“Aber ich quäl sie nich.”

“Es wird immer schlimmer”, sagt sie und schleicht, das Tier an der komplett eingezogenen Flexi-Leine haltend, auf uns zu. “Jetzt kommt schon Blut aus dem Auge.”
Die mittelgroße Hündin neben ihr versucht den Grünstreifen zu erreichen. Sie zieht sie wieder zu sich ans Bein.
”Besonders nachts. Da weint sie viel. Da muss ich immer hingehen. Wird immer schlimmer.”

Bei mir wird auch alles immer schlimmer.
Da ist eine Wut und sie ist so dicht, so nah, so eng, dass ich merke, dass es auch meine ist.

“Aber Tierarzt sagt, geht noch. Sie is ja so jung. Is ja erst 10.”. Sie hält die Hündin weiter fest neben sich. Diese versucht mich aus der Ferne zu wittern. “Neulich hats auch neben der Nase geblutet.”

„Meine Nase blutet auch gleich“, denke ich. Wir haben eine Neigung zu Nasenbluten, wenn wir sehr aufgeregt sind.
Diese Situation regt uns sehr auf.

Wir wissen ja, dass viele Dinge, die Menschen tun manchmal einfach irrational sind. Wissen auch: mehr als feststellen können wir das nicht, denn es liegt weder in unserer Macht, noch in uns selbst als Ziel, das immer und bei allen irgendwie zu verändern. Aber ach.
Manchmal eben doch. Manchmal ist es eben doch ein Ziel. Oder besser gesagt: ein Wunsch.

“Aber ich quäl sie nich. Mal sehen, wie lang ich sie noch hab.”

Ich denke, dass sie sich selbst nicht so hört, wie ich sie höre, würde mir aber wünschen, dass sie das täte.
Mir tut der Anblick des Tieres, ihre Worte und alles, was sie da gerade macht so unglaublich weh. Es macht mich traurig zu merken, wie sehr sie sich an das Tier hängt, als wäre es ein Objekt ohne eigenen Seelenkosmos. Wie sehr sie glaubt aus Liebe zu handeln und einzuschätzen, während sie das Tier, das bereits sichtbar Schmerzen hat, für sich am Leben hält.

Die Hündin hat maligne Tumore. Sie wird nicht mehr lange leben. Und das, was sie noch leben wird, wird nicht schön, nicht gut, nicht bedeuten, dass sie einfach immer alles darf, was sie selbst möchte. Schnüffeln, wo sie mag, liegen, so lange sie mag, so viele andere Hunde begrüßen oder nicht begrüßen, wie sie mag.

“Lass sie doch wenigstens etwas von dir weggehen”, denke ich und merke, wie ich heulen würde, würde ich nicht vor ihr stehen. “Muss sie denn erst sterben, um frei von dem, was du Liebe nennst, zu sein?!”, denke ich und sagte zu ihr: “Und wo ist die Grenze? Hast du überlegt, wann der Punkt ist, dass du sie einschläfern lässt?”

Hat sie nicht. Natürlich nicht.
Sie kann dem Tier keine persönlichen Grenzen zugestehen, wieso sollte sie welche in dessen Leiden anerkennen.

Später überwiegt wieder die Wut.
Nachdem wir uns verabschiedet haben, denke ich wieder einmal an alles das, was “uns Hundehalter_innen” so beschäftigt ein Hundeleben lang.

Da gibt es  Leinenpflicht so gut wie überall in der Stadt und auf dem Land, läuft der freie Hund Gefahr von Jäger_innen erschossen oder von Autofahrenden getötet zu werden. Immer wieder Sorge, wenn er etwas aus dem Gebüsch frisst, weil man nie weiß, ob es ein Köder mit Rasierklingen oder Gift drin ist oder doch nur ein an Feinstaub erstickter Singvogel.
Das beste Futter, das wertvollste Spielzeug. Hundesport, weil das aktive Raubtier sonst im Wohnzimmer Amok läuft. Schicke Leine, gutes Halsband. Zecken, Durchfall, nie genug Mülleimer für die Pflichtplastitüte. Klar, dürfen die Kinder auch mal streicheln. Alle dürfen streicheln. Immer. Das ganze Fell, der schöne Flausch, das lädt ja richtig dazu ein. Und der mag das ja, der feine beste Freund des Menschen.

