Fundstücke #25

Ich bin der Schrecken, der das Moment durchflattert
– ich bin ein Trigger für dein schlechtes Gewissen –
ich bin die Person, der es nicht gut geht!

Schade. Ich habe kein Cape.
Ein Cape, ein riesengroßes Ego und eine Hand voll Rauchbomben, das wünsche ich mir manchmal.
Meistens. Immer.
Wenn Menschen denken, sie könnten sich langsam entspannen im Kontakt mit uns. Mal einen “Witz™” über Behinderte/Juden/(Psycho)Therapie/Frauen/ etc. etc. etc.  machen. Mal eine Logik durchblitzen lassen, die victim blaiming enthält, “politisch unkorrekt” ist, Gewalt bagatellisiert.
Wenn Menschen aufhören innezuhalten und zu hinterfragen, wem sie da gerade was sagen und zu welchem Zweck eigentlich.

Manchmal kann ich den Wunsch nach Unbeschwertheit verstehen. Kann verstehen, dass es anstrengend sein kann viel in Kontakt mit uns zu sein und ein bestimmtes Level der Achtsamkeit zu halten.
Gerade auch nach den jüngsten Ereignissen denke ich: Ja, ich bin nicht die Person mit der man Niveaulimbo macht und sich selbstgerecht die Wampe krault.

Es ist leicht mir vorzuwerfen, ich hätte zu hohe Ansprüche.
Und uns dann ins Gesicht zu boxen, sich über uns zu stellen und zu vermitteln, wir seien selbst schuld, wenn für uns nichts so läuft, wie gewünscht.
Würden wir durch die Welt stelzen und eine echte Wahl darum haben, womit wir uns an andere Menschen richten, könnte ich das vielleicht unter “Wettbewerb” oder “Dominanz” ablegen und wie immer um diese Dinge herum gehen. Sie also umgehen. Mit meinem speziellen Umgang.

In unserer Lage gibt es so etwas wie echtes Wählen um die Dinge, die uns betreffen, selten.  Das ist so, weil es so ist.
Weil es immer jemanden geben muss, di_er übrig bleibt und sich so lange wie nur irgendmöglich einreden können muss, sich jederzeit auch für etwas anderes entscheiden zu können.
In unserem Fall ist die Wahl sich auch selbst zerstören oder suizidieren zu können. Das ist so, weil es so ist. Weil genau diese Wahl die einzig echte Wahl ist, die wir uns von den Menschen, die uns früher weh getan haben, zurückerobert haben.

Am Ende der Wahl so vieler anderer Menschen und Instanzen als uns selbst, steht unser Wunsch, dass sich Dinge für uns verändern und die Not.wendigkeit hinter eben jenen Veränderungsbestrebungen. Sowohl an uns selbst, als auch den Dingen um uns herum.
Und zwar immer noch. Nachwievor. Und eben nicht, wie so gern an uns herangetragen wird, OBWOHL “alles (Schlimme) doch jetzt vorbei ist”, sondern in weiten Teilen WEIL “alles (Schlimme) geschehen ist” und der Lauf der Dinge weiterhin passierte.

Die Not hinter dem Wunsch bitte auch mal loslassen zu können, die ist am Ende, was für uns bleibt, wann immer etwas nicht so läuft, wie wir es geplant, gehofft, erkämpft, gewünscht haben.
Nicht um jeden Cent, jedes bisschen Sicherheit, jeden Fitzel von sich selbst – nicht um jeden einzelnen Tag krampfkämpfen zu müssen – ist das ein zu hoher Anspruch?
Zu hoch, weil “ja alle irgendwie kämpfen und gucken müssen, wo sie bleiben”?
Oder zu hoch, weil die Aufgabe, sich eigene Unfähigkeiten, Hilflosigkeiten, Überforderungen anzunehmen und transparent zu machen, so verdammt weh tun kann?

Wir machen seit 15 Jahren Menschen ohnmächtig. Mitmenschen. Freunde. Fremde. Gemögte und Gemochte. So ohnmächtig, dass sie uns überfordern, hilf.los zurück lassen und uns demonstrieren, wie unfähig sie sich vor uns erleben.
Wir trösten sie, verstehen sie, bilden sie fort, bilden sie aus. Stählen sie für spätere Kontakte mit anderen früheren Gewaltopfern.

Und wir? Bleiben übrig.
Spüren unser Handeln wie eine eiserne Maske, die uns ungesehen sein lässt, über unsere Not scheuern. Atmen den Gestank von Eiter und Trauma assoziierter Scheiße ein und spüren der Einsamkeit nach, die auch die größte Nettigkeit und die immer wieder auftauchenden Angebote sich “jederzeit melden zu können, wenn was ist”, von Menschen, die an uns keinen Auftrag haben, nicht füllen können.

Denen machen wir ein schlechtes Gewissen, wenn es uns nicht gut geht und sie es nicht bemerken. Denen machen wir Not, wenn sie merken, dass es uns nicht gut geht. Denen machen wir es ungemütlich, wenn wir sie daran erinnern, dass 21 Jahre lang Gewalt & Ausbeutung zu erfahren, einen Dauerzustand von wie auch immer gelagerten Nöten in unterschiedlichsten Facetten und Auswirkungen nach außen, für uns zur Folge hat.
Nicht nur heute oder nach einem Erinnern. Nicht nur gestern, vorgestern und letzte Woche, weil irgendwas geschehen ist, was jede_n andere_n gleichermaßen aus der Bahn werfen würde – sondern verdammt nochmal vorhersehbar sicher auch noch morgen und übermorgen und nächste Woche, weil egal warum, geschehen ist, was geschehen ist und durchs nichts jemals ungeschehen werden kann.

Wir sind, was von der Gewalt übrig ist.
Wir sind der Rest und niemand weiß so recht, was daraus mal noch werden soll. Darf. Kann.

Hätte ich ein Cape, dann könnte ich wenigstens so tun, als würde ich die Not daran held_innenhaft er.tragen.

gute Sätze

Vielleicht war es die beste Idee, die uns bisher je gekommen ist, wenn wir darüber nachdenken mussten, was uns hilft, wenn wir mit unseren Aktivitäten zur Selbsthilfe nicht weiterkommen.

Die Frage: Was genau soll sich warum verändern? Worum genau geht es?

Wir haben irgendwann gemerkt, dass die ersten Kognitionen in schwierigen Zuständen die gleichen Kognitionen sind, die es in einer traumatischen Situation gab: Es soll aufhören. Bitte mach, das es aufhört. Jemand soll machen, dass es aufhört. Ich kann nicht mehr. Ich bin ausgeliefert.
In der Reihenfolge.

Wir haben aufgehört “Es soll aufhören” als Erstes festzuhalten, nur weil es ein klarer und fester Gedanke und Wille  inmitten von Ohrensausen, Flirren vor den Augen, einem Puls der mit seinem Wummern den Hals verengt und diesen Wahrheiten, die die Sprache verschlagen, ist.
“Es soll aufhören” ist ein Reflex. Sinnlos, wie die Arme schützend vor den Kopf zu heben und die inneren Stahlwände zuknallen zu lassen, wenn nur ein Erinnern an eine Bedrohung passiert.

“Es soll nicht mehr weh tun.” ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, was denn weh tut. Und ob es das wirklich tut. Und wenn ja, was die konkrete Lage ist. Was genau ist da, jetzt und hier, wo es weh tut?

”Es soll mich nicht mehr ängstigen.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, wovor man Angst hat. Oder Furcht. Und dann kann man ein Rechenspiel machen. Eine riesengroße Wahrscheinlichkeitenmatrix kann man sich dann bauen. Und ist erstmal beschäftigt. Weil Rechnen hinter der Stirn passiert und Furcht in der unteren Mitte des Kopfinneren.

