jetzt

Pfote2 Ich schaue durch die Löcher vor mir.
Die Nacht trage ich durch meinem Rücken, um sie an NakNak*s Körper entlang wandern zu lassen.

Ich liege da und warte auf den Tag.
An meinem Hals zittert ein Tierchen unter meiner Haut.
In meiner Brust kullern Wackersteine zwischen den Muskeln herum.

Der Geruch von verbrannter Haut liegt unter dem Knistern ihrer Asche. Direkt an meinem Ohr.

Ich bin ein waberndes Es, das ist und nicht ist. Ich denke Gefühle und fühle Gedanken einer Zeit, die vergangen ist, als ich den Blick aus dem Käfig wandte.

Ich weiß nicht, ob ich träumte oder erinnerte.

Ich weiß nichts.
Doch ich spüre den sachten Atem meiner Hündin, wie einen Wellengang, der sich an der Linie zwischen meinem Nacken und meinen Oberschenkeln bricht.

Vorsichtig schiebe ich meine kalte Hand hoch und beginne das zitternde Wesen in meinem Hals zu streicheln.
Dass ich Atmen muss, daran erinnern mich ruhige braune Augen, deren Anwesenheit mitten im Irgendwo sein muss.

Also atme ich.
Stoße an meinen Panzer, torkle gegen den Käfig, wecke NakNak*.
Sie schmaucht und öffnet ihre Augen.
Gähnt und rollt sich neu ein.
Legt ihren Kopf auf meinen aufklaffenden Bauch und leckt meine Hand ab.

Ich atme, streichle, sehe durch die Löcher des Käfigs eine feine Morgenröte.

Und ich weiß, dass jetzt alles in Ordnung ist.

Erzähl mal

P1010093Es fiel mir schwer wieder reinzukommen.
Mich zu erinnern, womit ich mich zuletzt befasst hatte; wie der Plan war.

Dann fiel mir ein, dass es gar keinen Plan gegeben hatte.
Die Reise- das Fliegen- das Filmprojekt- die Gemögte, das war wie ein Knoten am Ende des Fadens, den ich in der ganzen Zeit vorher festhalten musste.
Ein „und dann… “ gab es nicht.

Jedenfalls nicht so fest und ohne Option daneben wie das Ende, auf das man sich hier eingelassen hatte.
Vom Himmel zu fallen und so das Böse auf die Erde prasseln zu lassen, erschien klarer und fester, als kindlich zart und empfindsam durchgeschüttelt und überreizt in der Wohnung zu sein und Angst vor dem Leben zu haben. Durch die Tage zu torkeln und als einzig festen Punkt den Hund und das Schreiben zu haben, während sich das Internet und langes Telefonieren wie Abstandsmarker zur echten Panik ausmachen.
In der Therapie zu sitzen und zu denken: „Können sie grad mal aufhören so rumzuwackeln und mich hier einfach mal überhaupt ankommen lassen?“

Irgendwann später am Donnerstag hatte ich es dann klar.
Es ging nicht nur ums Ankommen, zurück in Deutschland; in Hartz 4, wo es eben nicht darum geht, wie „es mir wohl ist“; zurück im Breisumpf auf Zukunfts- und Perspektiv- , Schaffenskraft- und Annäherungsängsten. Es ging auch darum nach etwas zurück zu kommen, das sich wie ein kleines eigenes Universum um uns herum ausgemacht hatte.

Wenn wir Kinder Blödsinn gemacht haben, war klar, dass etwas passiert. Zu dritt standen wir im Flur und jedes Kind wurde einzeln in das Zimmer gerufen. Das Warten vorher und die Gewalt im Zimmer selbst- so etwas passiert einfach. Da gibt es weder vor noch zurück.
Man hat Scheiße gebaut, also muss man dazu stehen. Ganz einfach und klar. Also bleibt man da stehen.

Übertragen aufs Heute war es: Ich/wir habe/n überlegt, was ich/wir beitragen könnte/n, überlegt, was ich/wir davon beitragen will/ wollen, wie ich/wir das anstellen kann/ können und dann zugesagt zu kommen. Also begannen wir die Reise und standen zu unserem Wort.

Doch in dem Moment in dem ich zu etwas stehe, passiert etwas. Damals wie heute, komme ich nicht gleich wieder zurück. Das Gefühl der Entrückung und der Problematik Anschluss an jene Lebenswelten der Menschen, die nicht dabei waren, zu finden, ist die Gleiche. Gewaltuniversum oder Erlebnisuniversum- beides ist völlig anders als der Alltag. Ist ein Knoten im Faden.

In der Nacht zu Donnerstag hatte ich mich an eine Situation erinnert, in der es genau darum ging, so eine Frage nicht zu beantworten. Nicht antworten zu wollen. Selbstbestimmt antworten zu wollen.
In der es um die fest begründete Angst ging, Schmerz zu erfahren, wenn man seinem Willen nachkommt.
Mir wurde noch ein Mal mehr klar, warum es wichtig war, den Reisebericht so aufzuschreiben, wie ich/wir das gemacht haben. Häppchenweise, zeit-räumlich sortiert und nur hier im Blog.
Alles andere im Kontakt mit Menschen, die die Selbstbestimmung im Erzählen und Teilen, schätzen und wahren. Diese Ermächtigung über die eigene Antwort auch als solche erkennen und mich durch ihr nicht wertendes Zuhören in gewisser Weise vor mir selbst schützen.

