der Antrag

Der Antrag hat 14 Seiten und gilt nicht als Sonderform eines juristischen Schuldspruches benannter Täter_innen. Bei Bewilligung gibt es keinen Grund zur Annahme andere Sozialleistungen würden gekürzt.
Warum zum Henker liegt dann das Zeug hier noch rum und schaut mich jedes Mal vorwurfsvoll an?

Weil es der Antrag auf Leistungen aus dem Fonds für Opfer von sexuellem Missbrauch im familiärem Umfeld ist.
Und wir nie ein Opfer von sexuellem Missbrauch waren. Weil wir mit unserem Hartz 4 doch total gut versorgt sind. Und so.
Weil es eine erschlichene geklaute böswillig abgequetschte Geldmasse in unsere raffgierigen Pfoten wäre. Erlogen und betrogen und auf Kosten der wahrhaftigen Opfer, die ihr Leben lang nie um irgendwas gebeten haben, weil sie sich nichts zugestehen können. Weil sie sich im Gegensatz zu uns nie herausnehmen würden sich Hilfen, Unterstützungen oder schlicht Schönes und Angenehmes zu zugestehen. Weil alle außer mir zurückhaltende, liebliche Unschuldslämmchenopfer sind.

Ja, im letzten Teil sprechen gerade unsere Langzeithaterin*/stalkerin*, diverse Täter_innenintrojekte und die allgemeine Opferfeindlichkeit unserer Gesellschaft, die in meinem Kopf herumlaufen und immer genau dann losquaken, wenn ich einen Krankenhausbericht kopieren, diverse Kostenvoranschläge einholen und darüber nachdenken will, wie ich damit umgehe auf eine Entscheidung des Fonds zu warten.

Wenn man sich mit dem FSM auseinandersetzt steht dort überall, man solle sich eine Berater_in suchen und das mit ihm_ihr zusammen machen.
Wir haben das versucht. Und dann gemerkt: “Okay, nein, wir sind hier gar nicht bei uns, sondern bei erratenen Erwartungen von einem Gegenüber.”. Also haben wir uns den Antrag selbst ausgedruckt und ausgefüllt. Und auch das Erinnern alleine ausgehalten und die Nacht danach allein mit uns verbracht.
Das Schreiben zur Seite gelegt und uns gesagt, dass wir nicht mehr darüber nachdenken müssen, was dort drin steht. Dass wir jetzt einfach nur noch daran denken müssen, Kostenvoranschläge einzuholen und Klinikberichte zu kopieren.

Unsere Therapeutin ist im Urlaub. Wir haben Arbeiten zu erledigen und nebenbei warten wir darauf, ob das mit der Berufsausbildung mit Assistenzhund an der Berufsschule klappen könnte. Daneben kommen Geschenke von der Wunschliste hier an und alles was wir tun, ist die Luft anzuhalten, auszuhalten, zu warten und zu gucken, wann der Hass auf uns wieder so weit abgeflaut ist, dass aus dem “unverdienten unnötigen Scheiß” das Kleinod einer Freude wird, das uns leichter durch das “nach dem verhinderten Suizid” trägt. Ja, das ist immer noch nicht durch. Mich machts fertig so fertig zu sein.

Der Antrag liegt auf dem Schreibtisch und faucht mich an. Wieso will ich den denn wegschicken, wenn ich eigentlich nur eine Wippemöwe am Fenster und ein buntes Mobile über dem Kopf brauche, um immer wieder im Menschenbett einzuschlafen? Nach 15 Jahren endlich mal wieder eine nicht invasive Einschlafmethode zu haben ist doch genug. Was will ich denn noch mehr?!

Ich weiß es natürlich nicht, aber oft wird uns sehr viel mehr Belastbarkeit und Abgeklärtheit über die eigene frühere Opferschaft zugetraut, als da ist. Als würden wir allen, die es hören (und allen die es nicht hören) wollen, davon erzählen, was uns passiert ist. Als würden wir seit Jahren halt einfach nur darauf warten, dass uns Menschen den Kopf streicheln, weil sie wissen, was für furchtbare Dinge wir erlebt haben.
Als würden wir hier keine klaren politischen Kontexte und sich daraus ergebende Notwendigkeiten formulieren. Als würden wir nicht etwas tun, dass uns als Beispiel nimmt, statt über Menschen und ihre Lebensrealitäten zu sprechen, die wir weder kennen noch leben.

Ja, vielleicht ist das verwechselbar mit einer reinen Bauchnabelshow. Und ja, es gibt die Möglichkeit, dass wir eine Rampensau sind, die mit so Themen wie Hartz 4, Behinderung, Gewalt- und Traumafolgen voll den Applaus kriegt und sich darüber ein Entitlement auf Belohnung wie solche Hilfeleistungen erlaubt.
Kennt man ja so Opferstars, die alles geschenkt bekommen, weil sie so öffentlich leiden wie wir.
Man kennt ja die Gesellschaft, die sich vom Leid anderer Menschen total hinreißen lässt zu Ehrenamt und Spendenaufkommen.

Ups – jetzt bin ich schon wieder zwischen Zynismus und Zyankali – sorry.

Aber nun ja – so ist das eben.
Während es bei meinem Antrag auf Geldleistungen aus dem Fond – wie auch bei jedem Antrag auf Therapiekostenübernahme bei der Krankenkasse – wie auch bei jedem Antrag auf Asylgeld – wie bei jedem anderen Antrag auf Geld auf Grundlage des Sozialgesetzbuch, das es in Deutschland nicht ohne Grund gibt –  um (soziale) Hilfen in Form von Geld geht, so geht es in jedem Hinterfragen dessen darum, wer was haben darf.
Nicht darum, wer was braucht.

Die Einen sagen, sie wollen, dass von ihren Steuern nur die bekommen sollen, die es sich verdient haben. Möglichst natürlich was sie als “sich verdient” bewerten. So jemand wie ich, die nie so gebuckelt hat, wie sie, die hat natürlich nichts verdient. Ist ja klar.
Die Anderen sagen, sie wollen hier niemanden durchfüttern, wer nicht wirklich am verhungern ist. Als sei es nur der Hunger, der das Problem ist.
Die Nächsten kennen “die Systembetrüger_innen”™, die nicht jeden Job annehmen, weil sie faule, ungebildete Säcke sind, die lieber rauchen und Chips essen, als Starbucksklos zu putzen oder stundenlang eine Entertaste zu drücken, um am Ende 50€ mehr auf dem Konto zu haben. Und natürlich die Wirtschaftsflüchtlinge und Z-Wort-Leute , die mehr Geld in den Arsch geschenkt bekommen, als andere, weil sie diebische Elstern sind.

Ja. Das nennt man auch Rassismus, Ableism und Wohlstandsflausen, die Kapitalismus nicht als tödlich einstufen.

Es wäre so schön, wäre ich eine Person, die es nicht nötig hat um Unterstützungen zu bitten.
Wenn das alles einfach echte Anstellerei und Opfermasche wäre. Dann hätte ich viele Nöte nämlich nicht. Dann würden mich so Täter_innenintrojekte und die Langzeithassperson weder so treffen, noch so daran behindern, mich, wie alle anderen Menschen auch, einfach darum zu kümmern gut über die Runden zu kommen, wie sie es eben tun: langanhaltend, gründlich und immer und immer und immer wieder – egal, was ich wie wo warum tue oder auch nicht tue.

Ich fühle mich davon unter Druck gesetzt. Empfinde es so, als müsste ich noch mehr Rechtfertigungen für Geschenke an mich und Spenden für meine Projekte finden und aufsagen. Aber mehr Rechtfertigung als “Ich finde es schön zu erleben, wenn Menschen mir Dinge schenken und Unterstützungen zukommen lassen, ohne dafür etwas von mir zu verlangen” hab ich nicht.
Ich finds einfach nur schön. Dass das geht. Also auch. Neben ganz viel schlimmen Dingen, die gehen.

