über Suizid, Ohnmacht und Hilfe, die (für mich) keine Hilfe ist

Gibt es ein heißeres Eisen als den Suizid?
All die Verantwortung! All die Schuld!

und niemand sagt: all das Leben- all der Tod, all diese Unkontrolle, all diese Machtlosigkeit, all diese eine letzte Freiheit, die sich nimmt, wer sie sich noch zu nehmen in der Lage ist.

Meine, unsere Lebenssituation entspricht aktuell im Großen und Ganzen der, der 18 Jährigen damals noch nicht einmal C. Rosenblatt, sondern “Fremdbezeichnung die man halt angibt, weil alle ™ (die Mächtigen) sie verwenden”.
Irgendwie war das Einzige, was noch fehlte eine Person, die sich ganz genau so verhält, wie unsere damalige Betreuerin: opportunistisch, fremd, unempathisch, schuldzentriert und – das Schlimmste: der festen Überzeugung, doch nur das Beste zu wollen und zu tun- nämlich “helfen”.
Selbstverständlich über unseren Kopf hinweg. Selbstverständlich, ohne dafür in irgendeiner Form die Verantwortung mir gegenüber anzunehmen. Und – auch das versteht sich von selbst- ohne einen eigenen Anteil von mir wegzunehmen und bei sich allein zu verorten.

Es ist das Schlimmste, in solchen Situationen – in denen ich selbst von meinem Kopf überrascht bin, dass es den Wunsch nach einem “ich will weg sein” gibt und gucken muss, wie ich das regle, wo ich mir welche Hilfe hole und Ressourcen aktiviert bekomme- von “Hilfe” umgeben bin, die nur eines zum Ziel hat: “Unter gar keinen Umständen Schuld entstehen lassen!”.

Es ist jetzt 12 Jahre her, dass ich das erste Mal mit einer pulsenden Schnittwunde am Handgelenk und den Bauch voller Tabletten mitten in der Stadt stand und an einer Telefonzelle auf den Krankenwagen wartete.
Die Sanitäter waren nett und gaben mir ein Brechmittel zu trinken, während sie die leeren Blister abzählten und meine Wunde verbanden.
“Was war der Auslöser?”, hatten sie gefragt.
Und ich?
Ich saß da  mit meinem ganzen Paket auf dem Rücken, das ich spürte, aber nicht benennen konnte, und sie fragten, nach diesem einen Auslöser. Eine Polizistin kam dazu und erzählte mir nach einem Blick auf den anderen Arm, dass sie sich früher ja auch immer mal geritzt hätte, aber dass das wieder vorbeigegangen sei. Später. Dann halt.
Ihr Kollege erzählte mir davon, wie schön das Morgen sein würde. Ganz sicher.

Ich hatte ihn die ganze Nacht im Ohr, nachdem mir in der Notaufnahme zwangsweise ein Schlauch in den Magen eingeführt wurde, um ihn mit Aktivkohle zu füllen. Ich war an dieser Trage fixiert, blutete aus der Nase, heulte wie ein Schlosshund und alles, was ich wollte war:
sterben.

Überraschend, ne?
Ja, auf dieses Morgen, das auf dieser ewig piepsenden und trotzdem totbringend stillen Intensivstation irgendwie mit dem Gestern verschmolz und für mich nicht einen einzigen Unterschied erkennen ließ- auch auf dieses Morgen, hätte ich gerne all die Aktivkohle, die ich noch immer trinken sollte, gekotzt und ihm an den Ostersamstagsfrühstückstisch servieren lassen.
Mein Morgen tat weh, mir war schlecht und seltsam schwindelig und nichts hatte sich verändert.
Ich war immer noch da. Da war immer noch niemand, der mein DAS DA einfach fühlt und aus meinem Päckchen rausholt.
Das Einzige, was sich mit den Menschen an mein Krankenbett gewälzt hatte, waren die Themen “Schuld” und “Verantwortung”.
Selbstverständlich synonym verwendet und als Genesungsgeschenk an mich überreicht.
Wer differenziert denn bitte, wenn es um Leben und Tod geht?

Sie fragten nach dem Auslöser. Suchten in der Schule, zu Hause, in mir selbst drin.
Und ich war so leergekotzt, ausgeblutet und so fremd(wieder)belebt, das beim besten Willen nichts mehr zu finden war.

Ich wurde am Ostersonntag entlassen.
Erste Amtshandlung: die Großeltern besuchen. “Und du sagst nichts darüber, klar?”, raunte meine Mutter, als wir die Station verließen.
– Klar, was hätte ich auch sagen sollen?
Dass ich Hilfe brauche?

Ich war 15 Jahre alt und mein erster ernsthaft gefährlicher Suizidversuch endete mit meiner Entscheidung “Hilfe” zu holen. Und diese Hilfe lieferte mir mehr Gründe mich dem Leben und dem Dasein nicht gewachsen zu fühlen, als alles, was ich mir vorher hätte vorstellen können in meinem klitzekleinen Alltagsbewusstseinskosmos.

Dass ich keinerlei Erinnerung daran hatte, wo oder wann oder womit oder was genau ich da eigentlich geschluckt hatte… niemand hatte daran gedacht, dass es so hätte sein können.
Es dauerte noch x – suizidale Gesten bzw. Versuche bis diese Frage Raum bekam. Bis ich sagen konnte: Ich war das nicht, das war XY- ich bin nur die, die immer für “Hilfe” sorgt.

In den letzten Jahren, war XY nicht mehr oft “da”.
Hier und da schwebt sie ganz dicht an der Oberfläche und alarmiert uns mit ihrem Sirenengeheul über jedes “zu viel”, jede Angst, jeden Bedarf nach Nähe. Wir hören und spüren sie inzwischen sehr genau und agieren entsprechend nach Außen.
Es gibt keine bessere Suizidprävention, als zu äußern, dass man suizidal ist.

Genau dann hat man nämlich noch den Raum zu sagen: “Ich bin überfordert. Ich spüre keine Kraft allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich habe Angst vor mir, meinem Sein, meinem Leben, meinem Wünschen, meinem Fühlen, meinem Denken, meinem Erinnern. Ich habe das Gefühl nicht atmen zu können. Ich bin überreizt und heiß gelaufen. Ich kann nicht mehr.” , dann kann man in einen Austausch kommen, wie dies zu verändern sein kann.
Uns hat das immer geholfen und entsprechend rabiat sind wir in der Hinsicht.

Wir wissen, dass es uns hilft, feste Punkte zu haben. Termine von Tag zu Tag, Vorhaben und niederschwellige Tagesziele, Problemlösungsetappen, die nicht in allzu ferner Zukunft liegen. Dazwischen essen wir Schrott mit so vielen Kohlehydraten wie es geht, liegen im Bett, lesen Trullaromane und machen Kunst in Wort, Ton, Farbe oder Bewegung. Das Denken wird auf kleine Schritte reduziert und der Fokus verengt sich auf Themenaspekte.
Wer schon mal in einer Psychiatrie oder Tagesklinik war, wird Parallelen sehen, eine Komponente aber als fehlend markieren: andere Menschen.

Wenn wir in einer suizidalen Krise sind, dann sind Menschen das größte Risiko ever.
Es ist und bleibt unsere Freiheit- unsere ureigene Entscheidung, ob wir uns suizidieren oder nicht. Wir allein sind unsere Richter_innen über unser Dasein und niemand sonst.
WIE wir leben, das bestimmen wir nicht. Wir können unsere Belastungen nicht regulieren, wie wir das wollen, treffen zig Entscheidungen am Tag, die weder uns im Zentrum noch im Ziel haben. Wir können versuchen uns jede Hilfe zu holen, die uns zu so etwas, wie einem “(lebens- _werten_) Leben” kommen lässt bzw. uns unterstützt uns dieses zu erkämpfen.
Aber, das OB, lassen wir uns nicht mehr in Frage stellen.
Genau das tun aber Menschen, die arrogant genug sind zu denken, Menschen müssten für mehr als sich selbst leben oder sein. Müssten irgendwie mehr als nur sie selbst sein, vor allem, wenn sie nicht sind, wie alle anderen ™.

An dieser Stelle beginnt die Gewalt der Hilfe. Die Folter der Psychiatrie.
Jemandem gegen seinen Willen etwas auszusetzen, was diesem (und seien es subjektiv wahrgenommene) Schäden bereitet, ist Gewalt.
Jemanden irgendwo gegen seinen Willen festzuhalten, damit dieser sich nicht tötet und ihn erst wieder frei zu lassen, wenn er überzeugend (Täter_innenloyal bzw. angepasst an Täter_innenwillen) äußert, er würde nicht tun, was er vorher aber eigentlich tun wollte, ist Folter und damit eine Form der Gewalt, die weder mit fundamentalen Menschenrechten noch Respekt vor der Lebensrealität anderer Menschen vereinbar ist.

Heute war ein Tag für mich, an dem ich so viel Gewalt ausgesetzt war, wie zuletzt als Jugendliche.
Allein das triggert in mir so ein übles Grundgefühl von Schwäche und Ohnmacht hoch, dass mir die Anforderungen vor denen ich bereits vorher mit großen Bambiaugen stand, noch größer, noch schwieriger zu bewältigen erscheinen.

Da klingelt es und zwei bewaffnete Männer in blau kommen in meine Wohnung.
In der ich alleine bin.
Unbewaffnet und getriggert bis zum Anschlag.
Ich hätte eine Suiziddrohung gegen jemanden ausgesprochen.
Pling- ein weiteres Bingo auf der IchbinsoeinMonster-Bullshitbingokarte

Sie wären ja nur da um jemanden herzuschicken, der das besser beurteilen kann als sie (und ich muahaha), ob ich nicht doch besser woanders Hilfe bekommen sollte.

Ich rufe an, wer diesen Aufriss verursachte. Doch dieser Mensch will damit nichts mehr zu tun haben.
MenschensindgefährlicheTiere-WerbrauchtMenschen-GucktsosindMenschen- Bingo- Pling

und das Tempo nimmt nicht ab. Genau das, was mich fertig macht- all diese ganze von _Ein_fachheit getragene Ignoranz meiner Lebensrealität, all diese Missachtung vor unserem Rasen auf Hochtouren durch ein Labyrinth auf der Suche nach Aus_Wegen_ , die mich nach Möglichkeit in Richtung “lebenswerte Zukunft” bringen- alles das kommt dann sachlich vorgetragen an einer Kette aufgereiht aus den Polizisten heraus, die sich eigentlich so vielen anderen – größeren, wichtigeren, werteren Dingen, Menschen, Umständen widmen sollten.
“Ja, aber sie müssen doch… ” … “Man muss sich ja auch mal ein bisschen bemühen in diesem Leben” … “Haben sie denn nicht nochmal vor irgendwas aus ihrem Leben zu machen?”

und noch immer ist niemand bei mir

Ich bin wieder 15 Jahre alt und sehe meinen Rechten auf Selbstbestimmung hinterher.
Da ist niemand der mich oder wenigstens meine Hand hält.
Da ist niemand, außer diese stolze Löwin aus Feuer, die aus meiner Asche rausschießt, um uns vor all der Gewalt, die wir schon in Kliniken erlebt haben zu bewahren und verpufft, als alles vorbei ist.

