inside Panik

Von Ende 2002 bis Anfang 2004 waren wir Patientin in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beziehungsweise: einer Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik. Für Kinder und Jugendliche.
Manches war gut, manches nicht. Manches war hilfreich, manches nicht.

Gestern Abend habe ich mich daran erinnert, wie wir zu der Zeit Menschen verletzt haben, wenn sie uns in Panik oder Flashbacks angefasst haben. Ich spreche gerade von richtig heftigen Verletzungen – nicht nur den blauen Flecken, die man halt mal kriegt, wenn man es mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, die Probleme haben ihre Affekte zu regulieren.

Ich habe mich daran erinnert, weil uns der Schulleiter gestern Nachmittag in der Dunkelkammer eingesperrt hat. vermutlich, weil er vergessen hat, dass wir noch darin gearbeitet haben. Es kam zu einer Panikattacke und einem Flashback. Einem Klinikflashback. Einem Flashback in ebenjene Zeit zwischen 2002 und 2004, in der wir umgeben von Menschen eingesperrt waren, ohne zu wissen, ob es überhaupt etwas bringt an die Tür zu klopfen, wie wir es gestern taten. Ohne immer wirklich klar zu haben, ob die Tür unseretwegen oder wegen einer anderen Person geschlossen war.

Eine Lehrerin auf der Etage hat unser Klopfen gehört und die Tür geöffnet.
Und unseren Arm gestreichelt um uns zu trösten und zu beruhigen.
Für mich hat es sich angefühlt als würde jedes Streichen ihrer Hand auf unserem Arm eine Hautschicht wegätzen. Es war eine überbordende Schmerzempfindung und im Innen krachte das heulende Monster gegen seine Käfiggitter bis sein Raum einstürzte und es unter den Trümmern begrub.

Mein Blick nach innen wurde weiß rauschend und giftstill.
Funktionsmodus. Alltagsdissoziation. NakNak* an der Leine, die um unsere Hüfte gelegt war und Renée am Telefon als Anker ins Heute.

Ich entschied mich für das freundliche Auflösungsmodul. Lächeln, nicken, lose bis unverbindliche Wortketten an das Gegenüber geben, sich aus der Berührung winden und zuhören. Trösten und beruhigen, damit sie aufhört mich trösten zu wollen. Aufhört mich mit Worten zu überschütten, deren Inhalte mir wie Reiskörner durchs Begreifen rutschen.

Ich ging in unseren Alltag zurück. Fotografierte eine stachelige Pflanze im Abendlicht. Wäre gern selbst die stachelige Pflanze gewesen.

Am Abend dachte ich, dass ich auch gern wieder das heulende Monster in unserem Leben hätte. Weil es unseren, meinen, seinen Schmerz an so einer Situation so viel klarer und unmissverständlicher zeigt. Weil es so viel klarer definierbar macht, was okay ist und was problematisch.
Und weil es unsere Probleme deutlicher markiert. Unser Sein in bestimmten Kontexten. Und auch eine Option dessen, wie wir re_agieren könnten. Eine Option, wie wir auch sein könnten.

Der Mensch, der uns eingeschlossen hat wird sich leicht sagen können, die Konsequenzen seines unbedachten Handelns wären ja nicht dramatisch oder schlimm oder problematisch, weil „sonst würden wir ja was sagen oder machen“. Etwas, das er merkt und ernst nimmt.
So ein freundliches Auflösungmodul ist er gewohnt. Das macht in seinem Kosmos nichts weiter. Es gilt als “Nicht weiter relevant.”, “Nicht weiter auffällig.”, “Kann man unbesehen an sich vorbei ziehen lassen.”.
Wäre das Monster durch mich hindurch geprescht wie früher, hätte es “einen ernsten Zwischenfall mit einer psychisch kranken Schülerin” gegeben. Natürlich hätten sich dann auch eine Zillion Vorurteile bestätigt und die Wahrscheinlichkeit, dass wir so ernst genommen werden, wie wir es uns wünschen würden, wäre genauso hoch wie jetzt. Aber Raum für einen Zweifel daran, dass diese Situation für uns dramatisch, schlimm, problematisch war, hätte es nicht mehr gegeben.

