später

“Vielleicht hätte ich einfach schreien sollen.”, denke ich, während ich in meiner Jacke verschwinde und mir wünsche, die Zeit könnte sich genau jetzt einmal um sich selbst drehen und mich erneut ausspucken.
Nochmal neu einen Therapietermin haben. Sagen, wann das Thema beendet sein kann. Sagen, wann ein Punkt irrelevant ist und beiseite bleiben kann. Sagen, wenn Zuhör-Spiegel-Fragen falsch sind.

“Ich weiß nicht genau – wie oft wurde aus diesem Körper geäußert, dass es zu viel ist?”, frage ich mich und langsam kommt mir ein tieferes Verstehen vieler Suizidversuche früher in den Sinn. Und die Dokumentation über das Sterben in Deutschland. Da war diese Frau, die sich mit einem Drahtbügel an ihrem Kleiderschrank erdrosselhängt hatte. “Ich kann nicht mehr”, hatte sie auf einem Zettel hinterlassen.

Neben mir stakst M. und lässt Tabletten durch ihre Finger rollen. Neben ihr schranzt A. einen “Song” vor sich hin und fragt alle paar Minuten, wieso er nicht endlich eine rauchen kann. Ich denke daran, dass das Blog von Vielen inzwischen aus 895 Artikeln besteht. “Das ist ein bisschen mehr als nur ein Zettel, auf dem nicht genug Platz für Gründe und Er-Klärungsversuche ist.”, denke ich bei mir.
Nach vorne mache ich Motivationsreden. “Immerhin versteht sie meine Gefühle. Wer braucht ein Verstehen von Gedanken, wenn man sich die Hucke vollhauen kann mit Verständnis für Gefühle?!”. Irgendjemand knallt mir eine und ich schwanke ein bisschen.

Mir wird schlecht. Folgerichtig gehe ich in den Kreativmarkt und kaufe einen Ösenstanzer. A. will “ne Kippe” und ich denke darüber nach, ein Päckchen Tabak zu kaufen. Wieder klatscht eine Hand auf mein Gesicht. Ich denke an mein Werkstück und komme mir lächerlich vor. Als wäre es wichtig, wie ich Dinge sehe.

“Ich könnte auch einfach heulend zusammenbrechen. Mitten in der Stadt. Tre Drama. Ich schmeiße mich einfach in eine Pfütze und bleibe für immer liegen.”. Ich wandere durch den Gedankengang und schnalze mit der Zunge. “Hm seltsame Blüten kann Verzweifeln mitunter schon treiben”.
Das Kind auf meinem Arm wird schwer und ich hieve es auf die andere Seite. „Übernächste Woche, okay? Ich habs verkackt, aber ich könnte vielleicht in 14 Tagen…“.

M. bleibt stehen und legt den Kopf in den Nacken. Betrachtet die Wolkenränder, lässt mein Heulen nach hinten abfließen.
“Vielleicht sagen wir einfach nicht mehr, dass es zu viel ist? Vielleicht reden wir einfach wieder nur so?”, C. versucht mich durch ihre Wimpern hindurch zu sehen und legt den Kopf schief.

“Ich will meine Zeit da nicht mit Reden verbringen. Ich will was sagen.”, antworte ich und merke wie sich meine Tränendrüsen schon wieder zusammenziehen.
”Aber wenn sie nicht versteht, was du sagen willst, dann hat es … äääääh exaktamente NULL Sinn und dann könntest du es auch einfach nicht sagen.”, er schreitet seine Worte ab und begutachtet sie, “Was bedeutet: Ein Gespräch mit einer beliebigen anderen Person hätte das gleiche Ergebnis.”.

Es fängt an zu regnen.
Zwei Wochen sind ein langer Raum.

Fundstücke #7

Mir fallen nach und nach diese Momente ein.
Das eine Mal, in dem mir mein Vater etwas unterstellte, das ich nicht getan hatte und er sagte: “Du wirst ja ganz rot im Gesicht – guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede – du lügst doch!” und meine abgrundtiefe Wut über seine Dummheit, sein anmaßendes Deuten, den Umstand, dass er mich einfach umklatschen kann, obwohl er unrecht hat.
Dass man schon mal rot im Gesicht werden kann, wenn man wütend ist, bringt einem jeder Bugs Bunny – Cartoon bei. Ich verstand nicht, wieso es scheinbar nur diese Option für ihn gab. Wieso war denn das einzig mögliche in seinem Denken über mich, dass ich eine miese lügende Person bin?
Und meine Verkrampfung in dem Moment. Diese eine seelische Gesamtstarre, die verhindert, dass man auseinanderfällt.

Im Moment wache ich ständig aus solchen Fetzen auf.
Ob es Erinnerungsprozesse sind, die davon angetickt werden, weil ich oft darüber nachdenke, welche Schwierigkeiten ich früher schon hatte und wie damit umgegangen wurde, weiß ich nicht genau.
Aber, es sind mehrere Ebenen und die Parallelen sind enorm.

Mir ist etwas eingefallen, das schon Lundy Bancroft in “Why does he do that?” formuliert hatte.
Wenn Menschen Gewalt ausüben, dann geht es um ihr Denken. Ihre Bewertungen und Perspektiven auf bestimmte Dynamiken, Personen (Dynamiken-Dynamiken in Fleisch gegossen) und weniger darum, welche Handlungsoptionen sie außer der Körperverletzung, Demütigung etc. haben.  Sie können (wollen, müssen) diese nicht sehen, wenn ihr Blick ihnen vermittelt im Recht zu sein oder/und in irgendeinem Aspekt von einer anderen Person bedroht zu werden.
Es geht darum, dass sie etwas als Bedrohung (Störung) bewerten und nicht sehen können (wollen, müssen), dass es nicht so ist bzw. von der anderen Person nicht als solche intendiert ist.
Unterstützt und antrainiert wird so eine Perspektive vor allem bei weißen, cismännlichen Personen. Wer alles hat, muss auch alles verteidigen. Die Spannung (der Zwang, die Wahrscheinlichkeit) zu einer Perspektive, die gewaltvolles Agieren rechtfertigt oder logisch erscheinen lässt, ist bei privilegierten Personen höher.

Daneben gibt es das Lernen. Wenn man immer wieder von jemandem umgeklatscht wird und nicht versteht, warum eigentlich (weil man die Perspektive nicht teilt; weil man nicht gleichsam privilegiert ist; weil man keinen Fehler an sich empfindet;  weil man weiß, dass man in anderen Kontexten anders behandelt werden würde etc. etc. etc.), dann übernimmt man mehr oder weniger diffus bis klar, die Gründe (das, was von der Perspektive der gewaltvoll agierenden Person nach außen tritt) und ermöglicht sich damit einen Hebel über den auch neurologische (Schein-)Verarbeitung passieren kann.

