den Versuch wert

Wir hatten keinen guten Tag, waren circa 3 Löffelkästen über unsere Grenzen hinaus und nicht gefasst darauf, dass die Therapeutin Dinge wie “Das Leben ist voller Kompromisse” und “Sie müssen wissen, was es ihnen wert ist in der Klinik zu sein”, sagen würde.

Ich hatte keine Kraft für den Hinweis darauf, dass “einen Kompromiss eingehen” eigentlich soviel bedeutet wie “beide Seiten haben Anteil an der Lösung” und “beide Seiten haben etwas davon”. Ich hatte nur noch Kraft einen dieser inneren Giftpfeile abzufangen, der Schimpfworte und eine bittere Wahrheit auf sich geladen hatte. Die Wahrheit nämlich, dass unsere Kompromisse in aller Regel als gegeben betrachtet werden. Die Wahrheit nämlich, dass unser Leben voller mistig nerviger bis wirklich Kraft und Selbst zerfressender Barrieren, an so vielen Stellen Kompromisse, Zurücktreten, Schweigen, Aushalten und Durchziehen bedeutet und das genau niemand sieht, der es nicht weiß.

Ich rede hier nicht von Dingen wie “Gah scheiße – immer muss man nett und freundlich sein – nie darf man motzen.” oder “Mäh – nie darf anderen auf die Nase hauen – immer nur muss man konstruktiv sein.” oder “Mimimi – nie darf ich machen, was ich will.”.

Ich rede hier von Dingen, die für uns schwierig sind und die wir trotzdem tun,

weil sie den Versuch wert sind.

Das machen wir jeden Tag und wir sind okay damit. Irgendwie ist das einfach unsere Art diese Sache mit dem Leben leben zu probieren, daran zu scheitern und es dann nochmal neu zu probieren usw usw usw.
Es wird jedoch schwierig, wenn wir das Gefühl haben nicht in dem gesehen zu werden, was wir da eigentlich dieser Welt, dem Leben und den Dingen in ihm drin, an Bereitschaft uns zu widmen, entgegen bringen
Wenn der Preis, den wir dafür zahlen, vergessen wird und die Kraft, die wir daran verlieren und dann eben nicht mit in dieses Leben und seine Gestaltung hineingeben können, als “verborgen tief in uns drin” verortet wird und nicht als “darauf verschossen überhaupt irgendwo zu sein und das auszuhalten, ohne zu im- oder explodieren”.

Wir hatten ein Stille-Post-Missverständnis was die Versorgung von NakNak* während der Klinikzeit angeht (heute geklärt – alles gut).
Für uns ist es ein hoher Preis auf ihre Anwesenheit dort zu verzichten und worum es dabei geht, versuche ich immer an dem Beispiel der Blindenhunde zu erklären, wenn jemand fragt, wie denn eine blinde Person in so einer Klinik zurecht kommen sollte, ohne Blindenführhund.

Blindenführhunde gelten oft als durch andere Menschen ersetzbar. Das heißt: auf die Selbstbestimmung einer blinden oder sehbeeinträchtigen Person wird direkt geschissen – soll sie halt einen Stock benutzen (was nicht für alle blinden oder sehbeeinträchtigen Menschen geht) oder sich führen lassen (also abhängig sein und sich einer evtl. fremden Person anvertrauen).
Es ist an der Stelle der Barrierenkompensation, die sich durch Blindheit oder eingeschränktes Sehen ergeben, also essentiell, dass sich die behinderte Person anderen Menschen anvertrauen und mit ihnen kommunizieren kann, wo sie hin will, was sie haben will und so weiter.

NakNak* ist eine Assistenzhündin, die spezielle Aufgaben für uns erfüllt und die auch nur von ihr erfüllbar sind.
Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir so überreizt sind, dass ein Anfall direkt bevor steht. Andere Menschen merken uns nicht an, wie viel Verunsicherung, Angst, Verwirrung, Unklarheit und Überforderung sie bei uns auslösen (meist ja nicht mal dann, wenn wir es ihnen sagen). Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir desorientiert im Raum sind und uns selbst nicht mehr verorten können. Und ach – so viel mehr.

Andere Menschen brauchen von uns immer immer immer mehr, als das einfache Reiz-Reaktionsmuster, an dem wir uns in unserem täglichen Leben entlang arbeiten, um halbwegs stabil und reagibel zu sein.
Unser Hund braucht ein Signal oder ein Handzeichen oder die spezifische Körperspannung, die wir haben, bevor ein Anfall uns umhaut, um zu wissen, was wir von ihr brauchen und was wann wie geht.
Wir müssen ihr nichts begründen. Wir müssen ihr nichts “beweisen” oder “ihr offensichtlich machen/zeigen”, dass wir irgendwas wirklich brauchen oder möchten. Wir müssen nicht “bitte bitte machen” und wir müssen auch nicht “danke” sagen. Sie hat gelernt auf Reize zu reagieren und fertig – den ganzen Sozialschmodder, den ein Mensch an ihrer Stelle bräuchte, braucht sie nicht – und wir sind entlastet von einem dieser tausend Löffelfresser im Alltag – denn was ein Mensch braucht, um uns gegenüber so gut gestellt zu sein, dass er uns hilft, müssten wir aus Schwällen von Worten herausraten oder wild bis strategisch drauflos versuchen. (Und all das noch genau bevor die traumabedingten Probleme mit zwischenmenschlichem Kontakt beginnen!)

Es ist kein Kompromiss zu sagen: Okay, wir versuchen es ohne sie.
Es ist eine runtergeschluckte Alltagsdiskriminierung und die Ansage an uns nach innen, dass wir mit unserer Kraft so sparsam wie nur irgendmöglich umgehen müssen, weil wir neben der Kleinigkeit “teilstationäre Klinikzeit” (und ihre Implikationen) auch noch “Barrierenkompensation Level 100” schaffen müssen.

Wir erwarten schon lange nicht mehr, dass sich Institutionen und Behörden endlich einmal mehr damit auseinandersetzen, wie barrierefrei sie überhaupt sind und welchen Stellenwert die Selbstbestimmung aller Menschen, die dort ein- und ausgehen hat. Für uns ist inzwischen total klar, dass Institutionen und Behörden dazu gezwungen werden müssen, die Hilfen und Hilfsmittel behinderter Menschen mit Brillen, Fahrstühlen und Sprachdolmetschern gleichzustellen.

Aber wir erwarten, dass nicht von uns erwartet wird so zu tun, als wäre auf das wichtigste Hilfsmittel in unserem Leben zu verzichten, ein Kompromiss.
Das ist es nicht. War es nie. Ist es nie.

Ich habe in den letzten beiden Tagen gemerkt, wie viel bewusster wir in den letzten Jahren dafür geworden sind, wo unsere Kraftgrenzen sind, was wir wie lange aushalten können und wann wir welche Art der Pause und Ruhe brauchen.
Und heute Abend merke ich auch deutlicher denn je, wie gut uns die DIS in all den Jahren davor geschützt hat, unter dem zusammenzubrechen, was “der ganz normale* Lauf der Dinge” für so viele Menschen bedeutet.
“Der normale Lauf der Dinge für die Mehrheit der Menschen” ist einer, dem wir nur mit einer DIS oder anderen wie auch immer gelagerten Abwehr- und Schutzstrategien begegnen konnten, weil er nicht für Menschen, wie uns gemacht/gedacht ist.