Wir haben solche Anwandlungen nicht oft. Es ist selten, dass wir uns wünschen andere Menschen könnten direkt wahr- und aufnehmen, wie Dinge für uns sind oder auch, wie sich Situationen für uns darstellen und was sie in uns auslösen. Für uns ist es in der Regel eher angsteinflößend und negativ triggernd, wenn Menschen uns sehen und lesen können. Auch das eine Folge von Erfahrungen sadistischer Gewalt. Für uns gilt es nachwievor als gefährlich, wenn Menschen uns sehen oder uns zwingen uns ansehen zu lassen. Für uns gilt “gesehen werden” noch immer in weiten Teilen als “durchschaut werden” (= ausgenutzt, reingelegt, in der eigenen Wahrnehmung verdreht gedeutet werden) und damit auch von jemandem geistig und/oder emotional an sich gerissen oder auch vereinnahmt zu werden.

Aber wenn man uns helfen oder unterstützen möchte und wir merken, dass das ein aufrichtiger Wunsch ist von einer Person wie dieser Lehrerin zum Beispiel, oder auch Behandler- und Begleiter_innen, dann wünschen wir uns immer öfter in den letzten Jahren, dass sie sehen können, wenn sie uns mit ihren Hilfeversuchen ganz konkret weh tun, uns überfordern und manchmal auch schlicht dabei stören uns selbst zu helfen.
Damit sie, wenn sie das wissen, anders versuchen uns zu helfen und/oder zu unterstützen.

Deshalb habe ich gestern bei Twitter noch ein kurzes “Alternativ-How-To” für Außenstehende bei Panikattacken geschrieben:

– Panikattacke/Angst = Sicherheitsgefühl nötig, Sprache schwer
(Panik und viele Angstattacken auch, passieren in einem Teil des Gehirns das fern von (Laut)Sprache ist. Viele Menschen in Panikattacken können nicht sprechen und kommen in zusätzlichen Stress, wenn Worte von ihnen verlangt werden. Neurologisch ist es (nach derzeitigem Wissenstand) unmöglich dem nachzukommen! Kommunikation mit Gesten, Gebärden, Zeichen, Symbolen ist oft viel einfacher und zielführender)

– ruhig bleiben
(Diskussionen darüber, was die Person denn hat (was in ihrer Anwesenheit schon mal nicht so eine respektvolle und achtsame Nummer ist)  und, dass man das kennt, weil XY in der Familie hatte das auch mal und all das Blablabla, weil man unsicher ist und Angst hat irgendwas kaputt zu machen – stop it! – nutz die Energie für andere Dinge, wie …)

– sagen, dass die Lage beobachtet wird —> „Ich sehe dich – ich sehe, dass du Angst hast – ich sehe deine Zeichen mir zu sagen, was dir hilft.“
(Konzentriere dich darauf und nur auf diese Situation. Du kannst nichts kaputt machen, denn der Person geht es schon schlecht.)

– In Panikmomenten gilt das konkrete Hier und Jetzt – reagiere auf das konkrete Hier und Jetzt – schick Gaffer und Stresser weg, sorge für ruhige Umgebung
(Für uns sind in solchen Momenten alle Reizkanäle auf – jedes Geräusch, jede Berührung, jede sichtbare Bewegung und Unruhe tut uns dann weh – je weniger passiert, desto besser. Wenn jemand uns abnimmt auf konkrete äußere Gefahren für uns zu achten, schließen wir die Augen und halten uns selbst die Ohren zu, um uns diese ruhige Umgebung zu schaffen und hören damit wieder auf, wenn es geht.)