“Es soll nicht mehr verwirrend/verunsichernd sein.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich erinnern kann, dass alles einen Anfang und ein Ende hat. Und hatte.
Dass die Welt ein Oben und ein Unten kennt, ein Gestern und ein Heute.

Irgendwann kam die Idee auf, von der Therapeutin versichert zu werden, ohne, dass wir länger mit ihr telefonieren oder um einen Krisentermin bitten müssen. Es entstand das Vorgehen, ihr einen Stein zu geben und ihn in der darauf folgenden Stunde wieder abzuholen.
Wir rufen an, sagen, dass wir das gern tun würden, sie sagt, wann das geht und wir fahren entsprechend los. Durch die bekannte Stadt, vorbei an bekannten Geschäften, umgeben von vielen kleinen Alltagswundern. Gehen zur Praxis, klingeln und sagen “Hallo”. Geben ihr den Eulenstein, sagen “Tschüss” und gehen durch den bekannten Wald zurück nach Hause. Wir atmen, wir teilen unsere Blicke und wuchern mit jeder vergehenden Minute mehr zurück in die Sicherheit des Augenblicks.
Weil sie uns sagen würde, wäre das Heute kaputt. Sie wäre nicht da, gäbe es das Jetzt nicht. Die Stadt würde anders aussehen, wäre es nicht diese Stadt.
Den Wald gibt es nur hier.

Es war die perfekte Idee um dem schlimmsten guten Satz zu begegnen.
“Ich will nicht allein sein mit dem Horror (nicht sicher zu wissen, ob er je aufgehört hat).”

immer wenn die Helfenden nachfragen …

Da sind wir nun also. Montagmittag, nach Duschen, Anziehen, Zähneputzen, Frühstück und Wohnungspräparation für das erste Arbeitsgruppentreffen des neuen Jahres und mit aller Macht versuchend, nicht an unsere eigenen Hilfekampfkrämpfe zu denken.

Am Donnerstagnachmittag hatte das Telefon geklingelt und eine Person vom Team des betreuten Wohnens in Familien sagte uns, man hätte sich im Team noch einmal besprochen, und ginge davon aus, dass der Landschaftsverband die Hilfe nicht finanzieren würde, weil wir die letzte Betreuung selbst beendet hatten.
“Siehste – das haste nu davon.” dachte ich und spürte, wie der seit der Therapiestunde gerade eine Stunde vorher eh schon unter der Hut zappelnde Puls sich zu etwas entwickelte, dass ein pfeifendes Rauschgeräusch und Hitze im Gesicht war. Die Person fragte, warum wir die Betreuung beendet hatten. Und zum mindestens vierten Mal sagten wir genau dieser Person: “Weil wir nicht entsprechend der finanzierten und benötigten Fachleistungsstunden betreut wurden und die Personen keinerlei fachliche Kompetenzen für unsere Problematiken aufgrund der komplexen Traumafolgestörung hatten.”.

Wir haben keine Haut für solche Nachfragen. Niemand muss unsere ersten Antworten gleich verarbeiten und im Kopf behalten – aber wir sagen meistens schon bei der ersten Wiederholung: “Das hier ist ein schwieriges Thema und darüber zu reden ist hart an der Belastungsgrenze.” und erwarten dann auch, dass der Gedankenschritt getan wird, sich das zu merken, um uns nicht außerordentlich oder mehr als zwangsläufig passiert, zu belasten.

Was wir oft nicht verstehen ist, wie dann doch immer wieder darüber hinweggegangen wird und das so begründet mit “Ja, aber ich muss doch nachfragen.” und schlimmer noch – gerade in diesem Fall: “Ja, aber das muss sein, damit wir ihnen gut helfen können.”.
Es ist ein verdammter Trigger für uns. Und wir sagen das. Und wir machen und tun, um uns zu halten, funktional zu bleiben. Das Atmen nicht zu vergessen, in dem ganzen Gewirr aus Räumen und Strichen vor unserem inneren Blick den Überblick zu behalten. Und dann ist dieser Kampf darum wieder nötig und unvermeidbar, weil es nicht sein kann, was wir gesagt haben. Oder weil es ja eventuell vielleicht falsch sein könnte und man da ja auch nur in unserem Sinne handeln will. Und man doch nur ganz lieb und engagiert und, weil man nur das Beste für uns will, nachfragen will.

Sie tun mir so leid diese ganzen Menschen, die ja nur helfen wollen und dann sind wir so megaempfindlich und nicht in der Lage das irgendwie besser zu verpacken, als so wie wir es tun: mit Selbstverletzungen, die uns zusammenhalten. Mit überbordenden Fachrecherchen in alle Richtungen. Mit im Kopf eingeübten Gesprächen, inklusive aller möglichen und fast unmöglichen Optionen, die eventuell vielleicht eintreten könnten. Dem Unterdrücken des Impulses bei der kleinsten Rückfrage zu schreien bis es vorbei ist.  Also alles. Bis dieser ganze quälende Prozess des “sich Hilfe ranholens” vorbei ist.

Am Donnerstag hatten wir uns entschieden, den Anruf erst einmal von uns wegzuorganisieren, damit wir nicht allein daran denken müssen, dass dort etwas ist, worum wir uns kümmern müssen. Wenn wir das nicht allein müssen, dann hat es eine Chance in seinen Spitzen soweit von uns weg dissoziiert zu werden, dass wir Frontgänger_innen den Alltag gehalten bekommen,  während die Welt wackelt.
Blöd ist nur: es bleibt nicht bei anderen Menschen. Weder bei dem Begleitermenschen noch bei unserer Therapeutin. Noch bei unserer gesetzlichen Betreuerin. Immer wieder kommen da Nachfragen und immer wieder kommen sie alle zu uns und fragen: “Wie können wir ihnen denn helfen?” oder “Was ist ihr Auftrag an mich?”. Und das ist toll. Und im Moment so viel zu viel, dass es uns zerfetzt.

Und irgendwie wird das auch bemerkt. Also: irgendwie.
Nur frage ich mich manchmal, ob bzw. wie viel nach Außen spürbar ist, wenn sie dann doch nicht damit aufhören. Wenn da dann doch immer wieder “Ja, aber…” kommt. Oder “Ja, und was genau …?”.

Wir versuchen es irgendwie so einzufädeln, dass unsere Helfer_innen bitte miteinander reden, statt uns immer wieder zu fragen, was wir genau wollen, als würde sich unsere Bedürfnislage von einem Termin zum nächsten grundlegend verändern, oder als würden sich die historischen Zusammenhänge wie durch Zauberhand verändern.

Mir ist klar, dass wir vor 5 bis 10 Jahren noch die Kraft gehabt hätten das so durchzuexerzieren. Da hätten wir erklärt und erklärt und immer wieder neu versucht klar zu machen, worum es geht und was wir für wichtig halten. Da wären wir so geschockt davon gewesen, dass jemand immer wieder fragt, was wir möchten (weil wir noch nicht gelernt haben, dass etwas zu wollen oder zu wünschen legitim ist (obwohl es um unsere Wünsche und Willen geht) und deren Job dem, so weit es geht, zu entsprechen), dass wir irgendwie irgendwas rauswürgen und das Beste hoffen. Und dann natürlich den Fehler bei uns suchen, wenn dann eine Nachfrage kommt, weil wir reden ja auch immer wie ne Sphinx mit Kartoffeln im Mund. Es ist ja immer unsere Unfähigkeit nicht ordentlich und verständlich zu sagen, was wir möchten.