Und wenn man alles das nicht mitmacht – macht man es dann überhaupt richtig?

Wir wissen, dass NakNak* uns nicht liebt. Wir lieben sie auch nicht.
Sie ist nicht unsere beste Freundin. Sie ist sie und wir wohnen zusammen.
Wir freiwillig mit ihr, sie unfreiwillig beimit uns.

Wir leben in einer ausbeuterischen Beziehung miteinander, in der ich sie zu 100% unterdrücke.
Aber kein_e Hundepsycholog_in der Welt würde ihr raten, sich von uns zu trennen.

So normal ist die Gewalt, die man Haustieren antut.

Es ist nicht nur das „immer und überall zu wenig Auslauf“, die so oft nicht gegebene Rudelhaltung oder die Welpenproduktion in Vemehrerhaushalten – es ist der ganze Menschenscheiß, den Hunde in ihrem Leben haben.

Das ganze “Liebesding”, das ganze “Retterding” – die ganze menschzentrierte Scheiße, für die Hunde – Haustiere – herhalten müssen.
Diese merkwürdigen Übertragungsdinger, wo sich Personen, wie die mit der krebserkrankten Hündin, wie gnadenvolle Wohltäter_innen fühlen, wenn sie bestehendes Leiden so lange aufrechterhalten, wie es geht, damit sie es lindern können bis es nicht mehr linderbar ist. Lindern heißt nicht wegmachen. Das Tier leidet immer noch. Aber der Mensch fühlt sich gut, weil sie_r ja lindern kann.

“Aber ich quäl sie nich”, hat sie gesagt.
Ich glaub, das ist der Auslöser für mich.

Weil: wir quälen NakNak* – und die hat keinen Krebs.
Wir hauen sie nicht, wir füttern sie gut, wir laufen am Tag um 10km durch Wald und Wiesen. Sie hat ihre Kumpel, sie hat ihr Bett (unser Bett).
Aber machen was sie will, leben wie sie will, lassen wir sie nicht.

Würde das jemand mit uns machen, würden wir uns gequält fühlen. Eingesperrt, gefangen.
Vielleicht auch nicht – man gewöhnt sich an alles und so lange es nicht körperlich weh tut…

Es ist ein Dilemma.
Uns war das alles nicht bewusst, als wir uns dafür entschieden NakNak* zu behalten.
Jetzt bleibt uns nur, das bewusst zu behalten und das ist weder leicht, noch findet man Tipps und Tricks zum Umgang damit so einfach, wie unnötige Konsumgüter für Haustiere.

Jemanden zu treffen, die_r nicht so bewusst damit ist, fällt schwer. Macht wütend. Traurig.
Aber ist auch ein Moment für Demut.
Für: sich zu selbst zurücknehmen, innehalten und atmen.

Anerkennen, dass das gerade das ist, wie die Gesellschaft und damit die Mehrheit der Menschen um uns herum damit umgeht, dass man sich daran gewöhnt hat, Raubtiere zu unterwerfen, zu halten, zu züchten, abzurichten und für die eigenen Zwecke auszubeuten.

Anerkennen, dass das die Ebene über dem individuellen Leiden eines Menschen ist, der zusehen muss, wie sein Hund an einer unheilbaren Krankheit verstirbt.

glückliche Tiere töten

um sie zu essen und sich dabei gut zu fühlen. Denn man hätte ja auch eines essen können, welches das ganze kurze Leben in einer Massentierhaltungsanlage verbracht hat, um für 1,99€ pro Kilo verschachert zu werden.

Leidende Tiere aus Tierheimen und anderen Nöten retten, um sie zu halten und sich gut zu fühlen. Denn man hätte sich ja auch eins züchten lassen können. Und damit einen Tiermarkt bedient, den man so nicht gut findet.

