und die Sonne scheint

Während hinter ihr ein langer Vortrag über eine aufregende Situation, die planvolles Handeln erschwert, doch nötig macht, vom Schlauberg herunterkullert wie geronnene Milch, scannt sie den Bildschirm und verfolgt das Bild der Podcasttonspur. Es ist eine Episode in Flieder mit einem sachte schwingenden Faden in Orange.
“Ich muss was tun, wenn wir hier durch sind.”, legt sie langsam und bedächtig neben die Hand an der Laptopmaus, “Ich glaub, sonst überreize ich.”.
Mit einem letzten Klick werden die Spuren zusammengelegt und gespeichert.

“Ich will was Schnelles und Wuchtiges.”, kräht es dicht neben ihrem Denken in den gemeinsamen Äther. “Ich will… ACHTERBAHN FAAAAAAAHN”.
“Is klar. Wer kennt sie nicht – die Achterbahn in der Nachbarschaft?”, lächelt sie und pickt dem Kerlchen neben sich auf die Stirn. “Such dir was anderes, Kleiner.”.

Sie entfaltet den Körper und schaut in das aprilhafte Wetter hinaus.
Unter der Haut summt es und das linke Augenlid zuckt unangenehm.

“Hör auf zu kratzen.”. Von hinten greift eine Hand in ihr gedankenverlorenes Pulen an einem neuen Pickel.

Am Türrahmen steht jemand mit dem linken Fuß auf dem rechten und zählt  auf: “Jacke, Schal, Mütze, Stulpen, Schuhe, Keksbeutel für NakNak*, Mittagessenbüchse, Handy, Portemonnaie”. Sie setzt Haken an jedes Stück und beobachtet das Jemand heimlich aus den Augenwinkeln.
“Guck weg.”, antwortet es mit einem Stachel in der Stimme.

“Äh kennst du das da wo so ne Rutsche is mit som Karuselldings und so?.”
“Kennst du deutsche Sprache?”
“Kennst du die Geschichte von dem Innen, das sich nicht bemüht hat ein bisschen offener und rücksichtsvoller zu sein?”, fragt es in ihren Hinterkopf hinein und kruschelt dem Kleinen durch die Haare. “Ist nicht so gut ausgegangen, weißt du?”.
Sie gehen spitzmäulig lächelnd auseinander.

“Ich weiß wo das ist, aber das ist ganz schön weit. Bis wir da sind haben wir vielleicht keine Kraft mehr für den Rückweg und den Abend.”. Sie schaut in die Runde und fummelt nervös am Jackenreißverschluss herum. Als niemand antwortet, beugt sie sich zu dem Jungen herunter und sagt: “Aber ich kenne noch einen Spielplatz mit Reifenschaukel. Das ist nicht schnell und wuchtig, aber wenn man die Augen zumacht ist es ein klitzebisschen wie Achterbahn.”, sie kneift die Augen zusammen. “Also jedenfalls wird mir da immer ein bisschen schwummerig.”.

Die Grummelsie grummelt und zappelt an der Tür herum. “Okay okay dann los jetzt.”.

Sie gehen schaukeln und sich schwummerig machen. Laufen 30 Kilometer zu Fuß. Weg.
Vorm Denken. Angst haben. Sorgen machen. Erinnern. Aufgeregt sein.

Und die Sonne scheint.

Fundstücke #16

Wenn ich Eines aus der Woche in die Therapiestunde hinüberretten wollte, dann war es, was ich dann doch eher fahrig herausfaserte als es stabil wie ein mittelgroßes Bäumchen in das Stück zwischen der Therapeutin und mir zu pflanzen: “Könnten Sie für uns in der Klinik anrufen und fragen, wie der Stand ist?”.

Eigentlich wollte ich nur das. Nur das. Weil ich in der ganzen Woche in einem matschigen weißen Rauschen herumgewatet bin und nichts spürte, was mich so fahrig und zwischen thematischer Superabsorbtion und völliger Depersonalisierung oszillieren ließ.
War es die Erkältung? Das “viel zu tun”? Das Warten auf Nachricht von der Klinik? Das viele “nicht allein sein”? Der Konflikt im Fotokurs?

Irgendwann hilft nur noch das systematische Ausschlussverfahren durch Stressorenabbau.
Gesund werden, anfallende Arbeiten durchstrukturieren, Klinikfrage klären, regelmäßiger reflektieren wie viel Kontakt mit wem wie lange wirklich okay ist und entsprechend regulieren, in den Fotokurs gehen und wenigstens für das Wesentliche miteinander sprechen.
Fazit dieses Vorgehens: Erleichterung
Veränderung des Befindens: Nein

Zwischendurch blitzen Paniken bis zu mir vor, die dann aber doch ohne Gesicht bleiben und genauso schnell wieder gehen, wie sie gekommen sind. Seit Kurzem bricht etwas in meinunser Leben ein, dass wir als “Täterenergie” bezeichnen, weil es nicht genug ist für ein Innen. Weil es so viel Wucht und ES ist, das es nicht einmal Gedanken zu haben scheint. Das ist etwas, dem nicht mit einer Kognition zu begegnen ist. Und zu Selbstverletzung führt.

Während die Therapeutin meine Anmerkung eigentlich selbst in der Klinik anrufen zu müssen – aber…, mit einer Hand wegwedelte und dem Freizeichen zuhörte, dachte ich, wie praktisch das ist, dass sie mit den Rosenblättern in den letzten 3 Jahren schon so oft diese “Ich weiß, ich müsste das jetzt können, aber ich kann nicht und ich hasse mich dafür und orr wieso kann ich das nie und orr ich bin so scheiße – ich werde das können, weil ich bin so orr und arrgh und – naja –” – Kreisel miteinander hatten und deshalb für uns alle immer öfter ausbleiben können.

Als ich die Praxis verließ, dachte ich darüber nach,  wie wenig mir die Fähigkeit zur Abstraktion dabei hilft Ideen zu entwickeln, wie eine Begegnung mit solchen “Täterenergien” oder auch aufblitzenden Paniken aussehen könnte.
Ich fragte mich, ob das matschige Rauschen im Innen Emotionen sind. Oder die Emotionen anderer Innens. Oder der Rand der Kognition. Oder das Ende der Worte.

Ich habe mich gefragt, ob ich Angst davor habe, in so eine Begegnung zu gehen und gemerkt: Nein. Eigentlich habe ich eher eine Furcht davor, dass es eine andere Art der Begegnung sein könnte, als die, die ich gewohnt bin: als Beobachterin – abstrakt, intellektuell, ordnend, Worte findend

In unserer Therapie gab es häufig Begegnungen, in denen sich abgesprengte Emotionen oder Innens im Status als eine Art emotionale Lawine entpuppten, die alles unter sich begruben. Und ich stand daneben. Dokumentierte das Geschehen Wort an Wort und legte Zeugnis darüber bei Therapeut_innen ab, welche die zum Teil verheerenden Auswirkungen über den Umstand der Existenz meiner Worte definierten – nicht über die Abwesenheit der Worte anderer Innens und ihrer inneren systematischen Zugehörigkeit.
Wir haben nie darauf bestanden in unserer Unterschiedlichkeit anerkannt zu werden. Als unterschiedliche Systeme. Als auch unterschiedliche Funktionssysteme.  Beziehungsweise als Teile davon.

Die moderne Technik macht Vergleiche möglicher. Wenn ich heute Menschen sage: “Ich funktioniere nach Windows Vista – wo wir hinmüssen, gibts aber nur ein DOS-11.”, verstehen mehr Menschen als noch vor 10 bis 14 Jahren, was genau mein Problem mit der Ausführung einer Begegnung im Innen ist.
Es geht dabei nicht um eine Angleichung von Fähig- und Fertigkeitenniveau – es geht um die Produktion eines passenden Emulators für ganz spezifische Ansprechbarkeit eines ganz spezifischen Bereiches dessen, was erreicht werden will.

