was meine Essstörung mit meiner Freiheit zu tun hat

Ich stand mit zwei Hosen übereinander und Steinen im BH auf einer Klinikwaage und wusste, sie würde eine Zahl anzeigen, die auf einem Aufnahmebogen vermerkt würde. Meine Ärztin würde eine Scheibe aus ihrem Schreibtisch nehmen, ein bisschen hin und her schieben und einen BMI von 18,5 in meine Akte schreiben.

Mindestanforderung an den BMI in der Klinik also erfüllt.
Man würde es im Blick behalten, doch von weitere Wiegeaktionen absehen. Hatte ich doch angegeben genügend zu essen, um das Gewicht mindestens zu halten.

In meinem Kämmerlein wusste ich, dass ich log und wusste auch, dass sie davon ausging, ich sei fixiert auf Zahlen, wie sie. Mein Aussehen und den Körper als manipulierbares Objekt sehen und hätte Kalorientabellen und Nährwerte in meinem Kopf, die ich mir vornähme, sobald es um meine Ernährung ginge.

Ph. Pustekuchen.
Nach damals 7 Jahren Gewichtsachterbahn rauf und runter, war ich von den Zahlen weg. „Anxiety“ und ich waren aufeinander eingespielt und lebten in einer Dynamik miteinander, die ausschließlich reaktiv war (und ist).
Ich wohne allein, esse, hungere, kotze allein.
Ich koche nur, wenn ich einen Job habe und mir frische Lebensmittel durchgängig leisten kann. Ich gebe kein Geld für Zeitschriften aus, auf deren Titel Diäten und neuste Kleiderkollektionen angepriesen werden. Ich suche keine Geschäfte auf, in denen riesige Plakate von normschönen Menschen über den Umkleidekabinen hängen. Nicht nur, weil ich mich dann schlecht fühle, sondern weil ich mir diese Sachen noch nie leisten konnte. Ich habe mit dem Sport im Verein aufgehört, doch nicht weil ich keinen ausufernden Ehrgeiz oder Auftrittskostüme in großen Größen mehr riskieren will, wie damals, als alles anfing, sondern weil es schlicht zu teuer ist.

Als ich damals in die Klinik ging, hatte ich die Möglichkeit zu sagen, dass ich hungrig bin, ohne die Reaktion „Ja, dann essen sie mal was…“ zu kassieren, wie ich es von anderen Außenstehenden erfuhr.
Was für eine Wohltat!
Wir wurden gefragt, was uns satt machen könnte.
Ich habe den Zettel immer noch auf den ein Innen schrieb: Freiheit

Wir sprachen also über Freiheit und Autonomie. Angstfreiheit als Privileg und unsere Möglichkeiten diese für uns zu erlangen.
„Anxiety“ ist Angst und Angst ist etwas, dass uns dazu verleitet, uns ein Gefängnis zu bauen und uns darin sicher zu fühlen. Darin geht es nicht um Normen und Werte, um Anpassung ans Außen oder dergleichen. Uns geht es darinnen einzig darum die Angst nicht zu spüren. Wer keine Angst hat, fühlt sich in der Regel, als hätte er Einfluss und Kontrolle über gewisse Dinge, dabei ist alles was beeinflussbar darin ist, der Grad der Wahrnehmung seiner Angst.
Ich esse und stoße damit an meine Gefängnistür- „Autsch- Waaaa!“
Ich esse nicht und schrumpfe immer weiter von den Stäben um mich herum weg- „Aaaaah- Frieden…“
Ich esse ganz viel und quelle an den Gitterstäben vorbei- „Arghgrmbl- ein stetiger Dauerschmerz, vielleicht wird er irgendwie wegdissoziiert…“

Wir waren damals noch massiv in Gewalt verwickelt und auf keiner Ebene autonom- obwohl wir allein lebten und allein alle unsere Kämpfe zu führen hatten. Behörden bestimmten über uns, die Täter bestimmten über uns. Unser Alltagsleben vermittelte uns durchgängig Abhängig- und Minderwertigkeit. Der freiste Akt war die Nahrungsaufnahme und ausgerechnet den haben wir uns verformt zu etwas, dass uns unter Umständen töten kann.

Wir hatten kein Sozialleben, dass uns mehr als ein „Ich HelferIn hier- Du die Durchgeknallte/ Abhängige/ Bedürftige/ Benutzbare da.“ zeigte.
Während der Therapie in der Klinik kam in einer Sitzung der Satz, Freiheit sei auch, die Freiheit sich mit Menschen zu umgeben, die nicht so mit uns in Kontakt gingen. Zum Beispiel eben die Freiheit in die Klinik zu gehen und zu erfahren, dass man trotz einer Schräglage der Macht auf Augenhöhe angesprochen wird. Als jemand der frei entscheiden kann und darf.

