das mit dem Mitfühlen

Eine Frage einer Teilnehmerin hat mich berührt.
Wir hatten gerade viel über Gefühle und Emotionen gesprochen. Sie fragte, wie das mit dem Mitfühlen ist. Dem „sich in andere Menschen hineinversetzen“.
Ich versuchte zu erklären, dass sich selbst zu fühlen, eigene Gefühle spüren, nicht die gleiche Tätigkeit ist wie „sich in andere Menschen einzufühlen“. Dass das eine ein Prozess und Merkmal des bloßen Am-Leben-Seins – und das andere das Ergebnis sozialer Interaktion im Rahmen der Lebensgestaltung ist.

Erst jetzt, fast einen Tag später, merke ich, wie wichtig diese Frage eigentlich für alle Teilnehmer_innen war, die wie wir, mit diesem einen heimlichen Koffer durchs Leben gehen, in dem Schuld, Scham und Schande darüber steckt, dass man eben nicht einfach immer „aus dem Bauch heraus“ weiß, was bei anderen Menschen los ist. Dass man immer irgendwie drum rum murkeln muss, jeden Menschen wie ein Objekt analysieren und abtasten muss, um schlau aus dessen Innenleben zu werden, ohne sich dabei irgendwie persönlich angezogen zu fühlen oder überhaupt zu erwarten, dass das sicher total spannend und toll zu wissen wäre, weil man damit ja so unfassbar viel anfangen könnte.

Die Person erzählte später, dass sie in der Sonderschule nichts darüber gelernt hat und weil ich einfach bleiben wollte, erwiderte ich nichts weiter darauf. Aber natürlich ist klar, dass über genau diese Dinge, genau dieses Erleben, auch in anderen Schulen nicht gesprochen wird, weil es abweichend, neurodivers, ist.
In unserem heimlichen Koffer stecken Schuld, Scham und Schande, weil es den meisten Menschen anders geht als uns. Weil sie uns beschämen, wenn wir nach Dingen fragen, die offensichtlich, intuitiv, „automatisch klar“ erscheinen. Weil sie uns gefühlskalt und mitleidslos schimpfen, wenn wir nicht sofort in uns unsinnig, weil ineffektiv erscheinenden Sozialinter_Aktionismus fallen. Weil sie uns für Manipulation und Hinterlist bestrafen, wo wir verzweifelt versuchen Sinn zu finden.

Weil neurotypische Menschen so gut wie nie – weder freiwillig noch unfreiwillig – etwas darüber lernen, wie neurodiverse Menschen er_leben und fühlen.

Umso mehr Dankbarkeit habe ich jetzt dafür, dass wir den Workshop machen durften und diese Frage aufkam.

28072020 – Liebe im Spektrum

Bei Netflix gibt es eine neue Serie, die „Liebe im Spektrum“ heißt und junge autistische Menschen auf der Suche nach Beziehungspartner_innen begleitet. Die erste Folge hat einen problematischen Start, weil Autismus erklärt wird und das wieder nur in Abgrenzung zu Menschen, die nicht autistisch sind. Auch das Datingverhalten der Protagonist_innen wird an dem Datingverhalten nicht autistischer Menschen gemessen.

Aber dann wirds schön. Und ihr solltet euch das angucken, wenn ihr könnt. Es ist toll, behinderte Menschen als sexuelle Wesen zu sehen. Es ist mega, zu sehen, dass autistisch zu sein nicht für alle bedeutet, auf andere Menschen, auf Beziehung, auf Intimität verzichten zu können oder zu wollen. Es tut gut zu sehen, wie sie sich dann treffen und kennenlernen und wie sie ihre Ideen und Haltungen in die Treffen einbringen.

Ich habe gemerkt, dass unsere Position zu Liebe und Beziehung gar nicht mal so awkward ist, wie wir dachten (naja ehrlich gesagt: Ich dachte ^__^°).
Dadurch, dass die Protagonist_innen gefragt werden, wie sie über Liebe und Beziehungen, Kinder haben und Ähnliches denken, merkt man, wie individuell die Haltung dazu sein kann, aber auch, wie okay sie ist, selbst wenn die meisten Menschen andere Haltungen haben.