An einer Stelle geht es auch nicht um emotionale Phobie oder willentlich steuerbare Vermeidungsimpulse. Das kann ich sagen, weil ich einerseits eine Furcht empfinde – diese sich jedoch gar nicht auf das Traumamaterial bezieht, sondern auf eine allgemeine Veränderung meines Erlebens unter Einfluss eines Innens oder einer Energie aus einem anderen (Funktions)System. Es geht um einen Selbstschutzmechanismus, der, wie in der Psychologie üblich, mit Emotionen belegt wird – meiner Ansicht nach jedoch auch mit der Neuroplastizität des traumatisierten Gehirnes zu tun hat.
Um erneut die Metapher mit den Betriebssystemen von Computern zu bemühen: Nach den ersten Computerviren hat man sich zum Einen darum bemüht diese abzuwehren (Vermeidung), zum Anderen aber auch angefangen Programme zu entwickeln, die das Betriebssystem vor unerwünschten, weil schädlichen Veränderungen schützen (sollen).

In unserem Fall sehe ich die bloße Existenz unserer unterschiedlichen Funktionssysteme, als reaktive Schutzmaßnahme im Rahmen der Möglichkeiten.
Die Option einen Teilbereich (vielleicht eine einzelne Anwendung oder einen einzelnen Order) für die kognitiven, emotionalen, allgemein bioaktiven Aspekte der Traumatisierungen bereitzustellen, ohne den Rest zu gefährden, gab es nach einer Weile vielleicht einfach nicht mehr.
Es gibt neurologische Sollbruchstellen, die in die Lage versetzen können autark von einander zu funktionieren. Das Betriebssystem muss aufgrund der ursprünglichen Konzeption von ganzheitlich verfügbaren Ressourcen jedoch zwangsläufig jeweils ein Anderes sein. Das ist meiner Folgerung aus den letzten Forschungen nach eher effektiv lebenserhaltend, als phobisch vermeidend und damit in Teilen das Dilemma der DIS und ihrer Therapie.

Denn es geht um eine Balance zwischen der Anbahnung und Reizung des traumatisierten Gehirnes eine Reorganisation und Angleichung der verschiedenen Funktionssysteme vorzunehmen, gegenüber der Aufrechterhaltung grundlegender Funktionen, welche jedoch ganz direkt an Selbsterhalt ebenjener Systeme gebunden sind.
Für mich ist das zu trennen von willentlichen Entscheidungen oder emotional aufgeladenen Überzeugungen von uns Innens.

Es ist zu einfach zu sagen, es gäbe Innens, deren Stärke die Kognition sei und deshalb präferiert benutzt und phobisch vermeidend vor traumanahem – konkret re_agierenden Innens. Es ist zu einfach, weil es verkennt, welche grundlegenden Unterschiede es in den jeweiligen Betriebssystemen gibt und welche Optionen etabliert sind, um diese zu kompensieren.

Am Abend lag ich mit dem Hund auf dem Bett und verfolgte die langsam über unserem Kopf ziehenden Seidentücherfeen.
Ich bemerkte, dass ich nicht am Ende der Worte stehe. Wo ich stehe, beginnt nur das Leben und Funktionieren von anderen als mir und das matschig durch meine Wahrnehmung fließende Rauschen ist, womit ich selbst auch wieder neu anfangen könnte.

die kernigen Haferflocken

Inmitten all der Diagnosendebatten und Auseinandersetzungen wie facettenreich Autismus ist, direkt schräg neben den Auseinandersetzungen und Diagnosedebatten um die DIS, sitze ich vor uns und starrte auf den bunten Haufen neuer Aspekte, die sich scheinbar wie von selbst vermehren.

Die Kombination DIS und Autismus ergibt in der Googlesuche irgendwie nur unbefriedigenden Quatsch bis hanebüchenen Unsinn. In den meisten Büchern zu Autismus bemerke ich das Ausblenden der Lebenskontexte der betreffenden Personen. Die maximale Fokussierung auf Fähig- und Fertigkeiten. Individuelle Wuchsrichtungen aus einem nicht benannten, nicht erkannten, nicht erfassten Grund heraus.
In den meisten Büchern zu Traumafolgestörungen tauchen behinderte Menschen und ihre Fälle nicht auf.

Dazwischen klicken kleine Glieder von Assoziationsketten in meinem Kopf ineinander und verwandeln sich in “Herr Trigger”, der an den Regalen mit unseren noch nicht verarbeiteten Erfahrungen rüttelt und mich immer wieder in Flashbacks bringt.
Ich blende die Lebenskontexte ein, in denen wir uns befanden und ich komme immer wieder an Ideen unserer eigenen Beteiligung an der Gewalt an uns. Verstehe, was wir für andere Menschen immer wieder für ein schmerzlicher Dorn sein müssen, weil wir weniger verschnörkelt, weniger diffus, weniger abstrakt agieren und sind und gleichzeitig unempfindlicher an bestimmten Stellen.

Versuch mal jemanden über etwas zu demütigen, das dieser Person völlig egal ist. Und dann fragt dich so eine Person auch noch: “Ja, und?”, weil sie dich gar nicht versteht und du gar nicht verstehen kannst, wie man denn sowas nicht verstehen kann und folglich annimmst die Person will dich reizen. Will dich ärgern. Will dich dominieren.

Ich weiß, dass es bei der Gewalt an uns nie um uns ging, sondern immer um die Täter_innen und ihr infantil egozentrisches Denken.
Ich weiß, dass es in meiner Herkunftsfamilie* ein absurdes Gemisch aus Abwertung von Intellektualität und akademischer Welt mit Stolz auf die eigene Schläue gab. Es war nie wichtig super gut in der Schule zu sein – aber Dummheit überwinden zu müssen, war eine Art Pflicht.
Für mich ist Dummheit keine Unfähigkeit oder Unfertigkeit – für mich ist Dummheit, wie Schläue (oder Klugheit) ein soziales, wie zeitabhängiges Konstrukt. Schon immer. Deshalb spreche ich auch von “dummen Leuten” und stufe das nicht als ableistisch, sondern allgemein wertend ein.

In meiner Herkunftsfamilie* konnte eine Dummheit von mir nur auf eine Unfähigkeit der Erwachsenen deuten, mir nicht klar genug gemacht zu haben, dass ich irgendetwas können bzw. “endlich kapieren” muss oder soll.
Beachtet wurde meistens, was ich kann – nie, wie ich etwas gelernt habe. Denn das hätte zwangsläufig eine Reflektion des “Unterrichtes” bedeutet und tja. Naja.

Heute sitze ich vor Blogs von autistischen Menschen und denke: “Och, das hab ich nicht. Och bei mir ist das nicht so schlimm. Mich hats ja gut getroffen…”, während ich neben mir ein Innen stehen habe, das mich daran erinnert, wie ich das in den ersten 5 DIS-Diagnosejahren auch schon immer dachte. “Och Zeitverluste hab ich nicht. Och, bei mir ist das mit den dissoziativen Erlebensweisen nicht so schlimm. Ich hab dann wohl ne Luxus-DIS” und sich dann nach und nach eröffnete, dass ich unterm Strich vielleicht 10-20 Minuten des Tages wirklich gelebt habe und den Rest nie hinterfragte, weil der einfach nicht in meinem Fokus war.
Wenn man nicht weiß, dass man über Phasen des Tages nicht da ist, dann kann man auch nicht merken, dass man nicht da ist.
Es hat gedauert bis ich merkte, dass der Luxus meines Erlebens der DIS, die Amnesie für die Amnesie war, die mich davor bewahrte in hellerlichter Panik durch die Gegend zu rennen, weil ich nicht nur “Zeitverluste” sondern massive Er_Lebensverluste habe.