Jetzt ist Montag, der 25. Januar und wären wir nicht so bekloppt uns erneut auf diesen ganzen Hilfe-Rettungs-Unterstützungswahn_Sinnszirkus einzulassen, wären wir seit drei Monaten tot.
Wir würden nicht mit jedem Tag mehr Angst vor der eigenen Courage haben und uns darüber ärgern, wie klein unsere Selbstvertretung vor solchen Übermächten wie der Klinik oder einem Landschaftsverband wirkt. Obwohl es ist, was sie doch am Ende alle wollen. Bevor jemand anderes in unserem Namen spricht und irgendwas Falsches veranlasst. Wir würden nicht in diesem Gefühlskrampf stecken zu merken: “Wir tun hier nichts Falsches – aber es fühlt sich weder leichter noch besser noch sonstwie irgendwie okay aushaltbar an – ist es vielleicht etwas Falsches?”.

Und ich würde mich nicht über mich selbst ärgern, dass ich es nicht schaffe zum Telefonhörer zu greifen und der gesetzlichen Betreuerin zu sagen: “Machen Sie bitte …”. Einfach, weil ich Angst davor habe, dass sie irgendwas nachfragt. Und wir vielleicht die nächsten drei Monate einfach nur noch schreien.

Betreuung

Nur noch 11 ein halb Tage bis zum Termin beim Betreuungsdienst der Wahl.
Getriggert ist inzwischen so ziemlich fast alles und wie Unkraut es so an sich hat, schießt das Zeugs im Kopf in alle Richtungen.

Es ist ein Moloch, den wir da vor uns sehen und das nicht, weil unsere Erfahrungen alle eher so semi bis grotte mit Aspekten von zart glitzerndem Wow waren.
Sondern, weil Betreuungen immer zwischen Kontexten der Wohlfahrt, wahrhaftiger Selbstlosigkeit, des schieren Kapitalismus und Not auf vielen Ebenen passieren.

Auf Flyern lachen die Menschen immer. Oder lächeln. Es gibt gegliederte Texte, frische Farben, samtweißen Hintergrund und fast sind selbst die Paragraphen am Ende der letzten Seite nicht schlimm.
Mit Beginn der Arbeitsgruppe “das Nachwachshaus” und im Verlauf unserer Krise haben wir eine ganze Menge von diesen Flyern angesehen und gelesen. Im Laufe des Jahres und mit zunehmendem Engagement in Sachen “Inklusion als Menschenrecht”, konnten wir uns diese Flyer aber auch mehr und mehr dekodieren und in einen Kontext mit unseren eigenen Wahrnehmungen und Einschätzungen in Bezug auf geschehene Betreuungen (und all die geschehenen Nichtbetreuungen) bringen.

Vor uns kann kein sozialpädagogisch arbeitender Mensch mehr stehen und sagen: “Ja aber…” oder “Was erwartest du denn?” und anderes reflexhaftes Derailing anbringen.
Sorry – not sorry.

So, wie wir lange vor der Krise schon darüber schrieben, dass keine einzige Form der Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun, kontextlos passiert, so schreiben wir nun über Betreuungen als einen Aspekt der Gewaltenverteilungen und ihren Aus-Ein-Mit-Wirkmechanismen.
Die Wohlfahrt und ihr gesamtes System gehört zu einem Teil der Gewalt, die Menschen mit Behinderungen/Behinderte, Arme, Kranke, Unterstützungs- und Hilfebedürftige jeden Tag erfahren und gegen den sich zu wehren praktisch unmöglich für sie ist, ohne sich selbst einer sehr existenziellen Gefahr auszusetzen.

Klar könnte ich in eine Kommune irgendwo auf dem Land ziehen und schauen, ob meine Probleme sich von veganer Lebensweise, frischer Luft und absoluter Abschottung vom Rest der Welt verbessern. Für manche Menschen kann das ein Ding sein.
Für mich aber nicht. Und wieso sollte ich als Person, die sowieso schon unglücklich mit dem ständigen Außenseiter_in sein ist, außergerechnet als totale Aussteiger_in glücklich sein?

Um klar zu sein: ich suche keine Hilfen, die weder institutionalisiert sind, noch komplett außerhalb kapitalistischer Kontexte passieren. Wir leben im Kapitalismus und wir leben in einem System, das Strukturen eher anerkennt als fluide Existenzen. Deshalb ist der Mensch allein hier ja so wenig wert.
Aber, ich möchte nicht von Menschen betreut und unterstützt werden, die selbst, (und nicht zuletzt auch wegen der Arbeit an/mit mir) zu Personen werden, die Hilfe und Unterstützung brauchen, um am Leben sein zu können.

Ich möchte das zum Einen nicht, weil ich das für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit halte und zum Anderen, weil ich mich entwickeln möchte. Vielleicht auch an Beispielen und Vorbildern entlang.
Heimlich ist das ein Wunsch. Okay. Vielleicht ein naiver. Obwohl eigentlich nein. Die Glitzeraspekte von selbst den semihilfreichen Betreuungen, die wir so hatten, waren Menschen, die etwas an sich hatten/haben, das wir (bis heute) nicht verstehen und deshalb zu ergründen versuchen: die mochten uns und wollten uns helfen, weil “einfach so”.

Für uns ist das wie ein Ding, das aus dem Weltraum kommt.
Nicht, weil wir das gar nicht kennen, dass Menschen uns sagen, sie mögen uns – viel mehr, weil die meisten Menschen, die uns sagen, sie würden uns mögen, uns in Wahrheit einfach genau nur so lange mögen, wie ihre Vorstellungen und Erwartungen an uns erfüllt sind.
Wir sind so schlecht darin Erwartungen zu erfüllen. Vor allem, wenn die Menschen nicht einmal reflektieren, dass sie welche an uns haben oder herantragen. Dann merken sie oft nicht einmal, dass wir sie enttäuscht haben – dann merken sie nur, dass wir anstrengend, unverständlich, zeit-nerven-kraft-intensiv im Umgang sind.

Gerade Letzteres tut uns immer wieder weh zu merken. Und auch deshalb sind wir inkompatibel mit ambulantem betreuten Wohnen.
Da heißt es im Hilfeplangespräch, dass man sich in Ruhe um alles kümmert und sich auseinandersetzt und dann macht.
Am Ende sieht die Realität dann so aus, dass die Klientin vor mir einen Amtstermin hatte, der – konnte man ja nicht ahnen – länger dauerte – für mich also bedeutet 20-30 Minuten weniger Zeit mit der betreuenden Person zu haben, weil sie nach mir noch schnell einen Klienten vom Bahnhof drei Dörfer weiter abholen muss und der da ja nun nicht so lange warten soll (was er dann aber doch muss, weil ich nervigerweise vielleicht doch noch ein Problem geklärt haben muss, das schon seit fünf vorherigen Terminen geklärt werden will, die furioserweise alle ähnlich gequetscht und zeitlich ultraeng aussahen).

Klar seufzen Betreuende vor mir auf und sagen mir, dass sie schon viel Zeug heute hatten und grad ne Migräne anrollt und Fußschmerzen und das Auto ist ja auch fast kaputt und so ein langer Tag noch heute…
Na klar tun sie das. Weil sie Menschen sind und keine Maschinen.
Aber die Erwartung ist eine Reaktion von mir.

In meiner letzten ambulanten Betreuung hatte ich den Standartreaktionsspruch auf das “Uff- ist alles ganz schön viel” von meiner ehemaligen Therapeutin kopiert und blindlinks abgespult, während hinter mir natürlich alles durcheinander getriggert herumpurzelte und sich überlegte, wie man die Probleme, die eigentlich in aller Ruhe mit den betreuenden Personen angeguckt werden sollten, selbst klärt.

Ich hab mich dafür geschämt, als ich das gemerkt hab. Ich mag selbst keine vorgefertigten Sätze hören und mache das dann in solchen Situationen.
Warum? Weil ich überfordert bin. Weil ich keine Kraftreserven dafür habe Menschen individuell mit Lautsprache zu berieseln. Weil die soziale Interaktion schon total viel Kraft kostet. Weil sich den Problemen, bei deren Lösung ich Hilfe und/oder Unterstützung brauche, zu stellen Kraft zieht.
Weil es bei meinen Problemen immer und immer wieder um handfeste existenzielle Absicherungen bzw. den Verlust dessen dreht.

