Tage mit Rettungsauftrag

Tage, wie heute sind „zu rettende Tage“. Tage mit Rettungsauftrag. Tage, die kaputt beginnen und nur durch Routinen oder Elemente dieser Routinen zu etwas „zu rettendem“ werden, damit sie zu etwas werden, das wir gelebt haben.

Der heutige Tag ist nicht durch irgendwas bestimmtes „zu rettend“ geworden. Es war einfach schon alles falsch, als ich vom Wecker aus einem komatösen fast 10 Stunden-Schlaf gerissen wurde und mich fühlte, als wäre mein Gehirn ein ausgetrockneter Schwamm, der von innen am Schädelknochen entlang reibt.
Ab dem Moment wusste ich, dass es ein Tag wird, an dem es darum geht, ihn als gelebt abzuspeichern und extrem darauf zu achten, welche Trigger was wann in welchen Ecken von uns machen. Gerade jetzt.
Und ab dem Moment wusste ich schon, dass wir in den nächsten Stunden zunehmende Schmerzen haben werden, überreizen werden und dennoch durchhalten müssen. Weil unsere Lage im Moment keine ist, in der wir nach unseren Kräften gehen können. Wir müssen nach Deadlines und Abläufen gehen, denen es scheißegal ist, wie viel Kraft wir für sie haben.

Dabei ist dann im Krisen- oder Ankergespräch später immer wieder die Frage: “Wie kann ich Ihnen helfen?” oder “Was könnte denn jetzt helfen?” vor der wir (gerade an „zu rettenden Tagen“) stehen und denken: Is doch egal, was jetzt „helfen“ kann – a) was heißt “was” und b) was heißt “kann” (und c) helfen! –PH! Nix! Gar nix! Niemals! Je! Irgendwas!) – Hauptsache irgend___was passiert und hilft dann auch wirklich.
Es ist das kindliche ABERJETZTSCHNELLSOFORTGLEICHMITOHNEABERHÄTTEWÜRDEWENNPLANUNG – JETZTJETZTJETZT like: JETZTSOFORT!!!!!! in Kombination mit einem Egoding, neben dem Gefühl sowieso keinen Überblick zu haben und keine Priorität einordnen zu können, neben dem Wunsch einfach irgendwie ein großes Stopp in die Vorgänge zu halten und ausruhen zu können.

Vorhin habe ich ein Video gesehen, das meiner Wahrnehmung von heute ziemlich nah kommt (Wir sehen nicht so verwackelt wie in dem Film umgesetzt, sondern immer eher so als wäre die Umgebung eine durcheinanderwirbelnde Schachtel Puzzleteile – also viele Details, aber nie ganze Räume oder Personen)

Aufgewacht bin ich um 7:30 Uhr mit einem Wahrnehmen wie ab 0:42 – heulend auseinandergebröselt, bin ich aber erst gegen 15:50 Uhr – nach 4 Straßenbahnfahrten, einmal Tierarzt plus Geldsorgen und Familienkontaktwunschgegensteuern, intensiv arbeiten an Stiftungsschreiben, intensiv arbeiten in einer ungewohnten/fremden Arbeitsumgebung mit ungewohnten/fremden Umgebungsgeräuschen (die zwei Baustellen, eine Hauptstraße mit Straßenbahn und Passanten enthielt), eine neue Person kennenlernen, fremdes Frühstück essen und dem Versuch mich mit meinen Gefühlen und meinem Wahrnehmen (ab 0:53 bis 1:18) verständlich auszudrücken (und nicht zu schreien, mir absichtlich weh zu tun oder sonst irgendwas lautes bzw. überintensives zu tun).
Die 11 Sekunden zwischen 0:42 und 0:53 waren im Grunde unser Tag von „Aufwachen“ bis „dem Begleitermenschen am Telefon vollheulen und sich die Kopfhaut reiben bis aufkratzen“.

Letztes Jahr um diese Zeit wusste noch nicht, was ein Overload ist und erst Recht nicht, dass es um Überforderung und Überreizung geht und nicht darum, dass ich mich einfach anders fokussieren muss.
Ich wusste nicht, dass es in echt ein Zuviel geben kann, das nicht viel mit dem zu tun hat, was andere Menschen auch wahrnehmen und merken und wissen. Vielleicht sogar nachfühlen können, wenn sie sich das vorstellen, sondern um ein Zuviel, das nur wir merken, weil nur wir die Welt so wahrnehmen, wie wir sie wahrnehmen, weil wir eben so wahrnehmen, wie wir wahrnehmen.

Was in dem Video ein zunehmend dunkler Hintergrund ist, ist bei uns mal ein weißer Nebel (Dissoziation, die zu Wechseln führt und eine dissoziative Amnesie, aber auch Fugue-Erfahrungen und Krampfanfälle für mich bedeutet), mal ein milchiger Schleier (dissoziatives Erleben im Sinne von Depersonalisation oder Derealisation), als aber auch so ein dunkles Loch (wo dann nichts mehr geht – weder sprechen, noch denken, noch orientieren, noch sitzen, noch laufen – dann brauchen wir unseren dunklen engen Käfig und eine ganze Weile ganz viel Nichts).

An vielen „zu rettenden Tagen“ verlasse ich mich darauf, dass wir einfach alles wegdissen. Dass wir funktionieren, weil wir funktionieren müssen. Und zwar einfach manchmal wirklich müssen, weil ausruhen, Pause, Stopp, langsam und Schritt und für Schritt zu viel Zeit frisst und wir nach wie vor nicht immer und überall hingeben können: „Ich kann gerade nicht, weil ich nicht kann.“
Und: weil wir weder einfach delegieren können, noch wollen.

Wir haben an wenig Dingen ein Egoding dran.
Aber Dinge, die wir wollen (weil wir sie brauchen oder von denen wir den Eindruck haben, dass sie uns helfen können) machen wir alleine. Weil wir das können. Weil wir schon viele Dinge geschafft haben und ja: Dinge, vor denen andere Menschen abkacken, weil sie nicht die Fähigkeiten dazu haben, sie zu schaffen.
Ja, da ist ein Vergleich und ja, da ist ein: “Wir können etwas sehr sehr gut, das andere nicht können” und ja: da ist ein Egoding dran. Kein Überlebensstolz, aber ein Fähigkeitenstolz.
Ein Fähigkeitenstolz, den wir uns auch klemmen könnten, weil sich funktional zu dissen keine wirklich trainierbare Fähigkeit wie gute Manieren oder ein Handwerk ist, sondern das Ergebnis von Gewalterfahrungen, die uns auch ganz greifbar und konkret das Leben hätten kosten können – aber er ist da und er erfüllt einen Zweck nur für uns allein. Nämlich den, sich durch Tage wie den heutigen zu bringen und daran auch noch etwas Gutes zu finden.

Unsere Gemögten und der Begleitermensch und ganz viele andere Menschen, möchten uns immer wieder so gerne helfen. Fragen, was sie tun können oder sagen uns, dass sie gerne helfen würden, aber nicht können.
Und wir schwanken jedes Mal zwischen: “Ja, okay dann hilf mir ABERJETZTSCHNELLSOFORTGLEICHMITOHNEABERHÄTTEWÜRDEWENNPLANUNG-JETZTJETZTJETZTlike: JETZTSOFORT!!!!!!” und “Ph, ich krieg das schon hin. Ich hab ja schon Dinger geschafft…” und “Ja, ich weiß ja auch nicht oben unten Zeit Raum schwalla la la la la ach ja…”
Und in aller Regel schlängeln wir uns aus den Angeboten raus oder nehmen sie an und kriegen kein Gleichgewicht mehr hin. Können Schulden nicht (schnell oder wie geplant) zurückzahlen, können nicht so viel emotionalen Saft reingeben, wie es der Umgang mit uns erfordert, können nicht die Freuden schenken, die wir schenken wollen würden, fangen an den Kontakt zu zerstören, weil anfangen uns zu überanstrengen möglichst keine Konflikte oder Reibungsflächen aufzumachen.

Alles alleine zu schaffen schützt uns vor diesem Dilemma. Und fühlt sich nachträglich auch noch super an. Irgendwann.
Jahre später, wenn man zurückblickt und denkt: “Alter, wasn krasser Scheiß – Ausstieg während Abendschule und Therapie – krasse Leistung!”. Ich ziehe daraus den Gedanken: “Ja, dann schaffe ich das jetzt hier auch.” und impliziere damit auch: “Ich schaffe das genauso alleine wie damals, als wir alles alleine bzw. fast alleine und immer einfach auf gut Glück ohne Netz und doppelten Boden machen mussten, weil es anders nicht ging. Ganz klar und konkret, ohne eventuell vielleicht hätte würde wenn man könnte … nicht anders ging, als alleine, funktional gedisst und über alle Grenzen und Maßen hinaus auch leidend.

Damals hatten wir kaum Gespür für uns als uns. Hatten kein Gefühl für Grenzen und es ging über Jahre darum zu merken, wann das Stresslevel so hoch war, dass wir gedisst haben und mit welchen Strategien wir versucht haben, etwas dagegen zu tun.
Jetzt geht es darum zu merken, warum wir dissen und welche Strategien ein nice try, aber sinnloser Bullshit sind.

Und die Konsequenzen daraus.
Und die fressen mein Egoding. Aber das sollen sie doch nicht machen. Ich mag es nicht, wenn logische Konsequenzen meine Egodinger aufessen. Ich hab nicht viele davon, deshalb verwechsle ich sie auch manchmal mit Würdedingern, die man gesellschaftlich akzeptiert auch mal harsch verteidigen darf. Weil unantastbare Würde und so.

Daneben ist es aber auch so, dass wir immer wieder die “bedürftige Hannah” sind. Entweder die “bedürftige Hannah, die aber nicht jammert, sondern macht und kämpft” oder die “bedürftige Hannah, die ja einfach nur mehr XY und weniger AB machen müsste, damit…” oder die “bedürftige Hannah, die ein Mahnmal dafür ist, wie gut man es doch selbst hat” oder die “bedürftige Hannah, die so wahnsinnig inspirierend ist, in ihrem Kämpfen um den eigenen Weg”.

Wir sind selten die Hannah, die ganz sicher sein kann, dass alles okay ist und bleibt, wenn sie hunderttausend Dinge nicht mehr macht, weil sie ernst nimmt, wie sehr sie sich damit auch quält.
Oder die Hannah, die nichts (vor allem keine existenziellen Notlagen) zu befürchten hat, wenn sie im eigenen Tempo, im eigenen Level tut, was zu tun ist.
Und wir wissen, wie wenig wir in dieser Gesellschaft eine “kompetente, ernstzunehmende, professionelle, im Leben stehende Hannah” sein können, wenn wir Menschen brauchen, die uns  sagen: “Du bist erschöpft – tu jetzt, was dir gut tut, anstatt zu tun, was du tun musst.” oder “Du quälst dich (andere Innens), weil du (für sie) ein Wiedererleben traumatischer Situationen erzwingst – mach eine Pause.”, weil wir es sonst nicht merken oder merken  und:  “Aber trotzdem! Aber will, weil brauch und dafür wollen sollen muss!” rufen und mit dem Kopf durch die Wand und die Wände hinter ihr wollen.

Es geht an „zu rettenden Tagen“ manchmal auch darum, dass wir merken, dass wir sie retten können.
Dass wir nicht schaffen, was uns üblicherweise (durch Routinen, Tagesplan und bestimmte Inseln des Ist) darin versichert, dass ein Tag ist und war und von uns mit_gestaltet und von uns gelebt wurde, aber, dass wir uns ihren Anfang und ihr Ende ganz sicher und klar vor Augen halten können.