Heute will ich so eine Schleife nicht fahren. Dieses Jahr werden wir 30 Jahre alt.
Ich merke, dass es nachwievor darum geht, Wissen und Erfahrungen nachzuholen, die andere Menschen in meinem Alter schon längst gemacht haben und bewusst haben könnten, würden sie darüber nachdenken müssen, wie wir.
Letzte Woche habe ich gelernt, dass man selbst kontrollieren kann, wie und wann man zur Toilette geht. Nach gut, sagen wir, 27 Jahren komme ich auf die Idee, dass ein Zeit- und Aktivitätenbasierender Plan für Körperfunktionen vielleicht eine seltsame Konstruktion sein könnte. Zing – ein Autismusding, das so gar nicht in mein Bild von mir als “eigentlich in Wahrheit gar nicht so doll betroffen” passt.

Letztens dachte ich: “Hm, du benimmst dich voll autistisch wenn du jetzt schon wieder nur diese blütenzarten Haferflocken isst.” und kaufte die kernigen.
Sie sind furchtbar. Ich hasse sie. Es ist seit 4 Tagen ein Kampfkrampf sie nicht einfach in den Garten zu schütten “für die Vögel und Mäuse”.  Ich könnte es doch sein lassen. Aber… da sind die neuen Medis. Wir müssen einen Essplan haben, weil es an unserem Appetit und Hungergefühl manipuliert. Es muss Frühstück geben. Es gehen nur Haferflocken in Jogurt zum Frühstück – warum? Weil wir nicht viel Brot vertragen und weil ich ein Bild von einem Kellogg’s Fruit Loops Ballett in einer Schüssel mit Milch habe, das unaushaltbar disharmonisch mit dem Weingeräusch eines meiner Geschwister war. Und dahinter ein Erinnern an seinen Käfiggittern rüttelt.

Ich weiß bis heute nicht wo genau “Traumavermeidung” beginnt und wo die Notwendigkeit die Welt für mich auf eine Art sicher und okay zur Interaktion zu machen mit Plänen, Sortierungen und kategorischen Ordnungen, weil ich sie sonst gar nicht erst erfassen kann und sie mir aus ihren wirr bei mir landenden Fragmenten irgendwie spontan zurecht kampfkrampfen muss.
Ich will nicht mehr kämpfen und krampfen. Und doch merke ich wie ich das tue, während ich versuche meine komischen Vermeidungsschleifen genau nicht zu machen.

Früher habe ich mich ähnlich zurecht gewiesen, wenn ich gemerkt habe, dass ich angeblich “typisch multi” – mäßige Sachen gesagt habe. Jedes Mal, wenn ich auf eine Frage geantwortet habe: “Kommt drauf an, wen man von uns fragt”, hab ich mir innerlich die Hand auf den Mund gehalten und gedacht: “Orr – TU DOCH NICH SO – du hast doch keine Ahnung, dann halt die Klappe.”. Es war ein jahrelanger Kampfkrampf bis ich verstanden habe, dass meine Antwort nach vorne im Grunde doch sagt, was ich nur sagen konnte: “Keine Ahnung”.

Ich möchte das bitte abkürzen. Dieses sich selber verorten und zurecht finden und einsortieren. Ich merke, wie sehr es mich erschöpft. Und auch wie allein ich damit bin, weil beide Diagnosen immer wieder als so wahnsinnig individuell dargestellt werden, dass ich denke: “Hm, ok wieder nichts mit dem ich mich wirklich abgleichen kann. Wieder nichts woran entlang ich mich abgrenzen könnte, außer Klischees und Stereotypen.”.

[tl, dr: mimimimi]

Diagnosen und gewaltvolle Ausschlüsse

Es gibt gerade so eine Debatte darum, ob nur als Autist_in diagnostizierte Menschen an prominenter Stelle für Selbstbestimmung, Inklusion und Barrierefreiheit sprechen dürfen oder nicht und alles hängt sich an der Wichtigkeit einer Diagnose auf.

Ich habe bereits letztes Jahr in der Mädchenmannschaft geschrieben, dass Diagnosen Machtmittel, bzw. die Termini “Gesundheit” und “Krankheit” Machtbegriffe sind. Wer auch immer, wie auch immer Hilfe und Unterstützung sucht, braucht, möchte – fast egal, worum es geht! – braucht eine Diagnose. Wer gerade keinen entsprechenden Krankenversicherungsschutz hat, wer aus Gründen jeder Art keine Diagnostik aushalten kann (oder überhaupt auch gar nicht die Fähigkeiten dazu mitbringt  bzw. Kompensationsmöglichkeiten aktivieren kann – auch diagnostische Verfahren sind nicht barrierefrei!), wer zu Recht das Stigma durch eine medizinische/psychologische Diagnose scheut, wer mit negativen Folgen in Beruf, Familie, Lebenskontexten zu rechnen hat – wird sich im Zweifel immer gegen eine Diagnostik entscheiden.

Und das ist okay!
Sowas nennt man auch “Selbstschutz” oder “Selbstfürsorge” oder “Umgang mit Behinderungen”

Für mich lesen sich Teile der Debatte wie folgt: “Ja, aber wenn dieser Mensch da doch gar kein_e Autist_in ist und diese Dinge sagt – dann könnte ja jede_r kommen!”
Ich kenne das auch aus der “DIS-Bubble”: “Ja, aber wenn diese Person da gar keine DIS hat sondern “nur ne DDNOS” oder “nur eine komplexe PTBS” – dann darf die jetzt hier nicht über einen Mangel von guten Traumatherapeut_innen reden und sagen, dass Menschen, die Gewalt erfahren haben, schlecht behandelt werden.”

Für mich sind folgende Punkte in dieser Debatte wichtig:
1) wer warum worüber wo spricht ist wichtig, weil Sichtbarkeit für bestimmte Themen wichtig ist, um Antistigmatisierungsarbeit anzustoßen
2) wer warum worüber wo spricht, bestimmen in aller Regel die Personen, die die Macht haben darüber zu entscheiden
3) diese Macht begründet sich in aller Regel durch eine günstige Position auf den Diskriminierungsachsen: Klasse, ‘Rasse’, Alter, Geschlecht, Befähigung, Berechtigung
4) diese Positionen führen dazu, dass bestimmte Perspektiven auf eine Problemlage zur Norm erklärt werden und jede davon abweichende als “fremd”
5) das “Fremde” zu betrachten fällt aus dieser Position heraus am leichtesten, wenn sie die bekannte (als “normal” gelabelte) Perspektive günstig, positiv, angenehm, verwertbar, mit wenig Schmerz und Eigenbeteiligung ergänzt
6) so wird sich folglich auch immer wieder den Stimmen gewidmet, die diese Marker erfüllen
7) und so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass minorisierte, mehrfachdiskriminierte Personengruppen, die obendrauf auch noch eine unbequeme Botschaft mitbringen, hinten drüber fallen und unsichtbar bleiben

Konkret heißt das: übers Down-Syndrom werden noch eine ganze Weile nicht die Menschen mit Trisomie 21 sprechen, die keine Lautsprache beherrschen und zusätzlich auch körperlich anders entwickelt sind. Über Autismus werden noch eine ganze Weile Menschen sprechen, die sprechen können, die den Stress des öffentlich wahrgenommen werdens kompensieren können – und nicht die, die nonverbal sind und 24/7 Unterstützung und Pflege brauchen, um in die Lage zu kommen selbstbestimmte Äußerungen über sich selbst tätigen zu können – einfach nur, weil ihr Leben, ihr Er_Leben und die Realitäten in ihrem Leben als “zu fremd” von “den Zuschauenden/Zuhörenden/Kund_innen/ der Zielgruppe” eingestuft werden.

Und dieser Umstand passiert noch vor der Frage: “Gibt es eine fachärztliche/psychologische Diagnose?”.
Die Wahl der öffentlich sprechenden Personen hat herzlichst Nullkommanullnix damit zu tun wie “echt” bzw. wie “wahrhaftig” das Problem ist, worüber jemand im Fernsehen, in der Zeitung, im Radio spricht, sondern damit wie “echt” bzw. wie “wahrhaftig” die beteiligten Journalist_innen und der Sender den Fall und das Problem einschätzen.
Manche sind da sehr akribisch, weil ihnen bewusst ist, wie groß der entstehende Schaden sein könnte, viele sind es hingegen leider nicht. Und wenn man sich den Medienbetrieb anschaut, weiß man auch warum.