Die Therapeutin hatte versucht uns klar zu machen, dass es unsere Entscheidung sei festzulegen, wie viel uns dieser Versuch mit der Klinik kostet und wir haben nachwievor keine Antwort darauf, denn eigentlich ist unsere Entscheidung eine andere.
Wir müssen für uns festlegen, wie viel von unserer Substanz es kosten darf/soll/muss, auf etwas hinzuarbeiten, von dem wir bisher immer eher legendenartig gehört haben (you know diese Zauberwolke aus: “gutes/okayes Leben”, “aushaltbar_sein”, “mit sich irgendwie okay sein”, “mit dem, was man erlebt hat irgendwie okay sein”).

Ich finde das bitter.
Aber den Versuch kann es ja trotzdem wert sein.
Oder “auch wert sein”.

auf Hoch_Tour

“Ich habe keine Angst daran zu verbrennen.”, dachte ich und stemmte meine Füße gegen die Fahrradpedale.
Den Berg, auf dem das Bullergeddo steht, rauf, ohne dem Aufjaulen der Beinmuskulatur mehr als zufriedenes Nicken zu widmen.

“Ich … habe … keine …”, eine Amsel segelte vor mir flach über die Straße und landete am Rinnstein, “Angst.”.
10 Kilometer später, habe ich wirklich keine Angst mehr. Genieße den Schmerz im Oberkörper, in den Händen, in den Beinen.

Ich merke, wie wunderbar ich mir einen Schnitt von dem wummernden Pochen im Hals bis zum Bauchnabel vorstelle und untersuche die Vorstellung auf ihre Konsistenz. Als sie mir durch die Finger rinnt, rede ich auf mich ein, wie sehr ich alles im Griff habe. Meine Pläne, meine Termine, meine Aufgaben und Frei_Zeiten.
Ich sage sie mir auf und trete weiter in die Pedale.

Irgendwas am Rad quietscht und stört mich. Macht mich unruhig und schmeckt nach Kapern. Als ich den MP3-Player einschalte, vermischt sich der Geschmack mit dem, was die Musik mit sich bringt. Meine Gedanken wickeln sich die Idee, wie gut es wäre im eigenen warmen Blut zu liegen. Warm weich weit. Ein bisschen flüssig, aber eigentlich auch wie Gelee. Ein bisschen eklig, aber so warm wie ich selbst.
Zwischen meinen Schulterblättern rinnt ein Schweißtropfen herunter.

Ich biege ab und steuere direkt auf die längste und letzte Steigung der Runde zu. Hoffe, dass der dritte Gang schnell einrastet und hinter mir niemand irgendein Überholmanöver versucht.

Als ich oben bin, drückt mir der ungeschickt umher polternde Puls den Hals so eng zusammen, dass ich meine Angst wieder spüre. Ich bin zu erschöpft für eine Selbstbeschwörung. Ich lasse los und stehe da und weine und atme und denke, wie erbärmlich bescheuert das alles ist. Will meine Rasierklingen haben. Will einfach schnell alles in Ordnung bringen. Will abschneiden, was schief gelaufen ist. Will das kaputte Stück abschneiden und ein heiles nachwachsen lassen.

Steige dann aber zurück aufs Rad. Erinnere mich daran, wofür wir jeden Tag mehr und mehr Kilometer zu fahren versuchen.
Ich atme durch und fahre weiter.

Es wär so viel bescheuert erbärmlicher so zu tun, als könnten Dinge nicht auch schief gehen und trotzdem irgendwie heil weiterwachsen.

K.

“Hör doch auf mir helfen zu wollen!”, beendete sie das Gespräch mit unserer Gemögten und besiegelte es mit dem Ausschalten des Handys. Ihr Puls flatterte unter der Haut und ein Jemand schleuderte den rechten Arm mit aller Wucht gegen die Backsteinwand neben ihr.

Es ist halb 2 Uhr nachts und sie noch immer damit beschäftigt sich von der Therapie und den ausgelösten Gefühlen runterzuregulieren.
Während sie sich mit dem Rücken gegen die Kellerwand stemmt und ein Paket tiefgefrorenes Fleisch an den geprellten Handrücken hält, schaut sie auf die alten Fahrräder, den verdreckten Fahrradanhänger, den Sperrmüll, den selbstgebauten Hörnchenkäfig, die letzten nie geöffneten Umzugskartons.

Ich merke, wie sie dagegen ankämpft zu weinen oder die unwillkürlichen Laute von sich zu geben, die Menschen so von sich geben, wenn sie etwas loslassen, das sie bedrückt. Von Schlauberg tropft der Impuls herunter das bestehende Adrenalinlevel zu nutzen. Sie atmet durch, putzt sich die Nase und trägt das Fahrrad vors Haus. Wir ziehen sie an und klemmen ihr den Helm auf den wirren Kopf.
Meine Flügel halten ihre Hände auf dem Lenker und sie rast los.

Wir hören ein Käuzchen und erschrecken einen Hasen als wir durch die Gegend fahren bis die Kälte des Fahrtwindes in der Lunge sticht.
Die untrainierten Beinmuskeln fühlen sich an wie heiße Metallteile. Es regnet.

“Merkst du dich eigentlich?”, frage ich sie und betrachte fasziniert, wie sie sich durch ihre eiserne Haut allein zusammenhält. “Ach.”, antwortet sie und scheucht mich aus ihrem Denken.
“Ich will nicht, dass ‘es mich gibt’.”… “Ich will nicht ‘da sein’.” … “Ich will ‘mich’ nicht merken.” … “Ich will nicht.” … “Ich will nicht, dass es ‘mich’ gibt.” … “Ich will nicht angeguckt werden.” … “Ich will nicht ‘da sein’.”

Wir steigen vom Rad und setzen sie auf eine Parkbank. Langsam kriecht die nasse Kälte von der Kleidung auf die Haut und lässt sie schaudern. Wir warten bis sie zittert und mehr und mehr Worte sie aus ihrem Denkkreisel heraustreten lassen.

Die ersten Vogelstimmen sind zu hören, als wir mit einer Wärmflasche unter allen Decken und Gewichten, die wir finden konnten, in unserem Bett liegen.
“Ich will DAS DA einfach nicht. Klar?”, denkt sie in das Rund zwischen sich und allem. “Klar.”, antworte ich und fühle sie in meine Federn rieseln wie feiner Strandsand.

spontane Integration

Die Stunde war zu Ende und während ich in die neue Jacke mit den Flauschstellen schlüpfte, trug sie ein Jemand auf dem Arm Stück um Stück tiefer ins Innen.

