Worte, Wege, Wertschätzung

Für uns wird im Moment mehr und mehr klar, dass wir mit etwas umgehen, das viele andere Menschen nicht von sich kennen zum Einen und zum Anderen auch nicht bemerken, wenn sie mit uns zu tun haben.
Eine der aktuellen Situationen ist ein Kommunikationsproblem mit unserer gesetzlichen Betreuerin, aufgrund von genau dem Umstand, dass unsere Belastungsfaktoren weder offensichtlich sichtbar (physisch) noch in dem Ausmaß denkbar sind, wie wir sie erleben.
Um einen groben Einblick zu geben, habe ich folgende Grafik angefertigt.

Das “sehen” wir, wenn uns jemand anspricht, ohne, dass wir uns auf ein Gespräch vorbereiten konnten (Standbild):
Wie geht es dir
Manchmal sprechen wir von “dem Faden”, den wir sehen, wenn Menschen mit uns sprechen oder schreiben davon, dass wir “Wörter sehen”.
Der Faden – das soll der gesprenkelte Streifen in der Mitte symbolisieren – die Worte haben in der Regel die Farbe der Umgebungsgeräusche, die Farbintensität nimmt zu, wenn es sich um ein “Raumwort” handelt. Also ein Wort, das viele Bedeutungen oder Verknüpfungen hat.
Als “Umgebungsgeräusch” bezeichnen wir das Surren von Mehrfachsteckdosen, genauso wie Baustellenkrach, Gespräche anderer Menschen und die Geräusche, die entstehen, wenn sie sich bewegen. Menschengespräche “sehen” wir als Wörter – Geräusche als farbige Nebelschwaden.

Ich glaube heute, dass wir Wörter sehen (weil wir Geräusche “sehen” im ersten Schritt, doch im zweiten), weil sie unser Spezialinteresse sind, seit wir denken können (heißt in unserem Fall: egal welches Innen wie viel biografische Amnesie mitbringt: dass Wörter unheimlich anziehend und attraktiv sind, erleben wir alle – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Für manche geht es um Phonetik, für manche um die Bedeutung und für wieder andere sind sie mehr wie Werkzeuge, die zu sammeln sich lohnt.
Als Schema haben wir inzwischen herausgefunden, dass die Bedeutung und die Anwendungsgebiete der Wörter an Relevanz zunimmt, je traumaferner das Innen ist. Wir erklären uns dies damit, dass Wörter bzw. Sprache allgemein in Verbindung mit sozialer Interaktion stehen und traumaferne(re) Innens in der Regel für diesen Part zuständig sind.

Das Wort für diese Wahrnehmung heißt “Synästhesie”.
Das bedeutet soviel wie “gekoppelte Wahrnehmung” und in unserem Fall: “scheiß schwere Arbeit, die nötig ist, um mit Menschen verbal zu kommunizieren und uns außerhalb der eigenen Wohnung/ohne Lärmschutz zu bewegen”.

Wir wissen nicht, inwiefern die frühe und dauerhafte Behandlung mit verschiedensten, bis heute nicht an Jugendlichen unter 18 Jahren erforschten, Psychopharmaka in unserer frühen Jugend dazu beigetragen haben, die Wahrnehmung von gehörten Wörtern zu verstärken.
Doch verstärkt hat sich diese Wahrnehmung während der Pubertät auf jeden Fall. Als Kind haben wir sehr gern Hörspiele gehört (und sie gehortet wie Süßigkeiten) und erlebten dabei eher pastellbunte Nebelschwaden – heute erleben wir klassische Kinderhörspiele (gerade auch, wenn wir uns nicht vorbereiten, eines anzuhören) wie ein unaushaltbares Neongeflacker mit Stacheln, die hinter die Augen stechen.
Eine andere Synästhesie ist während der Pubertät aber abgeklungen. Nämlich die räumliche Wahrnehmung von Wörtern. Das ist heute noch da, doch viel weniger stark und vereinnahmend.

Wir leben mit dieser Wahrnehmung schon unser ganzes Leben und kompensieren sie entsprechend lange auch schon. Nie haben wir darüber nachgedacht, wie belastet wir uns davon fühlen dürfen oder wie legitim wir die Anstrengung der Kompensationsvorgänge einstufen dürfen. Denn genauso lange, wie wir diese Wahrnehmung haben, erleben wir andere Menschen für die das Sprechen mit und das Anhören von anderen Menschen ein scheinbar vollkommen automatisch intuitiver (sozial unabdingbarer) Prozess ist.

Die meisten Menschen, die wir kennen, denken wohl darüber nach, wie sie worüber wann wo mit wem sprechen – doch niemand von ihnen muss darüber nachdenken, wie genau sie das tun. Was genau sie sagen. Für sie gibt es eine unbewortbare Verbindung zwischen dem, was sie ausdrücken/sagen wollen und den Worten, Sätzen und Phrasen, die sie dazu verwenden – selbst dann, wenn sie überhaupt nicht aussprechen, was sie sagen wollen.

Die meisten Menschen schmeißen mit Massen von unkonkretem Wörterspam um sich und haben nur in seltenen Momenten einen echten Anlass dazu, anders zu kommunizieren. Es ist nicht schlimm, dass sie das tun – Sprache ist ein sehr vielfältig einsetzbares Werkzeug – doch es ist schlimm, wenn sie trotz unserer Rückmeldungen keine Modulation vornehmen oder sich damit auseinandersetzen, wie gut sie von uns zu verstehen sind.

Das Problem ist er normative Anspruch basierend auf der eigenen Wahrnehmungserfahrung von Sprache. Das Problem ist Ableism. Das Problem ist die Limitierung von Ressourcen.

Wir beschweren uns immer wieder darüber, dass unsere Helfer_innen und Behandler_innen zu wenig Zeit für uns haben. Das tun wir nicht, weil wir es so toll finden, viel Raum einzunehmen oder keinen Begriff davon haben, dass Hilfe/Unterstützung und Behandlungen nur innerhalb eines fremddefinierten Rahmens erlaubt/möglich/bezahlt/*** ist, sondern, weil wir Zeit brauchen, um eine Kommunikation gehen zu können, in der wir nicht in ein Optionen-Wähl-Rate-Cluster zu rutschen, sondern, um uns ganz direkt um das Ding kümmern können, um das es geht.
Wörterspam “sieht” für uns nämlich auch genau so aus. Selbst dann, wenn wir uns vorbereiten und in einer völlig umgebungsgeräuscharmen Räumlichkeit befinden. Wir müssen heraussuchen, was gemeint ist oder gemeint sein könnte und daneben eine Art Dauerscan-Checkliste laufen lassen, ob das, was wir für gemeint halten, überhaupt Sinn ergibt in dem Kontext, den wir annehmen/erraten/kennen.

Wenn wir in einer Behandlungs- oder Unterstützungssituation auch noch in Erinnerungen getriggert werden, raten wir (aus Gründen)  in der Regel drauf los und sprechen in Satzbausteinen oder Floskeln.
Der Inhalt dessen, was die andere Person sagt, kommt in einer Explosion von unwillkürlich hinzuassoziierten Wörterbereichen und  über das Hören “gesehene” Wortklumpen und –brocken an, die unterm Strich keinerlei Zugangsmöglichkeiten zu inhaltlichem Verständnis für uns bieten. (Da passiert also eine Überschneidung aus “das sehe ich , weil ich es höre” und “das sehe ich, weil ich mir ein Bild von einer möglichen Bedeutung und Antwort und all deren Alternativen mache”)

Und was passiert nach außen?
Wir werden als funktional wahrgenommen (weil wir sprechen und das nicht sonderlich auffällig) und in der Regel kommt niemand auf die Idee, ob wir überhaupt begriffen haben, was uns gesagt wurde.

Wir jedoch wissen das und kommen unter Druck. Wir kompensieren unsere Unwissenheit und vor allem das Gefühl von Unsicherheit, Unverbundenheit, allein mit einem Problem zu sein und darüber getriggerte Todesängste mit Recherchen („Wissen fressen“).
Und natürlich auch immer wieder damit, dass wir auf Hilfe verzichten, weil sie uns zu viel Energie wegfrisst, die auch in die Teilhabe an der Problemlösung selbst fließen könnte.

Eine Barriere für uns ist, dass wir andere Wege zu Kommunikation und sprachlichem Ausdruck haben, als die meisten Menschen, mit denen wir zu tun haben. Wir werden entlang der für die Mehrheit der Menschen passenden Parameter eingeschätzt. Dazu gehört auch der Umfang und die über äußere Veränderungen abgeleitete Effektivität des Sprachvermögens bzw. des Wortschatzes. In unserem Fall wird schnell vernachlässigt, wie kongruent Wortnutzung und Inhalt für uns erscheint; wie tief unser Verständnis und Begreifen dessen ist, was die andere Person geäußert hat und wie gut oder schlecht wir uns über die verbale Kommunikation allein, mit anderen Menschen emotional/geistig verbinden können.

Eine weitere Barriere ist, dass wir nie sagen können “bei uns passiert etwas anders, als bei der Mehrheit der Menschen”, ohne, dass wir für eingebildet, arrogant oder selbstverliebt gehalten werden oder uns dieser Annahme ausgesetzt sehen.
Ich habe es noch nie erlebt, dass uns jemand auf so eine Aussage hin trösten wollte, was die für mich logischst nachvollziehbare Idee wäre. Denn schließlich ziehen wir mit “Wir sind anders, als die Mehrheit der Menschen” auch einen Kreis um das Ausmaß unserer Einsamkeit.

Zuweilen frage ich mich, ob wir uns weniger einsam wähnen würden, hätten wir Wörtern und Sprache nie so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie wir es damals taten und bis heute tun, weil es eine hassliebende Angewohnheit geworden ist.
Für die meisten Menschen hat Sprache etwas mit Zugehörigkeit und Miteinander zu tun, mit Zuwendung zu anderen Menschen und der Widmung, der man der Welt zukommen lässt. Wer nicht spricht, gilt in der Regel als antisozial, weniger menschlich, unkontrollierbar, uneinschätzbar, gefährlich, fremd, unnahbar, wird als „krank“, “geistig behindert”, rundum defizitär wahrgenommen bzw. bewertet, was unseren Sprachknall so auch zu etwas werden lässt, das wir als Überlebenstrick angewandt haben und bis heute anwenden.