Mir war ein Unterschied aufgefallen in den Situationen.
In der Einen fragt niemand „Wie wars?“, sondern versucht es stumm an den Geräuschen, die aus dem Zimmer dringen oder aus dem leeren Gesicht des Geschwists, im Moment des aus dem Zimmer Rauskommens, zu lesen; wird aber definitiv erfahren, wie es für ihn selbst sein wird. Die Welt- die Menschen da draußen fragen auch hinterher nicht: „Magst du davon erzählen?“
(Wenn überhaupt wird man dazu BEfragt und auch dann spielen die emotionalen und allgemein ebenso zu verarbeitenden Reize und Empfindungen eine untergeordnete Rolle)
In der Anderen haben wir etwas mit anderen Menschen zusammen erlebt- haben eine Situation gemeinsam gestaltet und er-(ge)- lebt und werden gefragt: „Magst du davon erzählen?“.
Andere Menschen haben von unserer Reise erfahren, weil wir nicht allein waren, weil wir andere Menschen brauchten, um sie erlebbar zu machen. Das fing mit der Hundsitterin an, ging weiter über die Menschen, die wir begleiten und denen wir sagen mussten, dass wir nicht erreichbar sein würden und endete nicht einmal bei den Menschen, die uns in der Nacht des Reisebeginns den Hausflur runterpoltern hörten.

Diese Reise war (über?)fordernd, wenn auch nicht gleich allumfassend zerstörend, wie es Gewaltsituationen waren, was wir in den ersten Tagen über das Aufschreiben der Erlebnisse und das Bemerken, dass wir von ganz alleine grobe Sortierung von „Raum und Zeit“ und „schön/ nicht so schön“, sogar einiger Details schreiben konnten, wahrzunehmen schafften.

Doch dann kam da die Frage; „Wie wars?- Erzähl mal!“, und entpuppte sich als etwas, das sonst immer fehlte.
Früher hats niemand sonst gewusst- also nie gefragt- also wurde auch nie etwas gesagt (unabhängig davon, ob etwas hätte gesagt werden dürfen oder nicht).

Und so gesehen kommt mir diese Welle, die mir aus dem Kopf lief, diese anhaltenden Überforderungsgefühle, diese Unsicherheit und kindliche Zartheit in mir so logisch vor.
Dieses Kind hat nie jemand aufgefordert zu erzählen, was ihm gerade Großes (Überforderndes) passiert ist und plötzlich stehen da Menschen und wissen schon davon und fragen TROTZDEM noch (noch obendrauf auf alles!) wie es denn für UNS war- nicht nur so im groben Ablauf.

Jetzt haben wir viel darüber weinen müssen. Über alles irgendwie. Und wenn ich mich entspanne kommt noch mehr Weinen aus mir raus.
Aber es hilft.

Langsam kann ich wieder die Fäden meines Lebens vor der Reise aufnehmen.
So langsam komme ich wieder rein.

geguckt

Sie stehen vor dem hellgrauen Gebäude und schauen in den Himmel.
„Hümm, also das ja mal ne Nebelsuppe, die heut zu uns serviert is, ne?“, sie dreht sich halb nach innen. Versichert sich mit dem blinden Auge. „Das ist nich so gut zum Fotos machen. Dann sieht das aus wie ne Fischfabrik und nich wie ein Erwachsenenhogwarts.“.
Unter ihrem Gesicht arbeitet es in Richtung Enttäuschungsflunsch.

„Du kannst alles fotografieren, was du willst. Das ist deine Stadtführung, mein Herz.“.
Sie atmet ein und lässt meine Federn wieder los.

„Ist gar keiner da der sagt: „Pfoten weg“. Das ist schön.“, sie schaut sich um, lässt ihre wurzelfeinen Antennen wie Schneckenfühler aus ihrer Stirn wachsen und tastet das Umsieherum ab.
„Hab ja ehwieso gar keine Pfoten, ne? Ich bin ein Mensch mit Händen mit 8 Fingern und 2 Daumen… ne?“, noch ein kurzes Versichern zu mir. Ich nicke bestätigend: „Ja mein Herz, du bist ein Mensch.“ und hoffe, dass unser Gespräch noch ein Stück tiefer als bis hier hin sickert.

Diese Fläche hier ist vergleichsweise tot.
Es gibt Beton, Gras, eine hier offenbar obligatorische Baustelle, ein bisschen umher fliegender Müll und Herbstlaub.
Sie hat Recht. Ohne die Sonne, die gestern so schön schien, kann man die Universität, in der wir in den nächsten Tagen noch öfter sein werden, nicht ins rechte Licht rücken.

„Guck maaaal!“

BielefelderFeder2
Sie macht ein paar Aufnahmen, hält den Finger fest auf dem Auslöser, hat den Mund offen.
Behält die Pfoten bei sich.
Niemals würde sie die Objekte anfassen.

„Eigentlich will ichs ja wieso nicht anfassen. Ist schön so…“.
Ich nehme sie zwischen meine Federn um sie zu beruhigen. Sie hält sich fest, pulst flirrend.

Wir schweigen. Gehen weiter.
Irgendwann ist es kurz vor 16 Uhr. Wir müssen rein, wenn wir etwas lernen wollen.

mit Stein zur Zahnärztin

P1010475Ich war gerade hier in dieser Stadt gelandet, da lernte ich meine Zahnärztin kennen.
Eine der ersten Fragen von ihr war, obs denn nicht wahnsinnig weh täte.
Fast 3 Jahre konnte ich das immer verneinen und ließ sie ohne Betäubungen an und in meinem Kiefer herummachen.

Bis ich ihr dann einmal halb vom Stuhl springen musste, weil ich etwas spürte. Und wie!
Warum auch immer griff die Dissoziation von Schmerz plötzlich nicht mehr und sie durfte mir fortan jedes Mal eine ihrer „zärtlichen Betäubungen“ setzen. Sie sagt wirklich „zärtliche Betäubungen“ und das ist auch richtig gesagt. Ich habe den Einstich noch nie gespürt.

Mein Zahnstatus ist unterirdisch. Das weiß ich genauso, wie sie.
Ich habe kein Zahnarztbonusheft und auch nicht die Ernährungs- und Zahnreinigungsweise, die zu Zahngesundheit beitragen könnte. Niemand kann erwarten mehr Zahn als Loch im Mund zu haben, wenn mehr als 13 Jahre lang Essstörungen, Fremdkörperaversionen und Armut herrschen.