Das Zittern hielt die ganze Nacht. Geschlafen haben wir zwei Stunden.
Unsere Wohnung fühlt sich nicht mehr okay an.
Ich habe Schmerzen.
Ich glaube, ich habe meine Therapeutin angebrüllt.
Ich glaube, ich habe in den letzten 24 Stunden so viele Teenagertränen geweint, wie noch nie.

So ist das halt, wenn Hilfe zur Gewalt wird.
Wenn Helfer_innen zu Täter_innen werden.
So ist es, wenn man Menschen zu nah kommt.

Einfach lassen.
Kommen und gehen lassen.
Nicht halten.

Dann tuts auch nicht so weh, wenn man nach 9 Jahren so etwas wie Abschied macht.

Und nach ganz viel Ausstieg, die Geschichte mit dem Einstieg in ein Leben “danach”
noch einmal ganz neu anfängt.

 

 

P.S. für Angehörige suizidaler Menschen
1) Alle Menschen gehören nur sich selbst!
Mach dir klar, wieso genau du den Suizid deines Angehörigen verhindern möchtest. Geht es um dich, oder um diesen Menschen?
2) Der Auslöser für die Gedanken/ den Wunsch wird nichts sein, was mit einem Fingerschnipsen lösbar ist- es geht um Kraft und Mut, an eine Lösung zu glauben bzw. eine zu entwickeln und umzusetzen. Vermittle die Möglichkeit dazu mit ganz platten Handlungsschritten- ohne jedoch deinem Angehörigen zu sagen er/sie wäre “eine starke Person”- er/sie fühlt sich nicht so und zu hohe Ansprüche Außenstehender sind evtl. nicht hilfreich.
3) Du bist verantwortlich für die Hilfen, die du deinem Angehörigen zukommen lässt, wenn dieser sich nicht darum kümmern kann. Lass ihn nicht alleine mit Polizei/ Krisendienst/ Mediziner_innen – das sind Menschen, die ihren Job machen- kein Grund das Leben als lebbar wahrzunehmen.
4) Es gibt kein “wenn alles vorbei ist”. Auch nach der Krise/ einer Klinikentlassung/ Besuch von Krisendienst und Polizei zu Hause, ist nicht gleich alles gut.
5) Es ist nicht deine Schuld und es ist nicht deine Verantwortung, wenn ein anderer Mensch sich gegen sein Leben entscheidet.
6) Es ist nicht die Schuld der Familie/ der Gesellschaft ™ / des Systems, wenn ein Mensch sich selbst tötet.
7) Gedanken an den Tod bedeuten auch: Gedanken an das Leben Vielleicht findet ihr im Gespräch einen Gedanken, der richtig viel verborgene Kraft in sich trägt
8) Sei ehrlich und bleibe ehrlich. Wenn du dich überfordert fühlst, such dir Hilfe und/ oder Beistand, um diese Situation zu bewältigen.
9) Frage deinen Angehörigen, was ihm helfen könnte.
10) Sprachführung: von Suizid ist wenn überhaupt einzig diese/r Angehörige “bedroht” – Selbstmord gibt es nicht, Mord ist Mord
11) ? Vielleicht will irgendjemand der den Artikel gelesen hat, schreiben, was für ihn/sie einmal von helfenden Menschen gut und hilfreich war.

und . und . und .

Resilienz “Ich bin grad leicht zu erschrecken”, hatte ich gesagt.
Dachte: “Ich werde an einer Krankheit sterben, die einen komplizierten Doppelnamen mit “Syndrom” hinten dran hat. Ich muss zum Arzt- ich brauche Hilfe. Jetzt.”.

Und weiß Stunden später: Ich bin getriggert.
Der Gedanke ans Sterben, diese Einbahnstraße, die ich doch immer wieder überhaupt betrete, weil Sterben so viel Ähnlichkeit mit Stopp hat.
Ich denke die ganze Zeit: Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

 

und

 

es

 

hört

 

nicht

 

auf

 

Der Gedanke an Hilfe, die Stopp machen soll. Jetzt.
Dieses Jetzt, das so keinen Millimeter Platz für “gleich” hat. Kein Quäntchen Raum für “ChipkarteNameGeburtsdatumAdresseWiesohabenSieeinenvernarbtenKörperMachenSiePsychotherapie?” erübrigt.
Diese Hilfe, die mein Leben rettet, während sie seine Ränder abschneidet und mit dem Hacken auf dem Boden verreibt.
Pulverisiert.
Zersplittermultipliziert.

Und nichts verändert, denn es ist doch irgendwie das Gleiche, wie das Gegenteil von Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

Ich bin getriggert und in den Hyperarousel gekippt.
NakNak* schläft neben mir, das Laptop summt und irgendeine Macht beißt mir ein Loch nach dem anderen in den Beckenboden.

Ich kann malen. Ich kann denken. Ich kann Skills runter- und G’tt anbeten.
Ich kann alles, was ich will.
Außer machen, dass es aufhört.

Von Schwester Britta weiß ich, wie man Pulse zählt.
Von Doktor House weiß ich, was eine Carotismassage ist.
Von Emergency Room weiß ich, dass es super ist, so etwas mal zu können.
Im Notfall.
Wenn Sterben ein Thema ist und wie ein Klangteppich aus Piepsen und Synthesizern über der Szenerie wabert.

167
158
153
150
145 Pulspochklopfer von unter der nerventoten Haut an meinem Handgelenk
Wie das Herz eines Tierchens, das ich mit der Bewegung streichle.

Ich schaue mir Pickeldy und Fredrick an und amüsiere mich.
Ich lache und lasse eine riesenhafte Faust meinen Leib aushöhlen, wie einen Kürbis.

Lachen ist gesund. Wirkt auf den Blutdruck ein.
Es macht das auffällige Tierchen in meinem Hals zu einer friedlich schlummernden Kugel nahe am Kiefergelenk.

Dann war ich allein mit meinem Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.
Dem
Bitte
ohne Satzzeichen
ohne Adressat
ohne Briefmarke drauf

in einer Flaschenpost durch meinen Kopf

Diesem Bitte und Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt, mit dem ich mein Hier und Heute verkorke.
Mir eine Insel erschaffe, auf der ich mir die Dauerwerbesendung zur Illusion der Macht über sich selbst anschaue.

Mir Gedanken zur Theorie des Stoppsterbens mache und eine zweite Ibuprofen zusammen mit der Notfallmedikation in das schwarzblutende Loch unter meiner Brust fallen lasse.

“Ist gleich vorbei. Gleich schlafen. Gleich. und Bald. und Ja. und Schlafen. und Gleich.”, sage ich dem winselnden Klumpen rohen Fleisches unter meinem Menschenkostüm und warte mein Warten.

“Wir sind Viele” ~ Teil 4 ~

 ent-wicklung Karl Heinz Brisch war akut verhindert, so dass sein Vortrag “Täter oder bindungsgestörte Kinder?” leider entfiel.
Für ihn trat Michaela Huber auf das Podium mit ihrem Beitrag “Viele im Netz der Pädokriminalität”.

Ich nehme die Vorträge von Michaela Huber immer sehr klar und rund wahr. Es ist gut zu unterscheiden, wann sie Perlen und Edelsteine aus ihrem 30 jährigen Erfahrungsschatz in der Behandlung und Auseinandersetzung mit dem Themenbereich der Folgen schwerer Traumatisierungen beschreibt und wann sie diese mit Sachinformationen, auch anderer ForscherInnen und BehandlerInnen zusammenfügt, um ein wenig starres Bild entstehen zu lassen.

Sie setzt nicht auf dramatische Schilderungen, um große Gefühle zu erzeugen, sondern benennt, was andere nicht zu benennen wagen.
Für mich persönlich, bildet genau dies den wertvollen Kern auch dieses Vortrages, der wie viele ihrer Vorträge auf ihrer Homepage zu finden sein wird.

 

Nach einer Kaffeepause referierte Prof. Dr. Plassmann, Leiter der Kitzbergklinik, Bad Mergentheim, über die “stationäre Therapie bei Komplextrauma”.
Es wurde ein Vortrag dem zu folgen war, dem aber meiner Meinung nach, einige Stichworte und Schemata auf Folie wirklich gut getan hätten.

Er benannte eine Form der Dissoziation, die seiner Auffassung nach, noch nicht genug aufgegriffen wird und zwar die Dissoziation, die mit kompensatorischen Verhaltensweisen wie zum Beispiel Süchten hervorgerufen und aufrecht erhalten wird.
Ein spannender Ansatz, den ich persönlich gerne weiter verfolgt hätte, der aber in seinem losen Faden irgendwo mitten im Vortrag endete und nicht mehr aufgegriffen wurde. Er beschrieb das Konzept “seiner” Klinik zur Behandlung dissoziativer Störungen und Traumafolgestörungen allgemein.
Ernüchterung bei mir: 4 Phasen- Modell und Protokolle zur Symptomassoziation.

Das 4 Phasen- Modell klingt für mich im Grundsatz hilfreich und als logische Konsequenz aus dem, was posttraumatische Belastungsstörungen mit sich bringen. So wird in Phase 1 stabilisiert; in Phase 2 Ressourcen in den Überlebenden (wieder)entdeckt und als Hilfe zur Selbsthilfe etabliert; während in Phase 3 die Traumaexposition ansteht und in Phase 4 die Reorientierung in den Alltag und innere Neukonstruktion Thema wird.
Schöne, wirklich wunderschöne Theorie – die Praxis raucht vor der Eingangstür und lacht, dass ihr Bauch wackelt.
Letztes Jahr erst, sprach die Psychologin Sabine Drebes in einem Vortrag zur stationären Behandlung bei komplexen Traumatisierungen (dort die Klinik für Psychotherapie und psychosomatischer Medizin des evangelischen Johanneskrankenhaus Bielefeld) an, dass durch die begrenzten Finanzierungen der Kassen derzeit nur etwa 30% der PatientInnen überhaupt die Phase 3 durchlaufen. Sie werden entlassen und zu einem späteren Zeitpunkt (aktuell allgemein Wartezeit zwischen zwei Aufnahmen 1 bis 1,5 Jahre!) zur eben jener Behandlung nach Phase 3 wieder aufgenommen – wo sie sich in welchem Zustand befinden? Richtig- mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem, der eher eine Behandlung nach Phase 1 oder 2, als Phase 3 oder 4 nötig macht.
Ich bin nach meinen Aufenthalten in der Bielefelder Klinik immer halbwegs stabil und wach für meine eigenen Ressourcen entlassen worden- doch in der Zeit zwischen Behandlungen erforderte das nachwievor bestehende Trauma in all seiner Toxizität neue oder neuaufgelegte Anpassungsmechanismen, die sich zu immer komplexeren (chronifizierten) Süchten und anderen destruktiven Verhaltensweisen entwickelten. Wenn die Wartezeit um war, mussten immer wieder erst ein mal diese Symptome wieder runterreguliert werden- bis zur nächsten Entlassung. Und ich bin eine von Vielen und immer mehr werdenden- doch dazu später mehr.

