Fundstück

Meine Regulation ist gestört. Das weiß ich und trotzdem tauche ich meine Hände in die Küchenspüle.
Ob das jetzt zu heiß war oder nicht, werde ich schon noch erfahren. Denke ich. Es dampft nicht verdächtig und eigentlich habe ich nichts anders gemacht als sonst. Aber mir fehlt das Stück zwischen Reizerfassung und Erkenntnis.

Während ich den Abwasch mache, denke ich an das Kind und den Bösen. Der Böse ist auf einer Insel und irgendwo lacht es immer noch darüber, dass die Therapeutin ihn von uns versorgt wissen wollte.
Ich weiß gar nicht, ob die Bösen überhaupt solche Bedürfnisse haben. Sie haben ja nicht mal das Bedürfnis nicht als “die Bösen” von mir gedacht zu werden.

Ich kratze auf der Teflonpfanne herum. “Es haftet ganz schön inbrünstig auf so einer Antihaftbeschichtung”, denke ich und überlege, ob meine Hände eigentlich immer so rot sind, wenn ich abwasche.

Und das Kind? Wieso schreit es eigentlich gar nicht?
Weiß es denn nicht, dass es ihm etwas Schlimmes passiert..e? Es muss doch jetzt ein Weh haben, ein Weh klagen, ein Weh in den Äther schicken und schreien.
Das macht man doch so.
Wir hatten mit der Therapeutin besprochen, dass wir uns kümmern. Dass wir es von dort mitnehmen und gut versorgen. Weil man das so macht.

“Noch einmal mit Pril abwaschen.”, denke ich, “und dann ist die Flasche alle und dann können wir endlich wieder das Fit nehmen.”. Ich denke an die Frauenhände meiner Familie* in Küchenspülen neben denen oft, immer, manchmal, das Fit stand und merke, wie erbärmlich meine Art Familien*verbundenheit eigentlich ist. An andere Dinge, die mich dem was eine meine Familie* hätte würde wenn gewesen worden wäre, näher bringen, kann ich mich aber auch nicht erinnern.

Es schreit nicht, es weint nicht, es bewegt sich nicht. Ich fühle nur Nichts von ihm. Weißes Rauschen, das kein Dissen ist.
Ist es dann eigentlich leiden? Wenn es nicht leidet, braucht es dann “gut kümmern” von uns?

Mein Abwasch ist fertig und in der Spüle vor meinem Bauch, treiben Speisereste, Fettaugen und letzte Restschauminseln umher.
“Wie fühlt sich eigentlich Ekel an?”, frage ich mich und fühle mich so fern von all dem was ist und wäre hätte würde wenn. “Wieso habe ich das jetzt eigentlich gemacht?”.

Ach ja, da war das Kind, vielleicht im Grundschulalter, das vor einer Wand kniet und weder sieht noch hört, noch ist und die Frage, ob es wohl leidet.
Und die Verlassenheit vor der Frage, ob man sich kümmern muss, wenn es kein Leiden gibt.

Die Frage was Leiden ist.

Und der Versuch um etwas anderes als dieses weiße Rauschen, das nicht ist und war und wird und ganz in Wahrheit überhaupt alles gar nicht ist.
So wie ich.

über die Entscheidung “krank – krank” zu sein

Ich habe mich dafür entschieden krank zu sein. Also “krank – krank” – also “so krank, dass ich nicht in die Schule kann- krank”.
Für mich ist der Umstand, dass ich mich für die Krankheit entscheiden musste, ein Symptom für die Krankheit “Langzeit-Hartz 4- Syndrom”. Darunter ist die Depression, die keine ist; die Angststörung, die keine Störung ist, die Ernährungsstörung, die keine Störung ist und die Anpassungsproblematik, die keine ist, zu verstehen.
Langzeit – Hartz 4 Krankheiten sind alles keine “echten” Krankheiten, weil sie logische Folgen eines Lebens in Armut, Mangel oder Fehlernährung, die Folge aus permanenter Existenzbedrohung, die gesamtgesellschaftlich gewollt und gestützt ist und am Ende zu sozialen, kognitiven wie innerpsychischen Anpassungen führt, sind.
Langzeit – Hartz 4 – Krankheiten werden in einer psychosomatischen Klinik nie erfolgreich behandelt. Deshalb sind es keine “echten” Krankheiten.

Richtig krank werde ich erst jetzt, nachdem ich soziale Teilhabe erfahren kann und darf.
Mein Körper, der fast 8 Jahre lang mehr oder weniger durchgängig wenig bis keine anderen Immunsysteme, außer dem des Hundes, länger als 6 Stunden am Tag neben sich hatte , befasst sich nun mit den Keimen, Viren und Bakterien der Kunstschüler_Innen.
Und ich musste darüber nachdenken, ob ich denn nun krank bin und wenn ja, wie “wirklich”.