– frag, ob Körperkontakt ok ist oder gebraucht wird. Halte dich seitlich von der Person – überfrachte sie nicht mit Worten, Forderungen u.ä.
(seitlich zu stehen ist für uns gut, weil ein Fluchtweg sichtbar offen bleibt und weil es für uns angenehmer ist Menschen peripher wahrzunehmen – wir trauen uns dann auch eher ihre Worte und Forderungen auszublenden – gerade, weil wir sie in Panik noch ein Level mehr als üblich nicht verstehen und adäquat reagieren können und uns das verwirrt und beunruhigt und stresst und genau das überhaupt nicht hilfreich ist)

– Panikattacken haben einen Anfang und ein Ende – betrachte dich als Begleiter_in der Person bis zum Ende der Panikattacke
(bitte bitte bitte denk nicht du könntest mit irgendwas eine Panikattacke beenden und die betroffene Person aus “ihrer Not retten” – das wär toll, wenn das ginge, dient aber nur dir selbst. Es ist gut für euch beide, wenn du einfach nur da bist. Durch so eine Erfahrung bzw. Empfindung allein zu gehen wäre schlimmer. Du bist nicht allein, weil die betroffene Person da ist und die betroffene Person ist nicht allein, weil du da bist. Auch wenn ihr nicht das Gleiche empfindet, geht ihr beide durch die gleiche Erfahrung. Miteinander. Das macht viel aus.)

– Ist die Attacke vorbei, ist sie vorbei. Zeit sich dem Alltag wieder langsam zu nähern. Die Person entscheidet, wie dieser aussehen soll!
(Ich habe eine Pflanze fotografiert, bin durch die Stadt nach Hause gegangen und habe Entscheidungen getroffen, die mir gut getan haben. Andere Menschen hätten mich vielleicht in ein Taxi gesetzt und ins sichere Zuhause verfrachtet, wo ich dann mit der aufgestauten Körperenergie (Panik setzt manchmal eine Menge Zeug frei, damit der Körper schnell fit für Flucht oder Kampf ist) gewesen wäre und irgendwann zu dissen angefangen hätte, weil es für den Körper noch nicht als “vorbei” abreagiert und sortiert war. )

– sprecht darüber, was geholfen hat und was nicht. Aber erst nachdem genug Zeit war darüber nachzudenken
(Ich finde es schlimm, wenn ich direkt nach so einem Erlebnis nochmal daran denken soll. Manchmal müssen wir auch erst Schamgefühle vor anderen Menschen überwinden oder auch beruhigt über die soziale Verbindung sein, bevor wir darüber reden können. Und sehr oft müssen die Menschen, die bei uns waren, wenn wir eine Panikattacken oder auch einen Flashback hatten, sortieren was da war und wie sie sich währenddessen gefühlt haben, weil sie sonst ihre Gefühle mit uns verstricken und das fürs Miteinander ungünstig ist.)

Huch, mich gibt’s ja oder Trauma–Yoga Teil 1

Unsere Therapeutin ist vor ein paar Monaten mit der Praxis umgezogen. Wenn man jetzt aus einer Stunde wabert/schwabbelt/kullert/plumpst, dann läuft man immer erst mal gegen eine Wand aus Straßenlärm und dieser typischen Ignoranz, die der Lauf der Dinge neben einem her irgendwie an sich hat.
Heute fand ich das erstmals bewusst angenehm.
Manchmal komme ich aus der Therapie und das Gefühl im Zentrum einer Aufmerksamkeit zu sein, klebt noch eine Weile an mir. Es dauert bis diese Verschiebung nachlässt – außer, mir wird meine Egalheit so schön bewusst wie heute.

Egalheit ist gut. Auch.
Nicht immer. Manchmal kotzt mich meine globale Egalheit auch an.
Aber manchmal, wenn es um _mich_ geht – nicht um “Hannah C. Rosenblatt Einsmensch mit Funktion A B C und Labelpalette von –> bis “ – sondern um mich: Existenz, Präsenz, Metabolismus , dann ist es offenbar noch immer öfter sicherer für mich einfach egal zu sein. Also “egal” as in “gar nicht da”.

Ein Herz dort draußen hat mir das Buch “Trauma – Yoga – Heilung durch sorgsame Körperarbeit” von David Emmerson und Elizabeth Hopper von meiner Wunschliste zukommen lassen (Danke <3 ) und ich habe angefangen es zu lesen. Es ist ein Yoga – Übungsbuch, aber auch ein “Traumafolgen neu- verstehen”- Buch für mich, die bis jetzt nichts mit Yoga zu tun hatte.
Ich bin jetzt bis zur ersten Übung gekommen.
Mit Luft anhalten und Erinnerungen daran, dass es nur ein Buch ist und nichts woran Bedingungen geknüpft sind.