Wir haben die ambulante Betreuung verlassen, weil wir gemerkt haben, dass wir diese Kraft nicht mehr aufbringen konnten.
Muss man sich mal überlegen – eine Hilfe ablehnen, weil man keine Kraft für sie hat.
In anderer Menschen Leben würde das bedeuten, sich mehr Hilfen ranzuholen.

Aber dann – mehr Hilfen ranholen. Mehr einfordern, als eine Person, die eh schon immer zu viel ist. Zu viel kognitiver Aufwand. Zu viel Zeit-Kraft-Energiefraß.
Obwohl sie doch auch super alles allein geschafft hat. Weil sie das ja doch gar nicht anders wollte.

Am Ende ist es halt dieser Dreh, der uns vor ein paar Wochen das Genick gebrochen hat.
Die Erkenntnis, dass wir Marathon laufen und eigentlich einen Rollstuhl bräuchten. Das ist ein mieser Schlag in den Bauch und doch irgendwie typisch für unsere Reflektion und permanente Dekonstruktion der Blicke anderer auf uns. Wir sind nicht zimperlich oder die Art Person, die sich die netten Aspekte von Reflektion auf sich herauspickt und die bitteren Stücke liegen lässt.
Wir suchen die bitteren Stücke, weil sie in der Regel wahrhaftiger sind. Schmerz ist ehrlich. Schmerz ist unbestechlich. Schon immer gewesen.
Menschen, die uns weh tun, erleben wir als ehrlicher und sehr viel offener, als Menschen, die immer nur Honig für uns haben.

Leider sind Menschen, die uns weh tun, häufig auch selbstsüchtige Arschlöcher oder von Täter_innenintrojekten angestochene Hörnchen und deshalb nicht besonders geeignet für uns im täglichen Kontakt.

Und damit sind wir wieder bei den dauerlächelnden Prospektgesichtern für Betreuungsanbieter.

Es gibt die Angst in so einer furchtbar netten Umgebung zu landen, in der wir die einzige Person sind, die Kritik übt, Dinge kritisch betrachtet, Negatives auch offen kritisiert.
Es gibt die Angst wieder reinzufallen auf irgendein Lächelgesicht und Versprechen auf entspanntere Aussichten, die dann doch nie kommen.
Und es gibt die Erinnerungen, die heute noch einmal auf einen anderen Boden fallen. Heute turnen teilweise 12-13-14 jährige Innens in unserem (Schul/Bildungs-) Alltag herum  und ich merke, wie wir Rosenblätter anfangen sie zu merken. Was es ausmacht, wenn Worte wie “Es gibt eine Bekleidungspauschale und Verpflegungsgeld…” fallen. Das ist kein Teil unserer Jugend, der verarbeitet ist.

Wir wissen nicht, wie man sich betreuen lässt.
Wir wissen nur, wie es ist betreut zu werden und sich kaputt zu machen, während man versucht die Betreuenden zu entlasten und sie möglichst nicht mit der Hölle in einem drin in Berührung kommen zu lassen.

Wir schauen gerade nach einer Alternative zum stationären Wohnen in einer Wohngruppe.
Also denken wir gerade allen Ernstes darüber nach, uns irgendwie mehr als 4-6 Stunden pro Woche mit Menschen in Kontakt zu bringen. Und zur Berufsschule zu gehen. Gleichzeitig.
Wir.

Like: wirklich wir oder ein frisch aufgekeimter Blob irgendwo am Rande des Temporallappens?
Im Moment fühlt es sich für mich an, wie parasuizidale Ideen. Ernsthaft.

Es fühlt sich an, als würden wir uns mit der Umsetzung dieser Idee von Hilfe und Unterstützung an eine Art Suizid bringen, den keiner außen merken würde, weil wir ja gut versorgt wären und so.
Es ist auch eine ähnlich einsame Entscheidung.

Oder?

Fundstücke #9

Immer wenn ich die Treppen zu unserer Neurologin hochsteige tue ich das, um hinauszuzögern, dort anzukommen.
Es gibt auch einen Fahrstuhl. In den springe ich hinein und halte die Luft an, bis ich oben bin, wenn es nur um ein Rezept geht. Das ist wie Pflaster abreißen. Tut fast gar nicht weh. Ist völlig harmlos.

Gestern stieg ich die Treppen hinauf und hörte das Blut in meinen Ohren, wie den Wellengang, den ich mir für dieses Jahr am Meer zu hören gewünscht hatte.
Ich stand in dieser Gischt und wühlte nach Worten, stierte in das weiße Rauschen hinein, um die Wörter, die ich gleich hinausgeben wollte wenigstens zu erahnen.
Und wieder nichts. Seit Tagen ist da so viel Nichts in meinem Kopf und in mir selbst, dass ich mich wie einen Fleischbeutel voller Nichts von der Schulter eines Hipsterg’ttes herunterbaumelnd empfinde.
Ich brauche lange bis die Worte vor mir auftauchen, erst im Sprechen kann ich an das Gefühl herankommen zu wissen, was ich eigentlich sagen will und am Ende sitze ich da und werde vom ersten Landen einer Träne auf meinen Schoß erschreckt.

Dieses blöde Geheule. Das so gar nichts bringt und Kraft kostet, die für andere Dinge gebraucht wird.

Und daneben der Dialog von dem uns die Therapeutin erzählt hat.
Die Ärztin in der Krisenstation hatte ihr gesagt, es würde sie erstaunen, wie jemand der so schwer krank ist bzw. so schwerwiegende Symptome hat, noch nie bei ihr auf der Station war. Und die Therapeutin hatte ihr geantwortet: “Frau Rosenblatt ist eben eine starke Frau.”.
Und daneben der Tobsuchtsanfall über diesen Dialog, der es nicht schafft durch die Wattewand der Medikamente zu kommen.

Die Neurologin glaubt nicht, dass die Sprechprobleme von den Medikamenten kommen und wir glauben nicht, dass in uns Programme laufen oder wir dauergetriggert sind. Wir ziehen unsere Erfahrungen mit Neuroleptika heran, unter denen es immer auch eine Verschärfung der allgemein immer bestehenden Schwierigkeiten der Kommunikation gab. Sie beruft sich wahrscheinlich auf ihre Erfahrungen der Behandlung von Menschen mit unseren Problemen.

Es gibt kein Einzelergebnis. Es gibt eine Vielheit von Optionen des Umgangs.
Und als wir die Tür hinter uns schließen knallt über dem Kopf die Gefängnistür wieder zu. Stille. Rauschen. Flirren. So wenig wir und so viel Angst vor dem was ist, war und könnte, würde, wenn.

Am Abend sitze ich auf dem Bett und versuche ein buntes Mobile fertig zu basteln, das über unserem Bett hängen soll. Daneben warten wir auf einen Anruf und als er kommt, gibt es das Gefühl von einem Sein ins nächste zu schlüpfen und währenddessen auszurutschen.
Nun stellen wir also doch einen Antrag auf Geld aus dem Fonds für Personen, die  – nein ich will das nicht ausschreiben. Die Formulierung ist so falsch – alles daran ist so falsch.
Ich warte auf einen Moment, in dem es so okay ist, wie es sich anfühlen sollte und merke doch nur den Gedanken: “Du wirst gerade angesprochen, als sei wahr, was du sagst. Ist dir das klar du verlogenes Stück Scheiße?!”.

Ich schaue dem Gedanken ins Gesicht und halte meinen Blick bis er in ein so provozierendes Starren übergeht, dass es mich zerreißt.