Es ist nicht zwingend, Täter_innenansichten auf sich zu übernehmen. Aber es gibt den Überlebenstrieb und der umfasst eben auch, sein Innenleben zusammenzuhalten und sich deshalb Dinge auch nur scheinbar logisch begreiflich zu machen.  Am Ende kommen dann so Selbstansichten wie, dass man einfach grottendämlich ist, nie was richtig macht, hässlich ist, man plump ist, zu nichts zu gebrauchen ist, immer lügt, nie macht, was alle anderen machen… dass man falsch ist. Dass man ein Fehler ist und deshalb immer wieder korrigiert werden muss. Und mit diesen Selbstansichten kommt auch das Potenzial, in jeder anderen Person, die einem früheren Ich gleicht, so umzugehen, wie mit einem selbst umgegangen wurde. Und das muss nicht einmal bedeuten zuzuschlagen.

Mir ist eine kleine digitale Armbanduhr eingefallen.
Rosa/Lila mit schwarzem Karomuster. Plastikfantastik. Ich spielte damit herum, mein Vater nahm sie mir weg, weil wir essen sollten. Er warf sie in eine Salatschüssel. Sie war kaputt. Sie war für mich im Wortnäpfchen “kaputt”/”falsch”, weil er unruhig wurde und mich anmeckerte. Ich begann zu weinen, weil ich nicht verstand – aber doch genau wusste, dass er dieses Nichtverstehen nicht verstehen würde – erst recht nicht, wenn er schon unruhig und laut ist.
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich die Uhr danach überhaupt nochmal in der Hand hatte. Sie verschwand einfach. In meiner Fantasie blieb sie da. Bis ich mir selbst irgendwann in die Hand biss und damit eine Art inneres Dekret erließ, dass eine Zeigeruhr der Ersatz sein muss, weil meine Umgebung es als Ersatz sieht.
Ich musste ihre Sicht auf dieses Objekt annehmen und zwang mich selbst mit Gewalt dazu, weil ich etwas anderes vielleicht noch nicht gelernt hatte.

Ich bin bis heute eher Fan von Mechanik als Elektronik. Eine mechanische Uhr hätte man reparieren können. Ich hätte den Fehler – den Schaden erfassen und begreifen können. Mein Vater hätte nicht unruhig werden und sich freimeckern müssen.

Wenn ich so über meine Eltern rede – mit einem “müssen” im Satz – gibt es Impulse in Menschenstimmen, weil man meine Berücksichtigung ihrer Perspektive als etwas nimmt, das mit Rechtfertigung oder Entschuldigung einher geht. Ich will aber weder rechtfertigen noch entschuldigen, ich will mich befassen und die vollständige Logik bzw. das, was für mich eine vollständige Logik ist, äußern.
Das ist etwas, das meine Eltern nicht tun. Das ist, was auch manche meiner Verbündeten, Helfer_innen und Gemögten nicht tun. Weil sie es nicht müssen. Und manche auch: nicht können.

Es wird nie ein Ende geben, wenn ich Dynamiken ausblende. Es wird dieses Ende vor allem in mir drin nicht geben.
Meine Täter_innenintrojekte sind nicht alle ehemals kleine Kinder, die vor Angst schlotternd eine Boshaftigkeit nach der anderen rausspucken. Meine Täter_innenintrojekte brüllen mich auch an, ich soll sie gefälligst angucken, wenn ich mit ihnen rede. Sie brüllen, ich soll tun, was man mir gesagt hat. Sie schubsen mich, wenn ich träume, disse, in Details krabble und staune. Die zerren an mir herum und sagen, wie der Rest der Welt, dass ich unpassend handle, denke, fühle… bin. Und bis heute nehme ich sie wahr und verstehe nicht, was sie von mir wollen. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie wollen, was sie wollen und wozu das nützen soll. Denn eigentlich geht es nur um sie. Um ihr Denken und auf mich drauf schauen, obwohl sie mir egal wären, wären nicht sie diejenigen, die mich umklatschen können, wollen, müssen.

Wir teilen uns einen Raum, aber bedeutet das zwangläufig, dass wir uns einander teilen müssen?

In all den Auseinandersetzungen von Menschen, die von der eigenen Familie misshandelt wurden, gibt es diese Annahme einer Verbundenheit, die über den physischen und sozialen Raum hinausgeht und auf diese Annahme werden Konstruktionen gebaut, die diesen Raum logisch machen sollen, es aber nicht tun. Zumindest nicht für mich, weshalb ich heute oft in Ausstiegsgedanken und Zweifeln anderer Menschen sitze und mich frage, wieso die Emotionen, die mit der Herkunftsfamilie einhergehen so viel mehr Raum einnehmen, als bei uns damals die Überlegungen, wo man schläft, isst, trinkt, wie die Alltagsgestaltung und der eigene Lauf der Dinge geschehen soll. Wir fanden es schade aus diesem Raum zu gehen, weil er ja viel auch Klarheit und bestimmte Ebenen von Logik hatte. Aber wir sind nicht gegangen um jemandem eins auszuwischen oder auf eine Art zu bestrafen oder ähnliches. Dass man unser Verhalten so lesen könnte, merkten wir erst als wir mit Menschen darüber redeten, dass wir gegangen waren.
Vor uns selbst gingen wir, weil es das Wissen gab, dort auf lange Sicht zu sterben. Wir mussten gehen. Punkt.

Noch leichter war es, als klar war, dass wir in illegale Dynamiken eingebunden waren und im Grunde unhinterfragt Dinge taten, die eigentlich fremde Personen von uns verlangten.
Für uns standen in dem Moment keine moralischen Fragen im Raum oder ähnliches. Auf eine Art hatte es mehr Gefühle von vorweg genommener Scham und dem Wissen, dass Menschen nicht verstehen, welcher Hebel in einem da benutzt wurde. Selbst Personen, die von sich behaupten, sich auszukennen, verstehen das nicht. Sie nehmen einfach an, dass es der Hebel wäre, von dem sie bei anderen gehört/gelesen haben.

Und ich sitze da, beiße mir in die Hand und erlasse das Dekret mich an die 50 min Therapiezeit zu halten, anstatt zu versuchen es zu erklären und mich der Scham auszusetzen. Ich möchte nicht für so naiv und dumm gehalten werden, wie es unser Verhalten damals vermuten lassen könnte.

Ich weiß nicht, ob die Menschen, die sich schon lange mit traumatisierten Menschen und ihren Verarbeitungswegen auseinandersetzen, merken, welche Norm sie definieren, auch dann, wenn sie genau versuchen das nicht zu tun.
Als eine grundlegende Voraussetzung für Traumatisierungen gilt noch immer auch die Überforderung einer Person ihre Liebe für eine Person mit ihrem Hass, ihrer Ablehnung, ihrer Wut, ihrer Zärtlichkeit etc. etc. etc. zusammenzubringen.
Bis jetzt habe ich noch keine Publikation lesen können, in der die Problematik formuliert wird, sein Bewusstsein (seine Kognition?) für verschiedene Dynamiken, die mit (scheinbar) willkürlichen Emotionen und sozialen Rollen belegt werden, zusammenzuhalten.
So lese ich immer wieder von Kindern, die sich Liebe (im Sinne von Bedürfnisbefriedigung) wünschen und den Schmerz der Zurückweisung (im Sinne von “Bedürfnisse werden fehlinterpretiert/unbefriedigt/verdreht/missbraucht etc.)  als massiv zer-ver-störend erlebten und nicht verarbeiten konnten, nicht zuletzt, weil ihnen der Ausdruck verwehrt wurde – und nicht von Kindern, die sich fragen, ob es Liebe ist, wenn sie umarmt werden – es ihnen aber doch irgendwie weh tut und das doch eigentlich aber genau nicht Liebe sein soll – und die genau wegen ihres Ausdrucks dieses Konflikts misshandelt werden.

