diese Nächte

Es sind Nächte wie diese, die ich so fürchte.

Am Morgen und am Abend des Tages wütete ich, glitt durch die Zwischenzeit denkend, erlebend, diffus ängstlich in mir und meiner Umgebung herumtreibend. Dachte, dass ich bereits viel zu lange verschiedene Kränkungen meines Egos hinnehme und mir selbst die Schuld dafür geben lasse.
Und trotz dem ich weiß, meine Kraft ist verschwendet an der Stelle, bringe ich sie auf. So überzeuge ich mich von meinem eigenen Sein, als jemand der eine Stärke in sich trägt, die für andere Menschen hilfreich ist.

Ich brauche dieses Wissen, denn wo Kraft für andere ist, kann auch für mich etwas wachsen, wenn ich es wert genug bin. Vor mir selbst und vor Anderen. Irgendwann.

Und dann wird es dunkel und die Welt wird grau und schwarz. So diffus und doch klar umrissen, wie mein Inneres. Mein Panzer bricht auf und lässt mich gleichsam verschmelzen, wie mich selbst verlieren.

Ich bin müde und wie von selbst tropfe ich in ein Meer aus sandigem Wasser. Süße Rettung fern von allem und doch dringt auch ein herzzerreißendes Fiepen an mich. Ganz dumpf, ganz zart, aber mitten in mich hinein. Es ist in mir, mit mir verwoben, doch wie ein Fremdkörper.

Ich stehe am immer offenen Fenster und starre ins Nichts. Ich merke, dass ich rauche und doch ist es der Anblick meiner Tränen, die auf die Fensterbank fallen, der mich fesselt. Mein Verhalten ist neu. Ich habe nie geraucht, braucht nie etwas zum Festhalten, wie der starke Kämpfer bei uns. Ich habe mir meinen Halt immer selbst in dem was ich tue geholt. Habe nie geweint. Konnte es nie und kann es bis heute nicht.

Meine Versuche mich zu wecken und aus diesem inneren Benutztwerden scheitern nicht. Ich kann es jederzeit beenden. Kann immer etwas tun.
Aber in der letzten Zeit wird es unterwandert.

Da ist dieser Satz der mir all mein Tun unwürdig erscheinen lässt. Stimmen von außen, die mich angreifen und mich schmerzen. Ein Schwarz im Grau wachsen lassen und mir meine Flucht nach innen aufdrängen. Eine Balance zu halten fällt mir mit jedem Tag schwerer und oft entgleitet mir die ganze Welt.

So wie jetzt. Zu müde zum Wachsein, doch zu wach um direkt in den Schlaf zu gleiten. Zu satt zum essen, doch zu hungrig um die Kontrolle zu halten. Ich habe Schmerzen im Rücken, doch nicht genug um Schmerzmittel zu nehmen. Ich will den Hund spüren und bin doch nicht genug im Körper dafür. Ich schreibe und fühle mich doch entfernt von meinen Worten. Die Tränen auf der Fensterbank sind längst getrocknet und tropfen doch in mir weiter.

Ich bin irgendwie verlassen, obwohl in mir etwas ist, das bei mir ist.

Ich dissoziiere fast schon und hänge noch an der Stelle zwischen Intrusion und Konstriktion.
Schön, das zu wissen.

vom Selbst- sein und der Wahrnehmung des eigenen Selbst- seins

Wer wir sind, erfahren wir nicht, wenn wir wissen zu wem oder was wir uns zuordnen.
Wir erfahren nur, was wir können.

Als wir die Therapie anfingen war es das Grundthema: „Bin ich eigentlich?“
Erst einmal spüren und bei allen von uns klar zu bekommen, dass wir wirklich existieren.
Ein Mensch sind. Was Menschen können, dürfen, sollen, müssen und wo, wie, wann sie das können, dürfen, sollen und müssen.
Ganz basal. Absolut niedrig und fern von Wertung, Bedeutung und Erwartung.

Es ging in unserer Erziehung und auch späteren Sozialisierung viel darum Etwas oder ein Jemand zu sein- nicht darum, wie es ist zu sein. Wie sich dies anfühlt oder wie die subjektive Bewertung dessen war. Es gab in unserem Leben ein Sozialkonstrukt, dass nach körperlicher Reife und Eignung zu diversen Handlungen gestaffelt war. War man 3 Jahre alt, war man etwas (oder jemand) anderes als jemand (oder etwas) der (das) 33 Jahre alt war. Vom Etwas zum Jemand und vom Jemand zum Sein zu werden, war das erklärte Ziel von allem was uns begegnete.

Die eigene Existenz- das ganz ureigene (So-) Sein wie man ist, spielte dabei keine bzw. eine untergeordnete Rolle, als etwas, das defizitär ist und zu formen gilt. Das ist das Gift im Problemkreis der Seelenmörder, Sekten und sektuöser Gemeinschaften: Man ist nicht „Mensch, der nach XY lebt und denkt“, man ist „das was man lebt und denkt“. Man ist „die Gruppe/ der Guru/ der destruktive Partner etc. „.
Es gibt keine akzeptierte und respektierte Grenze zwischen sich als Mensch mit ureigenem Sein und dem was auf einen einwirkt.

Das ist in vielerlei Hinsicht gut, wie ich das jetzt nach der Lektüre von dem Buch „Der Feind im Innern“ von Michaela Huber aufgenommen habe. Wenn man, wie der Täter/ Anführer/ dominante Part oder dessen „Lehre“ entsprechend in seiner Umgebung ist, findet dieser eine Gleichheit und keinen Widerstand, der von ihm gebrochen werden kann/ muss.
Gleichheit schützt. „Gleich und gleich gesellt sich gern“, sagt man nicht ohne Grund.

Wir Menschen sind soziale Wesen. In unseren Zellkernen steckt das tiefe Wissen, dass wir ohne andere Menschen um uns herum, niedrige bis gar keine Chancen haben, unser Leben zu entsprechend unserer Grundbedürfnisse zu gestalten, zu schützen und am Ende sogar weitergeben zu können.

Das Problem dabei ist, dass man eben wie jemand anders agieren kann, doch niemals derjenige sein kann. Selbst Klone haben ein eigenes Sein- obwohl sie gleichen biologischen Anlagen haben. Die Seele- das ureigene Sein ist immer einzigartig.

Es gibt diesen Begriffknoten ums „Sein“.
An der Frage: „Wer bist du?“, kann ich es gut darstellen.
Die meisten Menschen antworten reflexhaft mit: „Ich bin Farfalla Regenbogen“. Nicht: „Ich bin ein Mensch, dessen Körper Farfalla Regenbogen genannt wird.“ (Ich bin mein Sein mit diesen und jenen Eigenschaften, die sich in einem Körper, genannt Farfalla Regenbogen, bündeln.)

Haarspalterei? Vielleicht.
Doch bei Menschen mit Selbstunsicherheit kann so eine Differenzierung eine Hilfe sein, wie für mich auch.
Wer bin ich, was macht mich aus, was bewirke ich?