Ich stehe neben jemandem, der versucht zu schauen, was gut zu bean.tragen ist. Schäme mich dafür, wie teuer die Sachen sind. Schäme mich, weil es so tut als könnten wir irgendwas. Als wäre es nicht alles Zufall, hingepfuscht, rumgetrickst und so fadenscheinig, dass uns immer wieder leid tut, wenn jemand Gefallen daran findet.
Tröstlich ist, dass es anderthalb Jahre dauert, bis die Leistungen, sollten sie bewilligt werden, ausgezahlt werden. Beängstigend ist, dass es anderthalb Jahre dauert.

Ich habe Angst über folgende Wochen nachzudenken, weil ich mir nicht zutraue sie zu leben und tue jetzt etwas, das in anderthalb Jahren Wirkung haben soll. Könnte. Wenn.

Und während ich sehe, woran ich scheitere, weil ich einfach nicht mehr kann; einfach am Ende mit Nerven, Kraft, Herzblut und Kontakt zum eigenen Sein bin, dreht sich die Welt weiter und ich kratze eine Rille in sie hinein, weil ich starr, stumm, still innehalte aus Angst vor all dem hätte würde wenn, das meine Überlegungen, was wir wie verändern könnten, wie einen Ball auf stürmischer See hin und her wirft.

“Sie machen nichts falsch”, sagt die Neurologin.
“Sie kommen einfach her, wir trinken Tee und ich bin da.”, sagt die Therapeutin.

Und beide reißen damit etwas auf, was noch viel  mehr Angst macht, als das unbeholfene Füllen dessen, was man das eigene Leben nennen soll: die Idee, dass man okay sein könnte in Bezug auf etwas und jemanden in dieser Welt.

Trotz all dem.

weh

Die letzte Therapiestunde war eine Art Showdown.
Zum Einen, weil es die dritte Stunde war, in der die Therapeutin vermittelte, sie sähe sich hilflos vor unserer Krise und zum Anderen, weil wir uns erneut die innere Härte legitimiert haben, uns vom Außen zu lösen.

Da kommen dann die Erkenntnisse darum, für andere Menschen wahrscheinlich einfach nur ein Schleifstein gewesen zu sein, an dem man sich so lange reibt, bis man sich wieder seinen eigenen Fähigkeiten widmen kann. Für andere Menschen in seiner Arbeit bloßes Mittel zum Zweck zu sein und keine ehrliche Solidarität erwarten zu können.
Und daneben all die Menschen, die nicht merken, wie sehr es schmerzt, wenn einem aus ganz viel gutem Willen heraus die eigene Ohnmacht vermittelt wird.

Ich habe in den letzten Tagen so oft “Ja, aber er/sie hat es doch nicht böse gemeint…” oder auch “Ja, aber er/sie konnte vielleicht nicht anders, weil …” gehört, dass ich mich bis auf die Knochen aufgeschlitzt und brennend sehe.
Es ist der Umstand, dass ich davor übrig bleibe. Dass es nicht darum geht meine Not zu lindern, sondern ihre Entstehung zu erklären und mir darüber zu vermitteln, mein Gefühl sei falsch, weil die Situation nicht entstanden ist, um mich zu ärgern. Das Verstehen soll mich trösten und wenn ich verstehe und doch noch Schmerzen habe, bin ich wohl überempfindlich, unnachgiebig, nachtragend, bockig.  Vielleicht therapieresistent.

Ich denke immer wieder darüber nach, warum ich gerade so darum kämpfen muss einfach meinen Schmerz anerkannt zu bekommen. Warum ich immer wieder 3 Schritte weiter verortet werde, als jemand, der Erwartungen an die Menschen und Abläufe des Alltags richtet und wie ein schmollendes Kind behandelt werden darf, wenn ich äußere, dass es noch immer weh tut.

Das ist etwas, das mich an der Therapiestunde verletzt hat. Die Interpretation unseres Leidens als Enttäuschung vom Leben.
Als hätten wir Erwartungen an das Leben, die noch zu enttäuschen sind. Als würden wir unsere Tage damit beginnen, Ansprüche zu verfolgen und Erwartungen erfüllt zu bekommen.
Und nicht damit, einfach irgendwie zurecht zu kommen, Absprachen unberührt zu lassen, Zeug zu tun, das man zugesichert hat.

Am Ende der Stunde war klar, dass jemand die Erlaubnis erhält den Körper zu schneiden und, dass dies ein Akt ist, den wir brauchen, um zu spüren, dass wir das Außen nicht brauchen. Um ganz klar und immer wieder zu spüren, dass der Schmerz in uns wirklich ist – auch dann, wenn er vom Außen negiert und irgendwo anders verortet wird.

Wir sind also nach Hause gefahren und haben die Stunde zwischen Therapie und Fotokurs damit verbracht uns selbst zu verletzen, aber den Rahmen um dieses Verhalten herum nicht zu zerstören.
Mir ist aufgefallen, dass manch ein Schnitt auch aussehen kann, wie ein geöffneter Mund, was wiederum das selbstverletzende Verhalten zu einer Art selbsterschafften Mündigkeit transformiert. Es ist als würde man sich zusätzlich zu seinem Mund auf den niemand hört, beliebig viele Münder mehr in den Körper schnitzen und damit seine Gewinnchancen in der Anhörungslotterie erhöhen.

Später im Fotokurs sprachen wir über Francesca Woodman. Eine Fotografin, die sich mit 22 Jahren und nach viel großartiger Arbeit für den Suizid entschied. Der Lehrer sagte, es sei ihm immer so unverständlich, wie so junge Leute sich für den Tod entscheiden. Vor allem Menschen, die in jungen Jahren so großartige Sachen erschaffen. Die so sichtbare Talente haben und darin auch anerkannt werden.
Bei alten Menschen, die sich schon 20, 30 Jahre lang gequält haben, sei es ja noch verständlicher, aber…

Ich saß da und dachte, wie ignorierend bis ignorant mein Lehrer spricht. Wo er seine Berechtigung hernimmt darüber zu urteilen welcher Schmerz Grund genug für die Entscheidungen von anderen Menschen sind. Und warum er überhaupt denkt, beurteilen zu müssen, wann welche Entscheidungen richtig sind oder falsch. Und daneben das Übliche: der schmerzliche Stich, wenn man merkt, dass jemand Talent und Begabung gut findet, aber unterschlägt, was es bedeutet, bestimmte Dinge zu können, die eine Mehrheit der Menschen nicht kann.

Ja verdammt, die Einsamkeit der Begabten ist eine kalte, graue, unfassbar schmerzhafte. Es ist eine Einsamkeit, die von Anerkennung nicht weggeht. Es ist ein Schmerz, der über die Erkenntnis der Besonderheit nicht nachlässt.

Und zum Teufel ja, die gleiche Einsamkeit entsteht, wenn man arm ist und versteht warum das so ist. Wenn man behindert ist, wie wird und weiß, warum das so ist. Wenn man überlebt hat, woran andere starben und versteht warum. Es ist kein Trost zu verstehen, dass es dabei nicht um einen selbst als Person geht, sondern um Kontexte, die einen objektifizieren.
Verdammt – warum sollte es mich trösten ein bloßes Objekt zu sein? Was daran, soll ich als tröstlich empfinden?!
Dass ich egal bin für diese Kontexte? Dass es nicht nur in mir, sondern auch in den Kontexten, in denen ich mich bewege, so etwas wie eine subjektive Einsheit nicht gibt? Es soll mich trösten, dass ich auch nicht sein könnte?
Warum ist dann meine Nähe zum Suizid so eine verwerfliche?

Ich durchbrach das Gespräch über die Fotografin mit der Bitte ins Fotolabor zu dürfen.
Später sagte ich meinem Lehrer, dass ich vor kurzem wegen einer suizidalen Krise im Krankenhaus war. Dass mein komischer Gang, das unwillkürliche Überstrecken der Finger von dem neuen Medikament kommt. Er nickte und fragte, ob es denn jetzt wieder okay wäre.
Ich sagte ihm, dass es einfach verdammt weh tut zu sein. Obwohl ich weiß, dass das eine dieser awkward Hannah-Antworten ist, die noch nie irgendjemand wirklich so verstanden hat, wie ich sie meine. Aber es war mir egal.
Ich hatte einfach keine Kraft dafür ihm zu erklären, dass ES noch nie okay war und vielleicht auch nie okay wird.