Für mich ist das inzwischen beides das Gleiche.
Es folgt ein Text über Veganismus, Haustierhaltung und Speziesismus. Ein erster in dem es nicht ums Essen geht, sondern um Tiere und Menschen.
Mir ist egal, ob Menschen, die ihn lesen, sich nach der Lektüre für schlechte Menschen halten, oder glauben, dass ich sie für schlechte Menschen halte. In diesem Text geht es nicht um derlei Befindlichkeiten. Es ist kein Text für Menschen. Es ist ein Text_Raum für meine Auseinandersetzung mit dem Thema.

Vor Kurzem haben Carsten und Stefanie in ihrem Podcast “einfach vegan” die Frage diskutiert, ob Veganer denn Haustiere halten dürfen.
Meine Conclusio ihrer Diskussion und auch der O-Töne anderer vegan (essenden) lebenden Menschen ist, dass es offenbar für viele Menschen okay ist zu sagen: “Ja ich lebe vegan für mich, den Planeten und die Tiere – und eine Haustierhaltung kann ebenfalls “pro Tier” sein. Vor allem wenn es um Tiere in Not geht.”.

Ganz ehrlich, wenn das stimmt, dann sollten wir alle jeden Tag 2 Kilo Schweinehack mit Rinderrouladen in Hühnerbrühe essen und mit Milch runterspülen, um die Leiden der Tiere in Massentierhaltung zu beenden und nicht unnötig zu verlängern.

Ich bin an anderer Stelle gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit Wohlfahrtsdenken und der Problematik des Mitleid als Hindernis inklusiver Prozesse.
Deshalb ist es mir vielleicht jetzt so schnell aufgefallen.
Aber vielleicht eine kurze Sortage.

Warum möchten Menschen Tiere in ihrer Umgebung?
Stefanie sagte im Podcast selbst, dass es ihr ein egoistisches Bedürfnis ist. “Hundesehnsucht” hat sie es genannt und ich verstehe, was sie damit meint.
Gab es je mehr als menschliches Verlangen zu Beginn der Haustierhaltung? Nein.

Menschen können von der Anwesenheit eines Tieres wie einem Hund oder einer Katze, einem Schwein, einer Kuh … profitieren. Deshalb wurde die TierHALTUNG etabliert und über die Jahre kultiviert. Menschen haben die Tiere gefangen/angelockt, gezähmt und abhängig gemacht, be-, ge- und ausgenutzt.
Und tun das auch heute noch.

Dass dieses Verhalten okay ist und es anders herum als nicht okay wahrgenommen wird, ist mit Speziesismus zu erklären.
Speziesismus ist die moralische Diskriminierung von Individuen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit.
Also im gewissen Sinne auch das Ergebnis der Überzeugung, als Mensch dem Tier auf eine Art überlegen zu sein, die bestimmtes Verhalten Tieren gegenüber rechtfertigt.
(Melanie Joy hat dazu ein interessantes Video gemacht – Achtung: Minute 8 bis 10:10 enthält Material das Tierleid konkret zeigt.)

In gewisser Weise denke ich, dass Menschen sich heute nach Haustieren (speziell “Haustieren, die sie nicht essen wollen”) sehnen, weil es normalisiert ist, Haustiere zu halten. Ich glaube nicht, dass sich die Kultur des Hamsters in der Plastikdose oder des Goldfischs im Glas, in dem Ausmaß wie heute halten könnte, wäre der Verkauf von lebenden Kleintieren in Zoohandlungen ab morgen verboten oder die Tierschutzgesetze so streng, dass die Haltung bereits in den Geschäften tatsächlich artgerecht gestaltet sein muss.

In case you didn’t know: Das Revier eines gewöhnlichen Hamsters umfasst mehrere Quadratkilometer. QUADRATKILOMETER. Stell dir mal den Käfig dazu vor.
Und dann denk an Fische. An Vögel. An Reptilien.