Ich nenne das heute “diese typische Alltagsgewalt”, die so ganz neben anderen Kontexten steht und eigentlich jeden Tag statt gefunden hat.
In der Öffentlichkeit. Im Grunde durch jede Person, die eine Dimension meines Raumes berührt hat.
Wenn ich heute sage, dass mein Leben schwierig ist (war), weil es einen Zustand permanenter Überforderungen bedeutet (hat), wird es schnell übersetzt mit: “es gab keine Misshandlungspausen” = “chronische Traumatisierungen” = “komplexe/schwere/tiefgreifende Schäden”.
Es wird normiert innerhalb von etwas, das es gibt, um einen bestimmten Bereich außerhalb der Norm zu definieren.

Gewaltvoller Alltag ist aber kein Norm-abweichungs-bereich.
Alltagsgewalt ist Alltag, ist alle Tage mit Gewalt voll.

Elternmord

Wir sitzen in der Küche und neben unserem Gespräch, hopst die Nacht unterm Fenster entlang.
Der Mensch sagt: “Man könnte es auseinanderklamüsern und einen Anfang finden.”. Seine Hände bewegen sich von einander weg. Eröffnen ein symbolisches Feld in das unsere Entwicklung und unsere familiäre Interaktion hineinpassen soll.

Das Inmitten pulsiert und vielleicht weine ich am Rand des Außen, weil es so herzzerreißend ist.
So ein Wunsch, ein Interesse – so ein Moment, in dem man doch nur eine Frage hat und die doch nur beantwortet haben möchte – so ein Moment, in dem man doch nur verstehen möchte, so ein Moment ist zu zart für das, worum es geht.

“Es geht ja nicht um Schuld. Hier wird niemand gerichtet.”, so etwas sagen Psycholog_innen in jedem Elterngespräch ums krankbeklopptkaputtgespielte Kind und in meiner Familie hat das nie funktioniert. Wie soll das generell auch funktionieren, wenn Eltern – egal, ob sie ihr Kind absichtlich oder aus eigener Unerfahrenheit, Not, Ohnmacht, Impulsivität, eigenen unverarbeiteten Traumatisierungen heraus misshandeln oder nicht – sich gar nicht im Wunsch nach Verstehen auf genau der Ebene der Objektivität bewegen können.
Der Anspruch nicht in Schuld-Unschuld- Dualismen zu agieren,  blendet innere Dynamiken und den sozialen Kontext in dem Menschen leben, aus.

Gespräche ums Selbst und Sein, passieren nicht in luftleeren Räumen.
Kein Gespräch ist ohne Bezug.

Es wäre spannend, wären Menschen Objekte, deren Entwicklung man anhand von Etappen und Ereignissen systematisieren kann.
Es wäre so praktisch, dass man es er/begreifen kann, könnte man menschliche Entwicklung innerhalb von Mikrokosmen beschreiben und analysieren, wie Schimmelwachstum in einer Petrischale.
Menschen sind aber nicht so. Schon gar nicht sind Familien so. Und Misshandlungsfamilien haben, zumindest ist das meine Idee, jeweils so spezifische Dynamiken zwischen und an jeder einzelnen Interaktion, das von einer systemischen Multiplizität gesprochen werden könnte. Dass man am Ende sagen könnte: Misshandlungsfamilien sind in einer rhizomatischen Dynamiken-Dynamik verhaftet, die zu beobachten nur dann überhaupt praktisch möglich ist, wenn man selbst in ihr lebt. Doch diese Beobachtungen daraus heraus zu formulieren wäre aufgrund ebenjener Beteiligung nicht mehr möglich, weil es Teil der Dynamik ist, genau dies nicht zu tun bzw. dazu nicht befähigt zu werden.

Das ist, was Schweigegebote und die Misshandlungsfamilie als abgeschlossenen Raum im Raum im Raum schwer bewortbar macht.
Das Ende der Äußerung kann sein einen Aspekt einer Dynamik zu transportieren: “Was zu Hause passiert, bleibt zu Hause.” – also ein Schweigegebot sichtbar zu machen. Dem Beobachter von außen bleibt aber der Weg zu dieser Dynamik verborgen und die Dynamiken, die genau dieses Ende benötigen, um das Gesamtsystem (den Raum mit seinen Dimensionen) aufrecht zu erhalten.
Die Reflektion tötet am Ende die Misshandlungsfamilie bzw. bringt sie in existenzielle Gefahren.  Am Ende gibt es Abstoßung.

Und irgendwann gibt es eine Person, die mit fast 29 Jahren in ihrer Küche sitzt und überlegt, ob das Gegenüber verstehen könnte, wenn sie sagt:
“Du kannst nicht mit meiner Familie sprechen, weil ich sie ermordet habe. Ermorden musste, damit ich über sie nachdenken konnte. Damit ich meiner Therapeutin überhaupt die Fetzen meiner Erinnerungen mitzuteilen wagen kann.”.
Es ist Teil des So-tun-als-ob-Spiels, das Teil einer inneren Dynamiken-Dynamik ist, die unsichtbar blieb, weil Abstoßung ein heimlicher Akt ist.

Aussteiger_innen sollen heroische Selbstretter_innen sein, die die Gewalt an sich erkannt haben und etwas Besseres für sich  wollen.
Sie sollen selbstbestimmt sein und eine Linie ziehen – eine Entscheidung treffen und diese verteidigen.
Aussteiger_innen morden nicht. Sie gehen einfach weg und korrigieren den Blick zurück von sich aus nach vorne.

Wäre Abstoßung nicht heimlich, gäbe es noch andere Stereotypen.

Ich habe meine Eltern getötet und halte bis heute ihre Leichen in meinen Armen.
Analysiere, seziere, bedenke etwas, das diese Welt schon längst verlassen hat und mich nicht mehr braucht, um sich am Leben zu erhalten.
Das ist nicht, was in den schlauen Büchern zu Ausstieg aus gewaltvollen Kontexten steht, aber es ist auch ein Aussteigen, dass es mir ermöglicht hat nicht zu verharren und meine Therapiemöglichkeiten zu nutzen.

Es ist die Maxime: “Es ist vorbei”, es ist die Erleichterung über die Wertung des eigenen Wortes, der eigenen Er-Lebensrealität – das So-tun-als-ob-Spiels der Psychologie, das einen Raum ohne Kontext ermöglichen will, um Probleme und ihre Lösungen zu erdenken.
In Bezug auf Gewalt funktioniert das nicht, weil Gewalt immer und immer und immer selbstbestätigend ist und eben auch in einem leeren Raum existiert, allein schon in dem Umstand, dass es den Raum gibt bzw. geben muss und kann.

