack Tick Tack
Es tut weh
Tick Tack Tick Tack

Lass dir Zeit
Bis zum Ende hast du alle Zeit der Welt
Tick Tack Tick Tack Tick Tack

Ich denke, dass ich mich gut anstelle, wenn ich dieses Ticken in der Therapiestunde sein lasse und bei Mensch XY in der Küche. Sie haben da eine Uhr stehen, damit sie wissen wie spät es ist. Die Therapiestunde um ist- die Zeit für Müßiggang mit uns abgelaufen ist.
Sie schneiden ihren Zeitkuchen und lassen uns einen Teil davon auffressen, zerkauen und schwinden.

Tick Tack Tick Tack Tick Tack
Die frühere Seelenfrau ließ uns den Wecker vor die Tür stellen.
Die Helferin die wir jetzt haben auch.
Da weiß man nie, ob man zuviel genohmmen hat- hat aber auch nicht direkt die Chance sich dafür zu bestrafen, falls doch.

Los jetzt
Wehe- Genau zu der Zeit nicht früher nicht später
Ich will dich explodieren sehen
Tick Tack Tick Tack Tick Tack

das Denken ist auf die Zeiger und Ziffern gerichtet und schiebt alle Energie gegen die Zeiger
Bitte anhalten. Bitte Stopp. Bitte liebe Zeit falte dich und friss mich auf. Lass mich in dir verschwinden.
Bitte Zeit lass mich Jona sein, lass mich in deinen Walbauch rutschen.
Tick Tack Tick Tack Tick Tack

Lass laufen Schätzchen Alle Zeit der Welt. Lass los.
Es gibt keine Chance zur Befreiung.
Ich halte dich Mäuschen
Es gibt keine Möglichkeit der Abwehr
Ich halte dich fest Schätzchen

Tick Tack Tick Tack Tick Tack
Es tropft, es schmatzt, es pulst, es tut weh. Immer mehr
Lass es geschehen Mäuschen.
Es ist gut. Es ist nur zu deinem Besten.
Tick Tack Tick Tack Tick Tack

Die Explosion
zucken machende Krämpfe weiter nichts
Na ist das nicht gut Mäuschen?
Tick Tack Tick Tack Tick Tack

Es ist 11 Jahre her
Es war nicht zu meinem Besten
und die Zeit ist trotzdem weitergelaufen

Tick Tack     Tick Tack     Tick Tack
Tick Tack     Tick Tack     Tick Tack
Tick Tack     Tick Tack     Tick Tack

Ich brauche endlich eine digitale Uhr in der Küche.

die Bedeutung von Krickelkrakel

Ich weiß nicht, ob das, was mir hier begegnet noch für viele andere betroffene Menschen gelten kann. Aber ich schreibe einfach im Lauf der Dinge und dies ist nun einmal ein Teil über das ich heute gestolpert bin, also bekommt es seinen Platz.
Worte und Krickelkrakel in Bezug auf erlebte Gewalt.

Wir sind gezwungen uns zusammenzufinden und mit dem zu befassen, das uns einst so hat auseinanderbrechen lassen. (Siehe OEG- erster Akt)
Also suchen wir uns Inseln, in denen es uns gut geht und wir gut aufeinander achten können (oder wir einigermaßen sicher sind, dass uns aussen jemand reorientieren kann, wenn es zu stark kippt und ein “Flashback” droht), und tragen unsere Erinnerungen zusammen.

Ich sehe wie die Zettelhügel wachsen und denke jedes Mal, dass doch nun genug sein muss. Jetzt muss doch genug zusammen sein, um klare Angaben machen können, wann, was, durch wen und wo geschehen ist. Aber das ist es nicht. Kaum eine dieser W- Fragen ist wirklich beantwortet- immernoch nicht- und längst nicht so wie es für die Akten sein müsste.

Manche Innens kratzen all ihre Kräfte zusammen und versuchen einander die Hand zu halten, während sie etwas aufschreiben. Manch einer hebt ein anderes Innen (mit) aus der Situation heraus, um gemeinsam von “oben” drauf zuschauen und zu sehen was passiert ist. Das ist ein bisschen wie diese Schwimmhilfen, die aber nur eine Weile halten. Für kurz ist es möglich einen Zustand aufrecht (hoch-von obendrauf schauend) zu halten, in dem das realisierbar ist- aber über kurz oder lang gibts ein Loch und das Innen fällt wieder mitten hinein. So kann dann vielleicht eine “Was (ist passiert)” Frage (in Teilen) beantwortet werden, aber selten eine Wann, Wo, Wer- Frage.