Ich habe keine Kraft mehr für die Menschen um mich herum und ihre Ohnmacht, die sie so verzweifelt vermeidungstanzen, dass sie mich zertreten.
Und ich habe keine Bereitschaft mehr sie dafür zu entschuldigen. Es tröstet mich nicht, zu merken, wie viel Angst andere Menschen vor dem Mitfühlen meines Leidens haben.

Es tröstet mich nicht im Geringsten. Es tut einfach nur weh und wirft uns genau in die Alleinsamkeit, in der es eben gut tut sich zu schneiden und sich einzubilden, der Druck des Verbandes wäre in Wahrheit ein Etwasjemand, der einem direkt dort, wo der Schmerz ist, Halt gibt.

Daneben ist es auch die Alleinsamkeit, in der wir pur sind. Brachial. Wüst. Wirr. Weder offen und weich, noch empfänglich und nachgiebig.
Es ist der vielleicht ehrlichste Zustand um sich auszudrücken und Worte zu finden. Vielleicht das einzige Moment, die eigene Essenz als wahrhaftig zu er_leben.

Nebenwirkungen

Die Sonne scheint, die Welt glüht in satten Farben und verstärkt etwas in mir, dass zwischen gehetztem Tier und wirren Gedankenstrudeln pendelt.

Ich bin gestern spazieren gegangen. Trug eine kleine, rein mechanische, Plastikkamera von circa 1977 umher und versuchte ein paar Aufnahmen.
Ich merkte, wie meine Fingermuskeln sich unwillkürlich verkrampfen, genauso wie ich es an meinem Gesicht am Tag vorher bemerkt hatte.

Da spiele ich Hasch-mich mit meinen eigenen Wahrnehmungen und rede mir ein, dass es nicht passiert, wenn ich nicht darauf achte und werde von meinen bisher nie registrierten Bewegungsroutinen auf den Boden der Tatsachen zurück geholt.
Mein Spaziergang wird zum Kampf um Motive, Licht und Schatten, Kontrolle und Bewusstseinsunterdrückung.

Kaum zu Hause angekommen, könnte ich gleichzeitig ins Bett fallen, wie einen bizarren Spitzentanz auf einem Trampolin beginnen. Meine lange Muskulatur in den Beinen versteift sich wie Holzlatten an meinen Knochen entlang und schert sich keinen Deut um meine Angstspitzen, die es nicht in greifbare Panik schaffen.
Später sagt Renée am Telefon “Ja, das Seroquel muss weg.” und in meiner Zustimmung hockt doch die Angst, es im Moment aber auch nicht aushalten zu können ungedämpft vor dem zu sein, was mit miruns passiert.

Da sind wirre Erinnerungsfetzen, die sich mit abstrusen Träumen vermischen, die Anspannung vor dem Workshop am Freitag in Dresden und den ersten Stunden wieder allein mit NakNak*.
Und November und alles.
Und alles und alles und alles.

Und der Gedankenschrei “Bitte nicht”, der nicht einmal ein Satzzeichen hat, weil er allem gleich entgegen treten muss und mehr Varianz nicht mehr geht.

Die Neurologin rief vorhin an, wegen des Termins, um den ich bat. Gab mir einen für Mittwoch dessen Uhrzeit ich verloren habe. Wörter sind Räume, Zahlen sind Striche. Striche gehen so schnell verloren in diesem klebrigwattigen weißen Rauschen zwischen Wahrnehmung und Rezeption.

Ich bin auf eine Art so nah vor dem Loslassen, das mich reaktiv aufzucken lässt ohne planvolles Handeln zur Folge zu haben und gleichzeitig so fern davon, loslassen zu können, weil alles in mir hart ist.

So hockte ich mich am Abend unter meinen Schreibtisch unter die Bettdecke und spulte meinen Film zwischen der Angst auf dem Sprung, eine Berührung von etwas außerhalb der Decke zu spüren und der Angst, dass sich der Film wieder in der Spule verhakt und ich das Negativ mit den Fingerspitzen berühre, während ich versuche ihn gut wieder einzuziehen, auf, nur, um in einen echten Flashback zu rutschen, als ich, in der Bewegung unter der Decke hervor, die Orientierung verliere.
Aber wir sind ja Ressourcenmeister_in. Man hält ja durch. Seinen Happy-PTSD-Pokal bekommt man nur, wenn man trotzdem weitermacht.
Und es dann halt verkackt, weil man macht um zu machen und nicht um das Machen bewusst, gezielt und konzentriert wahrzunehmen. Wie ichwir.

Und heute?
Scheint die Sonne, glüht die Welt und summt es noch immer unerträglich in all meinen Zellen.

Alles noch mal neu.
Weil es diese Sehnsucht gibt nach etwas, das daneben noch klappt. Etwas, was ganz konstant immer gleich funktioniert und kein Hasch-mich-Spiel erfordert.
Es ist die Suche nach der Konstanten im Chaos und dem, was hilft zu überleben.

als ob

Kurz nach 21 Uhr gingen wir mit schnellen Schritten gegen den langen Rock ankämpfend zur Straßenbahnhaltestelle.
Und während ich mich zwischen “langsamerem Schritt und in der Folge eben die Bahn verpassen” und “durchhalten und als Belohnung bald zu Hause zu sein”, nicht entscheiden konnte, war es plötzlich wieder da: das Kitzeln am Panikknopf und der Gedanke des Versagt-habens, das sich so glatt und blank wie abgeschmirgeltes Eis ohne Grenzen vor einem offenbart.

Einfach so.
Weil man mit der Erkältung in der kalten Nacht draußen rumrennen muss. Weil man seine hässliche Fresse außerhalb der eigenen 4 Wände zeigt. Weil man so ein widerwärtiges Würmchen ist, dass halt schon von seiner Machart her zu nichts Sinnhaftem fähig ist. Weil … whatever.

Und heute das Warten auf den Anruf der Neurologin. Die wirrverzweifelte Nachricht, die da so untypisch für die Frau P. deren Persona wir zu spielen irgendwie zu verlernen scheinen, auf dem Anrufbeantworter vor sich hin gammelt.
Die Nebenwirkungen des Seroquel, das seinen Einzug in unserem Gehirn mit einer so üblen Party feiert, dass die Zellwände wackeln und das Stammhirn ärgerlich schnaubend die Stirn runzelt.

Die Unrast, die jeden Ort  nach einer Weile unaushaltbar macht. Die Dämpfung, die gleichzeitig so erschöpft, weil sie in Teilen auch überwunden werden muss. Der trockene Mund, der ganz Dudebro aus der Hölle mit der trockenen Reizung des Rachenraums ist.
Und dazwischen die Spitzen von “Ich mach jetzt was, was das Ganze aufhören lässt” und wieder Energie rausschießt, sich Dingen zu widmen, die vielleicht zu einer Entlastung beitragen. Oder eben auch erneut an der Ecke abzubiegen um vor der Frage zu landen, ob jetzt weiterzuleben sinnig ist.

Und in der Packungsbeilage steht, dass das normal ist.
Dass man, wenn man Suizidgedanken an sich feststellt, unbedingt mit seinem Arzt sprechen sollte. Oder einem Freund.
Und dann in der Annäherung an Versuche, diesen Rat zu befolgen, weil man ja nie weiß, merke ich: ich kann keine Gespräche mehr üben, weil mein Blick auf die Laut.Worte zunehmend mit weißem Wattezeug bedeckt ist. Und natürlich versuche ich aber doch den Moment der Erkenntnis genauso schnell zu unterdrücken, wie die Panik über das, was sie bedeutet.