Lange kam ich mir in der Zahnarztpraxis wie eine Patientin letzter Klasse vor, weil ich sogar für kleinste Zuzahlungen um Raten bitten musste. Meine Zahnärztin verwendet kein Amalgam und das finde ich gut.
Mein Geldbeutel hingegen ächzt schwer auf- vor allem, weil nicht nur eine Füllung gebraucht wird, sondern bereits seit Jahren mehrere.
Ich komme zu ihr, wenn ich Schmerzen oder Geld habe. Vorsorge und sonstiger Schnickschnack ist fern ab.

Mir gefällt es bei ihr eigentlich ganz gut.
Dort arbeiten nur Frauen und es angenehm kühl, was mir hilft nicht ins Dissoziieren zu rutschen, wenn sie etwas Schwieriges macht. Außerdem hat sie Kunst mit Donald Duck in den Räumen und seit einigen Jahren eine Hipsterbrille auf der Nase.

Allerdings hat sie einen Liegestuhl und macht manchmal doch Dinge, die weh tun oder so gruselig sind, dass ich schon mal vorsorglich Schmerzen spüre.

Alles das verbindet sie mit Geschwindigkeit und einer Art wenig Worte zu verschwenden. Wenn sie spricht, muss ich keine Füllwörter oder Wiederholungen herausfiltern und wenn sie Untersuchungen macht, macht sie nur die Nötigsten. Einmal Karies dauert nur wenige Minuten und die meiste Zeit davon beansprucht die Betäubung.

Heute war ich wegen meiner vor Monaten verlorenen Wurzelfüllung und Druck im Zahn daneben da.
Wir haben ein reiches Jahr 2013 und ich konnte ihr das auch sagen. Sie freute sich für mich und meine Müdigkeit trat noch mehr in den Hintergrund.
Es machte mir nicht mehr viel aus zu hören, dass der Kurs nun lautet „Wurzelbehandlung und neue Füllungen in beiden Zähnen“. Aber das kurze Ziepen dazu hatte gereicht, um mich aus meiner Imaginationsübung zu reißen und eine andere Bildabfolge vor Augen zu haben.

„Sich einkriegen“ ist das Eine.
„Sich überhaupt erst mal zu kriegen“ (es sind flatternde Rosenblätter von denen ich spreche) eine Andere.

Ich machte ein Zeichen und sie stoppte. Ich bat um etwas zum Festhalten und sie bot ihre Hand an.
Eines dieser komischen Spucktücher hätte ich auch genommen.
Ihre Menschenhand…
Die fasse ich nicht einfach so an.
Ob sie dann einfach meine genommen hatte oder nicht, weiß ich nicht mehr. Ich war dabei mich zu entschuldigen und zu versuchen mein Innenleben und meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, als ich bemerkte, dass ich den Handschuh um ihre Hand spürte.

Meine Zahnärztin ist klein und präzise. Sie wirkt technisch und sachlich.
So deplatziert mein Fastwegdriften wirken kann, so seltsam wirkte es auf mich, dass sie plötzlich so Sachen sagte wie: „Ist ja jetzt vorbei.“ und mich in meine Sicherungsketten aus: „ich bin groß, ich bin stark, ich kann das, ich will das, ich mach das jetzt“ brachte.
Es war dann auch schnell vorbei. Aber, ob das jetzt meinen wundertollen Reorierentierungskünsten lag, oder daran, dass sie mich damit total verwirrt hat, weiß ich nicht.

In den nächsten Wochen werden wir uns öfter sehen.
Vielleicht schaffen wir das Ziel von vor 10 Jahren ja doch irgendwann mal noch: „einmal alle Karies weg und dann ein Bonusheft anfangen“.

Zum Festhalten nehme ich aber in Zukunft doch lieber wieder meinem Stein mit, den ich heute morgen vergessen hatte.

gedachte Morde

12-10-2013Da war so ein Augenblick im Geschäft, in dem es um die Möglichkeit ging Christbaumkugeln durch den Raum zu schmeißen und in den Scherben zu baden. Galgenmenschlein an einen Tannenbaum zu hängen und Köpfe in bunt verkleidete Päckchen zu stecken.
Ein Wechselspiel aus Explosion und planvoller Absurdität, versteckt hinter meiner Stirn.

Das war so ein Moment, in dem ich mich sonst dabei beobachte, wie ich irgendeine schwelende Wunde aufreiße und in ihr grabe, als würde ich einen Schatz finden können. Diesmal sah ich mir beim Ertrinken zu und dachte mit Gift besetzte Gedanken über die Therapie und das Hoffglimmen auf Heilung.
Dachte Worte und Gespräche, dachte Räume und Möglichkeiten und lachte als die
BÄÄÄMs auf mich zugerollt kamen.

Quoll über und blieb zurück mit einem Rest aus „Ich weiß nicht genau. Ich weiß nicht. Ich nicht. Nicht ich.“

Wieder dieses Knäul aus dem ich beim letzten Therapietermin nicht heraus kam. Dem Termin aus dem ich heraus ging, mir selbst einen Darwinaward für Ressourcenverschwendung verlieh und nach dem ich, Stunden später, von einem Fremden auf die Stirn geküsst wurde.
Dem Termin von dem ich gehofft hatte, er würde wie ein Messer auf den Strick um meinen Hals wirken.

Als ich vor den ordentlich gestapelten Christbaumkugeln an meinen gedachten Morden starb, wusste ich, dass es nur Angst war. Nur etwas Altes.
Ein Tod wie jeder andere.
Ich wartete darauf zu erkalten.

Statt dessen die Hand meiner Gemögten in meiner. Warm und fest.
Mich und meinen Leichnam nach Hause bringend.
Ins Trockene.

Dorthin, wo es nicht nötig ist sprechen zu können, um seinen Tod durch Ersticken zu betrauern.

