loslassen

“Lass los.”, berat_schlägt sie mich. “Stoß das ab – es hat keinen Sinn sich dafür aufzurauchen. Machs dir gemütlich im Everybodys-Arschloch-Land. Du bist die Böse, weil du dich nicht verpisst hast. Niemand redet mit dir, weil du da bist. Einfach weil du da bist. Lass los. Geh weg. Lass es sein. Das ist es nicht wert. Du hast gesagt, was du kannst und hast dich dran gehalten. Es hat so wenig mit dir zu tun, dass du es wirklich einfach lassen kannst.”.
Sie sagt das ganz ruhig. Mit einer Stimme, die so glatt wie ein Flusskiesel ist.

Sie atmet, als würde sie rauchen und hat die Augen halb geschlossen.
Sie beobachtet mich. Bohrt ihre Blicke in mich hinein, während ich mir meine Arbeit abringe, um nach einer halben Stunde erschöpft zurück ins Bett und in holprigen Dämmerschlaf zu rutschen.
Wenn sie sagt: “Lass los”, versuche ich sie loszulassen. Vielleicht, weil mich ihre kalte Sachlichkeit erschreckt und ich weiß, dass ich ihre Anwesenheit jetzt aushalten muss.

Wenn ich sie loslasse, lasse ich mich los.
Dann stehe ich da mit meiner unsühnbaren Schuld allein und sehe alles, was ich tun kann, nichtig.

“Wir könnten das Geburtstagspaket ja einfach so losschicken und reinschreiben: “Es tut mir leid, was mir immer leid tut” und “Ich bereue nicht, was ich immer wieder tun würde. “. Das ist doch gut.”. Die Andere spielt mit einem Bleistift in ihrem Feuerhaar und streichelt sich die Schläfen.
Er kneift die Augen zusammen. “Nee, weißte was – ich entschuldige mich für gar nichts. Hier gehts um gebrochene Absprachen, willentliche und wissentliche Demütigungen und Abwertungen unseres Tuns –  nur um letztlich sich selbst zu zerstören und dann nicht mal den Arsch in der Hose zu haben, sich dem Schaden zu stellen. Nee. Is nich. So’n Ding schickt ihr da nich mit meinem Okay hin. Ich will meine Chance auf ins Gesicht boxen, wenn schon.”.
Sie starren einander erschrocken an.

Mein Gehirn wummert und brandet in seinem Gefängnis. Ich schließe die Augen erneut und drehe mich um.
NakNak* rollt sich auf den Rücken. Lässt sich streicheln.
Ich dämmere dem Abend entgegen.

“Vielleicht sind es zu viele gebrochene Versprechen. Vielleicht ist es einfach wieder und immer noch nicht die Zeit für uns, sich mit Vergebung auseinanderzusetzen.”, sagt sie. “Lass los.”.
Sie hält dem Innen, das uns die depressive Symptomatik vorwerfen will, den Mund zu und übertönt es.

“Lass einfach los. Wenn du nicht kämpfst, kannst du einfach sein. Das ist schwer genug.”.

Es ist Nacht als wir draußen herumlaufen.
Atmen. Sind.
Es ist schwer. Es tut weh.
Und die ganze Welt hat nichts damit zu tun.

kein Anschluss

“Wo ist denn der Charakter in diesen Charakterköpfen?”, hatte sie vor der Reise nach Berlin gefragt.
“Ich will Menschen zu fotografieren üben und – wo ist denn der Charakter im Gesicht?”.

Der Raum ist voll mit neuen Fremden, die Luft walzt sich von Wand zu Wand. Der Lehrer schaut sie an und nickt. “Das findet man heraus, wenn man sich die Leute anguckt und fotografiert.”, sagt er und zeigt ein paar seiner eigenen Arbeiten.
Die Frage verdunstet in der Wärme und verliert sich ohne Antwort im Stimmengemurmel.