Ich spüre Zeitdruck hinter dem Antrag. Bis Ende April muss der dort eingereicht sein.
Und ich weiß nicht mal, ob ich morgen auch noch leben will. Oder, ob ich in zwei drei Stunden oder Tagen oder Wochen aufhören kann zu denken: “Ich bin kein Missbrauchsopfer – nie gewesen. Ich bin total okay. Mir ist nie irgendwas passiert. Alles ist eingebildet. In Wahrheit ist das hier alles nur ein Teil meiner Psychose. Oder meines tief im Hirn angewachsenen Tumors.”.

Ich merke, wie groß die Wahrheit anderer Leute vor mir steht. Mal wieder.
Was und wer ich bin. Was mir zusteht und was nicht, entscheiden nicht meine Bedürfnisse, sondern die Bewertungen anderer von dem, was sie von mir zu wissen glauben und zu denken erlauben, ohne je etwas davon zu hinterfragen.

Und weiß, dass das alles nur so in mir wirken kann, weil es irgendwann mal keine andere Wahl gab das zu überstehen, als es selbst in meinen Kopf zu lassen.

Tse aber klar – ich brauch keine Hilfe.
Meine Not ist selbst gewählt.

Meine armen Unterstützer_innen. Denken das wär anders.
Arme Irre.

weh

Die letzte Therapiestunde war eine Art Showdown.
Zum Einen, weil es die dritte Stunde war, in der die Therapeutin vermittelte, sie sähe sich hilflos vor unserer Krise und zum Anderen, weil wir uns erneut die innere Härte legitimiert haben, uns vom Außen zu lösen.

Da kommen dann die Erkenntnisse darum, für andere Menschen wahrscheinlich einfach nur ein Schleifstein gewesen zu sein, an dem man sich so lange reibt, bis man sich wieder seinen eigenen Fähigkeiten widmen kann. Für andere Menschen in seiner Arbeit bloßes Mittel zum Zweck zu sein und keine ehrliche Solidarität erwarten zu können.
Und daneben all die Menschen, die nicht merken, wie sehr es schmerzt, wenn einem aus ganz viel gutem Willen heraus die eigene Ohnmacht vermittelt wird.

Ich habe in den letzten Tagen so oft “Ja, aber er/sie hat es doch nicht böse gemeint…” oder auch “Ja, aber er/sie konnte vielleicht nicht anders, weil …” gehört, dass ich mich bis auf die Knochen aufgeschlitzt und brennend sehe.
Es ist der Umstand, dass ich davor übrig bleibe. Dass es nicht darum geht meine Not zu lindern, sondern ihre Entstehung zu erklären und mir darüber zu vermitteln, mein Gefühl sei falsch, weil die Situation nicht entstanden ist, um mich zu ärgern. Das Verstehen soll mich trösten und wenn ich verstehe und doch noch Schmerzen habe, bin ich wohl überempfindlich, unnachgiebig, nachtragend, bockig.  Vielleicht therapieresistent.

Ich denke immer wieder darüber nach, warum ich gerade so darum kämpfen muss einfach meinen Schmerz anerkannt zu bekommen. Warum ich immer wieder 3 Schritte weiter verortet werde, als jemand, der Erwartungen an die Menschen und Abläufe des Alltags richtet und wie ein schmollendes Kind behandelt werden darf, wenn ich äußere, dass es noch immer weh tut.

Das ist etwas, das mich an der Therapiestunde verletzt hat. Die Interpretation unseres Leidens als Enttäuschung vom Leben.
Als hätten wir Erwartungen an das Leben, die noch zu enttäuschen sind. Als würden wir unsere Tage damit beginnen, Ansprüche zu verfolgen und Erwartungen erfüllt zu bekommen.
Und nicht damit, einfach irgendwie zurecht zu kommen, Absprachen unberührt zu lassen, Zeug zu tun, das man zugesichert hat.

Am Ende der Stunde war klar, dass jemand die Erlaubnis erhält den Körper zu schneiden und, dass dies ein Akt ist, den wir brauchen, um zu spüren, dass wir das Außen nicht brauchen. Um ganz klar und immer wieder zu spüren, dass der Schmerz in uns wirklich ist – auch dann, wenn er vom Außen negiert und irgendwo anders verortet wird.

Wir sind also nach Hause gefahren und haben die Stunde zwischen Therapie und Fotokurs damit verbracht uns selbst zu verletzen, aber den Rahmen um dieses Verhalten herum nicht zu zerstören.
Mir ist aufgefallen, dass manch ein Schnitt auch aussehen kann, wie ein geöffneter Mund, was wiederum das selbstverletzende Verhalten zu einer Art selbsterschafften Mündigkeit transformiert. Es ist als würde man sich zusätzlich zu seinem Mund auf den niemand hört, beliebig viele Münder mehr in den Körper schnitzen und damit seine Gewinnchancen in der Anhörungslotterie erhöhen.

Später im Fotokurs sprachen wir über Francesca Woodman. Eine Fotografin, die sich mit 22 Jahren und nach viel großartiger Arbeit für den Suizid entschied. Der Lehrer sagte, es sei ihm immer so unverständlich, wie so junge Leute sich für den Tod entscheiden. Vor allem Menschen, die in jungen Jahren so großartige Sachen erschaffen. Die so sichtbare Talente haben und darin auch anerkannt werden.
Bei alten Menschen, die sich schon 20, 30 Jahre lang gequält haben, sei es ja noch verständlicher, aber…

Ich saß da und dachte, wie ignorierend bis ignorant mein Lehrer spricht. Wo er seine Berechtigung hernimmt darüber zu urteilen welcher Schmerz Grund genug für die Entscheidungen von anderen Menschen sind. Und warum er überhaupt denkt, beurteilen zu müssen, wann welche Entscheidungen richtig sind oder falsch. Und daneben das Übliche: der schmerzliche Stich, wenn man merkt, dass jemand Talent und Begabung gut findet, aber unterschlägt, was es bedeutet, bestimmte Dinge zu können, die eine Mehrheit der Menschen nicht kann.

Ja verdammt, die Einsamkeit der Begabten ist eine kalte, graue, unfassbar schmerzhafte. Es ist eine Einsamkeit, die von Anerkennung nicht weggeht. Es ist ein Schmerz, der über die Erkenntnis der Besonderheit nicht nachlässt.

Und zum Teufel ja, die gleiche Einsamkeit entsteht, wenn man arm ist und versteht warum das so ist. Wenn man behindert ist, wie wird und weiß, warum das so ist. Wenn man überlebt hat, woran andere starben und versteht warum. Es ist kein Trost zu verstehen, dass es dabei nicht um einen selbst als Person geht, sondern um Kontexte, die einen objektifizieren.
Verdammt – warum sollte es mich trösten ein bloßes Objekt zu sein? Was daran, soll ich als tröstlich empfinden?!
Dass ich egal bin für diese Kontexte? Dass es nicht nur in mir, sondern auch in den Kontexten, in denen ich mich bewege, so etwas wie eine subjektive Einsheit nicht gibt? Es soll mich trösten, dass ich auch nicht sein könnte?
Warum ist dann meine Nähe zum Suizid so eine verwerfliche?

Ich durchbrach das Gespräch über die Fotografin mit der Bitte ins Fotolabor zu dürfen.
Später sagte ich meinem Lehrer, dass ich vor kurzem wegen einer suizidalen Krise im Krankenhaus war. Dass mein komischer Gang, das unwillkürliche Überstrecken der Finger von dem neuen Medikament kommt. Er nickte und fragte, ob es denn jetzt wieder okay wäre.
Ich sagte ihm, dass es einfach verdammt weh tut zu sein. Obwohl ich weiß, dass das eine dieser awkward Hannah-Antworten ist, die noch nie irgendjemand wirklich so verstanden hat, wie ich sie meine. Aber es war mir egal.
Ich hatte einfach keine Kraft dafür ihm zu erklären, dass ES noch nie okay war und vielleicht auch nie okay wird.