So ist das nämlich: Dann liest man “hat schon vielen Tausenden geholfen” und denkt “und? Muss es dann jetzt deshalb auch mir helfen? So wie dieses für mich nur stressige Stressbewältigen mit den sicheren Gärten und dem leisen Schnarchen vom Mitpatienten 2 Meter weiter, offenbar ALLEN und IMMER geholfen hat?” und auch: “Oh G’tt- ich habe eine Wunderwaffe in der Hand? – ist alles andere doch schon immer sinnlos gewesen? Habe ich Zeit verschwendet….?” und dann sind sie alle wieder da: die Zweifel, die Abwertung und das Vergessen der Entwicklungsschritte.

In dieser ersten Übung geht es darum die Verbundenheit mit dem Boden, auf dem man sitzt, oder mit dem man über Bett/Stuhlgestell verbunden ist, wahrzunehmen und schließlich mit dieser Verbundenheit zu interagieren.

Frau Rosenblatt hatte an der Stelle einen winzigkleinen Erkenntnis – meltdown, um vor sich irgendwie zu verpacken, dass es sie ja gibt.
Ich habe nicht weitergemacht, weil ich mich nicht schon wieder selbst auf Vermeidungstänze konditionieren will, wie ich das mittels Dialektisch- Behavioraler- Therapie gemacht habe, sondern lieber vorher so große Impulse hinterfragen.
Sehr hilfreich war dabei, dass der Übungstext schon genau so formuliert war, dass darin Raum für: “Ob sie das machen oder nicht, ist okay” war, denn “okay” ist nahe genug an “egal” für mich an Stelle, um mich dann auch darauf zu beziehen und mich sowohl zu trauen, aber auch wieder rauszuziehen.

Es ist jetzt nicht so, dass ich bisher durch die Welt gegangen bin und dachte ich sei inexistent, aber in meiner Sicht auf mich gibt es schon blinde Flecke, die eben genau da anfangen, dass ich vor weiten Teilen des Lebens eher “in Wahrheit gar nicht da bin” als wirklich präsent und verbunden mit irgendwas oder irgendwem. Und wenn ich dann verbunden bin, dann hat es einen Zweck, der mit einer Dualität bzw. Mehrsamkeit zu tun hat. Das ist in der Therapie mit der Therapeutin, mit meinen Gemögten im Gespräch oder mit NakNak* in manchen Situationen.
Das ist vom Spannungsgrad her schon etwas Anderes. Das ist BÄNG ICH BIN DA WO IST DIE KATASTROPHE DIE JETZT GLEICH SOFORT UND GANZ SICHER PASSIERT? KEINE PANIK ICH HAB ALLES IM BLICK – Präsenz, die der Logik des “in Wahrheit gar nicht da seins” Futter gibt, denn wer nicht da ist, der hat auch nicht alles im Blick.

Ich habe mir überlegt, dass ich erst einmal bei dieser Eröffnungsübung bleibe, bis sich der Gedanke “Ich bin” üblich in dem Zusammenhang anfühlt. Also nicht “normal” oder so, dass sich meine Spannungskurve nach oben schiebt “aber ja noch händelbar ist“, sondern so, dass mir gleich mit bewusst bleibt, dass ich mich gerade in meinem Da – sein wahrnehme, weil ich mich drauf konzentriere und nicht, weil gerade Alarm ist.

Vielleicht heißt es deshalb auch “Yoga üben” und nicht “Yoga machen”.
Erst mal üben, dass die eigene Existenz auch ohne Not oder Alarm wahrnehmbar ist.

“Wir sind Viele” ~ Teil 8 ~

GänseblümchenSchlossWaldthausen Wir mussten los. Schnell, denn um 22 Uhr würde niemand mehr in der Jugendherberge sein, unseren Koffer freigeben und uns den Schlüssel zum anderen Zimmer, dem Mehrbettzimmer, geben.