Minuspunkt ist: Dating
Gestern Abend haben wir verstanden, dass Dating das soziale Vorspiel vor dem sexuellen Vorspiel zu sein scheint und deshalb für viele so wichtig ist. Was wir immer noch nicht verstanden haben – und das liegt einfach daran, dass bis in Folge 4, wo wir gerade sind, Datingverhalten als solches überhaupt nicht hinterfragt, sondern als etwas dargestellt und auch beigebracht wird, das man eben auf bestimmte Art machen muss – wieso man es nicht anders macht. Oder nicht prinzipiell sein lässt.

Für uns ergibt es keinen Sinn und ich glaube, dass es an unserer Haltung zu Liebe und Beziehung liegt.
Liebe ist für uns ein vorübergehendes Gefühl. Mal liebt man, mal liebt man nicht. Nur weil man gerade jemanden nicht liebt, hasst man ihn nicht oder ist ihm_ihr gegenüber gleichgültig. Vielleicht liebt man gerade nicht, aber ist herzlich verbunden, oder zärtlich, oder sanft, oder fürsorglich, oder kumpelig, oder innig. Gefühle sind auch ein Spektrum. Manchmal ist es schwierig für uns sie herauszufinden, besonders, wenn es mehrere gleichzeitig sind und dann vielleicht auch noch starke Gefühle, aber Liebe ist auf jeden Fall immer nur eins von vielen und das ist genauso temporär wie Wut, Trauer, Heiterkeit.
Liebe ist aber auch ein sozialer Wert und der wird beim Dating abgeglichen. Dabei werden beide (alle) beteiligten Personen zum eigenen Maßstab (zur eigenen Norm) und wenn die andere.n Person.en dieser Norm entspricht bzw. mit dieser als kompatibel erscheint, dann öffnet man sich für die nächste Prüfung, nämlich die der Verliebtheitserfahrung, die sich in folgenden Dates entwickeln kann, aber nicht zwingend auch tut. Deshalb ist bei einem Date allein nur diese Wertprüfung möglich und der Rest erst später.

Was für uns unlogisch ist, ist die Energieverschwendung dabei.
Wir haben den Freund zum Beispiel über Twitter kennengelernt. Unsere Wertprüfung fand dort statt. Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, waren wir schon in einer Beziehung zueinander – nur keiner sexuellen oder emotional sehr innigen. Unser Kontakt hat sich entwickelt, und so auch die Möglichkeiten für eine Verliebtheitserfahrung. Wir haben aber nie extra dafür gedatet, sondern einfach so Dinge erlebt und gemacht. Wir hätten auch sehr verbundene Freund_innen werden können, die einander lieben und auch Sex haben, aber deshalb noch lange keine „klassisch monogame Zweier-Liebesbeziehung“ miteinander eingehen. Das Dating, das sie dort in der Serie zeigen und das man ja oft im Fernsehen sieht oder in Unterhaltungsromanen liest, setzt das aber als Ziel irgendwie immer voraus.
Und das erscheint uns unfassbar anstrengend. Überhaupt schon die Idee, man dürfe immer nur eine Person lieben und mit nur einer Person Sex haben, wegen eines sozialen Status allein, was ist das für ein Quatsch. Darf man dann auch nur wütend auf diese Person sein? Sicherlich nicht – warum darf unsere Wut alle und alles zum Ziel haben, aber unsere Liebe und sexuelles Begehren nicht? Absolut unverständlich. Und anstrengend für beide – dann müsste man sich ja ständig schlecht fühlen und immer aufpassen und immer lieb(e)los und asexuell mit allen und allem sein. Was ist das denn für ein Leben? Grauenhaft stelle ich mir das vor – einfach ganz ganz schrecklich.

Naja. Aber vielleicht ist das für andere Menschen anders (also nicht so anstrengend, wie wir das erleben) und sie ticken anders und deshalb sind wir an der Stelle nicht kongruent. Ist okay. Offensichtlich kommen Menschen auch so glücklich zusammen und das ist ja am Ende das, was für viele sehr wichtig ist.

P.S. Ich hab grad gedacht, dass für viele Leute ja auch anstrengend sein könnte, sich emotional auf mehr als eine Person einzulassen. Das ergibt Sinn für mich. Wär cool, wenn das in der Serie noch Thema würde. So ist es halt irgendwie einseitig auf jeden Fall.