Ich habe keine Kraft mehr für die Menschen um mich herum und ihre Ohnmacht, die sie so verzweifelt vermeidungstanzen, dass sie mich zertreten.
Und ich habe keine Bereitschaft mehr sie dafür zu entschuldigen. Es tröstet mich nicht, zu merken, wie viel Angst andere Menschen vor dem Mitfühlen meines Leidens haben.

Es tröstet mich nicht im Geringsten. Es tut einfach nur weh und wirft uns genau in die Alleinsamkeit, in der es eben gut tut sich zu schneiden und sich einzubilden, der Druck des Verbandes wäre in Wahrheit ein Etwasjemand, der einem direkt dort, wo der Schmerz ist, Halt gibt.

Daneben ist es auch die Alleinsamkeit, in der wir pur sind. Brachial. Wüst. Wirr. Weder offen und weich, noch empfänglich und nachgiebig.
Es ist der vielleicht ehrlichste Zustand um sich auszudrücken und Worte zu finden. Vielleicht das einzige Moment, die eigene Essenz als wahrhaftig zu er_leben.

snap

“Sie sind viel zu aktiv für ihre Krankheit”, resümiert meine gesetzliche Betreuerin, nachdem wir gemeinsam festgestellt haben, dass mein Leben eine ökonomische und bürokratische Katastrophe ist, die man nicht mit Arbeit entsprechend unserer Kräfte und bestem Willen verändern kann.

“Und was sagt ihre gesetzliche Betreuerin dazu, dass Sie von – wieviel waren das? 150? 100? Euro leben und arbeiten?”, fragt meine Therapeutin 28 Stunden später und statt mir die Kleider vom Leib zu reißen und in einem weißglühenden Atompilz die ganze Welt zu sprengen, antworte ich: “Sie sagt: “Sie sind viel zu aktiv für ihre Krankheit.”, dabei ist es das Logischste, was man mit meiner “Krankheit” tut.”.

Ich sage ihr, dass meine Tage damit beginnen mich zu spüren und es Stunden dauert bis mir das nicht mehr weh tut. Ich kläre sie darüber auf, dass das Muster, das der Mensch mit Autismus assoziiert und sie mit einem inneren System, etwas ist, dass wir alle haben.
Ich sitze da mit dem Rücken an der Heizung und reiße von mir runter, was mir der Blick anderer Menschen auf mich draufklebt. Zwischendurch bemerke ich den Stich des Absurden, weil ich weiß, dass wir eigentlich die Verabredung haben, dass wir uns in ihrem Raum nicht selbst verletzen oder zerstören.

Es ist absurd, weil ich merke, wie unsichtbar mein Leiden tatsächlich ist. Unsichtbar und fern der Welt, weil es in mir und an meinem Sein passiert.
Im Innen rastet etwas ein, dass mich in der Annahme versichert, jederzeit verschwinden zu können ohne, dass auch nur irgendjemand verstanden hat warum.

Was bliebe sind Fragen wie: “Was ist denn passiert?”
und Antworten wie: “Sie hatte Behördenschulden und kein gutes Leben.”

Und nicht das Begreifen der Tragweite, die das Aushalten der eigenen Seins, des Nichtwissens um ein eigenes Selbst, das Tragen der Gewalt- und Traumafolgen an sich und schon gar nicht die stetige Inkompatibilität und die permanente Unverbindbarkeit mit der Welt darstellt.
Man würde von uns als eine Person sprechen. Als eine Frau, die sich für viele hielt. Man würde uns misgendern, man würde uns falsch zitieren. Man würde sich uns nehmen und so zurecht reißen, wie es selbst am Besten tröstet.

Obwohl wir seit Jahren hier schreiben. Obwohl wir seit Jahren immer wieder das Gleiche sagen. Obwohl wir seit Jahren so ein special Sonderfallproblemrotz an der Schuhsohle von Sozialsystem und Rettungslobby sind. Nervig, aber da. Anstrengend, aber doch das perfekte Beispiel für die Notwendigkeit von spezifischem Engagement und by the way die Ressource, die man verpassen könnte, obwohl sie doch gut zu be_nutzen sein könnte.

Wir sind immer gut zu wissen. Es lohnt sich uns zu kennen, weil es erschütternd und beinahe unerträglich die eigene Comfortzone berührend ist. Leider ist es genauso unerträglich sich mit uns zu verbinden, denn so richtig integrierbar ist es dann doch nicht. Spätestens bei der Frage, wie das denn gehen soll, ist das zu spüren.
Aber wir sind ja da und das ist ja immer gut zu wissen, denn wer weiß, wozu es mal noch gut ist, uns zu kennen.
Vielleicht braucht man mal jemanden, der einem was zeichnet, was aufschreibt, was erklärt, ein Tier rettet oder eine Wohnungseinrichtung zusammenzimmert. Vielleicht braucht man irgendwann mal wieder so einen erfrischenden Schock, der einem das Weltbild zurechtrückt und die eigenen Privilegien ins Bewusstsein ruft.

Ich weiß nicht, ob irgendjemandem klar ist, dass wir leiden und genau deshalb irgendwie relevant für Menschen in bestimmten Situationen, Lebenslagen und Weltbildern sind.
Ich weiß nicht, ob meiner gesetzlichen Betreuerin klar ist, dass sie mir auf eine Art gesagt hat: “Es wäre besser, wenn sie sterben, weil das System mit ihrem Tod besser umgehen kann.”.

“Wir sehen uns am Donnerstag”, sagt die Therapeutin und ich antworte noch im Verbrennen “Okay.”.

kein Anschluss

“Wo ist denn der Charakter in diesen Charakterköpfen?”, hatte sie vor der Reise nach Berlin gefragt.
“Ich will Menschen zu fotografieren üben und – wo ist denn der Charakter im Gesicht?”.

Der Raum ist voll mit neuen Fremden, die Luft walzt sich von Wand zu Wand. Der Lehrer schaut sie an und nickt. “Das findet man heraus, wenn man sich die Leute anguckt und fotografiert.”, sagt er und zeigt ein paar seiner eigenen Arbeiten.
Die Frage verdunstet in der Wärme und verliert sich ohne Antwort im Stimmengemurmel.

In Berlin angekommen, tragen wir uns in einem Kokon durch die Stadt. Halten uns an dem Wissen um die Funktionen und Möglichkeiten der Kamera fest. Konstruieren ein Motiv nach dem anderen. Sie steht streng neben uns und ermahnt uns immer wieder an das, wofür wir hingefahren sind: Menschen fotografieren – mal was anderes als Blümchen, Bienchen, Sonne rauf und Sonne runter.
Es ist unfassbar anstrengend und die meiste Zeit ist da Angst vor dem einen Schritt zu nah. Angst davor, dass sich die Menschen umdrehen und mit uns reden. Angst davor, dass das Foto nicht sofort klappt und ein zweiter oder dritter Anlauf nötig werden. Angst davor die Menschen anzusehen. Angst davor dabei von ihnen angesehen zu werden.

Das turbulenteste Treffen war das Schönste und vielleicht mögen wir nur noch Kindermenschen fotografieren. Wir waren ihnen so herrlich egal und für die Zeit zusammen unterbrach sogar sie die Suche nach dem Charakter im Gesicht.

Zwei Wochen später tauchte die Frage wieder auf.
“Was machst du denn um den Charakter zu zeigen?”, fragt sie. Und ihr Lehrer schaut sie verständnislos an. “Ich arbeite das raus…”, sagt er und fährt mit dem Coursor die hellen Linien im Portrait eines Mannes nach. “Ja, aber woher weißt du denn, dass das da der Charakter ist von dem Mann? Wie entscheidest du das denn?”, fragt sie. Diesmal wollen wir hartnäckig bleiben. Wir haben 1200 Menschengesichtfotos auf unserem Laptop und sind willens irgendwo einen Charakter zu finden.