Wir stiegen in das beheizte Taxi, hörten “diamonds are a girls best friend” nach Musik zum französischen Heimatfilm, der Sonnenschein und kleine Dörfer zeigt, als wir durch die Kulissen dazu hindurchglitten. Mitten in der Nacht.

Ich ging in das Zimmer hinein und legte die Sachen ab. Obwohl es im Gebäude brummte und summte, war es seltsam still und ein hohes Fiepsen irrte in meinem Hören umher, wie eine Ratte im Labyrinth.

“Wir brauchen ein Minilaptop – eins von diesen ganz winzigen Dingern- ich muss schreiben- ich muss das loswerden- ich will das nicht in mir drin behalten, da krieg ich Verstopfung und blärg. Mir ist jetzt schon so schlecht ihgitt ba ich muss gleich kotzen, alter the fuck- wieso siehts hier aus wie bei Hempels unnerm Sofa verdammter Dreckskack- ich will- gib her ich muss schreiben- ich will- muss das- ich muss das aufschreiben the fuck verdammter Scheiß raus damit” sie wühlte den Koffer durch, kramte im Rucksack und versuchte zu schreiben, statt den Stift zu zerstören.
Wenn sie so in Fahrt ist, muss ich an eine Szene in die Schöne und das Biest denken, in der das Biest sein Gesicht im Suppenteller versenkt, während Belle einen klitzekleinen Löffel in ihrer klitzekleinen Mädchenhand hält. Dann stimme ich ihr zu. Mit weniger Konzentration auf die Mechanik des Schreibens Assoziationen, Erinnerungen, Gedanken und Gefühle aus sich heraus zu holen und woanders als in sich zu stapeln, ist in solchen Momenten genauso erlösend, wie ein Finger im Hals oder eine Ohnmacht in Panik.

Sie krickelte drauf los und endete frustriert. Die Hand kam nicht mit ihrem Tempo mit. Die Mine des Stifts brach, die Erschöpfung des Tages riss alles in seinen Abgrund. Sie legte die Sachen beiseite.
“Es ist Shabbat…” wisperte es von irgendwo und schon standen die Teelichter angezündet auf dem Tisch.
Durchatmen, sich dem Licht widmen, sich in der Schöpfung, dem Sein zentrieren, auch das in dem Moment eine Er- vielleicht auch Loslösung.
Eine Pause auf dieser rasanten Fahrt durch Gedanken, Lebensrealitäten, Meinungen und Weltbilder, Erinnerungen und Trauer, die unter Gefühlen aller Art zu ersticken drohte.

Gerade hatten wir die Kerzen gelöscht und Besinnung (und Sinne) in uns verteilt, öffnete eine Mitschläferin die Tür zum Zimmer.
Eine Stunde später, trat die zweite fremde Person hinein.

Wir versuchten bis halb 3 Uhr morgens unseren Angstpuls an den Schnarchrhythmus eines der Menschen im Zimmer anzupassen. Dann ging die mit dem Charme eines mittleren Eisenbahnunglücks vor die Haustür und fragte die dort lautstark trinkenden Jugendlichen, ob sie noch alle Latten am Zaun hätten.
Wir versuchten uns irgendwie in der Waage zu halten und wenigstens körperlich etwas zu ruhen.

“Alter, das machn wir nie wieder, damit das klar is- ich will son Minilaptopdings zum ordentlich schreiben und ich will entweder auch was zu trinken oder n Zimmer alleine verdammte Scheiße und jetzt hier Fresse maaaaan ich will schlafen- krieg dich ein mal jetzt hier is bald Aufstehzeit verfickter Kackscheißdreck verdammter- kanndochwohlnichwahrseinverdammtnochmal … “

Frisch wie der junge Morgen, flanierten wir wenige Stunden später auf dem Gelände des Schloss Waldthausen herum.
Natürlich.

Ebenendifferenz

Vor einer Weile zwitscherte es mich von der Seite an:

Wer die Grundlage der Lebensbedingungen eines anderen derart verkennt und auch keine Klärung zulässt, kann kein ernsthafter Gesprächspartner sein. “ (Quelle:hier )

“Wow, was für ein wahrer Satz!”, dachte ich und überlegte ihm eigens einen Dauerplatz hier einzurichten, damit ich mich immer wieder daran erinnere, was mich immer wieder aus der Bahn wirft, aber nicht allein meine Sache ist: Das Missverständnis anderer Menschen, in Bezug auf meine Lebensart und meine Lebensrealität und- was mich oft noch am meisten trifft: meine Sprache.