In Berlin angekommen, tragen wir uns in einem Kokon durch die Stadt. Halten uns an dem Wissen um die Funktionen und Möglichkeiten der Kamera fest. Konstruieren ein Motiv nach dem anderen. Sie steht streng neben uns und ermahnt uns immer wieder an das, wofür wir hingefahren sind: Menschen fotografieren – mal was anderes als Blümchen, Bienchen, Sonne rauf und Sonne runter.
Es ist unfassbar anstrengend und die meiste Zeit ist da Angst vor dem einen Schritt zu nah. Angst davor, dass sich die Menschen umdrehen und mit uns reden. Angst davor, dass das Foto nicht sofort klappt und ein zweiter oder dritter Anlauf nötig werden. Angst davor die Menschen anzusehen. Angst davor dabei von ihnen angesehen zu werden.

Das turbulenteste Treffen war das Schönste und vielleicht mögen wir nur noch Kindermenschen fotografieren. Wir waren ihnen so herrlich egal und für die Zeit zusammen unterbrach sogar sie die Suche nach dem Charakter im Gesicht.

Zwei Wochen später tauchte die Frage wieder auf.
“Was machst du denn um den Charakter zu zeigen?”, fragt sie. Und ihr Lehrer schaut sie verständnislos an. “Ich arbeite das raus…”, sagt er und fährt mit dem Coursor die hellen Linien im Portrait eines Mannes nach. “Ja, aber woher weißt du denn, dass das da der Charakter ist von dem Mann? Wie entscheidest du das denn?”, fragt sie. Diesmal wollen wir hartnäckig bleiben. Wir haben 1200 Menschengesichtfotos auf unserem Laptop und sind willens irgendwo einen Charakter zu finden.

Und er versteht nicht.

Er schwenkt zwischen dem Bild einer jungen Frau und dem eines alten Mannes hin und her. “Hier sieht man doch, dass das ganz unterschiedliche Typen sind.”. “Ja.”, sagt sie nickend. “Aber wo ist da der Charakter drin – woran merkt man den denn?”.  Er macht diesen einen Laut, den Menschen machen, wenn sie sich beherrschen uns nicht zu schlagen und irgendeine Erinnerung zerrt so heftig an ihr, dass es sie nach innen wegdreht.

Als wir im dunklen Fotolabor stehen und an den Abläufen entlang, ein Foto abzuziehen versuchen, ist es plötzlich ganz klar wieder da.  Das Nichtsgefühl im Fern-der-Welt-taumeln. Im hellen vollen Nebenraum wird geredet, geplänkelt, gelacht. Die Menschen, mit denen wir lernen, stehen dort und freunden sich an. Wir stehen allein im Dunkeln und suchen mit 60% Sehschärfe und ohne eine konkrete Idee nach dem Charakter im Portrait einer fremden Person.

Das Netzmittel ist qualitativ mies und hat mir Wassertropfen auf dem Film beschert. Irgendwas ist beim Entwickeln schief gegangen und hat einen Streifen mitten durch die Motive hinterlassen.  Frustriert beenden wir die Arbeit und versuchen den Faden zur Gruppe wieder aufzunehmen.

“Wollt ihr noch mitkommen und was trinken gehen?”, fragt der andere Lehrer.
Und guckt die Menschen neben mir an.

Draußen regnet es in Strömen.
Ich fahre mit einem neuen alten Lieblingssong in den Ohren, dem Hund an der Leine und dem klappernden Herzen im Arm, alleine nach Hause.

Schaue angestrengt und lange in einen Handspiegel. Finde keinen Charakter, egal wie ich mich anleuchte.
Ich höre auf. Gebe auf. Lasse endgültig los und den Spiegel auf den Boden fallen. Betrachte die glitzernde Scherbenpracht.
Ich schneide mich in den Körper zurück und aus dem Glitzern heraus. Weine ein bisschen um die Kluft zwischen dem Hiersein und dem ImFunkelnsein. Um die Kluft zwischen mir und dem Rest der Welt.

Dann fallen mir Wörter ein, die ich aufschreiben kann. Die Wörter zum Weg vor dem, was ich als “selbstverletzendes Verhalten” in mein Tagesprotokoll kringeln muss.

Beim Aufräumen fällt mir die Überweisung unserer Therapeutin in die Hände.
“rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode (F33.1 G9 )”

kurz: “ET merkt, dass es keinen Anschluss unter dieser Nummer gibt”

Blitzlicht

Jahreswechsel.