Und sei es mit einem Blogartikel, der das letzte bisschen Denkleistung aufgegessen hat.

jemand, di_er da ist

Mit der Auseinandersetzung um Autismus und unsere Psychkarriere kommt das Erinnern, wie ein Sterntalerregen auf ein Ich ohne Hemdchen.

Da bin ich und habe nur meine zwei Hände, die ich aufhalten kann. Da bin ich und weiß, dass, was auch immer in ihnen landet, mir weh tun und etwas für mich verändern wird. Weiß, dass es regnet, egal ob ich mich bei lebendigem Leib auflösen lasse oder nicht.
Weiß, dass es vorbei ist. Weiß, dass meine Reaktionen dennoch eintreten werden. Meine Seele funktioniert nicht nach Raum und Zeit, sondern nach Ist oder Nicht-Ist.

Nach wie vor beginnt mein Erinnern mit dem ersten scheppernden Knall einer gelben Metalltür in ihren Rahmen. Eine kinder-und jugendpsychiatrische Station einer Uniklinik. Alles davor ist weg. 14 Jahre und ein paar Monate. Nicht von mir gelebt, nicht von mir gepflegt.
Ich dachte immer, ich hätte ein festes gutes Erinnern ab dem Moment, aber während ich mir frühere Arztbriefe und Klinikberichte anschaue, merke ich die Löcher. Bekomme ich eine Idee davon, wie wir so auf Psycholog_innen und Mediziner_innen gewirkt haben müssen, obwohl doch ich da war und genau gar nicht so bin.

Wir haben geschaut, welche Persönlichkeitsstörungen uns bereits andiagnostiziert wurden. Ja, wegen diesem Narzissmusdings und ja, weil in einem anderen schlauen Buch steht, dass autistisches Sein gerne mal falsch verstanden und fehldiagnostiziert wird. Und, weil ich meine Fehlersuche noch nicht abschließen kann. Meine Fehler in der Klinik zuletzt, meine unsere Fehler in den Kliniken früher. Meine unsere Fehler, die dazu geführt haben, dass wir heute hier leben und wirken und sind – und nicht in einer Pflegefamilie an der Ost-oder Nordsee, in deren Schoß wir heute kriechen könnten, um uns über Zukunftsängste beruhigen und Sorgen entlasten zu lassen.
Ja, nein, irgendwie kann ich es nicht lassen. Kann nicht aufhören die Verantwortung bei mir zu suchen, denn jedes weitere Erinnern gibt mir ein Fundstück in die Hand, das auf Fehler, Missverständnisse, ungünstige Kompromisse und naive Annahmen von mir und uns deutet – während die anderen Beteiligten, ihre Ansichten, Meinungen, Kompromisse und Annahmen jeweils in Diagnosen und mehr oder weniger transparente Berichte destilliert sind und einzig sind in ihren Möglichkeiten etwas mitzuteilen.

Die erste Persönlichkeitsstörungsdiagnose lautete auf “anankastische Persönlichkeitsstörung”.
Ich habs gegoogelt und mich daran erinnert, wie tatsächlich auch nach außen aktiv und transparent wir bestimmte Dinge taten und verlangten.
Und werde auch traurig, denn einige der Ängste hinter so manchem sogenannten “Zwang” zeigten bereits damals mit grell blinkender Leuchtschrift auf Erfahrungen bestimmter Gewalt und mind control (im Sinne von “von Täter_innen durch Gewalt gesetzte Gedanken/Ideen/Denkweisen”).
Ich erinnere mich an eine Debatte mit einer Stationsschwester darüber, ob auch wirklich keine Spinnen oder Schlangen unter der Tür oder durch die Fensterritzen des Zimmers kommen könnten, nachdem sie uns verboten hatte, uns darüber ständig zu versichern, statt zu schlafen.
Und ich weiß noch, dass ich selbst nur wusste, dass es lebenswichtig war mich darüber zu versichern und es mir schlecht ging, sobald ich mehr darüber nachdachte. Da waren intrusives Erleben, Flashbacks, erste Psychosomatiken – die jedoch alle unter “Schlafstörung” bzw. “pavor nocturnus” (“Nachtschreck”) zusammengematscht und nicht weiter beachtet wurden.

Ich erinnere mich, wie ich damals versuchte zu kompensieren was mir fehlte: Zeit_Bewusstsein und Kontrolle über mich selbst.
Damals las ich noch viel darüber, wie man sich wo richtig benimmt, welches Verhalten wann und wo in Ordnung ist. Was man wie genau sagt. Ich kopierte Gesichtsausdrücke und die Stimmlagen von Menschen, die meiner Ansicht nach alles richtig (sicher/okay) machten. Ich weiß, dass wir damals tanzten, sangen, in einer Zirkusgruppe aktiv waren. Alles Dinge, bei denen man okay ist, wenn man perfekt kopiert (und später in der Lage ist, eigenständig zu variieren – worin wir jedoch nie “gut” waren).
Heute würde ich sagen, wir versuchten uns soziale Erbsenmomente zu machen. Versuchten uns mit anderen Menschen okay zu fühlen, weil wir als okay wahrgenommen werden. Aber wir versuchten es auf eine Art, die eine pathologisch Einordnung ermöglichte.
Obwohl, das einzig Pathologische an diesem Versuch der war, dass wir etwas absichtlich konstruiert getan haben, was andere Menschen nicht in der Form konstruieren müssen, weil sie es aufgrund einer geheimnisvollen Fähigkeit einfach können.

Auch so etwas, das ich heute nicht nachvollziehbar finde bzw. nur mit psychologischer Denkdummheit erklären kann: da ist ein 14/15 Jahre alter Mensch – also ein_e Jugendliche_r, was ein Ausschlusskriterium für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sein und viel mehr Anlass geben sollte, sich die Umwelt der Person anzusehen und wie sie mit dieser interagiert. Welche Strategien werden da versucht und warum?

Damals wie heute kann man sehen, das viele unserer täglichen “Zwänge/Wiederholungen/Rituale/Abläufe” sehr wohl triftige Gründe haben bzw. auf nachvollziehbare Impulse und/oder Defizite, sowie bestimmte Erlebensqualitäten für uns zurückgehen. Man muss diese Gründe jedoch erfragen, annehmen und als für uns gegeben akzeptieren (wollen) und das ist damals (und auch lange Zeit danach) nicht passiert.

Noch heute kopieren wir die Stimmlagen, Wortcluster und bestimmte Handlungsarten von anderen Menschen, von denen wir wissen, dass sie die jeweiligen Situationen “richtig machen”, weil wir wissen, dass wir es “falsch (like: awkward, unsozial, unsympathisch, weird, unangenehm usw.) machen” würden, würden wir es machen, wie wir es spontan machen würden.
Nicht nur, weil manche von uns glauben, dass sie es ja nur falsch machen können, weil wir ja so ein falscher Mensch sind, sondern, weil Menschen, die sich verhalten, wie wir es tun würden, über kurz oder lang die wie auch immer gegebene Rückmeldung erhalten, dass ihr Verhalten falsch sei – oder eben awkward, unsozial, unsympathisch, weird, unangenehm usw.

Noch heute “streben wir nach Perfektion”. Wir tun es aber nicht, weil wir uns so unvollkommen erleben. Wir tun es, weil wir sehen, wie Menschen auf “perfekt” reagieren und uns denken: Wenn wir dies und das perfekt machen, dann ist alles okay. Dann ist “Erbsenmoment”. Dann ist “loslassen und okay für das Umunsherum und ganz viel Raum frei für Inmittendrin”.

Wenn man so will, könnte man sagen, dass wir durchgehend versuchen uns das Umunsherum vom Leib zu halten, um für bei mit uns sein zu können, ohne gestört zu werden.
(Und ja – ich lese selbst, wie man das lesen kann.)

Die nächste Persönlichkeitsstörungsdiagnose war “Borderlinepersönlichkeitsstörung”.
Interessanterweise eine Diagnose, die von einem sicherlich sehr kompetenten Chirurgen gestellt wurde, der uns selbst zugefügte Schnitte genäht hat. Erst Jahre später tauchte diese Diagnose wieder auf.

Dazwischen lag noch die “schizoide Persönlichkeitsstörung”.
Doch auch dort fehlte der Blick auf den sozialen Kontext. Diese Diagnose gab es nach einem Suizidversuch und einem Zeitraum ohne Sprechen, nachdem wir von Heim zu Heim geschubst wurden, weil wir immer wieder irgendwas falsch gemacht haben, was heute nicht mehr richtig nachzuvollziehen ist.
Was ist bitte die logischere Erklärung für Rückzugstendenzen, abgeflachte Affekte und allgemein eher abweisend/kühle Interaktion, nachdem man auf alles, was man tat oder sagte oder machte, mit seinen 7 Sachen wieder weggeschickt, verlassen, mit schwierigen Dingen (wie etwa Verstrickungen in organisierte Gewalt, schwierige Symptome und Überforderungen im täglichen Leben) alleine gelassen wurde?
A) eine Persönlichkeitsstörung als fast 16 Jährige oder
B) die Frage (und selbst gegebene Antwort) danach, welchen Sinn die Interaktion mit einem unbegreiflichen Außen haben soll, das man einerseits braucht und dessen Schutz man sich wünscht – das andererseits aber genau nichts versteht?

[Gameshow-Musik-Geräusch]

Und dann war da noch die Hysterie.
Die gute alte Hysterie heißt heute “histrionische Persönlichkeitsstörung” und ist ein Psychologen*(sigh!)*wort für “die *(sigh!)* spinnt”.
In unser Diagnosenbonuspunktesammelheft geklebt bekommen haben wir dieses Goldstück in einer Klinik, in der dissoziative Symptomatiken als “unüblich” und Diagnosen wie die DIS eine Glaubensfrage darstellen. (Kein Scheiß – hat der Chefarzt genau so in einem Gespräch gesagt).
Menschen, die als “histrionisch” diagnostiziert werden, werden nach und in Bezug auf das Außen gerichtete Intensionen unterstellt. Da kommen dann so Sätze wie “Sie macht XY nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen” her oder die Annahme, diese Menschen würden mehr oder weniger aufwendige Szenarien konstruieren bzw. inszenieren, um sich selbst in einer bestimmten Art wahrgenommen zu wissen.

Ich habe schon geschrieben, dass wir durchaus Verhalten kopieren, um bestimmte Zwecke im Außen zu erfüllen bzw. um als okay wahrgenommen zu werden.
Im Mittelpunkt zu stehen ist für uns dann aber in der Regel doch zu anstrengend und etwas, das wir heute nur noch ertragen, wenn wir davon überzeugt sind, etwas zu tun, wofür es sich lohnt zeitlich und inhaltlich klar begrenzt von anderen Menschen angeguckt, beobachtet, angehört und analysiert zu werden.
Zum Beispiel in der Therapie oder auch während Projekten wie dem Nachwachshaus, in Workshops oder bei Vorträgen.

In der Klinik damals wiederum sind wir aus für uns bis heute nur mehrdimensional erklärbar sozialen Dynamiken heraus immer wieder in negativen bzw. für uns unangenehm oder uns ängstigenden Fokus geraten. Die Kommunikation war durchgehend dysfunktional und unsere soziale Situation eine über alle Maßen überfordernde. Denn wir waren nicht dort, weil wir behandelt werden wollten oder Hilfe suchten, sondern weil wir keinen Wohnort hatten und noch nicht volljährig waren.
And again: etwas mehr Fokus auf die soziale Situation einer Person im Kontext ihrer tatsächlichen Fähig- und Fertigkeiten und die Idee einer in der inneren Struktur einer Person liegenden Problematik wäre als obsolet klar gewesen.
Doch dazu hätte man in Betracht ziehen müssen, dass eine Person eventuell ganz basic Interaktions- und Kommunikationsprobleme hat und permanent Ängste kompensiert, weil sie sich auf niemandem verlassen kann. Nicht einmal sich selbst.