Wir hatten gearbeitet und ich spürte es an einem flirrenden Zucken unter der Haut. Der Notwendigkeit die Unterwäsche zu wechseln und unter die Dusche zu gehen, als wir zu Hause waren. An dem Wunsch NakNak* immer im gleichen Zimmer zu wissen.
Über den Nachmittag kletterte die Temperatur von 37 auf 38 auf 39 auf 40 Grad und ließ die Wahrnehmung des Heute schwanken. Am Abend begannen die intrusiven Gedanken und Gefühle, Pseudohalluzinationen und schmerzhafte Muskelkrämpfe.

Während ich versuchte der versorgenden Stimme aus dem Nebenmir zu folgen,  Aspirinbrause zu trinken und Lavendelöl auf Brust und Nacken aufzutragen, hörte ich sie schreien.  Später fiel mir auf, dass es mich verwirrt hatte sie schreien zu hören. Wir hatten doch an ihrer Erfahrung, dem Ereignis, das sie zu einem Jemand hatte werden lassen gearbeitet, damit ein Teil des ES zu schreien aufhörte.

Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie sich trauen würde, sich für den Teil des ES vor ihr zu öffnen und es in sich aufzunehmen. Vielleicht ist dieser Schritt aber auch nichts, was sich vorbereiten lässt.
Manchmal sind die Unterschiede zwischen Innens, die ein Jemand sind und dem, was wir als ein Teil des ES bezeichnen, nur minimal und manchmal braucht es nur eine bestimmte Resonanz vom außen, um die Ebenendifferenzen auszugleichen bzw. anzupassen. Ich stelle es mir vor, als würde der Umstand mit der Therapeutin durch einen Moment zu gehen, eine Art Schmiermittel einbringen, um diesen einen Ausgleich in Gang zu setzen, der früher aus Kapazitätsmangel in der Situation gestoppt wurde.
Das ist, als würde nachträglich etwas passieren, das nötig ist, auch wenn oder vielleicht auch obwohl, es akut keine Auswirkungen auf unser äußeres Funktionieren mehr hat.

In den folgenden Tagen haben wir darüber nachgedacht, ob sie jetzt in diesem Zustand noch überhaupt jemals wieder in der Lage sein kann, so zu funktionieren, wie sie es bisher konnte. Mir fiel dabei auf, wie sich die Annahme hinter der Frage gewandelt hat. Vorher ging es nicht um ihre Fähigkeit – es ging um ihre Intension. Die damaligen Umstände, die Frage nach bestehenden Zwängen oder Verpflichtungen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir uns gefragt, ob sie überhaupt die Fähigkeit für ein anderes Handeln hat. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass wer verletzend (re-)agieren kann, selbstverständlich und wie einem Naturgesetz entsprechend auch ohne zu verletzen (re-)agieren kann. Obwohl wir selbst wissen, wie tiefgreifend sich die strukturelle Dissoziation unseres Selbst auf das jeweilige Fähig- und Fertigkeitenniveau seiner Bestandteile (also uns Innens und das, was wir Teile des ES, Seelen, Energien… nennen) auswirken kann.

Nicht jedes Innen, das kocht, kann auch essen. Nicht jedes Innen, das weiß was zu tun ist, kann auch tun, was zu tun ist.
Wir haben das in Bezug auf sie ausgeblendet und sind jetzt umso dankbarer, dass wir das im Nachhinein reflektieren konnten.

Manche Menschen fragen sich, ob Innens verschwinden, wenn sie sich integrieren oder mit anderen verschmelzen. Manche fragen sich, was genau da eigentlich passiert, wenn wir sagen “Sie hat es in sich aufgenommen”.
Wir haben noch keine Verschwindeerfahrung von Innens im Rahmen traumatherapeutischer Arbeit gemacht. Uns sind immer nur Innens bzw. ganze Systeme “verschwunden” oder kaputt dissoziiert, wenn wir Gewalt in Kombination Todeserwartung bzw. Nahtoderfahrungen üb.erlebten. Und dabei war es irrelevant, ob die Gewalt von früheren Täter_innen ausging oder von Menschen, die man außen als Teil einer Hilfe bzw. eines Hilfesystems bezeichnet.
Wir haben für uns inzwischen sehr klar, dass die Rechnung “Gewalt = Dissoziationsbereitschaft = Spaltung = DIS, wenn sinnhaft fürs Überleben” eine irreführende ist, die unserer Ansicht auch dringend und gerade in der Öffentlichkeitsarbeit präzisiert werden muss in: “toxischer Stress = Verstärkung bestehender Dissoziationsbereitschaft = erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spaltung = Etablierung kompensierender Mechanismen (zum Beispiel einer DIS)”

Uns ist aufgefallen, dass wir davon ausgingen eine größere Veränderung wahrnehmen zu werden, nachdem wir die spontane Integration des Innens mit dem Teil des ES gespürt haben. Doch bis jetzt stellen wir die Veränderung eher an uns und unserem Zugang zu dem Innen fest bzw. merken, dass wir es anders sehen können.
Wir sehen mehr Worte in ihrem Denken und sehen, wenngleich nach und nach weniger deutlich, welche Worte von ihr und welche aus dem Teil des ES sind. Und wir spüren Gefühle in einer Wellenbewegung, wo vorher “emotionsähnliche Reaktionen” wie durch ein Katapult immer die gleiche Linie entlang geschossen kamen.
Sie ist noch die Gleiche. Sie hat keine 180° Kehrtwendung ihrer Ansichten, Ab- und Zuneigungen oder Loyalität gemacht. Aber da ist jetzt ein Schrei in ihr wo vorher keiner war und wir merken, dass wir eine Kehrtwendung in unseren Ansichten von ihr machen.
Von einem Jemand, dem wir uns widmen, weil wir etwas einfordern, wird sie zu einem Innen, das eine innere Sitzwache und viel von unserem Zuspruch braucht, um nicht gleich wieder auseinanderzufallen, weil es einen nun auch eigenen Schmerz nicht mehr aus_halten kann.

Wir merken, wie wir zu ihren Begleiter_innen in einem uns alle verändernden Prozess werden.

eine Hannah-Reaktion

“Hummeln können nicht fliegen.” kalauerte mir neulich erst wieder in einem Gespräch entgegen. Wie immer gut gemeint und genau nicht in einem Moment, in dem eine Hannah-Reaktion denkbar war.

Die ginge nämlich so: “Also, wenn du mir sagen möchtest, dass ich mir keine Gedanken über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten machen soll, sondern einfach drauf los machen, was auch immer ich mache – dann sag mir das einfach.
Der Physiker, der in den 30er Jahren – ja so alt ist diese Geschichte bereits – diese Berechnung machte, hatte keine Ahnung von Hummeln. Er hatte Ahnung von Physik. Und niemand fragte sich “Warum fliegt eine Hummel eigentlich – sie könnte doch auch laufen, hoppeln, krabbeln, schwimmen oder kriechen?”. Er hatte sich nur auf einen klitzekleinen Aspekt im Leben einer Hummel konzentriert und diesen mit seiner unvollständigen Idee vom Körperbau einer Hummel verbunden. Man nennt sowas auch “ungeprüfte Annahme” oder “Bullshit”.”