Der Schlag unter die Gürtellinie ist in so einer Phase: „Ich bin ein Nichts im Universum- ich bin egal, ich hinterlasse nichts, bewege nichts…“. Es ist ein Tiefschlag, weil er einen größeren Denkrahmen impliziert, als er eigentlich verwendet und gebraucht wird. Es wird ein Mangel an Demut, am Wissen um die eigene Begrenztheit im großen Lauf der Dinge impliziert.
Mir wird fix mal Größenwahn unterstellt, wenn ich sage, ich möchte etwas verändern, möchte grundlegende Veränderungen schaffen, möchte gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Als würde ich von der ganzen Menschheit oder der Welt sprechen. Dabei spreche ich von meinem kleinen Dunstkreis oder auch ganz allein mir und meinem Miteinander im Alltag.
Was interessiert mich das Universum, wenn es mein kleines „Bullergeddo“ ist, in dem ich lebe und das auf mich einwirkt? Ich muss mich nicht um die ganze Welt kümmern, denn es ist nicht die ganze Welt, die mit mir zu tun hat.

Und überhaupt muss ich dafür erst einmal wissen, wer ich bin. Wie mein Sein ist, wie es wirkt, was für Eigenschaften da sind und wie ich sie im Rahmen meiner biologischen, sozialen, kulturellen und ökomischen Bedingungen nutzen kann. Wo fange ich an und wo höre ich auf?
Wir sind also beim Thema Abgrenzung, Selbstreflektion und Selbstwirksamkeit.

Ich bin bedingt selbstreflektiert. Entweder nutze ich mein Tagebuch als Ursache-Wirkungs-Protokoll, oder meine Mitmenschen bzw. ihre Reaktionen auf mein Einwirken auf sie.
Aufgrund meiner dissoziativen Störungen, kann ich nicht alles, was mittels meines Körpers von meinem Sein transportiert wird, wahrnehmen. Heißt: Ich bin blind für manche Dinge und merke es nicht, wenn es keine für mich wahrnehmbare Wirkung im Außen hat. Etwa, weil ich den sozialen Kontext nicht erlebe, oder weil es darüber keine Aufzeichnung im Tagebuch gibt. Das macht mich selbstunsicher und es ist schwer eine ganzheitliche Einschätzung meiner Fähigkeiten und Eigenschaften bezüglich meines Seins (hier: Selbsts) zu erfahren.

Und das ist es, was die DIS auch mit so komplex macht: Ich weiß, was ich als Innen in diesem Gesamtmenschen kann und tue das auch. Doch ich weiß nicht, was ich als Ganzmensch für alle anderen Menschen wahrnehmbar kann und tue.

Der eine lernt eine C. Rosenblatt kennen und erlebt jemanden, der Hände schütteln, lächeln, sich sachlich und schlicht ausdrücken kann. Der Nächste lernt eine H. kennen, die auf Ausstellungen geht und sich auf die Schulter klopft, wenn sie es schafft sich für ein Kleidungsstück zu entscheiden. Wieder jemand anderes lernt eine E. kennen, die ihn anrotzt, wieso bei Werkstück XY der Schraubendreher Größe 8 bei einer Schraube die auf Größe 6 ausgelegt ist, verwendet wird und so weiter und so weiter.
Sie alle wissen, was sie können und tun dies- doch sie könnten, rein theoretisch, auch jeweils die anderen Dinge. Sie nehmen sie aber nicht bewusst (assoziativ) wahr oder als etwas, dass nicht zu ihrem Gesamtsein gehört.

Wir sind jetzt, nach langer Zeit in Therapie, so weit zu wissen- rein rational-, wo die Eigenschaften und Fähigkeiten insgesamt da sind. Also ich weiß, dass dieser Körper fähig zu Dingen wie schreiben, denken, handwerken, soziale Interaktion etc. ist, hänge aber an dem Punkt, an dem es sich nachwievor nicht so anfühlt, als gehöre dies zu meinem Sein. Zu meinem Selbst- so- sein wie ich als „Gesamtsein“ in einem Menschen bin.
Für mich ist es nachwievor Innen A, B, C, das dies kann.

Dazu gehören auch Positionierungen in sozialen, religiösen oder kulturellen Bezügen.
Ich weiß, dass viele bei uns nach dem jüdischen Kalender leben, würde dennoch von mir selbst nicht sagen „Ich bin Jüdin“. Genauso wenig wie ich sagen würde, ich sei Handwerkerin, Schriftstellerin, Lesbe oder Philosophin.

Ich brauche es ganz basal, um mir meiner selbst sicher zu sein: Ich bin ein Mensch- der Rest sind optionale Etikettierungen, die ich mir später vielleicht als mir zugehörig annehme oder auch nicht.
Mein Sein wird davon nicht berührt, keine dieser Beschreibungen haben etwas mit mir zu tun und das wäre nicht anders, wenn ich sie nennen würde. Mich also irgendwo so vorstellte: Hallo ich heiße XY und bin Handwerkerin.

Ich wäre es nicht, nur weil ich es sage und die Fähigkeiten in meinem Körper inne habe, dieses Etikett zurecht mit mir herumzutragen. Es würde nicht sagen wer ich bin- es würde sich nur anders anfühlen mit dieser Selbstbeschreibung von Menschen angenommen zu werden.

Ich glaube, dass es sehr viel mehr Mut und Selbstsicherheit braucht, als man meinen könnte, auf Etiketten und Zugehörigkeitsbeschreibungen zu verzichten.

Es ist einfach leichter, wenn man für vieles von sich selbst blind ist, sich in Kreisen zu bewegen, die ausschließlich auf den direkt abruf- und reproduzierbaren Fähigkeiten basieren. Zum Beispiel eben auch in zum Beispiel sektuösen Gemeinschaften zu leben, die einem genau vermitteln, wer man ist und was man kann (zu können hat). Dort ist das alles klar und der Rest ist irrelevant.
Deshalb hier auch noch mal der Einschub: Es ist hilfreich eine Therapie zu beginnen, selbst wenn man noch in Täterkontakten steckt! Woher zum Geier soll man sonst erfahren, was noch für Fähigkeiten und Eigenschaften in einem stecken, als die die erforderlich sind, um in Gewaltbeziehungen zu überleben?!
Es ist egal, ob sie auch gleich nutzbar sind- das Erfahren selbst macht den Unterschied und erschafft eine Wahlmöglichkeit, die vorher nicht erfahrbar war. Welche dann wiederum irgendwann soweit wachsen kann, dass sie hilfreich ist, bei der Lösung aus solchen destruktiven Kreisen.

„Vom So-Sein, welches einem hilft zu überleben und funktional zu sein, zur Entdeckung des Gesamtselbst- seins“, so hab ich mir die „Abgrenzungskurse“ in div. Kliniken erklärt.
„Suchen Sie sich hier im Raum den Platz, an dem sie sich am Besten fühlen… Was gibt ihnen dieser Platz und woran merken Sie das? … Wo im Alltag haben Sie noch so einen Platz? … Wann suchen Sie ihn auf- können Sie ihn aufsuchen oder ist es der Wäscheablageplatz ihres Mitbewohners?“… Was können Sie tun, um diesen guten Platz für sich zu sichern?“.
Klingt alles total leicht, oder?
Ich stand in diesem Raum und dachte nur: „Orrr weiß ich doch nicht! Ist doch auch egal- so hier platsch, ich bin hier um meine Aufgabe zu erfüllen und peng. Haken hinter und weiter im Text.“.

Ich hatte keine Ahnung, wie sich ein Sicherheitsgefühl anfühlt, weil ich mich selbst nicht gefühlt habe. Durch die Übungen allein habe, ich das auch nicht entwickelt- aber dieser Anstoß mich das mal zu fragen und zu merken, dass ich da einen blinden Fleck habe, der mir hinderlich sein kann, war hilfreich. Ich fragte mich das später immer wieder mal und entknotete meine inneren Fühler, um sie über mein Selbst gleiten zu lassen. Ob sich etwas gut oder schlecht anfühlt, kann ja nur von dort kommen.

