mein Schweigen und die Therapie

helldunkelmischNachdem ich in der letzten Woche so mit einem Schweigen rang, so sehr um meine Lautsprache kämpfen musste, saß ich in der Therapiestunde und versuchte das Schweigen weiter in Worte zu wickeln. So fest wie es ging, um es an einem Ende der Therapeutin in die Arme zu legen.

Hatte sie doch gesagt, sie könne etwas aus-halten.
Wollte ich doch nur, dass sie etwas mit mir hält, was mich drückt.

Mir fiel auf, wie viele Schichten Worte ich über die Jahre bereits darum gewickelt habe.
Und wie sie anfing eine Schicht nach der anderen abzutasten- lose Fäden ohne Sicherung herunter hängen zu lassen und das Bündel immer wieder zurückzuschieben, wenn der leere Kern erste Schatten voraus warf.
Immer dann wenn ich denke: „Jetzt ist es gut verpackt und liegt auch noch woanders- jetzt kann ich- jetzt darf ich das Verschwiegene bündeln und aus seinem Nest in meinem Bauch- und Rippenfell herausklauben.“, dann liegt mein Schweigen wieder unverpackt- unversichert- ungebunden auf meinem Schoß und versucht sich wie ein Korsett um meine Mitte zu legen.

Seine Fänge wandern meinen Hals hinauf und drücken zu. Stopfen mir Mund und Nase zu, bringen mich dazu durch die Augen atmen zu wollen. Mein Schweigen ist ein nebulösschwarzschreiendes Biest, das mir die Ohren rauschen macht und mir das Denken vernebelt.

Am Ende war ich dankbar um die Wut der verletzten Ungeholfenen hinter mir.
Ließ mich und meinen Mund sagen, dass es doch nicht die Hilfe der Psychologie- der Psychotherapie- sein kann, für alles ein Wort zu haben.
Sie begann einen Satz mit „Doch….“

und das Schweigen tötete mich für einen Moment.

Jetzt sind viele Stunden vergangen und ich halte es, wie auf eine Spindel gespießt, in der Hand und wickle erneut Worte darum herum.

Ein anderes Innen soll herausfinden, was gesagt werden darf.
Ich fange an zu zweifeln, ob je eines meiner gewickelten Worte gehört wurde.
Frage mich wieder, ob ich selbst das Schweigen bin.

Bin ich für sie?
Sichtbar?
Hörbar?
Warum sagt sie mir nicht, was sie hört, damit ich höre, ob sie mein Schweigebündel gehört hat und mit mir hält?

Ich fühle mich alleingelassen mit meinem Schweigen.
Und jetzt auch noch hilfe-los, weil ich beim „Therapie machen“ versage, obwohl ich mich an die Regeln halte.

Die Ungeholfenen brüllen und haben Recht.
Helfer sollen helfen. Sie sollen nicht lügen, dass man Hilfe bekommt, wenn es keine Hilfe ist. Hilfe ist nicht allein Erkenntnis. Sprache ist hilfreich- aber keine Hilfe.

Ich schweige- trotz funktionierender Sprache.

Und nun weiß ich endgültig nicht mehr, was ich dort in der Therapie soll.
Weiß nicht einmal mehr in welche Richtung ich überlegen soll, wenn sie immer wieder sagt, wir sollen uns überlegen, was wir bei ihr wollen.
Waren die Antworten darauf falsch oder hat sie sie nicht gehört?

das Recht zu Schweigen

„Ich erlaube dir auch zu schweigen“.

P1010102Das wars.
Mehr hatte es gar nicht gebraucht.

Wir saßen in der Sonne und sahen NakNak* dabei zu, wie sie erste sacht schwebende Blätter erlegte.
Mein letztes gesprochenes Wort erschien mir so weit weg.
So weit, als hätte ich noch nie etwas gesagt.
Als wäre noch nie etwas durch diesen Stau aus Schmerzschamekelleere gedrungen, den ich nun seit Tagen mit wachsender Verzweiflung von links nach rechts zu sortieren versuchte.

Sie schaute in den Himmel hinauf. An der Sonne vorbei, ins Universum hinein.
Ich starrte sie an und erbrach ein Danke neben ihre ausgetreckten Beine.

„Du darfst heute auch Geheimnisse haben.“.

Ich ließ die ganzen Angst-Abers meine dichte Schweigeleere aufweichen.
„… aber dann versteht sie ja nicht…“
„… aber dann hört es ja nie auf…“
„… aber dann denkt sie…“
„… aber dann muss ich…“

„Ja aber dann könntest du sterben?“, fragte sie und berührte damit die Wurzel.
„Vielleicht?“ piepste es aus meinem Mund und schon kam mir wieder diese Scham hoch. Ich hasse es, wenn Kinder durch mich sprechen und ich so verloren winzig vor mir selbst bin.

„Schatz, du wirst nicht sterben, wenn du der Seelenfrau oder auch mir oder irgendjemandem etwas nicht sagst.“. Sie sprachen über Privatsphäre, Wunscherfüllungsgrenzen, Machtgefühle und Hilflosigkeit.

Später stellte ich fest, dass „neunormal“ vorbei ist.
Spürte ich, dass ich hungrig war.
Dass der Seelenschmerz weniger ist.

Und als ich, spät in der Nacht, versuchte einen Brief an die Therapeutin zu verfassen, fiel mir ein, dass sie genau das eigentlich schon einmal gesagt hatte.

Jetzt kann ich es mir erlauben auch zu schweigen.
Nicht, weil es mir peinlich wäre, es zu sagen. Nicht weil ich denke, ich müsste, weil „man eben so Therapie macht“; nicht, weil ich Angst habe, dass sonst alles so schlimm bleibt, wie es ist, wenn ich es nicht tue.

Sondern weil da jemand außen ist, der mir erlaubt, mir etwas zu erlauben.
So lange, bis ich es mir selbst erlauben kann.
So lange, bis ich das Recht zu schweigen genauso bindend, wie den Zwang zu schweigen empfinde.

Ende

übers Schweigen reden (5)

Es war ein Zufall.
Mein dummes Gestammel am Telefon mit der Therapeutin mit dem aus Versehen- Schlafrealitätsgeständnis, ihrer Nachfrage und dann die Email mit dem Glückwunsch zum Schweigenbrechen.

Hatte ich mein Schweigen kaputt gemacht, als ich etwas zugab, das ich sonst wie ein kleines Privatgeheimnis mit mir herumtrug?
Wann ist ein Schweigen kaputt? Wann ist ein Schweigen gebrochen?
Wer bestimmt wann ein Schweigen beendet ist und wann nicht?

Weil für jemand anderen meine Nichtverleugnung mit Offenheit gleichgesetzt ist- ist dann schon ein Schweigen gebrochen?
Weil ich für einen Moment über eine Schamgrenze gestolpert bin- ist dann schon mein Schweigen beendet?

Muss ich jetzt reden, weil ich sage, dass ich etwas verschweige?
Muss ich mein Schweigen verschweigen, damit es nie zerbrochen werden kann?

Fortsetzung folgt