Donna Williams hatte in einem Film über sich einmal gesagt, dass man in Filmen über Autist_innen permanent kompensierende Autist_innen (also autistische Menschen, die wedeln, schaukeln etc., weil sie überreizt sind und sich zu regulieren versuchen) sieht und genau das dazu führt, dass neurotypische/nicht autistische Menschen nie ein “wirkliches” Bild davon haben, wie diese Autist_innen sind. Als Individuen, als Menschen, als nahbare, durchaus sich selbst kontrollierende Personen, die in Kontakt mit der Welt und den Menschen darin sind, auch wenn sie nicht sprechen.

Für uns ergibt sich daraus die Notwendigkeit klar zu machen, wie wir angesprochen werden müssen, wenn man wirklich Zugang zu uns finden möchte und ein ehrliches Interesse daran hat, von uns verstanden zu werden und mitgeteilte Informationen zu begreifen.
Dazu gehört auch etwas, das Amythest Schaber öfter in ihrer YouTube-Serie “ask an autistic” sagte, nämlich bereits wertzuschätzen, dass wir überhaupt in verbale Kommunikation gehen, obwohl sie für uns weder intuitiv, noch als Verbindungselement zu anderen Menschen dient bzw. als solches empfunden wird.

Wir haben das noch nie von Menschen eingefordert, denn wir selbst haben den Mehrheitsmaßstab noch immer nicht von uns weggenommen. Zum Einen, weil wir nicht privilegiert genug sind und noch eine ganze Weile davon abhängig sein werden, dass andere Menschen uns ganz leicht für einen Menschen wie sich selbst halten und zum Anderen, weil wir noch keine bzw. nur sehr wenig Lebensqualitätserfahrung gemacht haben, in der die permanente Kompensation von Barrieren keine oder eine wesentlich kleinere Rolle spielt.

Wir wissen noch zu wenig über uns in dem Zustand, in dem alles weniger schwer und zehrend ist. Und wissen folglich auch nicht, ob sich das Kämpfen, das so mancher Forderung folgt, überhaupt lohnt und wenn ja, ob wir das verdient haben, ob wir das dürfen, ob wir selbst dann noch okay sind, wenn wir dann vielleicht nicht mehr im Mehrheitsschutzgebiet verortbar sind.

Was wir wissen ist, dass es barrierenärmer für uns geht, auch ohne etwas zu fordern, das Menschen völlig fremde und neue Wege zu gehen abverlangt.

So komme ich zu der zweiten groben Grafik.
Das “sehen” wir, wenn wir uns auf einen Kontakt mit einer anderen Person vorbereiten konnten (Standbild):
Wie geht es dir vorbereitet
Wir wissen, dass unsere Assistenzhündin NakNak* uns bereits durch ihre Anwesenheit und ihre Toleranz, sich von uns wann auch immer berühren zu lassen, auf eine Art fokussiert und in Kontakt mit der Welt und den Menschen darin bringt, die uns nicht in der Präsenz flirren und flackern lässt. Ist NakNak* da, sind wir da. Sind wir da, ist der Weg in die Lautsprache so viel vereinfachter, dass unsere Arbeit mit dem Wortschatzwerkzeugkasten um bis zu 50%  weniger kraftraubend ist.

Wir wissen, dass wir sozial sehr davon profitieren, uns nonverbal auszudrücken und schriftlich zu kommunizieren.
Wir wissen, dass wir unsere psychische Stabilität erhalten können, wenn Informationen zu einer Problemsachlage einem Schema folgend mitgeteilt werden (Wie war die Lage? – Wie ist die Lage jetzt? – Was ist tun (in einer Aufzählung konkreter Handlungsanweisungen)? – Welche Personen sind wofür ansprechbar? – Was sind die Marker für die Lösung des Problems?).
Wir wissen, dass wir uns sicherer fühlen, wenn Menschen kontinuierlich absehbar in direkten Kontakt mit uns gehen. (feste Termine, konkret terminierte Anrufe etc.)

Wir wissen aber auch, dass die wenigsten begreifen, dass unser “Profit” darin besteht, eine Barriere kompensieren zu können und nur so überhaupt erst teilhaben können und involviert zu sein.
Wenn wir uns NakNak* an unsere Seite wünschen, tun wir das nicht, weil mit Hund einfach alles toller ist. Wenn wir uns jede Woche einen festen Termin zur Besprechung des aktuellen Stands unserer Belange wünschen, dann tun wir das nicht, weil wir den Menschen so nett finden oder glauben, dass jede Woche etwas Neues passiert. Wenn wir uns eine klare Ansage zum Zeitpunkt eines Anrufs wünschen, dann tun wir das nicht, weil wir Lust an der Kontrolle anderer Menschen empfinden. Wenn wir darum bitten, Hintergrundbeschallung auszuschalten, Stecker aus der Steckdose zu ziehen, uns nicht am naheliegensten, sondern am stillsten Ort zu treffen, dann tun wir das nicht, weil wir gerade “hypersensibles Pflänzchen” spielen. Wenn wir in einem Gespräch viele Verständnisfragen stellen, dann tun wir das nicht, um das Gespräch möglichst umständlich zu machen.

Wir haben dieses Begreifen von anderen Menschen nie eingefordert, sondern immer nur gewünscht. Und das noch nicht einmal seit immer, sondern auch erst, seit wir verstanden haben, wie alleinsam wir sind, wenn niemand bemerkt, wie selbstverständlich/automatisiert/abgezwungenermaßen wir uns an ein soziales Miteinander anpassen, in dem wir mit unserem Wahrnehmen weder anerkannt, noch bedacht, noch gewertschätzt werden.

Wann immer wir momentan ein Kommunikationsproblem haben und an seiner Auflösung scheitern, kann ich nicht mehr anders, als zu bemerken, als wie viel zu hoher Anspruch an uns kommuniziert wird, was wir jeden Tag seit nun über 30 Jahren ohne Wenn und Aber leisten, ohne viel mehr Anreiz als die Sicherung des eigenen Überlebens zu haben.
Wir sehen wohl, wie nah dort der Gedanke: “Mimimi – das ist aber ungerecht” liegt und doch haben wir den nicht. Wir erleben viel mehr die abnehmende Bereitschaft weiterhin mit Menschen zu sprechen, die kein Interesse daran haben zu überlegen, ob ihre Haltung uns gegenüber vereinbar damit ist, selbst so behandelt werden zu wollen, wie man andere behandelt.

Vielleicht wollen wir mit unseren täglichen Leistungen plötzlich auch gewertschätzt werden, obwohl das für uns noch nie im Kontext mit anderen Menschen wichtig war und kaum jemand diese Leistung als überhaupt wertschätzbar wahrnimmt.

Fundstücke #31

“Ich bin es so müde, leid und weh.”, denke ich und öffne ein anderes Fenster auf meinem Laptop, als das des Mailprogramms, um der Idee der Therapeutin nachzukommen, eine Nachricht an die gesetzliche Betreuerin zu schreiben.

Ich bin so nah dran die Kontrolle zu verlieren. Mich zu verlieren. Den Plan zu verlieren. Die Linie, für die wir uns vor so vielen Monaten entschieden haben und trotz alle dem und alle dem nicht abgewichen sind, aus den Augen zu verlieren und zu vergessen, warum wir uns gegen den Tod entschieden haben. Warum wir uns für die Therapie, die Forschungsreise in unseren inneren Kosmos hinein entschieden haben.

Es ist August und wir sind keine Hartz 4 –Empfängerin mehr.
In 3 Wochen startet die schulische Berufsausbildung und wir haben noch keinen positiven Bafög-Bescheid erhalten.

Wir haben kein Geld und der Antrag für Geld liegt in der Stadt der Herkunftsfamilie. Wo man sich um Datenschutz bemüht, wie man unserer gesetzlichen Betreuerin versichert. Die das glaubt, denn sie hatte ja noch nie einen Fall in dem so obskure Dinge wie bei uns gelaufen sind.
Nun hat sie diesen Fall und weiß es nicht einmal. Weiß nicht, wie greifbar das für uns ist. Weiß nicht, was es für uns bedeutet, wenn sie uns erzählt, was man ja alles erstmal noch mit den Eltern besprechen muss, damit dieser Antrag durchgeht – obwohl wir absichtlich einen Antrag auf elternunabhängiges Bafög gestellt haben. Absichtlich in unserer Stadt. Absichtlich mit genau den Begründungen, die wir hinzugefügt haben.

Ich bin es so müde immer wieder die Erste zu sein, die man ans Messer liefert, um zu prüfen, wie scharf es denn tatsächlich ist. Wie weh es denn tatsächlich tut. Wie leid es hinterher tun muss, diesen Fehler begangen zu haben.

Nach 15 Jahren Verwaltungsobjekt-sein wissen wir, wie Behörden funktionieren. Wie einfach und simpel das System dieses Gewaltausübungsapparats gestrickt ist.
Man kann uns nicht mehr betreuen oder verwalten, ohne, dass wir wissen und fühlen, dass und in welchem Ausmaß wir entmenschlicht werden.
Man kann uns nicht mehr sagen, dass manche Dinge einfach nicht passieren können.
Man kann an uns keinen schlechten Job mehr machen, ohne, dass wir das merken und entsprechend beantworten.

Ich bin es so weh, mich für meinen Selbsterhalt schämen zu müssen, damit andere ihre Vorgehens- und Umgangsweisen mit uns und vielen anderen Menschen als natürlicher, gerechtfertigter, richtiger und wichtiger sehen können.

Es tut mir leid um mich, um uns, um das, was wir geschafft haben, wenn ich den Krieg gegen die Zweifel an der Richtigkeit des Kontaktabbruchs, des Ausstiegs, all den ausgetragenen Kämpfen miteinander, zu verlieren drohe, weil es mehr Anlass dazu gibt (Mit-)Täter_innenwahrheiten bestätigt zu sehen, als eigene.

Ich will die Verwaltungsvorgänge, die die Schutzbelange von Menschen, die zu Opfern von Gewalt in der Herkunftsfamilie wurden, umfänglich berücksichtigen.
Ich will die generelle Erlaubnis zur Einzelfallentscheidung für Menschen, die zu Opfern von Gewalt in der Herkunftsfamilie wurden.
Ich will das komplette, permanent aktualisierte Handbuch mit dem Leitfaden für Menschen, die zu Opfern von Gewalt in ihrer Herkunfts- oder eigenen Familie wurden, um sich an jedem Ort und in jeder – wirklich jeder! – Notlage sichern und versorgen zu können.

Ich bin es müde – ich bin es leid – ich bin es weh, immer wieder aus eigener Betroffenheit heraus solche Forderungen zu stellen, als sei ich die Einzige, für die das relevant ist. Als sei ich die Einzige, in deren Leben geschehen ist, was geschehen ist und überlebt wurde.