P.P.S. Was ich nicht mit in den Text geschrieben habe, weil ich es nicht prüfen konnte: Die Serie ist sehr weiß. Es gibt nur einen Charakter (Kelvin), der nicht weiß oder wenigstens white passing ist. Im Hinblick auf die Probleme Schwarzer autistischer Menschen unverzeihlich.

die Veröffentlichungswoche

Ich schenkte dem Lehrer, der mir bei der Paginierung von “aufgeschrieben” geholfen hatte, ein Exemplar. Eine dreiviertel Stunde später gab er zwei Bestellungen von anderen Lehrer_innen an mich weiter.
Leute, die über das hier – also ALLES DAS HIER, was meine beiden Arme selbst in einem Bogen ausgestreckt nicht berühren können, nichts wissen.
Ist das ein Outing? Hm, nee. Aber vielleicht für sie. Wer weiß.

Menschen haben das Buch in der Hand gehabt und gesagt: “Oh das ist aber schön.”. Awkwardness at it’s max. Das wollte ich sie empfinden lassen – wieso klappt das so einfach? Das klappt doch sonst nicht? Oder doch? Wie reagieren Leute eigentlich sonst auf meine Machwerke? Ist das Dissoziation? Hm. Wer weiß.

Die Sonne scheint. Der Wind zupft an meinen Wimpern. “aufgeschrieben” zwischen Krokussen. Vor einer Steinwand. Vor einer Wand aus gesprungenem Glas. In eine Metallwand geklemmt. Auf Holz. Auf Gras. Was passt zum Buch, was zum Style des Instagramaccounts des Verlags. Oh man, alle werden sehen, dass wir .. dass das .. es ist wirklich jetzt da. Wir haben das gemacht und es ist da. Ist das Angst? Hm. Wer weiß.

Die Plastikfolie um jedes Exemplar ärgert mich. Die Grafiken sind nicht gelungen. An einigen Stellen ist der Text falsch gesetzt. Wenn man es aufmacht, stinkt es. Jedenfalls in meiner Nase. Das Papier ist zu dünn. Wir hätten noch so viel anders machen müssen. Mein Exemplar liegt drei Tage offen, dann muss ich reinschauen, weil mich Leute nach dem Inhalt fragen oder bitten etwas darüber zu sagen. “Es ist nicht so perfekt wie es an meinem Computer in den letzten 3 Monaten ausgesehen hat, das tut mir so unendlich leid, ich wollte es besser, richtiger, perfekt schaffen, aber vielleicht geht das auch gar nicht, vielleicht geht nur “gut genug”, findest auch “gut genug”, gut genug zum Angucken und Lesen?”, das will ich schreiben, aber das ist nicht, wonach gefragt wurde. Es steht für niemanden in Frage sich ihm zu widmen und vielleicht auch zu lesen. Das ist so krass. Oder? Hm. Wer weiß.

Die Sonne scheint mehr. Blendet, wärmt, brutzelt zuweilen.
Im Mailpostfach einige Anfragen für Lesungen. Beim Öffnen des Kalenders Zukunftsmusik. Hier Lesungen, da der Schulabschluss, dort Umzug zum Freund und, mit Bleistift am Rand, der Moped-Führerschein.
Ist das schön?
Ja. Ziemlich.

Fundstücke #56

Sie sagt, wenn du magst, kannst du anrufen und mit mir reden. Ich mag das. Sie ist die einzige Person mit der ich rede. Die anderen haben Leben und Leute zum reden. Ich hab sie.

Ich rede von den Gefühlen der anderen, die das gemeinsame Innen so sehr füllen, dass es mich an das Früher drängt, wo es keine Wörter zum Reden gibt. Sie fragt, wie das für mich ist. Ich antworte, be_drückend.

Sind die anderen auch bedrückt, fragt sie und ich sage nein. Sie stehen unter Druck. Das ist alles.

Was könnte helfen fragt sie. Ich sage, schlafen. Ruhe. Pause. Langweile. 1-2-1-2-1-2-Tage. Abstand. Und Wörterwurzeln.

Wörterwurzeln?, fragt sie.

Ja, Wörterwurzeln, antworte ich. Zum Halt er_leben.

“fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch” sind keine Gefühle

Das Video hat mich daran erinnert.
“fett” ist kein Gefühl. “dumm” ist kein Gefühl. “ungenügend” ist kein Gefühl. “falsch” ist kein Gefühl.

Das sind Zuschreibungen. Wertungen.
Und auch wenn ich sie ständig und immer, in allen möglichen Variationen im Kopf habe, sie höre, sie als Tritte, Stöße, Ziehen, Reißen, Kratzen, Brennen, Wucht und Energie in und an mir fühle, sind sie nicht von mir gemacht. Selbst wenn sie als Stimme aus mir herauskommen, meine Haut tragen und mein Leben an sich nehmen. Sie sind nicht ich.
Sie sind in mir geworden.
Weils nötig war. Weil Menschengehirne – weil Leben auf Spiegelung und Kopie beruht.

Mir ist aufgefallen, wie oft davon gesprochen wird von etwas oder jemandem getriggert zu sein. Trigger zu meiden oder einen Umgang zu finden. Immer wieder geht es um Trigger und darum bestimmte Handlungen zu unterdrücken. Zu vermeiden. Umzulenken.
Es geht nicht darum zu sagen: “Ich fühle wie damals, als eine Person, der ich mich unterlegen fühlte/von der ich abhängig war, mir sagte, ich sei fett, dumm, ungenügend, falsch, weil sie mich demütigen, abwerten, unterdrücken, brechen, verletzen, zerstören wollte.”. Es geht nicht darum zu sagen: “Ich erinnere mich an eine Gewalterfahrung.” oder “Diese Situation, unser gemeinsamer (sozialer) Kontext erinnert mich an eine Gewalterfahrung.”.
Es geht um Trigger_reize und darum das Framing dieses Begriffes zur Abstraktion von Gewalt und ihren Folgen zu miss-ge-brauchen.

Was ein Trigger ist, ist schnell erklärt und jede – wirklich jede Person versteht das Reiz-Reaktionskonzept “Trigger”.
Aber wird es auch begriffen? Wird mit der Erklärung des Begriffs – der Bewortung eines Vorganges, begriffen, dass es um die Folge eines An- und Eingriffs in das gesamte Denken und Werten bezüglich jeder Regung innerhalb eines Individuums geht?
Nein.

Oft passiert es sogar, dass eine Spaltung aufgeht, was ein “echter Trigger” sei und was “ein irgendwie anderes Dings”.
So gibt es die Idee, dass ein echter Trigger direkt zum Flashback oder zum dissoziativem Symptom führt und alles andere einfach schon immer so sei und vielleicht bei jedem sogar gleich. Denn schließlich fühlt sich ja heutzutage jede x-te Person “fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch”.
Obwohl genauso jede Person wissen kann, dass das keine Gefühle sind.

Aber wie oft setzt man sich schon hin und denkt darüber nach, wie man sich eigentlich fühlt?
Wann kann man sich Gefühle eigentlich erlauben?
Wann kann man seine Gefühle ertragen oder aushalten?

Sicher nicht, wenn man glauben muss, man sei fett, dumm, ungenügend und falsch.
Ganz sicher nicht, wenn man andere Zuschreibungen nicht gleichsam wahrnehmen darf. Und ganz sicher nicht, wenn man sie sich nicht einmal zu erlauben überlegen können darf.
Weil man auf den “richtigen Trigger” warten muss, bis das zu etwas werden darf, das man als nicht von sich kommend markieren kann.
Weil es eine neue Machtinstanz* mit eigener Sprache erlaubt.
Nicht etwa man selbst.

 

*hier: die Psychotherapie/Psychologie als Wissensmacht ergo Gewalt

da ist was

Ich stand in der Praxis meiner Gynäkologin und sagte ihr: “Es kann auch sein, dass meine Beschwerden für mich größer sind, als es das, was ich letztlich habe, in der Regel so verursacht.”. Sie lächelte mich an und sagte: “Ja, aber Sie haben ja was. Das ist ja alles so entzündet, dass ich mich frage, wie sie damit überhaupt zurecht kommen.”.