Und er versteht nicht.

Er schwenkt zwischen dem Bild einer jungen Frau und dem eines alten Mannes hin und her. “Hier sieht man doch, dass das ganz unterschiedliche Typen sind.”. “Ja.”, sagt sie nickend. “Aber wo ist da der Charakter drin – woran merkt man den denn?”.  Er macht diesen einen Laut, den Menschen machen, wenn sie sich beherrschen uns nicht zu schlagen und irgendeine Erinnerung zerrt so heftig an ihr, dass es sie nach innen wegdreht.

Als wir im dunklen Fotolabor stehen und an den Abläufen entlang, ein Foto abzuziehen versuchen, ist es plötzlich ganz klar wieder da.  Das Nichtsgefühl im Fern-der-Welt-taumeln. Im hellen vollen Nebenraum wird geredet, geplänkelt, gelacht. Die Menschen, mit denen wir lernen, stehen dort und freunden sich an. Wir stehen allein im Dunkeln und suchen mit 60% Sehschärfe und ohne eine konkrete Idee nach dem Charakter im Portrait einer fremden Person.

Das Netzmittel ist qualitativ mies und hat mir Wassertropfen auf dem Film beschert. Irgendwas ist beim Entwickeln schief gegangen und hat einen Streifen mitten durch die Motive hinterlassen.  Frustriert beenden wir die Arbeit und versuchen den Faden zur Gruppe wieder aufzunehmen.

“Wollt ihr noch mitkommen und was trinken gehen?”, fragt der andere Lehrer.
Und guckt die Menschen neben mir an.

Draußen regnet es in Strömen.
Ich fahre mit einem neuen alten Lieblingssong in den Ohren, dem Hund an der Leine und dem klappernden Herzen im Arm, alleine nach Hause.

Schaue angestrengt und lange in einen Handspiegel. Finde keinen Charakter, egal wie ich mich anleuchte.
Ich höre auf. Gebe auf. Lasse endgültig los und den Spiegel auf den Boden fallen. Betrachte die glitzernde Scherbenpracht.
Ich schneide mich in den Körper zurück und aus dem Glitzern heraus. Weine ein bisschen um die Kluft zwischen dem Hiersein und dem ImFunkelnsein. Um die Kluft zwischen mir und dem Rest der Welt.

Dann fallen mir Wörter ein, die ich aufschreiben kann. Die Wörter zum Weg vor dem, was ich als “selbstverletzendes Verhalten” in mein Tagesprotokoll kringeln muss.

Beim Aufräumen fällt mir die Überweisung unserer Therapeutin in die Hände.
“rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode (F33.1 G9 )”

kurz: “ET merkt, dass es keinen Anschluss unter dieser Nummer gibt”

Blitzlicht

Jahreswechsel.

Ich glaube, ich bin noch nie so wütend, traurig und beschämt ins neue Jahr gegangen.
Tausende Menschen sind auf der Flucht und das Land, in dem ich lebe, schließt die Grenzen. Ständig begegnet mir Alltagsrassismus und, weil ich ein blütenweißes Toastbrot bin, komme ich mir falsch vor, den immer wieder anzusprechen. Awkward white tears – ich weiß. Sie sind aber trotzdem da.

Ich merke, wie genervt Menschen von mir sind – und kann nicht reagieren.
Ich merke, dass ich meinen eigenen Selbsthass zunehmend unkontrollierbarer erlebe – und kann nicht reagieren.

Im Grunde hasple ich seit Wochen von Handlung zu Handlung, scheitere, rapple mich auf, zerre an mir, mich zusammenzureißen und weiter zu machen.
Hier ein Autsch – da ein Erstarren durch den Schmerz hindurch. Einfach immer weiter machen. Komm schon, das ist alles nicht neu. Hatten wir alles schon mal – ist gleich vorbei – dann gehts weiter weiter weiter.

Ich hab den Drang einen Laut rauszuschreien und kann damit nichts anfangen.  Möchte mich Menschen mitteilen und spreche gefühlt nur Mist aus.
Meine Wochen sind so unruhig und chaotisch – machen mich unruhig und chaotisch.

Eine gute Sache passiert und zieht gnadenloses Chaos mit sich.
Aktuell: meine Zähne.

Wir haben mindestens 2 Jahre durchgehend Zahnschmerzen gehabt und uns durch viele Behandlungen gequält, die allesamt nichts brachten, weil sich die leichte Angst bei der Zahnärztin zu waschechten Panikattacken und Vermeidungsverhalten entwickelt hatte. Endlich fanden wir erst Erleichterung durch eine Wurzelspitzenresektion in einer Operation und erhielten gestern eine Komplettsanierung des Gebisses wiederum unter Vollnarkose.

Und wer sitzt Stunden später vor seiner Suppe und kann sie nicht essen, weil sich die Zähne anfühlen, als wären sie nicht mehr da, aber gleichzeitig doch anwesend? Richtig.
Da ist etwas Fremdes in meinem Mund und das nennt sich “keine Schmerzen” und das geht einfach nicht wieder weg.
Ich merke so einen Impuls mich zu verprügeln, mir so richtig tief weh zu tun, weil es so dumm ist zu fühlen, was ich gerade fühle. Und daneben drängt der Impuls sich einzurollen und zu warten. Sich zu absorbieren und einfach in ein Detail hineinzukriechen bis nichts und niemand mehr an mich herankommt.

Stattdessen begebe ich mich unter Menschen. Jetzt bloß nicht isoliert werden. Wenn ich jetzt noch wirklich den Faden verliere, dann wird es wirklich gefährlich. Ich weiß nicht, welche Gefahr das ist, aber ich merke sie wie sie in meinen Nacken atmet.
Und was passiert Frau Rosenblatt, wenn sie unter Menschen geht? Richtig: sie verhält sich nervig bis awkward, verärgert diese Menschen und spürt mit jedem Wort, das sie äußert, wie die Ablehnung ihrer Person näher rückt.

Und dann geht es wieder los. Dieses bescheuerte Spiel um die Gunst von Wesen die unverständlich, überreizend und unangenehm wahrgenommen werden, zur Rettung des eigenen Lebens, vor etwas, das man gar nicht benennen kann.

Und wenn ich müde davon bin und nur noch heulen will, weil ich selbst nicht weiß was los ist und was besser hätte würde wenn könnte sollte müsste, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.

Shana tova.

5 nach 3

[Telefontuten, jemand nimmt ab]

”Ja?”
– “Ich bins Rosenblatt-Salat”
”Ja? Alles okay bei euch?”
– “Ich glaub, ich bin krank.”
”Was hast du denn?”
– “Ich glaube, ich habe eine akute Reaktion auf die Heilung eines langanhaltenden Anfalls von Zutrauen in einen anderen Menschen. Vielleicht liegt aber auch eine Komorbidität mit der chronischen Gutmenschentumkrankheit vor. Man weiß es nicht. Ich fühle mich jedenfalls schwer naiv bis dumm und spüre Symptome aufkeimenden Fatalismus, die mit einem dringenden Wunsch nach Zigaretten und anderer Selbstverletzung einhergehen.”

”Hannah – wie lange seid ihr schon wach?”
– “Wie spät ist es denn jetzt?”
“5 nach 3.”
– ”Ist dann jetzt Freitag? Ja ne?”
“Hm.”
– ”Seit Mittwoch.”

”Orr.”
– “Ja – äh sorry? Musste dämliche Gutmenschensachen machen? You see my Krankheit?”
”Hannah –“
– “Ja?”

”Ihr geht jetzt sofort ins Bett und schlaft ein.”
– “Danke.”

[Telefontuten, Stille, Schlafgeräusche]

Verbindungen

Die Therapiestunde endete mit einem Flächenbrand, der unterm Scheitel begann, sich über einen Krampfanfall auf den gesamten Körper verteilte und bis in den späten Abend unterm Denken schwelte.