Alles was ich dabei so fühlte und spürte war damals noch schwammig (und ist es in manchen Bereichen nachwievor), doch es bekam so eine Grenze. Ich tastete ja mein Sein ab- nicht das eines anderen Menschen. Zu lernen, dass Gefühle und Gedanken nicht deckungsgleich sind und auch nur selten deckungsgleich sein können, war für mich der erste Schritt. 91004_web_R_K_B_by_Michael.O_pixelio.de
So und so fühlt sich XY für mich allein an und löst XY in mir allein aus. Egal, wie es jemand anderes nennt, bewertet oder von mir verlangt. Ich bin ich selbst und das Gegenüber ist das Gegenüber selbst- auch wenn es Aspekte der Gleichheit gibt- wir sind nicht kongruent.

So löste sich an manchen Stellen auch das spontane „mit dem Gegenüber verschmelzen und ihn in der Wahrnehmung einer Gleichheit wiegen, damit er mir nichts tut“ auf. Je deutlicher ich erfahre, was ich kann, um zu überprüfen ob mir reale Gefahr droht oder um klar zu haben, was im Miteinander erlaubt ist und was nicht, desto sicherer werde ich mir in Bezug auf mich selbst. 

Mich zum jetzigen Zeitpunkt einer Gruppe anzuschließen, würde mich dabei behindern. Ich weiß ganz genau, dass ich ganz und gar verschmelzen würde, oder mindestens Gefahr laufen würde, das zu tun. Die anderen Innens würden wieder unterdrückt und schlechter versorgt. Ich würde vermutlich auch wieder aufhören Selbstfürsorge zu betreiben und nicht merken, wenn es uns als Gesamtselbst schlecht geht.

Sich abzugrenzen, wirkt egozentrisch- es ist auch egozentrisch. Doch daran ist nichts Schlimmes- auch wenn der Begriff oft negativ konnotiert ist. Genauso wie es als negativ oder arrogant gilt, sich mit seinem Sein irgendwo kategorisiert wissen zu wollen, wenn es sich für einen selbst nicht stimmig anfühlt.

Im Grunde aber halte ich es für mutig und aufrecht.
Für mich ist es ein Marker von Selbstbestimmung und damit wiederum, gerade bei Menschen die zwischenmenschliche Gewalt erfuhren, ein Teil der Heilung davon.

besondertäglich

Gestern haben wir uns Kunst angeschaut. Wir sind aus dem Haus gegangen, haben unsere neuen Gemögten getroffen und sind in der Öffentlichkeit gewesen.
Schwusch!
Das ist etwas, wozu ich mir normalerweise meine rot- güldenen Wonderwomenstiefel sowie meine Kleiderschutzpanzer anziehe und hoffe, die Aufmerksamkeit bei den Menschen, die mich kennen, die ganze Zeit über halten zu können.

Aber gestern schien die Sonne. Es war warm, während ein bisschen Wind ging.
Es war das typische Problem von Menschen, die sich selbst verletzen: Was ziehe ich an? Lang, kurz, welcher Stoff in wie vielen Lagen ist aushaltbar und trägt nicht zu einer übermäßigen Geruchsentwicklung bei? Was passt zusammen und ist dem Anlass angemessen?

Ich war so unangezogen wie schon viele Jahre nicht mehr.
Ein Kleid, das überm Knie endet und dessen Ärmel nur die Schulterkugeln bedecken.
„Mooa das Kleid ist genau richtig jetzt- ich nehm das jetzt. Seide ist gut bei dem Wetter. Die Strumpfhose passt dazu und die Schuhe- ich nehm das jetzt. Ja, ich nehm das jetzt. Ich will das jetzt anziehen.“
[- „Du denkst auch nie an die Anderen, ne? Weißte, das ist, was unsere Kontakte immer so kaputt gehen lässt- die gelten doch gleich als was, was sie nicht sind, wenn sie mit dir so gesehen werden.“]
Schnell über Twitter nochmal gefragt, obs okay für sie ist.
Ist es. Ha! Bätsch!

[- „Du siehst scheiße aus. Lass es. Alle werden dich angucken- eh schon wegen des Zopfes und dann sehen sie die Narben und dann bist du wieder Klopsi von Ballerburg zu Psychohirn- aber das willst du ja, ne? Du willst nicht, dass die Leute etwas Anderes von dir denken, ne?“
– „So willst du gehen? Du siehst nach „Fick mich“ aus. Wenn dich einer anquatscht, haste selber schuld.“
– „Schrecklich- einfach schrecklich. Hässlich.“
– „Das ist zu unsicher. Man sieht zu viel vom Körper. Man soll sich nicht so zur Schau stellen- oder suchst du einen Ehemann? Dann wärst du im Frauenkulturzentrum sicher falsch.“]

Ich schleifte NakNak* durch den Park und wurde wieder unsicher. Aber die Zeit wurde knapp und ich hatte keine Lust mehr mich nochmal in den Kleiderschrank zu setzen und festzustellen, dass das Kleid eben doch das Beste, neben der üblichen Alltagspanzerung, gewesen wäre.
Es war ein besonderer Anlass, es war ein nicht alltägliches Zusammenkommen.

Im Sommer werden wir auch im mehrschichtigen Sichtschutz angequatscht und „angeflirtet“. Die Klamotte spielt dabei keine Rolle, sondern lediglich unsere biologische Weiblichkeit. Für solche Menschen sagt jede Kleidung „Fick mich“. Und einen Ehemann zu finden, hat auch nichts mit dem Aussehen oder dem Zeigen der Körperlichkeit zu tun. Mal abgesehen davon, muss ich mal noch herausfinden, wo das nun wieder herkam. Klingt nach Zeitverschiebung um etwa 60-70 Jahre…

Wir gingen zurück in die Wohnung, in der sich NakNak* uftzend unter die Essecke fallen ließ.

Ja? Nein?
Verdammt- Ja!

Dann fiel mir noch etwas ein, was dieses Gewülst aus innerer Ablehnung und Kommentiererei beenden könnte. Mensch XY nebenan.

„Ist Mensch XY da?“, fragte ich den Besuch, der bei ihm in der Küche stand.
– „Nee, der ist grad was einkaufen.“
Hm… was jetzt? Die pünktliche Bahn hatte ich jetzt schon verpasst, noch später zu kommen ging nicht.
– „Na dann- kannst du mir grad sagen, dass ich nicht komplett furchtbar aussehe?“
[Warg- eines der Teenieinnens. Nein Nein Nein geh weg- jetzt waaaa nicht jetzt.]
„Ach nein gar nicht! Wirklich nicht.“
„Okay, danke- Erklärung kommt später- Tschüüüß“, umgedreht und los! Im Laufen merken, wie dieses Teenieinnen es genießt weniger zu tragen und etwas das wir „halb und halb“ nennen versuchen. Akzeptieren dabei Britney Spears in den Ohren haben.

Die Ausstellung war schön, die flockige Art des jüngeren Innens in meiner Nähe war hilfreich, den Kontakt zu den Gemögten zu halten. Wenn auch weniger hilfreich beim Thema „VulvaArt“ der Ausstellung. Meine Güte- Teenies sind echt unreif, wenn ich das hier grad mal anmerken darf haha

Wir haben jemand Neues kennengelernt, und sind im Anschluss sogar noch in der Öffentlichkeit essen gegangen. Auch so eine Sache gerade. Menschenessen essen, sichtbar sein, kurzärmlig sein, sprechen, denken, interagieren. Die Menschen beobachten, imitieren und das alles mit Nutzung des Sprachzentrums, während man den inneren Händen und Füßen wegstemmt, was sich hochdrücken will.
Merken, wie leicht der Nichtkörpername bei einer Vorstellung gesagt werden kann. Wie gut er in diese Konstellation passt, wie sehr es erleichtert, „die Hannah“ sein zu dürfen und von Anfang an so bekannt zu sein.