Punkt zwei: Symptomprotokolle
Ich dachte, dass inzwischen allgemein bekannt sei, dass DBT mehr Dressurinstrument als Integrationshilfe von Verhalten als Symptom sei.
Hab ich wohl falsch gedacht.
Wenn ich Herrn Plassmann richtig verstanden habe, werden die Protokolle geführt, mit der/ dem behandelnden Psychotherapeuten durchgesprochen und dann Strategien erarbeitet, diesen anbei zu kommen. Was sich bei lauten Verhaltensweisen (für mich “offenem Dissoziieren”) wie selbstverletzendem Verhalten, Essstörungen, Süchten oder riskantem (Bindungs) Verhalten noch gut funktionieren kann (und sicherlich wird), stelle ich mir für leises Verhalten (“verborgenem Dissoziieren” bzw. bei Menschen mit “systemimmanenter Überlebensstrategie”) mindestens schwierig- allein von den PatientInnen durchgeführt- unmöglich vor.

Würde ich jedes Mal merken, wann ich dissoziiere, dann hätte ich keine dissoziative Störung im Sinne einer DIS.
Ich behandle natürlich keine Menschen mit dissoziativen Störungen und kann nicht auf 30 Jahre Erfahrungen zurückblicken, denn ich bin nicht einmal so alt. Aber ich bin schon kaputt gegangen an solchen Protokollen als einziges Mittel die Dissoziation meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung für mich begreifbar zu machen. Einfach, weil ich ihnen nie entsprechen konnte. Meine Symptome haben verhindert, dass ich meine Symptome hübsch in eine Liste schreiben konnte. Ich (und andere Viele, die ich inzwischen kennenlernen durfte) brauch(t)en intensive Begleitung und viele Rückmeldung von außen, um dissoziative Symptome überhaupt erst einmal dokumentieren zu können.

Mit der Einführung von Fallpauschalen in Krankenhäusern, kam es zum verschärften ökomischen Wandel in unserem Gesundheitssystem und mit ihm wurden auch die Betreuungschlüssel in Kliniken verändert. Konzeptionelle Anpassungen daran heißen vollmundig “Wir fördern die Eigenverantwortung unserer PatientInnen”.
Praktisch heißt das, dass 10- 15 PatientInnen, zum Beispiel in der Psychiatrie, von 2 KrankenpflegerInnen betreut werden. Prima Voraussetzungen um Patienten sorgfältig zu beobachten, (dissoziierte Brüche wahrzunehmen und rückzumelden)- selbstverständlich zum Hungerlohn und neben dem bürokratischen Aufwand und anderen Verpflichtungen.

Diese strukturellen Bedingungen, die in psychosomatischen Kliniken nicht viel anders sind bzw. heute sein werden, wurden in dem Vortrag von Prof. Dr. Plassmann, kurz streifend erwähnt, um sich dann thematisch nicht näher beschriebenen Hilfen zur Symptombewältigung zu widmen. Immer wieder mit den Begrifflichkeiten “normal” und “krank” (wer hier öfter liest, wird sich vorstellen können, wo in dem Raum Frau Rosenblatt Teil der Deckendekoration war…)

Am Ende gab es die Möglichkeit Fragen zu stellen und einzelne Punkte weiter auszuführen.
Ich meldete mich und fragte, wie auf das traumareaktive Muster der Vermeidung in der Klinik bzw. dem Konzept reagiert wird. Wenn in den Protokollen also eigentlich etwas stehen müsste, aber nicht steht, zum Beispiel, weil der/ die PatientIn die Angst vor der Angst mit Dissoziation vermeidet.
Eine fundamentale Frage, wie ich finde- haben wir doch gerade in dem Vortrag vorher gehört, dass sogenannte ANP’s (Alltagsnahe, (rein) funktionale Persönlichkeitsanteile/Innens/Innenpersonen/ etc. ) genau dieses Muster in sich tragen, um die Vermeidung der Annäherung an EP’s (Emotionen und Traumamaterial tragende Anteile/etc.) aufrecht zu erhalten (also strukturell zu dissoziieren, was man dann DIS nennt, was wiederum eine Folge von komplexer Traumatisierung ist, die dort in der Klinik behandelt wird).
Ich empfand die Antwort als ignorant und kann das auch jetzt, 4 Tage später, nicht anders nennen.
“Wir können nur mit dem arbeiten, was da ist”.
Meine Entgegnung jetzt: Ja, kann man- muss man aber nicht! Zumindest nicht, wenn man sich vielleicht mal fragen möchte, wem man eigentlich hilft und wem nicht. Wenn man sich mal kurz de Frage stellt, welche Menschen man allein lässt. Wieder. Nach all dem, was sie bereits allein durchstehen mussten.

So komme ich zu meinem eigenen “Vortrag”.

Ich persönlich, habe überhaupt gar keine Zweifel daran, dass solche Klinikonzeptionen Menschen helfen können und von Menschen auch als hilfreich wahrgenommen werden, selbst wenn keine Traumaexposition im stationären Rahmen passieren kann. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konzepte keine Luftschlösser sind und sicherlich auch ausführlich evaluiert wurden – allerdings nur mit PatientInnen, die da waren.

Die PatientInnen, die sich von vornherein gegen dieses Konzept entscheiden, nach Vorgesprächen gegen eine Aufnahme entscheiden und auch die PatientInnen, die an den Bedingungen zur Aufnahme scheitern (ihr erinnert euch an diesen Artikel? Das ist Bad Mergentheim gewesen), stehen für solche Erhebungen nicht zur Verfügung und ganz offensichtlich besteht auch kein Interesse daran, sich diesen zu widmen, zu befragen und Klinikkonzepte für komplex traumatisierte Menschen zu entwickeln, die auch mit (oder trotz?) kranker Kassenbegrenzung von einem stationären Rahmen der Psychotherapie bzw. psychosomatischer Medizin profitieren könnten.

Ich habe den Verdacht – oder vielleicht sollte ich von einer These, einer Idee sprechen, dass hier an diesem Vortrag sichtbar wurde, wie versucht wird, als unnormal definierter Dissoziation mit als normal definierter Assoziation zu begegnen.
Aufgegriffen wird, was der/ die PatientIn assoziiert und äußert – nicht was er/sie dissoziiert und ergo nicht konkret äußern/ benennen kann. Hilfreich ist, was da gewesene PatientInnen belegen- nicht das, was nicht dort behandelte PatientInnen als fehlend bezeichnen würden.

Wir haben ein Existenzproblem in unserer Gesellschaft. Ein Problem damit Minderheiten als sichtbar und existent und genauso wichtig, wertvoll, gewichtig wahrzunehmen und anzuerkennen, wie Mehrheiten. Es reicht nicht zu sagen: “Wir können nicht allen helfen.” um sich dann zu seinem Schreibtisch zu drehen und sich den Problemen, die seit Jahren als die Gleichen bestehen zu widmen. Ja, das wichtig. Ja, da muss auch etwas passieren und ja, es prima, dass es Menschen gibt, die das mit viel Kraftaufwand, Zeit und Herzblut tun. Vielen Menschen wurden so schon Leben gerettet, ermöglicht und/ oder verbessert.

Der Anspruch muss aber sein, dass tatsächlich alle Menschen die gleiche Chance auf Hilfe haben. Auch wenn es sich um eine – ausschließlich im Vergleich! – kleine Gruppe von Menschen handelt. An der Stelle beginnt moralische Verantwortung, der alle Menschen, meiner Meinung nach, nachzukommen haben, wenn das Ziel ein lebenswürdiges, lebenswertes Leben für alle Menschen gleich ist.

Es kann und darf nicht sein, dass wer nicht sichtbar ist, als inexistent gilt und zu bleiben verdonnert ist, weil es sich so leicht gemacht und nur Sichtbares aufgegriffen wird.
Es kann nicht sein, dass von hochdissoziativen Menschen gefordert wird, hochassoziativ zu agieren, wenn sie dieses als massiv lebensbedrohlich wahrnehmen (müssen- denn sonst hätten sie diese Struktur nicht entwickelt). Es kann nicht sein, dass Todesangst zum immanenten Teil des Heilungsbemühens in der Psychotherapie für auch nur einen einzigen Menschen gehört.

Ich will das vorgestellte Konzept wirklich nicht schlechtreden. Wirklich nicht.
Es wird Menschen helfen und so hatte es seine Berechtigung dort auf der Tagung gehört zu werden. Es wird aber den vielen die Viele sind und massive (von DBT- Elementen und Stabilisierungs-Intervalltherapiekreiseln in psychosomatischen Kliniken massiv verstärkten) Vermeidungsmustern der Persönlichkeitsstruktur nicht helfen. Und das nicht mindestens traurig zu nennen und zu Veränderungen in der konzeptionellen Gestaltung und auch der Kassenfinanzierungsgegebenheiten aufzurufen, ist ein Versäumnis, das ich in gar keinem Fall so stehen lassen will.

Vielleicht kann der Herr Prof. Dr. Plassmann in seiner Klinik nicht allen helfen.
Andere aber könnten das wollen.
Und genau diese Menschen sollten, meiner Meinung nach, gestärkt aus solchen Vorträgen heraus gehen.

Ich bin nur ernüchtert und wütend aus der Aula gegangen.

… und beleuchte die Dunkelheit

Gestern Abend hatte ich es mal wieder in der Hand
“… und besiege die Finsternis” von Marie Balter, geboren 1930.
Psychiatriepatientin. 20 Jahre lang.
In den Anstalten der 50 er Jahre.
Zu Zeiten der massenhaften Medikalisierung. E- Eis- Insulinschock- Folter im Namen der medizinischen Hilfe.
Das ist keine leichte Kost. Aber ich mochte das Buch.