Selbst heute, wenn ich versuche mich daran zu erinnern, wie wir uns in dieser Klinik verhalten haben, erinnere ich mich nur an Missverständnisse und Momente von Verzweiflung darüber, dass es nichts Beruhigenderes als körperlichen Schmerz gab. Obwohl wir uns damals schon 9 Jahre lang immer wieder selbst geschnitten, verbrannt, geschlagen oder verätzt haben, haben wir nie so darunter gelitten, wie damals in dieser Klinik. Es war das tragischste Erbsenmoment, das wir uns selbst machen konnten und diese Belegung von Schmerz durch körperliche Versehrung als Beruhigung ist etwas, das wir heute mühsam wieder zu entkoppeln versuchen.

In einem Gespräch mit dem Begleitermenschen kam jemand an den Punkt in der Auseinandersetzung um die Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, dass der uns erschreckende Anteil daran immer wieder der ist, an dem uns Intensionen hinter Verhalten unterstellt werden, für die wir selbst meist weder Kraft noch Fokus hatten.
Was wiederum in der Narzissmuskrise der Teil ist, der uns die letzte Klinik am Ende vollends als guten Ort zur Unterstützung in der Begegnung und dem Auseinandersetzen mit uns und unserem Er_Leben verbrannt hat.

Gerade in der letzten Klinik hatten wir sehr bewusst massive Probleme überhaupt teilhaben zu können, schwerwiegende Kommunikationsprobleme und ein wie wir finden gutes Gefühl für unsere Überforderung vor bestimmten Anforderungen. Und wir sind einer Täuschung erlegen, die uns – zumindest nach jetzigem Stand der Auseinandersetzung und Fehlersuche – dazu verleitet hat, anzunehmen, es wäre okay, wenn wir selbst bestimmen, wofür wir Kraft aufbringen und wofür nicht. Wir haben uns um uns gekümmert und nicht darum, ob wir nach außen okay sind. Wir haben uns auf das Inmittendrin konzentriert und nicht darauf, die flache phrasenbasierende PITT-Sprache zu kopieren und spiegeln, während wir klinikfunktional dissoziieren.

Wir haben etwas gemacht, das ein High Five auf der Heilungsskala bedeuten könnte– aber nur, wenn der Heilungsbegriff auf den Leiden basiert, die wir empfinden.

In keiner der Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, die wir in unserer Behandlungsgeschichte erhalten haben, wurde auf unsere Leiden geachtet, sondern überwiegend auf unser sichtbares Verhalten als Einsmensch und die Erklärung, die die jeweiligen Psycholog_innen sich dafür vorstellen konnten.
Wir haben immer genau dort eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert bekommen, wo man uns in unseren Fähig- und Fertigkeiten über- bzw. falsch eingeschätzt und überfordert hat. Wo das nicht passiert ist, verlegte man sich auf die Benennung sichtbarer Probleme und die deuteten schon früh auch in Richtung PTBS und ASS (Autismus-Spektrum-“Störung”), neben ganz schlicht (nicht pathologisierend bewortet) “belastete/überforderte/dekompensierte Jugendliche”.

Wenn ich mich den aufkommenden Erinnerungen widme, merke ich neben der üblichen Bitterkeit auch zunehmend den Wunsch mich und die Innens, die anders als ich nicht gealtert sind, auch mit etwas anderem als den Erklärungen für diese Sachverhalte trösten zu können.

Doch ich spüre die Spaltung zwischen uns sehr deutlich. Manche debattieren bis heute im Innen mit irgendwelchen Krankenpflegern und Schwestern darüber was für widersprüchliche Aussagen sie gemacht haben, die dazu geführt haben, dass man sich “falsch” verhalten hat. Manche sitzen noch immer weinend in der Heilerinquisition (eine wöchentliche Visite mit allen Behandler_innen einer Klinik) und stottern an Worten herum, die nicht ihrem jagenden Puls im Hals vorbei kommen. Manche liegen immernoch fixiert auf irgendeiner Krankenliege und schwanken zwischen Wohlgefühl durch Gefühle von Gehaltenwerden und Verwirrung über aufkommende Flashbacks von Gewalterfahrungen anderer Innens.

Ich merke, dass es ihnen nicht um Trost geht. Jedenfalls nicht vielen. Ich merke, dass es für viele um die Verwirrung und die schier unüberbrückbare Differenz zwischen Außen und Inmittendrin geht, die macht, dass ich sie überhaupt mehr wahrnehme als noch vor ein paar Monaten. Und ich beginne zu begreifen, dass es vielleicht genau diese Spaltung ist, die mir die Autismusdiagnose so schwer macht.

Sie macht mir nämlich den eigenen Anteil der jahrelangen Klapsenqualen bewusst, während der Inklusionsaktivismus, den wir heute unterstützen, eine Haltung in uns hat entstehen lassen, nach der wir unsere Behinderungen (auch im Sinne von “Unfähig-und –Fertigkeiten”) als etwas angenommen haben, das wir als von anderen Menschen ernst zunehmen und mitzudenken einfordern dürfen und sowohl zum Anstoß gesamtgesellschaftlicher Veränderungen im Sinne der Inklusion aller Menschen gleichermaßen, als auch zur Ermöglichung von Teilhabe und Steigerung der eigenen Lebensqualität auch müssen.

Ich komme nicht mehr um eine anerkennende Haltung gegenüber diesen jugendlichen Innens herum. Ich muss sehen, wie super stark, hartnäckig und aus wie vielen guten, wichtigen Gründen sie jeweils getan haben, was sie getan haben und spaltungsbedingt bis heute tun.
Die pedantischen Regelpapageien. Die nervigen Anstandsroboter. Die Kämpfer_innen für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte auch auf einer geschlossen Station. Die taktierenden Gruppentherapiebestreiter_innen. Die schweigend auf Wände und glitzernde Folien starrenden. Die mutigen “Ich werde misshandelt”-sager_innen. Die intellektuell in Grund und Boden quatschenden. Die “diesmal mache ich alles (die Behandlung/die Therapie/der Versuch in einem Heim zu wohnen) richtig”- Denkenden.

Ich reflektiere an mir die Übernahme des psychologischen Blicks, der mich daran gehindert hat sie so zu sehen. Für mich waren sie bisher immer eher grundlegend dysfunktional und leidend. Weil – DIS –Entstehungslogik: sie ja weiter gewachsen wären, wären sie funktional gewesen bzw. kompatibel mit sich verändernden äußeren Anforderungen. Ich wäre ja nie nötig gewesen, wären sie besser, richtiger, heiler, fähiger, kompatibler gewesen. Sie sind nicht alltagstauglich, geschweige denn orientiert – wie wertvoll können sie dann schon für meinen Er_Lebens.Alltag sein?

Well, ich sehe, dass dieser neuere Blick etwas an ihnen wertschätzt, das nichts mit ihren Fähigkeiten im Heute zu tun hat, sondern mit dem, was sie getan haben, als ich nicht da war. Vielleicht, weil ich damals nicht da war. Vielleicht, weil sie kleben geblieben sind, wo es mich von ihnen im Lauf der Dinge weggerissen hat.

Während meiner Fehler- und Erinnerungssuche merke ich, dass ich ihre Erfahrungen auch gemacht habe und bis heute mache. Aber ich bin keine 14, 15, 16, 17, 18 Jahre alt und bin so global wie sie damals davon abhängig, was wer in welche Berichte über uns schreibt.
Klar sind wir in Teilen abhängig davon, dass unsere Behandler_innen keine Quatschberichte schreiben, weil unsere Hilfen und Unterstützungen entsprechend unserer Bedarfe gebraucht werden und nicht entsprechend dessen, was irgendwer irgendwann aus was auch immer für Gründen von uns und unserem Verhalten hält – auf der anderen Seite aber, steht hinter jedem Antrag auf Unterstützungen auch der implizite Apell an die Logik. Niemand bittet um Unterstützung, wenn si_er nicht die Idee hat, welche zu brauchen oder gut nutzen zu können.

Und: Ich bin eine von den wenigen wirklich Erwachsenen von uns und merke im Moment immer wieder mal, wie sehr auch unsere Einsamkeiten in diverse Fortbestände von Ängsten und Unsicherheiten hineingespielt haben.

Das könnte ich für sie werden, denke ich.
Jemand, di_er da ist.

Das Drama der hochbegabten Nichtskönner

Wenn man sich ein bisschen mit Intelligenz als Mittel zum Zweck einer Funktion auseinandersetzt, kommt man schnell dahin, uns zu glauben, dass wir uns nicht für schlau halten, weil wir mal eine Testergebniskurve gesprengt haben. Für uns war der Test leicht und mit vergleichbar wenig Anstrengung zu lösen, weil er mit unserer Scan- Rate- und Kompensiertechnik gut zusammenpasste. Wir gehören zu den Menschen, die Muster schnell finden und genauso schnell konvertieren können. Das ist simpelstes copy-paste-convert und weit entfernt von findiger Schläue oder scharfer Klugheit.

Wenn man es aber gewohnt ist, in allem und vor allem allen um sich herum ganz aktiv die Muster finden zu müssen, um sie überhaupt zu verstehen, um überhaupt irgendetwas in der Welt erfassen, begreifen und selbst auch damit  in Kontakt und Interaktion gehen zu können, dann hat man sich aus Versehen ein Werkzeug herangezüchtet, das dank diverser Auffassungen von Geist und Kognition, zu einer Gabe oder einem special Talent erklärt wird, das als Ratio schier alle emotionalen Prozesse auszugleichen in der Lage sein sollte.
Daraus entstehen dann Annahmen wie die, dass nur dumme Leute auch Dummes tun – und allgemein diese seltsame Idee, “Dummheit” wäre eine Eigenschaft und keine Wertung – neben der Idee, die Fehler von schlauen Leuten könnten immer eher peinlich als dumm sein.

In unserer Bildungshistorie hatte die nach dem IQ-Test bestätigte Hochbegabung keinerlei Niederschlag gefunden. Zum Einen vielleicht, weil wir keine Matheintelligenz oder die offensichtliche Enzyklopädieintelligenz haben, die sich in deutschen Bildungssystemen besser entfalten und ausentwickeln kann, als die Muster/Bild/Wortintelligenz, die wir haben oder zum Anderen, weil wir einfach nie das blasse nette Ober-Mittelschichtenkind mit hoher Stirn, das die Träume anderer erfüllen soll, waren oder zum Letzten, weil wir mit anderen Menschen schon immer so zuverlässig abkacken, wie man in der Kirche “Amen” sagt.

Das Drama ist: dieses Abkacken merkt man uns nicht an. Gerade im Hinblick auf die Intelligenz und all das in diesen Begriff hineinprojizierte Potenzial, wollen das viele Menschen auch gar nicht sehen. Viele entscheiden sich eher dafür uns in eine “das verkannte Genie/das Genie vs. die Deppen/zu schlau für den Rest der Welt”-Schublade zu legen, als in eine “kann nicht so, wie sie können könnte” – Schublade, denn die eine lässt das Grundproblem bei uns und die andere bei den Dingen um uns herum, die man ändern könnte/sollte/müsste und von der man selbst ein Teil ist.

Gekoppelt an die anderen Aspekte der Behinderungen, die wir so im Leben haben und die Problematik der Gewaltfolgen vor dem Hintergrund von vielen Therapie und Behandlungserfahrungen, ergibt sich eine Anspruchshaltung an uns, vor der wir nur versagen können.  Und das auch tun. Durchgehend. Schon unser ganzes Leben lang, egal welches Alltagssystem in welchen äußeren Kontexten agiert.

