weh

Die letzte Therapiestunde war eine Art Showdown.
Zum Einen, weil es die dritte Stunde war, in der die Therapeutin vermittelte, sie sähe sich hilflos vor unserer Krise und zum Anderen, weil wir uns erneut die innere Härte legitimiert haben, uns vom Außen zu lösen.

Da kommen dann die Erkenntnisse darum, für andere Menschen wahrscheinlich einfach nur ein Schleifstein gewesen zu sein, an dem man sich so lange reibt, bis man sich wieder seinen eigenen Fähigkeiten widmen kann. Für andere Menschen in seiner Arbeit bloßes Mittel zum Zweck zu sein und keine ehrliche Solidarität erwarten zu können.
Und daneben all die Menschen, die nicht merken, wie sehr es schmerzt, wenn einem aus ganz viel gutem Willen heraus die eigene Ohnmacht vermittelt wird.

Ich habe in den letzten Tagen so oft “Ja, aber er/sie hat es doch nicht böse gemeint…” oder auch “Ja, aber er/sie konnte vielleicht nicht anders, weil …” gehört, dass ich mich bis auf die Knochen aufgeschlitzt und brennend sehe.
Es ist der Umstand, dass ich davor übrig bleibe. Dass es nicht darum geht meine Not zu lindern, sondern ihre Entstehung zu erklären und mir darüber zu vermitteln, mein Gefühl sei falsch, weil die Situation nicht entstanden ist, um mich zu ärgern. Das Verstehen soll mich trösten und wenn ich verstehe und doch noch Schmerzen habe, bin ich wohl überempfindlich, unnachgiebig, nachtragend, bockig.  Vielleicht therapieresistent.

Ich denke immer wieder darüber nach, warum ich gerade so darum kämpfen muss einfach meinen Schmerz anerkannt zu bekommen. Warum ich immer wieder 3 Schritte weiter verortet werde, als jemand, der Erwartungen an die Menschen und Abläufe des Alltags richtet und wie ein schmollendes Kind behandelt werden darf, wenn ich äußere, dass es noch immer weh tut.

Das ist etwas, das mich an der Therapiestunde verletzt hat. Die Interpretation unseres Leidens als Enttäuschung vom Leben.
Als hätten wir Erwartungen an das Leben, die noch zu enttäuschen sind. Als würden wir unsere Tage damit beginnen, Ansprüche zu verfolgen und Erwartungen erfüllt zu bekommen.
Und nicht damit, einfach irgendwie zurecht zu kommen, Absprachen unberührt zu lassen, Zeug zu tun, das man zugesichert hat.

Am Ende der Stunde war klar, dass jemand die Erlaubnis erhält den Körper zu schneiden und, dass dies ein Akt ist, den wir brauchen, um zu spüren, dass wir das Außen nicht brauchen. Um ganz klar und immer wieder zu spüren, dass der Schmerz in uns wirklich ist – auch dann, wenn er vom Außen negiert und irgendwo anders verortet wird.

Wir sind also nach Hause gefahren und haben die Stunde zwischen Therapie und Fotokurs damit verbracht uns selbst zu verletzen, aber den Rahmen um dieses Verhalten herum nicht zu zerstören.
Mir ist aufgefallen, dass manch ein Schnitt auch aussehen kann, wie ein geöffneter Mund, was wiederum das selbstverletzende Verhalten zu einer Art selbsterschafften Mündigkeit transformiert. Es ist als würde man sich zusätzlich zu seinem Mund auf den niemand hört, beliebig viele Münder mehr in den Körper schnitzen und damit seine Gewinnchancen in der Anhörungslotterie erhöhen.