Ich glaube, ich bin noch nie so wütend, traurig und beschämt ins neue Jahr gegangen.
Tausende Menschen sind auf der Flucht und das Land, in dem ich lebe, schließt die Grenzen. Ständig begegnet mir Alltagsrassismus und, weil ich ein blütenweißes Toastbrot bin, komme ich mir falsch vor, den immer wieder anzusprechen. Awkward white tears – ich weiß. Sie sind aber trotzdem da.

Ich merke, wie genervt Menschen von mir sind – und kann nicht reagieren.
Ich merke, dass ich meinen eigenen Selbsthass zunehmend unkontrollierbarer erlebe – und kann nicht reagieren.

Im Grunde hasple ich seit Wochen von Handlung zu Handlung, scheitere, rapple mich auf, zerre an mir, mich zusammenzureißen und weiter zu machen.
Hier ein Autsch – da ein Erstarren durch den Schmerz hindurch. Einfach immer weiter machen. Komm schon, das ist alles nicht neu. Hatten wir alles schon mal – ist gleich vorbei – dann gehts weiter weiter weiter.

Ich hab den Drang einen Laut rauszuschreien und kann damit nichts anfangen.  Möchte mich Menschen mitteilen und spreche gefühlt nur Mist aus.
Meine Wochen sind so unruhig und chaotisch – machen mich unruhig und chaotisch.

Eine gute Sache passiert und zieht gnadenloses Chaos mit sich.
Aktuell: meine Zähne.

Wir haben mindestens 2 Jahre durchgehend Zahnschmerzen gehabt und uns durch viele Behandlungen gequält, die allesamt nichts brachten, weil sich die leichte Angst bei der Zahnärztin zu waschechten Panikattacken und Vermeidungsverhalten entwickelt hatte. Endlich fanden wir erst Erleichterung durch eine Wurzelspitzenresektion in einer Operation und erhielten gestern eine Komplettsanierung des Gebisses wiederum unter Vollnarkose.

Und wer sitzt Stunden später vor seiner Suppe und kann sie nicht essen, weil sich die Zähne anfühlen, als wären sie nicht mehr da, aber gleichzeitig doch anwesend? Richtig.
Da ist etwas Fremdes in meinem Mund und das nennt sich “keine Schmerzen” und das geht einfach nicht wieder weg.
Ich merke so einen Impuls mich zu verprügeln, mir so richtig tief weh zu tun, weil es so dumm ist zu fühlen, was ich gerade fühle. Und daneben drängt der Impuls sich einzurollen und zu warten. Sich zu absorbieren und einfach in ein Detail hineinzukriechen bis nichts und niemand mehr an mich herankommt.

Stattdessen begebe ich mich unter Menschen. Jetzt bloß nicht isoliert werden. Wenn ich jetzt noch wirklich den Faden verliere, dann wird es wirklich gefährlich. Ich weiß nicht, welche Gefahr das ist, aber ich merke sie wie sie in meinen Nacken atmet.
Und was passiert Frau Rosenblatt, wenn sie unter Menschen geht? Richtig: sie verhält sich nervig bis awkward, verärgert diese Menschen und spürt mit jedem Wort, das sie äußert, wie die Ablehnung ihrer Person näher rückt.

Und dann geht es wieder los. Dieses bescheuerte Spiel um die Gunst von Wesen die unverständlich, überreizend und unangenehm wahrgenommen werden, zur Rettung des eigenen Lebens, vor etwas, das man gar nicht benennen kann.

Und wenn ich müde davon bin und nur noch heulen will, weil ich selbst nicht weiß was los ist und was besser hätte würde wenn könnte sollte müsste, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.

Shana tova.

schwanger gehen

Ich denke darüber nach, einen Brief zu schreiben.
Dann sitze ich an meinem Tisch. Neben mir steht mein Kaffee. Und alles verschwimmt.