Wenn man Gewalt in einen Raum steckt, steckt man Schuld, Scham, Schmerz automatisch mit dazu und muss zwangsläufig reduzieren, um etwas zu sehen, dem man sich soweit widmen kann, dass man es verstehen bis begreifen kann. Doch es wird – es muss – dann unvollständig sein und am Ende unbefriedigend, sinnlos, verrauchte Energie. Das Gefühl, den eigenen zarten Wunsch nach Verstehen unter etwas schwerem, großen – überforderndem Irgendwas erschlagen zu fühlen.

Als wir eine Jugendliche waren, sahen wir dieses überfordernde Ding, über viele Psycholog_innen in Elterngesprächen rollen und bekamen immer wieder zu spüren, dass “Abgrenzung” an der Stelle bedeutet, dieses Ding auf uns abzulegen, weil es ja sowieso schon mit uns zu tun hatte.
Und als Teil der Dynamiken-Dynamik sind wir darunter nicht dekompensiert, eben, weil wir ein Teil davon waren.

Heute wirft man mir gerne vor Sackgassen-Situationen zu kreieren.
Man mag es nicht, wenn ich Dynamiken innerhalb von Dynamiken aufzeige und zeige, dass Gewalt = Gewalt ist und nichts weiter.

Man möchte gerne glauben, da gäbe es Wege und Mittel, wenn nur der Raum frei genug ist.
Man möchte gerne glauben, dass dieses Moment des Verstehenwollens als harmlos gesehen werden kann.

Und ich lasse sie ihre Vermeidungstänze machen.
Weil ich weiß, wie wichtig sie sind, um sich am Leben und Glauben zu erhalten.

Autismus und DIS #4

Es gibt diese Tage von denen man nicht weiß, dass es Tage sind. Dieses Sein voll Reiz und Reaktion, ohne irgendeine Dimension, die ihre Hand austreckt und vor dem Ertrinken bewahrt.
Wenn man den Absprung aus dem intrusivem Erleben in die Orientierung hinein nicht geschafft hat, sondern von Impuls zu Impuls springt und froh ist, wenn man einen Fetzen seines Intellekts sieht und sich ver_stehend erlebt.

Wir müssen sortieren. Vor der Flut des Innen und Außen stehen wir. Sind seltsam unberührt, doch Schreie fühlend, die aus dem Inmitten quellen, dringen und drängen wollen.
Man kann nichts damit anfangen, weiß keine Reaktion und am Ende ist der Impuls egal, obwohl er macht, das man kopflos getrieben wird.

Während die einen noch vor dem Wort “Autismus” stehen, als sei es ein Kleid, in das hineinzuschlüpfen, man sich errechnen muss, obwohl die Zahlen im Kopf weh tun, ruft es im Innen nach einer höheren Instanz, die anleitet und beruhigt. Sicherheit, Entlastung schafft.
Andere lauern auf ihren Moment an ihren Projekten zu arbeiten – um ihr Ende finden und genießen zu können, um sich von der helldunkelbunten Masse  des Inneren lösen zu können, die stiert und starrt und dumpf pulsend versucht das eigene Sein möglichst wenig fühlen.

Es ist der Gedanke, die Verheißung, die Idee, ein Sein – ein Sosein zu haben, das nicht impliziert ein So-tun-als-ob-Spiel zu spielen, damit man überleben kann.
Die Idee, dass kein Innen mehr so tun müsste, als wäre es wie die, mit denen sie es zu tun haben. Die Verheißung, aufhören zu können diese eine Kluft zu überbrücken zu versuchen und trotzdem noch zu sein.
Das ist ein Maß an Orientierung, im Hier und Heute, das wir nicht kennen.
Das wir nicht sortieren können, weil es zu viel bedeutet.
Es bedeutet nicht nur anzuerkennen: mein Innenalter, entspricht nicht dem Körperalter; mein Selbst ist von einem fragmentierten Ich (vielen ichs) umgeben und definiert oder “ES und DAS DA ist vorbei” – es bedeutet auch: Die Kluft ist wirklich und das Spiel “So tun, als ob sie überwindbar sei”/ “So tun, als ob sie nicht da wäre”, könnte jetzt aufhören. Ist vielleicht schon vorbei und wartet darauf, dass auch wir aufhören.

Es bedeutet Gespräche für andere genauso anstrengend wie für uns zu machen.
Indem wir aufhören so zu tun, als würden wir wissen, was das gegenüber meint. Indem wir schweigen, wenn eine Antwort von uns bedeuten würde, sie wäre unbefriedigend eingedampft für uns – aber bereichernd und inspirierend für andere. Indem wir äußern, wann wir verwirrt sind, uns gestört, bedroht, unberührt fühlen.

Es bedeutet Alltagsgewalt an uns zu unterlassen und uns in der Folge nicht mehr zu Konventionen zu zwingen, die uns unsinnig und schmerzend erscheinen.
Es bedeutet zuzulassen, dass das Konzept von innerer und äußerer Sicherheit, die Gewalt an uns bedeutet, die wir wahrnehmen doch bis heute nicht nach außen getragen haben, weil die Norm es nicht gern hat, normativ genannt zu werden.
Es bedeutet Selbstfürsorge als so schwer und überfordernd sichtbar zu machen, wie wir sie erleben.

Es bedeutet ein Zugeständnis an die Alleinigkeit, den Autismus als Lebensform, vor dem man sich verschlossen hat, weil unsere Gesellschaft die Alleinigkeit mit Einsamkeit, mit Asozialität und darüber mit Anormalität verbunden hat und so tut, als wären Kluften, wie die über deren Überwindung wir uns schon unser ganzes Leben lang aufrauchen,  schlicht inexistent, weil nur wir sie spüren.

Es bedeutet ein Zugeständnis an den Unterschied zwischen der Einsamkeit der Opfer und derer, die Opfer waren und der Einsamkeit, die sich aus Inkompatibilität und Lügen_leben ergibt.
Es bedeutet die Anerkennung einer Isolation, die beides ist: Entlastung und Auslieferung

Es bedeutet: Dinge werden sich verändern.

friendly reminder

es gibt eine neue Episode „Viele-Sein“

Diesmal verlassen wir das übliche Format des Audiopodcast und teilen ein paar Kleinode positiver Ressourcen.

Viel Spaß!

danach

“Hm, wollte ich am Ende eigentlich nicht eher fragen, ob sie uns jetzt anders sieht?”, frage ich mich und betrachte das rote Ampelfigürchen auf der anderen Straßenseite.  “Vor allens hast du vergessn zu fragen, ob sie uns jetz trotzden noch gern hat”, denkt es durch meinen Hinterkopf hindurch.

Die Ampel schaltet, ich zupfe ihm am Denken. Er stößt das Rad an und rollt über die Straße.
Während er und sein Begleiter sich bemühen, nicht im warmen Gegenwind zu versinken, drehe ich mich um.
“Das habe ich nicht vergessen. Die Frage ist irrelevant.”. Das Mädchen schüttelt den Kopf. “Stimmt nich.”, schiebt es hervor, “Es ists megaobersuperwichtig!”.