Später im Fotokurs sprachen wir über Francesca Woodman. Eine Fotografin, die sich mit 22 Jahren und nach viel großartiger Arbeit für den Suizid entschied. Der Lehrer sagte, es sei ihm immer so unverständlich, wie so junge Leute sich für den Tod entscheiden. Vor allem Menschen, die in jungen Jahren so großartige Sachen erschaffen. Die so sichtbare Talente haben und darin auch anerkannt werden.
Bei alten Menschen, die sich schon 20, 30 Jahre lang gequält haben, sei es ja noch verständlicher, aber…

Ich saß da und dachte, wie ignorierend bis ignorant mein Lehrer spricht. Wo er seine Berechtigung hernimmt darüber zu urteilen welcher Schmerz Grund genug für die Entscheidungen von anderen Menschen sind. Und warum er überhaupt denkt, beurteilen zu müssen, wann welche Entscheidungen richtig sind oder falsch. Und daneben das Übliche: der schmerzliche Stich, wenn man merkt, dass jemand Talent und Begabung gut findet, aber unterschlägt, was es bedeutet, bestimmte Dinge zu können, die eine Mehrheit der Menschen nicht kann.

Ja verdammt, die Einsamkeit der Begabten ist eine kalte, graue, unfassbar schmerzhafte. Es ist eine Einsamkeit, die von Anerkennung nicht weggeht. Es ist ein Schmerz, der über die Erkenntnis der Besonderheit nicht nachlässt.

Und zum Teufel ja, die gleiche Einsamkeit entsteht, wenn man arm ist und versteht warum das so ist. Wenn man behindert ist, wie wird und weiß, warum das so ist. Wenn man überlebt hat, woran andere starben und versteht warum. Es ist kein Trost zu verstehen, dass es dabei nicht um einen selbst als Person geht, sondern um Kontexte, die einen objektifizieren.
Verdammt – warum sollte es mich trösten ein bloßes Objekt zu sein? Was daran, soll ich als tröstlich empfinden?!
Dass ich egal bin für diese Kontexte? Dass es nicht nur in mir, sondern auch in den Kontexten, in denen ich mich bewege, so etwas wie eine subjektive Einsheit nicht gibt? Es soll mich trösten, dass ich auch nicht sein könnte?
Warum ist dann meine Nähe zum Suizid so eine verwerfliche?

Ich durchbrach das Gespräch über die Fotografin mit der Bitte ins Fotolabor zu dürfen.
Später sagte ich meinem Lehrer, dass ich vor kurzem wegen einer suizidalen Krise im Krankenhaus war. Dass mein komischer Gang, das unwillkürliche Überstrecken der Finger von dem neuen Medikament kommt. Er nickte und fragte, ob es denn jetzt wieder okay wäre.
Ich sagte ihm, dass es einfach verdammt weh tut zu sein. Obwohl ich weiß, dass das eine dieser awkward Hannah-Antworten ist, die noch nie irgendjemand wirklich so verstanden hat, wie ich sie meine. Aber es war mir egal.
Ich hatte einfach keine Kraft dafür ihm zu erklären, dass ES noch nie okay war und vielleicht auch nie okay wird.

Ich habe keine Kraft mehr für die Menschen um mich herum und ihre Ohnmacht, die sie so verzweifelt vermeidungstanzen, dass sie mich zertreten.
Und ich habe keine Bereitschaft mehr sie dafür zu entschuldigen. Es tröstet mich nicht, zu merken, wie viel Angst andere Menschen vor dem Mitfühlen meines Leidens haben.

Es tröstet mich nicht im Geringsten. Es tut einfach nur weh und wirft uns genau in die Alleinsamkeit, in der es eben gut tut sich zu schneiden und sich einzubilden, der Druck des Verbandes wäre in Wahrheit ein Etwasjemand, der einem direkt dort, wo der Schmerz ist, Halt gibt.

Daneben ist es auch die Alleinsamkeit, in der wir pur sind. Brachial. Wüst. Wirr. Weder offen und weich, noch empfänglich und nachgiebig.
Es ist der vielleicht ehrlichste Zustand um sich auszudrücken und Worte zu finden. Vielleicht das einzige Moment, die eigene Essenz als wahrhaftig zu er_leben.


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