Menschen verstehen nicht, wenn wir versuchen zu vermitteln, wie schwer Sprache wird, wenn es uns nicht gut geht. Die wenigsten wissen, dass wir in Krisen seit Jahren das Fingeralphabet und einzelne Grundgebärden nutzen, um zu kommunizieren. Die meisten wissen, dass wir Menschen meiden, wenn wir nicht sprechen können. Die meisten denken, wir wären dann lieber allein. Niemand denkt daran, dass die Kluft des Missverstehens zwischen uns auch ein Grund ist.

Dass es der Weg zu Worten ist, der alles erschwert, wenn wir zwischen Erinnern und Nachspüren stehen und auf Impulse aus dem Heute reagieren sollen, haben wir gestern verstanden.

Das Hier und Heute verlangt nach Reaktionen, die bestimmte Formen haben muss. Der Mindeststandart sind Lautsprache und Blickkontakt. Ist das nicht gegeben, wird geraten und nachgefragt. Wird mit jeder Frage eine Palette von optional gemeinten Räumen eröffnet, von denen einer zu wählen ist. Exakt einer führt zielgenau zu dem Verstehen, das gebraucht wird – die anderen schließen dieses Verstehen nicht aus, führen aber zu weiteren Fragen mit neuen Räumen und Wegen, die zu gehen sind. Auch dann, wenn man keine Kraft dazu hat.
Hier kommt die Zeit <—-> Kraft –Dynamik dazu.
Je mehr Kraft wir in ein Hier und Heute pumpen müssen, damit es uns versteht, desto weniger schaffen wir es dauerhafte Belastungen zu kompensieren. Wie zum Beispiel überflutende Körpererinnerungen, Pseudohalluzinationen, den Drang die Satzbausteine rauszuwerfen, die mit am wenigsten Anstrengung zu greifen sind, den Impuls das zu Sagende nicht mehr zu kontrollieren oder schlicht Dinge zu tun, die uns entlasten, aber im Hier und Heute nicht okay sind (selbstverletzendes oder spezifisch selbstansprechendes Verhalten).

Es hätte uns gut getan, real verletzungsbedingte Schmerzen zu haben oder im komplett Dunklen oder Stillen oder Eingeengten zu sein.
Paradoxerweise hätte es uns wahrscheinlich am Besten geholfen, zurück zu einem “normalen” Reiz-Reaktionsmuster zu finden, wäre die Gewalt, die für uns neben dem Jetzt passierte, das Jetzt gewesen.

Wir haben Anfang dieser Woche unser Podcast “Viele-Sein” mit den Sommers aufgenommen (wird bald veröffentlicht) und dabei auch darüber gesprochen, dass durch den Ausstieg ein Faktor in unserem Leben wegfiel, der vieles in uns zusammengehalten hat: die Gewalt.
Nach gestern und im Zusammenhang mit den Überlegungen um die Autismusdiagnostik denke ich auch: die Reize und die Eindeutigkeit, die mit der Gewalt einhergingen.

Manchmal blende ich (erwachsenes Alltagsinnen) aus, wie auch aufgefasert frühere Gewalt schon auf uns eingewirkt hat. Wir wurden misshandelt – aber das war nicht immer das, was einen Leidensdruck auslöst. Manchmal kommt der Leidensdruck eher aus einem Bedauern des gegenseitigen Missverstehens oder anderen Dynamiken, die nicht dazu führen, verbunden zu sein.
Dazu gehörte schon früher auch: die Un_Logik von Gewalt zu durchschauen, eine Idee von Opportunismus als Faktor von Gruppengewalt zu haben, loyal sein zu wollen, aber andere Kontexte nicht ausblenden zu können – zusammengefasst vielleicht: das eigene Denken nicht unterdrücken zu _können_  obwohl man doch sehr möchte und merkt, dass die dominierenden Personen das doch auch so gern möchten.

Zwischenmenschliche Gewalt gilt als zusammenhängend mit Trennung. Wenn jemand jemandem Gewalt antut, dann muss eine Trennung her. Separation gilt als (einziger) Weg des Umgangs. Stichwort: Alle in den Knast (in Therapie/ Psychiatrie/Rettungseinrichtung/helfende Hände)
Manchmal frage ich mich, ob von uns erwartet wird, vor allem deshalb unter der Gewalt auch im Nachhinein zu leiden, weil es moralisch schlimm ist, Gewalt erfahren zu haben und moralisch schlimm ist, Gewalt auszuüben.

Für mich ergibt sich aus diesem moralischen Anspruch, die Trennung zum Leiden darunter, dass sie nicht mehr so passiert, wie ich mit ihr umgehen kann und ein Verbot, Dinge als quälend, schlimm, (gewaltvoll) zu empfinden, die für andere Menschen einfach so damit einhergehen ein Leiden lindern zu wollen.

In meinem Erleben war es ein Kraftaufwand bis an den Rand der Therapeutin zu sagen: “Wäre ich jetzt zu Hause, würde ich einen Krankenwagen anrufen.” – ich weiß nichts mehr von dem, was danach geschehen ist, außer einem zerreißenden Impuls aus dem Nicht-IchWir nach dem anderem.
Fragen, Berührungen, Entscheidungen, Geräusche, Licht, verwirrende (Decken-) Muster in einem Vielzuviel, das keinen Kontext mehr hatte und nicht mit mir zu verbinden war. Ich konnte mich nicht mehr verbinden und gleichzeitig mich selbst nicht berühren.
Im Bericht aus dem Krankenhaus wurde daraus “Lichtempfindlichkeit – eventuell liegt eine Migräne vor”.
Meine Versuche mich ausdrücken verwandelten sich in “psychomotorische Unruhe”.

3

18.32 Uhr, 4 Stunden nach dem Anfall und der Gabe von Schmerzmitteln und einem leicht sedierenden Mittel gegen Übelkeit später, saßen wir mit unserer Therapeutin unter einer Raumdecke mit  reiz-voll-em Muster im Foyer der städtischen Psychiatrie.
Es waren inzwischen 4 Stunden voller Missverstehen und überbordenden Versuchen und Fehlschlägen der Kommunikation vergangen.
Patient_innen liefen an uns vorbei. Gesprächsfetzen, Rufe und das Geräusch der automatischen Schiebetür durchdrangen die Halle.
Wir hatten zuletzt in der Praxis der Therapeutin einen Schluck Wasser zu uns genommen und zuletzt vor über 24 Stunden etwas gegessen.

Wessen Denken fing langsam wieder an, im üblichen Rahmen zu funktionieren?
Genau.

Wir wissen, dass man nicht oder nicht viel hätte anders machen können und das ist auch nicht, worüber wir jetzt nachdenken. Uns wird ja gern gesagt, wir sollen sagen, was man hätte anders machen sollen, weil man zu gern missversteht (verstehen muss/will), warum wir solche Ereignisse hier mit_teilen.
Ich teile sie, weil ich möchte, dass Menschen verstehen, wie es uns ging, während die Helfenden um uns herum, ihr Bestes taten ein Leiden zu lindern, das sie in uns vermuteten. Ich möchte auf das trennende – das auf uns sehr ähnlich wie erlebte Gewalt  wirkende – Missverstehen hinweisen, das dazu führte, dass wir uns sehr viel länger gequält haben, als vielleicht unumgänglich gewesen wäre.

Ich möchte ausdrücken, dass wir uns tatsächlich tief gequält haben und am Ende wieder unsere Anpassungsfähigkeiten an Zustände körperlicher wie psychischer Erschöpfung, dazu führten, Kontakt mit dem Außerhalb aufnehmen zu können, wie es das Außerhalb braucht, um zu verstehen.
Es ging uns nicht besser – wir sind einfach nur in eine andere Art Notzustand gekommen, der weniger am Sprechen und am Weg zur Lautsprache behinderte.
Das ist ein Unterschied, den ich versuche sichtbar zu machen, weil ich davon überzeugt bin, dass es vielen Vielen schon so ergangen ist, die sich dann aber nicht zu äußern trauen (können), dass es ihnen unter den Worten noch immer nicht “okay” geht.