Sie hat überlebt, wurde Ärztin und sprach dann für die Betroffenen. Sie ist 1999 verstorben.

Das letzte Kapitel des Buches heißt “Eine Stimme für die psychisch Kranken”.
Damals, als ich das Buch zum ersten Mal las, verbrachte ich die meiste Zeit des Lesens getriggert und mich und mein Leiden kleinredend.
Das letzte Kapitel erschien mir so wohltuend in all dem, was dort steht.
Sie schreibt von ihren Vorträgen, den Reaktionen der ZuhörerInnen, aufbauschenden, oberflächlichen JournalistInnen, ihrer Angst abzustumpfen, ihren Gebeten, den Menschen, denen sie bei der Verfilmung ihres Lebens begegnete.
Und: “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen. Doch das darf nicht so weit gehen, dass andere nicht mehr eigenständig handeln können.”

Vor 2 Wochen habe ich das Exposé für mein Buch bei einer Literaturagentur landen lassen. Als Leseprobe ist ein Artikel dabei, der meine Zeit in einer der vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien aufnimmt. Ich glaube nicht, dass ich damit Hoffnung verbreite.

Mir fiel aber auch auf, dass ich denke: “Ja haaaa ICH muss anderen Menschen Hoffnung geben, denn ich habe ja überlebt. ICH muss den Menschen ja sagen, dass man das alles überleben kann. Und das dann alles besser ist…”. Ich merke, dass ich mir schon wieder ein Kostüm in einem Schrank anschaue, das mir weder passt noch gefällt. Das ich mir aber natürlich trotzdem anziehen würde, weil … darum.
Während bei vielen Vielen das Thema “Überlebensschuld” kreiselt, kreiselt bei mir “Überlebensverpflichtungen”. Immer wieder der Komplex: “Ich habe überlebt und jetzt? Was gebe ich jetzt zurück und wie stelle ich das an?”.

Ich glaube nicht, dass ich heute keine Psychiatriepatientin mehr bin (oder auch die Gewalt überlebte, die mich dort hinbrachte), weil meine Seele so besonders stark ist, oder weil in mir irgendein Schalter umgelegt wurde, der mich zu neuer Hoffnung und Kraft brachte. Ich glaube auch nicht, dass ich überlebt habe, weil an oder in mir irgendetwas ist, dass mich durch die Momente der Todesnähe trug und etwas zu erhalten vermochte, als scheinbar nichts (und niemand) mehr in mir war.
Ich weiß, dass ich keine Schuld an meinem Überleben trage, weil niemand Schuld an seinem Sterben trägt.

Aber ich merke, dass ich nicht nur etwas überlebt habe, sondern auch von etwas zeuge. Meine Schäden sind ein Er-Zeugnis der Gewalt. Wenn ich beschreibe, was ich sah und erlebte, dann ist es eine Art Zeugnis ablegen von dem, was für andere- die Verschonten, die Ungeschlagen, wie C. Emcke sie so treffend nennt, unsichtbar, unerlebt- und un- über-lebt ist.

Das Überleben ist mir einfach so passiert. Ich habe weder darum gebeten, noch dafür gekämpft.
Die Lebensrealität in der ich und die Zerstörung an mir unsichtbar sind, und sogar gehalten werden, hingegen, betrachte ich als unbedingt zu verändern. Denn es ist eben genau die Unsichtbarkeit, in der Gewalt geboren und genährt wird. Es ist immer wieder genau das Moment, in dem man Gewalt nicht Gewalt nennt, auch das Moment, in dem Gewalt triumphiert und sich weitere Opfer einverleibt.

Ich stelle mir nicht die Frage “Warum ist mir das passiert?” oder “Warum habe ich überlebt, aber dieser und jener Mensch nicht?”.
Ich habe meine Antworten dazu und daraus eben auch die Anforderung an mich, zu verhindern, dass es anderen Menschen auch so ergeht. Dieser Überlebenskult, diese Mystifizierung des Überlebens und dessen, was es abverlangt, ist in meinen Augen eine zwar nachvollziehbare menschliche Eigenschaft, doch nicht hilfreich, wenn es darum geht, einen Weg zu gehen, der ohne Gewalten auskommt und so immer wieder Menschen zum Überleben zwingt.

Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, der es einerseits völlig egal sein kann und darf, was in Psychiatrie, Heim, Gefängnis, Misshandlungsfamilie passiert, die Überlebenden dann aber in eine Position bringen darf, in der besonders wertvolle Eigenschaften impliziert sind, die sich zeigten, als es dieses Umfeld und die ihm inne liegende Gewalt, abverlangte!

Marie Balter hatte zu ihrer Zeit immer wieder betont, dass es nicht reicht, die Menschen rauszuholen. Sie war eine der ersten, die darauf zeigte, wie unterschiedlich die Welten “Psychiatrie” und “draußen” sind. Was es für einen krassen Bruch bedeutet von der Rechtlosigkeit in die Stigmatisierung; aus dem Klima eines menschenverachtenden Nihilismus in ein Klima des Anspruchs dem (noch bzw. nicht immer sofort) zu entsprechen ist, zu gehen.
Sie sagte immer wieder, wie wichtig es ist, dass entlassene Menschen aufgefangen werden und Orientierungshilfen bekommen.
Heute gibt es Peer to Peer- Hilfen, ambulante Betreuungen, ein bis heute ausbaufähiges obgleich immer weiter zusammengespartes und so dauermarodes System von Hilfen, die Menschen über den Bruch helfen und in ein Leben in Eigenständigkeit hinein begleiten soll.

Aber Gewalt taucht in all dem als Begriff nicht auf.
Hilfe darf nicht auch Gewalt genannt werden, obwohl hier und da schon Verknüpfungen bekannt sind, beobachtet werden und Überlegungen angestellt werden, wie sie zu verhindern sein könnten. Alles natürlich systemimmanent und orientiert am Status Quo, den zu hinterfragen komplex und unbequem ist.

Ich habe das Buch weggetauscht und werde es auf die Reise schicken.
Gestern dachte ich noch, dass ich in der Geschichte so viel Schönes gelesen habe und nicht noch einmal groß darüber nachdenken möchte. Heute ist mir klar, dass ich diesen Absatz “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen.” in meinem Denken umändern muss.

Vielleicht in “Anderen Menschen von der Dunkelheit erzählen, heißt ihnen Macht zu geben Licht zu verbreiten. Wir, die wir beides kennen und die Möglichkeiten haben, müssen sie nutzen.”.

mit ÄrztInnen reden

Himmel Noch immer gehen wir fleißig zur Zahnärztin und lassen uns das Dresden ‘45 in unserem Mund kernsanieren.
Ich bewundere die Ärztin für ihr handwerkliches Geschick und die Geschwindigkeit mit der sie so präzise arbeiten kann. Ihre Assistentinnen sind alle nett.

Manchmal schaffen wir es auch kurz zu reden.
Dann wirds schwierig.

Ich glaube, sie hält mich für einen Menschen der “empfindlich” ist. Schublade: “rohes Ei”. Ob ich nun dahinein gehöre oder nicht, stelle ich jetzt mal dekorativ in eine nicht so ferne Ecke, denn obwohl Fingerspitzengefühl sehr wichtig für mich ist, ist es nicht, worum es mir geht, wenn ich mit meiner Zahnärztin, oder auch meinem Augenarzt oder anderen MedizinerInnen über mich spreche.

Mir fallen nicht viele Gelegenheiten ein, die so viele subtile Trigger neben dem offensichtlichen Machtgefälle von BehandlerIn- PatientIn, in sich tragen. Es ist schwierig sie sofort als solche wahrzunehmen, es ist schwierig sie zu benennen und selbst, wenn das geklappt hat, heißt das noch lange nicht, dass meine BehandlerInnen auch wissen, was das bedeutet und welcher Umgang damit für mich hilfreich ist.

Ich bleibe mal bei meiner Zahnärztin, die mich nach der letzten Behandlung fragte, was denn ein “Flashback” ist. Wie sie sich das vorstellen kann.
Bei mir machte die Frage drei Wellen:
1) Woa geil- sie fragt nach.
2) Woa scheiße- sie fragt nach.
3) Wo fange ich denn jetzt an?

Das Gute an Medizinstudien ist das Grundstudium. Wenn ich von Hippocampus und Amygdala rede, wird neben “Pferdeparade” und “Star Wars Prinzessin” sicherlich auch “Gehirn” als Assoziationselement von irgendwo aufploppen. Manchmal liegt das Studium aber auch sehr weit zurück, dann versuche ich es mit “allgemeiner Stressphysiologie”.
Ich erklärte ihr, dass mich manchmal Gefühle, die mit früheren traumatischen Erlebnissen zusammenhängen so sehr überrollen, dass ich nicht mehr so genau weiß, ob sie in aktuellen Umständen begründet sind, oder früheren, weil ich diese Erfahrungen noch nicht integriert habe. In solchen Momenten reagiert mein Körper wie damals, nämlich hochgradig gestresst, was sie als Behandlerin wissen muss.

Ich sagte ihr, dass mich der ganze Besuch bei ihr grundsätzlich schon stresst und in einen Alarmzustand versetzt, der entweder in “Ich nehme alles und jede noch so winzige Mikrobenregung um Faktor 100 deutlicher wahr- habe einen hohen Blutdruck, eine niedrige Schmerztoleranz und geistige Leere” oder in “Ich fühle nichts, ich habe nichts, ich bin das Nichts aus Nichts gemacht” kippt.
In der Interaktion nach Außen- nämlich mit ihr- ist das relevant, denn sie kann mir schon zu Beginn helfen diesen Stress zu regulieren, so dass wenigstens mein Kopf wieder mit mindestens dem Grund meines Kommens gefüllt ist.

Meine Zahnärztin und ich werfen uns dazu Schnackphrasen, die belanglos aber herzlich sind, zu.
Das ist für mich und mein Innenleben ein gutes Signal für “Jupp- hier ist- bis auf die Trigger, die mich an Altes erinnern werden, was ich aber schon weiß und entsprechend reagiere- alles tutti.” Wo gewitzelt wird und Lächeln unwillkürlich ist, da ist in der Regel auch alles tutti. (Neue Lebensweisheit- das hatten wir kurz nach dem Gewaltausstieg so noch nicht etabliert!)

Es ist auch relevant für sie, um mein Verhalten und meine Empfindlichkeitsschwankungen einzusortieren.
Für andere BehandlerInnen ist es ebenfalls relevant zu wissen, dass meine Stressverarbeitung nicht so funktioniert, wie bei Menschen ohne komplexe Traumatisierung in der Biographie.
So schwanken diverse Werte, die an der Adrenalin und Cortisolausschüttung hängen und beeinflussen so die Beurteilung des eine Diagnostik versuchenden Menschen. So ist der mentale Status nicht stabil und so schwankt auch die Absorption von Medikamenten und damit wiederum die Wirkweise auf dem gesamten Spektrum der erwünschten, der unerwünschten und der “habichnochnievongehört”- Wirkungen.