Ich spiele Runde um Runde Candy Crush. Trinke einen Schluck. Beantworte Emails. Recherchiere für einen anderen Text. Stunden später möchte der Hund raus. Wir gehen in den Wald. Ich laufe hinter uns her und versuche jeden verlorenen Gedanken einzufangen.
Dann essen wir. Fressen wir. Überfressen wir uns bis sich der Bauch vorwölbt und die Schwangerschaft mit diesem Thema nach außen tritt. Dann weint jemand. Dann kotzt jemand. Dann sitze ich vor meinem Laptop und fische in der Kotze nach den Worten, die in meinen Brief hinein könnten.
Ich spiele Soda Saga. Spiele Candy Crush. Spiele social bei Twitter. Bearbeite Fotos. Fresse. Kotze. Heule.
Entdecke auf der Uhr die Nacht.

Ich verschließe meine Augen und warte auf den Schlaf. Denke an Sex und lache mich aus. Warte.
Denke an nichts. Verschwimme im Nichts und warte auf mein Aufwachen.

Liebe Mutti. Mami. Mama. Mam. Mutter. Frau. S.
Hallo, ich bin verrückt schon gewusst?
hello hello hello long time no see special new informations hello hello hello

“Wie sag ichs meiner Mutter?” ist so ein Satz aus der “unerwartet schwanger/HIV positiv/Erwartung enttäuscht” – Ecke.

Mein Kaffee ist kalt und ich breche in Tränen aus, weil ich aufgewacht bin, ohne es zu merken.
Der Kühlschrank brummt, die Kaffeemaschine klickt und röchelt, der Laptop summbrrrrtbrummt und das Telefon siept. Das Blut in meinen Ohren spielt weißes Rauschen und ich betrachte die Worträume in meinem Kopf.
Sie sind zu groß für das Außen. Zu viel.

Hast du zufällig schon früher gewusst, dass ich autistisch bin? Hast du zufällig deshalb

Das Zeitmädchen setzt sich neben mich und starrt mich durch seine weißen Augen an.
“Sie wird das nicht verstehen. Egal, was du schreibst.”.
Es fällt in sich zusammen. Ist wieder weg.

“Warum willst du das überhaupt aufschreiben? Am Ende steht für Außenstehende wieder nur: “Ich bin anders als andere. Ich bin besonders.”. Das hat keinen Wert für uns.”. M. schaut auf meine Finger und klopft unter ihr Kinn. Das Geräusch poltert durch das Rauschen und zieht eine Linie zwischen Wohnungslärm und Kopfkrach.

“Ich möchte ihr sagen, dass besonders sein scheiße ist. Dass es das für uns schon immer war und immernoch ist. Dass wir es Last empfinden, weil so viele Menschen mit einem Besonderssein immer und immer und immer Erwartungen an uns stellen, die wir immer und immer und immer enttäuschen. Ich möchte Leuten eine reinhauen, die sich für wertlos halten, weil sie nicht besonderisiert werden.
Und ich möchte eine Antwort auf die Frage, ob es vielleicht nie möglich war uns nicht zu miss-be-handeln. Ich muss wissen, ob wir heute wären, auch wenn sie uns nicht geschlagen, gedemütigt, ausgenutzt hätten. Ich muss wissen, ob – wenn ich schon ganz ganz früher normal gewesen wäre – vielleicht die Versuchung geringer gewesen wäre, sich an Menschen zu wenden, die davon profitieren.”, antworte ich und drücke die Worte an meine Brust.

“Du möchtest wissen, ob du etwas hättest richtig machen können.”. Seine Stimme schiebt sich unter mir her. “Herzchen – das hatten wir alles schon.  Etwas richtig machen, gabs damals nicht als Option. Nie. Wir hätten das normalste Kind der Welt sein können und das wäre noch falsch gewesen.”. Er berührt seine Lippen. Löst sich wieder auf.

“Du wirst nicht von ihr bekommen, was du brauchst. Sie kann das nicht. Niemand kann das. Wir sind jetzt allein damit und werden das für immer sein.”, sagt sie. “Wenn du dagegen ankämpfst, tut es weh.”. Sie hebt einen Flügel für mich und lässt mich in ihren Federn sitzen. “Wenn du loslässt, dann können wir uns davon entfernen. Wir nehmen Abstand davon und lassen es wo es ist. Wir können jederzeit wieder hier hin zurück. Nichts wird sich verändern.”.