Tierhaltung kann also nie artgerecht sein. Egal, wie gut der Mensch es meint, egal, wie ehrenvoll die Intension ist – niemals kann ein Mensch einem Tier in allen Bedürfnissen gerecht werden oder sein. Es ist immer das Tier, das sich an die von Menschen gemachten Kompromisse anpassen muss.
Das ist nicht fair und das kann man nicht wegdiskutieren.
Aber man kann für sich eine Haltung daraus ziehen und versuchen sich dieses Bewusstsein im Umgang mit dem Haustier zu bewahren.

Wir leben mit einer inzwischen 8 Jahre alten Hündin zusammen.
Wir haben sie zur Assistenzhündin ausgebildet. Das heißt, dass wir erheblichen Einfluss auf ihr Leben nehmen und in der Vergangenheit auch schon genommen haben. Zu unserem Gunsten.
Über ihren Gunsten wissen wir einen Scheiß. Wir wissen nicht, ob sie sich für das Leben mit uns entschieden hätte, hätten wir sie gefragt. Unsere Unterschiede sind zu groß für diese Art der Konsensfindung. Sie ist nicht selbstbestimmt. Sie kann nicht mal entscheiden, was es jeden Tag zu fressen gibt. Wir reglementieren alles, was sie betrifft. Wir sind die Instanz, die über ihr Wohl und Wehe bestimmt. Weil wir es können. Und sie nicht (lassen).

Was wir wissen ist, dass NakNak* auch ohne uns irgendwo gut überleben könnte. Sie braucht uns nicht um zu überleben.
Sie bräuchte eine Umwelt, in der sie mit Hilfe ihrer Instinkte und Fertigkeiten für sich selbst sorgen kann.
Doch diese Umwelt gibt es nicht. Nicht jetzt. Nicht hier.

Es gibt Ecken auf der Welt, wo wilde Hunde und Hundeartige gut durchkommen.
NakNak* ist aber nicht in diesen Ecken der Welt geboren. Sie würde vermutlich schon den Anpassungsprozess nicht durchlaufen, weil sie so sehr auf den Menschen als Nahrungsquelle geprägt ist. Obwohl es für sie eine soziale Wüste sein muss, tagein tagaus überwiegend mit Menschen zu tun zu haben.

Für uns ist es wichtig zu wissen, dass NakNak* nicht uns braucht. Uns, die wir uns hier Hannah C. Rosenblatt nennen.
Wir wissen, dass Tiere trauern können und auch, dass sie sich unterschiedlich an Personen binden können. Aber für uns ist gerade diese Fähigkeit sich unterschiedlich binden zu können etwas, dass uns im Kontakt mit unserem Hund entlastet.
NakNak* kann auch bei anderen Hannahs glücklich sein. Ich, wir, sind nicht die einzige Hannah, die es schafft, NakNak* zu versorgen und in manchen Aspekten vielleicht sogar glücklich zu machen.

Jede andere Annahme halte ich für nicht nur egoistisch (was nun einmal der Kern der Haustierhaltung und vieler anderer zuweilen fragwürdiger Kulturen ist), sondern auch für egozentrisch. Was – wo es sich nun einmal um zwei Parteien handelt (Hund und Hannah) – das ist, was ich zu vermeiden versuche, soweit ich das kann.

Obwohl das für manche Menschen gerade in dem Kontext, dass NakNak* unsere Assistenzhündin ist, kaum vorstellbar erscheint.
Der Job des Hundes hat ja nur mich (uns) im Zentrum.
Da kann es helfen zu wissen, dass wir sie nur deshalb ausgebildet haben, weil sie den Kern ihres Jobs schon als Welpe von allein gemacht hat. Ohne, dass wir das von ihr verlangt haben oder sie darauf abgerichtet haben. Letztlich ist sie vielleicht überhaupt nur deshalb noch unser Haustier.
So hart das klingt und bei aller Zuneigung, die wir zu ihr haben.
Es ist teuer einen Hund zu halten und es gibt Lebenslagen, da ist es zu viel für uns ihren Bedürfnissen nachzukommen.
Ihr Job jedoch trägt erheblich dazu bei, dass wir das Geld erwirtschaften können, um sie zu ernähren und immer seltener Unterstützung brauchen, ihren Bedürfnissen wenigstens basal zu entsprechen.