Und ja, wir erleben es als Versagen, weil wir selbst den Punkt nicht finden, an dem wir uns aus dem Kämpfen um das Entsprechenkönnen herausnehmen.
Wir haben aufgehört uns aktiv um Freundschaften zu bemühen und sind dazu übergegangen Kontakte zu Menschen zu meiden, die wir brauchen könnten oder die uns brauchen könnten, weil wir den “Brauch-Faktor” als eine starke Kraft bei uns selbst erleben. Je mehr wir jemanden brauchen (oder etwas von jemandem brauchen) desto weniger darf im Kontakt schief gehen und desto mehr Schaden entsteht in uns und an unserer Lebensqualität, wenn eben doch etwas schief geht (wie es bei uns auf kurz oder lang immer schief geht).

Je mehr wir jemanden (oder etwas von jemandem) brauchen, desto wichtiger ist ein guter Kontakt zu dieser Person und “guter Kontakt” ist Arbeit für uns. Ganz bewusst und klar. Wir kontrollieren unsere Kommunikation, bereiten uns auf Gespräche jeder Art in all ihren Optionen vor – spontane und unvorhergesehene Themen-, Orts- , Befindlichkeitswechsel, erfordern ein Maximum der benannten Konvertierungsfähigkeiten und gehen meist schlicht über unser gut erbringbares Level.
Und daneben: die Stressregulierung. Je mehr Stress desto mehr Dissoziation.
Verliert ein Innen den Faden, verliert es die Kontrolle, verpasst die Momente, in denen man etwas sagen soll/kann/darf, verliert den Überblick und die Abwägungsbereiche um welche Emotionen, Themenbereiche oder eventuellen Intensionen es sich beim Gegenüber handelt, was in einem sach- oder themenbezogenen Kontakt einfach stresst – in einem nicht sachbezogenen Kontakt zusätzlich aber auch negativ triggert und Wechsel provoziert. Von Mischkontakten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen.

Jedes Gespräch mit egal welchem Menschen, hält für uns genau solche Spitzen bereit, in denen wir zwischen Kampf um oder Sicherung von einen Kontakt zu dem Menschen, mit dem wir es zu tun haben, entscheiden müssen.
Wenn wir kämpfen gelten wir als anspruchsvoll, nervig, pedantisch, arrogant – wenn wir sichern als schüchtern, ängstlich, vorsichtig, introvertiert – letztlich werden dabei weder wir selbst in unserem Funktionieren, noch unser Problem gesehen. Man ist nicht mit uns als Individuum konfrontiert, sondern mit einem eine Behinderung kompensierendem Verhalten mit einem Anfang, einem Ende und einer von uns niemals intuitiv erfassbaren Wirkung auf andere Menschen.

Ich schrieb von “hochbegabten Nichtskönnern”, klar, weil wir uns gerade auseinanderreflektieren, was wir in der Klinik falsch gemacht haben und uns keine neuen Fehler auffallen, die wir gemacht haben könnten, was wiederum Frust auslöst, weil wir uns an der Stelle selbst nur ableistisch begegnen und uns gegenseitig vorwerfen, wir hätten es einfach nur schlauer angehen müssen – hätten uns einfach nur mehr anstrengen müssen einen Zugang zu unseren Behandler_innen zu finden – hätten unsere Abwägungen (selbst)kritischer treffen müssen – hätten einfach in eine andere Sprachebene konvertieren müssen. Wir hätten einfach nur alles anders machen müssen, weil wir das Wissen darum hatten, auf welchen anderen Optionen wir uns hätten konzentrieren können.

Mir fällt die Falle auf, in die wir uns selbst hinbegeben: “Du hast Alternativen gewusst – und weil du das wusstest, hattest du eine Wahl” ergo: “Hättest du es nicht gewusst, wärs ja was anderes…”
Wir tun uns den gleichen Scheiß mit dem uns andere Menschen überfordern selbst an, weil wir keine Antwort haben. Keine Klärung, keine Lösung. Kein befriedigendes Verstehen in all den Optionen warum wieso weshalb das passiert ist. In den letzten Tagen haben wir so viele Theorien und Optionen ins Innen gestellt, die alle Hand und Fuß haben und sich mit dem decken, was wir die ganze Zeit über wahrgenommen haben.

Und trotzdem ist da auch das Wissen, dass wir  nicht anders handeln konnten, als wir gehandelt haben.
Aber natürlich sind am Ende wir die, die Selbst- wie Fremdansprüchen nicht gerecht wurde, Erwartungen enttäuscht hat, Chancen nicht genutzt hat – weil sie es verkackt hat zu schaffen, dass man ihr glaubt, dass sie etwas nicht kann, obwohl sie weiß, was sie warum will.
Weil sie mal wieder irgendeine geheime special Zwischenmenschlichkeitsperformance verkackt hat und es einfach nicht lernt.
Obwohl doch alles so klar da vor ihr liegt.

Da ist diese Idee davon, dass Menschen, die alles, was sie verstehen und erklären können, auch  leisten können, gegen die wir nicht ankommen. Nicht einmal vor uns selbst.

Obwohl wir so oft und seit Jahren auf ganz viele Arten sagen, dass das von so vielen Menschen als “langweilig”, “öde” und allgemein überhaupt gar nicht erstrebenswerte “normal/regelhaft/üblich” für uns etwas darstellt, dass wir nicht erreichen wollen, weil wir es für besonders spannend, toll oder wichtig halten, sondern, weil es uns die Idee von einem Funktionieren, das so viele Menschen miteinander gemeinsam haben fasziniert.
Wir wären so gern einmal mitgemeint, wenn jemand sagt “Ph, XY kann doch jeder (ohne sich groß anzustrengen/irgendetwas eingeübt zu haben)”, würden uns so gern auf eine so sichere Basis in uns selbst verlassen können, dass wir vergessen, wie viel Arbeit und Anstrengung im Erreichen und Halten dieser Basis steckt. Wir waren so gern mal gelangweilt und angeödet von “normal”, “durchschnittlich”, “üblich” und weniger ausgelaugt von unserem Kämpfen um das Erreichen dieses Status.

Wann immer Menschen unser Funktionieren bemerken bzw. durch von uns erschaffene Dinge als bewiesen annehmen und es als Hochbegabung oder Intelligenz oder special Talent oder Gabe einstufen, überfordern sie uns.
Sie nehmen an, dass wir schon alles wissen und keine Unterstützung mehr brauchen. Sie nehmen an, dass uns Leistung leicht fällt, die ihnen schwer fällt. Und sie glauben nicht, dass wir ernsthaft hilfebedürftig sind.
Das ist eine Parallele zu dem, was die Behandler_innen in der Klinik nicht verstanden haben – natürlich wussten wir was sie dort leisten können, natürlich wussten wir, wie das Behandlungskonzept ist, natürlich wussten wir, dass wir Anpassungs- und Kompensationsleistungen erbringen müssen, natürlich wussten wir, dass wir nicht dort sind, um Urlaub zu machen – unsere Unfähigkeiten wurden aber durch dieses Wissen nicht aufgewogen. Unsere Hilfebedarfe sind nicht durch Behandlungserfahrungen zu decken. Und keine Behinderung der Welt ist durch bloße Willenskraft und geistige Kapazität auszugleichen.

An manchen Stellen merken wir, dass für viele Menschen in unserer Umgebung nicht klar ist, wie dramatisch es für uns ist, das Brauchen hinter unserem Wollen und an, als passende Gegenüber eingeschätzte gerichtete Fordern nicht gesehen, erfasst und begriffen zu wissen.

Es triggert unangenehmes Erinnern an all die Alltags- und Gewaltsituationen an, in denen man so dringend etwas und jemanden brauchte und genau niemand verstand, niemand kam, niemand ES und DAS DA hat enden lassen, sondern uns einfach immer wieder überfordert, ausgeliefert, ausgelacht, pathologisiert und uns selbst überlassen hat.
Nicht selten mit dem Spruch an uns: “(Was willst du denn (von mir)? -) Du bist ein schlaues/besonderes Mädchen/Kind – du kriegst das schon (allein) hin.”.

Aber nein. Wir haben genau nichts weiter hingekriegt als zu überleben. Wie wir immer überlebt haben und immer überleben werden.
Um ein aktuelles Meme zu bedienen:

Was ist das für 1 life, wenn der einzige Trost über Episoden wie diese ist, dass man es schon überleben wird, wie man es immer überlebt hat?

Missverständnisse und ihre Folgen

Es ist 2:40 Uhr.
Ich liege in unserer Schleiereulenhöhle, schaue auf die fluoreszierenden Sterne und höre dem Innen zu.

Wo es immer schreit und weint, schreit und weint es. Wo es immer Lösungen sucht, flackerflirrsirrsummen Wort-und Wissenscluster. Wo es nach Eindrücken greift, stinkt es nach Angstschweiß und wo ich bin, das ist es schmerzensstill wie im Auge eines Tornados.

Jemand von uns sagte, dass man klagen können müsste. Mehr als wehklagen, mehr als selbstbefreiend und selbstregulierend klagen. Man müsste strukturell klagen können. Auf Schmerzensgeld, Entschädigungen für entstandenes Leid und wirtschaftlichen Schaden, Wiedergutmachungsleistungen nach seelischen Verletzungen und Verletzung der Menschenrechte.
Allein die Möglichkeit das zu können – die Wahl darum zu haben, für sich auf struktureller Ebene eintreten zu können, würde für manche von uns einen erheblichen Unterschied bedeuten und die Situation erträglicher gestalten.

Man müsste es nicht einfach hinnehmen durch den verspäteten Aufnahmetermin in der Klinik, dann eben Dinge abgesagt zu haben, die Geldeinnahmen bedeutet hätten und jetzt vieles einfacher aussehen lassen würden. Man müsste nicht einfach hinnehmen, dass man uns behandelt hat, wie jemand di_er ganz die eigene Krankheit ist, statt ein Jemand, das seit 16 Jahren in der inhaltlichen Auseinandersetzung und dem Umgang mit dem eigenen als Krankheit bezeichneten Zustand ist. Man müsste das fachlich inkompetente Eingreifen in unsere zukünftigen Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten nicht hinnehmen.

Man müsste einfach nicht gezwungen sein, sich demütigen und kränken, behindern und verletzen lassen zu müssen. Von anderen Menschen. Erneut.
Und erneut ohne wie auch immer gelagerte Konsequenzen für diese Menschen.

Hintergund dieses Wunsches, war ein gestern angekommener Arztbrief von der Klinik, in dem in den Diagnosen stand wir hätten eine „dissoziative Identitätsstörung bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur“,  Asperger-Syndrom … , bla bla – der ganze Rest.
Nachdem wir mit den Kränkungsgefühlen, die mit dem Begreifen der Annahme der Gegenüber, dass es sich bei uns um a) eine Person mit Persönlichkeit und darauf fußend b) eine Person, die sich selbst so großartig macht, dass ihr alles Äußere irrelevant bis nieder(er) erscheint, weil sie ein inexistentes Selbstwertgefühl hat, handelt, fertig waren, klackerten Verständnisprozesse wie Dominosteinketten durch uns hindurch.

Plötzlich ergab alles Sinn. Die Verweigerung uns zuzuhören und ernst zunehmen. Die Vermeidung sich anzuhören, was genau wir für Schwierigkeiten aufgrund welcher Umstände und eigenen Reaktionen hatten. Der Entzug der Möglichkeit individuelle Lösungswege der Integration in die Therapieangebotsstrukturen für uns zu finden.
Wenn man denkt, jemand erhebt sich mit seinen Äußerungen oder macht sich wichtiger, als si_er ist, mit dem, was si_er sagt – ja sicher verhält man sich dann genau so, wie sich unsere Behandler_innen uns gegenüber verhalten haben.

Und wir dachten die ganzen 3 Wochen, wir müssten nur immer deutlicher und verständlicher sagen, was genau unsere Probleme sind.