Und daneben mein inneres Fräulein Rottenmeier, das mich anspornt und meint: bis Samstagnachmittag ist kein Platz für Psychosperenzchen.
Als wäre nach Samstagnachmittag, wenn NakNak* wieder da ist,  ein Monat beginnt, in dem wir Dinge vorhaben und vieles abzuwarten ist, Platz dafür.

Als wäre es irgendwann in den letzten knapp 5 Jahren so gewesen, dass wir uns für unsere eitertriefende Psychoscheiße jemals mehr Platz gelassen hätten, als die Pestbeulenaufstiche für Wortfluten hier und die erbärmlich abstoßenden Versuche in Therapie und Internetforen.

Aber sie hat auch Recht und es ist tröstlich sie zu spüren. Es ist ein Anker an das Hier und Jetzt, das dort beginnt, wo wir aufhören und uns zu einem Individuum stanzt, das re_agibel ist, sein kann, und auch morgen sein wird. Ganz selbstverständlich auch morgen, weil das Hier und Jetzt auch ein Morgen kennt und von ihm ausgeht, als sei es nichts, was in Zeitfalten verschwinden kann.

nah dran

Wenn ich lese: “Mir fehlen die Worte.”, “Ich bin sprachlos.”, “Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.”, denke ich: “Ist okay – ich brauche auch keine Wörter von dir.” oder: “Schon gut, für mich musst du auch keine Wörter haben.”. Aber dann kommt ja noch der ganze Rest. Die ganze Hilflosigkeit. Der große  Schreck und die Versuche mich daran teilhaben zu lassen.

Nur weil wir uns fast das Leben genommen – was ist das eigentlich für eine bescheuerte Formulierung? “Das Leben genommen”. Als könnte man durch Regale gehen und sich Leben nehmen.
Als geschähe Leben nicht einfach so. Oder eben nicht. Oder eben nicht mehr.

“Nur, weil wir uns so unkontrolliert vor der Entscheidung des Weiterlebens oder nicht mehr Lebens  empfunden haben.”, so ist es richtig formuliert.

Mich überrascht die Angst um uns. Und die Bindung, die zu uns aufgebaut wurde.
Und sie erschreckt mich. Macht mir Angst. Tritt genau diesen einen unheimlichen Schritt zu nah und greift nach etwas von uns, dass es nicht gibt. Nie gab. Vielleicht nie geben wird. Und vielleicht auch nicht gewollt ist, weil es als unaushaltbar erlebt wird.

Ich würde gerne sagen: “Hey – es ist nur Suizidalität. Es ist nur eine Entscheidung. Kopf hoch – es geht nur um Tod.”, aber ich weiß, dass ich das vor einer Wand sagen würde, die weiß vor und unter dem Leben in unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unserer Kultur vor sich hin rauscht, wie die vielen Bäche durch die Alpen.
Es ist genau die Wand, die wir manchmal auch als Kluft zwischen uns und dem Rest der Welt erleben.

Weil wir erlebt haben, was wir erlebt haben. Weil wir wahrnehmen, was und wie wir wahrnehmen. Weil wir in unseren Fähig- und Fertigkeiten mit anderen Begrenzungen als die Mehrheit der Menschen umgehen.

Zwischendurch passiert es noch, dass Menschen mit uns in Kontakt treten und in Austausch gehen möchten, weil sie denken, wir wären besonders (stark/mutig/whatever). Was dann immer wieder passiert ist Stille. Das Moment der fehlenden Worte und die Angst vor dem Schweigen. Die vielen vielen Worte, die uns nichts sagen, doch für diese Menschen zentnerschwer mit Bedeutung beladen sind.
Und dann die Enttäuschung, wenn sich herausstellt, dass wir einfach nur sind. Dass es uns einfach nur gibt und das schon die ganze Besonderheit ist.

Ich blätterte heute durch “Sensation des Alltäglichen”, einem großartigen Fotoband von Anja Conrad und dachte: “Genau das ist es. Nichts weniger. Dieses Leben.”.

Manchmal frage ich mich, ob es Menschen gibt, die uns kennen und denken: “Wär mir genauso gegangen an deren Stelle.”. Heimlich unterstellen wir das auch Menschen. Wissen es aber nicht. Weil sie uns lieber sagen, wie sprachlos sie sich vor dem schockartigen Bewusstsein um unsere Not, unsere Verzweiflung, die Nähe zum radikalen Ende empfinden.
Ich würde gerne sagen: “Sagt uns einfach, dass ihr unsere Not auch nicht ertragen wolltet/würdet/könntet. Weil sie ist und war und bleibt, bis sie zu Ende ist.” und kann es doch nur schreiben.

Ich wünsche mir mehr von dieser einen Ehrlichkeit, die genauso wenig Rücksicht auf uns nimmt, wie die Entscheidung zum Suizid keine Rücksicht auf irgendjemanden oder irgendetwas außerhalb eines sich Suizidierten nimmt.
Woran sollen wir denn glauben, wenn wir nur von Füllwatteworten umgeben werden, aus Angst man könnte – ja was? Uns beeinflussen? Uns indirekt in den Suizid treiben? Uns verletzen? Aus Angst man könnte selbst bemerken, welchen einen Schritt genau man zu nah an und in uns hinein getreten ist?
Geht es am Ende nicht vielleicht genau darum die Erkenntnis zu vermeiden, wie sehr man sich mit uns verbunden fühlt und dennoch scheut in etwas gemeinsam zu sein, was einem selbst fremd ist, weil man auf der anderen Seite der Kluftwand steht?
Ist es Angst unser Schweigen, unsere Sprachlosigkeit, unsere Suche nach Worten am eigenen Selbst zu fühlen?

Ist es Angst vor dem Leben, wie es für uns ist?

Jenes Leben, das wir uns jetzt, wo die Entscheidung gegen einen Suizid zum jetzigen Zeitpunkt getroffen wurde, neu anzusehen versuchen.
Jenes Leben, in dem wir ein Medikament nehmen, das uns beruhigt und hilft aus dem ständigen Hyperarousel zu kommen. In dem wir auf eine Antwort auf unseren Antrag auf Wiederaufnahme in einer Klinik für Psychotherapie warten und streng mit uns sind, wenn von hinten nach vorn die Argumente kommen, wir würden so etwas doch gar nicht brauchen/müssen/dürfen/sollen/hätte würde wenn/ jatta jatta jatta. In dem wir uns erlauben, die deutsche Gebärdensprache zu lernen. In dem wir (Sensation des Alltäglichen!) zwei Mal am Tag essen. In dem wir uns eine Jahreskarte für die Stadtbücherei erlauben.

Und ab und zu, kurz, schmerzhaft, unheimlich und nah, an den Rand der Kluft zwischen uns und der Welt treten.

wenn man lebt, kann man lernen

Es ist Mittwoch und gestern haben wir uns aus der hiesigen Psychiatrie entlassen lassen.
Noch fließen Medikamente durch den Körper, die machen, das sich die Finger-, Zehen- und Zungenspitze taub anfühlen und wir uns tatsächlich einen Timer stellen müssen, damit wir uns selbst Schritt für Schritt durch den Prozess des “aufs-Klo-gehens” und “Nahrung* bereitens” zu hieven erinnern, wie einen nassen Mehlsack durch Treibsand.

Wir sind nachwievor so betrübt wie das Meerwasser vor Fukushima. Aber die Zeit zum nächsten Workshop, die Zeit zum nächsten Fotokurs, die Zeit zum nächsten Podcast ist nicht mehr so lang, dass der Gedanke, man könne sich ja bis dahin umbringen, damit es weniger lang dauert, keinen Raum mehr finden kann. Zu voll gestapelt ist der Kopf bereits wieder mit Folien, die zu füllen sind, mit Fachliteratur, die aufzufrischen ist, mit dem dicken Panzer, den wir brauchen, um zurecht zu kommen.