Intrusion, Konstriktion und Skills

Im letzten Blogartikel stehen zwei große Fremdwörter drin, die nicht jedem Menschen direkt sagen, was sie bedeuten: Intrusion und Konstriktion.
Damit mein Blog seinem Türöffnerauftrag nachkommt, versuche ich sie nachfolgend zu erklären.
Hierzu ein kurzer Überblick in klinischer Symptombeschreibung zur Posttraumatischen Belastungsstörung (kurz PTBS)

Es wird eingeteilt in 3 große Kategorien:
1) Überregung
Der Betroffene befindet sich in einer Art innerer Alarmbereitschaft. Das vegetative Nervensystem ist auf „Überleben“ eingestellt und ermöglicht durch vermehrte Produktion von Botenstoffen und auch Hormonen, erhöhter Muskeldurchblutung etc. die Fähigkeit dazu. Die Folgen sind unter Anderem (auch, wenn das Trauma längst vorbei ist) eine enorm sensible Wahrnehmung seiner Umgebung (Hyperviglianz), Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Herzrasen.
Im direkten Traumakontext kann Übererregung solche Episoden wie „der Mann, der vom Ort seines Autounfalls mit offenem Beinbruch die Straße überquert und in den Wald läuft“, bedeuten. Oder auch „die Frau, die mit übermenschlichen Kräften, den Stahlträger anhebt, um ihr Kind darunter hervor zu holen“.
In diesem Zustand kognitive Aufnahmefähigkeiten herabgesetzt. Es ist kein Lernen (auch kein Umlernen!) möglich.

2) Intrusion
Unter Intrusionen versteht man sich ungewollt aufdrängende Erinnerungen, die sich anfühlen, als würden sie  ganz real und genau gleich wieder geschehen. Es gibt die gleiche Haptik, optische Wahrnehmung der Umgebung, genau die gleichen Gefühle (etwa Todesangst, Ohnmacht, Wut etc.). Dies wird kurz mit „Flashback“ benannt. Eine Orientierung in der Gegenwart, sowie den aktuellen Lebensumständen ist in dem Zustand nicht vorhanden, was oftmals die Diagnose der „psychotischen Episoden“ begründet, wenn keine Traumavorgeschichte bekannt ist (oder geglaubt/ anerkannt wird *räusper)

3) Konstriktion
Ist ein anderes Wort für „Vermeidungstanz“ bzw. Vermeidungsverhalten oder Vermeidungsreaktion. Dazu zählt auch die Dissoziation in Form von Derealisation („das hier ist ein Film- nicht echt“) und Depersonalisation („out-of-body-experience“, Schmerzunempfindlichkeit). Aber auch manche eine Zwangsstörung oder Esstörung und sonstige Suchterkrankungen können in diesem Zustand begründet sein.

Ist das Trauma länger her (und unverarbeitet) können traumaassoziierte Trigger (Gegenstände, Geräusche, Gerüche, aber auch Gefühlszustände, die als Katalysator von Erinnerungsprozessen wirken) diese Zustände auslösen. 

In dem Blogartikel kann man das Gleiten in diesen Zustand ganz gut wahrnehmen: „Ich stehe am immer offenen Fenster und starre ins Nichts. Ich merke, dass ich rauche und doch ist es der Anblick meiner Tränen, die auf die Fensterbank fallen, der mich fesselt.“- Innere Leere erzeugt eine Art Unfähigkeit das Haus, auf das ich sonst immer schaue, wenn ich aus dem Fenster gucke, zu sehen. Wenn ich anfange zu dissoziieren- sehe ich dort kein Haus mehr, sondern tatsächlich ein Nichts.
Wenn ich mich noch nicht ganz „wegdissoziiere“, nehme ich noch Teile meines Verhaltens oder auch meiner Umgebung war. Wenn auch unglaublich schwammig und so als würde entweder nicht ich so agieren, oder so, als sei ich nicht wirklich in meinem Körper (etwa um das Fell meines Hundes zu fühlen).

Ich deutete auch an, dass ich dies jederzeit beenden könnte.
Das ist ein Therapiefortschritt. Ich kann mich inzwischen einigermaßen sicher aus diesen Zuständen herausarbeiten.
Ich versuche nun zu beschreiben wie ich das mache.
Zu Beginn merkte ich ein allgemeines Gefühl von Ohnmacht. Ich bin gerade in verschiedene Konflikte involviert, die ich noch nicht lösen kann. Es ist mehr oder weniger typisch für mich, wütend zu sein und auf Stasis im Miteinander mit Gefühlen von Ohnmacht konfrontiert zu sein. Dieses Gefühl triggert traumaassoziierte Erinnerungen an, die ich nicht auf ein mir klares Ereignis zurückführen kann. (Also ich merke: Yeay- da hängt was dran- weiß aber nicht, was genau.)

Ich versuche also mich in andere Zustände zu bringen. 460648_web_R_B_by_Oliver Haja_pixelio.deDafür eignet sich für mich unsere Skill-Liste (auch als „Notfallkoffer“ bekannt). Darauf stehen Dinge wie: mit dem Hund spielen, spazieren gehen, mit Gemögten telefonieren, Computerspiele spielen, Icepak auflegen, diverse Übungen bei denen Muskelgruppen gezielt an- und entspannt werden, das Schreiben im Blog, etwas kochen, etwas bauen, malen, Telefonbücher zerreißen, Altglas in den Container werfen, duschen gehen, Papiere sortieren, handarbeiten.
Es geht dabei nicht um die stumpfe Ausführung dieser Tätigkeiten- nicht um Ablenkung, sondern ums Wachwerden- wieder ganz da sein- wieder in einen normalen Erregungszustand kommen.