Alice im Wunderlandszene, in der sich Alice seufzend an die Stirn greift
Alice im Wunderlandszene, in der sich Alice seufzend an die Stirn greift

Weil man uns immer wieder sagte, wir sollen mit diesen Menschen zusammenarbeiten, weil wir ja schließlich etwas von ihnen wollten.

Meryl Streep, die sich an die Stirn greift
Meryl Streep, die sich an die Stirn greift

Weil es für uns so ein üblicher Bestandteil der Interaktion mit anderen Menschen ist, weil wir verschiedene Behinderungen erleben.

Cäpt'n Picard, der sich an die Stirn greift
Cäpt’n Picard, der sich an die Stirn greift

Weil wir in dieser Klinik nie zuvor die Erfahrung gemacht haben, nicht gehört und verstanden zu werden.

weißer Mann*, der sich an die Stirn greift
weißer Mann*, der sich an die Stirn greift

Weil wir dachten, wir hätten in diesen Menschen viele Gegenüber, die daran interessiert sind uns gemäß unserem Auftrag an sie zu unterstützen und zu helfen.

einem weißen Mann*, der seinen Kopf mit beiden Händen hält, greifen zwei zusätzliche Hände an die Stirn
einem weißen Mann*, der seinen Kopf mit beiden Händen hält, greifen zwei zusätzliche Hände an die Stirn

 

Das Dilemma an so einer, wie der Begleitermensch sagt “Narzissmuskeule” ist: die absolut sichergestellte Abwertung aller Äußerungen, Einwendungen und Reaktionen, die von einer als narzisstisch bezeichneten Person kommen.
Das ist, wenn kein Narzissmus vorliegt, die absolute Unterwerfung einer Person unter die Deutungshoheit einer anderen und damit Gewalt.
So ein Umgang, wie der den wir erfahren haben wirkt sich damit auch zwangsläufig als genau so aus, wie wir es empfunden und auch gegenüber diesen Personen zurückgemeldet haben: ignorant und grausam.

Am Ende dieses Tages, in der Nacht zum nächsten Tag rastete die Erkenntnis bei uns ein, erneut Helfergewalt erfahren zu haben und genau nichts – aber auch gar nichts weiter tun zu können, als es aufzuschreiben, unser von uns dokumentiertes Handeln in der Situation auf zukünftig veränderbare Anteile zu prüfen und als die Gewalterfahrung abzulegen, die sie für uns war.

Selbstverständlich werden wir mit unserer Therapeutin darüber sprechen. Werden mit unserem schlauen Aspergerbuch unterm Arm in die Praxis gehen und ihr hoffentlich klar machen können, dass wir ihre Unterstützung dabei brauchen, diesen Arztbrief korrigieren zu lassen, weil er uns so, wie er jetzt ist, die Autismusförderung, die wir zum Schaffen der Berufsausbildung, zur effektiveren Nutzung ebenjener ambulanten Therapie und zur Anbahnung von so etwas wie Lebensqualität durch soziale Teilhabe brauchen, zerschießen kann (und aufgrund diverser Faktoren sogar relativ wahrscheinlich auch: wird).
Das ist eine Ebene, die wir können. Unter Aufwendung von viel psychischer Dissoziationsleistung, aber durch genug Erfahrungen geübt.

Die andere Ebene ist die Berührung eines wunden Punktes von uns.
Die ewige Frage danach, wer wir denn nun sind. Ob wir so etwas eine Persönlichkeit haben, oder nicht. Wie wir auf andere Menschen wirken und wie viel dieser Außenwirkung dafür verantwortlich ist und vielleicht schon unser ganzes Leben lang war, Gewalt zu erfahren.
Also: Waren wir vielleicht schon immer so ein Arschlochwesen, das man nur treten, schlagen, halbtot vergewaltigen kann, weil es so ein mieser Charakter, ein unangenehmer Störfaktor, ein unaushaltbares Irgendwas ist?

Machen wir unser Leben lang schon etwas, dass so logisch den Kontakt zu anderen Menschen für uns immer wieder ganz zwangsläufig in Gewalt an uns verwandelt?
Und kriegen wir genau das nicht mit, weil wir zu dissoziativ funktionieren, um das überhaupt jemals selbstständig verändern zu können?

Wir haben diese Fragen schon lange als typisch für in rape culture sozialisierte Menschen, die zwischenmenschliche Gewalt erfahren haben, erkannt und akzeptiert. Haben genauso lange die Antworten in uns parat, die uns sagen, dass wir selbst, wenn wir die schlimmsten, gemeinsten, bösesten Menschen auf der Welt wären, die Gewalt an uns nicht gerechtfertigt wäre.
Und dennoch sind sie da und wirken. Und tun weh, wenn passiert, was uns gerade passiert.

Wir haben 4 Jahre daran gekaut die DIS als psychische Entwicklungsform zu akzeptieren, die den Großteil der bestehenden Persönlicheitstheorien in ihrer Anwendung ausschließt. Haben noch 2 weitere Jahre für die Trauer um einen Normalitätsfakor (nämlich den eine (Kern oder Ursprungs) Persönlichkeit zu haben) gebraucht und konnten erst dann damit beginnen das als gegeben anzunehmen, was uns von einander in der Innenarbeit begegnet.

Jetzt kauen wir seit der Autismusdiagnostik an der Anerkennung eines weiteren in uns liegenden Faktors, der eine Persönlichkeitsentwicklung erschwert bzw. spezifisch beeinflusst haben wird und fühlen uns zunehmend einer guten Prognose beraubt.

Bisher haben wir weder Literatur, noch valide Fallbeispiele noch theoretische Modelle zur angemessenen Traumatherapie von autistischen Menschen mit DIS (oder andersherum hochdissoziativen Autist_innen) gefunden. Wir sehen uns vor einer Zukunft der Hilfen und Unterstützungen, die sich immer wieder durch so grundlegende Missverständnisse aufgrund von menschlichem Versagen und fachlichen Inkompetenzen auszeichnen wird, wie jetzt während der 3 Klinikwochen geschehen.
Also: Helfergewalterfahrungen, denen wir weder präventiv noch im Nachhinein mit so etwas wie Entschädigungsforderungen und als legitim verankerten Anspruch auf Wiedergutmachungen für erlittenen Schmerz begegnen können.
Zeigt mir mal bitte, wo genau hier der Opferbonus, das Behindertenspecial, der Ego-Keks, auf den ich mich selbstverherrlichen kann, ist.
Vielleicht würde das schon reichen, zu ertragen, was hier gelaufen ist.

Es ist 4:34 Uhr, als ich das letzte Mal auf die Uhr schaue und mein Gesicht an das Fell von NakNak lege, um mich von ihren Atembewegungen in den Schlaf hinein und weg von der Not streicheln zu lassen. Ich höre ein Weinen und merke irgendwann, dass ich mich selbst höre.

Und dann ist es morgens und ich stehe auf einer Wiese circa 8 Kilometer von unserer Wohnung entfernt.

Fundstücke #25

Ich bin der Schrecken, der das Moment durchflattert
– ich bin ein Trigger für dein schlechtes Gewissen –
ich bin die Person, der es nicht gut geht!

Schade. Ich habe kein Cape.
Ein Cape, ein riesengroßes Ego und eine Hand voll Rauchbomben, das wünsche ich mir manchmal.
Meistens. Immer.
Wenn Menschen denken, sie könnten sich langsam entspannen im Kontakt mit uns. Mal einen “Witz™” über Behinderte/Juden/(Psycho)Therapie/Frauen/ etc. etc. etc.  machen. Mal eine Logik durchblitzen lassen, die victim blaiming enthält, “politisch unkorrekt” ist, Gewalt bagatellisiert.
Wenn Menschen aufhören innezuhalten und zu hinterfragen, wem sie da gerade was sagen und zu welchem Zweck eigentlich.

Manchmal kann ich den Wunsch nach Unbeschwertheit verstehen. Kann verstehen, dass es anstrengend sein kann viel in Kontakt mit uns zu sein und ein bestimmtes Level der Achtsamkeit zu halten.
Gerade auch nach den jüngsten Ereignissen denke ich: Ja, ich bin nicht die Person mit der man Niveaulimbo macht und sich selbstgerecht die Wampe krault.

Es ist leicht mir vorzuwerfen, ich hätte zu hohe Ansprüche.
Und uns dann ins Gesicht zu boxen, sich über uns zu stellen und zu vermitteln, wir seien selbst schuld, wenn für uns nichts so läuft, wie gewünscht.
Würden wir durch die Welt stelzen und eine echte Wahl darum haben, womit wir uns an andere Menschen richten, könnte ich das vielleicht unter “Wettbewerb” oder “Dominanz” ablegen und wie immer um diese Dinge herum gehen. Sie also umgehen. Mit meinem speziellen Umgang.

In unserer Lage gibt es so etwas wie echtes Wählen um die Dinge, die uns betreffen, selten.  Das ist so, weil es so ist.
Weil es immer jemanden geben muss, di_er übrig bleibt und sich so lange wie nur irgendmöglich einreden können muss, sich jederzeit auch für etwas anderes entscheiden zu können.
In unserem Fall ist die Wahl sich auch selbst zerstören oder suizidieren zu können. Das ist so, weil es so ist. Weil genau diese Wahl die einzig echte Wahl ist, die wir uns von den Menschen, die uns früher weh getan haben, zurückerobert haben.

Am Ende der Wahl so vieler anderer Menschen und Instanzen als uns selbst, steht unser Wunsch, dass sich Dinge für uns verändern und die Not.wendigkeit hinter eben jenen Veränderungsbestrebungen. Sowohl an uns selbst, als auch den Dingen um uns herum.
Und zwar immer noch. Nachwievor. Und eben nicht, wie so gern an uns herangetragen wird, OBWOHL “alles (Schlimme) doch jetzt vorbei ist”, sondern in weiten Teilen WEIL “alles (Schlimme) geschehen ist” und der Lauf der Dinge weiterhin passierte.

Die Not hinter dem Wunsch bitte auch mal loslassen zu können, die ist am Ende, was für uns bleibt, wann immer etwas nicht so läuft, wie wir es geplant, gehofft, erkämpft, gewünscht haben.
Nicht um jeden Cent, jedes bisschen Sicherheit, jeden Fitzel von sich selbst – nicht um jeden einzelnen Tag krampfkämpfen zu müssen – ist das ein zu hoher Anspruch?
Zu hoch, weil “ja alle irgendwie kämpfen und gucken müssen, wo sie bleiben”?
Oder zu hoch, weil die Aufgabe, sich eigene Unfähigkeiten, Hilflosigkeiten, Überforderungen anzunehmen und transparent zu machen, so verdammt weh tun kann?

Wir machen seit 15 Jahren Menschen ohnmächtig. Mitmenschen. Freunde. Fremde. Gemögte und Gemochte. So ohnmächtig, dass sie uns überfordern, hilf.los zurück lassen und uns demonstrieren, wie unfähig sie sich vor uns erleben.
Wir trösten sie, verstehen sie, bilden sie fort, bilden sie aus. Stählen sie für spätere Kontakte mit anderen früheren Gewaltopfern.

Und wir? Bleiben übrig.
Spüren unser Handeln wie eine eiserne Maske, die uns ungesehen sein lässt, über unsere Not scheuern. Atmen den Gestank von Eiter und Trauma assoziierter Scheiße ein und spüren der Einsamkeit nach, die auch die größte Nettigkeit und die immer wieder auftauchenden Angebote sich “jederzeit melden zu können, wenn was ist”, von Menschen, die an uns keinen Auftrag haben, nicht füllen können.

