über die Schwere, die dazu kommt

Ich hatte beim Lesen unserer Einträge gestern einen „glory Moment“- ein kleines „Pling“ sozusagen, dass mit meiner Giftsuppe zu tun hat.

Ich habe schon immer ein BÄÄÄM neben mir stehen, das mir zu jeder Gelegenheit sagt: „Du bist dumm, wie Bohnenstroh“, und ein Unverständnis meiner Umgebung als Beweis dafür nimmt, genau auch wie die Tatsache weder Abitur, noch Studium oder Arbeit vorweisen zu können. Laut dem BÄÄÄM alles Dinge die nicht so wären, wäre ich nicht dumm.

Es hat mir geholfen meinen Intelligenzquotienten zu wissen, denn so konnte ich die Differenzierung zwischen „Dummheit“ und „Unbildung“ vornehmen. Das Testergebnis sagte mir, dass ich hochbegabt bin- ergo nicht unfähig Bildung zu erfahren.
Es sagte mir aber auch, dass ich zu den 2% der Menschen gehöre, die so ein breites Spektrum zur Aufnahme und Verknüpfung von Informationen verwenden, dass es für andere Menschen zu viel sein kann, um mir zu folgen, wenn sie ein etwas schmaleres Spektrum nutzen.

Damals hat es mich ein wenig erleichtert und mir geholfen, weniger ungeduldig und auch dominant gegenüber meinen Mitmenschen zu agieren. Meine Bereitschaft meine Gedanken zu erklären und nachvollziehbarer zu machen, wuchs proportional zum Sinken meiner Bereitschaft Kontakte zu pflegen, bei denen ich dies tatsächlich auch tun muss.

Menschen, die selbst ungeduldig sind, nehmen sich nicht die Zeit mir zuzuhören. Menschen, die von ihrem Denken hochgradig überzeugt sind und sich darin stabil fühlen, stellen weniger gern andere Aspekte daneben oder integrieren sie. Und dann gibt es natürlich auch die Menschen, die meine Massen, so wie ich sie transportiere, auch wirklich einfach nicht aufnehmen können, egal wie gut oder schlecht sie erkläre.

Es kostet uns Kraft mit Menschen zu interagieren. Da spielen die Folgen der Gewalt hinein und wirken noch zusätzlich als Klotz am Bein. So ist bei uns eine Dynamik entstanden, in der es viel ums „schwer sein“, „zu viel sein“, „zu anstrengend sein“, „eine Belastung darstellen“ geht.
Manche Innens erleben es so, wie es das Eine in „die Einladung zur Klassenfahrt Teil 2“ beschrieb und manche so, wie ich es jetzt versuche zu erklären.

Ich habe nicht viel von der Schulzeit erlebt, aber das was ich erlebte, passt ganz genau in die typischen Problembereiche für Menschen mit Hochbegabung.
Einmal hielt ich ein Referat im Geschichtsunterricht und die Lehrerin kommentierte ihn mit: „Zu lang, am Thema vorbei, Note 3.“. Es ging um die Ständegesellschaft um die Jahrhundertwende.
Sie wollte eine platte Darstellung der Stände, mit ein paar Fotos aus dem Internet und dem Fazit: „Jo, war ne schlimme Zeit- ist ja aber zum Glück vorbei.“.
Ich lieferte eine Entwicklungsgeschichte der Stände, die Faktoren die zum langen Überleben dieser Gesellschaft führten, die Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, sowie einen Vergleich zur heutigen Klassengesellschaft und dessen Auswirkungen auf unser Leben.

Als ich für das Referat recherchierte, drängten sich mir diese Dinge auf und ich fand sie alle wichtig. Ich dachte, mein Schlussplädoyer („Hallo- es hat sich nichts verändert- wir nennen es nur anders“) sei nachvollziehbarer, wenn ich das auch alles gleich mit reinnehme.
Ich denke bis heute, dass das so war- es war ein gutes Referat. Nicht nur, weil ich so viel mehr Zeit dafür aufgebracht hatte, sondern weil es umfassender war, als die tabellarische Darstellung die meine Mitschüler vorzeigten.

Der Auftrag war klar formuliert: „Informiere dich über die Ständegesellschaft um 1900 und vergleiche sie mit der Gesellschaft von heute.“.
Der implizierte Auftrag war aber: „Gib wieder, was ich dir schon mal gesagt habe- nicht, was du selbst denkst und herausfindest.“.