An dieser Stelle würde ich kurz warten und hoffen, dass das Gegenüber den nächsten Schritt alleine macht.
Die meisten Menschen machen den nie. Die meisten Menschen haben bis dahin “Sag mir das einfach” und “Bullshit” gehört und überlegen dann wie sie die Kränkung, die sie bei mir vermuten (auch wenn ich ihnen gerade etwas von unvollständigen Ideen erzählte) auflösen können.
Um den ganzen unnötigen Schmodderknörgel abzukürzen monologisiere ich weiter.

“Hummeln haben kein Zeitgedächtnis und keine so ausgefeilte Tanzkommunikation wie Bienen. Viele sterben, wenn zwischen zwei Nahrungsquellen mehr Weg liegt, als ihr Körper schafft und das ganze Volk kann darunter leiden und versterben.
Wenn du mir sagst, ich solle es einfach wie die Hummel machen, dann sagst du mir also irgendwo auch, ich sollte meine wahrgenommenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten nicht oder nur unpräzise kommunizieren und ergo im Fall des Falls auch sterben.
Ich weiß, dass du das nicht sagen wolltest. Ich weiß, dass du mir sagen willst, dass ich mich auch einfach aufs Handeln konzentrieren kann.
Du hast es mir aber nicht gesagt. Du hast es deiner unvollständigen Idee von mir und meinem Funktionieren gesagt.
Rede mit mir.
Nicht mit deiner Idee von mir.”

Und dann wäre da Stille.
Und der Wunsch sich schnell in eine kleine flauschige Erdhummel zu verwandeln und wegzufliegen.

inside Panik

Von Ende 2002 bis Anfang 2004 waren wir Patientin in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beziehungsweise: einer Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik. Für Kinder und Jugendliche.
Manches war gut, manches nicht. Manches war hilfreich, manches nicht.

Gestern Abend habe ich mich daran erinnert, wie wir zu der Zeit Menschen verletzt haben, wenn sie uns in Panik oder Flashbacks angefasst haben. Ich spreche gerade von richtig heftigen Verletzungen – nicht nur den blauen Flecken, die man halt mal kriegt, wenn man es mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, die Probleme haben ihre Affekte zu regulieren.

Ich habe mich daran erinnert, weil uns der Schulleiter gestern Nachmittag in der Dunkelkammer eingesperrt hat. vermutlich, weil er vergessen hat, dass wir noch darin gearbeitet haben. Es kam zu einer Panikattacke und einem Flashback. Einem Klinikflashback. Einem Flashback in ebenjene Zeit zwischen 2002 und 2004, in der wir umgeben von Menschen eingesperrt waren, ohne zu wissen, ob es überhaupt etwas bringt an die Tür zu klopfen, wie wir es gestern taten. Ohne immer wirklich klar zu haben, ob die Tür unseretwegen oder wegen einer anderen Person geschlossen war.

Eine Lehrerin auf der Etage hat unser Klopfen gehört und die Tür geöffnet.
Und unseren Arm gestreichelt um uns zu trösten und zu beruhigen.
Für mich hat es sich angefühlt als würde jedes Streichen ihrer Hand auf unserem Arm eine Hautschicht wegätzen. Es war eine überbordende Schmerzempfindung und im Innen krachte das heulende Monster gegen seine Käfiggitter bis sein Raum einstürzte und es unter den Trümmern begrub.

Mein Blick nach innen wurde weiß rauschend und giftstill.
Funktionsmodus. Alltagsdissoziation. NakNak* an der Leine, die um unsere Hüfte gelegt war und Renée am Telefon als Anker ins Heute.

Ich entschied mich für das freundliche Auflösungsmodul. Lächeln, nicken, lose bis unverbindliche Wortketten an das Gegenüber geben, sich aus der Berührung winden und zuhören. Trösten und beruhigen, damit sie aufhört mich trösten zu wollen. Aufhört mich mit Worten zu überschütten, deren Inhalte mir wie Reiskörner durchs Begreifen rutschen.

Ich ging in unseren Alltag zurück. Fotografierte eine stachelige Pflanze im Abendlicht. Wäre gern selbst die stachelige Pflanze gewesen.

Am Abend dachte ich, dass ich auch gern wieder das heulende Monster in unserem Leben hätte. Weil es unseren, meinen, seinen Schmerz an so einer Situation so viel klarer und unmissverständlicher zeigt. Weil es so viel klarer definierbar macht, was okay ist und was problematisch.
Und weil es unsere Probleme deutlicher markiert. Unser Sein in bestimmten Kontexten. Und auch eine Option dessen, wie wir re_agieren könnten. Eine Option, wie wir auch sein könnten.

Der Mensch, der uns eingeschlossen hat wird sich leicht sagen können, die Konsequenzen seines unbedachten Handelns wären ja nicht dramatisch oder schlimm oder problematisch, weil „sonst würden wir ja was sagen oder machen“. Etwas, das er merkt und ernst nimmt.
So ein freundliches Auflösungmodul ist er gewohnt. Das macht in seinem Kosmos nichts weiter. Es gilt als “Nicht weiter relevant.”, “Nicht weiter auffällig.”, “Kann man unbesehen an sich vorbei ziehen lassen.”.
Wäre das Monster durch mich hindurch geprescht wie früher, hätte es “einen ernsten Zwischenfall mit einer psychisch kranken Schülerin” gegeben. Natürlich hätten sich dann auch eine Zillion Vorurteile bestätigt und die Wahrscheinlichkeit, dass wir so ernst genommen werden, wie wir es uns wünschen würden, wäre genauso hoch wie jetzt. Aber Raum für einen Zweifel daran, dass diese Situation für uns dramatisch, schlimm, problematisch war, hätte es nicht mehr gegeben.

Wir haben solche Anwandlungen nicht oft. Es ist selten, dass wir uns wünschen andere Menschen könnten direkt wahr- und aufnehmen, wie Dinge für uns sind oder auch, wie sich Situationen für uns darstellen und was sie in uns auslösen. Für uns ist es in der Regel eher angsteinflößend und negativ triggernd, wenn Menschen uns sehen und lesen können. Auch das eine Folge von Erfahrungen sadistischer Gewalt. Für uns gilt es nachwievor als gefährlich, wenn Menschen uns sehen oder uns zwingen uns ansehen zu lassen. Für uns gilt “gesehen werden” noch immer in weiten Teilen als “durchschaut werden” (= ausgenutzt, reingelegt, in der eigenen Wahrnehmung verdreht gedeutet werden) und damit auch von jemandem geistig und/oder emotional an sich gerissen oder auch vereinnahmt zu werden.

Aber wenn man uns helfen oder unterstützen möchte und wir merken, dass das ein aufrichtiger Wunsch ist von einer Person wie dieser Lehrerin zum Beispiel, oder auch Behandler- und Begleiter_innen, dann wünschen wir uns immer öfter in den letzten Jahren, dass sie sehen können, wenn sie uns mit ihren Hilfeversuchen ganz konkret weh tun, uns überfordern und manchmal auch schlicht dabei stören uns selbst zu helfen.
Damit sie, wenn sie das wissen, anders versuchen uns zu helfen und/oder zu unterstützen.