Denen machen wir ein schlechtes Gewissen, wenn es uns nicht gut geht und sie es nicht bemerken. Denen machen wir Not, wenn sie merken, dass es uns nicht gut geht. Denen machen wir es ungemütlich, wenn wir sie daran erinnern, dass 21 Jahre lang Gewalt & Ausbeutung zu erfahren, einen Dauerzustand von wie auch immer gelagerten Nöten in unterschiedlichsten Facetten und Auswirkungen nach außen, für uns zur Folge hat.
Nicht nur heute oder nach einem Erinnern. Nicht nur gestern, vorgestern und letzte Woche, weil irgendwas geschehen ist, was jede_n andere_n gleichermaßen aus der Bahn werfen würde – sondern verdammt nochmal vorhersehbar sicher auch noch morgen und übermorgen und nächste Woche, weil egal warum, geschehen ist, was geschehen ist und durchs nichts jemals ungeschehen werden kann.

Wir sind, was von der Gewalt übrig ist.
Wir sind der Rest und niemand weiß so recht, was daraus mal noch werden soll. Darf. Kann.

Hätte ich ein Cape, dann könnte ich wenigstens so tun, als würde ich die Not daran held_innenhaft er.tragen.

innere Tode

Sie führt den Bleistift rasch übers Papier auf dem Schoß und schaut mich an.
“Und wenn es wieder passiert?”
Ihre Stimme klingt ruhig, aber ich bemerke das Rot in der Frage und sehe, dass sie sich an etwas erinnert, das lange vor mir passiert ist.

“Was ist denn passiert?”, frage ich, obwohl ich es gar nicht wissen will.
Sie antwortet, dass sie schon einmal so eine innere Landkarte mit Namen angefangen hat. Atmet ein, macht einen weiteren schnellen Strich und sagt: “Und dann bin ich gestorben.”.

Der Satz schlägt auf und kullert in das leere Rund zwischen uns.

“Aber du bist nicht wirklich gestorben, richtig?”, frage ich. “Du bist ja jetzt da.”. Sie nickt. “Aber trotzdem. Vielleicht passiert es wieder.”.

Ich weiß nicht, was ich ihr sagen könnte.
Ärgere mich schon wieder diesen Prozess nicht in der Klinik durchmachen zu können. Werde wütend, weil wir allein in eine Innenarbeit gehen und zwar durch äußere Vereinbarungen gesichert sind, aber keinen gleichermaßen gesicherten Beistand für die inneren Chaosherde haben. Dass wir einfach genau keine Helfer_innen haben, die schon vor 10, 12, 14, 15 Jahren innere Tode von Innens miterlebt haben und uns heute sagen könnten, worauf wir achten könnten. Was vermeiden. Wen unterstützen. Wann nachfragen lohnt und wann es eine Krise provoziert.

Unsere Therapeutin hatte sich gefragt, ob es uns überfordert dann doch jetzt einfach in die Erstellung einer aktuellen inneren Landkarte zu gehen. Und vermutlich hatte sie genau oder einen ähnlichen, wie unseren Gedanken: “Ja – nein – keine Ahnung – aber, ohne irgendeinen Anfang, gehts nicht weiter.”

Ich schaue dem Innen weiter zu und merke, wie sich mein Zwerchfell unter den erahnbaren Ausmaßen zusammen zieht.
„Ich will das alles nicht. Nicht so. Nicht so wie es ist, weil es anders nicht geht.“.
Ich denke das so oft, dass ich den Faden verliere und erst verzögert merke, dass ich es laut ins Telefon sage. “Ich will keine Herz-OP ohne Abitur, Studium, chirurgische Megaausbildung und 20.000 Simulationen bei milliardenschwerer  Fehlerhaftpflichtversicherung  hinlegen müssen, nur weil sich die studierte Task Force of Psychotrauma verweigert und lieber Blinddärme aus Leichen popelt.”, schiebe ich nach, weil ich den Vergleich gut finde und mir das auszusprechen plötzlich wichtiger ist, als irgendeine Prüfung des Raumes, in den ich das hineinsage.

Unsere Gemögte lacht.
“Hast du Angst?”, fragt sie. “Ja.”, sage ich und weine das Weinen von jemandem vor mir einfach weiter. “Wovor?”, fragt sie.

“Ich hab keine Ahnung”, sage ich. Und ertrinke in der Panik eines anderen Innens.

Fundstücke #23

Wir haben uns nie viele Gedanken darüber gemacht, wieviele wir sind und welche Auswirkungen das auf unsere Behandlungsaussichten wohl haben könnte. Wir haben seit Jahren nicht infrage gestellt, ob es richtig ist, keine Gewalt mehr in unser Leben zu lassen und selbst keine mehr auszuüben.

Jetzt sind diese Gedanken natürlich da.
Sind wir überhaupt behandlungsfähig? Sind wir wirklich viele? Wer sind wir eigentlich und wer lacht sich eigentlich schon seit Jahren über unsere dämlichen Versuche uns zu sortieren und besser zurecht zu kommen halb tot, weil es doch in Wahrheit so offensichtlich sinnlos ist? Schließlich…

Ich denke oft an die Familie* und mache selbstverletzende “Was wäre wenn” – Spiele bis mich irgendeine Erinnerung auseinanderreißt, weil es mich beruhigt so unaushaltbare Körpererinnerungen provozieren zu können. Als wäre das ein Beweis für einen nicht gemachten Denkfehler oder eine Rechtfertigung meiner Not überhaupt je über Hilfen oder Unterstützungen nachzudenken.

Viele Helfer_innen machen und haben mir schon den Vorwurf gemacht, ich würde Schach-Matt-Situationen provozieren. Man könne mir nicht helfen, weil mein Anspruch zu hoch, meine Erwartungen falsch, mein Problem zu komplex und das Gras auf der Wiese zu grün sei.
Ich kenne diese Dynamiken. Ich habe sie schon tausende Male auseinanderseziert und weiß, dass sie verlogen, narzisstisch, gewaltvoll und niemals so sehr von mir verursacht wurden, wie es mir vermittelt wurde. Ich weiß das. Ich kenne Gewalt und sehe sie, wenn sie mir angetan wird.

Aber wir leben in einer gewaltvollen Welt.
Wir leben in einer Welt, in der man sich aus Leidensgründen an Gewalterfahrungen in Institutionen begibt, in denen man lernt, dass man sich so an Gewalten anpassen kann, dass man selbst weniger leidet. Man muss nur sozial verträglich und sich selbst genug bescheißend dissoziieren. Man muss nur aufhören zu hinterfragen. Man muss nur ausblenden, was belastet und sich für die Erfahrungen öffnen, von denen man selbst profitiert. Man muss andere Menschen einfach nur nachmachen. Man muss nur ein bisschen anders sein als man ist. Nur ein bisschen besser und nur an ein paar Stellen. Es ist doch nur das eigene Selbst, was falsch krank problematisch ist. Alles andere ist irrelevant, weshalb man es “okay” nennt.

Wir leben in einer so gewaltvollen Welt, dass die Menschen, die andere Menschen vor Gewalt schützen sollen, Teil eines gewaltvollen Apparates sind.
Dass Menschen, die Menschen mit Gewalterfahrungen ausschließlich mittels gewaltvoller Rahmenbedingungen helfen. Dass Menschen, die Menschen, die unter den Folgen von Gewalterfahrungen leiden, erneut Gewalt antun müssen, noch bevor sie irgendwas für sie tun können.
Unsere Welt ist so vollgestopft mit Gewalt, dass man einander scheinbar nie wahrhaft ohne Gewalt begegnen kann.

Denn schon der offene Versuch ohne jede Nutzung oder Profit für sich allein aus gewaltvollen Dynamiken miteinander umzugehen, wird als Angriff, Gefahr, zu anspruchsvoll gewertet.

Und ich bin immer noch dabei, genau das immer weiter zu versuchen.

Weil ich keine Kraft dafür habe andere Menschen zu manipulieren. Weil ich keine Perspektive für mich und uns darin sehe, sich ständig gegen andere Menschen zu behaupten, anstatt mich mit ihnen auseinanderzusetzen und zu versuchen sie selbst und ihr Verhalten zu verstehen.
Weil ich fürchte, dass ich uns selbst nie zu Gesicht und Bewusstsein kriege, wenn wir uns für den Rest unseres Lebens in solchen zwischenmenschlichen Gewaltdynamiken bewegen. Egal warum, wie genau und wie viel anders doch intendiert ist, was mir begegnet.

Aber was, wenn das falsch ist?
Was, wenn mein Kernproblem an Hilfe nicht mein Selbst ist, sondern mein Wunsch niemandem in Gewalt begegnen zu müssen, um Hilfe zu erhalten?
Wenn mein komplexes, anspruchsvolles Kernproblem ist, dass Menschen, die Menschen helfen, noch immer davon befreit werden, sich mit ihrer eigenen Gewaltausübung zu befassen und sie zu beendigen?

Ich merke, wie wichtig das wäre. Ich merke das, weil ich mich plötzlich mit Fragen wie: “Wieso darf denn diese Therapeutin Wände zwischen Innens machen lassen und das gut und wichtig nennen – aber wenn dies andere Leute machen, heißt das “Mind Control” und ist böse?”, auseinandersetzen muss und merke, wie viele Parallelen zwischen früherem und heutigem Gewalterfahren aufgehen, die lediglich in der Bezeichnung und Betitelung der Akteure unterschiedlich ist.

Wir weigern uns, uns in den Reigen der Menschen einzugliedern, die behaupten in jeder Klinik, in der Menschen mit DIS behandelt werden, würden Täter_innen sitzen und überhaupt – nirgendwo kann man sicher sein und gut aufgehoben und la la la
Wir brauchen keine Idee von ominösen Verstrickungen von Behandler_innen durch organisierte Gewalt. Wir wissen, dass Behandler_innen ebenso in Gewalten sozialisiert sind wie wir. Sie mögen sie nicht gleichermaßen ausgestaltet erfahren haben, doch erlebt, gelebt und ausgeübt, haben sie sie schon tausend Mal und das ihr ganzes Leben lang. Sie können und manche wollen sich auch nur nicht dagegen entscheiden, so wie wir.

Es ist die Frage, warum uns dieser Verzicht scheinbar per default inkompatibel macht. Warum die Angst vor Gewaltverzicht, Veränderung, die Anstrengung für etwas noch nie gewesenes, Menschen dazu bringt, uns das Gefühl zu geben, wir wären es weder wert sich mit uns auseinanderzusetzen, noch okay genug, um uns auch so fühlen zu lassen.

Es ist alles noch da

Vorhin, in den letzten Schwingungen des Spontankontaktes mit der Therapeutin, die wir gedenken “unsere Therapeutin” zu nennen, fiel mir auf, wie üblich es jetzt weiter geht.
Mit NakNak* rausgehen – nur entspannter. Abendessenszutaten einkaufen – nur entspannter. Bloggen – nur ohne den Beigeschmack etwas Verbotenes zu tun. Ins Bett gehen und schlafen – nur ohne vorher einen Wecker zu stellen.

Alles ist noch da. Alles funktioniert noch.
Voll krass.

Weil, eigentlich müsste doch alles in Scherben sein. Schließlich hat man uns aufgegeben und weggeworfen. Schließlich ist man in der Klinik zu der Erkenntnis gekommen, dass man mit uns kein Arbeitsbündnis geschafft hat (und dadurch offensichtlich automatisch zu dem Schluss, dass sich das auch niemals je ever überhaupt je hätte eventuell vielleicht mal noch entwickeln können, wenn man uns und unserer Entwicklung Zeit gibt – weil Zeit ist Geld und Geld gibts ja von den Krankenkassen nie genug und darum kämpfen mag man nicht mehr,weil aus Gründen und Selfcare. Muss man ja auch verstehen – ) und uns entlassen hat.