Das klingt nicht nach bedingungsloser Liebe zum Hund, richtig? Nach “ich würde alles geben, was ich hab, weil ich ja so ein tierlieber Menschen bin…”.
Wenn dem so ist, dann ist das gut.
Denn wir sind kein ach so tierlieber Mensch, der das letzte Hemd für einen Streuner auf Gran Canaria mit Lungenkrebs geben würde, um ihm Biofleisch aus der Dose in einer Etagenwohnung an einer Hauptstraße in den Plastiknapf zu schütten, um uns gut zu fühlen. Oder fähig jedes von uns wahrgenommene Leiden zu beenden. Oder uns wenigstens nicht ignorant oder kaltherzig oder ohnmächtig zu fühlen, weil wir den Tod des Tieres nicht verhindert haben.

Der Tod ist sowieso so ein Ding.
Tiere sterben. Menschen sterben. Das passiert. So ist der Lauf der Dinge. Wer sind „wir Menschen“, immer wieder und wieder die Entscheidung zu treffen, wer wann wie wo und warum und in welchen Umständen stirbt und warum ist das Verhindern von Toden jeder Art, immer wieder so viel größer, als die Gestaltung der Leben, die da sind und kommen werden?
Auch in den kleinen Teilen der veganen Szene, in die ich bisher mal reingelinst habe, ist es so viel häufiger Thema Tierleid zu verhindern, als Tierglück zu erforschen und zu diskutieren.
Oder den eigenen Begriff vom “glücklichen Tier” zu reflektieren.

Und vom “tierlieben Menschen”.
Was soll denn das überhaupt bedeuten? Das Wort “tierböse” gibt es nicht. Obwohl es viele Menschen und Praktiken gibt, die man so nennen könnte. Tiere essen könnte man “tierböse sein” nennen. Zoos könnte man so nennen. Obwohl da ziemlich sicher nur lauter “tierliebe Menschen” arbeiten. Menschen, die wollen, dass es den Tieren dort gut geht. Oder nicht schlechter als sowieso schon.

Meine Tierliebe ist nicht bedingungslos und das ist gut so. Meine Menschenliebe ist es schließlich auch nicht.
Meine Aggressionen sind es aber. Und das finde ich wichtig.

Im letzten Jahr hatte ich viele Momente des Bewusstseins darum, wann ich mich “tierböse” im Sinne von “aggressiv” gegenüber Tieren verhalten habe, selbst dann, wenn ich nichts mit ihnen zu tun hatte.
Wie oft haben wir selber Tiere gegessen oder die Dinge, die wir aus ihren Ausscheidungen produzieren. Ich habe zwei Paar Lederschuhe im Schrank stehen. Meine Medikamente wurden sicher nicht nur an Menschen getestet. Meine Kleidung, meine Bücher, meine technischen Helferlein… die Produktion all der Dinge, die ich brauche und wünsche, um es gut und schön zu haben, verdrängen Lebensräume für andere Lebewesen in einer Unverhältnismäßigkeit, die nicht entstehen würde, müsste ich mich selbst versorgen. Ohne all den tollen bequemen Schnickschnack, den wir in den letzten 100 bis 150 Jahren erfunden haben.

Obwohl ich selbst noch nie aus Spaß an der Freude einem Tier Leid zugefügt habe, war ich nie nur “tierlieb”.
Und heute denke ich, dass das ein wichtiger Teil des Selbst_Bewusstseins ist. Die Art Ehrlichkeit und vielleicht auch Verantwortungsübernahme, die man an den Tag legen sollte, wenn man sich damit auseinandersetzt, welche Rolle das eigene Leben im Leben eines anderen Lebewesens spielen könnte.