Merken, wie gut es tut, vermitteln zu dürfen, dass man nicht gut bitten kann nach Hause gefahren zu werden und nicht alles dahinter auch noch sagen zu müssen. Am Ende sogar ein bisschen vergessen zu können, was man gerade an hat und wie man aussieht.

Zu Hause haben wir uns wieder umgezogen. Aber nur weil sich Wolken am Himmel zeigten und die Nacht kühl zu werden begann. Erst mal ein bisschen in NakNak*s Fell weinen vor Dankbarkeit und das Eindrucksgewirbel im Laufen mit dem Hund verteilen. Es einfach im Park liegen lassen.
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Irgendwann in der Nacht sogar traurig darüber sein, seinen Höhenflug beenden zu müssen, weil der Körper nach Schlaf jammert.

Nein, es war nicht alltäglich. Es war besondertäglich. Schön und nah dran an dem, was wir uns für die Zukunft vorstellen.

Danke ihr Beiden!

über die Schwere, die dazu kommt

Ich hatte beim Lesen unserer Einträge gestern einen „glory Moment“- ein kleines „Pling“ sozusagen, dass mit meiner Giftsuppe zu tun hat.

Ich habe schon immer ein BÄÄÄM neben mir stehen, das mir zu jeder Gelegenheit sagt: „Du bist dumm, wie Bohnenstroh“, und ein Unverständnis meiner Umgebung als Beweis dafür nimmt, genau auch wie die Tatsache weder Abitur, noch Studium oder Arbeit vorweisen zu können. Laut dem BÄÄÄM alles Dinge die nicht so wären, wäre ich nicht dumm.

Es hat mir geholfen meinen Intelligenzquotienten zu wissen, denn so konnte ich die Differenzierung zwischen „Dummheit“ und „Unbildung“ vornehmen. Das Testergebnis sagte mir, dass ich hochbegabt bin- ergo nicht unfähig Bildung zu erfahren.
Es sagte mir aber auch, dass ich zu den 2% der Menschen gehöre, die so ein breites Spektrum zur Aufnahme und Verknüpfung von Informationen verwenden, dass es für andere Menschen zu viel sein kann, um mir zu folgen, wenn sie ein etwas schmaleres Spektrum nutzen.

Damals hat es mich ein wenig erleichtert und mir geholfen, weniger ungeduldig und auch dominant gegenüber meinen Mitmenschen zu agieren. Meine Bereitschaft meine Gedanken zu erklären und nachvollziehbarer zu machen, wuchs proportional zum Sinken meiner Bereitschaft Kontakte zu pflegen, bei denen ich dies tatsächlich auch tun muss.

Menschen, die selbst ungeduldig sind, nehmen sich nicht die Zeit mir zuzuhören. Menschen, die von ihrem Denken hochgradig überzeugt sind und sich darin stabil fühlen, stellen weniger gern andere Aspekte daneben oder integrieren sie. Und dann gibt es natürlich auch die Menschen, die meine Massen, so wie ich sie transportiere, auch wirklich einfach nicht aufnehmen können, egal wie gut oder schlecht sie erkläre.

Es kostet uns Kraft mit Menschen zu interagieren. Da spielen die Folgen der Gewalt hinein und wirken noch zusätzlich als Klotz am Bein. So ist bei uns eine Dynamik entstanden, in der es viel ums „schwer sein“, „zu viel sein“, „zu anstrengend sein“, „eine Belastung darstellen“ geht.
Manche Innens erleben es so, wie es das Eine in „die Einladung zur Klassenfahrt Teil 2“ beschrieb und manche so, wie ich es jetzt versuche zu erklären.

Ich habe nicht viel von der Schulzeit erlebt, aber das was ich erlebte, passt ganz genau in die typischen Problembereiche für Menschen mit Hochbegabung.
Einmal hielt ich ein Referat im Geschichtsunterricht und die Lehrerin kommentierte ihn mit: „Zu lang, am Thema vorbei, Note 3.“. Es ging um die Ständegesellschaft um die Jahrhundertwende.
Sie wollte eine platte Darstellung der Stände, mit ein paar Fotos aus dem Internet und dem Fazit: „Jo, war ne schlimme Zeit- ist ja aber zum Glück vorbei.“.
Ich lieferte eine Entwicklungsgeschichte der Stände, die Faktoren die zum langen Überleben dieser Gesellschaft führten, die Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, sowie einen Vergleich zur heutigen Klassengesellschaft und dessen Auswirkungen auf unser Leben.

Als ich für das Referat recherchierte, drängten sich mir diese Dinge auf und ich fand sie alle wichtig. Ich dachte, mein Schlussplädoyer („Hallo- es hat sich nichts verändert- wir nennen es nur anders“) sei nachvollziehbarer, wenn ich das auch alles gleich mit reinnehme.
Ich denke bis heute, dass das so war- es war ein gutes Referat. Nicht nur, weil ich so viel mehr Zeit dafür aufgebracht hatte, sondern weil es umfassender war, als die tabellarische Darstellung die meine Mitschüler vorzeigten.

Der Auftrag war klar formuliert: „Informiere dich über die Ständegesellschaft um 1900 und vergleiche sie mit der Gesellschaft von heute.“.
Der implizierte Auftrag war aber: „Gib wieder, was ich dir schon mal gesagt habe- nicht, was du selbst denkst und herausfindest.“.

Sag mir was ich dir zeige- nicht das, was du siehst.
Damit kann ich das Problem gut beschreiben. Das ist es was mir so oft begegnet und mich scheitern lässt. Ich kann nur wiedergeben, was ich sehe und das ist viel. Das ist mehr, als das, was viele andere Menschen sehen und mir zeigen.

In der Wissenschaft ist es leicht kompensierbar, denn die Wissenschaft ist suchend. Sie will ein breites Spektrum um die Wahrheit zu finden; um breit anwendbare Gesetze und Funktionen zu erstellen.
Die soziale Interaktion hingegen ist meistens gewillt Bestätigung zu finden. Sie ist darauf angewiesen Muster zu haben und diese zu wiederholen. Man sucht die Gleichheit und kreist in ihr. Muster mit anderem Etikett, lassen sich manchmal mit einbringen, doch je mehr Muster hinzukommen, desto schwerer erscheinen sie vereinbar. 351578_web_R_B_by_Oliver Haja_pixelio.de

Ich habe das mal mit einem Mandalastapel verglichen. In der Wissenschaft sagt man: „Wooohoo geil- so viele Schnittpunkte passen übereinander- lasst uns das „Intersektionalität“ nennen und damit arbeiten.“. Im Miteinander sagt man mir: „Das ist mir zu hoch- das Reden mit dir, ist mir zu anstrengend- geh weg oder machs anders.“.

Wir haben heute ein Kontaktnetz, dass wir relativ flexibel dosieren können.
Da gibt es hochgebildete Menschen, die uns am Privileg „Bildung“ teilhaben lassen, unsere Vielheit aushalten und sich den Punkten widmen, die sie erfassen können. Alle zusammen in einer Person zu haben wäre ein Nirwana für uns. Aus kleinen Spezialbuden würde ein Laden werden, der alles hat.