“Äh ja.”, ein Innen mit gekräuselter Stirn stützt sich auf den Kopf des Kinderinnens und wackelt mit seinen Fingern vor dessen Augen herum.  “Voll wichtig. Ph. Voll peinlich!”. Es fuchtelt mit den Armen durch meine Konzentration und ich merke, wie sich meine Ränder auflösen.

Ich verlasse die beiden und setze mich in den Fahrradkorb.
Der Wind streichelt mich und einen Moment lang bin ich gar nicht da.

Wir warten erneut vor einer Ampel und ich denke an Abendbrotgespräche.
Meine Mutter fragte, wie es im Kindergarten war. Mein Geschwist konnte nichts erzählen. Später verstand sie, dass es erzählen konnte, was es zu essen gab, wenn sie es aufzählte.
“Kartoffeln, Reis, Nudeln oder Suppe? Gemüse oder Fleisch? Pudding, Jogurt oder Obst?”.
Ich weiß nicht mehr, was ich auf die Frage antwortete. Ob sie mir gestellt wurde.

Ich denke darüber nach, ob das Erinnern daran, etwas verändern würde. Denke, dass es vielleicht diese Dinge sind, die Menschen, wenn sie in einer Familie erwachsen werden, einfach wissen, weil sie manche Geschichten und Begebenheiten immer wieder mal hören.

Was ich am Klarsten von dem, was ich in meinen Eltern bewegt habe, erinnere ist:
1) die Frage, ob mir klar ist, was ich ihnen mit meiner “Krankheit” antue
2) “Wir wussten ja nicht, ob wir dich am nächsten Morgen tot im Bett finden würden”

Er streckt die Hand aus, um sie durch einen Busch, dessen belaubte Äste auf den Weg ragen, gleiten zu lassen.

Ich glaube, meine Eltern sind sehr hilflose Menschen gewesen. Vielleicht sind sie es heute weniger, weil die Probleme, bei denen sie Hilfe – gute umfängliche Hilfe – gebraucht hätten, von ihnen wegkompensiert sind.

Die Kleine baumelt kopfüber in meine Gedanken hinein.
”Kannst ruhig weinen, wenn du willst. Is oke.”. Sie schaut einem Reiher hinterher, der über uns hinweg durch die Luft gleitet.

Ich überlege und merke, dass ich nicht weinen will.
Ich will eine Familie. Eine äußere Mehrsamkeit  zum erwachsen werden. Zum Aushalten des Umstandes erwachsen zu sein und doch noch immer weiter zu wachsen.

“Du willsts, dass dich jemand auch gern hat und bei dir is, ne?”, sie piekst mit ihrem Finger auf meinen Kopf und setzt sich dann neben mich.
Wir halten unsere Gesichter in den Fahrtwind und hören seinem wohligen Brummen zu.

“Bisschen is das schon wie Familie, wenn man weiß, da sinds welche Leute draußen, die haben einen gern.”. Sie hebt eine Augenbraue und öffnet sich vor mir, bis ich ihr Herz sehen kann.

“Wenn du willst, frage ich sie nächste Woche, ob sie uns trotzdem noch gern hat.”.
Sie lächelt und hält mir ihre Hand hin.

Autismus und DIS #3

“Autistin, klingt nach Artistin.”, denke ich und schwanke aus der Straßenbahn direkt gegen eine Wand aus feuchtwarmer Luft.
Es ist kurz vor 20 Uhr und meine Bewegungen haben nichts mehr mit mir zu tun.

Während ich das Rad losschließe, denke ich darüber nach, wie es jetzt weiter geht und wer noch bleibt.
Ich denke an Mensch XY und wie er den Kopf schüttelte, als ich ihm sagte, dass ich mich auf die Diagnostik einlasse. “Nee – Autismus. Du nicht… oder?”, war seine erste Reaktion und obwohl ich weiß, dass die Zweite und Dritte nicht die Gleiche sein muss, ist mir klar, dass ich mich wieder in einer Situation befinde, in der ich Kraft aufbringen muss, wenn ich mit Menschen darüber reden werde. Ich muss mich auf Verletzungen und Anforderungen einstellen.

Als die DIS-Diagnose gestellt wurde, war das ähnlich.
Wir haben niemanden mehr aus der Zeit vor der DIS-Diagnose in unserem Leben und jeder Mensch, den wir danach neben uns fanden, hatte den Kontakt zu uns gewollt und dafür auch ausgehalten/ertragen/geduldet/akzeptiert, dass wir viele sind und damit manches einhergeht, das nicht einfach ist.

“Ich wünsche mir, dass die Menschen, die jetzt sind, bleiben.”, denke ich und merke, wie ein Jemand ein Kinderinnen verprügelt.
Menschen wünschen ist noch immer schwierig. In jeder Hinsicht.

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die in meinem Gesicht und unter der Haut zuckenden Muskeln. Atme durch.
Mit dem Fahrtwind im Gesicht und auf den freien Armen ist es schön. Federstreichelluft.
Ich habe ein Wimmern im Kopf und am Rand meines Bewusstseins pocht ein Schmerz. Vielleicht mache ich es nur schlimmer mit dem Gedanken, dass ich jetzt gern jemanden hätte, der statt mir einkauft. Oder auf mich warten kann, ohne selbst in Not zu kommen.

Sie stampft durch den Laden und geht die Route ab. Milch, Jagdwurst, passierte Tomaten, Wassereis. An der Kasse frage ich sie, ob wir uns das überhaupt leisten können. “Nein.”, antwortet sie mit einem Stolz in der Stimme, der deplatzierter nicht sein könnte.
Ich frage nicht nach. Nehme mir aber vor, in dieser Woche mein Honorar und die Fahrtkosten, die mir noch immer nicht gezahlt wurden, einzufordern.
Ihr Stolz stärkt mich. Ihr Stolz sagt: “Ich bin es wert, nicht betteln zu müssen.”.

Im Blindflug fahren wir nach Hause.
Als die Welt zu schwanken beginnt, steigt er vom Rad.
Zu Hause wartet NakNak*. Wir füttern sie, gehen mit ihr in den Garten.
Ich will meine Arbeit weiterführen. Ein Krampfanfall tritt mir in die Kniekehlen.
”Vielleicht habe ich Krampfanfälle, weil mein Körper versucht auf alles zu reagieren, was mein Denken und Fühlen anstößt.”, denke ich noch im Fallen.

Ich sehe diesen Körper ziellos durch die Luft um sich herum zucken.
“Hilflos, ohnmächtig, überfordert von den Prozessen, die alle gleichzeitig in mir und um mich herum passieren. “.
Der Satz will an mir vorbei fliegen. Vergessen werden.
Aber ich will ihn nicht vergessen.

Damals als die DIS-Diagnose gestellt wurde, hatte ich ihn einfach ziehen lassen.
Ich habe nicht geäußert, wie es für mich war damit konfrontiert zu sein und mich von den Implikationen überfordert zu fühlen.
Diesmal will ich es anders machen.

NakNak* legt ihren Kopf auf meine Brust und schließt die Augen.
Ich spüre ihrem Fell unter meiner Hand nach und merke, dass ich nicht verlassen bin.
Das Wimmern im Innen verstummt.