Ich kann nicht loslassen.
Ich spiele. Fresse. Kotze. Wache. Warte.
Liebe Mutti. Mami. Mama. Mam. Mutter. Frau. S.

Jemand malt mich, um Abstand zu mir zu bekommen.
Mich loszulassen.
Mich zu verlassen.

Es wäre schön, wenn ich meiner Mutter eine unerwartete Schwangerschaft mitteilen könnte.
Das wäre so normal für mein Alter, mein Geschlecht, mein Das,waswäre,wenn.

wn

das awkward-eiskalte Herz

Ob ich traurig bin, weiß nicht.
Wütend? Keine Ahnung.

Ich dachte lange, meine Unsicherheit in Bezug auf mein emotionales Empfinden, hinge damit zusammen, dass ich es immer dissoziiere oder, dass ich ein intellektualisierender Mensch bin. So sage ich erst, dass ich traurig bin, ich wenn ich die Situation auf Marker für Traurigkeit untersucht habe. Ich benenne meinen schnellen Puls und das Ziehen im Zwerchfell, erst dann als Wut, wenn ich eine Ungerechtigkeit, einen Wortbruch oder sinnlose Zerstörung wahrgenommen habe. Beschämung und Demütigung berührt mich, weil ich die Umstände, die mich beschämen in aller Regel nicht verändern kann, was mich ohnmächtig macht, was wiederum ein allgemeiner Marker für Verzweiflung und Wut ist.
Spontan in mir auftauchend habe ich das nicht auf diese Art.
Meine spontanen Empfindungen sind “Thiiii” oder “Gnah” oder “Hrgm” oder “Oharr”. Je nach Melodie sortiere ich sie dann in eventuelle Wut, Trauer, Unwohlsein oder Fröhlichkeit und prüfe darauf hin meine Umgebung.

Im Moment frage ich mich, ob ich nicht vielleicht doch eine Art eiskaltes Herz bin.
Ich benutze Menschen. Das ist nichts Neues und die Menschen, die mit mir arbeiten, wissen das. Manche glauben mir das nicht und sind gekränkt, wenn sie irgendwann feststellen, dass ich sie nicht angelogen habe, weil sie mir aus ihrer Kränkung heraus nicht mehr vorwerfen können, ich hätte sie angelogen und glauben lassen, es wäre mir ausschließlich um sie gegangen.
Niemand mit der_dem wir näher zu tun haben, hat von uns noch nicht gehört, dass wir komisch mit Menschen sind. Dass wir uns als Freundin nicht eignen und, dass wir sie vergessen, wenn wir nicht regelmäßig mit ihnen zu tun haben.

Und dazu kommt, dass uns nicht geglaubt wird, wenn wir sagen, dass uns die Menschen selbst in aller Regel egal* sind, weil sie allein uns nicht reizen.  Es gibt viele Dinge um Menschen herum, die uns reizen und beschäftigen, weil wir sie nicht verstehen, oder wir die Lässigkeit mit der sich manche Menschen auch mit unsinnigstem Zeug befassen nicht nachvollziehen können zum Beispiel.
Es gibt auch viele Dynamiken, die uns nicht gefallen und die wir für die Menschen gerne verändern, weil wir Handlungsoptionen sehen. Aber wären diese Dinge, um die Menschen herum nicht da, würden wir uns nicht mit ihnen befassen.

Ich habe eine Idee von der Kränkung, die damit einhergeht zu wissen, dass es mir im Kontakt nicht um den Menschen selbst geht, kann sie aber gleichsam nicht nachvollziehen. Gerade dann nicht, wenn ich von Anfang an sage, dass es so ist. Solche Kränkungen sind nicht rational genug für mich.

Vor ein paar Monaten haben wir gemerkt, dass wir uns an die Therapeutin gebunden haben. Dass unser Zutrauen zu ihr eine Ebene hat, die fremd ist.
Da hatten wir zum ersten Mal reflektiert, dass unsere noch am Einfachsten funktionierenden Beziehungen die zu unseren Therapeut_innen waren, weil die beiderseitige Be_Nutzung immanent ist. Wir brauchen uns nicht daran aufreiben Angst davor zu haben, dass wir die Therapeutin vergessen, weil sie sich schon auch mal selbst um den Kontakt zu uns bemühen wird. Wir brauchen keine Angst davor haben, dass eine Kränkung von uns in ihr auf eine Art vor sich hin wirkt, dass sie uns wegtreten muss, weil sie so etwas an sich zu reflektieren und zu kompensieren geübt ist.
Unsere Therapeutin braucht uns nicht und die einzige Dynamik, die uns um sie als Mensch herum reizt,  ist ihre Arbeit an/mit uns.