Sag mir was ich dir zeige- nicht das, was du siehst.
Damit kann ich das Problem gut beschreiben. Das ist es was mir so oft begegnet und mich scheitern lässt. Ich kann nur wiedergeben, was ich sehe und das ist viel. Das ist mehr, als das, was viele andere Menschen sehen und mir zeigen.

In der Wissenschaft ist es leicht kompensierbar, denn die Wissenschaft ist suchend. Sie will ein breites Spektrum um die Wahrheit zu finden; um breit anwendbare Gesetze und Funktionen zu erstellen.
Die soziale Interaktion hingegen ist meistens gewillt Bestätigung zu finden. Sie ist darauf angewiesen Muster zu haben und diese zu wiederholen. Man sucht die Gleichheit und kreist in ihr. Muster mit anderem Etikett, lassen sich manchmal mit einbringen, doch je mehr Muster hinzukommen, desto schwerer erscheinen sie vereinbar. 351578_web_R_B_by_Oliver Haja_pixelio.de

Ich habe das mal mit einem Mandalastapel verglichen. In der Wissenschaft sagt man: „Wooohoo geil- so viele Schnittpunkte passen übereinander- lasst uns das „Intersektionalität“ nennen und damit arbeiten.“. Im Miteinander sagt man mir: „Das ist mir zu hoch- das Reden mit dir, ist mir zu anstrengend- geh weg oder machs anders.“.

Wir haben heute ein Kontaktnetz, dass wir relativ flexibel dosieren können.
Da gibt es hochgebildete Menschen, die uns am Privileg „Bildung“ teilhaben lassen, unsere Vielheit aushalten und sich den Punkten widmen, die sie erfassen können. Alle zusammen in einer Person zu haben wäre ein Nirwana für uns. Aus kleinen Spezialbuden würde ein Laden werden, der alles hat.

Doch natürlich gibt es das nicht und inzwischen haben wir auch aufgehört so jemanden zu suchen. Wir sind froh und dankbar um jeden der uns als ein Mensch der Viele ist und viel sieht, nimmt, wie wir sind und wertvoll findet, was wir zeigen- egal, ob es ganz erfassbar ist oder nicht.
Wir haben Menschen gefunden, die suchend oder mindestens motiviert zur Suche sind. Sie sind offen und erkennen auch soziale Intersektionalität als etwas Bereicherndes an- nicht als etwas Schweres, dass man vermeiden muss, um sein Gefühl von Stabilität zu erhalten.

Sie sind so ein wertvolles Gegengewicht zu dem sozialen Gift aus Ablehnung und Ignoranz, die allein unser Sein, als Ursache einer Belastung an sich betrachtete und uns damit immer wieder vermittelte falsch zu sein. So falsch eben wie Bohnenstroh, statt Bohnenfrucht in einer Mahlzeit.

Es ist ein Topf mit Düngersuppe und immer wenn wir sie treffen gelangt ein Tropfen davon zu uns.
Wir werden nicht leichter zu tragen und der Wunsch nach Vereinfachung von allem geht deshalb nicht weg. Aber sie machen es uns leichter schwer zu sein.

Und es vielleicht irgendwann auch mal selbst richtig und gut zu finden.

von Intelligenz, Bildung und Giftsuppe

„Glotz nich so dämlich!“
„Du bist dumm, wie Bohnenstroh und das kann man nicht mal essen!“
„Frag nich so bescheuert!“
„Was weißt du denn schon?!“
„Du hälst dich wohl für oberschlau!“

Sätze von Menschen die unser gesamtes Versorgungsuniversum dargestellt haben.

Jemandem zu vermitteln, er sei dumm und intellektuell fehlentwickelt geht ganz einfach. Man vermische soziale (und auch gerne strukturelle) Minderwertigkeit mit einem Biologismus und Voila! zeichnet man jemandem ein Selbstbild in den Kopf, dass eine Dummheit, eine Retardierung von Natur aus beinhaltet und genau deshalb keine ernstzunehmende Meinung oder allgemeiner: Aussage, aus ihm heraus kommen kann.