Aufräumen

Manchmal ist Aufräumen eine Option.
Leben, das bedeutet ein wogendes Meer und irgendwo sammelt sich immer etwas, das man Treibgut nennt, doch heimlich als wichtige Schätze behandelt.

Ein, zwei Notenblätter hier, ein zwei Kompositionen da.
Ein Übungsheft fürs Piano, eins für die Gitarre.
Ich habe nie ein Instrument gespielt.
Aber.

Ein noch nicht entwickelter Farbfilm auf einer Spule. 4 Fototaschen mit Daten zwischen 1995 und 2002.
Eingefangene Bildergeschichten aus einem fernen, fremden Leben.
Man muss sie behalten, weil ihr Verlust das Herz zerreißen würde.
Auch, wenn man sie nie öffnet.
Weil.

Die Hände werden rau und staubklebrig.
Kopien, Flyer, Berichte, liebe Grüße an E.
Alle falsch adressiert.
Außer der kleine Schlüsselanhängerbär.
Der ist von Oma.

“Packst du unsere Sachen?”, fragt sie und zupft an meinem linken Sehnerv.
Sie legt den Kopf schief. “Willst du weglaufen?”.

“Nein.”, antworte ich, “Ich erleichtere uns nur ein bisschen”.

Wir stehen zur Trauerfeier vor den Mülltonnen und stellen uns vor, wie der feine Nieselregen das Weinen ist, zu dem ich im Moment nicht komme.

Aufräumen ist eine Option, wenn ein Neuanfang nicht geht.

spontan

“Das ist doch die einzige wirklich gute Konvention in Psychogesprächen: dass manche Konventionen nicht sein müssen.”, sagt es ins Telefon und verabredet sich. Spontan.
Weil darum und weil. Und so.

Ich weiß nicht genau, wann wir zuletzt die Möglichkeit hatten, mehr oder weniger risikolos über unser Denken und Wahrnehmen zu sprechen. Eigentlich könnte man ja annehmen, dass wir das ständig in der Therapie tun, doch das ist nicht der Fall.
In unserer Therapie geht es auch darum zu schauen, wie der Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen aussehen kann. Könnte. Sollte.
Es geht um Selbstwahrnehmung. Nicht um die Qualität und die Wege dahin oder darum, wie man seine Kommunikation er- und bearbeitet.

Sie wartet an der verabredeten Stelle. Läuft ein Stück vor. Betrachtet das T-Shirt der Person im an ihr vorbei fahrendem Auto.
“Dunkel. Ein dunkles Shirt. Das ist er.”. Ich weiß nicht, ob sie mich hört oder bemerkt.
Es kommt keine Reaktion auf meinen Hinweis, dass dunkle Shirts kein Alleinstellungsmerkmal sind.

Das Auto kommt zurück. Der Mensch darinnen ist tatschlich die Person, mit der es sich verabredet hat, damit sie sprechen kann. Und die anderen auch. Wenn sie wollen.
Wenn es überhaupt geht.

Es ist seltsam, wie viele Schrauben an dem Treffen sind.
Wir begegnen uns auf einem der Friedhöfe, auf dem sie sich wohl fühlen und setzen uns auf die Wiese, die am wenigsten stresst.
Der Mensch fragt, was wir von ihm brauchen, damit es okay ist.
Mir fällt ein, dass wir uns die Frage in Bezug auf unser Sitzen im Therapieraum bis heute nicht zu Ende beantwortet haben.

Während sie und es einander die Brocken zuwerfen, um sie nach außen zu bringen, fangen wir die Worte des Menschen ein und breiten sie vor uns aus. Schnörkellos und linear.
Hm.
Komisch.

Vom Rand dringen Warnungen und ein dumpfes Weinen.
Donner rumpelt durch die Wolken und das Gewitter tanzt bereits durch die Haarspitzen.
Es beginnt zu regnen und wir setzen uns in einen überdachten Durchgang der Trauerhalle.

Der Regen rauscht und potenziert den Verkehrslärm zu einem reißenden Nervenfeuer unter der Haut. Der Hall des Tunnels zerrt an den Worten und mein Wunsch für sie den Faden nicht zu verlieren hält dagegen.
Ich halte einfach alles irgendwie zusammen, weil kein Gewitter endlos ist.

Man könnte meinen, wer so viel Ansprache und Widmung wie wir bereits erfahren hat, der hätte schon alles durch.
Ich denke oft, dass wir schon alles gesagt haben. Dass wir eigentlich leer sind.
Dass wir eigentlich nichts mehr zu geben haben.

Und dann sehe ich, wie groß die Kluft zwischen Geben und Annahme mitunter ist.
Und falle hinein.
Erinnere, dass ich sie mit aller Macht vergessen wollte, weil sie mir unüberbrückbar erscheint. Erinnere eine Episode nach der anderen, in der wir uns verausgabten um uns verstanden und angenommen zu fühlen. Erinnere wie viele in dieser scheinbar unsichtbaren Tiefe ertranken und verstarben.

Vielleicht war es eine gute Idee, die eigene Intelligenz endlich ernst zu nehmen und sich zu trauen, sie durch die eigenen Augen anzusehen. Sie orientiert am eigenen Er-Leben zu erkunden.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem das Ergebnis mitgeteilt wurde und daran, was für eine seltsame Aufregung im Raum lag. Es war eine dieser erwartungsvollen Aufregungen, in der wir uns als im Auge eines Tornados sitzend erlebten und nicht wussten, welche Re_Aktion jetzt zu wählen sei.
Egal, was wir getan oder nicht getan hätten – unsere Rolle in dem Moment war ganz klar, es zu verderben. Aktiv – etwa, indem wir sagen, was wir sagten:”Okay.” oder passiv, indem wir waren, was wir damals schon waren: allein und ohne jede Möglichkeit nach außen dem zu entsprechen, womit andere Menschen ihre Zahlen, Worte und Werte aufladen.
Ich weiß noch, dass ich mich bei der Psychologin damals für ihren Aufwand, die Auswertung überhaupt machen zu können, entschuldigte und gleichzeitig dachte: “Ey – ja aber wieso glaubt sie mir denn auch nicht einfach und gut is?!”

Während der Mensch spricht und fragt, merke ich, wie dankbar sie ihm dafür sind.
Einfach fürs Fragen. Fürs wissen wollen.
Obwohl viele Obwohls ihre Ecken in die Schläfeninnenseiten bohren.

Es ist diese Verheißung des Loslassens, die da wieder auftaucht und von der wir dachten, im Laufe unseres Erwachsenwerdens, würde sie weniger verlockend auf uns wirken.
Wenn wir erwachsen seien, dachten wir, dann könnten wir besser mit dieser Kluft umgehen, mit Menschen umgehen, uns verstehbar machen, uns irgendwie soweit integrieren, dass es uns nicht mehr stört…
Das Erwachsensein würde alles ausgleichen, was wir als fehlend wahrnahmen.
Erwachsenwerden und Erwachsensein verlor damit seinen Status als Teil des Lauf der Dinge und wurde zum Werkzeug.