In den O-Tönen des Podcast von Carsten und Stefanie sagt niemand: “Nein, ich halte die Haustierhaltung nur deshalb für überhaupt möglich, weil wir Menschen uns über den Willen von Tieren hinwegsetzen (können). Und trotzdem halte ich ein Tier. Das ist ein moralisches Dilemma(, das ich anders noch nicht lösen kann).”.
Und das finde ich total schade.
Denn es ist ein moralisches Dilemma. Es gibt viele Aspekte, die zu der Situation geführt haben und nur wenige, wenn nicht vielleicht auch gar keine, die es alleinig schaffen, es aufzulösen.

Natürlich kann man es machen wie wir und sagen: “Okay, dieses Haustier begleiten wir bis zu seinem Lebensende und dann halten wir selbst keines mehr.”, eine Auflösung des moralischen Dilemmas ist das aber nicht. Es ist nur das Ende unseres moralischen Dilemmas, das wir mit unserer Haustierhaltung haben.

Es bleibt die Kultur der Farbmaus im Laden, der Zoos weltweit und anderer Rettungswohlfahrten für Tiere in Not.

Wir waren selbst lange Pflegestelle für Hunde, Katzen und Wildtiere. Wir haben damit angefangen, weil wir einen sinnvollen Job machen wollten. Und wir haben damit aufgehört, nachdem wir bemerkt haben, dass wir da einen Job machen, der niemals aufhören wird, wenn man Menschen diesen Notausgang für ihre Fehlentscheidungen offen lässt.

Nach einem Sommer mit 7 Flaschenkätzen und ein paar erwachsenen Tieren – also 0 Schlaf und Level 5000 täglicher Arbeit – hatten wir klar, dass es nicht zu dieser Lage gekommen wäre, hätte jemand der verantwortlich war, den Arsch in der Hose gehabt sich ordentlich zu kümmern. Und sei es die Kätzchen sterben zu lassen, nachdem die Mutter überfahren worden war.

Niemand hatte diese Kätzchen wirklich und echt bedingungslos gewollt.
Niemand außer dem Muttertier wollte sich um sie kümmern, ohne mehr Wollen und Willen als das Leben selbst damit zur Folge zu haben.
Es ist Mitleidskultur und Niedlichfindungsegomanie, die diese Tiere in Menschenhand und –leben gebracht hat. Mit wer weiß was für Auswirkungen auf sie.

Diese Sicht auf diese Kätzchen haben wir nicht erst seit der Auseinandersetzung mit Veganismus und Carnismus. Diese Sicht haben wir schon länger auf diese Art von “Tierliebe” und “Tierschutz”.
Wenn wir uns mit Tierschutz befassen, dann befassen wir uns mit Menschen und verstehen oft nicht, was da vor sich geht.

Zoos zum Beispiel.
Tiere angucken, die man sonst nicht angucken kann – ja reizvoll. Ein Spaziergang, bei dem man fremde Tierstimmen hören kann – geschenkt.
Aber heute gibt es kaum noch Zoos, die sich nicht damit bedecken, sie würden irgendein Artenschutzprogramm unterstützen und bedrohte Tierarten züchten.
Ganz ehrlich – in was für ein Leben werden diese Arten denn zwangshineingezüchtet?
Super toller Beitrag noch ein Tier für nur hinter Glas oder Käfiggittern in die Welt zu setzen.
Wirklich.
Much nachhaltig.
Very sinnvoll.
Nicht.

Da sind mir Zoos lieber, die gar nicht erst versuchen sich selbst schön zu reden und eher als eine Art Museum oder Lexikon mit lebenden Ausstellungsstücken präsentieren. In solchen Zoos ist es einfach leichter die Objektifizierung der Tiere zu erkennen und zu sehen: diese Tiere sind nur hier, weil wir Menschen das so wollten.
Einfach, weil da noch mehr Platz ist für die Entscheidung dagegen.