Doch natürlich gibt es das nicht und inzwischen haben wir auch aufgehört so jemanden zu suchen. Wir sind froh und dankbar um jeden der uns als ein Mensch der Viele ist und viel sieht, nimmt, wie wir sind und wertvoll findet, was wir zeigen- egal, ob es ganz erfassbar ist oder nicht.
Wir haben Menschen gefunden, die suchend oder mindestens motiviert zur Suche sind. Sie sind offen und erkennen auch soziale Intersektionalität als etwas Bereicherndes an- nicht als etwas Schweres, dass man vermeiden muss, um sein Gefühl von Stabilität zu erhalten.

Sie sind so ein wertvolles Gegengewicht zu dem sozialen Gift aus Ablehnung und Ignoranz, die allein unser Sein, als Ursache einer Belastung an sich betrachtete und uns damit immer wieder vermittelte falsch zu sein. So falsch eben wie Bohnenstroh, statt Bohnenfrucht in einer Mahlzeit.

Es ist ein Topf mit Düngersuppe und immer wenn wir sie treffen gelangt ein Tropfen davon zu uns.
Wir werden nicht leichter zu tragen und der Wunsch nach Vereinfachung von allem geht deshalb nicht weg. Aber sie machen es uns leichter schwer zu sein.

Und es vielleicht irgendwann auch mal selbst richtig und gut zu finden.

Die Einladung zum Klassentreffen Teil 2

Es geht nicht darum, dass ich mich unterlegen oder minderwertig fühle.
Es geht um die Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins. Der Vereinfachung von allem.

Mit mir zu tun zu haben, bedeutete von je her eine Schwere und Belastung.
Ich bin niemand mit dem man einfache, flache Gespräche führen kann. Es gibt kaum Berührungspunkte in gesellschaftlich anerkannten Vermeidungstänzen, wie Politikverdrossenheit, Popkultur und was es sonst noch gibt.

Es macht mich nicht nur traurig meine KlassenkameradInnen nicht treffen zu können, weil es eine Gefahr für mich darstellt diese Stadt zu besuchen, oder weil ich den Kraftakt der Innens- und Erinnerungskontrolle fürchte.

Es geht mir darum keine flachen Gespräche führen zu können.
Immer bleibt mir nur der Moloch aus Schwere von Gewalt und seinen Folgen, die meinen Schmerz berühren und mich angreifbar machen.

Sie werden das auch haben. Sie werden auch eine Schwere in ihrem Leben haben oder Schwere spüren und nachfühlen können. Aber sie können etwas davor halten und ich nicht.

Ich möchte es erleben. Nur ein einziges Mal möchte ich das auch haben.
Hingehen, sagen: Guck hier- ich habe das und das und das bewegt- obwohl es nicht einfach war.

Ich habe mich rausgequält, bin kaputt und noch immer nicht gerächt. Mein Leben war eine Hölle und ist es manchmal noch heute, aber BAMM BAMM BAMM das ist hier kommt von mir und bleibt und ist wertig und wird anerkannt und ich kann stolz darauf sein, ohne es vor irgendjemandem zu erklären oder darum bitten müssen es unerklärt zu lassen.

Ein einziges Mal will ich es erleben, dass etwas von mir kommt, ohne dass Schwere darin ist.
Nur einmal.
Ein ganz einziges Mal.
Und sei es einfach als Schutzschild, wie es „die Anderen“ haben.

Diese verdammte scheiß Gewalt in meinem früherem Leben hat sich eingebrannt und lebt in mir, gärt in mir herum, ist ein Teil von mir selbst. Ich werde sie nicht los und habe nichts, was ich daneben stellen kann um etwas Anderes zu zeigen. Ich habe nur mich und sonst nichts.

Immer muss ich damit leben, gemieden zu werden, weil es zu schwer ist. Zu viel ist. Überfordernd ist.
Und ich bin verdammt nochmal immer immer immer immer immer immer immer in der Lage, genau das zu wissen, zu fühlen und zu akzeptieren. Hinzunehmen, dass Menschen dafür bezahlt werden, sich gemeinsam mit mir dieser Schwere zu widmen.
Ich bin nicht so einsam, weil ich wegen der Gewalt nichts kann. Sondern weil sie noch immer da ist und bis heute die Menschen in meiner Umgebung belastet, wenn sie mit mir zu tun haben.

Ich weiß, dass ich beschenkt bin. Ich weiß, dass ich Potenzial habe, ich weiß, dass ich viel schaffen kann. Aber das ändert nichts daran, dass ich bei einem Klassentreffen heute nur sagen könnte:
„Weißt du was ich geschafft habe? Ich habe es geschafft, das 27ste Lebensjahr zu erreichen.“.

Ich könnte nichts sagen, das keinen dicken fetten schweren Kloß im Hals meiner Gesprächspartner auslöst.

Das ist die Tragik.
Ich würde einfach nur gerne genauso bunte, leere Seifenblasen, wie sie, in die Luft blasen.

Nur ein Mal.

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die Einladung zum Klassentreffen

Ich hatte mich bei „StayFriends“ angemeldet, weil mein Buch ursprünglich eines werden sollte, dass Eltern und deren jugendliche Kinder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erreicht.

Ich wollte ein paar alte Kontakte aufnehmen, Interviews machen, die Ursachen und Folgen des Klinikaufenthaltes erfassen und darstellen. Irgendwie will ich das heute noch, doch ich merkte damals, wie umfassend dürr mein soziales Netz war und schob es auf.
Ich fand nur zwei ehemalige Mitpatientinnen und wir waren zu weit voneinander entfernt- sowohl räumlich als auch so im Alltag, dass ein Gespräch, wie ich es für mein Buch hätte führen müssen, nicht zustande kam.

Ich bin sowieso auch eine, die es nicht so hat mit der Objektkonstanz: Wenn ich mich nicht regelmäßig an die Menschen erinnere, fallen sie und alles was mit ihnen zu tun hat, aus dem Kopf.

Heute Nacht kam eine Email von der Webseite mit Kontaktvorschlägen.
Ein Name ließ ein Kinderinnen an der Innenseite meiner Stirn tippen: „Die J. is in meiner Gruppe. Bei Fräulein H.- die is eine liebe.“. Wir versuchten klar zu machen, dass dieses Innen heute nicht mehr im Kindergarten ist, dass wir erwachsen sind und, dass auch die J. heute eine ganz erwachsene Frau ist.

Aber wie das so ist. Ich weiß, dass das Kinderinnen nun irgendwo auf dem Rücken des Schwans sitzt und abgeschirmt wird- aber sich selbst noch immer in einem Kinderkörper, der zum Kindergarten geht, wähnt.

Die Frau hatte mich angeschrieben mit vielen Grüßen und der Frage, ob ich diejenige welche aus dem und dem Kindergarten sei. Ich bestätigte es und grüßte zurück.
Klickte mich durch die Seiten der anderen Kontaktvorschläge, merkte wie ich immer weniger vom Körper fühlte, weil sich mehr und mehr Schotten nach innen verschlossen. Irgendwann kamen keine Rückmeldungen mehr über die einzelnen Menschen und ich schaute mir meine potenziellen Abschlussjahrgänge an. Klassenfotos von vom Abschlussjahr. 4 Reihen Abiturienten, Realschulabschlüssler, Gesamtschulabschlüssler.