Ich weiß noch, was der erste Intelligenztest für Folgen hatte. Es war eine Zahl, die auch genannt wurde, doch ihre Wertigkeit war egal- wichtig war nur: „Habe ich bestanden? Darf ich noch in die gleiche Schule gehen oder muss ich jetzt in eine Sonderschule?“. Es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Irgendwo im Innen versackte diese Episode, denn nichts hätte sich verändert, außer eben das Denken, dass man wohl bestanden haben muss, weil man ja auf seiner Schule bleiben durfte.
Der zweite wurde in einer Klinik gemacht. Huch- ja hm, nennt man „überdurchschnittlich“ . Okay… und das bedeutete nun was?
Nichts! Klinikschule wie bisher, nach der Entlassung auf die Hauptschule. Nicht mehr aufs Gymnasium. Versagerin mit dreistelligem Nummernschild.
Der dritte war ein Marathon. An den erinnere ich mich, weil ich ihn gemacht habe.
Gerade muss ich schmunzeln, weil ich noch weiß, wie dumm es mir erschien, meine Dummheit hier so in Mustern, Reihenfolgen, Zahlen und meiner Fähigkeit zur Übertragung ausgeschlossen sehen zu wollen. Der Psychologe fragte mich, wieso ich so unwillig sei („Oder willst du für immer hier bleiben? Du musst schon mitmachen!“) und ich wunderte mich darüber, wie unglaublich eng sein Kopf mit dem Brett davor verwachsen gewesen zu sein schien. Ich war voll bis oben hin mit Neuroleptika, Tranquilizern und Antidepressiva. Gegessen hatte ich noch nichts und es war 9 Uhr morgens (eine Zeit in der mein Gehirn noch schläft- ob nun chemisch niedergeknüppelt oder nicht) und dieser Mensch meinte ernsthaft, er würde in diesem meinen Zustand, einen realistischen Überblick über die Art Intelligenz erhalten, die er mit seinen Parametern erfassen kann?
Wir mussten uns beugen. Meine Wut darüber, dass jemand der so eine Kurzstreckendenkweise verfolgt, darüber bestimmen darf, wann ich frei gelassen werde, hatte mich angestachelt. Ich lief zur Hochform auf.
Am Ende wurde uns ein Zettel, auf dem „Hochbegabung“ draufstand, um den Hals gehängt.
Aus dem Nummernschild wurde ein Aushängeschild, das dann aber doch niemand genauer betrachtete. Die Diagnose der Schizophrenie hat manchmal diese Wirkung. Du kannst unglaubliches Potenzial haben- doch wenn entweder das was als Wahn bezeichnet wird, oder die chemische Keule das Gehirn dazu abschaltet, ist es nichts weiter, als eine Art Projektionsfläche des eigenen Ideals, über dem andere Menschen stehen und beweinen, was jemandem so durch die Lappen gehen kann.

Wie es kam, dass uns niemals eine wirkliche Förderung dieses Potenzials entgegen gebracht wurde?
Tja… Wir sind ja nun ziemlich gestört, nicht wahr?
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„Gestört“ war das neue „Dumm“.
Wozu einen hoffnungslosen Fall fördern?
In den verschiedenen Klinikschulen sagte man uns uns nicht, dass wir dumm seien. Eher im Gegenteil, doch akademische Förderung ist in diesem Setting schlicht nicht möglich, wie an einer Regel- oder Förderschule.

Mit 17 hatten wir bereits zwei Hauptschulabschlüsse. Zusammengestückelt in einer Gewerbeschule- irgendwo zwischen Tür und Angel aus Alltagstraining und Entlassung aus der Klinik in der wir bereits über ein Jahr wohnten.
Heute haben wir insgesamt vier Hauptschulabschlüsse und einen Realschulabschluss von einer Abendschule.
Wenn wir das Abendgymnasium schaffen, werden wir sagen können: Ich habe 6 Hauptschul(entsprechende)- und 2 Realschul(entsprechende)abschlüsse, 1 Fachabitur und 1 Vollabitur.
Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich darüber lachen oder weinen will. Erscheint mir doch weniger mein Hirnschmalz verschwendet, als jede Menge staatlicher Ressource.
Für die wiederum ich mich zu entschuldigen gezwungen fühle, weil ich noch immer nichts dafür getan habe, um diese Ressourcen in irgendeiner Form zurück zu erwirtschaften. Was aber dann eigentlich wiederum gar nichts mit mir selbst zu tun hat, sondern damit, das man in Deutschland einer gewissen Norm entsprechen muss, um leicht an Förderung oder Maßnahmen zur Integration zu kommen. Sie ist nicht verwehrt, wenn man dieser Norm nicht entspricht, doch es macht kaputt, wenn man beginnt, dafür zu kämpfen. Und das ist, so mein aktuelles Empfinden, gerade auch im Hinblick auf meine Verwahrung in der Rehaabteilung der Agentur für Arbeit, schlicht auch so gewollt.
Schwund ist immer. Menschen sind eine nachwachsende Ressource.