Ich habe diese Skills lange „falsch“ angewendet, weil ich es als hilfreich empfand eine Liste abzuarbeiten. Aber das war der -ich sag mal- „positive Fehler“. So komme ich zwar in einen funktionalen Zustand, doch bin noch lange nicht klar in der Gegenwart verankert. In diesem Zustand „bin ich meine Tätigkeit“- nicht: „Ich bin mit einem Alter, in meiner Wohnung, im Jahr 2013 hier und mache Tätigkeit XY.“

Letzteres ist aber das Ziel.
Also begleite ich diese Tätigkeiten mit einer Art rationalem Mantra:
So, ich werde jetzt den Laptop anmachen- Ach guck das Bild von NakNak*- mein Passwort gebe ich ein, indem diese, diese, diese … Taste drücke, mein Desktopbild ist ein Schwan mit kleinen plüschigen Küken auf dem Rücken- Ach ja, diese innere Kraftquelle habe ich- kann ich sie spüren?- Ja, da ist sie- sie gibt mir ein Gefühl nicht verlassen zu sein- Ich öffne das Programm mit einem Klick auf dieses Symbol. Ich schreibe und verwende dieses und jenes Wort dafür. Ich stehe auf und gehe an den Kühlschrank, öffne die Tür indem ich sie anfasse und leicht ziehe. Trinke jetzt einen Schluck kalten Saft- er schmeckt nach … ist kalt und säuerlich. „Wie wird Saft eigentlich hergestellt? Was bedeutet „Konzentrat“? Uh ja Konzentration- ein gutes Ding zum Herausfinden!“. Ich schließe die Safttüte indem ich sie festhalte und den Deckel draufschraube, stelle sie in die Seitentür des Kühlschranks und schließe ihn, indem ich sie leicht andrücke. Ich mache einen Schritt- versuche mal einen Schritt auf Zehenspitzen, schicke meinen Blogartikel jetzt ins Internet. Coole Sache, dieses Internet. Wie fühle ich mich gerade? Immer noch etwas diffus- Zeitcheck mit einem Klick auf die Weltuhr. Datum stimmt mit meinem Gefühl überein- immerhin. Also jetzt- wie kommt es zu Saftkonzentraten…

So habe ich die Nacht bis etwa halb 5 Uhr morgens verbracht, bis ich wieder „klar war“ und schlafen gehen konnte. Konstriktion und Orientierung in Zeit und Raum.

Ich konnte ein als real und direkt empfundenes Wiedererleben eines Traumas verhindern und mich in ein mittleres Erregungslevel bringen.
Etwa 5 Jahre habe ich gebraucht, um den Trigger als solchen wahrzunehmen und ungefähr 3 Jahre, bis ich dieses Verhalten in solchen Situationen etablieren konnte. Dabei half mir ein Protokoll, das ich erst zusammen mit meinen Gemögten geführt habe, weil ich zu stark dissoziiert habe, um Ursache und Wirkung zu abstrahieren und dann später allein führte. Es beinhaltet die Punkte: Welches Ereignis/ Gefühl oder welche Aktivität war vor dem Flashback? Was half diesen Zustand zu beenden?

Meine Erfolgsquote der Orientierung steigt, je sicherer mein soziales Netz und meine ökomonischen Ressourcen ist. Habe ich an allen Ecken und Enden Konflikte, Existenzängste und ein (selbst-) unsicheres Grundgefühl, sinkt sie.
Es hilft mir nicht zu wissen, dass es mir helfen würde Altglas in den Container zu schmeißen, wenn ich kein Geld für Produkte im Glas habe. Genauso wenig, wie es mir hilft zu wissen, dass es mir helfen würde mit Gemögten zu telefonieren, wenn ich keine habe.

Will heißen: Skills sind nicht alles, um mit den Symptomen einer PTBS zurecht zu kommen. Es braucht Kenntnis über die Trigger und die gesicherten Möglichkeiten sie anwenden zu können- und zwar immer- egal zu welchem Zeitpunkt.

von Watte, Aquarien, Filmen und dem Nichts-Sein

Manchmal ist es wie eine weiche weiße Watte aus Nichts, die mich umfasst und unberührbar macht.
Leicht, weich, un(an)greifbar, schmerzfrei- sowohl seelisch als auch körperlich.
Dies gibt es in furchtbar und wunderbar.

Sie ist wunderbar und fast erlösend, wenn die Angst einen Punkt erreicht an dem ich schrumpfe. Mein Körper wie schmelzendes Plastik an mir herunter fließt und eine Begegnung mit dem kindlichen Innen, die mich sterben lassen könnte, droht.
Diese weiche Watte macht mich frei, Worte besonders schön sortieren zu lassen; Farben und Kunstbestandteile noch gezielter aufzubringen und darzustellen, was gesehen wird.
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Aus dieser Watte heraus ist alles okay.
Es ist ein bisschen, wie betrunken sein. Nur nicht so angestrengt.

Furchtbar ist es aber, im Aquarium zu stecken. Ein Aquarium, das dicht an dicht vollgestopft  mit Watte und Nebel ist. In dem es heiß ist und man schwitzt- das Glas von innen beschlägt, noch während alles gefriert und nichts wahrnehmbar ist, außer das dumpfe Geräuschmurmeln von weit her. Diese Eiswatte presst einem ein Nichts in den Kopf, in die Glieder in jede Pore- jede Öffnung. Es ist ein Druck, der sowohl zusammenpresst, als auch auseinanderplatzen lässt.

Dann ist man nicht mehr. Man ist nichts. Ein Nichts. Ganz und gar Nichts.
Manchmal wunderbar erlösend. Die Rettung.
Manchmal furchtbar quälend. Wie ein Gespräch mit dem Tod unter 4 Augen.

Manchmal ist es wie ein Film.
Das Leben einer Anderen.
Mal eine leichte Komödie und mal ein Horrorfilm.
Und obwohl man selbst der Schauspieler ist, sind weder Text, noch Skript, noch der Versuch eine Pause einzufordern eine wirkliche Handlungsoption.
In diesem Film liegt nichts in meiner Hand- obwohl ich ihn gerade selbst produziere, anschaue, weiß, dass mir das hier irgendwie alles nicht real erscheint. In der wunderbaren Variante sitzt mir die spitzzüngig- Gewiefte auf der Schulter und fragt, wo denn nun der Keks ist, an dem ich mich satt trinken kann, um Regenbögen zu kotzen. Es erscheint mir alles so leicht und einfach, dass ich über alles drüber hopse. Im Bocksprung, mit einem Lächeln. „Ach- ich brauche dich nicht wahrnehmen- du, ich- alles hier, ist nicht real. Küss meine Stirn und lass Blumen drauf wachsen.“

In der furchtbaren Variante sitze ich vor einem Menschen und schreie, hinter meinem Lächeln, um mein Leben und alles was kommt, ist ein blöder Witz, der so absurd erscheint, dass ein Erdbeben, angekündigt von durch die Altstadt rennenden Einhörnern, nur logisch wäre. Ich baumle in einem Käfig von der Decke meines Verstandes und bin gefangen in der ersten Reihe meines Lebensfilms.