Wie klein und doch erwachsen sie alle aussehen. Schön angezogen, lächelnd.
Viele neue Gesichter kamen in die Klassen, seit wir weggingen.
Als sie ihre Zukunftszettel machten, gingen wir durch die Hölle aus Gewalt und Befreiungskampf. Waren gut dabei, wenn wir nicht den Tag zwischen Krampfanfall und Medikamentendröhnung verbrachten, sondern einfach nur unter Schmerzen leidend auf einer Couch lagen und die Katze streichelten.

Wir hatten keine eigene sichere Wohnung, eine Betreuung die uns nicht half, Ämter die unsere Situation nicht verstanden, eine Therapeutin, die nebulös im Hintergrund waberte und eine Beziehung, die uns einfach irgendwie das Wasser vom Hals zu löffeln versuchte.

Ich habe gesehen, dass uns eine Klasse zwei Mal zu einem Klassentreffen in die Stadt eingeladen hat.
Das berührt mich sehr, weil wir nur kurz in der Klasse waren und damals weit entfernt von dem Verhalten eines Menschen waren, mit dem man gern seine Zeit verbringt. (Ich kanns nur wiederholen: Wir waren kein huschiges Mäuschen mit großen Kulleraugen, aus denen unsere Not sprach. Im Gegenteil- ich könnte heute jeden verstehen, der einfach nur angepisst und genervt war.)

Einmal abgesehen davon, dass wir die Stadt nie wieder besuchen können werden, ohne uns in Gefahr zu bringen, frage ich mich natürlich doch, wie es den Menschen heute geht. Was sie machen und wie es ihnen ergangen ist. Was haben sie für Ziele und Ideale entwickelt?
Es ist Neugier.
Aber eine Selbstzerstörerische.

Ich würde es nur wissen wollen, um mich zu vergleichen und, dass ich immer „schlechter“ da stehen werde, liegt auf der Hand. Das „Schlechter“ habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil ich weiß, dass es nur auf einer bestimmten Leistungsebene „schlechter“ wäre. Sie haben einen Abschluss in Studien oder Ausbildungen, stehen vielleicht im Beruf oder haben mindestens die Berechtigung oder Möglichkeiten dazu einen aufzunehmen. Manche von ihnen haben bereits geheiratet und gebaren Kinder. Oder versorgen eigene Kinder ohne geheiratet zu haben. Sie haben eine mehr oder weniger intakte Herkunftsfamilie und kommen mehr oder weniger gut zurecht.

Sie haben bei Normalnull angefangen und sich von dort aus angeeignet, was sie brauchten, um sich ein Leben zu gestalten, wie sie es heute führen. Ihr Weg zu dem was sie heute sind, wird anders sein als meiner.
Ich war in keiner Schulklasse länger. Ich war in zwei Grundschulklassen, zwei Gymnasialklassen, 4 Klinikschulklassen, einer Gewerbeschulklasse und zwei Abendschulklassen bis ich einen Abschluss vorzuweisen hatte. Ich machte meinen Schulabschluss knapp 2 Jahre später als sie, habe nie fest angestellt irgendwo gearbeitet. Alles was ich mir angeeignet habe (und nachwievor aneigne) dient dem Zweck an „Normalnull“ heranzukommen.

Ich fange an dieser Stelle nicht an „Normalnull“ zu definieren oder zu dekonstruieren, um mir etwas schön zu reden oder so zu tun, als hätte ich einen breiten Blick auf das, was „normal“ ist.
Diesmal verzichte ich darauf, weil ich weiß, dass ich mich in dieser einen speziellen Gruppe eben „unnormal“ fühlen würde. Es bereits jetzt tue- und schon damals tat. Und weil ich weiß, dass dieses Gefühl berechtigt ist. Ich würde mich mehr damit verletzen, würde ich meine damaligen und auch heutigen Lebensumstände als etwas betrachten, dass man im statistischen Sinne mit „Streuung“ bezeichnen würde. Als Teil der Wertesammlung, doch eben im äußeren Bereich.

Das was wir als Säugling, Kleinkind, Kind, Jugendliche und Erwachsene durch- und überleben mussten, ist nicht normal gewesen. Es war so unnormal, dass wir unnormal wurden. Wir wuchsen nicht, wie ein Baum aus einem Samen, sondern wie ein Strauch aus vielen Samen. Unsere Entwicklung war anders und wird immer anders sein- auch wenn wir es schaffen unsere Vielheit zu bündeln und zusammenwachsen zu lassen, werden die Blüten und Früchte unseres Seins immer aus vielen Keimlingen hervor gekommen sein.

Wir werden Gemeinsamkeiten finden, vielleicht auch auf Gewaltüberlebende treffen, werden auch Hartz4 Empfänger treffen, werden ebenfalls „psychisch kranke“ Menschen entdecken, aber soweit ich weiß ist niemand von ihnen mit 15 aus seiner Familie gegangen und wurde so ausgebeutet wie wir.

Ich würde mich gern vom Gegenteil überzeugen, würde gern sehen ob meine Gedanken stimmen, ob mein Gefühl vom „am äußeren Rand stehen“ passend ist. Ich würde einige der Menschen gerne sehen. Manche auch nur um ihnen nachträglich zu sagen, dass ich ihr Leid gesehen habe.
Manchen würde ich auch gerne vermitteln, warum ich war, wie ich war.
Und manche würde ich auch gern einfach aus ihrer privilegierten Welt ein Fenster aufmachen.

Aber es ist noch nicht soweit. Es geht nicht.313759_524341310921951_1497324588_n
Ich fühle mich noch nicht auf Augenhöhe mit ihnen.
Es wäre anders, wenn ich eine Berufsbezeichnung und Leistungsergebnisse vorzuweisen hätte, die ich wie ein leuchtendes Ablenkungsschild vor meine Wurzeln halten könnte.
Wenn ich eben den gleichen Schutz hätte wie sie.

Ich bin traurig, weil ich das noch nicht habe und aufgrund dessen einen Teil meiden muss, der mich dem „Normalnull“ näher bringen könnte. Nämlich den, einfach so auch Kontakte von früher aufnehmen zu können.

Es würde mir helfen mich und mein Leben früher, breiter zu betrachten und zu sortieren. Es würde so manch ein „kleines Warum“ beantworten können. Es würde mir helfen einen Stein an die Stelle zu legen, die mich schmerzt. Doch auch diesen Stein muss ich erst einmal anheben können.

einfach so

Die Wärme des Handys brennt sich in Ohr und Wange, das Zittern wälzt sich von innen nach außen und das Freizeichen dehnt sich immer weiter aus.
„Hallo. Na, wie geht euch?“, sie klingt entspannt, sommerlich und ohne Ahnung von meinem inneren Unwetter.

Wie holzige Brocken in einem bitteren Schleim, versuche ich Worte zu erbrechen und fühle mich doch, als würde ich ersticken. Das Puls pocht bis in den Kopf hinein, die Hände sind verklebt von Schweiß und Dreck. Der Akku meldet sich. Sie hört es, weiß sowieso schon Bescheid. Es war klar, dass das passiert.

„Ich bin in 15 Minuten bei euch und warte dort falls ihr…“, das Handy ist ausgegangen.
Kurz explodiert die Verlorenheitsgefühlsbombe, wie bereits heute Mittag am Ende der Therapiestunde, im Innen und Zeit und Raum verschwimmen weiter.

Hab ich Eis im Beutel? Ich wollte doch Eis kaufen.
Nein. Keins da.
Aber Cola
.

Alles runterspülen. Genug Druck von oben erschaffen, damit alles unten bleibt.