Deshalb habe ich gestern bei Twitter noch ein kurzes “Alternativ-How-To” für Außenstehende bei Panikattacken geschrieben:

– Panikattacke/Angst = Sicherheitsgefühl nötig, Sprache schwer
(Panik und viele Angstattacken auch, passieren in einem Teil des Gehirns das fern von (Laut)Sprache ist. Viele Menschen in Panikattacken können nicht sprechen und kommen in zusätzlichen Stress, wenn Worte von ihnen verlangt werden. Neurologisch ist es (nach derzeitigem Wissenstand) unmöglich dem nachzukommen! Kommunikation mit Gesten, Gebärden, Zeichen, Symbolen ist oft viel einfacher und zielführender)

– ruhig bleiben
(Diskussionen darüber, was die Person denn hat (was in ihrer Anwesenheit schon mal nicht so eine respektvolle und achtsame Nummer ist)  und, dass man das kennt, weil XY in der Familie hatte das auch mal und all das Blablabla, weil man unsicher ist und Angst hat irgendwas kaputt zu machen – stop it! – nutz die Energie für andere Dinge, wie …)

– sagen, dass die Lage beobachtet wird —> „Ich sehe dich – ich sehe, dass du Angst hast – ich sehe deine Zeichen mir zu sagen, was dir hilft.“
(Konzentriere dich darauf und nur auf diese Situation. Du kannst nichts kaputt machen, denn der Person geht es schon schlecht.)

– In Panikmomenten gilt das konkrete Hier und Jetzt – reagiere auf das konkrete Hier und Jetzt – schick Gaffer und Stresser weg, sorge für ruhige Umgebung
(Für uns sind in solchen Momenten alle Reizkanäle auf – jedes Geräusch, jede Berührung, jede sichtbare Bewegung und Unruhe tut uns dann weh – je weniger passiert, desto besser. Wenn jemand uns abnimmt auf konkrete äußere Gefahren für uns zu achten, schließen wir die Augen und halten uns selbst die Ohren zu, um uns diese ruhige Umgebung zu schaffen und hören damit wieder auf, wenn es geht.)

– frag, ob Körperkontakt ok ist oder gebraucht wird. Halte dich seitlich von der Person – überfrachte sie nicht mit Worten, Forderungen u.ä.
(seitlich zu stehen ist für uns gut, weil ein Fluchtweg sichtbar offen bleibt und weil es für uns angenehmer ist Menschen peripher wahrzunehmen – wir trauen uns dann auch eher ihre Worte und Forderungen auszublenden – gerade, weil wir sie in Panik noch ein Level mehr als üblich nicht verstehen und adäquat reagieren können und uns das verwirrt und beunruhigt und stresst und genau das überhaupt nicht hilfreich ist)

– Panikattacken haben einen Anfang und ein Ende – betrachte dich als Begleiter_in der Person bis zum Ende der Panikattacke
(bitte bitte bitte denk nicht du könntest mit irgendwas eine Panikattacke beenden und die betroffene Person aus “ihrer Not retten” – das wär toll, wenn das ginge, dient aber nur dir selbst. Es ist gut für euch beide, wenn du einfach nur da bist. Durch so eine Erfahrung bzw. Empfindung allein zu gehen wäre schlimmer. Du bist nicht allein, weil die betroffene Person da ist und die betroffene Person ist nicht allein, weil du da bist. Auch wenn ihr nicht das Gleiche empfindet, geht ihr beide durch die gleiche Erfahrung. Miteinander. Das macht viel aus.)

– Ist die Attacke vorbei, ist sie vorbei. Zeit sich dem Alltag wieder langsam zu nähern. Die Person entscheidet, wie dieser aussehen soll!
(Ich habe eine Pflanze fotografiert, bin durch die Stadt nach Hause gegangen und habe Entscheidungen getroffen, die mir gut getan haben. Andere Menschen hätten mich vielleicht in ein Taxi gesetzt und ins sichere Zuhause verfrachtet, wo ich dann mit der aufgestauten Körperenergie (Panik setzt manchmal eine Menge Zeug frei, damit der Körper schnell fit für Flucht oder Kampf ist) gewesen wäre und irgendwann zu dissen angefangen hätte, weil es für den Körper noch nicht als “vorbei” abreagiert und sortiert war. )

– sprecht darüber, was geholfen hat und was nicht. Aber erst nachdem genug Zeit war darüber nachzudenken
(Ich finde es schlimm, wenn ich direkt nach so einem Erlebnis nochmal daran denken soll. Manchmal müssen wir auch erst Schamgefühle vor anderen Menschen überwinden oder auch beruhigt über die soziale Verbindung sein, bevor wir darüber reden können. Und sehr oft müssen die Menschen, die bei uns waren, wenn wir eine Panikattacken oder auch einen Flashback hatten, sortieren was da war und wie sie sich währenddessen gefühlt haben, weil sie sonst ihre Gefühle mit uns verstricken und das fürs Miteinander ungünstig ist.)

Fundstücke #17

Da ist die Idee, dass es innerhalb einer Zeitfalte nichts gibt.
Weißes, neblig weiches Nichts und davon ganz viel.
Lauf der Dinge-Nichts. Rauschen, das kommt und geht.
Ist, das kommt und geht, ohne je das eigene Innen berührt zu haben.

Manchmal denke ich, dass es ist, als würden wir Steine im Innen niederlegen, wenn wir uns einander nähern wollen.
Ja, als wären unsere Worte kleine Gedenksteine und Mitbedenksteine, die wir an einen Punkt in unserem Innen legen, den wir aus Rücksichtnahme und Willen zum Bewusstsein beachten doch, aus Angst selbst hineinzufallen, nie berühren.

Als es um sie ging, ging es lange nicht um sie, sondern um das, was sie tut.
Das erste Wort, das wir an ihren Rand legten war: “Selbstverletzung”.
Das erste Kämpfen ging um Furcht. Furcht vor Kontrollverlust. Furcht vor dem Urteilen und Werten der Therapeutin. Furcht, vor dem Moment, in dem die Forderung nach einem Ende dieser Verletzungen das kleine Sprechzimmer sprengen würde, weil wir ihr nicht nachkommen konnten.

Wir protokollierten ihr Handeln. Wir beurteilten und bewerteten es. Wir legten “Selbst-Folter”, “Not”, “nötig”, “Reaktion” an die Stelle, wo es biss und krampfte, wann immer wir uns mit der Wahrheit zu verbinden versuchten, es könnte sich um ein Erinnern handeln. Oder ein Innen, das in einem Heute ist, das für uns nur ein weißes neblig weiches Nichtsrauschen ist.
Immer liefen wir auf der perlmuttlila Linie von “Heute”, zu “Begleiterin”, zum Rauschen und wieder zurück.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder Worte an diese Stelle gelegt bis wir an Konsistenz stießen und spürten, wo sie anfängt und unsere eigenen Worte enden. Wo unsere Worte beginnen und die der Rosenblätter. Und die der anderen. Und die der ganz anderen. Und, die derer, die nie ein Wort halten können. Bis wir sie auf eine Art wahrnehmen konnten, die man “sehen” nennt, aber doch mehr „spüren“ ist.