Tatsächlich sind wir nicht in Scherben. Aber es ist ein bisschen was kaputt gegangen, das weniger mit uns, als mit dem zu tun hat, was wir so tun und weshalb wir es tun.
Unsere Loyalität gegenüber dieser Klinik und manch ihrer Akteur_innen hat einen weiteren derben Spalt in sich und bringt uns in tiefer greifende Zweifel und Konflikte über unsere Haltung, die wir nach außen vertreten.
Etwa dann, wenn mal wieder eine Email kommt, welche Klinik es ist und welche anderen wir empfehlen können. Oder dann, wenn es um Behandlungsansätze und unsere Erfahrungen damit geht. Oder dann, wenn jemand ähnlich verletzt, gekränkt und Teilen angebrochen, wie wir aus dieser Klinik herauskommt und hofft mit uns jetzt doch mal so richtig über “diese bescheuerten Therapeut_innen” oder “diese scheiß Klinik” herzuziehen.

Wir sind nicht so. Und wir waren auch nie so.
Obwohl wir von einem Therapeuten sexuell misshandelt wurden, in Kinder- und Jugendpsychiatrien fehl- bis miss_be_handelt wurden, von Dutzenden Therapeut_innen und Kliniksystemen verachtet, dressiert und verkorkst wurden, waren wir nie die Person, die anfängt gewaltvoll auf diese Personen zu reagieren oder gegen sie zu agieren.
Wir haben nie jemanden angezeigt. Wir haben uns nie gewehrt. Wir haben nie Schmerzensgelder oder Entschädigungen aufgrund von Falschbehandlungen oder Falschdiagnosen verlangt. Obwohl wir schwere Schäden davon getragen haben und diese bis heute nachwirken.

Wir haben nur immer wieder aufs Neue gehofft, man würde sehen, wie groß ist, was wir Behandler_innen in die Hände legen, wenn wir sie um die Hilfe bitten, die sie anbieten bzw. als von ihnen als leistbar anbieten
Immer ein bisschen weniger, aber doch: in Hoffnung

Es ist eines dieser großen Geheimnisse und Rätsel für uns, wonach Menschen bemessen, wann was wie genau für sie ist. Wie genau Menschen eigentlich abzirkeln, ob und wenn ja, was genau sie eigentlich von dem erfassen, begreifen und verstanden sein lassen, was sie wahrnehmen.
Manche Menschen nehmen diese Rätselhaftigkeit für uns ernst und öffnen sich für uns. Sie machen sich für uns ein bisschen leichter lesbar. Ein bisschen einfacher für uns. Sie machen sich barrierefreier für uns.
Manche, weil sie genau das als Teil ihrer Arbeit inkludieren und fachlich kompetent genug sind, zu wissen und begriffen zu haben, dass gerade komplex traumatisierte Menschen (gut lesbare und dadurch) abschätzbare und verlässliche Gegenüber brauchen, um in Kontakt gehen zu können, der eine konstruktive Arbeitsbeziehung zur Folge haben soll. Manche, weil sie uns irgendwie sympathisch finden und wollen, dass wir sie auch sympathisch finden. Manche, weil sie uns etwas schenken wollen. Manche, weil sie merken, wie sehr wir uns daran aufrauchen sie zu verstehen und Mitleid haben.

Und manche nehmen diese Rätselhaftigkeit nicht ernst. Verstehen das Problem nicht. Stehen vor ihrer kognitiven Dissonanz und kriegen unser Auftreten nicht zusammen mit dem rabenschwarzen Loch der Not, die sich logischerweise aus solchen Rätselhaftigkeiten ergeben. Für manche Menschen wirken wir vielleicht (sehr wahrscheinlich) nicht glaubhaft oder aufrichtig in diesem, so fühlt es sich jedenfalls für mich an: Geständnis von Rätseln, Unwissen, Unsicherheit, Angst und Not daran.

Und manche Menschen sind einfach ignorant. Nicht bei uns, sondern hauptsächlich bei sich und dem Oben und Unten, das sie davon befreit, sich damit zu befassen, wie problematisch ihre Ignoranz ist.
Der Begleitermensch nannte das “Therapeutendünkel” und ich nenne es das logische Ergebnis aus wer weiß wie vielen Kämpfen mit kranken Kassen, Gutachterbullshit, fachlichen Querelen und dieser einen Prise Überheblichkeit, die mit Deutungsmacht einhergeht. Wer sich nicht stellen muss, weil es auch anders geht, tut es nicht. Wer hunderte Patient_innengesichter und –geschichten an sich vorüberziehen sieht, ohne sich je für mehr als diese eine Episode ihres Lebens mit_verantwortlich fühlen zu müssen oder zu sollen, der kann fallen lassen, was verwirrt, irritiert, weh tut, stört.

Wir hätten allen Grund wütend zu sein oder aggressiv aus Gefühlen von Verletzung.
Tatsächlich aber haben wir gerade den Impuls, Mitleid mit den Menschen in diesem Klinikapparat zu haben.

Mitleid ist eine Form der Gewalt. Vielleicht eine der schlimmsten.
Denn auch sie entwürdigt, entmündigt, entmachtet. Negiert jede Form des eigenen Willens und Wollens, löscht jede Idee von eigenen Fähig- und Fertigkeiten eines Individuums aus.
Wer Mitleid hat, sagt, dass eine Person keine andere Wahl hat. Nicht anders kann (hier: “kann” als Fähigkeit gedacht) und das ganz sicher schlimm für diese Person ist. So schlimm, dass sie leidet.

Mitleid gilt häufig noch als etwas, das wichtig ist, weil es mit Mitempfinden oder Verständnis verwechselt wird.
Wir haben aber weder Verständnis dafür, wie die Entscheidung “der Klinik™” zustande gekommen ist, noch können wir irgendetwas mehr erfühlen als die Idee einer ängstlich vermeidenden Haltung uns gegenüber bzw. dessen, was wir repräsentieren (was auch immer das wohl sein mag)

Wir ermahnen uns, uns die gewaltvolle Struktur “Klinik” als Teil verschiedener gewaltvoller Strukturen (wie “Psychopathologie”und “Gesundheitssystem”) innerhalb der allgemein bestehenden Gewaltkultur unserer Gesellschaft, nicht als die gleiche unveränderbare und unkritisierbare Grundlage anzunehmen, wie diese Menschen, sondern ihnen die Verantwortung über die Stützung und das eigene Profitieren an diesen Strukturen zu überlassen. Denn da wurden Entscheidungen getroffen. Da wurde und wird etwas getragen, das, neben vielen eher positiven Eigenschaften, auch als toxisch, gewaltvoll und menschenverachtend anzuerkennen nicht schwer ist, wenn man sich damit so brachial kritisch auseinandersetzt wie es die aufrichtige Auseinandersetzung mit jedem Aspekt des menschlichen Seins und Wirkens erfordert.

Ja, wir intellektualisieren. So sind wir. Wir tun das nicht, weil uns das so schön aus Schmerz, Verletzung, Trauer und Not bringt und uns in irgendeiner Form ermächtigt. Wir tun das, weil wir das tun. Ganz schnörkellos und ohne tiefere Bedeutung, als die, die es für uns hat: Kontext (für unseren Schmerz, unsere Verletzung, Trauer und Not).

An unsere Schnörkellosigkeit muss man sich gewöhnen. Dafür braucht man Zeit, Kraft, Mut zum Irrtum und den Wunsch zu verstehen.
Das geht in jedem Rahmen und egal, wie gut oder schlecht wir uns in diesen Rahmen hineinoperieren können.

Was unser Arbeitsbündnis nicht hat zustande kommen lassen, war ein einziges grundfestes Missverständnis, das man nicht glauben will.
Weil so viele tausend erdeutete Ideen und Fehlannahmen über uns als Person und unser Re_Agieren so viel besser gepasst haben, um uns und unsere Behandlung zu vermeiden.

Als Patient_in kann man nicht beides leisten: sich selbst und seine Behandler_innen davon überzeugen, dass es sich wirklich lohnt.
Dass diese Doppelbelastung nun ein Ende hat, darum sind wir froh.

Was bleibt sind vermehrte Zweifel, ob wir unsere Engagements für komplex traumatisierte Menschen überhaupt noch jemals unter Einbeziehung von behandelnden Menschen fortführen wollen. Offensichtlich wäre vieles einfacher gewesen, wären wir nicht der Mensch hinter “Hannah C. Rosenblatt”.
Andererseits denke ich, dass unsere nervig irritierende Schnörkelosigkeit ist, was dieser eingeschworenen Traumabubble hier und da fehlt.

Wer weiß.
Erstmal einfach weiter im Text.

Podcast schneiden, Nachwachshausumfrage bewerben, die 321 Emails aus der Klinikzeit lesen und beantworten, eine gute Sonnencreme finden und die erste Miniradtour vor der Großen planen.

Es ist alles noch da.

Fundstücke #22

Ich bin nah am Wasser gebaut. Die Klinik saugt und saugt und bis zum Ende mancher Termine weiß ich nicht, ob sie uns auch etwas gibt, außer die Reflektionsfläche der eigenen Therapieerfolge neben dem kaputt, zerschlagen, verkorkst, wild verwachsen sein, zu bieten.

Noch immer sind die Sprechprobleme im Kontakt mit den anderen Patient_innen da. Noch immer torkeln oder balancieren wir uns selbst überwiegend auf Zehenspitzen mit schwer unterdrückbaren Fuchtelbewegungen durch die Flure. Und noch immer ertragen wir Reiz-Reaktions-Schmerzen, ohne es mitzuteilen.
Das tun wir nicht, weil wir glauben, das müsse so sein oder wir hätten es nicht anders verdient, als allein mit etwas klarzukommen, das niemand mit uns teilt.
Es geht nicht anders.

Und es geht wirklich nicht anders.
Vielleicht will ich deshalb eigentlich nur noch weinen. Weil ich es so hart anders können will und brachial wie nie zuvor merke, dass es nicht (mehr?) geht, wie früher.
Einfach von einer Mitpatient_in ansprechen und vereinnahmen lassen, damit wir nicht allein sind. Einfach Gespräche mit küchenpsychologischen Inhalten, wie dem, “dass niemandem mehr aufgebürdet wird, als si_er zu tragen in der Lage ist”, aushalten. Einfach über Schreckmomente gehen. Einfach in den hellhörigen Bereichen der Klinik stehen. Inmitten von 15-20 redenden Menschen, die alle Dinge tun, nach irgendwas riechen und Massen von Wissensclustern vor uns explodieren lassen. Einfach so. Ohne NakNak*sein und trotzdem durchhalten. Aushalten. Dissen und unauffällig konform wie alle anderen therapeutisch wertvoll funktionieren.
Ich merke so krass, wie nie in den letzten 4 Jahren, dass wir “die Rosenblätter” und “die anderen Innensysteme” sind. Und eben nicht “Frau P.”, die alle eineinhalb Jahre in die Seelenwerkstatt einfährt, weil ihr Leben eine stinkende Scheißkloake ist, aus der sie ganz offensichtlich nicht ohne ein paar therapeutische Rettungskräfte rauskommt.

Wir hatten gestern und heute einen Krampfanfall, bei dem wir umgefallen sind. Kommt immer gut, wenn man die Patientin ist, die als extrem verängstigt, schüchtern oder awkward gilt, weil sie das Maul nicht aufkriegt. Nicht.
Vor allem, wenn man Angst davor hat, in irgendeiner Art und Weise aufzufallen, weil “auffallen” in einer Klinik in der Regel “auffällig sein” bedeutet, ist so ein Krampfanfall superklasse. Nicht.
Die Krönung ist: spektakuläres “die Kontrolle über sich und seinen Körper verlieren” vor Menschen, die sich überwiegend aus Gründen der Erfahrung und ihren Folgen, die Kontrolle über sich und den eigenen Körper verloren zu haben, dort befinden, wo man sich selbst befindet.