Ich denke, dass unsere Performance mit Menschen umzugehen zu wenig einbezieht, auf irrationales und radikal destruktives Handeln einzugehen.
Da gibt es nur das Schockdissoziieren, das uns den Moment überstehen lässt und reaktives Erfassen der Gesamtlage mit allen Komponenten, Dynamiken und inneren Mechaniken. Man streitet sich nicht gern mit mir, weil ich das, was ich sehe, meistens auch noch mitteile, weil ich in aller Regel das Moment verpasse, an dem meine Schilderungen als von den Menschen selbst losgelöst angehört werden können.
Ehrlich gesagt habe ich diesen Punkt noch nie erwischt und werde ihn vermutlich auch nie erwischen, weil radikal destruktiv handelnde Personen in einem irrationalen Modus sind, der keine Kapazitäten für mein – nun ja – intellektuelles Geschwafel  detailliertes Erklären meiner Sicht der Dinge, übrig lässt. Aber eine andere Art der Reaktion ist schlicht (noch) nicht in unserem Repertoire.

Klar schimpfen wir auch mal zurück, aber befriedigend ist das eher selten, weil ich meistens schon noch merke, was ich da für einen Quatsch sage.
Hat man sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, warum ausgerechnet “Arschloch” beleidigen soll? Eigentlich ist es doch ein sehr wichtiges Körperteil – alle sollten froh sein eins zu haben und sich das Wort vielleicht eher in einem anerkennenden und wohlwollenden Kontext sagen.

Wir haben uns gestern überlegt, dass wir in Zukunft mit Dingen beleidigen könnten, die wirklich nicht toll sind. Sowas wie “Du Wurst mit 4 E-Stoffen drin!” oder “Du Sackgasse ohne Wendemöglichkeit!” Aber da merke ich wieder, wie wenig meine Sicht der Dinge passt. Niemand würde sich so beschämt fühlen wie ich, würde si_er von mir damit beleidigt.

Und dann ist da ja noch Versöhnung und Verzeihen. Oder Buße und Erbarmen.
Ich habe meistens keinen Anlass dazu, weil ich in so ziemlich allen Konflikten eher eine ganze Palette von logischen Folgen sehe (wenn ich sie denn sehen darf in einer Aussprache oder einer gemeinsamen Reflektion), als eine Palette von Schuldaspekten, derer man sich durch Buße, Sühne oder Entschuldigung entledigen muss. Schuld ist heutzutage reichlich irrational, wenn man sich außerhalb juristischer oder religiöser Kontexte bewegt.
Meine These: In Wahrheit weiß heute niemand mehr wirklich was Schuld ist und hält die verzerrte Kopie eines wahrhaft schuldhaften Aktes einer anderen Person für Schuld.
Die Irrationalität beginnt einfach schon genau damit, Schuld trotzdem zu benutzen. Auch wenn man eigentlich nicht weiß, was das ist und es keinerlei konkreten Konsequenzrahmen im Zivilleben dafür gibt. Wer mit Schuld arbeitet, macht sich zum Richter und das ist Gewalt. Wer sich in Schuldgefühlen wähnt, eröffnet eine Falle für jeden Mitmenschen über sich zu richten, ob die Menschen das wollen oder nicht. Auch das ist Gewalt.

Wir schweben nach Konflikten immer etwas desorientiert herum, weil wir uns nicht mit Schuldgefühlen oder Buße tun beschäftigen. Es gibt keinen Grund sich zu entschuldigen, denn Schuld können wir nicht sehen. Es gibt keinen Grund zur Trauer, denn wirklich verloren hat man nichts. Es gibt keinen Grund zur Wut, denn ohnmächtig im Schock sind wir ja nicht geblieben.