Ich habe großes- sehr großes Verständnis dafür, dass jemand mit mehr oder weniger intakter Fähigkeit zur Selbst- und Umwelt- Wahrnehmung, Schwierigkeiten hat, zu verstehen wie es ist, wenn diese Fähigkeit extrem eingeschränkt ist. Ja, es ist verständlich, denn was Menschen können, merken die meisten von ihnen erst dann, wenn sie es plötzlich nicht mehr oder anders oder besser können.

Das Fremdwörterbuch definiert den Begriff der Wahrnehmung als den Vorgang in dem die Sinne mittels Nervenbahnen, Reize aus der Umgebung der Menschen ins Gehirn transportieren. Das was darauf folgt nennt die Psychologie “Perzepte”, was wiederum definiert wird, als das WahrnehmungsErlebnis selbst. Diese werden mit verinnerlichen Konstrukten und/ oder Schemata abgeglichen um eingeschätzt und bewertet zu werden. (So- ich denke jetzt habe ich dann auch deutlich genug gemacht, dass ich, wenn ich Wörter benutze keine ausgedachten Definitionen verdrehe oder vermische)

Es ist, denke ich, eines der Phänomene, welches Missverständnis wachsen lässt: die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung, der Perzeption, der internalisierten Konstrukte und Schemata, sowie der anschließenden subjektiven Bewertung im sozio-kulturellem Kontext.

Ich beginne an der Basis: der Begriff der Wahrnehmung.
Obwohl eigentlich jeder Mensch etwas mit der ganz flachen, möglichst allgemein gültigsten Definition dessen anfangen kann und jeder weiß was gemeint, gibt es noch viele weitere Spezifizierungen und Ein-Ausgrenzungen in jeweils anderen Zusammenhängen. Solange keine Interaktion nötig wird, dient dies vor allem jenen, die sich in diesen Kontexten bewegen- nicht aber jenen, die außerhalb dessen stehen.

Bewegen sich beide Seiten aufeinander zu, wird es wichtig die Spezifikation der verwendeten Begrifflichkeiten zu lockern und allgemeiner-flacher zu verwenden. Dies wiederum verlangt eine grundsätzliche Agilität und Bereitschaft das Gegenüber auch verstehen zu wollen, bzw. verständlich zu sein.
Und dies ist ein sehr spannender Punkt, an dem ich persönlich sehr oft wünsche mehr Ausbildung meines Wissensschatzes erfahren zu haben.
Für das, was ich im Folgenden nur beschreiben und worüber ich (in erster Linie mir selbst-) erklärend mutmaßen kann, gibt es sicher bereits Namen, viele Studien und Bewertungen aus den verschiedensten Wissenschaftsbereichen. (Was zum Beispiel eine mangelnde Spezifizierung zur Folge haben kann, da ich über keine Spezialisierung verfüge und entsprechend auch keine tiefere- spezifizierende Sprache verwenden kann)

Es ist für mich so, dass ich permanent fürchte an einer Aussage festgenagelt zu werden (sehr schlau dann einen öffentlichen Blog zu führen- ja- ich weiß, aber muss jetzt mal grad aus deinem Fokus). Diese Festnagelungsangst ist eher darin begründet, dass meine Selbstwahrnehmung gestückelt ist. Es kommt häufig vor, dass mir jemand sagt: “Du hast aber gesagt…” und ich anfange mein Barbiegesicht zu machen und möglichst genauso tot und nichtssagend auszusehen, während ich versuche herauszuhören/ interpretieren/ deuten/ RATEN was mein Innenleben wann genau gesagt hat.