Es fällt mir schwer, nicht permanent zu denken: “Ich will mich hier niemandem antun.” oder mich darüber auseinander zu pflücken, was für eine ekelhafte Belastung, Störung, Fremdheit und Monstrosität ich bin.
Es fällt mir schwer, die aufsteigenden und durchbrechenden Klinikflashbacks abzufangen, zu reorientieren und so zu tun, als würde mich nichts belasten, außer der wortlosen Masse hinter “Therapie ist ja auch anstrengend.”.

Ich zwinge mir positives Denken ab und merke selbst, dass meine positiven Aberungenschaften überwiegend daraus bestehen, zu hoffen, dass niemand unter mir leidet, weil alle so super gut von dem Klinikprogramm profitieren und sich von mir abgrenzen können.
Oder darauf zu hoffen, dass es mir nach einem Termin vielleicht nicht besser, aber etwas gelöster und entspannter geht. Überwiegend werden diese Hoffnungen auch erfüllt, aber ob ich gelöster bin, weil ich meinen Körper nicht mehr spüre, oder entspannter bin, weil kein einziges Innen mehr hinter mir steht – das merke ich erst auf dem Weg nach Hause.
Mal an einem Fastunfall, weil ich eine Ampel bei Rot überfahren bin, mal an einem Faststurz, weil mich der Fahrtwind auf der Kleidung völlig fertig macht. Mal, weil ich mich dabei beobachte, wie ich vom Rad steige und mir einen Ast auf den Rücken schlage, wie ein Flagellant.
Dass ich entspannter und gelöster bin, weil etwas wirklich gut getan hat, merke ich im Moment am stärksten nach dem Qigong üben. Weil wir nach den Terminen genug Kopf für “das-muss-ich-heute-noch-erledigen” und “wir-werden-es-uns-jetzt-gemütlich-machen” haben, das wir brauchen.

Thematisch haben wir genau 5% arbeiten können.
Wüssten aber auch gerade nicht, wo das möglich wäre. Vielleicht in der Kunsttherapie. Da haben wir – falls wir 6 Wochen dort sind, wie geplant – noch 3 Termine á 1,5 Stunden. Wie gesagt, falls wir die 6 Wochen da sind, auf die wir uns eingestellt haben. Und – jetzt muss ich fast lachen unter all dem Geheule – falls man in der Kunsttherapie überhaupt thematisch arbeiten darf. Vielleicht darf man nur in der Gesprächstherapie an Themen arbeiten und in allen anderen Terminen nur an Ressourcen? Wer weiß?! Ich weiß es nicht, denn irgendwie scheinen alle zu glauben, wir wüssten, was wir wo wie wann dürfen oder nicht dürfen, sollen, müssen, können, oder eben nicht und sagen uns entsprechend genau nichts darüber, was wir wo wie wann dürfen oder nicht dürfen, sollen, müssen, können, oder eben nicht.

Wir rechnen damit, dass wir morgen rausgeschmissen werden.
Weil man uns nicht helfen kann und zu dem Schluss gekommen ist, dass wir nicht profitieren.
Vielleicht, weil wir ein böses Mädchen sind, vielleicht aber auch, weil man halt nicht allen helfen kann, die Hilfe wollen. Brauchen.
Solche Fälle gibts.
Man gibt sie nur nicht gern zu.

Wir rechnen damit, weil wir katastophisieren. Kann auch sein, dass wir morgen nur deshalb schon wieder ein Gespräch mit der Einzeltherapeutin und der Oberärztin haben, weil man zu einem Schluss gekommen ist, der in meinem Kopf derzeit überhaupt nicht denkbar ist.

Letztlich, weil sich eine Schleife seit nun fast 3 Wochen durchgehend dreht und nicht beruhigt.
“Kann man mir nicht helfen? Ist alles umsonst (gewesen)? Hätte ich doch besser sterben sollen? Hätte ich all das Leiden unter mir, dem Leben und der Welt um 15 Jahre abkürzen können, weil es doch nichts gibt, was macht, dass es endlich aufhört?”

Ich weiß, dass diese Schleife veraltet und reflexiv ist. Ich weiß aber auch, dass diese Schleife ein 14 jähriges Mädchen ist, das von niemandem im Außen hört, wie weit der Begriff “Hilfe” und wie eng verknüpft er mit “Entwicklung” und “Hoffnung” ist, weil man denkt, dass die Frau Rosenblatt das doch schon längst weiß.

Bei der ganzen Therapieerfahrung und dem Intellekt.

Schmalzischmalz und Wahrhaftigkeit

Wir sitzen auf unserem Baumstamm im Nirgendwo des Irgendwo im Wald und starren auf das zarte Grün um uns herum.

“Es hat alles irgendwie mit Wahrhaftigkeit zu tun, glaube ich. Also, dass ich, weil ich da bin, der lebende Beweis dafür bin, dass es die anderen vor mir auch gibt. Mit allem, was sie haben, brauchen, können oder auch nicht können, brauchen oder haben. Und eben ganz wahrhaftig.”.

“Hmmm”, macht die Gemögte ins Telefon und es hört sich nach Zustimmung an. “Also ist es deine Selbstannahme als ein Innen, das für andere Innens entstanden ist, die macht, dass du die Anderen, als wahrhaft existierend bewiesen siehst?”
”Ja! – Danke – das ist viel knackiger formuliert.”, sie lacht und wickelt sich den Satz in ein blaues Erinnermich-Tuch.

“Und das Andere ist: Okay – ich habe die anderen und ihre Bedürftigkeiten und Schwierigkeiten als wahrhaft anerkannt. Ich denke: “Okay – ich habe keine Ahnung, wie ich dem begegnen kann. Wie ich auf sie Rücksicht nehmen kann oder wie unser Leben vielleicht gestaltet sein könnte, damit die Dissoziation zwischen uns vielleicht aufgelöst werden kann. Wie ich mit unkontrolliertem Erinnern umgehen kann und vielleicht auch schauen kann, was für Leben sie gelebt haben.
Es ist das Eine dieses Leben zu führen, in dem der intimste Kontakt zu anderen Menschen der ist, in dem man die Fragmente, die wir als Blogtexte teilen, dem Lauf der Dinge überlässt, in dem sich widmet, wer sich die Zeit, den Raum, die Kraft nimmt, sich zu widmen. Mit allen Konsequenzen, Risiken und Aus_Wirkungen, die möglich sind. Dieses Leben, in dem ich gut funktioniere, weil ich das kann. Weil ich dazu da bin, das zu können.”.

Es wird dunkel hinter mir. Ich fühle, wie sich etwas verdichtet und als Tränen aus ihren Augen herauskommt.
NakNak* schiebt sich auf ihren Schoß und leckt an ihrer Handinnenfläche. Drückt den Kopf an ihre Brust und wartet auf die Schmusegeste, die wir immer mit ihr machen.

Ich lege meine Hände auf ihre Schultern, obwohl ich schon weiß, dass sie mich nicht wahrnimmt.
Vielleicht tröste ich mich mit dieser Geste mehr als sie.

Sie schnieft ein bisschen und atmet durch.
“Es ist aber etwas anderes, den Lauf der Dinge selbst und aktiv zu beeinflussen und zu gestalten. Ganz bewusst und mit Absicht – obwohl man weder weiß, was man dazu genau tun muss, noch wirklich sicher weiß, welche Fehler okay sind und welche nicht. Oder – was heißt Fehler? – welche Abweichungen von “normal” wie in “nicht störend” oder “nicht unangenehm auffallend” okay sind.”.
“Also geht es auch noch um Anpassung, ne?”. Die Stimme der Gemögten klingt warm und erinnert mich an den Schwan. “Das ist ja auch oft ein Thema bei euch, die Frage, wie okay ihr seid, wenn ihr nicht passt oder den Anpassungserwartungen nicht entsprechen könnt.”.

Es klingt, als würde sie sich bequemer hinsetzen. “Kann es sein, dass das jetzt auch gerade das Problem ist? Also nicht nur das Dilemma, dass man eure Schwierigkeiten nicht sieht und als wahrhaft anzuerkennen scheint, sondern auch, dass ihr gerade merkt, dass ihr euch nicht an Vorgaben anpassen könnt, ohne so stark zu dissoziieren, dass ihr Zeit verliert oder sowas?”.
Hannah nickt und streichelt den Hund. “Ich glaube schon.”, antworte ich.
“Was ist wenn das immer und immer so bleibt?”, fahre ich fort, “Für immer. Was, wenn uns die Klinik gerade zeigt, wie falsch wir sind und wie wenig anpassungsfähig wir an das echte Leben sind?”.

“Die Klinik ist nicht das echte Leben, M. . Von dort werdet ihr vielleicht viele Dinge mitnehmen, die euch im echten Leben helfen – ja. Aber irgendwas darüber, wie das echte Leben als behinderte und queere Person mit eurem Überlebenshintergrund ist, werdet ihr dort nicht lernen.”.
Ich merke, dass wir ein bisschen über ihre plötzliche Festigkeit erschrecken und hart werden. “Bitte verwechselt Kliniken und Hilfsangebote nicht mit dem echten Leben. Ihr hattet so wenig echtes Leben in eurem Leben – woher sollt ihr wissen, wie man damit umgeht? Ihr werdet Fehler machen und ihr werdet noch ganz oft nicht in die hübschen kleinen Hilfe-Lebens- und Revolutionskonzepte anderer Menschen hineinpassen, aber ihr werdet nie selbst der Fehler sein.
Verstanden? – Oder wenigstens gehört?”.

“Hmmm.”, mache ich und weiß nicht mehr so richtig, was ich sagen soll.
“Ist Hannah noch da?”, fragt sie und klingt wieder so weich wie immer. “Ja”, antworte ich, “sie steht neben mir.”.

“Ich kenne euch jetzt schon sehr viele Jahre und mich haut es selbst regelmäßig aus den Latschen, wenn ich merke, wie eigentlich doch wenig ich davon weiß, wer ihr eigentlich seid und wie ihr es überhaupt schafft am Leben zu bleiben. Aber ich kann das reflektieren, weil ihr mich daran erinnert, wie nötig das ist, um euch kennenzulernen. Immer noch und immer wieder neu.”.

“- Äh – wird das jetzt eine Schmalzischmalzansage?”, frage ich ein bisschen angeekelt dazwischen, “Wir hatten heute schon sowas ähnlich awkwardes mit dem Begleitermenschen am Telefon.”.
Sie lacht. “Nee, kein Schmalz – ernsthafter call out. Ihr seid viele und das bedeutet für mich auch jedes Mal neu gucken zu müssen: “Wer ist da? – Was kann die Person? – Was bringt sie mit? – Worum geht es jetzt und hier? – Was wird gebraucht?.” Das ist meine wahrhafte Normalität im Kontakt mit euch und ich merke selber, dass mich das einerseits manchmal anstrengt, weil ich bei anderen Menschen da viel fauler sein kann – andererseits seh ich aber auch, wie klasse das ist, wenn ihr euch diese Fragen mehr und mehr auch selbst stellen und beantworten könnt. Und die Antworten auch aushalten könnt, ohne in Todesangst oder anderen Stress zu geraten.”, sie kichert. “Oder wie J. sagen würde: “Ich feier’ das hart, wie ihr vorwärts kommt!”.

Wir lachen und reiben uns die Hitze aus dem Gesicht.
Sie sprechen noch ein bisschen über das echte Leben, das Vielesein, das Behindertsein, die Angst und darüber, wie krass es manchmal ist, überhaupt zu existieren.
Ich merke, wie es Hannah zum Trost wird und uns zur Kraftquelle.

Und irgendwann glaube ich fast, dass wir wirklich nicht mehr tun müssen, als wir im Moment tun, um das Beste zu machen, was wir können.