Manchmal wird aus meinem Kopf auch nur ein stark aufgedrückter Krickelkrakel herausgepresst und ein Laut hinterher gewürgt, der für dieses Innen schon das höchste jemals nach aussen Kommunizierte in seiner ganzen Existenz ist. Und eigentlich- so denke ich- kann ich (und sollte jeder, der das von dem Innen gezeigt bekommt) dafür noch auf Knieen rutschen, weil dieser Krickel so derartig vollgestopft ist, dass mehr auch gar nicht erwartet werden darf.
Es ist schon alles da drin.
Es ist nach aussen ein bloßer Krickel. Nach innen ist es eine Explosion.

Ich musste so daran denken, als mir Mensch XY von einer “Vorführung” seines Kindes erzählte.
“Da hat sie mir gezeigt, wie sie malt, dann ging sie an den Schrank und holte ein paar Sachen raus… und ging wieder an den Tisch prusselte da ein  bisschen herum… und immer wenn ich dachte: “Jetzt ist es wohl zu Ende”, sagte sie: ”Nein nein ist noch nicht zu Ende! Geht noch weiter!”…Sie machte nichts Aussergewöhnliches- aber die “Vorführung” war noch nicht zu Ende… haha was auch immer sie mir eröffnen wollte- ich habs wohl nicht erfasst”.

Ja…
Genau so ist es mit dem Krickel auf dem Blatt. Was auch immer da steht- ich kanns nicht lesen. Und obwohl ich eine leise Ahnung habe und über diese meine- unsere eigene Geschichte spekulieren kann (wenn ich mal nicht in meiner kleinen Vermeidungsblase hocke und mir den Highscore von Tetris vorsumme), kann ich die Sprache, die dieses Innen für mich zu benutzen versucht, nicht verstehen.

Keine Worte zu haben oder nur einen gleissend weißen Flecken für bestimmte Dinge zu haben empfinde ich, für mich, spontan immer als das Schlimmste. Durch diese Krickel und die zusammengestümmelten, mit Buntstift auf Papier gepressten Wortschleifen, sehe ich, dass es aber noch etwas viel Schlimmeres zu geben scheint.
Nämlich den Zwang Worte haben zu MÜSSEN, weil alles andere schlicht nicht zählt oder Mundsprache unter grässlichen Strafen verboten ist oder sprechen zwar ginge, aber nicht vor der Polizei oder weil es schlicht noch keine Denkarien wie in Harry Potter gibt, mit denen man seine Erinnerungen für das Gegenüber sichtbar machen kann, ohne wirklich aktiv mehr tun zu müssen, als einfach die Erlaubnis dazu zu geben.

Wir Menschen sprechen und schreiben unsere Worte immer so dahin.
Doch wie wichtig und wertvoll unsere Sprache ist, das merken wir doch immer erst, wenn wir uns nicht mehr auf sie verlassen können.

Oder wir einsehen müssen, dass die Geschichte hinter einem Krickelkrakel- Wortschleifen-Satzgefetz viel zu groß für Worte ist.

500 Gramm biographische Amnesie bitte!

Ich bin für “Entweder- Oder- Dissoziation”.
Also wenn mal jemand eine entsprechende Petition aufgeben, Demoplakate und Banner mit mir machen will…

Ich gebe zu, obwohl es nach der ganzen Therapiezeit nicht mehr viel Versteck- und Vermeidungsmöglichkeit gibt, suche ich sie natürlich immer wieder noch auf und will manches einfach echt wirklich nicht mitkriegen und wissen und waaa- man ja- manchmal will ich bitte einfach nur meine Vermeidungsblase zu machen und mir im Stillen die Melodie von Tetris vorsummen.