Eigentlich sehe ich mich als Patientin nicht in der Position, meine BehandlerInnen darüber aufklären zu müssen, was relevant für ihre Diagnosefindung bzw. den Weg dahin ist. Ja, eigentlich finde ich es ein Unding, dass MedizinerInnen von ihren PatientInnen an die Funktionsweise des Gesamtorganismus (mit individueller Biographie und Lebensweise) erinnert werden müssen und diesen Kontext nicht von Haus aus klar haben. Mal abgesehen davon, dass die meisten* PatientInnen das selbst nicht einmal wissen.

Meiner Zahnärztin bin ich in der Hinsicht auch fast ein bisschen böse, denn eigentlich hat sie alles Wichtige in meiner Akte stehen, wie ich neulich feststellen konnte.
Als wir zu ihr kamen, wohnten wir in einer Schutzeinrichtung für weibliche Jugendliche. Es ist eine Pseudoepilepsie vermerkt. In den 10 Jahren, die wir uns kennen, hat sie mein Körpergewicht von niedrig auf hoch, auf mittel auf hoch, auf niedrig auf mittel schwanken gesehen, in Zeiträumen, bei denen sogar die WeightWatcherfraktion die Kinnlade wieder einsammeln geht. Da steht, dass immer eine Nervbetäubung passieren muss.
Ich bin da schon so oft “plötzlich” in Tränen ausgebrochen, konnte nicht sprechen und bin völlig “weggebeamt” da in der Praxis herumgetaumelt, konnte Beschwerden nicht linear formulieren und habe kein konstantes Bissprofil… und trotzdem kam ihr wohl nie der Gedanke, dass das Elend in meinem Mund eventuell vielleicht etwas mit einer chronischen Essstörung … ganz dezent vielleicht eventuell rein theoretisch begründet in einem Trauma zu tun haben könnte.

“Nunja, sie ist ja auch Zahnärztin und nicht Psychologin”, könnte nun argumentiert werden. Doch das ist in meinen Augen ein Trugschluss, denn die Psychologie sagt ja nichts weiter als: “Da gibt es eine Essstörung- begründet in traumatischen Erfahrungen, die es zu verarbeiten gilt, um die Schädigung von Körper und Seele als Folge zu beenden.”, meine Zahnärztin arbeitet sich gerade genauso an der Reparatur diverser Schäden ab, wie meine Psychotherapeutin und – so ich denn endlich mal die Chuzpe dazu habe, mir eine zu suchen- meine Hausärztin.

“Wer Schäden repariert, der weiß woher sie kommen”- alte HandwerkerInnenweisheit

Als Patientin kläre ich meine BehandlerInnen aus einem gewissen Antrieb des Selbstschutzes oder auch der Selbstfürsorge auf, wenn diese sich willig zeigen, mit mir eine Ebene zu halten, die sich um mein Wohlbefinden und mein Heil-werd-en dreht. Sitze ich vor jemanden, dem es um Definitionsmacht oder auch nur um viel Geld für wenig Aufwand auf meinem Rücken geht, bleibe ich zur Akutversorgung und suche mir jemand anderen für die Weiter- und/oder Nachsorge.

Komme ich zu einem Arzt oder einer Ärztin, bin ich schon unter Stress, weil ich mich erklären, klar bis durchsichtig machen muss, was für mein Gehirn soviel bedeutet wie “Achtung Gefahr- du bist existenziell bedroht”. Es sind die Fragen:
Wer sind sie?
Was haben sie?
Was wollen sie von mir?

die in der Übersetzung für mich bedeuten:
Ins Schwimmen kommen
Rutschen
Abstürzen

Die Art Gewalt, die ich erfuhr, war keine Naturgewalt oder etwas das einfach so halt passiert ist.
Die Folgen von zwischenmenschlicher Gewalt sind spezifisch und für jede Sparte “BehandlerIn” relevant.
Mein Ich-gefühl ist diffus bis nicht existent.
Mein Körpergefühl schwankt massiv.
Mein Umgang mit sowohl subjektiv als auch objektiv wahrgenommener Autorität schwankt zwischen absoluter Unterwerfung (von “mach alles, was du willst” bis “du brauchst gar nichts für mich wertloses Ding machen”) und genauso absoluter Abwertung (von “ach du hast doch keine Ahnung!” bis “Nu komm ma- gib mir mal besser den Rezeptblock”).

Als sinnig hat sich für mich herausgestellt, meinen BehandlerInnen im Voraus zu sagen, dass ich massive Gewalterfahrungen mit Menschen gemacht habe (genauso ausgedrückt) und entsprechend gestresst, vielleicht auch ängstlich bin, wenn ich bei ihnen in der Praxis ankomme. Dass ich eventuell nicht so klare Angaben machen kann, wie sie gebraucht werden und, dass ich mehr Zeit in Anspruch nehmen muss, als die 10 Minuten Durchlaufzeit, die sie eventuell gewohnt sind, um diesen Pegel runter zu regulieren. Ich mache ihnen klar, dass ich das kann bzw. gelernt habe; dass ich sagen kann, wenn ich etwas von Ihnen brauche, das mir dabei hilft. Dies hat sich bis jetzt als positiv herausgestellt, um nicht in die “einmal Opfer- immer Opfer” Schublade hineinzufallen und als total inkompetent vor der eigenen Lebensrealität zu gelten.

Für viele (Viele) klingt das nach “Raum einnehmen”, “sich wichtig machen”, “sich etwas (heraus)nehmen”, “schwer/umständlich sein” und oft kommt die Frage nach der Berechtigung dessen auf.
Eigentlich brauchen ÄrztInnen die PatientInnen, denn ohne wären sie nur Menschen mit sehr teuren Zetteln in der Tasche.
Wir PatientInnen spüren unsere Berechtigung für einem respektvollen und positiven Ich- zentralen Umgang nicht immer sofort, weil wir ja in der Regel in Not zu ÄrztInnen kommen. Ein Zustand, der als solcher für Gewaltüberlebende schnell zum Ablauf alter Reaktionen führt und auch allgemein als etwas gilt, in dem Anstand oder Etikette nicht den gleichen Rang haben, wie normalerweise. Not ist eben nicht die Norm.
So ist es wichtig, sich ganz genau alle Fakten einer aktuellen Not heranzuholen, die nicht an den Menschen gebunden ist. “Menschen sind nicht allmächtig, auch wenn sich das gerade so anfühlt/ sich dieser Mensch so verhält, als sei das so.”, sage ich mir dann immer. (klingt simpel- macht aber trotzdem mächtig “Ping”, wenn man sich das in dem Moment von Kopf zu Herz zu Seelenfitzel weiterreicht, während man da im Behandlungszimmer sitzt).
Es ist wichtig zu wissen, ob es sich nach sterben anfühlt, weil es ein Sterben ist oder, weil eine Erkrankung, die vorbei gehen wird, dieses auslöst.

Ja, es ist ein Akt von “Raum einnehmen” und “umständlich sein” und ja, auch “sich wichtig machen” und das ist völlig okay so.
Ich weiß, dass ich mehr Raum einnehme, wenn meine BehandlerInnen mich als Patientin durch Exitus verlieren, weil ihre Behandlung relevante Faktoren meiner Anamnese nicht berücksichtigte. Ich weiß, dass die Umstände, die ich anderen für 20 Minuten in einem Arbeitsalltag bereite, die Folgen der Umstände sind, unter denen ich 21 Jahre zu leben gezwungen war. Und ich weiß, dass meine Behandlung nicht wichtiger oder weniger wichtig werden darf, im Vergleich zu den anderen PatientInnen, die mein Arzt/ meine Ärztin betreut. Mein Bemühen um eine gute, respektvolle Zusammenarbeit gehört in den Bereich PatientInnenpflichten, denen ich zustimme, sobald ich anerkenne, dass ich mich mit jemandem umgebe, der Pflichten als praktische/r MedizinerIn (oder allgemeiner: BehandlerIn) nachkommen muss.

Meine Zahnärztin und ich sind nun also auf dem Level von: “Ach- es gibt sogar einen Namen für dein Zittern und Starren und nichts sagen können? Spannend- erzähl mal!”.
Nach 10 Jahren kommt das irgendwie spät und ganz streng betrachten will ich auch gar nicht erst, dass sie mich fragt was das ist, anstatt sich selbst um eine Fortbildung zu kümmern. Ich weiß nicht einmal, ob es so gelagerte Fortbildungen für ZahnmedizinerInnen gibt. Aber gut.
Ich kann sie gut leiden, sie “mag mich gerne leiden” und also suche ich ein bisschen Infomaterial zusammen, das sie weiterbringt und letztlich mir die Behandlung meiner Zahnruinen weniger stressauslösend macht.

Hätte ja auch was, nicht jedes mal schon am Tag vorher gegen Angstwellen anzukämpfen, kurz vorm Termin keine Drogen nehmen zu müssen und den Rest des Behandlungstages nicht in die Tonne treten zu müssen.
Genauso, wie es für sie sicher etwas hat, wenn sie Frau Rosenblatt nicht mehr ganz so arg, wie ein rohes Ei durch die Behandlung balancieren muss.

der GKV- Spitzenverband und seine Thesen zur Vorenthaltung psychotherapeutischer Hilfen oder: „Psychotherapie ist keine Operation an offener Seele“

RosenblätterhulkkunstDas Ärzteblatt hat heute über eine Bombe berichtet, die zu Unrecht noch immer nicht öffentlich geplatzt ist:

Der GKV-Spitzenverband will die Psychotherapie reformieren.

Was klingt wie eine Rezepturverfeinerung zum Hilfs- und/ oder Heilbehandlungscocktail für Menschen mit psychiatrischer Diagnose*, ist in Wahrheit nichts weiter, als eine breite Einsparungsmaßnahmenidee auf dem Rücken von sowohl tausenden (heil)behandlungsbedürftigen Menschen, als auch deren BehandlerInnen.

Zwei zentrale Thesen wurden vorgestellt, die sich nur ein leidensferner Geist ausgedacht haben kann.
Zum Einen eine pauschale Deckelung der Psychotherapiestunden auf 50 (so werden schneller Plätze frei, was die Wartezeiten verkürzt) und zum Anderen eine 6 wöchige Wartezeit nach einer Kurzzeittherapie (25 Stunden) bevor es weiter gehen kann.