Allem ist eines gemein:
Ich bin starr und stumm. Gar nicht da und doch hinein, halbdran oben drüber schwebend dazu genäht.
Es ist, als sei mein Sein Schrödingers Katze und mein Körper, die Kiste, in der die Kapsel Zyankali liegt.
Jeder Ausdruck wird bewahrt und bricht heraus, wenn sich die Watte lichtet, das Aquarium geplatzt, der Film (an)gerissen ist oder die Kiste aufgeschnitten wurde- die Katze heraus schlüpfen und sich befreien konnte.

Ich weiß, dass man es Depersonalisation und Derealisation nennt. Dass es dissoziative Phänomene sind. Dass Trennung für mich auf einer Ebene mit dem Gefühl zu sterben steht.
Und doch, hasse ich diese stumme Starre. Dieses Totsein und und immer wieder neu das Gefühl gerade überlebt zu haben. Diese gefühlte Notwendigkeit mich mit einer Schaffensexplosion im Nachhinein für das Weiterleben- dürfen bedanken zu müssen.

Wohlwissend, dass ich im Moment noch nichts habe, das mir das Erleben diese Phänomene komplett erspart.
Wissend, dass ich nie weiß, ob das langsam enger werdende Sichtfeld nun die wunderbare oder furchtbare Variante vom Totnichts und Nichttotsein ankündigt. Wissend, dass ich vorerst nie meine Reorienterungsliste vergessen darf.

Denn für mich ist es Watte oder ein Film. Für ein anderes Innen ist es Zeit, die es in meinem Leben verbringt. Manchmal ganz wunderbar und manchmal ganz furchtbar.

die Tür

„Hey ihr, wie schön, dass ihr wieder da seid!“, sie lächelt und unterdrückt den Impuls uns zu umarmen.
„Was soll ich machen?“. Die Kinderstimme ist sachlich, das Gesicht starr.
„Du musst gar nichts machen.“, sie lächelt, tritt schräg einen Schritt zurück von der Wohnungstür und gibt so den Fluchtweg frei. Ihr Blick geht seitlich am Kopf vorbei. „
Weißt du, wer ich bin?“.

Das Kind antwortet nicht, starrt weiter stumpf auf das Gesicht unserer Gemögten, die uns den Sonntag mit etwas Gemeinschaft erleichtern möchte. „Ich bin die A. Ich besuche euch heute, damit ihr euch ein bisschen besser fühlen könnt. Und weil ich gerne hören möchte, was ihr so alles erlebt habt auf eurer Reise. Keiner von euch muss etwas machen. Ihr dürft alles sagen, was ihr möchtet und alles machen, was ihr möchtet.“286840_web_R_K_B_by_Daniela Berghold_pixelio.de

In den Ohren des Kindes schreit es jaulend auf. Verwirrung flimmert hinter seinen Augen. Es beginnt leicht zu zittern. „Jetzt weißt du gar nicht so richtig was los ist, ne? Das ist okay. Ich setz mich hier einfach auf die Treppe und wenn ihr möchtet, dass ich lieber morgen wiederkomme, ist das auch gut.“. Sie legt ihre Tasche auf den Boden und setzt sich. Guckt aus dem Dachfenster und umfasst ihre Knie.

„Siehst du mein Herz? Heute ist es anders. Ganz anders. Die A. ist eine Gemögte von den Frontgängern. Da musst du wirklich nichts machen.“, ich raune es leise an ihr Ohr und lasse das schreiende kleine Herz hinter ihr auf meinen Rücken kriechen, versuche das Kind sachte zu umfassen, damit die Anderen von A.´s Ankunft erfahren können. Es zuckt zusammen und stirbt mir unter meiner Berührung weg.

Jemand geht zum Kühlschrank, hält sich ein Paket Eis an den Hals und konserviert so das ausgehauchte Kinderinnen erneut.

A. schaut von ihrem Treppenplatz aus, in die Küche und fragt, ob es geht. Ob sie eintreten darf oder lieber morgen nochmal kommen soll. Die Augen füllen sich mit Tränen, im Innen schießt die heiße Gischt des dunkelbunten BÄÄÄMimperiums hin und her. Es ist unmöglich eine Entscheidung zu treffen. Schon die Verabredung war ein Fehler, die Anwesenheit der Gemögten eine Katastrophe, der Wunsch nach Gemeinschaft ein Kapitalverbrechen.

Sie nickt stumm, steht auf, nimmt ihre Tasche und winkt uns zu.
„Ich rufe morgen früh an.“. Das Klacken der Haustür, unterbricht den Hall ihrer Schritte hinunter.

Mit dem Schließen der Wohnungstür, öffnet sich eine innere Tür, die wir lieber zugemauert hätten.

Heute ist Heute

Die dichte feuchte Wärme liegt, wie ein dicker Mantel auf ihrem Sein.
Die Zeiten rauschen um sie herum und irgendwo in ihrem Kopf schreit es verzweifelt ins Leere.

NakNak* hopst um sie herum, rempelt und stupst die Oberschenkel eines Körpers an, der irgendwo meterweit hinter ihr her über den Boden schleift.

Vogelzwitschern dringt gedämpft aus einer fernen Welt um sie herum, ab und an sacht streichend um ihr Gehör.

Kleine Hände befreien ihre Füße von den Schuhen. Ziehen die Strumpfhose von den Beinen.

Es ist ein Bachlauf im Wald. P5190130
Flach, steinig, eiskalt und doch so wunderbar.

Hier
Jetzt
Echt
Körperlich
Wahr

und so herrlich real.