Schwierige Ansage. Obwohl- Psychosomatik geht immer mit schwierigen Ansagen einher. Zumindest wenn ich mit MedizinerInnen* zu tun habe. Das Eine ist: “Es kann gar keine Psychosomatik sein, weil sie ja da was haben.” , das Nächste ist: “Es ist so schlimm, dass ich mich frag, wie sie zurecht kommen” und das Dritte ist: “Ja, aber…”.

Ich war mit meinen Unterleibsschmerzen in der Praxis, weil ich mir selbst nicht mehr helfen konnte.
Wenn es einen Ort gibt, den ich auf mehr als der Ebene “Medizin = Körper = uääää” verabscheue, dann die gynäkologische Praxis, meiner netten freundlichen Ärztin*. Nirgendwo sonst befeuern sich meine erarbeitete Sexpositivität, mein eingebrannter Selbst- und Körperhass, mein Genderdurcheinander und meine Angst zu sterben so heftig, wie da. Wenn ich dort hingehe, dann erwähne ich meine Psyche nach Möglichkeit nicht, weil es eben auch keinen anderen Ort gibt, an dem sexuelle Misshandlung, Verstümmelung und ihre Folgen so zweischneidig präsent ist.
Wenn Menschen einen Ort suchen, an dem Vergewaltigungskultur pulsiert, dann finden wir ihn auf jeden Fall in der Gynäkologie.

Niemand sagt: „sexuelle Misshandlungen gibt es nicht“ – doch wenn jemand sagt: “Ich habe diese und jene Folgen von sexueller Misshandlung (zum Beispiel ein Schmerzempfinden zwischen Level 1 Zillion und 0 in einem Zeitraum von Minuten)”, dann kollidiert dies nachwievor mit dem “Medikus- Ja, aber…”

Meine persönliche Diagnose ist: Ich habe Anfang Mai eine der krassesten (Bindungs-) Retraumatisierungen der letzten zwei Jahre erlebt; meine engste Gemögte ist weggezogen; eine Fastgemögte wollte nach einem Konflikt keinen Kontakt mehr mit uns; ich hab mich aus der Selbsthilfeforenszene rausgezogen, nachdem ich vor einem dauerschwehlenden Konflikt nur noch ohnmächtig war und mein Innenleben und ich stecken in für uns großen Projekten mit unüberschaubaren Auswirkungen auf unser Leben. _Selbstverständlich_ streckt mein Immunsystem die Waffen und kann trotzdem nicht überall sein. Ich bin einfach nur noch müde, bewege mich kaum und meine Hauptmahlzeiten sind, wenn mans runterbricht, Fett und Zucker. Ich fange morgens um 9/ 10 Uhr an zu arbeiten ™ und höre irgendwann um Mitternacht damit auf.
Wenn ich eine Infektion wäre, ich würde mir auch einen Partyhut aufsetzen und mir den schwächsten immer irgendwie schwierigen Punkt in diesem Körper aussuchen.

Ich habe jetzt Antimykotika und Bakterienkiller geschluckt, Kortisonsalbe und Ringelblumenöl verwendet- der Schmerz ist aber noch da. Jetzt bin ich an dem Behandlungspunkt, an dem ich mir wünschen würde, unser Gesundheitssystem hätte so etwas wie eine etablierte Doppelbehandlungskiste. Gerade wegen Wartezeiten und Wochenenden.
Weil ich nun auf Laborergebnisse warten musste, um zu wissen, was die Symptome auslöst, fing ich an, mir die Sorgen, die ich sonst schön bei der Ärztin gelassen habe, anzuschauen. Ich dachte an Bakterien, die ich mir vor Jahren in Misshandlungskontexten eingefangen haben könnte und die in der Folge mit 5 partybehüteten Köpfen in meinem Uterus herumhüpfen. Ich dachte an Krebs und Zysten, an AIDS, weil ich keine anderen Krankheiten kenne, die “Immunsystemschwäche” bedeuten. Ich dachte an all die Geschlechtskrankheiten, die ich eventuell gehabt haben könnte und erinnere mich nicht, ob ich wirklich immer alles ordentlich behandelt habe. Und wo ich gerade schon an meinen Unterleib dachte, dachte ich an alles, was dort jemals passiert ist (und/oder passiert sein könnte) und mochte mich am Ende unter 30 Decken einrollen und darauf warten, dass einfach alles sofort zu Ende ist.
Genau für solche Zeiträume, hätte ich gerne eine Mischung aus meiner Therapeutin und meiner Gynäkologin. Jemand, der sich mit meiner Geschichte und meinem Körpermist auskennt; mich aus den 30 Decken rauspult und mir die Angst abbauen hilft.