Der Mensch fragte, was es bedeuten würde, eine Aspergerdiagnose zu haben.
Und während sie und es sich auf Ebenen des Außen und des Mehr beschränken, wird mir klar, dass meine Ebene das Innen und das Weniger umfasst und ich vielleicht genau deshalb keinen Zugriff auf die Worte hatte, die sie nach außen fallen ließen.
Für mich würde es bedeuten: Loslassen und sein zu können.

Nicht viele, nicht ich, nicht etwas oder jemand zu sein, sondern einfach zu sein und diesen in meine Handinnenfläche gedrückten Faden, in diese so überbordend nicht- bis missverständliche Welt loszulassen.
Ich würde das Inmitten nicht mehr zusammenhalten, “weil man das so macht” und mir genau das zur kraftzehrenden Angewohnheit wie eine Sucht aus äußerem Zwang geworden ist.
Ich würde helfen einen Platz zu finden, in dem sie und ich und wir und die anderen auseinanderfallen könnten, damit wir uns in Ruhe erkunden können.

Ich glaube nicht, dass andere Menschen verstehen können, wie das ist, wenn man sein Leben lang etwas zusammenhält, das man nicht einmal kennt.
Nicht: “Sich zusammenreißt und sich anders verhält, als man vielleicht will.”
Ich meine das, was man für sein Selbst hält. Das, wo nie ein Trauma seinen Weg hinfinden konnte, weil es sich nicht dort befindet, wo ein Trauma allgemein verortet wird, wenn es nicht körperlich sichtbar ist.

Die Luft ist dicht und feucht, als sie auf der Bank sitzen.
“Ich halte es für wichtig, die Testung machen.”, sagt der Mensch und begründet sich mit einem Artikelabschnitt aus dem Blog von Vielen.

“Ich halte es für wichtig, die Testung zu machen.”, will sie nach vorn geben.
Ich fange es ab. Stopfe es zurück.
Sie wählt ein anderes Wort.
“Okay.”.

ein „bisschen viele sein“

(~ Fortsetzung ~)

“Ein bisschen verrückt sind wir ja alle.”, “Wir sind doch alle irgendwie viele”…
Mich machen solche Worte wütend, weil sie mich verletzen und ich mich ohnmächtig davor fühle.

Nein, wir sind nicht alle ein bisschen irgendwie verrückt und irre. Und nein, wer nicht viele im Sinne einer DIS ist, die:r ist nicht irgendwie auch ein bisschen viele.

Verrückt oder auch irre sein bedeutet nicht “some crazy shit” zu machen oder “voll irre Dinger abzuziehen”. Also Dinge zu tun die anders sind als andere – wagemutig, halsbrecherisch, gegen die Konventionen, gegen alle Regeln.
Menschen, die von sich sagen, dass sie viele sind, sind keine Menschen, die viele verschiedene soziale Rollen erfüllen/ sozialen Erwartungen gerecht werden müssen.

Diagnosen sind keine Label, die man sich selbst aussuchen und bedienen kann.
Eine medizinische oder psychiatrische Diagnose ist ein anderes Wort für “Abgrenzung vom Üblichen”. Dieses Übliche, das könnte dieses ominöse “Wir” in “Wir sind doch alle irgendwie verrückt” sein.

Wenn wir versuchen Menschen klar zu machen, was viele sein bedeutet, dann versuchen wir es mit einer Abgrenzung des Üblichen – nämlich der sozialen Rollen, die in unserer westlichen Gesellschaft üblich sind.
Und ja, soziale Rollen und der Umstand, dass die Menschen diese Abgrenzungen verstehen haben sehr viel mit unserem westlichen Selbstverständnis und auch mit dem Kapitalismus in unserer Gesellschaft zu tun.

Heute ist es so, dass niemand nur eine Rolle in unserer Gesellschaft inne hat.
Selbst wenn man völlig allein lebt ist man immernoch gleichzeitig auch Single, Steuerzahler_in, Konsument_in, Arbeitskollege/Arbeitskollegin, Leistungserbringer_in, jemandes Tochter/Sohn, und alles, was man an sich selbst noch bemerkt und beachtet.
Der Übergang von Identität und sozialer Rolle erscheint oft fließend und, weil das so ist, machen es sich manche Menschen sehr leicht: sie tun einfach so, als ob das Eine das Andere ist. Und weil der Kapitalismus genau diesen Mechanismus nutzt, um seine Konsumenten zu erreichen (aber auch: sie zu binden und zu definieren), fühlen sich viele Menschen darin bestätigt. Stichwort Gendermarketing.

Was nun genau der Unterschied zu Identität und sozialer Rolle ist, wird viel diskutiert und ich fürchte eine leichte Antwort darauf gibt es nicht, denn ganz losgelöst von einander sind sie dann eben doch nicht.
Was für das Verstehen des viele seins wichtig ist, ist, dass es kein aktiv gelebtes Bewusstsein um die Gleichzeitigkeit gibt. Selbst dann, wenn sie (durch die Diagnose und vielleicht auch eine begonnene Therapie) bewusst gemacht wurde und der Ratio klar ist, dass es sie gibt, wird sie nicht als solche erlebt, weil an dem Punkt die Dissoziation as in “dissoziative Identitätsstruktur” ins Spiel kommt.

Für mich als Innen (18 Jahre alt, K., Autorin so ziemlich jedes Rants in diesem Blog) ist mein sein – mein viele sein – verbunden mit Angst und Unsicherheiten vor denen ich mich ohnmächtig fühle. Ständig passiert mir irgendwas, was mich in genau diesen Zustand – mein Ich, mein ganz eigenes “Da_sein” – bringt und ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals anders war.
Mein Kopf weiß, dass ich auch lachen und ausgelassen sein kann – ich habe das aber noch nie erlebt und dabei das Gefühl gehabt, dass ICH das erlebte.

Entweder schwebe ich neben solchen Momenten irgendwie daneben und achte – ich weiß nicht mal wieso genau – einfach nicht drauf (und denke in solchen Momenten auch nicht: “Oh ich weiß ja, dass ich mal besser drauf achten sollte” und hasse mich inzwischen für genau das, weil ich denke: “Das soll die Therapie doch auslösen – wieso tut sie das nicht?!”.
Oder ich bin einfach nicht dabei und weiß von diesen Momenten so lange nichts, bis mir jemand mitteilt, dass mein Körper diesen Moment erlebte. Wenn ich dann zurückdenke und mich aktiv darauf konzentriere, dann kann ich eine Ahnung davon fühlen. Vielleicht ist das aber auch nur Einbildung, weil ich mir wünsche, ich würde genau das fühlen, denn faktisch würde ich nicht merken, wenn ich ausgelassen und fröhlich bin, weil ich es einfach noch nie war.
Ich würde merken, dass etwas anders ist als sonst – dass ich anders bin als sonst und würde – ta da: Angst bekommen und mich ohnmächtig fühlen und würde darüber wütend werden.