Ich erwarte kein Verständnis von allen meinen Gegenübern in so einer Situation. Die Menschen, die von meinen Problemen wissen, schieben ein “ich hab mich neulich noch mit… nee warst du das nicht sogar?.. über XY unterhalten und da….” dazwischen.
Die Bekannten und Fremden wissen es nicht und der einzige Vorwurf der vielleicht eventuell an manchen Stellen berechtigt sein könnte, ist der, dass sie nicht über ihre Worte und ihre Aussagen reflektieren. Sie sind nicht dazu gezwungen im Alltag und ich fordere es in der Regel nicht ein, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.
Bekannte und Fremde mögen für sich eine grobe Vorstellung von DIS haben, doch sie haben sie nicht Bezug zu mir. Sie haben keine Kenntnis von meiner Art wahrzunehmen und können ergo in den meisten Fällen keine Gespräche mit gegenseitigem „Rundum-Verständnis“ führen.

Einmal abgesehen davon, dass es niemals und unter keinen Umständen die komplette Kongruenz der jeweilig subjektiven Wahrnehmung gibt, da jedes Gehirn die Gewichtung der Reize, die auf es einwirken, unterschiedlich vornimmt und ebenso unterschiedlich dissoziiert und wiederum anders assoziiert (Stichwort: internalisierte Schemata etc.), sollte diese Hoffnung vom Gegenüber wirklich verstanden zu werden, wohl immer mehr Antrieb als real möglich zu befriedigendes Bedürfnis sein.

Und da ist der Punkt: der Antrieb zur Kommunikation. Die Intension meines Gegenübers.
Ich bin als Mensch in einer Umgebung aufgewachsen in der es überlebensnotwendig war, jede Intension des Gegenübers punktgenau zu treffen. Dies bezog sowohl eine genaue Beobachtung des Menschen vor mir ein, sowie eine absolut perfekte Beobachtung meiner Umgebung und der Situation als solcher.
Etwas bei dem ich früher wie heute allerdings gehandicapt bin, ist die Wahrnehmung der Gesamtsituation in einem zeitlich globalen Rahmen.
Ich weiß, dass ich meine Eltern niemals korrekt einschätzen konnte, weil mir ständig Zeit fehlte. Die einzige Konstante für mich als Innen dieses Einsmenschen „C. Rosenblatt“, war: „Erkläre (eigentlich aber: Rechtfertige) dich vor mir!“
Für mich hieß das: „Saug dir möglichst etwas aus den Fingern, dass so gut wie nur irgend möglich mit dem übereinstimmt, wovon du keine Ahnung hast.“. Ich versuchte aus dem was sie mir sagten herauszuhören/ zu interpretieren/ zu deuten/ zu RATEN einen Rückschluss zu ziehen und ihnen unter Abgleichung an meine mir vorliegenden Informationen und (Körper-) Gefühle, Rede und Antwort zu stehen.

Meine Eltern haben eine Art der Kommunikation betrieben, unter der ich niemals gewinnen konnte. Doch meine Intension sie verstehen zu lassen, in dem ich mich (oder div. Umstände) erkläre, war immer da. Warum?
Weil sie in anderen Zusammenhängen so perfekt funktionierte.

Ich habe es immer geschafft andere Menschen auf ihre Worte und Formulierungen festzunageln, weil ich sie mir genau eingeprägt habe; Dinge und Situationen genauestens beobachtet und wie ein Radar feinsten Sensoren abgescannt habe. Andere Menschen (mit niedrigerem Erregungslevel- [Sidestep- meine Art die Umwelt aufzunehmen fußt auf dem sog. „Hyperarousal„: mein Adrenalinstatus ist sehr oder weniger regelmäßig so hoch, dass mein Gehirn auch tatsächlich jede Kleinigkeit aufnimmt, um meinen vermeintlichen Überlebenskampf zu sichern] ) tun dies nicht. Einmal, weil sie nicht so wie ich, gelernt haben zu kommunizieren und einmal, weil sie sich eben nicht chronisch im Hyperarousel befinden, gehen sie Kontakt mit anderen Menschen.
Ihre Basis ist eine Andere. Auch ohne, dass wir auch nur ein Wort gewechselt haben.

Aus dieser Ebenendifferenz heraus zu kommunizieren erfordert also (im günstigsten Fall) eine beiderseitige Anpassung und mindestens die gleiche Basisintension.
Doch wie erreichen?

