Es hat funktioniert.
Abweichung beobachtet, Kontextprüfung, Verantwortungsprüfung, entsprechendes Handeln. Grenze erkennen, Abstand einnehmen.
Ich habe es gut gemacht. Wir haben es gut gemacht.
Wir haben das Richtige getan.
Aber es kam keine Heldenwolke. Kein gutes Gefühl. Keine noch so kleine Überlegenheits-ich-bin-die_r-Coolste-Besoffenheit.
Erst war mir schwindelig, dann musste ich mich übergeben. Dann verkeilte sich ein Weinkrampf in meiner allgemeinen Verwirrung und auch meiner Therapeutin auf den AB zu sprechen war nicht so erlösend, wie gedacht. Auch später, als ich dem Partner davon erzählte, entstand keine Erleichterung. Ebenso wenig wie durch das Teilen der Situation bei Mastodon.
Im Laufe der Tage steigerte sich R. immer weiter in die Idee, wenn sie ihm eine reingehauen hätte, dann wäre das besser gewesen. Und ich zermürbte mich mit der Idee, es könnte ja wirklich einfach der schusselige Opa gewesen sein, der seine Kinder filmt oder fotografiert. Im Schwimmbad. Wo man an drei Handyverbotsschildern lang kommt, bevor man das Becken überhaupt erreicht. Das Becken, das nicht der Kinderbereich ist, wo die Bademeister_innen immer alles im Blick haben. Und ich mit meinem verdrehten Gewaltverständnis habe schon wieder etwas gesehen, was in Wahrheit gar nichts war.
Ich konnte nicht richtig darüber nachdenken, keinen richtigen Schluss ziehen, mich nicht versichern. Das ist wohl so ein Momentum, das Traumatisierungen auch begünstigt, denke ich im Nachhinein. Eingeklemmt sein zwischen der Klarheit über etwas, das man mit allen Menschen teilen kann, und der Unklarheit dessen, was entsteht, weil man etwas anderes nicht mit allen Menschen teilen kann.
Weil die Situation so eindeutig war und ziemlich genauso abgelaufen ist, wie man es als das Richtige und Beste etabliert hat, wirkt meine Verwirrung, meine Belastung diesbezüglich unverständlich. R.s Gedanken vielleicht sogar so, als würde sie ein eigenes Momentum wollen, das ihr gar nicht zusteht.
Ein Trigger.
Die Reaktion: Die permanente Selbstbefragung, was ich denn noch wolle. Ob ich denn nie mal einfach die Fresse halten den Kopf zumachen dankbar sein könne. Was denn bei mir kaputt ist, dass ich immer alles so kompliziert mache. Alles zum Drama mache. Wieso kann ichs denn nicht einfach mal gut sein lassen. Was für ein krankes Ego muss sich denn immer so nervig herausstellen. Hör auf zu nerven. Hör auf zu denken.
Ich arbeitete, organisierte, erledigte. Füllte meine Freizeit mit Terminen und stundenlangem Blasenschießen auf dem Handy. Manchmal geht das. Manchmal tötet das meine Gefühle und Gedanken zu irgendwas so weit ab, dass ich nie wieder drankomme.
Aber so funktioniert das nicht mehr. Schon gar nicht in der Therapie.
Statt, dass mich meine Stachelpanzer zerquetschen, klirren sie inzwischen bereits im Wartezimmer zu Boden und alles, was ich wie man es mir schon als Kind beigebracht hat abgetötet habe, steigt wie Phönix aus der Asche um meine Therapeutin zu nerven.
Sie sprachen darüber, wie Rache durch Strafe ersetzt wurde, um Schwächere und Stärkere gleichzustellen. Darüber, dass Strafe kein Ersatz für Rache ist. Und darüber, dass es okay ist, keine guten Gefühle dazu zu haben.
Irgendwo in mir drin bewegte sich eine brennende Schlange, die ich nicht zu greifen bekam. Bis ich am Tag darauf für einen Text zu Transformativer Gerechtigkeit nochmal den Handlungsleitfaden zum Umgang mit Menschen, die Gewalt ausgeübt haben, las.
Die Bademeisterin hatte ihn angesprochen. Ist mit ihm in Kontakt gegangen. Nicht mit den Kindern. Nach dem Vorfall waren wieder mehr Mitarbeiter_innen in dem Badebereich präsent, um zu verhindern, dass das wieder passiert. Aber dass es überhaupt passiert war – intellektuell daran be.anteiligt, dass es passiert war – / voraussetzend, dass die Kinder (ca. 3/4 Jahre alt) die Situation noch nicht einschätzen konnten / waren der Mann und ich. Der vermutliche Täter und die_r Zeug_in.
Ein Trigger für Traumaketten auf vielen Ebenen.
Der Bezug.skonflikt, die Sprachlichkeit, die Kluft zu anderen Menschen, der Abstoß, die Ohnmacht, die Einsamkeit, die Gefühle uneindeutiger Art, die Verbundenheit im Verbotenen, während das Umfeld spiegelt: „Ist alles okay. Kein Grund für … irgendwas das in dir vorgeht.“
Ich hatte angenommen, dass die Situation so viel in mir auslöst, weil ich über Pädokriminalität Bescheid weiß. Weil ich selber Opfer von Taten pädokrimineller Menschen geworden bin. Und mich heruntergemacht, weil ich annahm, ich würde mich mit den Kindern überidentifizieren und müsste mich mal nur ordentlich orientieren und meine Rachefantasie als nachvollziehbar, aber halt doch nicht zur Gesellschaft passend verstehen.
Und dann hat es damit doch irgendwie gar nicht so viel zu tun, sondern mehr damit, dass ich mich als Anteilnehmer_in in einer – wie auch immer motivierten – Übergriffsituation erlebt habe. Und niemand dieses Erleben bestätigt oder versichert oder orientiert oder eingeordnet oder überhaupt als möglich angenommen hat.
Irgendwie hat niemand daran gedacht oder an mich herangetragen – und ich noch nie so bewusst erlebt – dass sich auch täterimitierende, täterloyale und bezeugende Anteile von dieser Situation angesprochen gefühlt haben könnten. Und ganz eigene Konflikte, desorientierte Identifikation und Gefühle dazu haben.
Petzen fühlt sich nicht gut an. Verrat ist immer kacke für jemanden. Das Begreifen von gewaltvollem Handeln als massives Problem kann krass desorientieren, wenn man ohne Gewalttabu aufgewachsen ist. Es ist ein scheiß Gefühl, wenn die, die man in tausend Jahren Therapie nie über ihre Stereotypen hinaus wahrgenommen hat, auf ein Mal etwas von der Gegenwart mitbekommen.
Da kann man noch viel richtig und gut gemacht haben.