Wenn man in einem Zoo steht und ein dreiblättrig geknödeltes Nasenfaultier mit großen Kulleraugen und flauschigem Fell eine Birne essen sieht und daneben steht ein Schild auf dem steht: “IST ES NICHT TOLL, DASS WIR DIESES VOM AUSSTERBEN BEDROHTE TIER GERETTET HABEN?! Spenden sie doch bitte noch ein bisschen was und erzählen sie allen ihren Freunden was für ein tolles Tier man sich hier von uns gerettet angucken kann…” – ja wie viel Reflektion über sich selbst und das eigene Wirken auf der Welt ist da noch möglich?

Darf man heute noch dagegen sein Tiere vor dem Aussterben zu retten?
Ganz ehrlich – so wie wir gerade mit dem Planten umgehen, kann ich nur zum Aussterben raten.

Ich bin kein_e Tierrettungsveganer_in.
Bin ich jetzt nicht, werde ich auch später nicht werden.
Aber das Leben ist mir wichtig. Jedes Leben. Das von Tieren, von Pflanzen, von Menschen.

In einer Episode des englischsprachigen Podcast “vegan warrior princesses attack!” beschrieben Kelly und Nichole, dass es unterschiedliche Veganismen gibt, die alle in ihren Anteilen wichtig sind.
Die Ökoveganer_innen sind genauso wichtig, wie die Tierrettungs- und Gesundheitsveganer_innen. Und auch wenn mir das gar nicht so gut gefällt: auch die Hipster-Arroganzveganer.
Beim Thema der Haustierhaltung finde ich das sehr bestätigt.

Es sind die gutverdienenden, meistens weißen Oberschichtenhipster, die sich “vegan” an die Stirn kleben, um hip und modern zu sein oder sich selbst eine äußere Identität zu geben – und die Bürgerrechtsbewegung, die Veganismus auch ist, damit zuweilen arg diskreditieren – aber die veganen Lebensmitteloptionen in viele Läden und Köpfe gebracht haben.
Sie haben die Nachfrage produziert, welcher der kapitalistischen Marktlogik folgend entsprochen wurde.
Nämlich: “Alles. Immer. Jetzt.”

Das kann man kritisieren und es ist wichtig zu kritisieren, wie schnell und rücksichtslos wirklich alles umgesetzt wird, wenn nur die Kohle stimmt.
Aber. Die positive Auswirkung ist, dass weder Vegetarismus noch Veganismus weiterhin ausschließlich im Öko-Bio-Hippie-Kontext zu finden ist und auch mehr und mehr Bewusstsein für Umweltzerstörung und Klimapolitik entsteht.
Zunehmend werden auch mehr und mehr Kinderarbeit und Arbeiterschutz in der Lebensmittelindustrie thematisiert.

Veganismus ist die derzeit am schnellsten wachsende soziale Bewegung. Aus Gründen.

Manche sind klein. Zum Beispiel der, dass Veganer_innen ihre Haustiere nun auch vegan füttern können, wenn sie das wollen (und das Geld, den Mut, das soziale Umfeld dafür haben).
Manche sind groß. Zum Beispiel der, dass die natürlichen Ressourcen unseres Planeten bereits so angegriffen sind, dass alle unsere Bemühungen Tier- und wie Pflanzenarten zu schützen, lächerlich und sinnlos erscheinen müssen.

Kurz nachdem ich das Podcast zu Ende gehört hatte, überlegte ich einen Witz über Aliens, die ein Heim für im All umherirrende, völlig verhungerte Menschen eingerichtet hatten, weil diese auf ihrem Planeten ja nichts mehr zu essen fänden und ach … jemand muss sich doch um sie kümmern… auszuformulieren.
Doch die Tragik ist ja der Witz.
Es wird niemand kommen und uns retten.
Wir müssen das machen.
Miteinander. Füreinander.