Sie einigten sich darauf sich zu widmen. Mehr als nur Worte zu finden, sie an sie heranzutragen und liegen zu lassen. Es war ein Moment, in dem jemand fragte: “Wieso legen wir eigentlich immer Wörter da hin, aber sie gibts nie selber welche, sondern macht nur Dummtüch?”.

Wir begannen Worte zu fordern. Mit dieser Begründung. Und erlebten eine Weile, in der die Vereinbarung auf ein Verletzungslevel, das wir selbst noch gut versorgen konnten als fast über Bord geworfen erlebten. Und nicht verstanden, warum es diesen Rückschritt gab.
Das Warum begann wie ein Knöterich die Worte um sie herum zu überwuchern. Im letzten halben Jahr widmeten wir uns nicht ihr, sondern einem Warumgestrüpp, das gefundene Worte unter sich zu begraben drohte.
Neben all den anderen Kämpfen in diesen unseren unterschiedlichen Leben.s_Läufen der Dinge.

Gestern hat jemand in ihr Denken geschaut. Sie standen auf der perlmuttlila Linie und hielten einen Faden an dessen Ende die Therapeutin saß.
Das Jemand trug Worte von innen nach außen und legte sie dort ab, wo die Fragen der Therapeutin hinführten. Bis es den Faden verlor und das Rauschen eines längst vergangenen Lauf der Dinge uns trennte.

Am Abend schrieb es in unser Heft: “Da ist ein Erinnern an Gewalt passiert und ich stand daneben. Es ist eine Wiederholung. Sie hat etwas wiederholt – und ich habe etwas wiederholt. Sie die Gewalt und ich das Beobachten von genau solchen Situationen. […]
Ich sehe sie jetzt in “Beruhigung” neben etwas, das mich irgendwie be_rührt: “Kontakt”.”

Heute morgen brodelte der Wasserkocher.
Und zum ersten Mal seit Jahren war da nur der Gedanke, vorsichtig zu sein.
Um sich nicht zu verletzen.

gute Sätze

Vielleicht war es die beste Idee, die uns bisher je gekommen ist, wenn wir darüber nachdenken mussten, was uns hilft, wenn wir mit unseren Aktivitäten zur Selbsthilfe nicht weiterkommen.

Die Frage: Was genau soll sich warum verändern? Worum genau geht es?

Wir haben irgendwann gemerkt, dass die ersten Kognitionen in schwierigen Zuständen die gleichen Kognitionen sind, die es in einer traumatischen Situation gab: Es soll aufhören. Bitte mach, das es aufhört. Jemand soll machen, dass es aufhört. Ich kann nicht mehr. Ich bin ausgeliefert.
In der Reihenfolge.

Wir haben aufgehört “Es soll aufhören” als Erstes festzuhalten, nur weil es ein klarer und fester Gedanke und Wille  inmitten von Ohrensausen, Flirren vor den Augen, einem Puls der mit seinem Wummern den Hals verengt und diesen Wahrheiten, die die Sprache verschlagen, ist.
“Es soll aufhören” ist ein Reflex. Sinnlos, wie die Arme schützend vor den Kopf zu heben und die inneren Stahlwände zuknallen zu lassen, wenn nur ein Erinnern an eine Bedrohung passiert.

“Es soll nicht mehr weh tun.” ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, was denn weh tut. Und ob es das wirklich tut. Und wenn ja, was die konkrete Lage ist. Was genau ist da, jetzt und hier, wo es weh tut?

”Es soll mich nicht mehr ängstigen.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich fragen muss, wovor man Angst hat. Oder Furcht. Und dann kann man ein Rechenspiel machen. Eine riesengroße Wahrscheinlichkeitenmatrix kann man sich dann bauen. Und ist erstmal beschäftigt. Weil Rechnen hinter der Stirn passiert und Furcht in der unteren Mitte des Kopfinneren.

“Es soll nicht mehr verwirrend/verunsichernd sein.”, ist ein guter Satz.
Weil man sich erinnern kann, dass alles einen Anfang und ein Ende hat. Und hatte.
Dass die Welt ein Oben und ein Unten kennt, ein Gestern und ein Heute.

Irgendwann kam die Idee auf, von der Therapeutin versichert zu werden, ohne, dass wir länger mit ihr telefonieren oder um einen Krisentermin bitten müssen. Es entstand das Vorgehen, ihr einen Stein zu geben und ihn in der darauf folgenden Stunde wieder abzuholen.
Wir rufen an, sagen, dass wir das gern tun würden, sie sagt, wann das geht und wir fahren entsprechend los. Durch die bekannte Stadt, vorbei an bekannten Geschäften, umgeben von vielen kleinen Alltagswundern. Gehen zur Praxis, klingeln und sagen “Hallo”. Geben ihr den Eulenstein, sagen “Tschüss” und gehen durch den bekannten Wald zurück nach Hause. Wir atmen, wir teilen unsere Blicke und wuchern mit jeder vergehenden Minute mehr zurück in die Sicherheit des Augenblicks.
Weil sie uns sagen würde, wäre das Heute kaputt. Sie wäre nicht da, gäbe es das Jetzt nicht. Die Stadt würde anders aussehen, wäre es nicht diese Stadt.
Den Wald gibt es nur hier.

Es war die perfekte Idee um dem schlimmsten guten Satz zu begegnen.
“Ich will nicht allein sein mit dem Horror (nicht sicher zu wissen, ob er je aufgehört hat).”

Babythemen

Der Frühling naht, die Babythemen nehmen zu. Und die Diätwerbung auch.

In den letzten Wochen denke ich selbst öfter darüber nach, eine Planung für die nächsten 3 bis 5 Jahre zu machen. Weil ich mir diesmal wirklich Hoffnungen auf den Ausbildungsplatz mache. Und merke, wie sich diese Hoffnung auf eine Gastfamilie und die Therapie überträgt.
Wenn ich nicht gerade Angst habe, dass das alles wirklich klappen könnte und entsprechende Ressourcen von mir abverlangt, dann denke ich mir, wie das laufen könnte.

Wir gehen 3 Jahre zur Schule und können dann richtig gute Sachen machen, mit denen wir Geld verdienen können. Dann ist NakNak* 10 Jahre alt und vielleicht nicht mehr “Border Collie-aktiv” sondern “normaler Hund- aktiv”.
Ich könnte über eine Schwangerschaft nachdenken. Über ein über 9 Monate in mir wachsendes Organ, das ich gebäre und dann als “Baby” bezeichne. Dann begänne ein neuer Alltag, der sich über verschiedene Entwicklungsdekaden des Babys verändert und der wiederum von uns Ressourcen abverlangt, denen wir uns hoffentlich bewusst bleiben können.
Während all dem wird sich die Rolle unseres Seins und unserer Traumatisierung verändern. Und vielleicht denke ich deshalb genau jetzt gerade darüber nach.