Ich bin es müde, leid und weh so hilflos, ausgeliefert und ohnmächtig darauf hoffen zu müssen, dass uns niemand aus Versehen umbringt, nachdem wir so hart um so viel Lebenszeit für uns gekämpft haben.

Ich bin es müde, leid und weh, als immerwährend letzten Schluss zu haben, dass man eine Existenz, wie meine, tot einfach unkomplizierter verwalten kann.

“nur”

Vielleicht war es eine Frage der Zeit. Vielleicht war es ein logischer Zwang. Vielleicht ist es ausgleichende Gerechtigkeit.

Nach ein paar Tagen, in denen wir uns NakNak* wieder und einander im Innen in kleinen Sprossen angenähert haben und alles danach aussah, als müssten wir nur warten, verwässerten mir Zeit, Raum und Lauf der Dinge.
Wir waren verabredet, hatten einen Plan und das Letzte was ich sicher weiß ist, dass wir einkaufen gegangen waren.
Dann starb ich einen Tod bei dem mir alle Luft aus dem Brustkorb gestoßen wurde und schaue 21 Stunden später einem Zug am Bahnhof Leer hinterher. Ich bin und bin nicht. Alles ist okay, es ist nur weit weg, seltsam schmerzlich und außerhalb von Zeit und Raum. Dann öffne ich unseren Briefkasten. Weil wir so nach Hause kommen. Immer. NakNak* ausziehen, schütteln lassen, Keks, aufschließen, Briefkasten prüfen, Treppen hoch, Leine und Geschirr an den Haken hängen, Wohnung aufschließen, NakNak* trinkt was und geht auf ihren Platz, während wir die Schuhe ausziehen und ins Regal stellen.
Wenn die Tür hinter uns zu ist, dann sind wir da.

Wenn die Tür hinter uns zu geht, sind wir sicher.
So dachten wir jedenfalls in den letzten paar Jahren. Beziehungsweise – dachten wir irgendwann nicht mehr, denn so läuft das, wenn man sich sicher fühlt. Man hat nicht mehr die Angst, die eine_n dazu bringt, sich zu vergegenwärtigen wie gefährdet man tatsächlich ist.

Ich öffnete die Post von unserer gesetzlichen Betreuerin und spürte direkt, wie sich meine Ränder erneut aufzuweichen begannen.
Unser Bafög-Antrag entwickelt sich derzeit in einen unsere Sicherheit massiv gefährdenden Selbstläufer, während unsere gesetzliche Betreuerin in ihrem Schreiben klingt, als hätten wir ihr nie jemals irgendwas von unserer Ausstiegszeit, unseren Versuchen so abgetrennt wie möglich zu unserer Herkunftsfamilie* zu sein oder den Wünschen in den nächsten Jahren eine komplette Anonymisierung vornehmen zu lassen. (Es klingt aber nur so – im Kontakt ist ihr der Umfang des Problems durchaus klar)
Der geänderte Klinikbericht lässt eine Einstellung uns gegenüber durchblicken, die uns an einer Stelle erschreckt und an einer anderen Stelle angewidert abstößt.

Erneut stehe ich nach einem Tag, der für viele andere Menschen nicht einmal im Ansatz nachfühlbar ist, mit einem Stoß Papier in der Hand und fühle mich maximal ausgeliefert, allein, ohnmächtig und schutzlos. Erneut. Schon wieder. Again. Again. Again.
Obwohl OBWOHL und trotz alle dem und alle dem

Ich spreche der Therapeutin auf die Mailbox. Schreibe ihr später, dass sie nicht anrufen braucht und merke noch später, dass ich auf meinen Standardsatz zurückgegriffen habe: “Ich komme schon klar.”.
Ich rufe den Begleitermenschen an und versuche mich in eine Form zu bringen, bis er zurückrufen kann.

Mit dem Begleitermenschen über unsere bürokratische Hölle of the doom zu reden ist neu und ok. Wir verabschieden uns und ich habe einen Handlungsablaufplan für den nächsten Tag. Und das Gefühl, dass jemand mein Drama daran auf der allgemeinen Ebene verstanden hat.
Wie das ist, die Person zu sein, die alles wissen soll, weil sie alles wissen muss, denn es geht ja um sie, doch genau das nicht tut, weil ihre Situation so komplex, so vereinzelfallt und unklar ist, dass es nicht geht.
Am Ende glaube ich sogar, dass er der Einzige ist, der verstanden hat, dass wir uns genau deshalb für eine gesetzliche Betreuung entschieden haben. Während unsere gesetzliche Betreuerin von sich sagt, sie sähe sich nur als bessere Sekretärin für uns und damit erneut das Kernproblem und seine Aufbereitung bei uns lässt, dessentwegen wir sie brauchen.

Gegen Mitternacht liege ich in einer Lavendelwolke im Bett und merke, dass ich weine, ohne zu weinen.
Da ist kein Gedanke daran wie ungerecht doch die Welt zu uns ist, oder wie gemein das ist, dass es für uns erneut so scheint, als ginge es für uns einfach nie ohne Extraschleifen, missachtete Kommunikationsprobleme und diesen einen Schmerz – da ist einfach nur der Gedanke: “Aber ich hab doch gesagt…”

Ich habe gesagt, was gefährlich für uns ist und warum.
Ich habe gesagt, was in der Klinik schwierig ist und warum.
Ich habe gesagt, was genau ich von Menschen, die mir ihre Hilfe anbieten, möchte und warum.
Ich habe gesagt, was wir leisten können und warum wir was brauchen, um das auch zu können.
Ich habe gesagt, was ich denke und warum.
Ich habe gesagt, was ich fühle und warum.

Ich suche die Verantwortung für das Versagen der Kommunikation zwischen mir und anderen Menschen nachwievor bei uns allein und komme in einen Zwiespalt, sobald mir andere Menschen, wie der Begleitermensch sagen, dass zu einem Gespräch immer mindestens zwei Personen gehören. Dass andere Personen andere Dinge verstehen können, als die die man sagt und, dass es immer wieder darum geht zueinander zu finden, wenn eine Person sagt, dass sie missverstanden wurde.
Der Knaller ist, dass er das für jedes Gespräch meint. Auch für Gespräche zwischen “kranken” und “behandelnden” Menschen und Gespräche zwischen Menschen, die einen Hilfsauftrag an andere Menschen haben.

Wieder berühre ich das Moment, in dem ich darauf beharren will, dass die Behandler_innen in der Klinik ein bereits vor unserer Aufnahme bestehendes Mindset von uns hatten (und haben) und wir hätten sagen, machen, sein können, was und wie auch immer, um das Ergebnis zu kriegen, mit dem wir jetzt, mit all seinen inneren und äußeren Konsequenzen, die wir für uns im Leben haben, zurecht kommen müssen.
In diesem Moment geht es nicht um Schuld – es geht um Gewalt im Sinne einer Macht-Ohnmacht-Dynamik, aus der wir nicht können, weil wir ohnmächtig sind und diese Menschen nicht müssen (nicht einmal müssen wollen), weil sie bereits (definitions- und deutungs)mächtig sind.

Wieder sehe ich uns in einem Moment, in dem ich darüber verzweifle, dass es für die Gefahrenlage von Menschen, die Opfer organsierter Gewalt wurden, weder Gespür noch Sinn noch Gedanken gibt. Wie wenig es braucht, um jemandem mit einem einzigen Beschluss, einer einzigen Fehleinschätzung, von “den Umständen entsprechend sicher” zu “Gefahr für Leib und Leben” zu schubsen.
Es brauchte in unserem Fall nur zu wenig Kapazitäten und den Wunsch nach weniger Arbeit, weniger Aufwand, weniger Beunruhigung. Mehr nicht.

In unserem Fall hat es übrigens auch nie mehr als das gebraucht. Die Verwaltung unseres Lebens war einfach immer schon ein bürokratischer Höllenschlund aus Zuständigkeiten, Einzelfallentscheidung und special Überschneidungen und nie hatte jemand genug Kapazitäten sich Klarheit zu beschaffen. Durch die Bank weg hat man in den letzten 15 Jahren das Gießkannenprinzip angewandt und einzig uns damit immer wieder vom Regen in die Traufe geschickt.
Trotz der Einblicke, die wir bisher in die Arbeit von in einer Behörde arbeitenden, sozialpädagogisch betreuenden und psycho_therapeutisch behandelnden Menschen haben durften, sind wir nicht bereit, die immer wieder eingenommene und uns vermittelte Opfer-der-Bürokratie/des Konzepts/der Klinik/Einrichtungs(hierarchie/geschichte/teams)-Position anzuerkennen.

Und seit dem Erlebnis in der Klinik gehen wir auch davon aus, dass an vielen Stellen von reaktivem Nihilismus ausgegangen werden muss, wo man auf den ersten Blick Unwissenheit oder Unbewusstheit vermutet oder eine Entwicklung zum Negativen™ aufgrund gleichsam schwerwiegenden Erfahrungen (mit dem bürokratischen/konzeptionellen/zwischenmenschlichen (Team) System).
“Reaktiver Nihilismus” meint an dieser Stelle nichts weiter als: “Nee – also XY machen wir jetzt hier nicht – weil wir darin keinen Nutzen (für uns) sehen (egal, ob die Klient_innen oder deren Angehörige oder Helfer_innen davon profitieren könnten).”, nachdem es Schwierigkeiten, Kränkungen, mehr Aufwand als sonst gab.
(Im Schreiben denke ich gerade, dass die Annahme eines reaktivem Nihilismus noch halbwegs moderat ist – ich könnte schließlich auch von absurd irrationaler Ignoranz, Selbstherrlichkeit oder NARZISSMUS ^^ ausgehen. Aber da endet dann doch der Einblick und das Verstehen der Umstände und entsprechend pfeifen wir uns davon zurück, um fair zu bleiben.)

Das Ding ist: Bürokratie und Konzept ist kein Körper und kein eigener Geist
Weder das Eine noch das Andere, ist in der Lage sich weiterzuentwickeln oder anzupassen, wenn nicht Menschen sie weiterentwickeln und anpassen. Dazu gehört nervenaufreibendes Prozessieren, schwere Arbeit, harte Entscheidungen und selbstlose Reflektion – also richtig unbequeme Tätigkeiten, die weh tun, für die sich niemand bedankt und die einem im Fall des Falls nicht einmal selbst irgendwann oder jemals selbst etwas nutzt oder einbringt.

Wir sind die Letzten, die Menschen dafür verurteilen das nicht leisten zu können oder zu wollen. Aber wir sind auch die Letzten geworden, die Menschen, die uns damit schaden und gefährden, die Hand auf die Schulter legen und sagen: “Ist schon okay so.”.
Diese Zeiten sind vorbei.