Über diese Erfahrung wurde es uns möglich unsere erste Gemögte kennenzulernen und einen Kontakt zu gestalten in dem eine Schräglage nur im Inneren existiert und nur dort wirkt.
Wir haben unser erstes Picknick mit dieser Gemögten gemacht. Gelernt, dass man auch frei auf einer Wiese sitzen und Camembert auf eine dicke Schicht Butter legen kann. Seine Bissabdrücke im Brot vergleichen und darüber lachen kann- obwohl „Anxiety“ im Innen tobt.
Wir kamen nach einigen Jahren an den Punkt, an dem wir erfahren konnten, dass diese Angst uns nicht tötet, wenn wir sie toben lassen. Wir spürten deutlich, wann sie anfing und endlich auch, dass sie auch wieder aufhört.

Es änderte sich nichts an dem Gefühl minderwertig und zu viel zu sein, die Angst ging nicht weg. Aber der bohrende Hunger, der da war, egal was wann wie und wie viel Nahrung dem Körper zu geführt wurde, wurde gestillt.

Wir nennen es „Leben essen“ und meinen damit „Freiheit konsumieren“.
Es ist eine freie Entscheidung und eigene Wertung innerhalb unseres Rahmens. Selbst wenn wir mehr Geld hätten als jetzt, würden wir uns zwei Mal überlegen, ob ein Besuch im Espritstore und das Gefühl von Hässlichkeit im Vergleich zu Modelplakaten den Wert der Kleidung, die wir dort erwerben können, unterliegt. Wir würden nachwievor keine „Frauen“zeitschriften kaufen, weil wir den sonstigen Informationsgehalt in anderen Zeitschriften höher bewerten. Und wir würden uns auch trotzdem nicht die Biogemüsekiste nach Hause liefern lassen, weil wir das Gefühl von freier Wahl im Super- oder auch Wochenmarkt einfach höher bewerten.

Dieses Gefühl von Freiheitspraxis ist mit großen Ängsten besetzt, doch sie hat mehr Nährwert als Zahlen und Regulierung der Essstörung selbst. Sie lässt uns leben, im Leben wirken, wachsen und das Privileg des Frei-seins von Machtstrukturen in denen wir von außen behandelt werden, als wären unsere inneren, uns zerstörenden, Wahrheiten auch außen wahr, untermauern und ausbauen.

Den Faktor den Nahrung in unserer Geschichte von je her einnahm, habe ich hier bewusst ausgeklammert. Wer Hunger kennt fürchtet ihn, lernt ihn aber auch anders einzuschätzen und mit ihm umzugehen, als jemand der ihn nicht so erfuhr. Unsere Omama hat uns Kinder nicht aus Liebe mit literweise Kakao abgefüllt, genauso wenig wie Täter uns aus Hass haben hungern lassen. Sie haben an uns etwas kompensiert bzw. befriedigt und benutzt. Sie trugen dazu bei, dass sich Ängste entwickelten, doch lösten nicht die Essstörung als solche aus.

„Anxiety“ war und ist also auch, neben allem anderen, was sie ist, ein Teil unserer Autonomie, die wir früher wie heute haben.
Selbst wenn wir real unfrei sind, können wir uns in ihrem Gefängnis frei fühlen.

Sonnenscheintag 4 oder: Armut, Demut, Unmut

Wir haben den 16. des Monats und noch 22,43€ zur Verfügung.

Wir sind nicht drogensüchtig, haben kein Geld zum Fenster herausgeworfen und wurden auch nicht ausgeraubt. Wir haben einfach nur Rechnungen bezahlt und versucht auszusehen, wie ein normaler Mensch (was bedeutet: wir haben das Unsägliche getan und uns endlich Wäsche für 5 Tage in Größe 40 gekauft, statt immer noch weiter in Größe 48 herumzulaufen- zum unglaublichen frevelhaften Preis von 7,98€)

Tja, wat nu?

Entgegen der Meinung der Intelligenzbestien, die sich ihre Meinung zum Thema Hartz 4  mit Hilfe von RTL und Co zusammenschustern, ist es NICHT so, dass man als Mensch in so einer Situation wirklich und echt Hilfe bekommt die einfach und unkompliziert angenohmmen werden kann.