Ich verstehe den Wunsch, gerade in der deutschen Behindertenbewegung, nicht mehr von nicht genau gleich betroffenen oder wenigstens gleich diagnostizierten Menschen vertreten zu werden. Ich finde es ja auch nicht gerade prickelnd als Mensch mit DIS von Popkultur, Psychotherapeut_innen und 2-3 Einzelpersonen vertreten zu werden, deren Perspektive teils maximal von meiner entfernt und alles andere als an strukturellen und/oder gesamtgesellschaftlichen Veränderungen orientiert sind.
Aber gäbe es das nicht, wüsste ich nicht welche Felder noch fehlen in der Debatte. Gäbe es diese Fürsprache nicht, wäre es noch schwieriger für mich auf Gehör zu stoßen.

Für mich ist es relevant zu schauen, ob es sich um (selbstvertretende) Fürsprache oder “Stellvertretersprech” oder “Statt-der-betroffenen-Menschen-Sprech” handelt.
Daran orientiere ich mich in meiner Kritik.
Es gibt genug Menschen, die gute stabile Fürsprache leisten und die man immer wieder um Kollaborationen bitten kann, um das Thema sichtbar zu machen. Das ist gut und wichtig, weil es einander ergänzen kann und nicht jede_r Aktivist_in alles gleichzeitig immer in jeder Ansprache unterbringen kann.

Bei “Stellvertretersprech” und “Statt-der-betroffenen-Menschen-Sprech” hört der Spaß für mich auf. Ich will keine “Downie-Mutter” mehr im Fernsehen sehen, es sei denn sie spricht über sich und ihren persönlichen Weg als Mutter eines behinderten Kindes.  Ich will keine Sozialarbeiter_innen in der Zeitung lesen, die unbegleitete jugendliche Geflüchtete betreuen – es sei denn sie lassen eine flammende Rede über die empörenden Zwänge ihres Jobs vom Stapel oder sie sprechen über ihren persönlichen Weg an der Seite von Menschen, die auf sie angewiesen sind.

Eine Diagnose zu fordern klingt für mich nach einem Ausdruck des Wunsches ordentlich vertreten zu werden, wenn man überhaupt schon fremdvertreten werden muss. Und ehrlich gesagt erlebe ich das als peinlich, weil man genauso gut gleich sagen kann, dass man selbst bitte irgendwo mal sprechen möchte, weil man sich durch seine Diagnose als “echt” und “wahrhaft” erlebt.
Hier ist ein Link zur Speakerinnen*-Liste. Tragt euch ein (wenn ihr eine Frau* seid), gebt es weiter, netzwerkt, aktivistet – irgendwann gibt es dann vielleicht die Möglichkeit.

Eine Diagnose kann auch falsch-positiv sein. Eine Diagnose kann vielleicht aufgrund nur eines (warum auch immer temporär oder latent) fehlenden Merkmals nicht gestellt werden. Eine Diagnose ist das Produkt dessen, was ein anderer (meist privilegierterer) Mensch beobachtet und in Kästchen abhakt – was ist, wenn der mal nicht richtig guckt? Wenn der mal einen schlechten Tag hat?
Eine Diagnose ist das Produkt einer Abhängigkeitskette und am Ende vielleicht ein wissenschaftliches Glücksspiel, das im Fall des Falls dazu führt, dass eine autistische Person als nichtautistisch eingestuft wird – und keine Hilfe erfährt, weil es die, die diese Person braucht, nur für Autist_innen gibt – und keine Ausdrucksrechte in der autistischen Bubble erfährt, weil diese nur den Glücksspielgewinner_innen zugestanden werden.
Das ist Gewalt und das ist für mich einfach nur abstoßend.

Wer Hilfe und Unterstützung braucht, soll sie bekommen können. Wer etwas sagen möchte, das helfen könnte und wichtig ist und besonders Menschen mit einem bestimmten Phänotyp und Problemcluster betrifft, der macht Fürsprache und die ist wichtig. Auch dann, wenn die Person sagt: “Ich als selbstdiagnostizierte_r Autist_in, Schizophrene_r, Depressive_r, Mensch mit DIS/DDNOS/dissoziativen Störungen, Zwangshandelnde_r … persönlich empfinde dies und das und das und das als Problem und finde es wichtig, dass sich darum gekümmert wird.”

Vielleicht ist es dran sich zu überlegen, warum genau so wichtig ist, dass nur und ausschließlich eine Diagnose dazu führt, dass man einen anderen Menschen als sich selbst (mit Diagnose) in seinen Problemen ähnlich, anerkennt und ernstnimmt. Vielleicht macht man sich mal Gedanken darüber, wie man ohne gewaltvoll zu sein miteinander umgehen kann.

Keine 5 Senderminuten sind es wert, Menschen, die warum auch immer keine Diagnose, aber die (fast) gleichen Probleme haben, auszuschließen.
Keine.

einer dieser Tage

Und dann sind da diese Tage, in denen man nicht dazu kommt zu merken, wie schlimm sie sind, gerade weil sie so schlimm sind. Erst als man im Bett liegt und unter dem Gewicht seiner Decken zu sich kommt, entsteht der Raum zu der Erkenntnis, dass sich vielleicht einfach noch nicht genug verändert hat, um wirklich anders werden zu können.
Und mit dem Gedanken, dass man sich selbst vielleicht noch nicht genug geändert hat, um Dinge neu und anders anzugehen, fallen die Augen zu und es beginnt ein Zustand, in dem dieser Gedanke die Herrschaft hat. “Du bist nicht okay, wie du bist.”; “Du bist nicht genug”; “Du bist falsch”; “Du musst anders sein, um die Welt ™ zu verändern”. Da greift etwas in mich hinein, reißt an etwas herum, das nicht zu mir gehört, krempelt mich auf links und klemmt meinen Kopf in eine Zange, die sich im schweißnassen Aufwachen, als die Kante zwischen Bettkante und Kommode entpuppt.

Wir verließen die Praxis unserer Therapeutin und versuchten die losen Fetzen der Stunde noch aufzufangen. Neben mir stieß ein Innen die Füße auf den Boden und sagte: “Ich hab versucht ihr zu sagen, dass ich mir nicht mehr ranholen kann, wie wir denken konnten sich Hilfe ranzuholen wär’s wert weiterzuleben.”. Ich nahm ihm die Füße ab und verlagerte die Energie des Innens in Gehgeschwindigkeit. “Sie hats nicht kapiert. Nichts von dem, was du gesagt hast, hat sie kapiert, noch von dem, was ich gesagt hab.”. Neben uns lief eine Gruppe Schulkinder durch die Straße und die kalte Wind britzelte in den Augen.

Manche Therapiestunden tragen unerwartet dazu bei Brücken in Ecken des Innens zu fühlen, zu dem wir sonst keinen Kontakt haben. Das ist unvorbereitet und spontan. Und meistens hat es Folgen, die im Nachhinein schwer nachzuvollziehen sind. Da ist plötzlich ein Innen, das sonst eher als wabernde Eminenz die Therapie oder das, was wir äußern, beeinflusst, mit mir in einem Gefühl vereint, das ich in früheren Zeiten als unbewortbar erlebt habe. Und dann ist das Ergebnis wieder so eine von diesen Wahrheiten, die sind und an deren Ende wir uns als allein am Rand der Welt empfinden.

Obwohl wir doch alle Regeln befolgt haben. Obwohl wir doch getan haben, was wir tun sollten. Obwohl wir doch mitmachen.
Nur eben leider nicht verstanden werden.
Wir versuchen uns in kürzeren Sätzen. Weniger Monolog. Wir haben uns in der Krisenstation dazu entschieden dieses kurze Denken zu kopieren. Weil: “Neue Wege – neue Methoden”. Wir wollen nicht mehr die sein, die ewig lange redet, weil sie denkt, sie wäre dann besser verständlich. Wir hören immer öfter einfach mittendrin auf. Lassen es und ziehen uns raus, wenn wir merken: “Wir greifen hier schon wieder mehr als das Gegenüber in den Besteckkasten.”.