Ich weiß, dass ich Schmerzen vor Angst vor dem Schmerz haben kann. Dafür lebe ich einfach auch schon lange genug mit Angst vor der Angst und der Panik, die immer dann kommt, wenn die Angst mal nicht zuverlässig kommt.

Bei Psychosomatik geht es nicht darum, ob “da etwas ist” oder nicht. Es geht (zumindest mir) nicht darum, getröstet und geflauscht zu werden, weil ich etwas “habe”.
Meine Somatik sind Schmerzen. Immer und immer wieder sind es Schmerzen, die weder in Muskeln noch Knochen, noch Sehnen noch Organen sitzen, sondern genau in dem Stoff, den es angeblich nicht gibt. Aristoteles nannte es “Äther”. Im Buddhismus ist es als “Akasha” bekannt. Ich weiß heute, dass ich damit eigentlich schon genau benenne, was mir weh tut, wenn ich psychosomatischen Schmerz benenne: mein Bewusstsein für (oder/und Erinnern an?) einen Schmerz, der mich an die Grenze meines Bewusstseins brachte und mehr als einmal drüber schubste.

Es wird gerne gedacht, man könnte Psychosomatik mit dem Placebo-Effekt behandeln, weil man vergisst, dass der Placebo- Effekt lediglich den Beweis für die Macht des Bewusstseins über körperliche Empfindungen darstellt. Bei der Manifestation von psychischen Konflikten und Wunden, an der Physis von Menschen, handelt es sich nicht um “nichts”, das bewiesen werden sollte. Es ist selbst ein Beweis dafür, dass dort etwas ist.
Ich muss nicht anfangen zu denken: “Es ist jetzt alles okay.” Ich muss das fühlen können und genau das tue ich nicht.

Dass ich jetzt auch noch “wirklich was hab” ist mir dabei irgendwie so ein richtig schöner Knüppel vor den Füßen. Einerseits fühle ich ganz genau, dass mein Immunsystem damit total gut auch ohne die Ärztin und ihre Behandlung klarkommen könnte – andererseits merke ich, dass ein Großteil meiner Abwehrkraft in Richtung “Seelenschutz” geht.
So große Konflikte, wie den im Mai, habe ich sonst immer mit meiner Wut kompensiert- ich hab mich stark gefühlt- aktiv. Nach dem großen Autsch, kam immer ein Anlauf, in den ich mich reingewütet hab und die Explosion hatte in aller Regel eine Klärungslawine in Gang gesetzt. Tja.
Und dieses Jahr hab ich Therapiefortschritte gemacht. Hab genickt als meine Therapeutin sagte, meine Wut würde nichts bringen. Hab geschwiegen auf jedes “Geh weg” und habe einfach gar nichts mehr an den Stellen berührt. Nichts ist passiert. Nichts ist geklärt.

Es ist nichts gut geworden. Dann brauche ich auch nicht anfangen mich noch obendrauf zu belügen und mir zu sagen, ich müsse nur wollen, dass es mir besser geht, dann ginge es mir auch besser. Es ist einfach nichts okay. Ich hatte schon was, bevor meine Ärztin oder meine Therapeutin oder meine Gemögten und Bekannten mir angesehen haben, dass ich was hab.

Jetzt ist es alles gleichzeitig und wo ich anfangen soll, weiß ich selber nicht.
Ich weiß inzwischen: medizinisch bin ich gesund zu kriegen- das Gewebe muss nur aufgebaut werden.

 

Und der Rest…?
Ich halte mich an meinen Projekten fest und hoffe, dass die Schwindel- und Schwächegefühle nachlassen.
Nachher gehe ich mit dem Hund raus. Zähle nochmal nach, wie viele Tage die Therapeutin Urlaub hat.
Ich (fr)esse. Ich arbeite ™. Ich bin.

Ich hätte auch was, wenn die ganze Welt mir sagte, da wäre nichts.

 

Es ist einfach gar nichts okay.
Nichts ist mehr okay, wenns weh tut.