Sie sind vorbei, weil wir selbst das immer wieder bei Helfer_innen gemacht haben. Wir schluckten unsere Not runter und sagten ihnen: “Ist schon okay so. Ich bin einfach ein schwerer/komplexer Fall. Schonen Sie ruhig ihre Kräfte für sich und jemand, di_er Ihren Einsatz wirklich wert erscheint. Ja, Sie müssen nicht für mich leiden, indem Sie irgendwas machen, das ihrer Haltung zu mir/dem Konzept der Klinik/den Richtlinien ihrer Institution widerspricht – bitte nein – Sie müssen Ihren Job nicht zu 100 unbefriedigenden unbeliebt machenden Prozenten machen – 40 für Sie erfüllende, sie beliebt lassende und auch noch gut schlafen lassende Prozent sind immerhin auch Anlass immer weiter zu machen und noch ganz vielen mehr Menschen als mir zu helfen.”.

Wir haben heute die Haltung, dass wir anerkennen, dass so ein Job als Psychotherapeutin in einer Klinik oder als Sozialpädagogin in einer Einrichtung oder als Behörden-Johnny irgendwo Anträge abzustempeln, kein einfacher Job ist, der seine spezifischen Spuren in den Seelen der Menschen, die sie machen hinterlässt. Aber es ist ein Job, der gewählt wurde. Ein Job, der bezahlt wird. Ein Job, der gewisse Leistungen schlicht mal abverlangt. Ein Job, der auch Teil des Systems ist, unter dem man leiden kann, vor dem man sich ohnmächtig fühlt und das dennoch nie so unabänderlich ist, wie es erscheint, weil man verdammt noch mal selbst das System mitgestalten kann und meiner Ansicht nach auch sollte.

Auch ein Grund von uns die ambulante Betreuung aufzuhören – ständig hat man sich mit uns über die Bedingungen gesprochen, die ach so nervig, ach so umständlich, ach so irre an den Realitäten vorbei gingen. In den letzten zwei Betreuungsjahren verging kein Termin, an dem wir nicht da standen und die Hand auf die Schulter einer Betreuer_in gelegt haben, um zu sagen: “Ist schon okay so (kannst früher aus dem Termin mit mir, um mal mehr Zeit mit deinem Kind zu haben/brauchst dich nicht tiefer mit mir befassen/brauchst dich nicht mit meinem Kram belasten…)”

Um einem Missverstandenwerden vorzubeugen: Wir glauben nicht, dass solche Gesten und Handlungen falsch sind. Für uns war es mitunter sogar hilfreich und wertvoll zu merken, dass unsere Betreuer_innen und Helfer_innen auch Kram haben und wir nur einen Anteil ihres Lebens mit ihnen teilen – aber:
Wir waren im frei gewählten, bezahlten, leistungsbezogenen Anteil ihres Lebens.
Wir hatten nur deshalb miteinander zu tun, weil sie an und mit uns eine Leistung erbringen sollten und dieser Aspekt ging nach und nach völlig unter. Zum Einen, weil wir Probleme damit haben Hilfen anzunehmen und zum Anderen, weil es anstrengend, problematisch und was weiß ich nicht noch alles war und ist, uns passende und ausreichende Hilfen zu organisieren.

Es ist leicht für diese Menschen den Kopf zu senken und zu vertreten, dass wir einfach einer dieser Fälle sind, für die es kein Netz gibt. Schulterzucken, Demut spielen und exakt was nicht tun? Genau: ein Netz machen oder helfen ein Netz zu stricken
Passivität und demütige Systemkonformität wird belohnt. Entlohnt sogar. Aktivität im Sinne derer, denen man Hilfe zugesichert hat, nicht, denn dafür gibts keine Abrechnungsnummer, keine Hast-fein-gemacht-Kekse vom System und am Ende hat man da vielleicht nicht mal irgendwas special super mega Gutes für eine_n Klient_in erschaffen, sondern “nur” das gleiche Niveau wie das, auf dem alle anderen™ sind. “Nur” eine kleine Entlastung. “Nur” eine kleine Insel des Okayen. “Nur” ein Moment des Durchatmens. Etwas, wovon “nur” diese Klient_innen etwas haben.

Gestern Abend hatte ich auch den Gedanken, dass unsere Lage auch deshalb immer wieder so ist, wie sie ist, weil in unserer Gesellschaft, in unserer Kultur vieles limitiert ist – obwohl es keinerlei praktischen Nutzen außer Machtausübung hat.
Das ist, was mich an “mein Arzt glaubt nicht an rituelle Gewalt”, an “der OEG-Gutachter glaubt nicht an organisierte Gewalt”, an “meine Krankenkassengutachterin glaubt nicht an komplexe Traumatisierungen” schon immer so kirre macht, weil es verdammt nochmal nicht darum geht, was jemand glaubt oder nicht glaubt, sondern darum, dass diese Leute ihren Job beschissen machen, weil sie ihre Annahmen nicht zu überprüfen und evtl. zu revidieren bereit sind (genauso wie Behandler_innen, Verbündete und Helfer_innen mitunter nicht dazu bereit sind, weil ihnen Ideen von großen weltweiten Netzen des organisierten Horrors besser ins Weltbild passen, als selbstunsichere Klient_innen, die Gewaltgeschichten erfinden oder fantasieren, um sich der Behandlung sicherer zu fühlen – gibts selten – gibt es aber und ist wichtig zu prüfen, so schmerzhaft, kränkend und verunsichernd das nun einmal ist).

Die Limitierung beginnt oft schon der Frage, wer was wann wie viel haben darf und endet in der vorweggenommenen Prävention von Gültigkeit für alle.
Begrenzt wird wer wann wie geschützt wird. Begrenzt wird Hilfe, genauso wie die Definition dessen, was Hilfe letztlich ist.
Nicht, dass plötzlich alle kommen und das Gleiche wollen. Nicht, dass plötzlich ALLE kommen. Wer soll das denn bezahlen? Wer soll das denn leisten? Was würde denn dann passieren?

Ja – was genau würde passieren, wenn es uns einfach gut geht?
Was würde passieren, wenn wir einfach nur kriegen, was wir uns wünschen und es uns einfach nur gut geht. Oder sagen wir: besser als jetzt?
Würde es irgendwas beweisen oder für andere verändern, was schlecht oder falsch ist? Würde das automatisch bedeuten, dass dann “alle kommen” und verlangen, dass es ihnen gut oder besser als jetzt geht? Was genau wäre daran schlimm oder falsch oder schlecht für alle, wenn es allen gut oder besser als jetzt geht?
WAS
ZUM
FICK
sollte denn daran so schlimm, schlecht, falsch sein, dass man es mit aller Macht verhindern muss?

Bling bling – da ist der Grund auch schon: Macht
Jene, die darüber bestimmen, wer was wann wie viel erhält, würden nicht mehr mit der Gießkanne umher gehen können, wenn tausende Leute um Wasser bitten (weil es völlig okay ist, sowas Basales wie Wasser zu wollen, weil  man Wasser zum Leben braucht) – sie müssten Wasserhähne, Swimmingpools, Strandzugänge freigeben, die es gibt, jedoch nur limitiert zugänglich sind.

Vor Behörden, die unser Leben verwalten haben wir diese Haltung inzwischen auf jeden Fall. Wir haben Hartz 4 nicht gewählt und haben nie aufgehört nach Wegen in eine Ausbildung oder passende Arbeitsstellen zu suchen. Wir haben nie um mehr gebeten als darum, dem Mindeststandard entsprechend versorgt und abgesichert zu sein und haben selbst darum immer wieder kämpfen müssen. Einfach nur, weil man über Bürokratie schlicht alles limitieren kann, was einen Menschen und sein Leben betrifft. Aus keinem anderen Grund haben wir die letzten paar Jahre so unter Geldnot und Armut gelitten, obwohl wir immer wieder weit über unsere Grenzen hinaus gearbeitet haben.
Deshalb haben wir unseren Sachbearbeiter_innen nie auf den Tisch gekackt, wenn mal wieder was gestrichen, gekürzt, ein- oder abgezogen wurde – sondern immer nur dann, wenn sie so getan haben, als wäre das ein Naturgesetz und keine strukturelle Gewalt, die sie da als ganz neutral objektive Figuren an uns weiterleiten.

Genauso machen wir das jetzt mit den Menschen in der Klinik und der gesetzlichen Betreuung.
Es gibt keinen Grund, sich nicht zu reflektieren, sich auf Voreingenommenheit und falsche Annahmen uns gegenüber zu prüfen – keinen einzigen, außer den, fest davon überzeugt zu sein, im Recht und unfehlbar zu sein, aufgrund einer eigenen Objektivität, Professionalität, Berufs- und Lebenserfahrung, was eine doch zweifelhafte Grundlage darstellen dürfte, da auch diese nur beinhaltet sich selbst die Macht über die Situation zu sichern, indem man sich selbst zum Maßstab macht.

Ich habe dazu neulich erst einen guten TED-Talk gesehen.

Irgendwann heute morgen dachte ich, dass ich vielleicht genau deshalb weinte. Weil es so viel mehr für sich zu erhalten und zu gewinnen gibt, wenn man uns ausgrenzt, unsere Worte ignoriert, den Wahrheitsgehalt dessen, was wir äußern, negiert und uns irgendwie einfach möglichst irgendwohin los wird, als wenn man sich wirklich ernsthaft und offen mit dem auseinandersetzt, wer wir sind und was wir mitbringen.

Das ist so ein Moment in dem sich eine innere Wahrheit bestätigt, nach der wir und alles, was von uns kommt = schlecht und wertlos ist und eine Logik des Geschehens eröffnet, wonach es auch nur so für uns laufen kann, wie es im Moment läuft: absurd, irre, schlimm, schmerzhaft, aufreibend, überfordernd und wir uns nur so fühlen können, wie wir uns fühlen: ausgeliefert, ohnmächtig, wütend, verständnislos, in Todesangst

obwohl es nur ein paar Seiten Papier,  ein paar fremde Personen und unser kleines Leben ist, um das es hier geht.

“Nur”.
Weil ich schon damit klar komme.
Klarkommen muss, egal, ob es wahr ist, oder nicht.

Tage mit Rettungsauftrag

Tage, wie heute sind „zu rettende Tage“. Tage mit Rettungsauftrag. Tage, die kaputt beginnen und nur durch Routinen oder Elemente dieser Routinen zu etwas „zu rettendem“ werden, damit sie zu etwas werden, das wir gelebt haben.