Eigentlich gibt es nur die Option zu merken:
“Ja Hannah, du bist ein wirklich awkwarder Mensch”.
Und das ist ja nun nicht wirklich neu.

Hm.

Es geht weiter. Alternativen sind gefunden, Wege werden gegangen, um sie irgendwann als Weg bezeichnen zu können.
Das Multiple lässt sich nicht aufhalten. Es windet sich entlang von Brüchen, fasert sich auf und umhüllt die Lücken mit zarten Strängen eines Ich.

Nichts ist so tragfähig wie das Ich in Menschen, die sich selbst haben retten müssen.
Menschen mit dissoziativer Identitätsstruktur gehen öfter Jahre verloren, Lebensqualitäten und Erfahrungen jeder Art flöten, weil sie selbst in der Reflektion einzig das spezifisch produzierte Ich über ihren Brüchen sehen können.

Ich bin schuld. Ich bin falsch.
Hätte ich, würde ich, könnte ich

So bekannt die eigene Awkwardness ist, so bekannt ist die Dynamik.
Es ist die Straße mit dem Loch, in das wir schon so oft hineingefallen sind.
Und die wir nun von der anderen Straße aus betrachten.

5 nach 3

[Telefontuten, jemand nimmt ab]

”Ja?”
– “Ich bins Rosenblatt-Salat”
”Ja? Alles okay bei euch?”
– “Ich glaub, ich bin krank.”
”Was hast du denn?”
– “Ich glaube, ich habe eine akute Reaktion auf die Heilung eines langanhaltenden Anfalls von Zutrauen in einen anderen Menschen. Vielleicht liegt aber auch eine Komorbidität mit der chronischen Gutmenschentumkrankheit vor. Man weiß es nicht. Ich fühle mich jedenfalls schwer naiv bis dumm und spüre Symptome aufkeimenden Fatalismus, die mit einem dringenden Wunsch nach Zigaretten und anderer Selbstverletzung einhergehen.”

”Hannah – wie lange seid ihr schon wach?”
– “Wie spät ist es denn jetzt?”
“5 nach 3.”
– ”Ist dann jetzt Freitag? Ja ne?”
“Hm.”
– ”Seit Mittwoch.”

”Orr.”
– “Ja – äh sorry? Musste dämliche Gutmenschensachen machen? You see my Krankheit?”
”Hannah –“
– “Ja?”

”Ihr geht jetzt sofort ins Bett und schlaft ein.”
– “Danke.”

[Telefontuten, Stille, Schlafgeräusche]

rück_Weg

Auf dem Rollkoffer steht die Tasche mit zwei Taschen drin. Auf meinem Rücken trage ich den Rucksack und spüre das Laptop, wie die Art Rückendeckung, die mir oft im Bahnhofslärm fehlt. Quer über die rechte Schulter trage ich den Fotorucksack und die kleine Kameratasche. Über die linke Schulter habe ich noch einen Fotokoffer auf die rechte Seite gezogen.

So taumle ich ins Reisezentrum der Bahn und versuche die Satzfetzen und Lautabfolgen in meinem Kopf zu etwas zu legen, das ich der Person am Schalter sagen kann.
Als ich spreche, klinge ich wie eine Kassette im Walkman, wenn man läuft und die Person in DB-Uniform wird besonders freundlich und kleinschrittig.
Am Ende purzle ich durch die Nummern und Ziffern, die sie mir sagt und bedanke mich fröhlich für die schönen Stempel, die sie auf mein Zugticket gemacht hat.

Ich denke darüber nach, ob ich stolz bin.
Wir haben eine Woche Berlin gepackt. Eine Woche sind wir zwischen Reizüberflutung, anrührenden Begegnungen und diesem einen stillen Fiepen im Innen hin und her gestolpert.
Irgendwann höre ich auf darüber nachzudenken, weil mir auffällt, dass ich mich verteidige, rechtfertige – ja, am Ende bei Personen entschuldige, die mich (und sich) hassen und als Schleifstein missbrauchen.