Als wir noch einmal Stunden später in unserem Käfig lagen und Wasser aus einer Flasche durch einen Strohhalm trinken konnten, konnten wir endlich auch NakNak* spüren und uns darüber auch im erinnernden Innen mit dem Hier und Heute verbinden. Es war dunkel, still und so eng, dass wir uns nicht frei bewegen konnten.
Es war wieder okay.
Endlich.

#5

Vielleicht war es der wichtigste Gedanke zu dem Termin mit unserer Therapeutin und dem Menschen, der den Test auf Autismus anmitbeifür uns gemacht hatte:
“Ich weiß nicht, was  ich nicht kann”

J. hatte ihn hinter meinem Sein hervorrinnen lassen und ihr Gesicht abgewendet. Ich hatte ihn in das Notizheft aufgenommen. Vielleicht, weil ich etwas zum Festhalten brauchte. Vielleicht, weil mir Erinnern durchs Denken rauschte.
Dieses dumpfe Pochen, das man hat, wenn man weiß, dass es einen Termin gibt, in dem es um einen selbst geht. Der trockene Mund, die feuchten Hände, die Furcht vor einem Fehler, von dem man nicht immer sofort weiß, dass er einer ist.

Normalerwiese versorgen wir die Jugendlichen, die darunter leiden, dass wir noch immer Hilfen in Anspruch nehmen, noch immer in psychologischen/psychotherapeutischen Kontexten sind, noch immer wieder potenziell mit einem Bein in dieser spezifischen Pseudofreiwilligkeit stehen.
Wir erinnern an unsere Volljährigkeit, die Mündigkeit, unser juristisches Wissen.
Daran, dass es vorbei ist.
Manchmal brauchen wir eine semipermeable Membran für sie.

Diesmal entschieden wir uns dagegen.
Es hat etwas mit Traumaarbeit und Aufarbeitung zu tun. Und damit etwas loszulassen.

1.2

„Wissen sie – wir haben hier zwei Schienen. Da ist einmal die Traumaschiene, nach der wir nur ein Trauma nach dem anderen verarbeiten müssen, damit es uns besser geht. Und da ist die Autismusschiene. Die Annahme, dass da schon immer etwas war, was unser Leben beeinträchtigt, unabhängig von dem, was uns passiert ist.”, sage ich und fühle mich sicher auf der Linie, die ich durch meine Worte hindurch laufe.
Ich erzähle von einem Text in dem eine Person davon berichtet, wie Menschen so gequält werden, dass sie autistisch werden. Sage, dass es mich verunsichert, schon wieder mit der so schlimm beliebten Theorie der systematisch folternden Vereinigung aus dem Dunklen konfrontiert zu sein, die alles kann.
Sogar Autist_innen machen.

Der Mensch erklärt, dass es Verhaltenweisen gibt, die autistisch aussehen. Dass Autismus aber nicht nur das Verhalten, sondern auch die Denkmuster betrifft.

J. sitzt neben mir auf einem der Stühle und zittert.
Einen Moment lang denke ich darüber nach, ob sie es aushalten könnte, wenn ich nach außen trage, was sie quält.

Ich denke sie mit und lasse ihr Platz, um durch meine Fragen nach dem, was wir als erreichbare Lebensqualität neu einzuordnen versuchen, mitzugehen.
Es ist etwas zwischen Novum und modifizierter Krisis das zu tun.
Ich rede und meine Gedanken werden der Puls der Jugendlichen hinter mir, die auf ein Moment von Schuldzuweisung, Motivationsohrfeige und professioneller Demütigung warten und dabei vergessen zu atmen.

“Bis sich die Suizidversuche häuften, hatten wir noch ehrliche Diagnosen, die eigentlich nur sagen: “Dieses Mädchen ist durchgeknallt”. Dann kamen die Diagnosen “Psychose” und “Schizophrenie” dazu und alles wurde schlimm.”. Ich lasse die Bilder ankommen und zu einem weißen Rauschen hinter meinen Augen werden. Einen Moment lang streift mich die Frage: “Warum haben wir eigentlich nie unsere Qualen dieser Zeit so herausgebrüllt, wie wir es damals mit jedem Suizidversuch getan hatten?”.
Ich betrachte das Wasserglas vor  mir und ziehe seine Rillen nach. “Die DIS-Diagnose veränderte viel, weil sie nicht nur über meine Symptome konstruiert ist, sondern auch über die Annahme, dass das Umfeld an meinem Leiden beteiligt gewesen sein muss.”.
Während ich rede, stehe ich neben einer Fixierungsszene, die 12 Jahre her ist und spüre gleichzeitig doch den Druck der 4 Menschen auf diesem einen – meinem – Körper. Das Kind auf meinem Arm wird grau und macht sich weich.  Es flirrt in sich.

“Beide Diagnosen – DIS und Autismus – machen etwas rund. “.

J. weint und ich schalte mich kurz ab.
Ich möchte sie trösten, obwohl sie ein Jemand in uns in den letzten 3 Jahren fast täglich misshandelt. Aber sie ist schon leer. Egal, was ich ihr vermittle, es wird sie nicht berühren, weil sie in sich nur Rauschen ist.

Wir sprechen über Kommunikationsmittel, – wege und –möglichkeiten und das macht mich froh. Jetzt fühlt es sich erwachsen an.
Jetzt ist es gut, dass unsere Therapeutin konkret da ist und ich Dinge sagen und fragen kann, mit einem Menschen daneben, der Übersetzungshilfe geben kann. Es gibt ein paar Ideen, die wir praktisch umsetzen können.
Es bedeutet am Ende, dass wir uns unsere Kommunikationsmittel selbst machen müssen.
Vielleicht auch, dass wir die Wörter, unsere Schutzräume und Trennungslinien, ab und zu verlassen.

Ich gebe die Frage nach innen, ob und wie okay eine Ergotherapie wäre.
Betrachte mich selbst und frage mich, woher meine Bereitschaft dazu kommt. Bin ein bisschen beschämt, als ich merke, dass es an der Arbeitsbeziehung mit der Therapeutin liegt.  Werde von links angeknufft und höre einen hingeflapsten Kommentar “Du bist halt immer so loyal ey.”.

Während der Termin sein Ende findet, betrachte ich unsere Therapeutin und denke an ein Telefongespräch, dass sie mit J. hatte, bei dem sie im Urin des von ihr misshandelten Innens lag und in den Hörer weinte, was denn aus ihr werden sollte.
“Wir finden etwas für dich.”, hatte die Therapeutin gesagt und während J. das nicht glauben kann, stütze ich mich am Ende vielleicht einzig darauf.

Auf den Umstand, dass wir auf dem Weg sind uns auf vielen Ebenen nach- und neu zu entwickeln, um uns dazu zu befähigen, etwas für uns zu finden und halten zu können. Ich merke, dass ich etwas von ihrem Umgang mit uns, auf uns und unsere Un_Fähigkeiten übertrage.
Ernsthafte Widmung.

brachial sein üben

Und in den Worten an die Psychotherapeut_innen, die Autist_innen behandeln steht: “Nehmen Sie ihre Klient_in ruhig wörtlich” und hätte ich nicht ein längst leer geweintes Menschenköpfchen würde ich auch diese Seite volltropfen.