Allein die Konstruktion dieser Thesen, beweist eine absolut peinliche Unwissenheit über die aktuelle Versorgungsrealität psychisch erkrankter Menschen in Deutschland, eine Unkenntnis über die Wirkungs- und Funktionsweise von sowohl Psyche als auch Psychotherapie, sowie das Kalkül, das gebraucht wird, um Menschen strukturell gestützt mindestens in ihrem Recht auf Hilfe zu diskriminieren.

So wird auch in dem Artikel lediglich die Wartezeit auf einen Erstgesprächstermin (benannte 3 Monate) bei einem/ einer ambulanten PsychotherapeutIn erwähnt.
Nicht hingegen, die Wartezeit auf den tatsächlichen Beginn der Psychotherapie. Diese ist gerade für KlientInnen mit zusammen auftretenden Erkrankungen mit bis zu 2 Jahren erheblich länger.

Seit 10 Jahren nehmen die Fehltage von ArbeitnehmerInnen zu, was die Krankenkassen jetzt zum Handeln treibt. Die Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen gar nicht mehr in Arbeitsverhältnissen stehen oder nie hinein kommen, sind in der gesamten Rechnung offensichtlich gar nicht vertreten.

Steigender Bedarf kommt für den GKV-Spitzenverband ganz offensichtlich aus dem Nichts und hat für ihn nichts- aber auch gar nichts damit zu tun, dass Menschen mit psychischer Erkrankung hier in Deutschland so derartig in ihrem Recht auf medizinische Versorgung beschnitten werden, dass aus akutem Erstauftreten, chronisches Siechen in unter Umständen Arbeitsunfähigkeit, sozialer Nichtteilhabe und stets und ständigem Leiden unter seinen Störungen/ Problemen/ Symptomen werden muss.

Chronische Erkrankungen gelten als Schwerbehinderung. Als chronisch erkrankt gilt man ab einem Diagnosebestehen von 6 Monaten und einer Be-Hinderung im Leben.
Ergo sprechen wir nicht nur von einem Totalausfall logischer Deckung eines existierenden Hilfebedarfs, der stetig steigt, sondern auch von einer Bevölkerungsgruppe, die krank (und also behindert) gehalten wird, durch Vorenthaltung von Maßnahmen zur Heilung bzw. Symptommanagment, das mit einem Leben im Sinne (im Willen) der KlientInnen vereinbar ist.

Die zweite These ist dazu an Paternalismus gegenüber den KlientInnen auch kaum noch zu überbieten.
Demnach sollen sich die Menschen nach einer Kurzzeittherapie 6 Wochen überprüfen, ob der Weg, den sie da begehen, der Richtige ist. Würde es sich bei einer Psychotherapie um einen Eimer Schokoeis, der in einer bestimmten Zeit aufzuessen ist, handeln, wäre diese These nachvollziehbar.
Hätte das Ausbleiben der Psychotherapiesitzungen nicht, wie das in vielen Fällen nun einmal so ist, zur Folge, dass die Alternative (extrem viel teurere!) Klinikaufenthalte und/ oder Einbeziehung von Sozialdiensten, Betreuungsdienstleistungsunternehmen o. Ä. zur Aufrechterhaltung bzw. Unterstützung (u.U. der Rettung) eines Menschenlebens, ja, auch dann könnte man über pauschale 6 Wochen Pause nachdenken.

Doch so ist es nicht.
Es geht um Menschen und ihre Leben(squalität)- nicht um Zahlen.
Es geht darum, Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose und entsprechendem Leiden zu helfen.

Dem GKV- Spitzenverband geht es ganz offensichtlich um Problemverschleppung, Kostensenkung und Bedarfsplanung auf dem Papier- fern ab der Realität und fern ab jeden Anstands, den der Umgang mit Menschen grundlegend abverlangt.

Für tausende und immer mehr werdende Menschen, heißt das Diskriminierung, fortgesetztes- sich vielleicht verschlimmerndes Leiden, soziale Ungleichheit und in manchen Fällen: Tod.

Derzeit wertet die Initiative Phönix (eine Initiative, die sich aus komplex traumatisierten Menschen und engagierten BehandlerInnen zusammensetzt) eine Umfrage aus, die die aktuelle Versorgungsrealität von allein Menschen mit (schweren) Traumafolgestörungen abbildet und bereits jetzt zu dem Ergebnis kommt, dass es schon jetzt- ohne jede Therapiestundendeckelung bei 50 Stunden!- schwerwiegende Mängel und Verschlechterungen im Sinne von Chronifizierungen gibt.

Psychotherapie dauert Jahre.
Psychotherapie ist nicht kostenlos.
Aber: sie ist eine Hilfe.

Es gilt das gleiche Recht für alle Menschen.
Auch das Recht auf Hilfe.

Die heute vorgelegten Thesen des GKV- Spitzenverbandes treten all das mit Füßen.

*psychiatrische Diagnose meint hier: So gelabeltes, aber natürlich möglicherweise subjektiv anderes Empfinden
*die Sommers haben das Positionspapier noch weiter auseinander genommen

#isjairre wie normal das ist!

farbeGestern trendete bei Twitter der Hashtag #isjairre unter welchem zur Diskriminierung von Menschen mit dem Label „psychisch krank“ getweetet wurde

Nun ja.

Außer einigen meiner eigenen Tweets konnte ich keine finden, die sich mit struktureller Diskriminierung befassten. Aber gut, wie will denn auch dieser systemimmanente Klops in 140 Zeichen gequetscht werden. Beginnt die Diskriminierung doch bereits im Labeling von „gesund“ und „krank“ / „irre“ und „nicht irre“.
Diese Schnapsidee von legitimiertem Othering durch Benennung und Kategorisierung der Defizite in dem, was „die Psychologie“ als Psyche bezeichnet.

Es ist bereits der Gang zum Psychiater oder Psychologen, der Gefahr schlechthin bedeutet. Nicht nur für Arbeitsplatz, Freundes- und Familienkreis, sondern auch für das eigene Selbstbild und daran gebunden der Selbstwert, sowie nicht zuletzt auch der eigenen Gesundheit in Gänze.

Die Diskriminierung des „Anderen“ hat die gleichen Traditionen wie Rassismus, Antisemitismus und sämtliche *-phobien. Deshalb schreibe ich jetzt keinen Artikel mehr dazu, wo das alles herkommt.
Wenn du, liebe/r LeserIn, etwas darüber erfahren möchtest, kannst du einfach mal „Irrenturm“ oder „Geschichte der Psychiatrie“ googlen.

Der Hashtag kann, meiner Meinung nach, nur eines zeigen: Es ist normal unnormal zu sein, denn die Norm ist nichts weiter als ein Rahmen dem gänzlich zu entsprechen niemandem gelingen kann, sobald ein rein defizitorientierter Blick auf ihn fällt.

Das ist es, was es mir persönlich auch schwer macht, mich von abfälligen Sprüchen oder dämlicher Wortwahl (in den Medien™ ) tatsächlich auch diskriminiert zu fühlen: Ich kann ihre Wortwahl und ihr Verhalten mir gegenüber genauso pathologisieren und entsprechend abwerten, wie sie es mit meiner tun.

Der wichtige Punkt für mich ist, dass ich bzw. die Wahrnehmung der Umwelt und mir, selbst pathologisiert wird, diese Pathologisierung (meint Verortung meiner selbst im medizinisch/psychologisch/ psychiatrischen Kontext) aber nicht dazu führt, dass ich tatsächlich auch im entsprechenden Kontext Hilfe bekomme, wie ich sie eigentlich bekommen müsste, wenn ich schon dieses Etikett aufs Shirt gepappt kriege.

Ich finde es zum Kotzen, dass heute sehr viele Menschen wissen, was eine Depression ist und auch was ein Herzinfarkt ist, doch, dass man eine Depression auch behandeln sollte, um das Risiko an, zum Beispiel, einem Herzinfarkt zu sterben reduzieren, nicht. (Literaturtipp: J. Bauer- Das Gedächtnis des Körpers)
Ich finde es zum Kotzen, dass es X- Kampagnen „gegen“ diverse Krankheiten gibt- aber nicht „für“ die Akzeptanz und Hilfe, wenn diese gewünscht ist.

Wieso dürfen PsychiaterInnen und PsychologInnen, von mir aus auch MedizinerInnen allgemein nicht streiken?! Sie hätten, entgegen verbreiteter Annahmen, allen Grund dazu!
Wieso dürfen Krankenkassen darüber in Wettstreit gehen, wer am Wirtschaftlichsten mit der Gesundheit ihrer Mitglieder spielt?
Wieso darf die Gesellschaft* wissen, wie breit das Spektrum menschlichen Empfindens- vielleicht auch Leidens ist, ohne wirklich zu erfahren, wie es hinter den Kulissen der Begriffe „Psychotherapie“ und „psychologische Hilfe/ Begleitung“ abgeht?
Wieso dürfen Pharmaunternehmen meinen Körper vergiften und mir dies als Hilfen verkaufen?!
Wieso darf die
Psychiatrie als Zwischenstation oder gar Endstation für ein Menschenleben als DIE Institution für Hilfen gelten, wenn dort bzw. in dem Zusammenhang damit, das Risiko für mich Gewalt zu erfahren so exorbitant viel höher ist, als sonst wo?!

Ich finde es zum Kotzen, dass ich vor diesem Hashtag stehe und gefühlte Milliarden Worte im Kopf habe und doch nur diesen popligen Artikel zusammengekratzt bekomme.

Es ist einfach zu normal irre zu sein.
Genauso normal, wie die Diskriminierung, die ich aufgrund meiner Irre erfahre.

Sicherheit* unterm Radar

P1010176„Du musst den Täterkontakt abbrechen und dich anonym halten, sonst bist du nicht sicher.“
Das ist so einer der Sätze, mit denen ich in diesem Bundesland empfangen wurde. In einer „anonymen“ Unterkunft für Jugendliche in Not. Mehrere hundert Kilometer zwischen mir und dem, was noch immer einige Innens „zu Hause“ nennen.
Diese Zeit in der Einrichtung war nicht lang- ich glaube nur 3 Wochen- aber sie hat gereicht, um mich bis heute ziemlich wütend zu machen und immer wieder darüber nachzudenken, wie die Wichtigkeit und Funktionsmechanismen von Schutz durch Anonymität vermittelt werden können.