Ich weiß nicht, wo ich bin, obwohl ich diese Strecke jeden Tag gehe. Noch mehr Angst, die unterdrückt werden muss- irgendwie unterdrückt wird vom Wegegänger, der sich an den Konturen der Wege festklammert, wie ein Ertrinkender.

Warten auf das Klingeln, auf jemanden der mich rausholt, der mich abholt, der mich mitnimmt und behält. Einfach so.
Wie die Straßenbahn heute Morgen, die Therapiestunde heute Mittag, die Straßenbahn zurück, der Besucherhund am Nachmittag, der Einkaufsauftrag danach.

Sie kommt, steht in der Tür und betrachtet uns, wie ich selbst, als jemand in Tränen ausbricht.

Und einfach so, schaue ich ihr zu, wie sie die Taschentücher der kleinen Herzen mit den Drachen drauf nimmt, die Tränen abholt, eine Kleine annimmt und uns trotzdem noch behält.
Obwohl wir noch immer nichts gesagt haben und die Lautsprache plötzlich wieder Fremdsprache ist.

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was meine Essstörung mit meiner Freiheit zu tun hat

Ich stand mit zwei Hosen übereinander und Steinen im BH auf einer Klinikwaage und wusste, sie würde eine Zahl anzeigen, die auf einem Aufnahmebogen vermerkt würde. Meine Ärztin würde eine Scheibe aus ihrem Schreibtisch nehmen, ein bisschen hin und her schieben und einen BMI von 18,5 in meine Akte schreiben.

Mindestanforderung an den BMI in der Klinik also erfüllt.
Man würde es im Blick behalten, doch von weitere Wiegeaktionen absehen. Hatte ich doch angegeben genügend zu essen, um das Gewicht mindestens zu halten.

In meinem Kämmerlein wusste ich, dass ich log und wusste auch, dass sie davon ausging, ich sei fixiert auf Zahlen, wie sie. Mein Aussehen und den Körper als manipulierbares Objekt sehen und hätte Kalorientabellen und Nährwerte in meinem Kopf, die ich mir vornähme, sobald es um meine Ernährung ginge.

Ph. Pustekuchen.
Nach damals 7 Jahren Gewichtsachterbahn rauf und runter, war ich von den Zahlen weg. „Anxiety“ und ich waren aufeinander eingespielt und lebten in einer Dynamik miteinander, die ausschließlich reaktiv war (und ist).
Ich wohne allein, esse, hungere, kotze allein.
Ich koche nur, wenn ich einen Job habe und mir frische Lebensmittel durchgängig leisten kann. Ich gebe kein Geld für Zeitschriften aus, auf deren Titel Diäten und neuste Kleiderkollektionen angepriesen werden. Ich suche keine Geschäfte auf, in denen riesige Plakate von normschönen Menschen über den Umkleidekabinen hängen. Nicht nur, weil ich mich dann schlecht fühle, sondern weil ich mir diese Sachen noch nie leisten konnte. Ich habe mit dem Sport im Verein aufgehört, doch nicht weil ich keinen ausufernden Ehrgeiz oder Auftrittskostüme in großen Größen mehr riskieren will, wie damals, als alles anfing, sondern weil es schlicht zu teuer ist.

Als ich damals in die Klinik ging, hatte ich die Möglichkeit zu sagen, dass ich hungrig bin, ohne die Reaktion „Ja, dann essen sie mal was…“ zu kassieren, wie ich es von anderen Außenstehenden erfuhr.
Was für eine Wohltat!
Wir wurden gefragt, was uns satt machen könnte.
Ich habe den Zettel immer noch auf den ein Innen schrieb: Freiheit

Wir sprachen also über Freiheit und Autonomie. Angstfreiheit als Privileg und unsere Möglichkeiten diese für uns zu erlangen.
„Anxiety“ ist Angst und Angst ist etwas, dass uns dazu verleitet, uns ein Gefängnis zu bauen und uns darin sicher zu fühlen. Darin geht es nicht um Normen und Werte, um Anpassung ans Außen oder dergleichen. Uns geht es darinnen einzig darum die Angst nicht zu spüren. Wer keine Angst hat, fühlt sich in der Regel, als hätte er Einfluss und Kontrolle über gewisse Dinge, dabei ist alles was beeinflussbar darin ist, der Grad der Wahrnehmung seiner Angst.
Ich esse und stoße damit an meine Gefängnistür- „Autsch- Waaaa!“
Ich esse nicht und schrumpfe immer weiter von den Stäben um mich herum weg- „Aaaaah- Frieden…“
Ich esse ganz viel und quelle an den Gitterstäben vorbei- „Arghgrmbl- ein stetiger Dauerschmerz, vielleicht wird er irgendwie wegdissoziiert…“

Wir waren damals noch massiv in Gewalt verwickelt und auf keiner Ebene autonom- obwohl wir allein lebten und allein alle unsere Kämpfe zu führen hatten. Behörden bestimmten über uns, die Täter bestimmten über uns. Unser Alltagsleben vermittelte uns durchgängig Abhängig- und Minderwertigkeit. Der freiste Akt war die Nahrungsaufnahme und ausgerechnet den haben wir uns verformt zu etwas, dass uns unter Umständen töten kann.

Wir hatten kein Sozialleben, dass uns mehr als ein „Ich HelferIn hier- Du die Durchgeknallte/ Abhängige/ Bedürftige/ Benutzbare da.“ zeigte.
Während der Therapie in der Klinik kam in einer Sitzung der Satz, Freiheit sei auch, die Freiheit sich mit Menschen zu umgeben, die nicht so mit uns in Kontakt gingen. Zum Beispiel eben die Freiheit in die Klinik zu gehen und zu erfahren, dass man trotz einer Schräglage der Macht auf Augenhöhe angesprochen wird. Als jemand der frei entscheiden kann und darf.

Über diese Erfahrung wurde es uns möglich unsere erste Gemögte kennenzulernen und einen Kontakt zu gestalten in dem eine Schräglage nur im Inneren existiert und nur dort wirkt.
Wir haben unser erstes Picknick mit dieser Gemögten gemacht. Gelernt, dass man auch frei auf einer Wiese sitzen und Camembert auf eine dicke Schicht Butter legen kann. Seine Bissabdrücke im Brot vergleichen und darüber lachen kann- obwohl „Anxiety“ im Innen tobt.
Wir kamen nach einigen Jahren an den Punkt, an dem wir erfahren konnten, dass diese Angst uns nicht tötet, wenn wir sie toben lassen. Wir spürten deutlich, wann sie anfing und endlich auch, dass sie auch wieder aufhört.

Es änderte sich nichts an dem Gefühl minderwertig und zu viel zu sein, die Angst ging nicht weg. Aber der bohrende Hunger, der da war, egal was wann wie und wie viel Nahrung dem Körper zu geführt wurde, wurde gestillt.

Wir nennen es „Leben essen“ und meinen damit „Freiheit konsumieren“.
Es ist eine freie Entscheidung und eigene Wertung innerhalb unseres Rahmens. Selbst wenn wir mehr Geld hätten als jetzt, würden wir uns zwei Mal überlegen, ob ein Besuch im Espritstore und das Gefühl von Hässlichkeit im Vergleich zu Modelplakaten den Wert der Kleidung, die wir dort erwerben können, unterliegt. Wir würden nachwievor keine „Frauen“zeitschriften kaufen, weil wir den sonstigen Informationsgehalt in anderen Zeitschriften höher bewerten. Und wir würden uns auch trotzdem nicht die Biogemüsekiste nach Hause liefern lassen, weil wir das Gefühl von freier Wahl im Super- oder auch Wochenmarkt einfach höher bewerten.