Normalerweise – und ja für mich ist Hartz 4 – Leben normal, ich habe noch nie ohne gelebt – arbeite ich bis 38°C Fieber und bitte erst bei 39° C darum, dass jemand anderes mit dem Hund rausgeht und mir hilft aus überflutendem Wiedererleben von Gewalterfahrungen herauszugehen und orientiert zu bleiben.
Normalerweise schreibe ich meine Texte auch mit verletzten Händen, in Episoden dissoziativer Blindheit, in denen ich noch etwa 30% Sehschärfe aufbringen kann und mit Schreien in meinem Kopf, die zu laut für jedes Hören sind. Normalerweise halte ich meinen Haushalt auch dann noch aufrecht und begehbar, wenn ich mich selbst zutiefst gebrochen und unempfänglich fühle.
Normalerweise gibt es keine Grenze zwischen “Körper Geist Seele” und “Leben”.
Normalerweise ist beides eine Suppe, die von außen durchgesiebt und sortiert wird und nicht nach meiner Ansicht fragt. Ich kann eine haben, wenn ich will, aber irrelevant bleibt sie doch.

Und jetzt ist da die Frage danach, was Basis – was Pflicht und was Kür ist.
Die Basis ist vermutlich das Arbeiten, das keine “echte” Arbeit ist, weil es kein Geld gibt, aber passiert, weil es eben in mir drin ist. Ich erlebe mein Schreiben und Kunsten nicht als Handwerk. Es _ist_ und war schon immer. Es brauchte nie von Außen nötig gemacht werden.
Die Kür ist die Norm der Anderen. Die Norm bestimmte Dinge nicht in ihrem _Ist_Zustand anzuerkennen und zu wertschätzen, sondern erst in einem bestimmten (sozialem) Kontext oder damit assoziiert. Die Norm die Dinge, die in einer Seele, einem Geist, einem Körper drin sind, als “nicht genug” zu begreifen und darauf etwas zu konstruieren, das auf jede beliebige Art immer und immer wieder eine Verbesserung anstrebt und am Ende eine permanente Sicherung abnötigt.

Was ich merke ist, dass die Gesellschaft alias “die Welt da draußen”, meine Traumatisierung und mein Leiden am Leben damit, nicht als “echte” Krankheit begreift, wenn ich im Hartz 4 Bezug alt werde und sterbe. Vielleicht werde ich selbst nie weiter als bis zu dem Punkt, an dem ich mich jetzt befinde, meine Traumatisierung als etwas erfassen, das ein Leiden erlaubt, weil mein Hartz 4 Leben ein Suppenleben ohne Struktur ist. Es ist voller Not und voller “nicht genug”, aber fern der Norm, die das als Problem begreift.

Die Welt dort draußen, meine Hausärztin zumindest, denkt ich leide unter Fieber und Muskelschmerzen, weil ich Fieber und Muskelschmerzen habe.
Ich leide aber unter Fieber und Muskelschmerzen, weil sie mich an Schmerzzustände erinnern, die ich in dem Moment nicht als Teil einer Vergangenheit einordnen kann. Weil ich von diesem Erleben nichts beworten kann. Ich leide, weil ich auf eine scheinbar unüberbrückbare Art allein und ohne Teilhabe bin, wenn ich mich erinnere.
Es erscheint mir, als sei die Einsamkeit meines Leidens, die Basis meines Lebens und die Welt da draußen denkt, das wäre Hartz 4.

Die Welt dort draußen denkt, ich würde unter Hartz 4 leiden, weil es nicht genug ist. Weil es nicht genug für mich ist.
Die Welt dort draußen fragt sich nicht, was für mich “genug” wäre, wann für mich das Leiden vorbei wäre.
Die Welt dort draußen versteht nicht, dass sie Teil meines Leidens ist, weil sie meine Norm nicht als gegeben anerkennt.
Die Welt dort draußen versteht nicht, dass mich die Gewalt durch Menschen zuerst von ihr getrennt hat und mit der Gewalt unter dem Begriff “Hartz 4” getrennt hält.

Und zwar so sehr und so gründlich, dass ich für mein Leiden, mein Kranken, mein Sein, im Grunde keinerlei Maßstab habe und die Entscheidung sich mit 39,5° Fieber, Halsschmerzen und Rotznase als “zu krank um am Leben in der Welt teilzuhaben” einzuordnen, zu einer unfassbar mutigen Tat wird, weil sie “die Welt da draußen” mitberührt.

Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, wie krass das für uns ist, für sich allein etwas entschieden zu haben, das mit der Welt zu tun hat.
Vielleicht kann’s niemand. Aber ich kann’s.
Und mir ist das genug.

Leben, lernen, Viele sein 2.0

“Du hast doch hier … Foto – Wasser und so Schnecken und Zeugs .. Foto…”, hatte er gesagt, “Willste die nicht auch mit ausstellen?”, hatte er gefragt.
Und Frau Rosenblatt stand da und “antwortete”: “Öh, wurschtel wurschtel blasülz schwallawurschtel…, ja ….?” und die Erde drehte sich weiter.