In meinem Fall hatte sich damals schon niemand an meine Seite gestellt und sich dafür eingesetzt, dass ein Antrag auf Amtshilfe in der neuen Stadt passiert, um mich gänzlich (oder zum Teil) abzulösen.
Stattdessen wurde die ganzen Jahre der Jugend- und später auch Erwachsenen-  Hilfe in schöner Regelmäßigkeit meine Wohnadresse, meine Hilfepläne, so wie sämtliche Aktivitäten an ein Amt geleitet, das immer wieder einen Datenfluss in Täterhände lenkte.
Ich hatte das immer wieder gesagt, hatte es immer wieder als Änderungswunsch angebracht. Im Zuge des Betreuungswechsels dann, versuchte ich es mit juristischen Hebeln, um aus der Sache rauszukommen und scheiterte, weil ich zu schwach war.
Ich hätte mindestens eine Strafanzeige gegen die Täter stellen (Recht bekommen) und dann alles Nötige erwirken lassen müssen.
Aber eine Strafanzeige erstattet sich nicht so einfach. Bis heute nicht.

Das Gemeine für mich- der richtig fiese Haken: meine damalige Therapeutin und alle alle alle Bücher und Tipps für  Menschen mit DIS (und Täterkontakten), die ich damals fand, hackten auf mir als die undichte Stelle im Sicherheitsnetz herum.
Immer wieder wurden dort die inneren Abhängigkeits- , Hörigkeits- , (Todes-) Angstdynamiken thematisiert und verdeutlicht, wie wichtig es ist, die innere Kommunikation so weit aufzubauen, dass sich Innens nicht an die TäterInnen wenden und so weiterhin Gewalt erfahren. Wir haben diese Problematik auch gehabt und mussten daran arbeiten. Was in Bezug auf den Abbruch von Täterkontakten wichtig war, schilderte ich bereits in der Serie „
Täter- Kontakte 1- 5 “ 

Der Punkt meines Ärgers über den Satz in der Einleitung und der Buchinhalte ist, dass das einfach nicht alles war und bis heute ist.
Wir erfahren seit einigen Jahren keine Gewalt mehr- doch befreit von destruktiven Verbindungen sind wir erst, seit wir vor dem Gesetz als „erwachsen“ und damit komplett mündig gelten (Also seit dem 27 sten Geburtstag- dies ein Hinweis an Betroffene mit Schwerbehinderung und darauf fußenden Amtshilfen seit der Jugend).

Die Idee von „es kann mir nichts passieren- ich bin anonym und in Sicherheit“ ist Schwachfug.
Wer wissen will- wer es wirklich wissen und herausfinden will, wie mein Passname ist, wo ich wohne und was sonst noch in Bezug auf mich relevant ist- der wird das auch herausfinden. Wer mir wirklich unbedingt Gewalt antun will, wird das tun können und nichts und niemand wird das verhindern. Aber ich kann es etwas schwieriger machen.

P1010183Das Leben in Anonymität hat für mich viele kleine und große Unsichtbarkeiten und mit ihnen Angstmomente, die völlig unvermittelt kommen können; jeden wie auch immer gearteten Kontakt und auch die Art, wie Kontakte geknüpft werden, beeinflussen.
Die Verluste, die ich mit der Entscheidung zum Leben ohne Gewalt, mit neuem Namen und Dunkelfeld „Vergangenheit“ eben auch „gewählt“ habe, sind unfassbar groß und schmerzhaft.
Ich entfernte nicht nur Destruktivität aus meinem Leben- grenzte mich nicht nur von Gewalt in verschiedenen Gewändern ab. Ich war gezwungen zum Messer zu greifen und mir alles was „vorher“ war abzuschneiden. Das Vorher, das auch viele schöne Momente, tolle Menschen und Möglichkeiten umfasst und mich mit viel mehr Leichtigkeit agieren ließe.

Ich bin gestern via Facebook mal wieder über jemanden aus „dem verbotenen Früher“ gestolpert. Die Folge war nicht: „Ach guck an…“ sondern richtig harte 20 Minuten, in denen ich Tränen aus meinen Augen rausschreien wollte und nicht konnte.
20 Minuten, in denen mir erneut diese Gefühle von emotionaler Zwangsaskese zum Wohle meiner Sicherheit durch die Brust jagten. Erinnerungen an „früher“, alle Wünsche, alle Hoffnungen, alles was ich damals … hätte würde wäre wenn

Mein Heute umfasst eine Achtsamkeit und Vorsicht auf allen Ebenen durch mich selbst, aber auch eine Abhängigkeit von Verbundenheitsgefühlen und gut kommunizierten Beziehungen zu den Menschen, die mich umgeben.
Ich kann noch so oft verschweigen, wo ich eigentlich herkomme; wie mein Passname lautet; darauf verzichten meinen supertollen Hund im Internet zu zeigen oder wie ge-ni-al ich meine Haare frisiert habe. Ich kann noch so oft meine Hand abhacken, wenn sie ins Früher telefonieren will, um dort wieder einzuziehen. Ich kann noch so oft ins Facebook schauen und denken: „Ach dieser Mensch hat mir ja nichts getan- ich könnte…“ und dann doch hart bleiben.
Sobald auch nur eine meiner Gemögten, HelferInnen und Verbündeten oder irgendjemand außerhalb meines Kontrollbereichs mich als diejenige welche mit Passnamen XY im Kontext von AB in Stadt CD outet, ist es vorbei.

Alles was ich tun kann ist in einem Heute zu leben, das kein breit bekanntes Früher hat.

Ich muss mich darum bemühen meine Kontakte auf eine Art zu pflegen, die entweder davon geprägt ist, dass diverse Informationen nie Thema werden bzw. „einfach so unbemerkt in ihrem Fehlen sind“ oder bekannt sind mit einem Mit-Verantwortungsbündel obendrauf, das nicht jeder Mensch tragen kann (und/ oder will).
Keine meiner Gemögten weiß alles über mich und die Tatsache, dass sie es auch nicht zu wissen einfordern, entlastet und schützt mich sehr.
Für die Beziehung, die wir haben sind weitere Informationen nicht wichtig- sie wissen aber alle von den Netzen, in denen wir uns bewegen. Sollte mir etwas passieren, wäre niemand von ihnen allein und direkt mitbedroht.
Das Nichtwissen schützt sie also- solange sie nicht-wissen „dürfen“.

Im Falle der Facebookverbindung musste ich so scheißverdammt mutig sein, wie ich es eigentlich gar nicht war in dem Moment. Ich musste fragen: „Kennst du diesen Menschen persönlich?“

Weiß der Mensch, dass wir uns kennen? Muss ich dich jetzt auch aus meinem Leben streichen, obwohl ich dich toll finde und es mir weh täte? Muss ich schon wieder umziehen und alle meine Hilfsnetze umkrempeln, weil du weißt, wo ich wohne?

Ich musste meine Gemögte irritieren, ihr etwas abverlangen, was sie genauso einfach hätte ablehnen wie annehmen können.
Ich musste sie ins Vertrauen- in meine Scheiße ziehen und konnte nichts weiter tun, als zu hoffen, dass sie vollständig begreift, was ich da sage- die ganze Tragweite sieht, ohne davon erdrückt zu werden.
Ich muss ihr vertrauen diese Schwere zu tragen- nicht nur jetzt, sondern noch eine ganze Weile länger, weil für mich etwas daran hängt.
Ich musste sie wissen lassen- sichtbar(er) werden für sie und hoffen, dass sie diese Sichtbarkeit mit mir vor anderen Menschen unsichtbar hält.


Es klingt immer so einfach: Täterkontakt beenden, neuer Name, neue Adresse, Traumatherapie und fertig.
Im Falle organisierter Gewalt ist es damit einfach nicht getan.
Diese Dinge hängen alle an Privilegien- an Sicherheiten, die extrem instabil sind und von nichts und niemandem bedingungslos und durchgängig gewährt werden. Die Realität nach Ausstieg und in Anonymität wird damit nicht gestreift.

Damit ich direkte Gewaltkontakte beenden konnte, brauchte ich eine starke Gemögte, die mich halten und tragen konnte- die an meiner Seite stand und sich selbst in dieser Zeit total zurückstellte- ohne irgendetwas dafür zu verlangen.
Um meinen Passnamen zu verändern muss ich (neben finanziellen Ressourcen) auch darauf hoffen, dass ich in meinem Leben als Opfer von organisierter Gewalt anerkannt werde, auch ohne eine Strafanzeige zu stellen.
Um anonym zu wohnen muss ich mich darauf verlassen, dass sämtliche Ämter und Behörden meine Rechtsanwältin als meine Fürsprecherin akzeptieren und sämtlicher Informationsfluss über ihre Kanzlei läuft- was nicht selbstverständlich ist.
Um meine Geschichte traumatherapeutisch auf- und verarbeiten zu können, hilft nur hoffen und beten, dass ich in meiner Therapeutin einen Menschen habe, der mutig genug ist, mit mir gegen die Krankenkasse vorzugehen und zu kämpfen um für seine Arbeit auch bezahlt zu werden, wenn diese anfängt ihre Richtlinien zu Gesetzen wachsen zu lassen und mir die Behandlung verwehrt.

Unterm Radar zu fliegen heißt „nicht gleich sichtbar und damit geschützt vor suchenden Blicken zu sein“.
Heißt aber auch, dass jede Untiefe der Berg sein kann, an dem ein Leben zerschellt.
Es heißt sich mehr als fünfmal seiner Unsichtbarkeit zu versichern.
Es heißt unsichtbar zu trauern.
Es heißt Sichtbarkeit als ein Privileg einzuordnen, das genauso instabil ist, wie alles andere.

Es heißt, dass eine Ebene der Angst auch dann noch da ist, wenn „eigentlich“ alles* „gut“ und sicher* ist.
Es heißt, dass nichts sicher ist.
Es heißt, dass die Begrifflichkeit der Sicherheit* ein Sternchen braucht, um die Fragilität und Vielschichtigkeit zu markieren, die sie für mich hat.

vom Lesen, Schreiben und dem Recht auf Begreifen

179721_web_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_pixelio.deVor ein paar Wochen hatte sie mich angesprochen.
Ich weiß nicht warum- vielleicht hatte sie gesehen, dass ich mich mit dem
anderen Nachbarn unterhielt.

Fortan grüßten wir einander, wie es hier in unserem Bullergeddo so üblich ist. Ich streichelte ihren dicken Yorki und lächelte sie an, während wir sprachen. Über das Wetter, die Sanierungsarbeiten an den Häusern, manchmal über NakNak*.

Dann klingelte sie eines Tages bei mir. Ob ich mich mit Heimunterbringung auskennen würde.
Ich sagte ihr, dass ich keine Fachfrau bin und es immer wieder Änderungen in dem Bereich gibt, dass ich aber grundsätzlich nicht unwissend bin.
Wir trafen uns also in ihrer Wohnung mit Teppichboden, Vorhängen und einer Sitzgarnitur, die zur Tapete passt.