Der heutige Tag ist nicht durch irgendwas bestimmtes „zu rettend“ geworden. Es war einfach schon alles falsch, als ich vom Wecker aus einem komatösen fast 10 Stunden-Schlaf gerissen wurde und mich fühlte, als wäre mein Gehirn ein ausgetrockneter Schwamm, der von innen am Schädelknochen entlang reibt.
Ab dem Moment wusste ich, dass es ein Tag wird, an dem es darum geht, ihn als gelebt abzuspeichern und extrem darauf zu achten, welche Trigger was wann in welchen Ecken von uns machen. Gerade jetzt.
Und ab dem Moment wusste ich schon, dass wir in den nächsten Stunden zunehmende Schmerzen haben werden, überreizen werden und dennoch durchhalten müssen. Weil unsere Lage im Moment keine ist, in der wir nach unseren Kräften gehen können. Wir müssen nach Deadlines und Abläufen gehen, denen es scheißegal ist, wie viel Kraft wir für sie haben.

Dabei ist dann im Krisen- oder Ankergespräch später immer wieder die Frage: “Wie kann ich Ihnen helfen?” oder “Was könnte denn jetzt helfen?” vor der wir (gerade an „zu rettenden Tagen“) stehen und denken: Is doch egal, was jetzt „helfen“ kann – a) was heißt “was” und b) was heißt “kann” (und c) helfen! –PH! Nix! Gar nix! Niemals! Je! Irgendwas!) – Hauptsache irgend___was passiert und hilft dann auch wirklich.
Es ist das kindliche ABERJETZTSCHNELLSOFORTGLEICHMITOHNEABERHÄTTEWÜRDEWENNPLANUNG – JETZTJETZTJETZT like: JETZTSOFORT!!!!!! in Kombination mit einem Egoding, neben dem Gefühl sowieso keinen Überblick zu haben und keine Priorität einordnen zu können, neben dem Wunsch einfach irgendwie ein großes Stopp in die Vorgänge zu halten und ausruhen zu können.

Vorhin habe ich ein Video gesehen, das meiner Wahrnehmung von heute ziemlich nah kommt (Wir sehen nicht so verwackelt wie in dem Film umgesetzt, sondern immer eher so als wäre die Umgebung eine durcheinanderwirbelnde Schachtel Puzzleteile – also viele Details, aber nie ganze Räume oder Personen)

Aufgewacht bin ich um 7:30 Uhr mit einem Wahrnehmen wie ab 0:42 – heulend auseinandergebröselt, bin ich aber erst gegen 15:50 Uhr – nach 4 Straßenbahnfahrten, einmal Tierarzt plus Geldsorgen und Familienkontaktwunschgegensteuern, intensiv arbeiten an Stiftungsschreiben, intensiv arbeiten in einer ungewohnten/fremden Arbeitsumgebung mit ungewohnten/fremden Umgebungsgeräuschen (die zwei Baustellen, eine Hauptstraße mit Straßenbahn und Passanten enthielt), eine neue Person kennenlernen, fremdes Frühstück essen und dem Versuch mich mit meinen Gefühlen und meinem Wahrnehmen (ab 0:53 bis 1:18) verständlich auszudrücken (und nicht zu schreien, mir absichtlich weh zu tun oder sonst irgendwas lautes bzw. überintensives zu tun).
Die 11 Sekunden zwischen 0:42 und 0:53 waren im Grunde unser Tag von „Aufwachen“ bis „dem Begleitermenschen am Telefon vollheulen und sich die Kopfhaut reiben bis aufkratzen“.

Letztes Jahr um diese Zeit wusste noch nicht, was ein Overload ist und erst Recht nicht, dass es um Überforderung und Überreizung geht und nicht darum, dass ich mich einfach anders fokussieren muss.
Ich wusste nicht, dass es in echt ein Zuviel geben kann, das nicht viel mit dem zu tun hat, was andere Menschen auch wahrnehmen und merken und wissen. Vielleicht sogar nachfühlen können, wenn sie sich das vorstellen, sondern um ein Zuviel, das nur wir merken, weil nur wir die Welt so wahrnehmen, wie wir sie wahrnehmen, weil wir eben so wahrnehmen, wie wir wahrnehmen.

Was in dem Video ein zunehmend dunkler Hintergrund ist, ist bei uns mal ein weißer Nebel (Dissoziation, die zu Wechseln führt und eine dissoziative Amnesie, aber auch Fugue-Erfahrungen und Krampfanfälle für mich bedeutet), mal ein milchiger Schleier (dissoziatives Erleben im Sinne von Depersonalisation oder Derealisation), als aber auch so ein dunkles Loch (wo dann nichts mehr geht – weder sprechen, noch denken, noch orientieren, noch sitzen, noch laufen – dann brauchen wir unseren dunklen engen Käfig und eine ganze Weile ganz viel Nichts).

An vielen „zu rettenden Tagen“ verlasse ich mich darauf, dass wir einfach alles wegdissen. Dass wir funktionieren, weil wir funktionieren müssen. Und zwar einfach manchmal wirklich müssen, weil ausruhen, Pause, Stopp, langsam und Schritt und für Schritt zu viel Zeit frisst und wir nach wie vor nicht immer und überall hingeben können: „Ich kann gerade nicht, weil ich nicht kann.“
Und: weil wir weder einfach delegieren können, noch wollen.

Wir haben an wenig Dingen ein Egoding dran.
Aber Dinge, die wir wollen (weil wir sie brauchen oder von denen wir den Eindruck haben, dass sie uns helfen können) machen wir alleine. Weil wir das können. Weil wir schon viele Dinge geschafft haben und ja: Dinge, vor denen andere Menschen abkacken, weil sie nicht die Fähigkeiten dazu haben, sie zu schaffen.
Ja, da ist ein Vergleich und ja, da ist ein: “Wir können etwas sehr sehr gut, das andere nicht können” und ja: da ist ein Egoding dran. Kein Überlebensstolz, aber ein Fähigkeitenstolz.
Ein Fähigkeitenstolz, den wir uns auch klemmen könnten, weil sich funktional zu dissen keine wirklich trainierbare Fähigkeit wie gute Manieren oder ein Handwerk ist, sondern das Ergebnis von Gewalterfahrungen, die uns auch ganz greifbar und konkret das Leben hätten kosten können – aber er ist da und er erfüllt einen Zweck nur für uns allein. Nämlich den, sich durch Tage wie den heutigen zu bringen und daran auch noch etwas Gutes zu finden.

Unsere Gemögten und der Begleitermensch und ganz viele andere Menschen, möchten uns immer wieder so gerne helfen. Fragen, was sie tun können oder sagen uns, dass sie gerne helfen würden, aber nicht können.
Und wir schwanken jedes Mal zwischen: “Ja, okay dann hilf mir ABERJETZTSCHNELLSOFORTGLEICHMITOHNEABERHÄTTEWÜRDEWENNPLANUNG-JETZTJETZTJETZTlike: JETZTSOFORT!!!!!!” und “Ph, ich krieg das schon hin. Ich hab ja schon Dinger geschafft…” und “Ja, ich weiß ja auch nicht oben unten Zeit Raum schwalla la la la la ach ja…”
Und in aller Regel schlängeln wir uns aus den Angeboten raus oder nehmen sie an und kriegen kein Gleichgewicht mehr hin. Können Schulden nicht (schnell oder wie geplant) zurückzahlen, können nicht so viel emotionalen Saft reingeben, wie es der Umgang mit uns erfordert, können nicht die Freuden schenken, die wir schenken wollen würden, fangen an den Kontakt zu zerstören, weil anfangen uns zu überanstrengen möglichst keine Konflikte oder Reibungsflächen aufzumachen.

Alles alleine zu schaffen schützt uns vor diesem Dilemma. Und fühlt sich nachträglich auch noch super an. Irgendwann.
Jahre später, wenn man zurückblickt und denkt: “Alter, wasn krasser Scheiß – Ausstieg während Abendschule und Therapie – krasse Leistung!”. Ich ziehe daraus den Gedanken: “Ja, dann schaffe ich das jetzt hier auch.” und impliziere damit auch: “Ich schaffe das genauso alleine wie damals, als wir alles alleine bzw. fast alleine und immer einfach auf gut Glück ohne Netz und doppelten Boden machen mussten, weil es anders nicht ging. Ganz klar und konkret, ohne eventuell vielleicht hätte würde wenn man könnte … nicht anders ging, als alleine, funktional gedisst und über alle Grenzen und Maßen hinaus auch leidend.

Damals hatten wir kaum Gespür für uns als uns. Hatten kein Gefühl für Grenzen und es ging über Jahre darum zu merken, wann das Stresslevel so hoch war, dass wir gedisst haben und mit welchen Strategien wir versucht haben, etwas dagegen zu tun.
Jetzt geht es darum zu merken, warum wir dissen und welche Strategien ein nice try, aber sinnloser Bullshit sind.

Und die Konsequenzen daraus.
Und die fressen mein Egoding. Aber das sollen sie doch nicht machen. Ich mag es nicht, wenn logische Konsequenzen meine Egodinger aufessen. Ich hab nicht viele davon, deshalb verwechsle ich sie auch manchmal mit Würdedingern, die man gesellschaftlich akzeptiert auch mal harsch verteidigen darf. Weil unantastbare Würde und so.

Daneben ist es aber auch so, dass wir immer wieder die “bedürftige Hannah” sind. Entweder die “bedürftige Hannah, die aber nicht jammert, sondern macht und kämpft” oder die “bedürftige Hannah, die ja einfach nur mehr XY und weniger AB machen müsste, damit…” oder die “bedürftige Hannah, die ein Mahnmal dafür ist, wie gut man es doch selbst hat” oder die “bedürftige Hannah, die so wahnsinnig inspirierend ist, in ihrem Kämpfen um den eigenen Weg”.

Wir sind selten die Hannah, die ganz sicher sein kann, dass alles okay ist und bleibt, wenn sie hunderttausend Dinge nicht mehr macht, weil sie ernst nimmt, wie sehr sie sich damit auch quält.
Oder die Hannah, die nichts (vor allem keine existenziellen Notlagen) zu befürchten hat, wenn sie im eigenen Tempo, im eigenen Level tut, was zu tun ist.
Und wir wissen, wie wenig wir in dieser Gesellschaft eine “kompetente, ernstzunehmende, professionelle, im Leben stehende Hannah” sein können, wenn wir Menschen brauchen, die uns  sagen: “Du bist erschöpft – tu jetzt, was dir gut tut, anstatt zu tun, was du tun musst.” oder “Du quälst dich (andere Innens), weil du (für sie) ein Wiedererleben traumatischer Situationen erzwingst – mach eine Pause.”, weil wir es sonst nicht merken oder merken  und:  “Aber trotzdem! Aber will, weil brauch und dafür wollen sollen muss!” rufen und mit dem Kopf durch die Wand und die Wände hinter ihr wollen.