Zumindest nicht von uns. Ich habe jetzt einige Texte und Schilderungen zu dem Thema gelesen, aber noch niemand hat es aus der Sicht eines (früh)traumatisierten- allein stehenden- Menschen geschrieben. Also dann (man hilft ja wo man kann haha)

Was ist das Wichtigste? – Nahrung! (alles Andere hab ich ja schon bezahlt- deshalb ist ja nix mehr übrig)

Wo kann man Nahrung bekommen, wenn man sie nicht bezahlen kann? Bei der Armenspeisung. Weil es politisch korrekter ist, nennt man sie inzwischen “die Tafeln”, “der Lebensmittelkorb”, “der Tisch” und wer weiß wie  noch.

Okay. Alles klar- hier haben wir Problem und Lösung. Tadaaa!

So. Und jetzt komme ich mal mit meinen Problemen und allen laufenden Prozessen dazu.

Ich bin essgestört, leide unter dem Reizdarmsyndrom (ganz interessant: ca. 30% aller Reizdarmsyndrompatienten sind Missbrauchsopfer und die Mehrheit der Erkrankten sind Frauen… ), halte keine Menschenansammlungen aus, halte mich sowieso schon für den Dreck der noch unterm Abschaum aller anderen Menschen steht und bin durch die Unfähigkeit unseres Staates Kinder vernünftig vor Gewalt zu schützen und selbige als Erwachsene heilen zu lassen, arm und (zumindest derzeit) absolut ohne Perspektive, dass sich das schnell (je?!) ändert.

Grundsätzlich bin ich ein Freund davon verzehrbare Lebensmittel nicht einfach wegzuschmeißen und sie an jene kostenlos bzw. für reinen “Ranschaff/Zusammenraff und Verteil-Aufwandspreis” abzugeben, die sonst hungern müssten.

Aber ich komme mir vor wie ein Bittsteller. Und nicht wie jemand der keine direkte Schuld an seiner Not trägt und einfach davon profitiert, dass viel zu viel produziert wird.

Und es erinnert. Es ist ein Gleichnis “Du bist Dreck- Du bekommst nur Dreck- Du bekommst nur das was sonst keiner will und dafür hast du gefälligst dankbar zu sein- sonst musst du sterben (verhungern)”. Es ist das Gleiche. Es ist das Gleiche das Gleiche das Gleiche!

Und dabei soll und will ich doch richtig annehmen, dass ich mehr wert bin, als ich denke. Dieser Gedankengang begleitet mich also als Schleife. “Ich bin wertvoll ich bin wertvoll ich bin wertvoll- obwohl ich grad nicht wirklich so behandelt werde. Bitte Innenleben hör doch auf zu weinen. Es ist zwar das Gleiche- aber es gilt nicht als das Gleiche.” (Also- eigentlich verarsche ich mich, damit es nicht so weh tut.)

Kommen wir zur Verwaltung der Lebensmittelausgabe.

Hier läuft das so: Freitags um 10 Uhr werden Nummern verteilt (jaja wegen Datenschutz und so und weil ja jeder die gleiche Chance haben soll- nicht, dass der Erste das Beste bekommt und so weiter). Okay- kann man hinnehmen- wir sind in Deutschland- hier steht man auf Ordnung und verteilt dafür hübsch laminierte Karten mit einer Ziffer drauf.

Meine Ziffer beim letzten Mal war die 10. Und ich war total dankbar. Diese Dankbarkeit steigerte sich, als ich die Ziffer 132 bei einer Frau die dort ebenfalls wartete in der Hand aufblinken sah.

Um 13 Uhr beginnt die Ausgabe der Lebensmittel.

Solange sitzen viele der Menschen dort in der Kirche herum. (Gecheckt? In der Kirche. Für mich Horror. Schlicht und einfach. Allein die Panik (die noch nicht mal meine ist und die ich nur gedämpft durch zig innere Filter wahrnehme) dieses Gebäude zu betreten, ist etwas, dass mich normalerweise dazu brächte, gar nicht erst dort aufzutauchen. Allein dieser Umstand zieht unglaublich viel Kraft) Wir fahren dann immer nochmal wieder nach Hause (4km hin- 4km zurück bei jedem Wetter) um Kraft zu sparen und zu schöpfen- obwohl der Körper eigentlich nicht genug “Treibstoff” für zweimal 8km radeln und dann nachmittags noch die von NakNak* geforderten 7km laufen, bekommt.

Dann die Ausgabe. Inzwischen ist es richtig voll. Es wird gedrängelt und geredet, Einkauftrolleys und Bollerwagen nehmen noch zusätzlichen Platz weg. Alle Sprachen werden gesprochen- auch jene die mich triggert und direkt mal in einen Zustand jenseits von Gut und Böse befördert. Also stehe ich draussen herum, werde ein paar Mal fast umgerannt und krümme mich halb vor (alten) Schmerzen und spitze die Ohren um meine scheiß Nummer zu hören- die ich aber natürlich nicht höre- die Sprache die mich antriggert aber dafür um so besser.