Sie schilderte mir ihre Schwierigkeiten und Unklarheiten. Vertraute mir ihre Sorgen und Ängste an, während ich still den felligen Klops zu meinen Füßen streichelte und versuchte meine Irritation, über ihren Schritt an mich heran, zu verbergen.
Ich konnte sie beruhigen und vermitteln, wo sie gut hin kann, um das Problem zu klären; handlungsfähig zu bleiben und nicht unter die Räder des Systems zu geraten.
Ich dachte, damit sei es getan. Dachte: „Sie weiß ja nun, wo sie sich einlesen kann, da steht ja alles und jetzt wird sie mich nicht mehr brauchen.“
Ich ging nach Hause und war so wahnsinnig stolz auf mich.
Fühlte mich so erwachsen und mächtig, weil ich jemandem helfen konnte, sich selbst zu ermächtigen und Hilfe zu bekommen.

Zwei Wochen später, hatte ich einen Zettel von ihr im Briefkasten.
„Wenn du mal Zeit hast kannst du mich anrufen“ stand dort in ungelenk-unsicheren Druckbuchstaben mit einer selbstausgedruckten Visitenkarte dazu.
Ich hatte aber keine Zeit.
Und mir war nicht klar, ob es sich um eine Aufforderung oder eine Frage handelte. Ich wollte sie nicht zwischen Tür und Angel- zwischen Termin und Reorientierungsphase drücken, sondern für beides Zeit haben und mich ihr widmen.

Gestern dann lag ein Schreibentwurf von ihr in meinem Briefkasten. Ein offizielles Schreiben an den Heimleiter der Einrichtung, in der ihre Mutter nun lebt, das mich umkippen ließ. Nicht, weil es so schlecht war, sondern weil ich mich wirklich schämte.
Sie kann ganz offensichtlich nicht gut schreiben und lesen. Hat ganz offensichtlich Schwierigkeiten komplexe Zusammenhänge zu erkennen und zu formulieren. Wer weiß, ob sie die Texte, die ich ihr zu lesen empfahl, überhaupt erfassen konnte.

Heute wurde die OECD-Bildungsstudie veröffentlicht, die offenbart, dass jeder sechste deutsche Erwachsene so und so ähnlich gelagerte Probleme hat.

Meine Nachbarin ist so vertraulich, weil ich ihr überlegen bin.
Nicht, weil sie mich wirklich nett findet.
Sie hat sich an mich gewandt, weil ich vermittelte, ich könne diese Texte und Sachverhalte verstehen.
Ich bin beschämt, weil ich ihre Problematik nicht erfasste und so arrogant war, anzunehmen, sie würde mich einfach so nett finden und deshalb Kontakt wollen.
Außerdem bin ich wütend, weil mir nun klar wird, wieso es für sie so aussieht, als könnten ihr alle zuständigen Beratungs- und Hilfestellen nicht helfen: diese Stellen, werden, wie ich, davon ausgegangen sein, dass sie diese Probleme nicht hat und ihr Dinge gesagt bzw. so erklärt haben, als hätte sie die Grundlagen bereits verstanden.

Ich bin wütend auf den Menschen, der sie einen Vertrag hat unterschreiben lassen, ohne ihn ihr zusätzlich mündlich zu erklären mit der Intension, sie begreifen zu lassen. Für sie muss es gewirkt haben, als hätte er bzw. „das Heim“ (ich weiß nicht, mit wem sie dort gesprochen hatte) ihr nur gesagt, wie toll es ihre Mutter haben würde und damit das alles von ihr auch erlaubt ist, müsse sie nur schnell die Unterlagen unterzeichnen.

Sie ist nicht so machtlos, wie es für sie wirkt- sie ist aber nicht in der Lage, ihre Rechte so durchzudrücken, wie andere, weil sie sie nicht ausgedrückt bekommt, was diese Hilflosigkeit auslöst.
Doch selbst dies wiederum auszudrücken, ist für sie offenbar nicht so möglich, dass sie leicht erfasst werden kann.

Ich bin beschämt, weil auch ich dachte: „Naja, sie ist halt ein bisschen einfach gestrickt, ich nehme hier und da mal ein bisschen was raus, vereinfache das, und dann wird das schon.“, anstatt mal 2 Meter weiter zu gehen und zu fragen, ob sie überhaupt eine Sicherheit über die Grundlagen hat. Mich doch noch ein bisschen mehr darüber zu wundern, dass sich ein erwachsener Mensch von bestimmt Ende 50/Anfang 60 , an einen Menschen, der ganz offensichtlich weniger Lebenserfahrung hat, wendet, obwohl schon einige zentrale Anlaufstellen abgeklappert wurden.

Jetzt wird mir klar, wie groß ihr Hilfebedarf tatsächlich ist, damit sie überhaupt ihre Rechte und Wünsche zum Ausdruck bringen kann und durchgesetzt bzw. gewahrt bekommt.
Eigentlich müsste jedes Mal jemand dabei sein, wenn sie Gespräche mit zum Beispiel den Heimmenschen hat.
So lange bis es für sie selbstverständlich ist, sich den Raum und die Zeit zu nehmen, die ihr eigentlich zur Verfügung stehen.

Sie hat das Recht jedes Mal, wenn es um vertragliche Dinge geht; jedes Mal, wenn aufgrund diverser Bestimmungen und Regelungen Probleme für sie im Raum stehen, so lange nachzufragen, bis sie es verstanden hat. Sie hat das Recht darauf zu pochen, dass ihr Dinge noch mal anders erklärt werden.
Sie hat das Recht begreifen zu können.

Und genau dieses Recht wird ihr beschnitten mit dem Anspruch so eine Fähigkeit zum Text- und Zusammenhangverständnis zu besitzen, wie andere Menschen. Er ist unausgesprochen und lediglich in der Form des Textes bzw. der Situation an sich impliziert.

Inzwischen fühle ich mich nicht mehr nur erwachsen mächtig, sondern auch erwachsen verantwortungsbeladen.
Ich weiß es jetzt. Weiß, was da gebraucht ist.
Weiß aber auch, dass ich die falsche Adresse bin.

Weiß eigentlich, dass das nicht meine Verantwortung ist.
Ich weiß aber auch, dass sie sie nicht formuliert bekommt und alle anderen Kackbratzen da auf ihren Amtssesseln diese Verantwortung negieren, mit dem Verweis darauf, dass sie ja erwachsen ist und für sich selbst eintreten muss.

Ich weiß, dass sie sich gedemütigt fühlen wird, wenn ich ihr sage, dass sie sich unbedingt eine/n FürsprecherIn besorgen muss für den Kontakt mit diesen Ämtern und beteiligten Menschen. Mal abgesehen davon, dass ich nicht einmal weiß, wo sie so eine/n FürsprecherIn finden könnte. Eigentlich ja dort, wo sie schon mal war. Doch da müsste ich sie erst mal wieder hinbekommen, nachdem diese Stellen jetzt erst mal die „Bösen“ sind, die ihr nicht helfen…

Es sind nur Buchstaben und Satzzeichen.
Aber sie sind verdammt mächtig.
Nur weil wir, die wir gut lesen und schreiben, sowie Texte inhaltlich verstehen können, dürfen wir ihre Macht nicht unterschätzen.
Es ist eine Macht, die mit Verantwortung einher geht.

Verantwortung, die getragen werden muss.

mein Schweigen und die Therapie

helldunkelmischNachdem ich in der letzten Woche so mit einem Schweigen rang, so sehr um meine Lautsprache kämpfen musste, saß ich in der Therapiestunde und versuchte das Schweigen weiter in Worte zu wickeln. So fest wie es ging, um es an einem Ende der Therapeutin in die Arme zu legen.

Hatte sie doch gesagt, sie könne etwas aus-halten.
Wollte ich doch nur, dass sie etwas mit mir hält, was mich drückt.

Mir fiel auf, wie viele Schichten Worte ich über die Jahre bereits darum gewickelt habe.
Und wie sie anfing eine Schicht nach der anderen abzutasten- lose Fäden ohne Sicherung herunter hängen zu lassen und das Bündel immer wieder zurückzuschieben, wenn der leere Kern erste Schatten voraus warf.
Immer dann wenn ich denke: „Jetzt ist es gut verpackt und liegt auch noch woanders- jetzt kann ich- jetzt darf ich das Verschwiegene bündeln und aus seinem Nest in meinem Bauch- und Rippenfell herausklauben.“, dann liegt mein Schweigen wieder unverpackt- unversichert- ungebunden auf meinem Schoß und versucht sich wie ein Korsett um meine Mitte zu legen.

Seine Fänge wandern meinen Hals hinauf und drücken zu. Stopfen mir Mund und Nase zu, bringen mich dazu durch die Augen atmen zu wollen. Mein Schweigen ist ein nebulösschwarzschreiendes Biest, das mir die Ohren rauschen macht und mir das Denken vernebelt.

Am Ende war ich dankbar um die Wut der verletzten Ungeholfenen hinter mir.
Ließ mich und meinen Mund sagen, dass es doch nicht die Hilfe der Psychologie- der Psychotherapie- sein kann, für alles ein Wort zu haben.
Sie begann einen Satz mit „Doch….“

und das Schweigen tötete mich für einen Moment.

Jetzt sind viele Stunden vergangen und ich halte es, wie auf eine Spindel gespießt, in der Hand und wickle erneut Worte darum herum.

Ein anderes Innen soll herausfinden, was gesagt werden darf.
Ich fange an zu zweifeln, ob je eines meiner gewickelten Worte gehört wurde.
Frage mich wieder, ob ich selbst das Schweigen bin.

Bin ich für sie?
Sichtbar?
Hörbar?
Warum sagt sie mir nicht, was sie hört, damit ich höre, ob sie mein Schweigebündel gehört hat und mit mir hält?

Ich fühle mich alleingelassen mit meinem Schweigen.
Und jetzt auch noch hilfe-los, weil ich beim „Therapie machen“ versage, obwohl ich mich an die Regeln halte.

Die Ungeholfenen brüllen und haben Recht.
Helfer sollen helfen. Sie sollen nicht lügen, dass man Hilfe bekommt, wenn es keine Hilfe ist. Hilfe ist nicht allein Erkenntnis. Sprache ist hilfreich- aber keine Hilfe.

Ich schweige- trotz funktionierender Sprache.

Und nun weiß ich endgültig nicht mehr, was ich dort in der Therapie soll.
Weiß nicht einmal mehr in welche Richtung ich überlegen soll, wenn sie immer wieder sagt, wir sollen uns überlegen, was wir bei ihr wollen.
Waren die Antworten darauf falsch oder hat sie sie nicht gehört?