Und genau das haben wir uns für diesen Hilfezirkus auch vorgenommen.
Immer wenn wir merken: “Ah – du hast dir 2 Löffel eingeplant, weil du heute noch einkaufen musst, weil du noch duschen aushalten können willst und, weil du noch Kraft für positive Ressourcen haben willst – und greifst jetzt schon nach dem dritten Löffel, weil die Person dir gegenüber nicht versteht.”, hören wir auf.
Erinnern uns daran, dass das Gegenüber ja auch einen Besteckkasten hat und warten. Und wissen: wir können nur warten, weil uns Menschen immer wieder so glaubhaft wie nur möglich machen wollen, dass sie uns unterstützen wollen, wann immer wir sagen: “Ich kann das nicht” oder “Ich brauche dabei/dafür Unterstützung”.
Am Ende müssen wir die Menschen beim eigenen Wort nehmen und sie damit überraschen, dass ihre Beteuerungen bei uns nicht links rein und rechts wieder raus gerauscht sind. Oder mit unserer Bereitschaft, ihnen zu glauben und krasser noch: ihnen zu vertrauen und sich darauf zu verlassen, dass sie uns die Wahrheit gesagt haben.

Vielleicht gehören wir zu den Menschen, die sich nur zu anderen hinwenden können, wenn sie hinter sich deutlich spüren, dass die Alternative das Sterben oder auch das “nicht mehr sein” ist. Was – obwohl es sehr ähnlich gelesen wird – etwas anderes ist und damit zu tun hat, dass wir schwer traumatisiert wurden.
Wir haben keine Angst vorm tot sein – wir haben Angst vorm “nicht mehr sein”, denn das ist, was die Gewalt früher so oft mit uns gemacht hat und so viel unaushaltbarer ist, als tot zu sein. Die Toten sind tot. Sie sind eben nicht “nicht mehr”.

Gestern war ein Tag, an dem wir zwei Dinge gemerkt haben:
Erstens: ein kurzer Satz wie “Ich kann das nicht” reicht nicht. Auch dann, wenn das Gegenüber – in dem Fall die Therapeutin – weiß, worum es geht, was es mit uns macht, wie groß die Belastung ist, wie massiv der Trigger ist. Es reicht auch nicht diesen Satz logischer machen zu wollen, indem man seine Umgangsoption mitteilt, die impliziert, dass man selbst nicht involviert ist – weil man es nicht kann.

Zweitens: Menschen mitzuteilen, dass man sich aus Diskussionen herauszieht, weil sie einen ganz grundlegenden Punkt der Argumentation seit einem Jahr einfach nicht kapieren, bedeutet nicht, dass man daraus auch entlassen wird (weil man genau diesen Punkt halt nicht kapiert und ergo keinen Grund sieht, die sich herausziehende Person dann auch in Ruhe zu lassen)
So der Fall im Fotokurs nach der Therapie.

Es gab wieder eine dieser Diskussionen darum, was darf Kunst, was darf Satire, was darf der Fotograf (sic!) und wo sind die Grenzen.
Da sitze ich mit 4 weißen als Männer kategorisierten Menschen in einem Raum und erlebe live mit wie die Jungen von dem Alten lernen, dass man nicht auf Kritik achten muss. “Wer nicht lacht hats nicht kapiert” und “*istisch sind immer nur die anderen aus ganz persönlichen Gründen”.
Es ist abstoßend und schlimm. Für uns. Weil Grenzen aufgeweicht und Verletzungen legitimiert werden. Es wird in Kauf genommen Gefühle zu verletzen, um sich selbst als “nicht langweilig” und “edgy” definieren zu können. Als jemand “der ja nur einen Witz machen will”. Und eben nicht auch als jemand, der missachtet, ignoriert und verletzt, weil er es kann und darf und ihm keine verbindlichen Grenzen sichtbar und einzuhalten wichtig sind – selbst dann, wenn sie aufgezeigt werden.

Für uns ist der Fotokurs nicht nur ein Sprungbrett in eine mögliche Zukunft im kreativen Bereich und eine Ergänzung zu sowieso bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten – es geht auch um unseren Willen zur Desensibilisierung von Menschen. Wir wissen, dass wir uns an sie gewöhnen müssen, viel soziales Zeug lernen müssen und auch auszuhalten lernen müssen. Neben allem was das Handwerk “analoge Fotografie” bedeutet und von uns zu lernen wichtig ist, sind dort eben auch Menschengeräusche, Menschenwörter, Menschengerüche, Menschen, die plötzlich und unvorhersehbare Dinge tun, sagen, wollen, verlangen. Menschen, die triggern. Menschen, die überfordern. Menschen, die einfach sind und zwar ganz direkt in unserem Umfeld.
Wir wissen, dass wir da was aushalten müssen.
Die Frage ist nur: Wie viel wovon und wozu?

Für uns ist es keine Option zu sagen: “So sind sie halt – die Männer, die Jungs, die Menschen, die Lehrer, die Schüler … die Anderen”, weil das einfach zu wenig ist. Dafür kostet uns der Unterricht zu viel Geld und zu viel Kraft für Kompensationsleistungen und Aufrechterhaltung der Funktionalität. Dafür geht es uns auch einfach zu sehr viel schlechter nach solchen Diskussionen als den anderen Teilnehmenden.
Und am Ende: Wie eklig wäre es, würden wir uns selbst dazu triezen zu lernen uns zu desensibilisieren, wenn anderen Menschen ganz direkt in unserem Umfeld Gewalt angetan wird bzw. solche Gewalt als legitim bezeichnet wird?
Das ist doch nicht, wie Menschenmiteinander aussehen soll. Das ist doch nicht, womit uns beworben wird, dass sich das Weiterleben lohnt.

Wir haben den Kurs eineinhalb Stunden vor Ende verlassen.
Ich habe mich geärgert, meinem Lehrer den Brief nie zu lesen gegeben zu haben, weil ich Angst davor hatte, er würde sich bloßgestellt fühlen und sowieso gar keine Auseinandersetzung mit seinen internalisierten *ismen wollen. Vielleicht: auch gar nicht leisten können, weil er nämlich auf viele Jahre schauen müsste, in denen er Menschen verletzt hat und dachte, das wäre okay, weil er ja ein okayer Mensch ist, der niemanden verletzten wollte.

Ich will nicht immer die sein, die Menschen Dinge zeigt, die sie übersehen und aus dem Bewusstsein streichen, weil sie das können und ich genau eben nicht. In dieser Rolle ist man nämlich immer wieder die, die im besonderen Maße davon abhängig ist, wertschätzend und anerkennend behandelt zu werden. Passiert das nicht, erlebe ich Verletzung, Verlust von Privilegien und zwar ganz konkret, ganz direkt.
Und genau auch nicht, weil ich das nicht anders verdient habe – sondern, weil solche Gegenüber keine anderen Optionen nutzen sich selbst zu versichern, als eben über solche “Strafen”.

Ich merke, dass wir keine Umgangsoptionen kennen, die solche Situationen und sozialen Konstellationen befriedigend für alle auflösen. Denn befriedigend wäre für diese Gruppe nur sich keine Gedanken machen zu müssen und einfach nur zu hören: “Du bist okay – ich habe etwas Falsches gedacht/gesagt/verlangt. Hier ein Keks.”
Ich habe aber nichts Falsches gesagt/gedacht/verlangt.  Ich habe einfach nur etwas gesagt/gedacht/verlangt, das sie nicht verstehen wollen, weil sie nicht müssen und das für den Rest der Welt völlig okay so ist.

Wir haben noch 6 Termine dort. Und erwachsen und konfliktlösungsorientiert wie ich bin, plane ich uns zu jedem dieser Termine in die Dunkelkammer einzusperren und mir maximal ein “Hallo – schließt du bitte auf?” und ein “Bis nächste Woche” rauszuwürgen.
Ja.
Ich bin echt toll konstruktiv und konsequent in unserem  Plan sich irgendwie mal so richtig mit Menschen auseinanderzusetzen.