Ich rede gern mit Therapeuten, weil sie es in der Regel schaffen, mir ein Umfeld zu generieren in dem ich aus rechtlich festgelegten Gründen nicht mit einer direkten Versehrung zu rechnen haben darf. Ergo schaltet mein Metabolismus eine Stufe herunter und ermöglicht so einen Austausch der sowohl fehlerhaft (da nicht gesamtglobal), als auch trotzdem als richtig im Sinne von wahr und glaubhaft gilt.

Im außertherapeutischen Kontext bin ich es selbst, die sich ein Umfeld schaffen muss, in dem diese Erregung nicht nötig ist. Dies gelingt mir in der Regel, wenn ich offen sagen kann, dass ich nicht über alle für diesen Austausch nötigen Informationen verfüge und sich dies nicht bessert, wenn die Anforderung an mich gestellt wird, diese zu haben.
Dieser Umstand erfordert allerdings von meinem Gegenüber eine grundlegende Haltung von Interesse und Empathie. Bleibt dies aus, gibt es ein Gespräch, dass für mein Gehirn einen weiterführenden Überlebenskampf bedeutet.

Und es ist ein Überleben, auch wenn mein physisches Wohlergehen nicht direkt gefährdet ist.

Dies ist eine wichtige Basis, die leider oft vernachlässigt wird.
Große Erregung erfordert große Kräfte.
Diese Kräfte bringt der menschliche Körper immer wieder auf- egal wie geschwächt er als solcher ist. Die Defizite treten an anderer Stelle auf und bedienen eine Dysfunktionalität in verschiedenen Bereichen.
Sei es körperliche Aktivität oder auch die Fähigkeit Zusammenhänge mittels Sprache abzuflachen, um sie verständlich zu machen. Auch die Fähigkeit sich emotional-empathisch auf das Gegenüber einzulassen, wird beeinträchtigt.

Und hier schließt sich der Kreis.
Je mehr dieser Gespräche geschehen- je mehr ich davon am Tag erlebe- desto geschwächter bin ich als Gesamtperson. Die Anpassung an solche Umstände heißt in meinem Fall, dass es vermehrte Wechsel zu anderen Innens gibt, die ihre Gesprächspartner zu „Vermeidungstänzen“ verführen bzw. selbst vermeidend kommunizieren. Es entsteht nach außen der Eindruck, dass es zum Beispiel keine Probleme, Sorgen, Nöte, Konflikte gibt.

Dies ist etwas, dass uns in der Betreuung durch Sozialarbeiter (und auch während Aufenthalten in div. Kliniken) mehr oder weniger um Hilfen gebracht hat. Ab einem Zeitpunkt ist eine Überlastung nicht mehr kommunizierbar (da genau diese gerade durch dissoziative Bewältigungsmuster kompensiert wird) und entsprechend nicht mehr erfassbar für das Gegenüber.
Es sei denn da ist jemand, der genau diese Lebensrealität und genau diese Umstände genau verstanden hat und für sich immer präsent hat.

Die Bereitschaft zu diesem selbstständig immer wieder bewusst gemachten Wissen, hängt allerdings komplett an den Menschen selbst. Für mich bedeutet dies eine Abhängigkeit par excellance- früher wie heute- , dass mir das Gegenüber auf irgendeiner Ebene seiner persönlichen Haltung wohlgesonnen meiner Person gegenüber steht. Ist er es nicht, ist es kein als sicher wahrgenommener Kontakt und ergo niemand mit dem ich mich auf einer verständnisbringenden Ebene austauchen kann. Und dies bedeutet in jedem Arbeitsverhältnis (sei es in einer Betreuung oder in einem therapeutischen Kontext), verschwendete Ressource die eigentlich zu „Hilfe“ gewandelt werden soll.

Dieser Artikel hat keinen Schluss.
Vielleicht nur ein Ende, an dem steht, was für viele BetreuerInnen, HelferInnen und auch TherapeutInnen zu beachten sein kann, wenn sie es mit Menschen zu tun haben, die (komplex) traumatisiert wurden.