Im Moment muss die Traumatisierung für vieles herhalten, was wir nicht können oder schaffen. Oft geht es darum die Traumatisierung als das zu erkennen, was macht, dass sowohl die Dinge die uns schaden, weil wir sie nicht verhindern (Selbstverletzung, Essstörung, diverse soziale Schwierigkeiten), als auch die Dinge, die uns schaden, weil wir sie nicht verhindern können (Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Unfähigkeit in derzeit gegebenen Strukturen arbeiten zu können und deshalb auf Hartz 4 angewiesen zu sein) passieren.
Dabei ist es seltenst wirklich die Traumatisierung, die unsere Schwierigkeiten begründet, sondern unsere Versuche damit in einem spezifischen sozialen Kontext umzugehen.

Wenn man ein Kind gebiert, wird man zu einer Mutter und damit in eine soziale Rolle gedrückt, in der eine bestehende Traumatisierung und jedweder Umgang damit a) nur falsch und b) nur unzureichend sein kann. Weil Mütter allgemein in so ziemlich allem was sie tun in erster Linie als a) (auch) falsch und b) nur unzureichend gelten.
Obwohl und gleichzeitig gerade weil sie a) für alles rund um das Kind, sich selbst und ihren sozialen Kosmos (allein)verantwortlich sind und b) einem in aller Regel nur durch Kritik gestalteten Rahmen von den Erwartungen um das erfahren, was als “ausreichend” gilt.

Mutterschaft ist eine der sozialen Rollen, die man getrost als schizophren bezeichnen kann, ohne eine unangebrachte Pathologisierung vorzunehmen.
In unserer westlichen Gesellschaft ist Mutterschaft selten und dadurch etwas, das von Anfang an als etwas gilt, dass es zu perfektionieren und optimieren gilt. Und genau dort beginnt bereits die Arbeit daran Menschenkörper und ihre Arbeit am Wachstum eines Fötus zu kritisieren.

Wie oft lese ich in Foren von schwangeren Personen, die bei einem der tausend Checks und Tests und Untersuchungen im Hoheitsgebiet der Gynäkologie vom zu kleinen oder zu großen Fötus hören, von vielleicht nicht normgerechten Nackenfalten und so vielem mehr. Und dann sind da noch die ganzen Zahlen, die mit dem eigenen Blut in die Plasteröhrchen fließen, die vielleicht hier und da zu hoch oder zu niedrig, in den wenigstens Fällen aber einfach okay sind.
Und dann die Geburt. Unter der viele Menschen überwiegend Angst haben und nur wenige schlichte Neugier und Aufregung darüber, wie sie es schaffen mit der Herausforderung umzugehen.
Und dann die Menschen, die sich nie wohl fühlen können, weil sie permanent misgendert werden. Weil sie keine Frau sind und es doch niemanden schert, denn Schwangerschaft gilt als “Frauensache”.

Ich glaube, dass Schwanger- und Mutterschaft etwas ist, das, so wie es gerade behandelt wird, zu Gefühlen von „sich selbst fremd und fern sein“ führen kann und deshalb zwangsläufig zu etwas werden muss, dass sich unkontrolliert und fremdbestimmt anfühlt.
Und, weil es diese Abwertung bestehender ganz eigener Fähigkeit- und Fertigkeiten, wie Ressourcen gibt, auch noch das Gefühl, dass es eine stetige Kontrolle, Kritik und permanente Selbstoptimierung braucht, um überhaupt irgendwas annähernd in Richtung “okay” zu Stande zu kriegen.
Wie viele zu Eltern gewordene Menschen finden sich 10 Jahre später wieder in einer mittelgroßen Wohnung, in einem mittelsicheren Leben, in einem mittelständischem Bürgerleben und sagen: “Ich habe das nie gewollt.” – ohne sich gleichermaßen trauen zu können dem noch anzustellen: “Ich habe das aber gebraucht und ich brauche das auch jetzt um mich wieder neu zu entdecken.“

Ich schiebe meinen Kinderwunsch und meine Gedanken über das Leben in 3-5 Jahren nicht auf mein Alter und auf Hormone. Ich schiebe es auf mein Gefühl von mehr Sicherheit und mehr Nähe zur üblichen Norm, wenn ich mit einem Ein- und einem Auskommen rechnen kann.
Ich schiebe es darauf, dass ich in meiner Vorstellung mehr Optionen auf selbstbestimmte Entscheidungen habe, in denen ich mich von außen versichern lassen kann.
Wenn und falls ich das überhaupt möchte.
Und ich schiebe es darauf, zu wissen wie Wahnsinn funktioniert und wie wenig dieser in mir allein verankert ist, selbst wenn mir die ganze Welt das Gegenteil sagt.

Da ist ja nämlich auch noch die Idee vom Irre-sein als virulentes und vererbbares Ereignis.
Der Gedanke, eine psychische Belastung der Mutter übertrüge sich immer und in jedem Fall automatisch auf das Kind. Was übrigens ein sehr praktischer Gedanke ist, wenn man a) Kinder als hilflose durch und durch inkompetente und zum Selbstschutz unfähige Wesen betrachtet (sie in ihren Fähig- und Fertigkeiten also komplett missachtet und ignoriert) und b) die Mutter als mächtige Trägerin einer malignen Energie sehen will (noch jemand ohne Hexenassoziation?)

Und natürlich, wie immer, die Idee, dass eine Krankheit immer nur einen Hauptwohnsitz hat.
Es gibt zu wenig die sozialen Kontexte anerkennende Haltungen gegenüber Belastungen jeder Art. Ein Symptom ist noch keine Krankheit und nicht jede Krankheit zeigt sich in Symptomen an denen, die ein Leiden formulieren.

Wir leiden wie gesagt nicht unter der DIS. Wir leiden an den Traumaverarbeitungsversuchen unseres Gehirns, weil sie unser Er_Leben dysfunktional machen. Und darauf reagieren wir. Und so gestaltet sich unser Sein.
Es ist der Gestaltung des Seins anderer Menschen so so so ähnlich.

Es macht mich den Gedanken und Wünschen anderer Menschen so ähnlich.
Ich denke über eine Schwangerschaft nach, weil ich das gerne möchte. Ganz egoistisch. Weil ich neugierig bin, wie das so ist Mutter von einem lebenden Kind zu sein und die Entwicklung eines Menschen ganz direkt miterleben zu dürfen bis ich sterbe oder dieser Mensch stirbt. Oder ich es nicht mehr miterleben soll oder kann. Oder.

Die gesamte westliche Kultur um Mutterschaft ist nicht auf Menschen wie uns ausgelegt. Der ganze Zirkus in pastell und Schulddynamik meint uns nicht. Natürlich wird er nach uns greifen und natürlich gehen wir durch die gleichen Episoden wie ganz viele zu Müttern erklärte Menschen vor uns.
Aber wir haben nicht den Angstgegner “Schuld”, “Wahnsinn” oder “Isolation”.
Wir haben nur Angst vor der Angst.
Und wissen wie sehr uns das privilegiert.