Das Schreien verebbt, verschwindet wieder in den weißen weichen Tiefen des Schwans.
„Heute ist heute?“
– „Ja mein Herz, heute ist heute.“

täter?- KONTAKT! Teil 1

Immer wieder kommen Menschen mit Suchanfragen bezüglich des Themas „Täterkontakte“ auf diesen Blog.
Ja- phu- was für ein Thema- natürlich unglaublich wichtig und eigentlich dauerpräsent.
Natürlich möchte ich dem angemessen begegnen, breche hier dann aber gleich zu Beginn einfach mal ab.

Nein- wir reden jetzt mal nicht über TÄTER(kontakte), sondern über KONTAKTE.

Über die Täter wissen wir schon richtig viel und täglich wird es mehr.
Doch die Einsamkeit der Opfer bleibt unbenannt und das ist etwas, das unter Umständen tödlich ist. Im Gegensatz zur Gewalt, die sie vorher überlebten und oft noch eine ganze Weile überleben, wenn es um organisierte oder auch Partnerschaftsgewalt geht.

Es war eine der bittersten Erkenntnisse die wir im Verlauf unseres „Ausstiegs“ (den ich im weiteren Text lieber „Abkehr“ nennen möchte- da wir niemals einen „Einstieg“ hatten, sondern hineingeboren wurden) hatten:
Gewalt ist überlebbar– auch wenn es sie sich nie so angefühlt haben kann. Immer gefühlt endlos dauerte und immer weiteren Schaden in uns verursachte.
„Wir sind fähig grausame Qualen zu erfahren und am nächsten Tag wieder zur Schule zu gehen, unsere Betreuer und nahe stehenden Menschen im Glauben zu wiegen, es gäbe keine Täterkontakte.“

Zwischen dieser Erkenntnis und der Kraft sich tatsächlich direkt zu verweigern, lagen bei uns etwa 3 Jahre.
Wir hatten in der Zeit ein Kontingent von über 20 Fachleistungsstunden pro Woche im Rahmen der ambulanten Jugendhilfe, eine ambulante Psychotherapeutin, eine Psychiaterin, einen Hausarzt und eine Klinik mit Schwerpunkt auf der Behandlung von Traumafolgestörungen in der Stadt, die wir zur Intervalltherapie aufsuchten.
Doch keinen einzigen Menschen, dem es rein um uns ging. Und obendrauf, waren wir nach unserer Odyssee der Unzuverlässigkeiten nicht einmal mehr in der Lage uns auf Menschen in helfender Position in irgendeiner Form einzulassen, die mehr verlangte als das was vertraglich/ gesetzlich vorgeschrieben war.

Wenn uns unsere Betreuerin begegnete, haben wir über den Alltag gesprochen, der übrigens nie ein Problem war. Man musste uns nicht beibringen wie wichtig Hygiene und Ordnung, Zuverlässigkeit oder Ehrlichkeit ist.
In der Psychotherapie ging es um „Stabilisieren, was stabilisierbar ist“. (Dies ist zumindest das Fazit heute)
Der Hausarzt klatschte noch bei einem BMI von 17 Applaus und hat bis heute keinen Zugang zu den auch körperlichen Folgen von (Psycho)Traumata- doch um einen anderen zu suchen gibt es noch zu viele Hürden.
Die Psychiaterin verschrieb weiter und weiter Antidepressiva, Benzodiazepine und Neuroleptika.
Nur in der Tagesklinik hatten wir die Chance eine Basis aufzubauen, die es uns in kleinen Schritten ermöglicht hatte eine unserer ersten Verbündeten in unser Leben zu lassen und überhaupt das kleine Fünkchen Resilienz, dass uns knapp 6 Jahre vorher hatte räumlich flüchten lassen, zu hüten und wachsen zu lassen.

Doch wir waren so erst mal unglaublich einsam. Gingen an die Abendschule und versuchten den Normen einer Welt zu entsprechen, die uns verboten war (und nachwievor ist) und kauten uns durch eine Zeit, die absolut bis in die Grundfesten gespalten war; trafen Menschen und enttrafen sie wieder. Was wussten sie denn schon?
Mit Anfang 20 hat kaum jemand so eine Geschichte hinter sich und weiß obendrein noch, dass das was er da gerade erlebt, wahrnimmt und durchmacht so weit außerhalb der Norm liegt, dass selbst jene, die sich mit Extremen befassen, einander darüber in die Haare bekommen.
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Und dann kam da dieser Mensch.
Laut in jeder Hinsicht, mutig, resilient, mitten im Leben und einer zauberhaften Attitüde auf uns zu. Begann Gespräche, diskutierte und debattierte mit uns. Über Monate hinweg kam da stetig jemand auf uns zu, war an uns interessiert, ohne uns „haben zu wollen“. Nicht wir haben den Kontakt eingefordert, sondern dieser Mensch und trotzdem war alles anders, als mit den ganzen Menschen die wir vorher trafen.

Da ging es nicht um Geld, Verantwortung, Zwang oder Ziele.
Da ging es um das Leben und Gemeinsamkeit.
Plötzlich sprach jemand für uns- nicht: statt uns. Sorgte sich um und für uns. Einfach so, weil er sich dafür entschieden hatte.

Über diese Tatsache sind wir dann erst einmal gepflegt zerfleddert. An so eine Beziehung waren wir nicht angepasst- hatten noch nicht eingeübt, wie man ohne Selbstabgabe, ohne den Preis des Schmerzes oder die Notwendigkeit des Verschweigens so einen Schatz bewahrt und mit ihm umgeht.
Bei gemeinsamen Aktivitäten tauchten nach und nach Innens auf, in der Erwartung genommen zu werden- nicht damit rechnend schlichte An-nahme zu erfahren.

Das war wiederum eine Situation, die für diesen Menschen schwierig war. Doch- oh wow! Nein- er ging nicht weg! Er holte sich Unterstützung- doch nicht etwa in einem schlauen Buch allein oder von der Profiseite, sondern von einem Menschen, der ebenfalls multipel ist und machte uns mit ihm bekannt. So trat also der nächste Mensch in unser Leben, der ähnlich verbündet mit uns wurde. (Und übrigens auch „unser erster anderer Multi“- hatte auch was, zu sehen, dass es irgendwie doch ganz normal nach außen aussieht, Viele zu sein…)

Unsere Verbündeten und wir. Ein Bündnis. Eine Ver- Bindung.
Die erste nicht von Machtausübung dominierte Beziehung in unseren 20 jährigen Leben.