“Weil kann man nicht ändern diese scheiß was sie sagen ist unser Leben. Für uns ist wichtig, dass sie wissen und nicht vergessen, wir leben mit Furcht und Angst, mit Überforderung und Erinnern. Immer wenn wir sagen und versichern davon (egal wer, egal wie) sie machen ein Thema und reden eine Ebene davon.  Aber das ist nicht alles. Das ist nicht fertig und wird nicht fertig. Man kann nicht verstehen was man MACHEN soll oder könnte, wenn sie sagen nur „Sie fühlen…“, „Sie denken…“.
Merken sie nicht Unterschied von Verständnis und jemanden verstehen lassen?
Sie lassen uns nicht verstehen. Sie lassen uns verstanden.
Da wo wir stehen lassen sie uns und sagen: „Ich habe Verständnis für sie.“
Das ist schön jemand hat etwas für uns – aber es ist egal für was ist und wo wir stehen“

Wir räumen in der Wohnung herum und schmeißen Dinge weg.
Es gibt zuviel Zeug in unserer Wohnung, in unserem Leben, das uns anstarrt und uns suggeriert,  es gäbe eine Wahrheit, die unserem Erleben und Äußern widerspricht.
Wir werden aber nicht mehr in eine weiterführende Schule gehen. Wir werden aber keine Kinder bekommen, denen wir unsere mitgenommene Baby Born Puppe vererben werden. Wir werden aber H. nie wieder als Gemögte haben. Wir werden aber keine Klassenkamerad_innen aus der Heimatstadt mehr treffen. Wir werden aber nie wieder Klavier spielen. Wir werden aber nie Gitarre spielen lernen. Wir werden aber keine geklebten Puzzles an die Wand hängen. Wir werden aber nie die Fähigkeit bekommen unsere früheren Kunsttherapiesachen zu besprechen. Wir werden aber nie wieder unter 55kg wiegen.

Wir dachten, dass man das so macht. Dass es nicht genug ist, wenn wir die Dinge tun, die wir tun, weil wir sie tun wollen und können. Immer muss irgendwo ein verborgener Wunsch sein – irgendwo muss eine versteckte allumfassende Wahrheit sein, die wir nur nicht mitkriegen, weil wir nicht ganz dicht sind. Oder sie nicht kennen sollen. Weil frühere Gewaltopfer haben sowas.
Wir haben soviel Zeug aufgehoben von dem wir dachten, es wäre später vielleicht mal wichtig.

“Als Option doch gut zu wissen, weil man weiß ja nie und in Wahrheit möchte man es doch auch. In Wahrheit geht man doch davon aus, dass es ein Morgen und ein sicheres Bald gibt und man sich dafür alle Optionen offen halten will.
Du denkst jetzt es ist sinnentleerter Mist, weil du dich jetzt halt aus dem Leben, der Welt, dem Allem rausgerissen und entfremdet fühlst – aber in Wahrheit… aber in ein paar Jahren…”.

In Wahrheit bleibt es sinnentleerter Mist, weil er das schon damals war und man auf eine Wahrheit wartet, die nicht die eigene ist.

Wir werden nie eine Wohnung haben, die wir zum Wohnen benutzen, bis wir nicht verstanden haben, was “Wohnen” eigentlich ist.
Ich habe die besten Ideen, wenn ich mich verletze. Vielleicht weil ich mich in dem Moment auf vielen Ebenen berühre und dabei so roh bin, wie das Innen, das unserer Therapeutin geschrieben hat.

Und sie denken vielleicht ist Traumadummheit weil man will nach Hause ans Meer wo man freie Blick hat und nicht wie hier überall Berg und eng und laut und Leute die ungefragt anreden. Sie denken vielleicht ist Traumadummheit man will ein Baby sein, das erlaubt gar nichts muss oder soll und trotzdem nicht sterben muss – aber vielleicht sind wir nie eigentlich weiter gewachsen als Baby und später einfach eine dressierte Äffchen geworden.
Vielleicht sie haben vergessen, Innens sind Kunststückchen für dass man nicht stirbt.

Menschen machen Wahrheiten, wo sie kein Wissen haben.
Sie wissen nicht, dass wir sie nicht verstehen.
Deshalb glauben sie uns nicht.

Wir üben brachial sein.
Die brachiale Veräußerung, die vor 13 Jahren noch in einer Fünfpunktfixierung und Diazepamspritzen endete.

Fundstücke #7

Mir fallen nach und nach diese Momente ein.
Das eine Mal, in dem mir mein Vater etwas unterstellte, das ich nicht getan hatte und er sagte: “Du wirst ja ganz rot im Gesicht – guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede – du lügst doch!” und meine abgrundtiefe Wut über seine Dummheit, sein anmaßendes Deuten, den Umstand, dass er mich einfach umklatschen kann, obwohl er unrecht hat.
Dass man schon mal rot im Gesicht werden kann, wenn man wütend ist, bringt einem jeder Bugs Bunny – Cartoon bei. Ich verstand nicht, wieso es scheinbar nur diese Option für ihn gab. Wieso war denn das einzig mögliche in seinem Denken über mich, dass ich eine miese lügende Person bin?
Und meine Verkrampfung in dem Moment. Diese eine seelische Gesamtstarre, die verhindert, dass man auseinanderfällt.

Im Moment wache ich ständig aus solchen Fetzen auf.
Ob es Erinnerungsprozesse sind, die davon angetickt werden, weil ich oft darüber nachdenke, welche Schwierigkeiten ich früher schon hatte und wie damit umgegangen wurde, weiß ich nicht genau.
Aber, es sind mehrere Ebenen und die Parallelen sind enorm.

Mir ist etwas eingefallen, das schon Lundy Bancroft in “Why does he do that?” formuliert hatte.
Wenn Menschen Gewalt ausüben, dann geht es um ihr Denken. Ihre Bewertungen und Perspektiven auf bestimmte Dynamiken, Personen (Dynamiken-Dynamiken in Fleisch gegossen) und weniger darum, welche Handlungsoptionen sie außer der Körperverletzung, Demütigung etc. haben.  Sie können (wollen, müssen) diese nicht sehen, wenn ihr Blick ihnen vermittelt im Recht zu sein oder/und in irgendeinem Aspekt von einer anderen Person bedroht zu werden.
Es geht darum, dass sie etwas als Bedrohung (Störung) bewerten und nicht sehen können (wollen, müssen), dass es nicht so ist bzw. von der anderen Person nicht als solche intendiert ist.
Unterstützt und antrainiert wird so eine Perspektive vor allem bei weißen, cismännlichen Personen. Wer alles hat, muss auch alles verteidigen. Die Spannung (der Zwang, die Wahrscheinlichkeit) zu einer Perspektive, die gewaltvolles Agieren rechtfertigt oder logisch erscheinen lässt, ist bei privilegierten Personen höher.

Daneben gibt es das Lernen. Wenn man immer wieder von jemandem umgeklatscht wird und nicht versteht, warum eigentlich (weil man die Perspektive nicht teilt; weil man nicht gleichsam privilegiert ist; weil man keinen Fehler an sich empfindet;  weil man weiß, dass man in anderen Kontexten anders behandelt werden würde etc. etc. etc.), dann übernimmt man mehr oder weniger diffus bis klar, die Gründe (das, was von der Perspektive der gewaltvoll agierenden Person nach außen tritt) und ermöglicht sich damit einen Hebel über den auch neurologische (Schein-)Verarbeitung passieren kann.

Es ist nicht zwingend, Täter_innenansichten auf sich zu übernehmen. Aber es gibt den Überlebenstrieb und der umfasst eben auch, sein Innenleben zusammenzuhalten und sich deshalb Dinge auch nur scheinbar logisch begreiflich zu machen.  Am Ende kommen dann so Selbstansichten wie, dass man einfach grottendämlich ist, nie was richtig macht, hässlich ist, man plump ist, zu nichts zu gebrauchen ist, immer lügt, nie macht, was alle anderen machen… dass man falsch ist. Dass man ein Fehler ist und deshalb immer wieder korrigiert werden muss. Und mit diesen Selbstansichten kommt auch das Potenzial, in jeder anderen Person, die einem früheren Ich gleicht, so umzugehen, wie mit einem selbst umgegangen wurde. Und das muss nicht einmal bedeuten zuzuschlagen.