[slow clap]

immer wenn die Helfenden nachfragen …

Da sind wir nun also. Montagmittag, nach Duschen, Anziehen, Zähneputzen, Frühstück und Wohnungspräparation für das erste Arbeitsgruppentreffen des neuen Jahres und mit aller Macht versuchend, nicht an unsere eigenen Hilfekampfkrämpfe zu denken.

Am Donnerstagnachmittag hatte das Telefon geklingelt und eine Person vom Team des betreuten Wohnens in Familien sagte uns, man hätte sich im Team noch einmal besprochen, und ginge davon aus, dass der Landschaftsverband die Hilfe nicht finanzieren würde, weil wir die letzte Betreuung selbst beendet hatten.
“Siehste – das haste nu davon.” dachte ich und spürte, wie der seit der Therapiestunde gerade eine Stunde vorher eh schon unter der Hut zappelnde Puls sich zu etwas entwickelte, dass ein pfeifendes Rauschgeräusch und Hitze im Gesicht war. Die Person fragte, warum wir die Betreuung beendet hatten. Und zum mindestens vierten Mal sagten wir genau dieser Person: “Weil wir nicht entsprechend der finanzierten und benötigten Fachleistungsstunden betreut wurden und die Personen keinerlei fachliche Kompetenzen für unsere Problematiken aufgrund der komplexen Traumafolgestörung hatten.”.

Wir haben keine Haut für solche Nachfragen. Niemand muss unsere ersten Antworten gleich verarbeiten und im Kopf behalten – aber wir sagen meistens schon bei der ersten Wiederholung: “Das hier ist ein schwieriges Thema und darüber zu reden ist hart an der Belastungsgrenze.” und erwarten dann auch, dass der Gedankenschritt getan wird, sich das zu merken, um uns nicht außerordentlich oder mehr als zwangsläufig passiert, zu belasten.

Was wir oft nicht verstehen ist, wie dann doch immer wieder darüber hinweggegangen wird und das so begründet mit “Ja, aber ich muss doch nachfragen.” und schlimmer noch – gerade in diesem Fall: “Ja, aber das muss sein, damit wir ihnen gut helfen können.”.
Es ist ein verdammter Trigger für uns. Und wir sagen das. Und wir machen und tun, um uns zu halten, funktional zu bleiben. Das Atmen nicht zu vergessen, in dem ganzen Gewirr aus Räumen und Strichen vor unserem inneren Blick den Überblick zu behalten. Und dann ist dieser Kampf darum wieder nötig und unvermeidbar, weil es nicht sein kann, was wir gesagt haben. Oder weil es ja eventuell vielleicht falsch sein könnte und man da ja auch nur in unserem Sinne handeln will. Und man doch nur ganz lieb und engagiert und, weil man nur das Beste für uns will, nachfragen will.

Sie tun mir so leid diese ganzen Menschen, die ja nur helfen wollen und dann sind wir so megaempfindlich und nicht in der Lage das irgendwie besser zu verpacken, als so wie wir es tun: mit Selbstverletzungen, die uns zusammenhalten. Mit überbordenden Fachrecherchen in alle Richtungen. Mit im Kopf eingeübten Gesprächen, inklusive aller möglichen und fast unmöglichen Optionen, die eventuell vielleicht eintreten könnten. Dem Unterdrücken des Impulses bei der kleinsten Rückfrage zu schreien bis es vorbei ist.  Also alles. Bis dieser ganze quälende Prozess des “sich Hilfe ranholens” vorbei ist.

Am Donnerstag hatten wir uns entschieden, den Anruf erst einmal von uns wegzuorganisieren, damit wir nicht allein daran denken müssen, dass dort etwas ist, worum wir uns kümmern müssen. Wenn wir das nicht allein müssen, dann hat es eine Chance in seinen Spitzen soweit von uns weg dissoziiert zu werden, dass wir Frontgänger_innen den Alltag gehalten bekommen,  während die Welt wackelt.
Blöd ist nur: es bleibt nicht bei anderen Menschen. Weder bei dem Begleitermenschen noch bei unserer Therapeutin. Noch bei unserer gesetzlichen Betreuerin. Immer wieder kommen da Nachfragen und immer wieder kommen sie alle zu uns und fragen: “Wie können wir ihnen denn helfen?” oder “Was ist ihr Auftrag an mich?”. Und das ist toll. Und im Moment so viel zu viel, dass es uns zerfetzt.

Und irgendwie wird das auch bemerkt. Also: irgendwie.
Nur frage ich mich manchmal, ob bzw. wie viel nach Außen spürbar ist, wenn sie dann doch nicht damit aufhören. Wenn da dann doch immer wieder “Ja, aber…” kommt. Oder “Ja, und was genau …?”.

Wir versuchen es irgendwie so einzufädeln, dass unsere Helfer_innen bitte miteinander reden, statt uns immer wieder zu fragen, was wir genau wollen, als würde sich unsere Bedürfnislage von einem Termin zum nächsten grundlegend verändern, oder als würden sich die historischen Zusammenhänge wie durch Zauberhand verändern.

Mir ist klar, dass wir vor 5 bis 10 Jahren noch die Kraft gehabt hätten das so durchzuexerzieren. Da hätten wir erklärt und erklärt und immer wieder neu versucht klar zu machen, worum es geht und was wir für wichtig halten. Da wären wir so geschockt davon gewesen, dass jemand immer wieder fragt, was wir möchten (weil wir noch nicht gelernt haben, dass etwas zu wollen oder zu wünschen legitim ist (obwohl es um unsere Wünsche und Willen geht) und deren Job dem, so weit es geht, zu entsprechen), dass wir irgendwie irgendwas rauswürgen und das Beste hoffen. Und dann natürlich den Fehler bei uns suchen, wenn dann eine Nachfrage kommt, weil wir reden ja auch immer wie ne Sphinx mit Kartoffeln im Mund. Es ist ja immer unsere Unfähigkeit nicht ordentlich und verständlich zu sagen, was wir möchten.

Jetzt ist Montag, der 25. Januar und wären wir nicht so bekloppt uns erneut auf diesen ganzen Hilfe-Rettungs-Unterstützungswahn_Sinnszirkus einzulassen, wären wir seit drei Monaten tot.
Wir würden nicht mit jedem Tag mehr Angst vor der eigenen Courage haben und uns darüber ärgern, wie klein unsere Selbstvertretung vor solchen Übermächten wie der Klinik oder einem Landschaftsverband wirkt. Obwohl es ist, was sie doch am Ende alle wollen. Bevor jemand anderes in unserem Namen spricht und irgendwas Falsches veranlasst. Wir würden nicht in diesem Gefühlskrampf stecken zu merken: “Wir tun hier nichts Falsches – aber es fühlt sich weder leichter noch besser noch sonstwie irgendwie okay aushaltbar an – ist es vielleicht etwas Falsches?”.

Und ich würde mich nicht über mich selbst ärgern, dass ich es nicht schaffe zum Telefonhörer zu greifen und der gesetzlichen Betreuerin zu sagen: “Machen Sie bitte …”. Einfach, weil ich Angst davor habe, dass sie irgendwas nachfragt. Und wir vielleicht die nächsten drei Monate einfach nur noch schreien.

Erbsenmomente

Gerade habe ich einen Artikel gelesen, in dem die “Löffeltheorie” beschrieben wurde.
Dieses Bild wird benutzt, um zu verdeutlichen, wie viel wovon man so für sich stemmen kann, ohne zu überreizen. Für mich eine sehr gute Idee – ich hab nämlich nur so mitteldifferenziert Ahnung davon, was genau mich wie viele Löffel kostet.