Es geht an „zu rettenden Tagen“ manchmal auch darum, dass wir merken, dass wir sie retten können.
Dass wir nicht schaffen, was uns üblicherweise (durch Routinen, Tagesplan und bestimmte Inseln des Ist) darin versichert, dass ein Tag ist und war und von uns mit_gestaltet und von uns gelebt wurde, aber, dass wir uns ihren Anfang und ihr Ende ganz sicher und klar vor Augen halten können.

Und sei es mit einem Blogartikel, der das letzte bisschen Denkleistung aufgegessen hat.

Fundstücke #23

Wir haben uns nie viele Gedanken darüber gemacht, wieviele wir sind und welche Auswirkungen das auf unsere Behandlungsaussichten wohl haben könnte. Wir haben seit Jahren nicht infrage gestellt, ob es richtig ist, keine Gewalt mehr in unser Leben zu lassen und selbst keine mehr auszuüben.

Jetzt sind diese Gedanken natürlich da.
Sind wir überhaupt behandlungsfähig? Sind wir wirklich viele? Wer sind wir eigentlich und wer lacht sich eigentlich schon seit Jahren über unsere dämlichen Versuche uns zu sortieren und besser zurecht zu kommen halb tot, weil es doch in Wahrheit so offensichtlich sinnlos ist? Schließlich…

Ich denke oft an die Familie* und mache selbstverletzende “Was wäre wenn” – Spiele bis mich irgendeine Erinnerung auseinanderreißt, weil es mich beruhigt so unaushaltbare Körpererinnerungen provozieren zu können. Als wäre das ein Beweis für einen nicht gemachten Denkfehler oder eine Rechtfertigung meiner Not überhaupt je über Hilfen oder Unterstützungen nachzudenken.

Viele Helfer_innen machen und haben mir schon den Vorwurf gemacht, ich würde Schach-Matt-Situationen provozieren. Man könne mir nicht helfen, weil mein Anspruch zu hoch, meine Erwartungen falsch, mein Problem zu komplex und das Gras auf der Wiese zu grün sei.
Ich kenne diese Dynamiken. Ich habe sie schon tausende Male auseinanderseziert und weiß, dass sie verlogen, narzisstisch, gewaltvoll und niemals so sehr von mir verursacht wurden, wie es mir vermittelt wurde. Ich weiß das. Ich kenne Gewalt und sehe sie, wenn sie mir angetan wird.

Aber wir leben in einer gewaltvollen Welt.
Wir leben in einer Welt, in der man sich aus Leidensgründen an Gewalterfahrungen in Institutionen begibt, in denen man lernt, dass man sich so an Gewalten anpassen kann, dass man selbst weniger leidet. Man muss nur sozial verträglich und sich selbst genug bescheißend dissoziieren. Man muss nur aufhören zu hinterfragen. Man muss nur ausblenden, was belastet und sich für die Erfahrungen öffnen, von denen man selbst profitiert. Man muss andere Menschen einfach nur nachmachen. Man muss nur ein bisschen anders sein als man ist. Nur ein bisschen besser und nur an ein paar Stellen. Es ist doch nur das eigene Selbst, was falsch krank problematisch ist. Alles andere ist irrelevant, weshalb man es “okay” nennt.

Wir leben in einer so gewaltvollen Welt, dass die Menschen, die andere Menschen vor Gewalt schützen sollen, Teil eines gewaltvollen Apparates sind.
Dass Menschen, die Menschen mit Gewalterfahrungen ausschließlich mittels gewaltvoller Rahmenbedingungen helfen. Dass Menschen, die Menschen, die unter den Folgen von Gewalterfahrungen leiden, erneut Gewalt antun müssen, noch bevor sie irgendwas für sie tun können.
Unsere Welt ist so vollgestopft mit Gewalt, dass man einander scheinbar nie wahrhaft ohne Gewalt begegnen kann.

Denn schon der offene Versuch ohne jede Nutzung oder Profit für sich allein aus gewaltvollen Dynamiken miteinander umzugehen, wird als Angriff, Gefahr, zu anspruchsvoll gewertet.

Und ich bin immer noch dabei, genau das immer weiter zu versuchen.

Weil ich keine Kraft dafür habe andere Menschen zu manipulieren. Weil ich keine Perspektive für mich und uns darin sehe, sich ständig gegen andere Menschen zu behaupten, anstatt mich mit ihnen auseinanderzusetzen und zu versuchen sie selbst und ihr Verhalten zu verstehen.
Weil ich fürchte, dass ich uns selbst nie zu Gesicht und Bewusstsein kriege, wenn wir uns für den Rest unseres Lebens in solchen zwischenmenschlichen Gewaltdynamiken bewegen. Egal warum, wie genau und wie viel anders doch intendiert ist, was mir begegnet.

Aber was, wenn das falsch ist?
Was, wenn mein Kernproblem an Hilfe nicht mein Selbst ist, sondern mein Wunsch niemandem in Gewalt begegnen zu müssen, um Hilfe zu erhalten?
Wenn mein komplexes, anspruchsvolles Kernproblem ist, dass Menschen, die Menschen helfen, noch immer davon befreit werden, sich mit ihrer eigenen Gewaltausübung zu befassen und sie zu beendigen?

Ich merke, wie wichtig das wäre. Ich merke das, weil ich mich plötzlich mit Fragen wie: “Wieso darf denn diese Therapeutin Wände zwischen Innens machen lassen und das gut und wichtig nennen – aber wenn dies andere Leute machen, heißt das “Mind Control” und ist böse?”, auseinandersetzen muss und merke, wie viele Parallelen zwischen früherem und heutigem Gewalterfahren aufgehen, die lediglich in der Bezeichnung und Betitelung der Akteure unterschiedlich ist.

Wir weigern uns, uns in den Reigen der Menschen einzugliedern, die behaupten in jeder Klinik, in der Menschen mit DIS behandelt werden, würden Täter_innen sitzen und überhaupt – nirgendwo kann man sicher sein und gut aufgehoben und la la la
Wir brauchen keine Idee von ominösen Verstrickungen von Behandler_innen durch organisierte Gewalt. Wir wissen, dass Behandler_innen ebenso in Gewalten sozialisiert sind wie wir. Sie mögen sie nicht gleichermaßen ausgestaltet erfahren haben, doch erlebt, gelebt und ausgeübt, haben sie sie schon tausend Mal und das ihr ganzes Leben lang. Sie können und manche wollen sich auch nur nicht dagegen entscheiden, so wie wir.

Es ist die Frage, warum uns dieser Verzicht scheinbar per default inkompatibel macht. Warum die Angst vor Gewaltverzicht, Veränderung, die Anstrengung für etwas noch nie gewesenes, Menschen dazu bringt, uns das Gefühl zu geben, wir wären es weder wert sich mit uns auseinanderzusetzen, noch okay genug, um uns auch so fühlen zu lassen.

Wände streicheln oder: Wissen ist Kontext

Ich habe am Wochenende stundenlang Wände angestrichen (“Wände gestreichelt”) und die köstliche Kombination aus Streichgeräusch und Cellomusik in meinem Mund hin und her bewegt.

Was unseren Gemochten, die wir gedenken zukünftig “Freunde” zu nennen, eine nervig lästige Arbeit war, die sie lange vor sich herschoben, war uns ein stundenlanges Schwelgen in Erbsenmoment und endlichem Vakuum. Endlich, weil klar war, dass wir irgendwann fertig sein werden – Vakuum, weil wir in weiten Teilen nicht in der Arbeit waren, sondern irgendwo dort, wo wir so mit uns sind, dass wir diesen Zustand als Idee der Ein.s.igkeit bezeichnen.
Dafür sind Erbsenmomente gut. Um uns an diese Idee zu bringen. Uns in einen Raum zu erweitern, der irgendwo zwischen den Rändern von “assoziiert” und “dissoziiert” ist, doch nie bleibt.

Meditation? Trance?
Oder ein Reflex des Gehirns äußere Monotonie mit innerem Budenzauber zu füllen?

Wir mögen diesen Zustand.
Deshalb streichen wir gerne, laufen lange (langweilige Hunderunden), fahren vorzugsweise Fahrrad, drehen Kreisel, drehen uns selbst, sortieren, symetrietesieren.
Ich fühle mich dann sicher. Die Welt ist mir dann ein guter Ort, weil sie sowas kann und uns in dem Zustand kaum noch hat.

Was andere Menschen so an uns nervt, reizt, stört, als ungewöhnlich und nicht einfach im Kontakt wahrnehmen lässt, sind die tausend scheinbar offensichtlichen Fragen und In-Fragestellungen, die aus heraus kullern. Selbst Menschen, die wache, kritische, neugierige Menschen mögen, mögen es nicht an Grenzen des eigenen Wissens und Erklären.Könnens geführt zu werden. Das ist so, weil es eine kaputte Haltung zu Unwissen und Unerklärbarkeit gibt.
Für viele Menschen ist Wissen gleich Macht. Für uns ist Wissen gleich Kontext.

Kontext ist Orientierung. Kontext ist das Oben und Unten, das für so viele Menschen ganz selbstverständlich da ist, nie infrage steht, nie tückisch, erschreckend, unerträglich wirkt. Kontext ist, von wo wir uns in immer weiteren Kreisen entfernen und so die Menschen mit ihrer Welt von uns befreien können.

Wir sind ein Mensch, der aufwacht und um Kontext ringt. An manchen Tagen vielleicht auch einzig, um sich aus allem entfernen zu können, weil nicht aushaltbar ist, was ist und war und vielleicht auch immer sein wird.
Und das ist, was für uns den Kern unserer dissoziativen Identitätsstruktur darstellt und das Drama um die Autismusdiagnose erklärt.

Ich bin nie sicher, ob ich die Nacht, den Morgen, die Mittagszeit, den Abend überlebe. Ob ich die ganz alltäglichen Handlungen wie Aufstehen, Zähne putzen, sich waschen, die Kaffeemaschine anmachen, mit NakNak* rausgehen usw usw usw überhaupt erinnere. Wer mich kennt und wer nicht, ob und wenn ja wessen Tagesplan und Tagesplan B, C oder D dem Lauf der Dinge standhält, ob meine Haut schmerzt, als würde sie verbrennen oder mich eine überbordende Schmerz-Reiz-Reaktion zerfetzt– das ist Zufall für mich. Immer und immer und immer wieder. Schon immer.