Als wir im Ausweichzug sitzen, lasse ich meine Augen auf den vielen Taschen ruhen und denke: “Alles Equipment sich die Welt anzusehen”
Vor der Abreise habe ich einen Vortrag von Temple Grandin über Autismus (englisch) gehört, in dem sie sagt, dass viele Autist_innen Schwierigkeiten mit gleichzeitiger Rezeption haben, weil ihre Sinne sehr empfindlich sind und die Reizverarbeitung oft anders ist.
Wie ich so in meinem weichen Bahnsessel sitze und die Fotoausrüstung betrachte, bin ich dankbar, dass ich weniger Probleme mit der Überreizung über den visuellen Kanal habe. Ich frage mich, ob ich zu fotografieren aushalten könnte, wenn ich auch noch sehen würde, wie ich es höre und fühle.

Irgendwann zieht sich mein Magen zusammen und ich denke zurück an das Moment im Bahnhof, als unsere Begleitung anbot, für uns Kaffee zu kaufen.
Wie sie bin ich traurig, dass uns so viele Kilometer trennen. Wo trifft man schon mal jemanden, der viele und auch autistisch ist. Dessen: “Bei mir ist das …” und “Ja, das hab ich auch…” nicht so klingt, als würde es mein Erleben an sich reißen und in Kontexte stellen, die gar nicht passen.

Ich merke, dass sich etwas verändert hat in den letzten Tagen.
Vielleicht will ich uns wieder mehr Ego(s)zentrik erlauben. Will Leuten sagen, dass sie sich von uns fern halten sollen, wenn sie nicht anerkennen (können, dürfen) wollen, wie beschissen “besonders sein” ist. Wenn sie nicht anerkennen können, dass unsere Erfolge und Triumphe nicht mit den Erfolgen und Triumphen anderer Menschen vergleichbar sind – egal wie viele Gemeinsamkeiten es gibt. Wenn nicht anerkannt wird, dass so etwas wie die letzte Woche ein Knochenjob für uns war, den wir nicht geschafft hätten, wenn da nicht so viel für uns gemacht worden wäre.

Am Ende richte ich meine Worte an eine unbestimmte Masse und frage sie:
“Ist dir bewusst, dass du von unserer Er-Lebensrealität – von uns – von diesem Innen eines Menschen und dem Leben um ihn herum, nur deshalb erfahren hast, weil wir 24/7 seit 2007 Netzcontent produzieren? Ist dir klar, dass du von uns nie etwas gewusst hättest, hätten wir nie unbezahlt gearbeitet, ungeschützt und ununterstützt angefangen, etwas öffentlich zu tun, von dem wir denken, dass uns das liegt? Ist dir klar, dass wir hier etwas teilen, einfach damit es jemand finden kann, wenn etwas Ähnliches gesucht wird?”

Für mich in die Antwort aus dieser Masse irgendwo klar: (beschämtes) Schweigen, hämische Unterstellungen, ob einer Erwartung auf eine Reaktion, die ich nicht habe und direkte Wortmeldungen, die mir ihren Dank für das Blog aussprechen.

Ich freue mich, dass es Menschen gefällt, was ich hier mache. Dass es zum Nach_Denken anregt. Etwas auslöst, das konstruktives Handeln zur Folge hat.
Aber ich brauche keine Dauerbedankungen und Aufmerksamkeit, die sich auf die Person bezieht, die wir als Einsmensch bilden.
Wir sind nicht wichtig für das, was hier steht.

Wir sind nur wichtig für das, was wir hier sagen.

“Das Blog von Vielen wird sich verändern.”, denke ich, als wir uns ins Bett legen und die Stille des Bullergeddo belauschen.

Donnerstag

Arbeiter2

Steigt ein Jemand in eine S-Bahn hinein, um zum Bahnhof zu kommen.
Ist ja nur ein Katzensprung.
Zum Weinen darüber, dass es einfach wirklich niemanden gibt.

Und zum Erschrecken, als Vikoria quer durch den Supermarkt zu Illona ruft:“Watt isn ditte da? Kieke ma – dis is aba von jestän noch.“

Dienstag

Eichhörnchen2

Wir wanderten durch Kreuzberg und betrachteten ein Gesicht.
Dann fuhren wir nach Marzahn und betrachteten ein Kind, das nicht verstehen kann, wie es noch woanders fast ganz genauso aussehen kann, wie zu Hause.