Vielleicht ist das am Ende der einzige Unterschied, den die Traumatisierungen begründen.
Wir sind schon durch mit Schuld, Wahnsinn und Isolation.
Irgendwie.

Ich weiß es nicht.
Aber ich muss es ja auch noch nicht wissen. Im Moment kann ich einfach noch jede Menge Unkraut denken und in meine Fantasien mulchen.

(und noch mindestens 3 Wochen auf Rückmeldung zur Bewerbung warten T-T)

slide of „Überlebenskampf“

Wir haben gestern an der Nähmaschine zu nähen gelernt und ich habe etwas verstanden.

Die ersten Ideen dazu kamen schon in den Überlegungen zu der Radtour, die wir für den Mai planen. Während ich keinen Anlass sehe zu lernen, wie man Regenwasser sammelt und aus jungen Bäumen eine Bettstatt baut, weil es Zeltplätze und überall* sauberes Leitungswasser gibt, sind Teile meines Innenlebens von 0 auf eine Zillion in Vollbereitschaft jetztgleichsofortzackzack ohne alles über Wochen und Monate draußen zu leben.
Für diese Innens gehts ums Überleben, obwohl es für uns andere als Reiz- und Menschendiät gedacht ist. Also genau ganz viel weniger Notwendigkeit in einem bestimmten Überlebensmodus zu sein.

Wir sind also irgendwie alle immer und immernoch im Überlebensmodus.
Die einen sehr auffällig aus Zeit und Raum gefallen, die nächsten sehr auffällig in Ängste und Sorgen gerutscht, die nächsten einfach wissbegierig, aber auch wissend, dass die Erkenntnis (nur/häufig) in Abhängigkeit von anderen Menschen kommen kann, was wiederum eine Bedrohung für die eigene Existenz bedeutet.

In der letzten Woche habe ich mich oft vor dem Innen gefürchtet, weil ich eine hohe Bereitschaft in suizidale Ideen zu kippen spürte, obwohl es keine fremden oder neuen Belastungen gab. Und nicht gesehen habe, dass ich mich in einem Überlebensmodus bewegt habe – ding ding ding Helferversagen und Hilfekrämpfe.
Ich hatte wieder einmal, weil von außen keine Bestätigung über die Berechtigung (und darüber eine Beruhigung) meines Empfindens kam, aufgehört darauf zu pochen entlastet und versichert zu werden und die Ärmel hochgekrempelt, um es selbst zu machen. Wie ich alles selbst mache. Weil ich es ja kann. Obwohl mein Inneres schreit und brüllt und krampft, dass es nicht kann.

Und jetzt hab ich auch noch gelernt zu nähen. Weil: dann kann ich mir ja so eine schwere Decke selber nähen und brauche weder den Begleitermenschen und seine schwere Turnmatte, noch den Antrag auf Leistungen aus dem FSM, die so eine Decke ermöglichen sollen.

Man liest so oft von den Vielen, die immer so verzweifelt ums Überleben kämpfen und übersieht dann die Kämpfe, nach Ausstieg, nach konkreten Verletzungs- Gewalterfahrungen, die eigentlich noch so viel näher liegen.
Selbst die Innens mit ihrem eingeübten Survivaltraining zum Überleben ohne Strom und fließend Wasser, sind keine versprengt desorientierten  Kinderinnens, die im übertragenden Sinne ihres Handelns nach Mami greinen, weil sie Angst davor haben zu verhungern.
Das sind die, die man im Fall der Fälle hoch achtet und sich ihnen überlässt, weil sie wissen, was warum und wie zu tun ist.  Das sind die, deren Kampf darin besteht, diese “von 0 auf eine Zillion –Jetztgleichsofortzackzackvollbereitschaft” nicht zu verlieren, weil sie für den Überlebenskampf “sich auf eine andere Person verlassen, die eventuell vielleicht (wenn die Gestirne recht am Himmel stehen und das Spagettimonster gekräuselte Locken hat) weiß, was zu tun ist” keinerlei Handlungsoption kennen.

Dann ist es plötzlich kein Kampf ums Überleben mehr, wenn man sich stellvertretend für Sozialarbeiter_innen, Helfer_innen, Mediziner_innen und Jurist_innen in ein intersektional-eklektisches Selbststudium wirft, aber Hartz 4 bezieht und nicht mal ein Abitur hat.
Das ist dann “ganz tolle Compliance”, “total gute (kostenlose) Hilfe”, “super engagiertes Ehrenamt” oder noch mit am schlimmsten: “Inspirationporn” für die, die sich selbst für schwach halten, weil sie “sowas selbst nie aushalten/ertragen/überleben könnten” bzw. glauben, sie könnten das nicht, gerade weil sie es nie selbst aushalten/ertragen/überleben mussten oder anerkennen wollen/können/dürfen, dass sie es sehr wohl schon mussten und auch konnten.

So wird aus dem Überlebenskampf eines Innens eine zugeschriebene Eigenschaft: “stark” und es gibt Dialoge wie:
“Es erstaunt mich wie so eine schwer kranke Frau noch nie hier auf unserer psychiatrischen Krisenstation war.”
– “Sie ist halt eine starke Frau”

Ja, an diesem Wortwechsel habe ich einen Dorn und inzwischen nicht einmal mehr, weil ich dachte, dass unserer Therapeutin einfach nichts anderes eingefallen ist, sondern dass ich argwöhne, ob sie noch mitzieht, wenn die Ärmel-hoch-K., die jeden und alle mit Worten und Intellekt an die Wand ballern kann, aufhört und ebenfalls ihre Löffel einspart, weil: suddenly Therapiefortschritte.
Was ist denn wohl, wenn man über uns als Einsmensch nicht mehr sagen kann: “Sie ist eine starke Frau – gucken sie mal, was sie alles kann und macht – es lohnt sich total mit ihr zu arbeiten, weil: es ist super befriedigend (und inspirierend)”.

Was ist, wenn wir schwach sind, weil wir schwach sind?
Wenn von all dem womit man eine DIS aufpusten und mysteriös spannend special machen kann, um sich in jahrelange Traumaverarbeitung against Richtlinie und gesamtgesellschaftliche Wertschätzung dessen zu motivieren, ein verletztes und dysfunktionales Ex-Opfer übrig bleibt, das nicht einmal in der Lage ist Hilfen anzunehmen, weil es das einfach gar nicht kann.

Ich glaube, es wird unterschätzt wie viele Fähigkeiten so eine (Psychotrauma-)Psychotherapie erfordert. Wie sehr Therapie und Hilfe nicht barrierefrei sind.
Unsere Therapeutin hätte sagen müssen: “Frau Rosenblatt kämpft ums Überleben.”

Aber vielleicht hatte sie das für einen Moment vergessen.

Und – wie ich ebenfalls in der letzten Woche lernte – merkt man uns (mir) nicht einmal dann das Kämpfen an, wenn ich es sage.
Wenn ich es auf meine Art rausschreie, brülle, krampfe.
Nicht mal dann.