Letzten Freitag saß ich dann abends beim Netzfeministischen* Bier zusammen mit lauter Akademikerinnen.
Vielleicht ist das interessant: Hätte ich in einer Runde offen psychisch erkrankter Menschen gesessen, die alle einem Beruf oder einem Studium nachgehen, hätte ich mich im Bereich „zu gestört, um so schlaue Dinge zu tun, wie sie“- verortet. So saß ich auf dem alten „zu dumm, um jemals in ihre Sphären stoßen zu können“- Giftsuppentopf.
Wir saßen da, schauten den Rauchkringeln zu, hörten, verstanden, sprachen, wurden nicht ausgelacht.
Und dann haben sie Topf angestoßen. Einfach so.
Ich hatte gedacht, vielleicht sei es eine Art Vorwarnung vor eventuell komplett dummen Dooffragen, wenn ich zugebe, dass ich zeitweise knietief im Büchern stehe, um (feministische) Texte zu verstehen. Große Augen: „Was?! Echt jetzt?!“
Nachfragen. Anerkennung der Bemühung.
Kein Lachen.
Irgendwo da unter dem Stuhl, den ich besetzte, dunstet nun dicker Schwapp dieser Giftsuppe vor sich hin.

Ja, wir studieren, um politische, feministische, soziologische, naturwissenschaftliche Texte und Theorien überhaupt erst einmal zu verstehen. Wir studieren, ohne Student zu sein, ohne die Berechtigung zum Studium zu haben oder einen offiziellen Gasthörerstatus zu haben. Nicht weil wir müssen, sondern, weil wir wollen. Und auch, weil wir sonst verdursten würden. Verwissensdursten sozusagen.
Und auch, weil es nicht anders geht.
Man mag es niedrig einschätzen, wenn man im Elfenbeinturm (oder im Fachbereich seiner Uni sitzt) und vielleicht ist es auch nicht sonderlich wichtig, denn viel des Wissens ist meiner Meinung nach Theorie über Theorien, die nur erschaffen wurden, um Dinge zu beweisen oder zu erklären, die auch ohne all das passieren und stimmen und wahr sind. Ich betrachte die Universitäten immer eher als eine Art Dampfstampfpressdruckmaschine zur Wortproduktion von Zusammenhängen. Vorne rein- durch viele Wortsiebe und Aufsatzformen hindurch- und am Ende, kommt ein (meist englischer) Begriff heraus, der nur in der Maschinerie selbst verstanden werden kann. Und das, obwohl er wichtig für das Verstehen des Geschehens (oder auch der Natur und den Menschen) außerhalb selbiger sein kann.

„Du dumme Kuh- du weißt nicht, wovon du sprichst!“
Wissen ist Macht. Die Macht eine Meinung zu haben. Die Macht eine Meinung haben zu dürfen, weil man weiß, wovon man spricht.
Die Macht sich vor Mächtigen nicht still und klein halten zu müssen.
Die Macht eigenständig und frei zu sein, weil man keinen mehr über sich stehen hat.

Heute Nacht dann blinzelte mir ein Halbsatz mit Bezug auf mich ins Auge, gerichtet an viele Menschen: „eine kluge Frau“
Von jemandem der global um mich weiß. Sowohl von der Unbildung, als auch der Gestörtheit.

Und plötzlich waren es meine Wangen, auf denen die Giftsuppe zu verdunsten die Chance bekam.

Klug.
Trotzdem.
Trotz dem Ganzen.
Ich, in der Wertung eines anderen Menschen.

Darauf ein Lakritzbonbon.