Heute morgen wachten wir mit Fieber und Husten auf und freuten uns darüber.
Offensichtlich hat uns etwas in der letzten Woche gut getan und psychophysisch soweit entlastet, dass sich der Körper neben allem auch ein Fieber zu leisten in der Lage sieht. Vielleicht war es der Schritt NakNak* vorrübergehend in Obhut von jemandem zu geben. Vielleicht war es der viele Schlaf. Vielleicht das psychische Einknicken und stückweise Runterbrechen auf das, was hinter uns funktionierenden Rosenblättern als rudimentäre(re) Schleife immer mitläuft. Vielleicht aber auch die Erfahrung, dass die Therapeutin solidarisch bleiben konnte, der Mensch (rätselhafterweise) irgendwie jeden Tag? für uns da war und wie noch immer verlässlich ist, womit man seine (Klein-) (Kinder-) Jugendzeit überstanden hat.

Wir haben aus den Tagen im Krankenhaus die Einsicht mitgenommen, dass wir wahrscheinlich nie eines der ungehörten kindlichen Gewaltopfer waren, sehr wohl aber eines der unverstandenen und mit (trotz der) besten Intensionen miss_be_handelten.
Menschen brauchen mehr als stereotype Schablonen um Schlüsse egal welcher Art aus dem Verhalten und Beworten anderer Menschen zu ziehen. Sie brauchen Zeit. Sie brauchen direkten Kontakt. Sie brauchen eine Routine miteinander, um individuelle Normen/Muster_Schablonen zu kreieren.
Und genau das ist es, was von Geburt an misshandelte Menschen zum Verhängnis wird. Denn: es gibt kein Vorher und kein Nachher.

Wir haben verstanden, dass wir diesen Teil unserer Traumatisierungen hier über das Blog wenn nicht reinszenieren, so doch Raum dazu übriglassen und zwar über die Kommentarfunktion und die vielleicht nicht häufig genug geforderte Reflektion derer, die sich an uns richten.
Entsprechend schließen wir die Kommentare hier bis auf weiteres und erleben das als gleichzeitig schade, wie wichtig.

Einerseits gab es hier nie eine Flut von Kommentaren – andererseits gibt es hier jede Woche mindestens einen übergriffig wie unangebrachten Rat_Schlag, verbale Verletzungen und immer wieder auch Kommentare von Menschen, die geflissentlich übersehen, dass das Blog von Vielen in über 900 Artikeln bereits vieles von dem was als fehlend angemerkt wird, besprochen hat.
Es wird gern vergessen, dass wir gerade 29 Jahre alt sind und unsere konkreten zwischenmenschlichen Gewalterfahrungen im Rahmen organisierter Gewalt gerade einmal 8 Jahre her sind.
Wir sind keine Person, die durch ihre Traumafolgestörungen aus scheinbar geordneten Bahnen gefallen ist.
Wir leben, wachsen, entwickeln uns. Über das Blog tun wir das quasi in aller Öffentlichkeit– und sind gleichzeitig noch so weit davon entfernt, uns selbst erfassen und halten bzw. tragen zu können.

Heute morgen habe ich gespürt, wie viel von unserem Alltag in Krisenzeiten wie jetzt von einem völlig fremden inneren System getragen wird und ganz ehrlich: nach inzwischen 13 Jahren unter der Diagnose der dissoziativen Identitätsstruktur war und ist das das Letzte mit dem ich gerechnet hätte.
Dabei ist es so logisch: Man kann nicht bewusst für Dinge sein, die unbewusst sind bzw. die unbewusst im Sinne von “in einem dissoziativem/dissoziiertem Zustand” getan werden.

Je näher wir an Routinen und geordnete Bahnen kommen, desto mehr bricht auf und in sich zusammen, weil immer weniger Energie in Dissoziation, als in Assoziationen am eigenen Sein fließt. In diesem Jahr haben uns die Aufnahme des Vorstudiums an der Kunstschule, das Hineinfuchsen in die Rolle eines Wissen vermittelnden Menschen, der bestätigte Verdacht des auch autistisch seins, einen erheblichen Schritt näher an das, was man “geordnete Bahnen” nennen könnte, gebracht.
Genauso wie die Erkenntnis weder Inklusionspüppi noch feminist riotgrrrl zu sein. Weder Freundin noch Feindin zu sein. Weder Mann noch Frau zu sein. Im stetigen Zweifel ein Mensch zu sein. Nicht zu sein, was andere in und an dem sehen, zu sehen glauben, was ist und als Schluss ins eigene Bild von “Hannah C. Rosenblatt” hineinmeißeln, ohne sich selbst, ob der eigenen Fähig- und Fertigkeiten als Meißelnde_r zu hinterfragen.

Wir haben uns, obwohl nachwievor depressiv, instabil und in einigermaßen desolatem Zustand entlassen _müssen_ , weil uns das von außen unreflektierte Unverstanden sein, in einen Zustand triggert, der über “dysfunktional” hinaus geht und nicht kompensierbar war.
Wenn die, die einem helfen wollen/sollen/möchten nicht verstehen können/müssen/sollen, dass sie nicht verstanden werden und nicht verstehen, dass ihnen genau das gesagt wird, dann ist es vielleicht, wenn nicht das überhaupt grundlegende Drama der Irren ™, so doch auf jeden Fall unser ganz persönliches.

Wir denken darüber nach, in wie weit der Autismus und auch unser viele sein – zu allererst aber doch unser in Gewalt aufgewachsen sein, uns zu einem Menschen macht, der Unterstützungen und Hilfen jeder Art, nicht ohne Erklärungen und grundlegendes Verständnis ihrer inneren Mechanik anzunehmen in der Lage ist.
Wo beginnt eigentlich der Wunsch nach dem Verstehen der Hilfe und wo geht es viel mehr um ein so tief verwurzeltes Misstrauen in die menschliche Spezies, dass wir uns ausgeliefert und dem Tode nahe fühlen, sobald wir nicht mehr verstehen, was warum und wie genau passiert?
Und was ist es, was da wie eine Sirene meine Innenansicht benebelnd schreit, in dem, was wir “das Inmitten” nennen, ohne selbst konkret zu wissen, was wir damit meinen?

Mir ist heute eingefallen, dass wir nicht für Menschen schreiben und doch immer versucht haben für das Verständnis von Menschen zu schreiben.
Ein anderes Innen lehnte sich zu mir und legte eine Erinnerung dazu.
“Ich kann jetzt noch nicht sterben, weil ich noch nicht verstanden habe, wie die Menschen funktionieren.”.
Das hatte die 16 jährige „Darkcloud“ ihrer Lehrerin anvertraut. In einem dieser nahen Momente. Damals. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie, als alles – zumindest äußerlich – noch tausend Mal schlimmer war, als heute.

Heute steht in unserer Nicht-Suizidvereinbarung: “Grund für die Bindung [an den Vertrag] = Wörter/ Kommunikation finden [mit Therapeutin, dem Menschen, der Begleitenden]” und als vielleicht das “rosenblattsche inner perpetuum mobile” die Erinnerung “Wenn wir den Vertrag brechen, werden wir nichts mehr lernen (finden) können”.

Vielleicht ist es also gut, wie wichtig, wie lebensrettend, dass wir uns dem Unverständnis der Menschen hier immer wieder ausgeliefert haben.
Vielleicht hätten wir die Teilchen so nicht verbinden können.
Vielleicht, lapidar gesagt, mussten wir halt 8 Jahre auf die Fresse fliegen, Rat_Schläge einstecken und an unserer Fähigkeit der Kommunikation ver_zweifeln bis wirs endlich kapiert haben.

Man lernt halt nie aus.
Wenn man lebt.