Mir ist eine kleine digitale Armbanduhr eingefallen.
Rosa/Lila mit schwarzem Karomuster. Plastikfantastik. Ich spielte damit herum, mein Vater nahm sie mir weg, weil wir essen sollten. Er warf sie in eine Salatschüssel. Sie war kaputt. Sie war für mich im Wortnäpfchen “kaputt”/”falsch”, weil er unruhig wurde und mich anmeckerte. Ich begann zu weinen, weil ich nicht verstand – aber doch genau wusste, dass er dieses Nichtverstehen nicht verstehen würde – erst recht nicht, wenn er schon unruhig und laut ist.
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich die Uhr danach überhaupt nochmal in der Hand hatte. Sie verschwand einfach. In meiner Fantasie blieb sie da. Bis ich mir selbst irgendwann in die Hand biss und damit eine Art inneres Dekret erließ, dass eine Zeigeruhr der Ersatz sein muss, weil meine Umgebung es als Ersatz sieht.
Ich musste ihre Sicht auf dieses Objekt annehmen und zwang mich selbst mit Gewalt dazu, weil ich etwas anderes vielleicht noch nicht gelernt hatte.

Ich bin bis heute eher Fan von Mechanik als Elektronik. Eine mechanische Uhr hätte man reparieren können. Ich hätte den Fehler – den Schaden erfassen und begreifen können. Mein Vater hätte nicht unruhig werden und sich freimeckern müssen.

Wenn ich so über meine Eltern rede – mit einem “müssen” im Satz – gibt es Impulse in Menschenstimmen, weil man meine Berücksichtigung ihrer Perspektive als etwas nimmt, das mit Rechtfertigung oder Entschuldigung einher geht. Ich will aber weder rechtfertigen noch entschuldigen, ich will mich befassen und die vollständige Logik bzw. das, was für mich eine vollständige Logik ist, äußern.
Das ist etwas, das meine Eltern nicht tun. Das ist, was auch manche meiner Verbündeten, Helfer_innen und Gemögten nicht tun. Weil sie es nicht müssen. Und manche auch: nicht können.

Es wird nie ein Ende geben, wenn ich Dynamiken ausblende. Es wird dieses Ende vor allem in mir drin nicht geben.
Meine Täter_innenintrojekte sind nicht alle ehemals kleine Kinder, die vor Angst schlotternd eine Boshaftigkeit nach der anderen rausspucken. Meine Täter_innenintrojekte brüllen mich auch an, ich soll sie gefälligst angucken, wenn ich mit ihnen rede. Sie brüllen, ich soll tun, was man mir gesagt hat. Sie schubsen mich, wenn ich träume, disse, in Details krabble und staune. Die zerren an mir herum und sagen, wie der Rest der Welt, dass ich unpassend handle, denke, fühle… bin. Und bis heute nehme ich sie wahr und verstehe nicht, was sie von mir wollen. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie wollen, was sie wollen und wozu das nützen soll. Denn eigentlich geht es nur um sie. Um ihr Denken und auf mich drauf schauen, obwohl sie mir egal wären, wären nicht sie diejenigen, die mich umklatschen können, wollen, müssen.

Wir teilen uns einen Raum, aber bedeutet das zwangläufig, dass wir uns einander teilen müssen?

In all den Auseinandersetzungen von Menschen, die von der eigenen Familie misshandelt wurden, gibt es diese Annahme einer Verbundenheit, die über den physischen und sozialen Raum hinausgeht und auf diese Annahme werden Konstruktionen gebaut, die diesen Raum logisch machen sollen, es aber nicht tun. Zumindest nicht für mich, weshalb ich heute oft in Ausstiegsgedanken und Zweifeln anderer Menschen sitze und mich frage, wieso die Emotionen, die mit der Herkunftsfamilie einhergehen so viel mehr Raum einnehmen, als bei uns damals die Überlegungen, wo man schläft, isst, trinkt, wie die Alltagsgestaltung und der eigene Lauf der Dinge geschehen soll. Wir fanden es schade aus diesem Raum zu gehen, weil er ja viel auch Klarheit und bestimmte Ebenen von Logik hatte. Aber wir sind nicht gegangen um jemandem eins auszuwischen oder auf eine Art zu bestrafen oder ähnliches. Dass man unser Verhalten so lesen könnte, merkten wir erst als wir mit Menschen darüber redeten, dass wir gegangen waren.
Vor uns selbst gingen wir, weil es das Wissen gab, dort auf lange Sicht zu sterben. Wir mussten gehen. Punkt.

Noch leichter war es, als klar war, dass wir in illegale Dynamiken eingebunden waren und im Grunde unhinterfragt Dinge taten, die eigentlich fremde Personen von uns verlangten.
Für uns standen in dem Moment keine moralischen Fragen im Raum oder ähnliches. Auf eine Art hatte es mehr Gefühle von vorweg genommener Scham und dem Wissen, dass Menschen nicht verstehen, welcher Hebel in einem da benutzt wurde. Selbst Personen, die von sich behaupten, sich auszukennen, verstehen das nicht. Sie nehmen einfach an, dass es der Hebel wäre, von dem sie bei anderen gehört/gelesen haben.

Und ich sitze da, beiße mir in die Hand und erlasse das Dekret mich an die 50 min Therapiezeit zu halten, anstatt zu versuchen es zu erklären und mich der Scham auszusetzen. Ich möchte nicht für so naiv und dumm gehalten werden, wie es unser Verhalten damals vermuten lassen könnte.

Ich weiß nicht, ob die Menschen, die sich schon lange mit traumatisierten Menschen und ihren Verarbeitungswegen auseinandersetzen, merken, welche Norm sie definieren, auch dann, wenn sie genau versuchen das nicht zu tun.
Als eine grundlegende Voraussetzung für Traumatisierungen gilt noch immer auch die Überforderung einer Person ihre Liebe für eine Person mit ihrem Hass, ihrer Ablehnung, ihrer Wut, ihrer Zärtlichkeit etc. etc. etc. zusammenzubringen.
Bis jetzt habe ich noch keine Publikation lesen können, in der die Problematik formuliert wird, sein Bewusstsein (seine Kognition?) für verschiedene Dynamiken, die mit (scheinbar) willkürlichen Emotionen und sozialen Rollen belegt werden, zusammenzuhalten.
So lese ich immer wieder von Kindern, die sich Liebe (im Sinne von Bedürfnisbefriedigung) wünschen und den Schmerz der Zurückweisung (im Sinne von “Bedürfnisse werden fehlinterpretiert/unbefriedigt/verdreht/missbraucht etc.)  als massiv zer-ver-störend erlebten und nicht verarbeiten konnten, nicht zuletzt, weil ihnen der Ausdruck verwehrt wurde – und nicht von Kindern, die sich fragen, ob es Liebe ist, wenn sie umarmt werden – es ihnen aber doch irgendwie weh tut und das doch eigentlich aber genau nicht Liebe sein soll – und die genau wegen ihres Ausdrucks dieses Konflikts misshandelt werden.

Ich nenne das heute “diese typische Alltagsgewalt”, die so ganz neben anderen Kontexten steht und eigentlich jeden Tag statt gefunden hat.
In der Öffentlichkeit. Im Grunde durch jede Person, die eine Dimension meines Raumes berührt hat.
Wenn ich heute sage, dass mein Leben schwierig ist (war), weil es einen Zustand permanenter Überforderungen bedeutet (hat), wird es schnell übersetzt mit: “es gab keine Misshandlungspausen” = “chronische Traumatisierungen” = “komplexe/schwere/tiefgreifende Schäden”.
Es wird normiert innerhalb von etwas, das es gibt, um einen bestimmten Bereich außerhalb der Norm zu definieren.

Gewaltvoller Alltag ist aber kein Norm-abweichungs-bereich.
Alltagsgewalt ist Alltag, ist alle Tage mit Gewalt voll.