Ziemlich viel Ahnung aber hab ich, wie ich mitten am Tag zu Löffeln kommen kann: Erbsenmomente

Den erfahreneren Therapierten ist die Geschichte vielleicht schon als Achtsamkeitsübung bekannt.
Man hat eine Handvoll Erbsen in der rechten Hosentasche – für jeden schönen, angenehmen, guten, okayen Moment nimmt man eine raus und steckt sie in die linke. Am Ende des Tages holt man sie sich hervor und führt sich die schönen, angenehmen, guten, okayen Momente noch einmal vor Augen.

Wir sind leider zu verkorkst um mit Essen in den Hosentaschen herum zu laufen und zu faul uns zu überlegen, was man denn so physisches Zeugs mit sich herumtragen könnte, um diese Übung öfter zu  machen. Also haben wir irgendwann gemacht, was wir gut können: nämlich die ganze Schose in unseren Kopf einzusourcen.

Wir sammeln Erbsenmomente und legen uns eine Momentaufnahme davon ins Backend.
Erbsenmomente sind manchmal awkward Rosenblättersachen wie schöne Geräusche, leckere Wörter oder Oberflächen, aber auch mittelkitschige Dinge wie: NakNak*, die auf uns zu hoppelt oder ein Sonnenaufuntergang. Dazwischen sind noch Dinge wie: etwas geschafft zu haben, planmäßige Abläufe oder besonders schöne Muster und Flauschglitzer.
Das sind alles Dinge, die wir selbst produzieren können bzw. an die heranzukommen nicht viel Aufwand bedeutet und nicht viel mehr als unsere direkte konkrete Widmung abverlangen. Das meiste muss man nur anschauen oder eben spüren.

Wenn wir Tage haben, die uns “viele Löffel abverlangen” und noch nach dem Besteckkasten schielen, dann wissen wir das in der Regel schon vorher. Unsere großen Stressoren sind immer die gleichen: andere Menschen, andere Menschen, Außentermine, Außenblicke, Außenurteil, andere Menschen, laut, eng, voll, der eigene Körper

Vor Außenterminen versuchen wir uns auf dem Hinweg schon Mustermusik zu geben. Am Besten ist da klassische Musik ohne Gesang. So wird der Weg hin (der ja oft auch schon bedeutet Löffel zu verlieren) auch ein Erbsenmoment. Wenn man dann noch Glück hat, ist der “eigene Platz” in der Bahn noch frei (planmäßiger Ablauf) und man kann mit den Fingerspitzen das Muster an der Lehnenkante des Sitzes vor sich befühlen (eine leckere Oberfläche).

Dann kann der Außentermin so schrecklich sein, wie er will – der Ohrwurm von der Musik und der Geschmack der Oberfläche liegen im Backend, wirken parallel weiter und puffern eine Menge ab.
Wenn es ein schrecklicher Termin war, ist es für uns nicht mehr so ein Akt durchzusetzen dann auch allein sein zu wollen und uns entsprechend auch abzuschirmen. Das ist dann manchmal schon das Erbsenmoment: allein sein

Manche unserer Erbsenmomentutensilien tragen wir mit uns umher, wenn wir unter Menschen, in Therapie –, Mediziner_innen- und Behördentermine gehen und bevor jemand auf die Idee kommt das mit Skills zu vermischen: nope – Skills sind etwas anderes als Erbsenmomentproduzierdinge.
Sich einen Erbsenmoment zu machen ist auf eine Art, als würde man seine Nerven streicheln und weich einpacken – Skills nutzen ist etwas, womit man seinen Nerven sagt, worauf sie sich konzentrieren sollen.

Wir haben einen Kreisel, eine weiche Eulenhandpuppe, eine Metalldose mit Drachenlachenbonbons drin, Seifenblasen und einen Eulenstempel in einem weichen Säckchen. So haben wir, selbst wenn es zu unangemessen oder peinlich wäre irgendetwas davon rauszuholen und zu befühlen, noch das Säckchen zum unauffällig dran langtasten. Und natürlich das, was uns üblicherweise einfach so auffällt: Muster, Linien, Gerüche und Geräusche.
Wir nutzen öfter Skills um an einen Erbsenmoment dran zu kommen, denn in der Regel knallt einfach immer alles auf uns ein, was die Termine letztlich so anstrengend macht.

Wir haben lange versucht Erbsenmomente mit anderen Menschen zu haben. Und wir haben lange versucht so zu tun, als würden wir trotz unserer Probleme immer alles hinkriegen und falls nicht, dann tausendundeine andere Erklärung dafür zu finden, als die, dass wir spezifische Limits haben, die sich immer wieder und oft auch total spontan – trotz aller Vorbereitung und Vorkenntnis! – verändern können.

Inzwischen haben wir einen sozialen Radius, der weißt, dass wir chronisch krank/schwerbehindert und viele sind. Die Zeiten des Löffelschwundes durch Herumgeeier um Fragen wie “Wieso schaffst du X und Y und Z gleichzeitig – aber mir ne popelige Email zu beantworten nicht?” oder “Ja, wenn du X und Y und Z gleichzeitig schaffst, dann kann A und B und C ja nun kein Problem sein – oder?”  sind vorbei. Auch ein Erbsenmoment übrigens.
Und das Wichtigste, dass sich in den letzten 3 Jahren entwickelt hat: Leute in unserem Leben, die sich auf unser Belastungsmanagment verlassen.
Hach.
Erbsenmomentig <3

innere Kommunikation

Manchmal ist es, als würde ich in ein Gespräch hineinplatzen, das schon lange mit mir geführt wird, ohne, dass ich davon weiß. Es gibt meine Linien auf dem Boden – das gesicherte, regulierbare Wörterlabyrinth, das sich in Farben und Formen vor mir zeigt und meistens umspült ist von einem weißen Rauschen, das mich in der Regel nicht berührt.

Doch wenn wir einander begegnen, wird es fremd um mich und in meinem Denken.
Plötzlich steht dort: “Ich tue hier nichts Falsches.” und hinter ihm schimmert etwas sehr Konsistentes. Ein anderes Innen, ein festes Wissen, ein anderer Gedanke – es könnte alles mögliche sein. Oder auch nicht.

Seit ein paar Tagen betrachte ich diesen Satz und taste ihn mit meinem Herz ab. Er kommt nicht von mir, aber auch nicht nicht. Er ist fremd, aber doch vertraut.

Vom Schlauberg herunter trötet es etwas von „Bewusstwerdung und dem Wunder der Assoziation“. Irgendwo kichert jemand “Herzlich willkommen in dieser inneren Kommunikation” und ich muss vor allem allein sein, eine Serie gucken und Candy Crush Soda Saga spielen. Dinge sortieren und mich zwischen Schrank und Wand quetschen, um das eigene Atemgeräusch ertragen zu können.

Manchmal tauchen Sätze auf, machen mir Angst und lassen mich selbst zu einem weißen Rauschen werden. Und manchmal tauchen sie auf und fühlen sich gut an. Einfach so. Nicht weil sie einen schönen Ton haben oder weil sie gut schmecken, sondern, weil sie sich so gut in meine kleinen Seligkeitsinseln einfügen.

10 Becher meines Joghurts, die es ohne umzukippen zu uns nach Hause schaffen, damit ich sie ordentlich in den Kühlschrank sortieren kann.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Ein Sprung über Fußgängerzonen einrahmende Bodenplatten.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Ein köstliches Wort, das mich so warm macht, dass ich alles über es wissen will.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Das Geklacker der Tasten während ich tippe und aus_sage, wie für mich ist, was ist.
“Ich tue hier nichts Falsches.”

Und das ist, was mir Angst macht und mich in so einen Kampf darum bringt, mich nicht aufzulösen.

Ich höre von innerer Kommunikation bei Menschen, die viele sind, immer wieder im Zusammenhang von durchzusetzenden Imperativen.
Immer sollen “die anderen da drinnen” irgendwas machen oder nicht machen oder einsehen oder verstehen. Selten höre ich davon, wie es für “diese anderen da drinnen” ist, wenn sie etwas erreicht, was sie so sehr erschreckt, dass sie es nicht aushalten können oder aber auch so sehr verlockt und in ungesicherte Gefilde zu verleiten droht, dass es einen Konflikt gibt.