Es ist jedes Mal ein Abgrund, der sich vor mir eröffnet. Ein echter Abgrund, mit nicht nur der flachen Dimension die man so objektiv sieht.
Vorhin stand ich vor dem Supermarkt und versank schon wieder halb in meinem Körper.
Es sind so diese Switchnähte, die so krass anfällig für Auflösung sind.
Außerhalb des Marktes ist der Wegegänger, innerhalb des Ladens stampft Frau Zarin ihre Schneisen- aber genau dazwischen gefordert zu sein, macht alles kaputt.
Vielleicht spricht uns einfach nur jemand an, vielleicht ist unser Metabolismus anwesend, als eine Mutter ihr Kind in den Rücken tritt, vielleicht ist es auch nur ein Regenguss, unter Umständen ist es einfach nur ein offener Schnürsenkel.
In jedem Fall kriege ich plötzlich mit, in was für Sphären sowohl Frau Zarin als auch der Wegegänger herumfliegen. Und… ich drücks mal so aus: Die beiden wissen noch besser als ich, dass das Leben ein verfluchtes Minenfeld ist.

Sie sind funktional- sie haben ihre Methoden sich zu sichern, sie haben ihre Anker und ihre Strategie. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie haben Angst und sie schützen Innenkinder.
Ich stehe davor und merke einmal mehr, wie wichtig die Dissoziation war, merke inzwischen aber auch, dass in dieser Switchnaht gerade ich- ausgerechnet ich!- der einzige Schutz für diese Innenkinder bin.
Und das ist der Moment.

Da ist der Abgrund. Das ist ein mörderischer körperlicher (Nach-) Schmerz der mir das Rückgrat zu zerbrechen in der Lage ist, da ist Angst, da ist der Verlust vom Glauben an das Gute im Menschen. Total offen und wund vor sich hineiternd.
Ich will das nicht sehen. Ich will das nicht fühlen. Ich will das nicht wissen.
Hallo? Ich wär jawohl schön blöd mir so den Tag zu versauen! Ich hatte grad son schönes Gespräch und die Sonne scheint! Ich will jetzt nicht fühlen wie real meine Seele noch immer in alter Zeit hängt und ganz und überhaupt will ich nichts davon mit mir im Zusammhang fühlen!
Also kneif ich die Augen zu und summe Tetris vor ich hin…. und fange an mir einen Text für meine Internapetition auszudenken, während ich gleichzeitig meine Reorientierungskisten abspule und den Körper aus der äußeren Situation manövriere (Ja- ich kann das: auf einem Bein hopsend meine Schuhe zubinden und währenddessen Klopapier und 6 Liter Milch ausbalancieren! Wer so vermeidet wie ich- der kann das irgendwann haha). Irgendwann hab ich mein Gehirn so überlastet, dass nur noch die Frage: “Wo wohne ich eigentlich?” gebraucht wird, um mich wieder wegzukegeln.
Und ja: Ich weiß verdammt nochmal ganz genau, dass ich in dieser Situation auch einfach hätte cool bleiben können und mich dem was sich da vor mir auftut stellen können.

Aber ich weiß genauso gut, wie das in der Regel ausgeht- nämlich mit ner ganzen Menge Autsch!
Allein schon wie es sich anfühlt, wenn eines der funktionalen Innenkinder “da war” und im Körper nur noch der Nachhauch eines Nachhauches herumirrt. Es ist furchtbar!
Und genau um mich vor solchen Gefühlen zu schützen gibts ja die Dissoziation.
Nur leider hab ich schon Therapiefortschritte gemacht und jetzt geht das nicht mehr immer so leicht.
Es gibt immer öfter solche Situationen, wie heute, in denen ich sowas wie “inneren bewussten Sichtkontakt” mit so verletzten Innenkindern habe und mehr oder weniger bewusst real wählen kann: Vermeidung und der Abschuss in die Dissoziation (durch mehr oder weniger gezieltes Wegtriggern) oder Hingucken und dran arbeiten.

Ich hätte bitte gerne, dass mir einer die Entscheidung abnimmt. Das ist beides so… mee!
Vermeidung ist scheiße, weil man die Energie einfach für so viele andere viel tollere Sachen verwenden könnte. Aber hingucken und der Rattenschwanz dazu tut so saumäßig weh!
Ich hätte gerne meine Alltagsdissos, so wie heute noch mehr bitte weg. Ich mags, wenn ich mitkrieg was für ein Leben wir so leben- aber die inhaltlichen Dissos, die könnten gerne wieder so komplett doll sein, wie früher.

Also… wer fährt mit mir zum Lebens- Wunschkonzert und hält Banner hoch?
Oder geht mit mir ins Dissokaufhaus… dicke fette biographische Amnesien und Unbewusstsein kaufen?