Es gibt eine Idee vom Viele sein, die sagt, dass die Innens in Menschen, die viele sind, da sind um bestimmte Funktionen zu erfüllen und bei einer sekundären DIS kann ich mir dieses Modell auch gut passend vorstellen.
Bei einer sekundären DIS gibt es eine sogenannte Hauptperson (manche sagen auch “Host”), die für frühere Traumatisierungen (und manchmal auch traumanahe Situationen) amnestisch ist, und eine Reihe von Innens, die gar nicht oder nur teilweise amnestisch sind. Für uns klingt die Konstruktion dieser Innenleben von Personen, die viele sind, reichlich defizitorientiert, weil sie impliziert, dass die Hostperson ein Hohlbrot ist, das ohne die anderen Innens im Grunde nicht lebensfähig ist. Tatsächlich ist das aber nicht so.
Wenn man schon davon anfangen will, dass Innens einander brauchen und irgendwo auch von einander abhängig sind, dann sollte man schon so eine Einteilung in “Hauptperson” [A(nscheinend)N(ormale)P(ersönlichkeit)] und “das andere Gekröse” [E(motionale)P(ersönlichkeit)] einfach mal lassen.
Manche Menschen mit DIS tun das für sich schon, in dem sie sich selbst im Innen als “System” bezeichnen.

Es gibt aber eben auch die tertiäre DIS mit der wir leben und in der sich die Innens nicht mehr 1:1 immer und in Bezug auf alles zuordnen lassen, weil es mehrere (Funktions-)Systeme gibt, für die es untereinander ebenfalls eine Amnesie gibt.
Mit so einem Innen ist es durchaus möglich mehrere Leben, die tatsächlich autark nebeneinander her ablaufen zu haben,  wenn man sieht, welche Funktionsbereiche diese bedeuten.
Wir haben erst gemerkt, dass wir von der Kunstschule eigentlich nichts weiter wissen, als, dass wir da tatsächlich hingehen und einen Fotokurs mitmachen, als wir danach gefragt wurden, was wir da nun eigentlich konkret machen. Die Kunstschule fordert ein Funktionslevel ab, das ein anderes Funktionssystem bei uns abruft/anspricht, als das Bloggen im Büro zu Hause.

Genauso solche “Huch-  Ääääh hä?!” – Momente, wenn uns jemand dann nach Details aus uns innerlich fremden Funktionsbereichen fragt, bestimmen unser Leben.
Das war tatsächlich noch nie anders und die Leistung – wenn man denn überhaupt von Leistung bei Anpassungsreaktionen sprechen will – ist, dass wir über diese Momente nie an einen Punkt gekommen sind, an dem wir nicht mehr weiterleben konnten.

Frage an alle, die bis hierhin gekommen sind: Gemerkt, dass wir gerade von “Leistung” und “Funktion” sprechen und nicht mehr von “Identität”?

Im Zuge diverser Veröffentlichungen zum Thema DIS (egal ob sekundär oder terziar oder im Fließbereich zu anderen dissoziativen Störungen* (wie der DDNOS oder auch (!Achtung, wir sortieren das so – Psychiatrie/Medizin nicht!) das Borderlinesyndrom) wird vom “fragmentierten Selbst” oder der “zersplitterten Seele” oder dem “multiplen Ich” gesprochen.
Es werden also Formulierungen verwendet, die nichts mit Leistung (Anpassungsleistung) oder Funktion zu tun haben,  sondern welche, die wiederum mit Identitäten und darüber dann wieder um sozialer Rolle vermengbar sind.

Das wiederum macht es sehr schwer seine Lebensrealität als Mensch, der viele ist und eben mit einer tertiären DIS lebt, irgendwie klar zu machen, denn einerseits ist dieses Schema um DIS sehr gut um zu erklären, wo Defizite liegen, wie welche Funktionen warum sinnhaft und logisch (wenn auch unter Umständen dysfunktional in äußeren Kontexten) sind; andererseits sind diese Schemata unbrauchbar als Kartografie des Ich eines Menschen.

Für uns als Einsmensch braucht es aber ein Ich an dem ein Verständnis von eigener Identität kleben kann, ohne, dass es eventuelle andere Identitäten und Ichs in sich ausklammert, um sich als Teil des “Wir” zu betrachten, das in Sätzen wie “Wir sind doch alle irgendwie verrückt” steckt.
Ich, K. gelte als Autorin, weil ich Dinge schreibe und Menschen zu Menschen, die schreiben sagen, sie seien Autor_innen.

Ich für mich bin einfach immer nur K. die wütend wird, wenn sie sich ohnmächtig fühlt. Ich definiere mich über meinen Zustand. Ich betrachte mich als Zustand eines ICH, das in Folge der erlebten Gewalt nicht in der Lage war sich so im Außen zu finden, dass es eine Identität entwickeln konnte.
Und nein – der Umstand, dass ich einen Namen habe, bedeutet nicht, dass ich eine Identität habe – das bedeutet nur, dass ich mich so benenne.

Für uns ist klar, dass das Vielesein keine Identität ist. Die soziale Rolle, die Menschen, die viele sind gern aufgedrückt wird, schwankt irgendwo zwischen Opfer, Kranke, Verrückte, Überlebende – alles Rollen, die mit einer Leistung bzw. einem Status verknüpft sind, die nichts mit den Menschen und ihrem Selbst zu tun haben. Man muss kein Ich haben, um Opfer (geworden) zu sein, um krank zu sein, um verrückt zu sein oder überlebend(e) zu sein – man muss nur etwas sein, das jemand anderes benennt.
“Opferidentität” ist auch deshalb ein Arschnasenwort, das bitte gerne auch nicht mehr verwendet werden muss.

Für mich ist klar, dass es schwierig ist das, Ich in meiner Selbstbeschreibung irgendwie von dem ICH, dessen Zustand ich bin zu trennen. Das liegt aber nicht daran, dass das nicht sein kann oder daran, dass ich hier unlogisches Zeug daher rede, sondern daran, dass der Begriff von Selbst und Sein und Ich und Identität und dem, was den Menschen als Menschen mit Seele und der Fähigkeit zwischen sich und anderen zu unterscheiden ausmacht, noch nicht fertig und klar und einfach zu definieren ist.
Schon gar nicht, wenn man es möglichst einfach haben will.

Die Menschen, die mir früher immer wieder gesagt haben, meine Probleme und alles, womit wir uns an sie gewendet haben, wären ja viel zu viel, die haben in aller Regel nicht mal so weit gedacht, dass das Kernproblem aller Probleme in unserem Leben nicht die Tatsache ist, dass wir funktionieren, wie wir funktionieren, sondern, dass wir immernoch funktionieren und einfach immer wieder vor der Frage stehen, ob wir überhaupt für ein ICH oder ein Selbst funktionieren und wenn ja, was das eigentlich genau ist. (Und wenn nein: Sind wir dann noch etwas, was man als „Mensch“ bezeichnet?)

Wenn wir nicht gerade gegen massive dissoziative Symptome anleben oder mit den Folgen, die unverarbeitete Traumatisierungen eben mit sich bringen beschäftigt sind und uns 24/7/365 um das eigene noch-immer-am-Leben = im Funktionieren – sein versichern.

So zu er-leben, wie es Menschen tun, die viele sind, ist eine Lebensrealität die “verrückt” im Sinne von „nonkonform“ zu nennen, schlicht ignorant und versimpelnd ist.

~ Fortsetzung folgt ~