Und immer wieder ist es entweder die weiße Wattewand oder das tiefschwarze All zwischen mir und der Welt, was mich beruhigt und aus dem Kämpfen entlässt. Immer wieder ist es der letzte, äußerste Rand dessen, was ein Mensch empfinden kann, der uns verortet und mir den gröbsten aller Kontexte produziert: Ich (bin)

Neulich blieb von einem Wortschwall, der an uns gerichtet war, der Satz “Sie machen immer alles mit dem Kopf.” bei mir kleben.
Es klang wie ein Vorwurf. Die Kenntnis eines Defizits.
Und nicht wie die Anerkennung eines von uns autonom steuerbaren Handelns, uns irgendwie zu orientieren. Uns selbst zu sichern. Uns selbst zu verorten. Diese Welt für uns er.greifbar zu machen. Kontakt herzustellen, den wir er.tragen und pflegen, gestalten und entwickeln können.

Vielleicht haben wir keine Intuition oder diesen einen special emotionalen Punkt innerer Sicherheit um das Bewusstsein des Selbst.seins, der immer wieder über diverse Therapieansätze anzusprechen versucht wird.
Sehr wohl aber haben wir Massen von Wissensclustern im Kopf, deren Anwesenheit für uns niemals je infrage stand oder fehlte oder uns im Stich gelassen hat. Sicher ist das kein Ausgleich für eine Ebene des menschlichen sich-selbst-bewusst-seins, doch ganz sicher ist es weder Defizit oder etwas, das uns daran hindert, am Leben teilhaben zu können.

Es macht unsere Art das Leben auszuhalten und immer weiter zu versuchen es zu be.leben, einfach nur sehr viel anders, als das sehr vieler anderer Menschen, die versuchen das Leben auszuhalten und immer weiter zu versuchen es zu be.leben.
Nicht mehr, nicht weniger.

gute Sätze

Vielleicht war es die beste Idee, die uns bisher je gekommen ist, wenn wir darüber nachdenken mussten, was uns hilft, wenn wir mit unseren Aktivitäten zur Selbsthilfe nicht weiterkommen.

Die Frage: Was genau soll sich warum verändern? Worum genau geht es?

Wir haben irgendwann gemerkt, dass die ersten Kognitionen in schwierigen Zuständen die gleichen Kognitionen sind, die es in einer traumatischen Situation gab: Es soll aufhören. Bitte mach, das es aufhört. Jemand soll machen, dass es aufhört. Ich kann nicht mehr. Ich bin ausgeliefert.
In der Reihenfolge.

Wir haben aufgehört “Es soll aufhören” als Erstes festzuhalten, nur weil es ein klarer und fester Gedanke und Wille  inmitten von Ohrensausen, Flirren vor den Augen, einem Puls der mit seinem Wummern den Hals verengt und diesen Wahrheiten, die die Sprache verschlagen, ist.
“Es soll aufhören” ist ein Reflex. Sinnlos, wie die Arme schützend vor den Kopf zu heben und die inneren Stahlwände zuknallen zu lassen, wenn nur ein Erinnern an eine Bedrohung passiert.

“Es soll nicht mehr weh tun.” ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, was denn weh tut. Und ob es das wirklich tut. Und wenn ja, was die konkrete Lage ist. Was genau ist da, jetzt und hier, wo es weh tut?

”Es soll mich nicht mehr ängstigen.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, wovor man Angst hat. Oder Furcht. Und dann kann man ein Rechenspiel machen. Eine riesengroße Wahrscheinlichkeitenmatrix kann man sich dann bauen. Und ist erstmal beschäftigt. Weil Rechnen hinter der Stirn passiert und Furcht in der unteren Mitte des Kopfinneren.

“Es soll nicht mehr verwirrend/verunsichernd sein.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich erinnern kann, dass alles einen Anfang und ein Ende hat. Und hatte.
Dass die Welt ein Oben und ein Unten kennt, ein Gestern und ein Heute.

Irgendwann kam die Idee auf, von der Therapeutin versichert zu werden, ohne, dass wir länger mit ihr telefonieren oder um einen Krisentermin bitten müssen. Es entstand das Vorgehen, ihr einen Stein zu geben und ihn in der darauf folgenden Stunde wieder abzuholen.
Wir rufen an, sagen, dass wir das gern tun würden, sie sagt, wann das geht und wir fahren entsprechend los. Durch die bekannte Stadt, vorbei an bekannten Geschäften, umgeben von vielen kleinen Alltagswundern. Gehen zur Praxis, klingeln und sagen “Hallo”. Geben ihr den Eulenstein, sagen “Tschüss” und gehen durch den bekannten Wald zurück nach Hause. Wir atmen, wir teilen unsere Blicke und wuchern mit jeder vergehenden Minute mehr zurück in die Sicherheit des Augenblicks.
Weil sie uns sagen würde, wäre das Heute kaputt. Sie wäre nicht da, gäbe es das Jetzt nicht. Die Stadt würde anders aussehen, wäre es nicht diese Stadt.
Den Wald gibt es nur hier.

Es war die perfekte Idee um dem schlimmsten guten Satz zu begegnen.
“Ich will nicht allein sein mit dem Horror (nicht sicher zu wissen, ob er je aufgehört hat).”

Helferversagen führt zu Langzeitschäden

“Ach, wir werden uns da bestimmt nicht offiziell beschwert haben.”, dachte ich letzte Woche noch.
Dann habe ich das Abschlußzeugnisoriginal gesucht und fand: eine Reaktion auf eine Beschwerde an die Zentrumsleitung unserer ambulanten Betreuung im Jahre 2011.

Es ist nämlich so: Wenn man ganz viel Unterstützungsbedarf hat – damals waren es 7,25 Fachleistungsstunden in der Woche (ja: in_der_fucking_W O C H E_ ! ja nein sorry das muss man sich in den Kopf tun – ohne Quatsch jetzt) – dann ist das ein grober Fehler des Betreuungsanbieters, dem mit einem Termin wöchentlich, der dann circa 1-2 Stunden in Anspruch nimmt zu begegnen.

Manchmal fürchte ich, unser Helferding könnte sich lesen, als wären wir einfach irgendwie komisch verkabelt und hätten ein Problem damit anzuerkennen, dass wir immer wieder eher fragil stabil sind und sehr viel Unterstützung brauchen. Tatsächlich ist es so, dass wir unser fragiles Stabilsein eher als normal empfinden und wissen, dass Menschen ganz allgemein – egal ob das Helfende, Gemögte, Bekannte oder Fremde sind – mit allem was sie tun immer wieder daran rütteln und auch zu Instabilität beitragen.
Sind wir allein sind wir stabil. Nur leider eben auch: allein. Mit allem. Auch in den Momenten von Heilungsschmerz und damit einhergehenden Instabilitäten.

Uns ist durch verschiedene Dekaden des Helferversagens ein wirtschaftlicher Schaden entstanden. Und wenn man den zusammenrechnet (ja, das haben wir mal gemacht, weil wir dachten: Irgendwann petzen wir das mal an prominenter Stelle und dann wird alles anders  (süß ne? Ja. Naja.)  kommt man auf einen 4 stelligen Betrag. Und ja: Wir zahlen immer noch.  Nicht etwa irgendeine Versicherung, die genau für solche Schadensfälle da ist. Oder der Träger durch dessen strukturelle Misswirtschaft es überhaupt nur dazu kommen konnte.
Nein nein – das zahlen wir. Von Hartz 4 und Honoraren für Vorträge und Zeug.

Mit jedem Mal, das es um Betreuung und Hilfen für uns geht, machen wir uns nicht in die Hose, weil wir Angst davor haben, Dinge könnten sich für uns verändern. Vielleicht sogar zum Positiven. Sondern vor Angst, es könnte sich gar nichts geändert haben. Vor Angst, es passiert wieder oder noch schlimmer.
Vor Angst, dieses Gefühl so ein durcheinandergezerrtes Leben zu haben, das nie irgendwo wirklich reinpasst – in kein einziges Formular – in keinen einzigen Verwaltungsablauf, nie wieder loszuwerden.
Vor Angst wieder und für den Rest des Lebens diejenige zu sein und zu bleiben, die
“den Profis ™” eine Inspiration und Wissensquelle zur Verbesserung des Brotjobs ist und selbst nichts mehr davon hat, als eine Chance, die eventuell vielleicht dazu führt genau die Unterstützung zu erhalten, die gebraucht wird.

Was uns fehlt ist das Privileg des “Es nicht wissen”. Uns fehlt die Unkenntnis darüber, dass Hilfe für uns auch ein Geschäft ist. Dass es Menschen gibt, die ihr Dach über dem Kopf damit finanzieren, uns die Haare aus dem Gesicht zu halten, wenn ich mir Erinnerungen aus dem Leib kotze oder uns eine Hand hinzuhalten, wenn wir allein zu instabil sind, um in Balance zu sein.
Was uns fehlt ist die Bereitschaft, uns erneut zum Gegenstand einer Verwertungsmaschinerie machen zu lassen, der es am Ende egal ist und verdammt nochmal egal sein darf, wie sehr das weh tut. Wie groß der Schaden auch Jahre später noch ist. Wie kaputt sie uns gemacht hat und in ein Leben spuckt, das nichts mit uns anfangen kann.
Und ja – hier ist etwas vermischt, was nur allzu gerne getrennt betrachtet wird, um sich selbst niemals mit Täter_innen in organisierten Gewaltkontexten verglichen sehen zu müssen.

Mir tut das leid. Aber diese Parallele ist da. Und eigentlich ist es ein megasuperoberguter Therapiefortschritt von uns diese Parallele zu sehen und trotzdem dran zu bleiben. Trotzdem eine Trennung im Bewusstsein zu verankert zu halten, die es uns ermöglicht nicht zu vergessen, dass es ja vielleicht doch eventuell irgendeine Möglichkeit gibt, uns so zu unterstützen, dass uns Menschen nicht mehr so arg instabilisieren.

Was uns außerdem fehlt ist, uns rausziehen zu können aus diesem Prozess. Das spüre ich seit dem Anruf am Donnerstag sehr deutlich.
Wenn wir in den letzten 2 einhalb Jahren etwas verloren haben, dann ist es die Fähigkeit den Hilfe-ranhol-Schmerz zu tolerieren und über die Stiche der formalen Sprache über uns als Mensch hinweggehen zu können.
Wir schaffen es nicht mehr zu sagen: “So ist eben diese Verwaltungssprache.” oder “So sind die da halt in den Behörden.”, weil es uns vorkommt, als würden wir damit die Gewalt an und über uns an der Stelle legitimieren.