Während des Folgejahres wurden wir Stück für Stück unzuverlässig für die Täter. Nicht mehr jeder Zettel in unserem Briefkasten, nicht mehr jedes Angesprochen werden auf dem Weg zur Schule, nicht mehr jedes Klingeln des Telefons wurde beantwortet. Wo wir uns aufhielten und was wir machten, konnten wir nicht verstecken. Wir hatten keine Chance uns bürokratisch zu befreien, obwohl wir es durchgängig mit jedem Antrag der ambulanten Hilfen versuchten und so ziemlich jeden juristischen Hebel durchexerzierten. Der Gesetzgeber schützt die Kernfamilie. Auch die Kernfamilie die ihre Mitglieder zerstört.
Solange keine Strafanzeige gestellt wird und eine Gefährdung eindeutig nachgewiesen werden kann (und das konnte sie eben nicht) gibt es keinen Schutz vom Staat.

Zwei Mal wurde in unsere Wohnung eingebrochen. Einmal stand mitten in der Nacht ein fremder Mensch in unserer Wohnung. Was dort geschehen ist, wissen wir bis heute nicht genau.
3 Wochen später (!) half uns die Betreuung das Schloss auszutauschen.
Dort wir kehrten nicht wieder dorthin zurück.

Die Schutzmöglichkeiten, die sich nun boten, waren ein Witz. Die Notfallausweichwohnung der Betreuung war eine vom Vorbewohner verwüstete Antibiotikazuchtstation in der gerade mal noch unsere Haustiere zum Übergang bleiben konnten. Als Alternative gab es einen Platz in einer Wohngruppe oder die Psychiatrie.
So an die Wand gedrückt, haben wir es dann gewagt und das Angebot angenommen, bei dem mit uns verbündeten Menschen unterzukommen.

Es folgte noch ein Täterkontakt, der in einer kurzen Prügelei und einem deutlichen NEIN endete.
Da wo wir nun lebten, waren wir sicher, das wussten wir.
Nicht weil es doppelt- und dreifach verriegelbare Türen, Panzerglas und keinen Kontakt zu Außenwelt gab oder weil es soviel Bewusstsein über die Täterstrukturen gab oder ein konkretes Wissen darum, was uns wo wie und durch wen angetan werden könnte, sondern, weil es jetzt definitiv jemand bemerken würde, wenn wir plötzlich nicht mehr da sind.
Wir wussten, dass dieser mutige Mensch keine Hemmungen hätte, beim leisesten Verdacht die Polizei anzurufen und zur Not zu erstreiten, dass diese sich zu uns in die Wohnung bewegt. Dass dieser Mensch gegenüber den so verletzten Innenkindern ein so großes Schutz- und „Behüt“-Bedürfnis hat, dass er sich in jedem Fall an unsere Seite stellen würde, um uns daran zu hindern von uns aus Kontakt aufzunehmen oder uns oder ihm etwas anzutun.

Und dann kamen die Dränge.
Erst der Drang zu gehen, Besuche zu machen. Dann der Drang zu sterben. Dann die große Depression, die mit unsäglichen Schmerzen einher ging. Dann die Flashbacks. Dann die Panik. Dann die inneren Zeitverschiebungen. Dann der letzte Überfall. Dann der Drang sich zu entschuldigen. Dann die ersten Krampfanfälle (die sich übrigens als seltene Nebenwirkung eines Medikamentes herausstellten, das wir in der Zeit anfingen zu nehmen). Und dann der kalte Entzug der Benzodiazepine, weil uns sonst die Sanitäter nicht mehr helfen konnten, wenn der Krampfanfall nicht anders als mit Medikamenten unterbrochen werden konnte.
Dann die inneren Tenöre. Dann der Hass nach Außen. Dann wieder die Depression. Dann wieder die Angst. Dann die Trauer. Dann die Wut. Dann wieder die Angst. Geschlafen haben wir in der Zeit so gut wie gar nicht (wenn dann eben durch Medikamente).

Und dann… nach etwa 3- 4 Monaten: Sonnenbrand.
Vogelzwitschern. Kinder im Hof. Kein Schuldgefühl beim Griff nach einem Lebensmittel. Erster Galgenhumor über einzelne Situationen der letzten Monate. Die Katze auf dem Bauch deren Schnurren den eiskalten Klumpen im Bauch antaute. Mehr Aktivität als das Liegen auf der weißen Couchwolke. Eine neue Wohnung in Aussicht und Pläne diese einzurichten.
Ohne an uns zu zweifeln, suchte der Mensch erst Pia und dann Mia mit uns aus. Zwei wunderbare kleine Katzenseelchen, die uns erfreuten, Sorgen umlenkten, strukturierten, eingrenzten und doch über uns hinaus wachsen ließen.
Ein Neustart.


Wir haben nie wieder Gewalt durch Täter ertragen müssen.
Obwohl es nachwievor „Täterkontakte“ gab. Die bürokratische Zwinge konnten wir nicht aufbrechen und durch viele Datenschutzlücken und auch Nachlässigkeiten unserer Betreuer (bzw. jetzt der Menschen in den Ämtern, von denen wir abhängig sind), waren (und sind wir nachwievor) gefährdet.

Doch wir sind sicher, denn wir haben KONTAKT hergestellt.
Nicht nur zu (inzwischen vielen) Verbündeten, Gemögten und HelferInnen, sondern auch zu unserem Resilienzfünkchen und der Welt die so schön- wenngleich so verboten ist.

Fortsetzung folgt


P.S. Es gibt bereits einen Artikel der sich mit dem Thema befasst. Doch die Häufigkeit der Suchanfragen, rechtfertigt für mich ein häufigeres Aufgreifen, auch weil ältere Beiträge gezielt gesucht werden müssen.