Wie – das wird sich zeigen müssen.
Günstig wäre nur das so hinzukriegen, dass wir nicht ständig irgendwas und irgendwen vor irgendwas retten, sondern zu einem Umgang finden, aus dem wir und alle nach uns kommenden auch gut leben können.

die Katze, die an der Straße lag

Sonne, Wind, ein Schritt nach dem Anderen. Den Berg runter. „Geld kaufen“ am Bankschalter. TippTippTipp. Ratter Schnarr. Hundekeks. Waldstück, Vogelzwitschern,  Hundekeks. Ein Schritt nach dem Anderen.

In die Wortfetzen einer Gruppe älterer Menschen, die um ein Fellbündel am Boden stehen und einander hilflos zu geworfen werden.
„Wissen Sie, wem die Katze gehört?“.
Kopfschütteln, schauen.

Krack. Das Sprachzentrum ist ein gerastet.
Wie auf einer Murmelbahn klicken die Impulse aneinander, landen da, wo sie gebraucht werden und lösen das Katapult für das richtige Innen aus.

Reflexe?- Reaktionen abgeflacht.
Atemwege frei?- Ja.
Puls?- Flach, aber tastbar.
Geruch?- Neutral.
Dehydration?- Nein.
Augen schließen, sachtes Abtasten, dabei leise Schnurren. Der Rücken ist steinhart.
Noch immer keine Reaktion des Tiers auf Berührung oder Ansprache, die Pupillen sind irgendwie zu groß für die Helligkeit des Tages.

Tierarztnummer. Keiner geht ran. Notfallnummer. Derzeit nicht erreichbar.
Gemögte A.- Anrufbeantworter.
Gemögte B. – im Termin.

Anwohnerin kommt vorbei. „Können 644827_web_R_K_B_by_Lisa Spreckelmeyer_pixelio.deSie mir bitte eine Schüssel Wasser und ein nasses und ein trocknes Handtuch bringen?“. Kann sie. Macht sie.
Katze trinkt nicht, leckt aber einen Tropfen vom Finger. Wird langsam wacher. Steht auf und geht auf NakNak* los.
[„Wusste ich doch woher ich die kenne! Das ist die verrückte Katze, die NakNak*, schon mal gebissen hat!“]

„Legen sie ihr mal kurz das Handtuch vors Gesicht, ich weiß in etwa, wo die Besitzer wohnen.“.
NakNak* mit Keksen und kurzem Raunen beruhigen, auf das Haus zu und klingeln.
„Hallo, haben sie eine Freigängerkatze draußen?“
– „Ja“
„Sie liegt vorn an der Straße. Ihr geht es offensichtlich nicht gut, aber nach einem Unfall sieht das nicht direkt aus.“
– „Ah ja, sie ist krank und steht unter Schmerzmitteln- Moment grad, ich komme gleich raus“.
Sie sieht selbst auch nicht gesund aus.

Zurückgehen. Sehen, die Katze liegt unterm Handtuch und lässt sich von der Anwohnerin streicheln. NakNak* in den Schatten setzen und warten lassen.
Worte wechseln. Pflegestelle, erste Hilfekurse für Haustiere, warum habe ich eine Erste Hilfe-Tasche auf meinen Spaziergängen mit dem Hund dabei. Im Hinterkopf klicken der Tod der Welpin vor 2 Jahren und die Schreie des Welpen, der sich in unserer Obhut mal das Bein gebrochen hatte, aneinander.

Die Besitzerin kommt. Erzählt.
Nicken, schweigen, reagieren und merken, wie nötig die Besitzerin Trost und Nähe hat. Die Hand berühren und Verständnis ausdrücken. Merken, wie der Sprachvorrat zur Neige geht. Wie schwer eine Verabschiedung herauszuwürgen ist.

NakNak* abholen. Hundekeks. Einkaufen. Hundekeks.

Und dann bemerken, dass man vergessen hat, die Ärmel nach dem Desinfizieren der Hände wieder runterzuziehen und, dass sie trotzdem auf die Worte und Taten geachtet haben.
Mehr als auf das Schlachtfeld auf den Unterarmen, in dem es kaum noch Nervenenden gibt.