Die Frau in der Ausgabe wird sich wohl gedacht haben: “Ach komm Scheiß auf Datenschutz- es muss vorwärts gehen” und schrieh meinen Namen über die Gespräche hinweg. Hmpf. Danke sehr.

Naja, also ich mich durchgekämpft. (Und ja: Ich hatte zwischen drin die Assoziation von mir im Camouflageanzug mitten in der Schlacht um Stalingrad bzw auch kurz von Aladin dem Meisterdieb der sich durch den Basar schlängelt)

Endlich angekommen bei der guten Frau. Ich habe zu dem Zeitpunkt schon den 4ten Tag in Folge nichts gegessen. Mir geht es richtig richtig dreckig und eigentlich ist zu diesem Zeitpunkt weder denken, noch mitdenken, noch planen, noch irgendwas anderes als das schiere Überleben wirklich möglich. Ich brauche, dass jetzt jemand einen Plan hat und weiß was er tut. Diesen Anspruch hat die Frau anscheinend leider nicht und zerrt mich von Station zu Station.

Vorbei an Bergen von Brot (das ich nicht mehr vertrage bei meinem Stresslevel in Kombination mit dem Reizdarm), an Kuuuuuchen (großes Heulen innen), an Nudeln (die ich auch nicht essen sollte- von denen ich aber doch ein Paket mitnehme, weil es sonst gar nichts Haltbareres zu geben scheint- was ich aber dann 4 Tage später bitter bereue, weil mich mein Bauch zu zerreissen droht) und dann zum Obst und Gemüse. Ich gehe hinaus mit

1 Paket Nudeln, 5 Möhren, 1 Blumenkohl, 3 Tomaten, 1 Gurke, 100gr Putenwurst, 1 Liter laktosefreier Milch (okay dafür war ich supermega oberdankbar- die ist so teuer), 1 Zitrone und 5 Kartoffeln.

Um um mehr zu bitten, bin ich zu diesem Zeitpunkt viel zu geschwächt (mal abgesehen davon ist hier für mich noch die Frage: Wann würde ICH jemals um Essen betteln? Wieder! Ich bzw. mein Innen kennt doch die Antwort längst: “Du bekommst nichts mehr!”. Mir tanzen Punkte vor den Augen, der Kopf dröhnt und Erinnerungen rütteln an ihren Käfigtüren. Mein Organismus belebt die alte Zeit wieder und niemand steht mir bei. Weder mein Geist, noch die Frau die mir doch an die Seite gestellt wurde, um mir zu helfen. Sieht sie denn nicht, wie wenig das ist?!

[Nein- das ist viel zu viel- du darfst das alles gar nicht haben! Ich krieg Ärger dafür! Legs weg- bitte gibts zurück!!!- Ja los legs zurück du fettes Schwein!- Du bist es nicht wert!- Ich bin es wert ich bin es wert ich bin es wert… ]

Ich sehe zu, dass ich verschwinde und komme irgendwie wieder nach Hause. Um mich dort angekommen ohrfeigen zu können. Wieder 7 Tage vor uns und praktisch nur für 2- vielleicht 3 Tage Essen zum satt werden. Und was machen wir? Wir denken, dass es uns nicht zusteht, doch noch die anderen Lebensmittelausgaben abzuklappern, um mehr abzugreifen. Wir strecken diese paar Sachen über 7 Tage hinweg. Und wundern uns dann, weshalb das System komplett in den reinen Überlebensmodus schaltet. Weshalb es uns so schlecht geht.

Jetzt gehts uns noch gut.  In 11 Tagen dürfen wir realistisch das Kindergeld erwarten. Heißt wir können pro Tag jetzt noch 2€ ausgeben um etwas zu essen zu kaufen. 1,60€ sind es, wenn wir Pech haben und das Geld erst am 29 sten bekommen. Von einer Ernährung die uns gut tut sind wir weit entfernt. Von Lebensumständen die uns heilen lassen könnten, fange ich gar nicht erst an zu reden.

Aber ich muss nicht zu dieser Armenspeisung gehen. Wenigstens in diesem Punkt darf und kann ich diesen Monat gut für mich sorgen.

[Wer weniger als umgerechnet 1,25$ pro Tag zum Leben hat, gilt als arm. 1,25$ sind 0,96484€. Man bin ich reich. Was stell ich mich eigentlich so an?]