Es heißt, man lerne für das Leben in der Schule.
In Wahrheit lernen wir gerade eine Facette von Leben, die für uns ganz lange verloren geglaubt war und jetzt auf eine Entfernung herangerückt ist, aus der wir sie betrachten, aber auch erspüren können, wenn wir das möchten. Das sind Dinge wie Anerkennung von Menschen, die weder mit uns befreundet sind, noch einen (staatlich) verordneten Gedeihauftrag an uns haben, noch nur auf uns konzentriert sind. Das sind aber auch Dinge wie, Individualität als nicht störend sondern allgemein bereichernd in einer Gruppe zu erfahren.
Das sind Erklärungen zu Fehlern, die man gemacht hat, um der Erklärung willen. Nicht zur Vermeidung einer Wiederholung oder um einen Status zu belegen.

So funktioniert das Leben nicht. Schon gar nicht unseres. Aber diese kleine Facette davon gibt es und sie funktioniert so. Und wir dürfen sie leben.

Ich merke, dass es mir im Moment sehr gut tut, mal wieder Kontakt mit Menschen zu haben, in dem es nicht um mich geht oder darum, was in der Welt fehlt oder schwierig ist oder sich verändern sollte. Und ich merke, dass es mir gut tut, Hannah Rosenblatt, die gerne fotografiert und rumkunstet und wurschtelt und ein klitzebisschen verquer ist, zu sein und nicht die Hannah Rosenblatt, die sich im Internet öffentlich zu Gewalt, ihren Formen und Traumafolgen äußert und für politischen Opferschutz einsetzt.

Ich muss nicht straight sein, ich muss mich nicht zusammenreißen auf Emails, die mich von oben herab in meiner inzwischen 7 Jahre lange andauernden völlig autonomen öffentlichen Arbeit zu Trauma und Gewalt, zurechtweisen wollen, nicht zu antworten. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern kann tun, was ich eben tue, ohne, dass ich als Konkurrenz oder potenzielle Aufmerksamkeits-Twitterfame-oder “Multiszenenbekanntheits” – Diebin gelte.
Es tut mir gut, einmal Dinge zu tun, die nicht auf einen (vermeintlichen) Status zurückfallen.

Was ich tue ist
dramatische Taschentücher zu zeichnen und als Illustration auf einem Blatt miteinander zu verbinden

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dramatische Kompositionen in Plastikfolien zu ritzen, die später als Tiefdruckplatte verwendet werden

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Gerätschaften zu benutzen, die wir vorher noch nie benutzen konnten

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zu lernen, wie wir mit unseren Gerätschaften auch arbeiten können
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zu versuchen die kleine, fast ganz erwachsene Eule und das Eulenelter, zum Leben zu erwecken

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und  ganz bewusst zu lernen, dass, wenn wir, nach einem langen Tag des Lernens und Erfüllung spüren, einen Sonnenuntergang sehen, das einfach nur bedeutet, dass wir nach Hause gehen, wo uns außer NakNak*s Wiedersehensfreude und Abendbrotshunger, nichts erwartet, was uns genau diesen Tag aus dem Bewusstsein schwemmt.

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Neben all dem Schönen und vielleicht auch durch all den Raum für Kreation und Produktion, brechen Bodenplatten unter uns auf.
Wir verlieren (Therapie-) Zeit, fremdeln mit dem Uns, das wir schon so lange leben, erinnern, statt zu schlafen, zweifeln und k.r.ämpfen.
Wir lernen “die Anderen” kennen.

9 Jahre später

Eislicht“Ist doch komisch, dass die Schneeflocken erst weiß sind und dann wasserfarbig.”.
Sie hockt mit dem Rücken zu den Windböen am Rand des gefluteten Ackers und betrachtet die Flocken auf den Ohren des Hundes, der auf ihren Füßen sitzt.
“Es ist kalt.”.
Die Worte klirren in ihr wie Eiskristalle.
Schmelzen. Laufen ihr vom Kinn herunter.

Der Wind drückt den Schneeschauer weiter
und zerreißt die Wolkendecke.
“Ich wusste gar nicht, dass wir einen Hund wollten.”
Die Sonne betrachtet sich zögerlich in den Pfützen.

Sie steht auf und steckt ihre Armstümpfe zurück in die Jackentaschen.
“Du?”, fragt sie, “Weißt du, wo zu Hause ist?”.

manchmal…

blubbern
“manchmal denke ich,
dass ich mir ein Loch unter der Nase graben muss,
damit das ganze Kopfblubbern raus kann”

 

außer…

mehr Kunst machen, habe ich mir gewünscht
und gedacht
ich versuche einfach mehr
ich habe mir Tintenfedern gekauft und Tusche
und gemerkt, dass es gut funktioniert
obwohl ich linkshändig arbeite
ich hab ein Skizzenbuch gekauft
und gedacht, dass ich alle Techniken,
die mit dem üblichen Skizzenblock nicht gehen,
probieren werde
und dann habe ich Acryl mit Serviettentechnik
Wasserfarben und Liner,
Tusche und Bleistift,
Buntstift und Fasermaler,
Tee und Bleistift,
vermischt
und dann
muss ich versuchen nicht zu weinen,
weil mir auffällt, was alles möglich ist
außer
auszudrücken, was unter meiner Haut erinnert wird