als ich meine Wohnung umgeräumt hatte…

“Die Störung ist das Wiederkehren des Leidens.”, denke ich gerade.

Ich sitze in meinem Büro und stinke vor mich hin. An meinen Schläfen haben sich kleine Schweißtröpfchen in den Fisselhaaren verfangen und kühlen mich ab.
Zwei Stunden hat es gedauert, bis ich meine Wohnung umgestellt habe.
Ich finde mich zu nett. Bin wütend auf mich, weil ich meine Nachbarin für ihre inzwischen allabendliche auditiv extreme Fickshow verachte und es nicht hinkriege, einfach runter zu gehen und ihr zu sagen, dass es nervt. Dass sie mich in der letzten Woche 3 x in den frühen Morgenstunden damit geweckt hat. Dass mich ihre Zigarettenrauchproduktion anekelt.

Dass ich erst jetzt merkte, dass sie mich anekelt.
Vielleicht wegen dieser Künstlichkeit ihres Lustgeschreis und allem, was ihre Anwesenheit aufdrängt, wenn man den Hausflur betritt.
Vielleicht ist es auch kein richtiger Ekel, sondern einfach so ein Gefühl von “Du bist gefährlich- ich muss mich von dir fernhalten.”.

Ich habe in meinem Kopf ganz klar, dass meine Nachbarin so eine Show abziehen zu müssen glaubt. Ich habe sie irgendwie in die Schublade “Personen, die sich davon abhängig sehen, als gut fickbar zu gelten, damit sie von den Personen, von denen sie gewertschätzt werden wollen, auch gewertschätzt (=gut behandelt) werden”, gesteckt. Tja, shame on me.
Mein Konflikt an der Sache ist, dass ich ja immer denke, wenn ich Menschen ihre Not oder Zwänge oder An.Triebe anerkenne, dann würde es für mich leichter mit bestimmten Verhaltensweisen von ihnen umzugehen.
Oft ist das auch so.

Aber mit meiner Nachbarin ist es nicht so.
Meine Wut steht mir im Weg. Diese große brüllende Masse, die sich vom inneren Hinten gegen mich drückt, mich boxt, mich tritt, mir die Messer im Rücken herumdreht, sobald meine Nachbarin anfängt rumzuschreien, macht mich handlungsunfähig. Das Wissen, dass für den Rest der Welt, das Verhalten meiner Nachbarin als normaler gelabelt ist, als das, was in mir vorgeht, wenn sie loslegt, lähmt mich und lässt mich ohnmächtig zurück.

Immer, wenn ich mit meinen Möbeln umziehe oder sie verstelle, denke ich daran, wie es war, als wir sie gekauft haben. Was für eine Geschichte unsere Möbel so haben.
Die kleinen Kommoden, die es 2007 für 10€ das Stück bei IKEA gab, hatte ich noch mit meiner Jugendhilfebetreuerin gekauft.
Als wir die Päckchen ins Auto luden, sprachen wir darüber, ob man “multiple Persönlichkeitsstörung” als Diagnosenbegriff wirklich so scheiße finden kann, wie wir das damals schon taten.

Ich hatte ihr gesagt, dass ich nicht mehrfach meine Persönlichkeit in mir habe, sondern viele unterschiedliche und, dass ich mich noch nie von meiner Persönlichkeit oder der eines anderen Menschen gestört gefühlt habe.  Sie verstand nicht, was ich ihr damit sagen wollte und irgendwie ist es auch versickert.
Jetzt schob ich diese Kommode durch mein hellstes größtes, eigentlich schönstes Zimmer, das durch eine massive Störung zum unbenutzbaren Raum verkommen ist und sitze zusammengepresst in all der Vielheit dessen, was wir tun, inmitten aller angefangenen und im Lauf befindlichen Projekte, des dazugehörenden Materials, direkt neben meinem Bett.

Und ich lache mich aus.
Weil ich denke: “Wenn das alles mal vorbei ist…” und gleichzeitig kein einziges Wort für den Schmerz habe, der damit gemeint ist.

Eisnacht

imEis“Wieso war mir das jetzt so wichtig nicht alleine nach Hause zu gehen?”, grimme ich mich selbst an.
Aus meinem Handy krümeln die Worte der Gemögten und legen eine Spur von dem Park, in dem ich meine Füße im Ententeich wiedergefunden habe, bis zu mir.

Ihr Mitleid ekelt mich fremd. Ich finde sie peinlich in ihrem Bemühen um uns. Die Angst tritt von innen gegen meine Haut und ich merke an mir, dass ich nicht nur einen Weg nach Hause suche, der die 3 Kilometer abkürzt, sondern mir auch ein Ausweg aus dieser Not.lage ist.
Wäre mein Mund nicht so verklebt würde ich schreien, glaube ich. Einfach nur so. Ohne Wörter.

Sie spricht von Wohnung umstellen, von Türen verschließen, von Zetteln an der Wohnungstür.

“Wenn ich jetzt so ein Loch unter der Nase hätte, dann könnte ich schreien.”, denke ich und ziehe meine durchnässten Hausschuhe aus. “Meine Schreie würden in den Ästen hängen bleiben und es würde aussehen, wie Laubgeister.”.
Sie fragt, ob ich noch da bin. Ich nicke. Sie schubst ihre Stimme noch eine Oktave höher. “Bist du noch da?!”.

Ich schnipse vors Handy. Denke an diese App mit der man einander beim Telefonieren sehen kann.
Sie hat schon wieder vergessen, dass ich keine Lautsprache kann. Sie vergisst ständig, dass ich Text brauche.

“Wieso werde ich ständig vergessen?”, denke ich und halte es für den besten ersten Schrei von mir.

Auf dem Gehweg vor dem Haus liegt der Schlüsselbund.
“Wie bescheuert kann man sein?”, knirsche ich hinter mich und nehme das kalte Metall in die Hand. Die Füße der Legosuperwoman streifen meine Handwurzel.

Die Gemögte will weiter reden. “Ich kann euch doch jetzt nicht allein lassen!”.
“Wenn ich jetzt losschreien würde, dann würde ich die Wohnung damit vergiften.”, denke ich und öffne die Tür, hinter der NakNak* wartet.

“Ich bin nicht mehr allein”, sagt die andere und legt ihr verfrorenes Vogelherz auf die Heizung.
Es ist 5 Uhr 37, als es aufhört weh zu tun und 7 Uhr 3, als ich ins Handy tippe:
„Es ist niemand „weggelaufen“.
Wer „wegläuft“ nimmt sein Handy nicht mit und schließt auch nicht die Tür hinter sich ab.“

Ich tippe auf „senden“ und ziehe die Decke etwas höher.
„Ich wäre gern mein eigener Schrei“, denke ich und schaue dem Tag beim heller werden zu.

 

Gedanken

dis

 

Vielleicht ist, mir zu sagen, ich sei krank/kaputt/falsch oder auch “eigentlich ganz okay, nur …” , das Beste, was man mir sagen kann, wenn da die Ahnung, ich könnte ein Etwas ohne greifbares Selbst sein, ans Bewusstseinstürchen klopft.
Wer kann denn aushalten zu wissen, dass es etwas, das reden, sich verhalten, fühlen und denken kann, vielleicht doch gar nicht so richtig gibt?

Am Ende ist es vielleicht nicht der Widerspruch, der den Leidensdruck auslöst, sondern der Zwang völlig ohne ihn zu existieren.