Dieses Gefühl von Freiheitspraxis ist mit großen Ängsten besetzt, doch sie hat mehr Nährwert als Zahlen und Regulierung der Essstörung selbst. Sie lässt uns leben, im Leben wirken, wachsen und das Privileg des Frei-seins von Machtstrukturen in denen wir von außen behandelt werden, als wären unsere inneren, uns zerstörenden, Wahrheiten auch außen wahr, untermauern und ausbauen.

Den Faktor den Nahrung in unserer Geschichte von je her einnahm, habe ich hier bewusst ausgeklammert. Wer Hunger kennt fürchtet ihn, lernt ihn aber auch anders einzuschätzen und mit ihm umzugehen, als jemand der ihn nicht so erfuhr. Unsere Omama hat uns Kinder nicht aus Liebe mit literweise Kakao abgefüllt, genauso wenig wie Täter uns aus Hass haben hungern lassen. Sie haben an uns etwas kompensiert bzw. befriedigt und benutzt. Sie trugen dazu bei, dass sich Ängste entwickelten, doch lösten nicht die Essstörung als solche aus.

„Anxiety“ war und ist also auch, neben allem anderen, was sie ist, ein Teil unserer Autonomie, die wir früher wie heute haben.
Selbst wenn wir real unfrei sind, können wir uns in ihrem Gefängnis frei fühlen.

die Katze, die an der Straße lag

Sonne, Wind, ein Schritt nach dem Anderen. Den Berg runter. „Geld kaufen“ am Bankschalter. TippTippTipp. Ratter Schnarr. Hundekeks. Waldstück, Vogelzwitschern,  Hundekeks. Ein Schritt nach dem Anderen.

In die Wortfetzen einer Gruppe älterer Menschen, die um ein Fellbündel am Boden stehen und einander hilflos zu geworfen werden.
„Wissen Sie, wem die Katze gehört?“.
Kopfschütteln, schauen.

Krack. Das Sprachzentrum ist ein gerastet.
Wie auf einer Murmelbahn klicken die Impulse aneinander, landen da, wo sie gebraucht werden und lösen das Katapult für das richtige Innen aus.

Reflexe?- Reaktionen abgeflacht.
Atemwege frei?- Ja.
Puls?- Flach, aber tastbar.
Geruch?- Neutral.
Dehydration?- Nein.
Augen schließen, sachtes Abtasten, dabei leise Schnurren. Der Rücken ist steinhart.
Noch immer keine Reaktion des Tiers auf Berührung oder Ansprache, die Pupillen sind irgendwie zu groß für die Helligkeit des Tages.

Tierarztnummer. Keiner geht ran. Notfallnummer. Derzeit nicht erreichbar.
Gemögte A.- Anrufbeantworter.
Gemögte B. – im Termin.

Anwohnerin kommt vorbei. „Können 644827_web_R_K_B_by_Lisa Spreckelmeyer_pixelio.deSie mir bitte eine Schüssel Wasser und ein nasses und ein trocknes Handtuch bringen?“. Kann sie. Macht sie.
Katze trinkt nicht, leckt aber einen Tropfen vom Finger. Wird langsam wacher. Steht auf und geht auf NakNak* los.
[„Wusste ich doch woher ich die kenne! Das ist die verrückte Katze, die NakNak*, schon mal gebissen hat!“]

„Legen sie ihr mal kurz das Handtuch vors Gesicht, ich weiß in etwa, wo die Besitzer wohnen.“.
NakNak* mit Keksen und kurzem Raunen beruhigen, auf das Haus zu und klingeln.
„Hallo, haben sie eine Freigängerkatze draußen?“
– „Ja“
„Sie liegt vorn an der Straße. Ihr geht es offensichtlich nicht gut, aber nach einem Unfall sieht das nicht direkt aus.“
– „Ah ja, sie ist krank und steht unter Schmerzmitteln- Moment grad, ich komme gleich raus“.
Sie sieht selbst auch nicht gesund aus.

Zurückgehen. Sehen, die Katze liegt unterm Handtuch und lässt sich von der Anwohnerin streicheln. NakNak* in den Schatten setzen und warten lassen.
Worte wechseln. Pflegestelle, erste Hilfekurse für Haustiere, warum habe ich eine Erste Hilfe-Tasche auf meinen Spaziergängen mit dem Hund dabei. Im Hinterkopf klicken der Tod der Welpin vor 2 Jahren und die Schreie des Welpen, der sich in unserer Obhut mal das Bein gebrochen hatte, aneinander.

Die Besitzerin kommt. Erzählt.
Nicken, schweigen, reagieren und merken, wie nötig die Besitzerin Trost und Nähe hat. Die Hand berühren und Verständnis ausdrücken. Merken, wie der Sprachvorrat zur Neige geht. Wie schwer eine Verabschiedung herauszuwürgen ist.

NakNak* abholen. Hundekeks. Einkaufen. Hundekeks.

Und dann bemerken, dass man vergessen hat, die Ärmel nach dem Desinfizieren der Hände wieder runterzuziehen und, dass sie trotzdem auf die Worte und Taten geachtet haben.
Mehr als auf das Schlachtfeld auf den Unterarmen, in dem es kaum noch Nervenenden gibt.

Wortmaden

Ich sah es vor mir, schärfer, als es jede Technologie heute und in Zukunft abzubilden in der Lage ist.

SIER hatten meinen Brief in der Hand. Die Worte aus Tinte, auf dem Papier fraßen sich, wie Maden durch ihre Hirnzellwände und legten Eier, die einen Schwarm hervorbringend, explodierten.

Eines nach dem Anderen wäre angekommen, hätte sich eingenistet und etwas verändert. Alles würde besser sein. Alles würde gut sein. Jetzt, wo meine Wortmaden endlich groß genug seien, um ungehindert einzuwandern. SIER würden ihre Gesichter abnehmen, sich alles abschälen, was an ihnen klebt und mir zeigen, dass es auch einen genießbaren Teil an ihnen gibt.

Es würde nun sein, wie in meinen liebsten Geschichten, in den leisesten Wünschen der kleinen Herzen und ich hätte es ihnen ermöglicht. Ich wäre eine Heldin im Seidengewand. Könnte friedlich meine Schneisen ziehen, durch meine Bücher gleiten und mit meinen Gedankenketten Welten einwickeln. In Schokolade baden und in den Haaren meiner Liebsten schaukeln.

SIER könnten nicht mehr anders, als bar aller Maskerade zu sein. Würden nur das Nichts sein, dass sie in unser Sein pflanzten. Mit einem Mal zeigte ich mein Gesicht und flüsterte: „Frankenstein hatte sein Monster auch vergessen wollen… „, noch während ich ihre Oberfläche abkratze, um auch noch den kleinsten Rest der Verkleidung an ihnen, abzureißen.

Ich baute einen Balken quer durchs Zimmer und ließ meine Herzen und Herzchen mit ihnen spielen.

Wie eine Katze mit einer Maus.
Wie ein Kind mit seiner liebsten Puppe.
Wie SIER mit ihnen.

Und dann wachte ich auf.
Wankte ins Bad und erbrach all ihre abgekratzten Schichten.
Spülte meinen kurzen Anflug von Machtgefühlen hinweg und vergrub das Gesicht in den Kokons meiner Wortmaden.

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