Ich brauche etwas worauf ich mich stützen kann, um diesen Satz anzunehmen und zu verinnerlichen.
Das Außen eignet sich für mich nicht als Überprüfungsinstanz – es hat immer Recht. Immer ist es mir überlegen. Das Außen ist gefährlich für mich, denn es akzeptiert mich nicht. Und das Innen hat seine ganz eigene Dynamik. Ich berühre den Satz und der Boden wackelt. Die Wände bersten auf und fluten mich mit Reizen.
Man sagt immer einfach “erinnern” dazu. Für mich ist das ein Miterleben, wie etwas stirbt, von dem ich nicht wusste, dass es einmal gelebt hat.

Am Ende bleibt mir der Umgang damit.
Atmen, sortieren und wie einen Zauberspruch über meine Überflutungserfahrung sagen “Ich habe mich an etwas erinnert”, ohne je einen Inhalt tatsächlich aufgenommen zu haben.

Vielleicht muss man “innere Kommunikation” weniger als Büchsentelefon nach innen begreifen, sondern mehr wie das Warten auf eine autokatalytische Reaktion unter stetiger Beigabe entsprechender Einbringungen, während die Reaktion als Antwort dient.

“Warum ist denn niemand gekommen?”

Schlimm sind Momente, in denen mir einfällt, wie durchlässig ist, wovon man denkt: “Das hätte doch etwas verändern können.”, obwohl man weiß, dass es das nicht tat.
Da war das Moment, in dem ein Kinderinnen die Hand der Therapeutin hielt und fragte: “Wieso ist denn niemand gekommen?” und da das Moment, in dem es keine Antwort gibt, weil einfach niemand gekommen ist. Obwohl man gerufen hat. Obwohl man nicht in Stasis und doch so weich, wie ein Schluck Wasser war. Obwohl man doch tat, was man vom Polizisten, der zu Besuch im Hort war, gelernt hat: “Ruf nach Hilfe. Ruf nach jemandem.”.

Über 20 Jahre später haben wir gelernt, dass man nicht “Hilfe Hilfe” rufen sollte, wenn man Hilfe braucht, sondern “Feuer Feuer”, “Ich bring mich jetzt um” oder “Ich jag diese Kita gleich in die Luft”.
Und warum? Weil sonst niemand kommt. Weil sonst nichts passiert. Obwohl alle immer sagen: “Wenn was ist – ruf um Hilfe.”.

Man hat sich daran gewöhnt davon auszugehen, dass niemand kommt und als Stück zwischen Erklärung und Entschuldigung zu akzeptieren: “Ich wusste nicht, was ich machen sollte.”, “Ich wusste nicht, wie ich helfen kann.”, “Ich wusste nicht, dass ich gemeint war.”, “Ich wusste nicht, was da passiert.”
Das machen sich manche dann zur Lebensaufgabe. Dafür zu sorgen, dass mehr Menschen wissen, was da passiert ist. Dafür zu sorgen, dass mehr Menschen wissen, was hilft. Dafür zu sorgen, dass mehr Menschen wissen, was sie tun können und sich trauen, das auch wirklich zu tun.

Es ist so ein verführerischer Vermeidungstanz um die Antwort auf die Fragen, die sich in denen, die zu Opfern wurden, aufhängen und in quälenden Schleifen umherirren. Warum ist niemand gekommen? Warum hat das niemand von außen unterbrochen? Wie hat die Person, die mich zum Opfer machte, in mein Inneres greifen können, ohne gleichermaßen als ein Außen von mir wahrgenommen zu werden?

Während ich aus heiterem Himmel darüber weinen muss, dass niemand gekommen ist, fällt mir ein, dass ja jemand da war. Dass eine Antwort auf die Frage dieses Kinderinnens sein kann, dass die ganze Welt dachte, dass ja schon jemand da war. Dass dort schon jemand war, der verantwortlich für sein Wohlergehen war.
Und, dass das einfach das grundlegende Drama ist.
Dass zum Einen viel zu selten hinterfragt wird, was man selbst wahrnimmt und deutet und zum Anderen, einer der vielen Gesichter von Ableism ist, dass “Hilfe” genau ein äußeres Schema haben muss.
Die Person, die Hilfe braucht + die Person, die Hilfe anbietet = Hilfe = Ruhe im Karton
– passiert dies nicht, ist nicht etwa die Hilfe die falsche (oder eben gar keine) so liegt es an der Person, die Hilfe braucht. Dann heißt es, die Person hätte sie nicht angenommen oder würde sie nicht schätzen oder wäre nicht in der Lage sie anzuerkennen und zu nutzen.

Das Problem ist nicht nur, dass wer Hilfe braucht immer mindestens ein Wissen, um die eigene Hilfebedürftigkeit von außen und die Kraft, sowie die Befähigung und Berechtigung haben muss darum zu bitten und zu rufen. Das Problem ist auch die Abhängigkeit vom Außen und dessen Befähigung anerkennen zu können, wann ein Außen auch ein Innen sein kann. Wann welche Personen gleichermaßen Teil einer Not und Gewaltdynamik sein können, wie sie Teil einer Hilfe und Verantwortungsdynamik sind.

Es ist einer dieser ewig dissonanten Aspekte in mir. Meine Sicht von Täter_innen als gleichsam von der Gewalt betroffene Personen, wie die Personen, die sie zu Opfern gemacht haben. Das wird nur allzu gerne als täterloyale Irrung in meinem kaputt traumatisierten Kopf gelesen und als “Aha – die Täter_innen sind auch Opfer” zum allgemeinem Ableism an mir hinzu kompostiert.
Was wir für uns jedoch klar haben ist, dass die Betroffenheit von Gewalt einseitig betrachtet wird. Am Ende sogar einseitig auf den mit Gewalt unterworfenen Personen abgeladen wird. Und damit natürlich sowohl die Verantwortung sich Hilfe im Falle von (Verarbeitungs-)Problemen zu holen – erneut! und erneut in Abhängigkeit von einem Außen, das sich nur allzu gern hinstellt und erlernt hilflos die Arme in die Luft wirft, was man denn jetzt machen soll – genauso wie die Verantwortung oder Bürde oder so genau habe ich kein Wort dafür, zu beworten, was passiert ist.

Zwischendurch erinnert sich mein Körper, erinnert sich mein inneres Auge und mein sympathisches Nervensystem an das Ereignis über das, das Kinderinnen mit der Therapeutin hinweg geredet hat. Und ich werde wütend.
Aber weil ich irgendwie falsch verkabelt zu sein scheine, bin ich nicht wütend darüber, dass dort etwas passiert ist, das nicht okay und immer schlimm war, sondern, dass es ein so reinweißer Raum ist, in dem es passierte. Dort ist kein Wort drin. Kein einziges. Wenn ich meinen Blick hinwende, liegt dort die zarte Kette des Kinderinnens an seinem Rand. “Warum ist denn niemand gekommen?”.
Ich bin wütend, weil dort keine Worte von der anderen beteiligten Person drin sind.

Und weil ich davon ausgehen muss, dass dort auch nie eines drin auftauchen wird.
Außer natürlich wir liefern uns aus. Gehen zur Polizei, erstatten Anzeige trotz Verjährung und stellen uns wie das Sterntalermädchen unter den Mund der angezeigten Person und fangen so viele Worte wie möglich.

Diese Wortlosigkeit macht das Ereignis unprüfbar, weil es nichts gibt, woran wir uns festhalten können.
Und auch nichts woran wir uns abgrenzen können. Diese Person wird für uns vielleicht für immer ein Innen – ein mit im Er_Leben eines Ereignisses – sein, während alles und alle um uns herum zwei Außen – zwei einander passierende Ereignisse – sah.

Das ist das Drama.
Die Tragödie hingegen entsteht dort, wo meine Ideen beginnen, was die nach denen das Kinderinnen gerufen hatte, sagen könnten.
Um sich zu entschuldigen. Sich zu rechtfertigen. Um sich so fern von uns zu machen, dass nichts und niemand von uns sie je erreicht.