Nicht zuletzt auch, weil die Beschwerde, die ich gefunden habe, damals ja auch nichts gebracht hat. Da waren wir so badass of the doom und schreiben an die Leitung: “Hallo hier Riesending” und das abschließende Übereinkommen hielt: 2 Monate.
Es hatte nie wieder jemand danach gefragt. Keine Zeit, Dienstplan kacke, neue Betreuer, die von nichts wissen und und und

Wie geil wär das, wenn wir uns endlich einfach mal nur darauf konzentrieren könnten, Angst davor zu haben, es würde sich irgendwie komisch neu etwas zum Guten hin verändern. Wie krass wär das denn bitte?!

innere Kommunikation

Manchmal ist es, als würde ich in ein Gespräch hineinplatzen, das schon lange mit mir geführt wird, ohne, dass ich davon weiß. Es gibt meine Linien auf dem Boden – das gesicherte, regulierbare Wörterlabyrinth, das sich in Farben und Formen vor mir zeigt und meistens umspült ist von einem weißen Rauschen, das mich in der Regel nicht berührt.

Doch wenn wir einander begegnen, wird es fremd um mich und in meinem Denken.
Plötzlich steht dort: “Ich tue hier nichts Falsches.” und hinter ihm schimmert etwas sehr Konsistentes. Ein anderes Innen, ein festes Wissen, ein anderer Gedanke – es könnte alles mögliche sein. Oder auch nicht.

Seit ein paar Tagen betrachte ich diesen Satz und taste ihn mit meinem Herz ab. Er kommt nicht von mir, aber auch nicht nicht. Er ist fremd, aber doch vertraut.

Vom Schlauberg herunter trötet es etwas von „Bewusstwerdung und dem Wunder der Assoziation“. Irgendwo kichert jemand “Herzlich willkommen in dieser inneren Kommunikation” und ich muss vor allem allein sein, eine Serie gucken und Candy Crush Soda Saga spielen. Dinge sortieren und mich zwischen Schrank und Wand quetschen, um das eigene Atemgeräusch ertragen zu können.

Manchmal tauchen Sätze auf, machen mir Angst und lassen mich selbst zu einem weißen Rauschen werden. Und manchmal tauchen sie auf und fühlen sich gut an. Einfach so. Nicht weil sie einen schönen Ton haben oder weil sie gut schmecken, sondern, weil sie sich so gut in meine kleinen Seligkeitsinseln einfügen.

10 Becher meines Joghurts, die es ohne umzukippen zu uns nach Hause schaffen, damit ich sie ordentlich in den Kühlschrank sortieren kann.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Ein Sprung über Fußgängerzonen einrahmende Bodenplatten.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Ein köstliches Wort, das mich so warm macht, dass ich alles über es wissen will.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Das Geklacker der Tasten während ich tippe und aus_sage, wie für mich ist, was ist.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Und das ist, was mir Angst macht und mich in so einen Kampf darum bringt, mich nicht aufzulösen.

Ich höre von innerer Kommunikation bei Menschen, die viele sind, immer wieder im Zusammenhang von durchzusetzenden Imperativen.
Immer sollen “die anderen da drinnen” irgendwas machen oder nicht machen oder einsehen oder verstehen. Selten höre ich davon, wie es für “diese anderen da drinnen” ist, wenn sie etwas erreicht, was sie so sehr erschreckt, dass sie es nicht aushalten können oder aber auch so sehr verlockt und in ungesicherte Gefilde zu verleiten droht, dass es einen Konflikt gibt.

Ich brauche etwas worauf ich mich stützen kann, um diesen Satz anzunehmen und zu verinnerlichen.
Das Außen eignet sich für mich nicht als Überprüfungsinstanz – es hat immer Recht. Immer ist es mir überlegen. Das Außen ist gefährlich für mich, denn es akzeptiert mich nicht. Und das Innen hat seine ganz eigene Dynamik. Ich berühre den Satz und der Boden wackelt. Die Wände bersten auf und fluten mich mit Reizen.
Man sagt immer einfach “erinnern” dazu. Für mich ist das ein Miterleben, wie etwas stirbt, von dem ich nicht wusste, dass es einmal gelebt hat.

Am Ende bleibt mir der Umgang damit.
Atmen, sortieren und wie einen Zauberspruch über meine Überflutungserfahrung sagen “Ich habe mich an etwas erinnert”, ohne je einen Inhalt tatsächlich aufgenommen zu haben.

Vielleicht muss man “innere Kommunikation” weniger als Büchsentelefon nach innen begreifen, sondern mehr wie das Warten auf eine autokatalytische Reaktion unter stetiger Beigabe entsprechender Einbringungen, während die Reaktion als Antwort dient.

zu Gewalt legitimierender Gewalt

Meine aktivistische Timeline bemüht sich gerade darum aufzuzeigen, wie rassistisch derzeit über die Gewalt in der Silvesternacht in Köln berichtet wird.
Dort wurden Vergewaltigungen, Belästigungen und Diebstähle angezeigt. Gesprochen wird von Gruppengewalt und von vielen unbestätigten Personenzahlangaben.
NRWs Innenminister Ralf Jäger wird zitiert:  „Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen“.
Und das Rassismus – rape culture – Bingo ist voll wie die Schnauzen der “Frauen gegen Gewalt e.V.”, die sich nun versammeln um sich zu wehren.

Vielleicht liegt es an rosenblattschen Sprachknall – aber ich habe gelernt “sich zu wehren” passiere erst, wenn man angegriffen wird. Agiert man gegen Personen oder Umstände außerhalb eines konkreten Bedrohungsmoments, so handelt es sich weniger um Abwehr zum Zwecke des Selbstschutzes, als um Verstärkung bzw. Etablierung bestehender Abwehrmechanismen. Das kann dann auch mal bedeuten, dass es um Rassismus, rassistische Ressentiments, cissexistische Täter-Opferspaltung und diverse viele (alle) andere mögliche *ismen geht.
Nur halt leider nicht darum, ein gutes und respektvolles Miteinander zu suchen und zu etablieren.

Und eigentlich könnte dieses schon an der Stelle beginnen, wie es kommt, dass es bei Großveranstaltungen, wie einer Silvesterfeier, die durch die Kombination von Menschenmasse, Alkohol und freien Zugang zu Sprengstoffen grundsätzlich hochgefährlich ist, ein ganzes Aufgebot von Polizist_innen und Sondereinheiten bereitsteht – dieses jedoch nicht in der Lage ist, Straftaten jeder Art auch tatsächlich zu verhindern bzw. Täter_innen noch vor Ort auch zu stellen und in Gewahrsam zu nehmen.
Die gleiche Frage stellt sich in Bayern zu jedem Oktoberfest und vermutlich steht diese Frage zu jeder größeren Veranstaltung gleichsam im Raum.

Aber nein – diesmal gibt es die rassistische Nische, die dann auch von Kristina Schröder genutzt wird um von “gewaltlegitimierender Männlichkeitsnorm muslimischer Kultur” zu sprechen, statt davon, wie der Umgang mit Gewalt, ihren Opfern und denen, die sie ausüben, generell so ist.
Es wird “der muslimische Mann” in den Fokus gerückt und wieder einmal ist “der deutsche Ehemann und Vater”, der vielleicht nicht einmal tatsächlich auch ein Mann sondern ein Nongender, Agender, ein was auch immer ist, aus dem Kreis möglicherweise problematisch gewaltlegitimierend sozialisierter Personen gestrichen.
Und wieder einmal sind es weiße deutsche Frauen, die als Schutzobjekt herhalten müssen. Wieder geht es nicht um geflüchtete Frauen, behinderte Frauen, Frauen, die nicht als weiß und deutsch kategorisiert werden, die zu Frauen erklärten Personen, die Transfrauen und und und, die, alle jeden Tag, mit Gewalt konfrontiert sind, die manchmal mit manchmal ohne physische Spuren bleibt.

Die derzeitige Debatte lockt antifeministisch bis pseudomaskulinistisches Pack an, das sich von rechtspopulistischen Figuren wie Birgit –rape culture seems legit – Kelle nur bestätigt fühlen kann und viele Twitteraktivist_innen erleben gerade einen Aufschrei-Flashback. Es ist wie die tausendste Runde Kackscheiße, die weh tut, die verletzt, die zermürbt und letztlich – trotz Grimme online Award und so vielem gutem mehr, das aus dem Hashtag hervor ging – wenig Konkretes in den Köpfen derer, die Verantwortung übernehmen müssten und auch können! stehen ließ.

Ich würde gerne die Silvesterstatistiken der letzten Jahre sehen. Würde gerne überprüfen, ob es sich um ein echtes “mehr Gewalt” handelt, oder um einen Grund “über eine personelle Verstärkung der Polizei sowie eine temporäre Videoüberwachung” zu diskutieren.
Ich möchte eine Auseinandersetzung damit, dass Gewalt – insbesondere sexualisierte Gewalt an Frauen und als “Frauen” (trotz anderer Geschlechtsidentität) benannter Personen – mehr und mehr zu einem gewaltlegitimierendem Grund für Rassismus und andere Formen von Diskriminierung und damit: Gewalt wird, statt zum Anlass sich ganz konkret mit Aufklärungs-, Präventions- , Schutz- und Hilfemaßnahmen für alle Personen gleich auseinander zu setzen.

Hier ein paar Missstände, an denen man sich gleichermaßen abarbeiten kann
– es gibt zu wenig Schutz- und Beratungsstellen für Menschen, die Gewalt erfuhren
– es gibt zu wenig Therapieplätze für Personen, die Gewalt erfuhren und Verarbeitungsprobleme haben
– es gibt zu wenig kultursensible Beratungs- und Hilfsangebote
– es gibt zu wenig gendersensible Hilfs- und Beratungsangebote
– es gibt zu wenig gute und sichere Unterkünfte für geflüchtete Personen
– es gibt eine erbärmliche Rechtslage in Sachen sexualisierter Gewalt
– es gibt erbärmliche Rechtsgrundlagen in Bezug auf alles, was zwischenmenschliche (im Sinne von sozialer) Gewalt angeht
– es gibt zu wenig Menschen, die begreifen, was Rassismus, Sexismus – allgemein Diskriminierung und Gewalt überhaupt ist
– es gibt zu wenig Orte, an denen respektvolles Miteinander für alle gleichermaßen einzuüben ist
– es gibt zu wenig Menschen, die begreifen, dass sie gemeint sind, wenn es um Aufrufe zum angenehmen und inklusivem Miteinander geht

Es gibt so verdammt viel mehr zu tun, als ausgerechnet jetzt seinen Rassismus auf Kosten von Personen, die zu Opfern wurden zu legitimieren!