die traumatisierte böse Königin

Vorgestern habe ich angefangen “Once upon a time” zu schauen. Eine Serie, in der Märchenfiguren, durch einen Fluch der bösen Königin, als Menschen in einer Stadt der Menschenwelt leben und nicht erinnern, wer sie eigentlich sind.

Üblicherweise finde ich böse Königinnen gar nicht mal so böse. In der Regel sind sie alleinstehende/verstoßene/ausgegrenzte Frauen, deren einzige Idee von Respekt und daraus hervorgehend Macht es ist, dass alle Angst vor ihnen haben. Es sind häufig so freie Frauen, dass sie über weite Teile des Lebens einsam sind und sich mehr oder weniger in Ersatzhandlungen oder Ersatzgegenübern verlieren.
Eine böse Königin lebt kein erfülltes Leben. Im besten Fall lebt sie eines, in dem sie gefürchtet wird, bis sie jemand durch den Tod davon erlöst.

So auch in der Serie. Wobei ich noch nicht weiß, ob sie stirbt. Das werden wir ja sehen. Vielleicht muss sie auch nur emotional ein bisschen sterben, um dann mit neuem Mindset aus diesem Sterben hervorzugehen.
Egal – das ist nicht, was ich aufschreiben will.

Aufschreiben will ich, dass mir Parallelen aufgefallen sind, die mich darin stärken, weiter zu tun, was ich für richtig halte. Egal, wie oft die bösen Königinnen in meinem Leben in mich hineintreten, um mir zu sagen, dass ich weggehen soll. Dass ich nicht gut genug bin für das, was ich tue oder tun möchte. Dass ich allgemein und grundsätzlich nicht genug bin.

Böse Königinnen machen keine Entwicklung, denn ihr Denken und Sein ist statisch. Es kann keine Veränderung geben, weder in sich noch in ihrem Bild von der Welt und ihren Gegenübern darin. Böse Königinnen haben Angst vor dem Schmerz, der damit einhergeht. Todesangst.
Sie können keine Verbündeten haben, die ihnen wirklich bedingungslosen Schutz, bedingungslose Fürsorge, bedingungslose Loyalität gewähren, denn im Zweifel sind es ihre engsten Verbündeten, die für sie zum Teil der mächtigsten Waffe gegenüber jenen Feinden, die ihr am meisten Angst machen, werden müssen.

So muss die böse Königin in der Serie, ihren Vater – den einzigen echten (im Sinne von “natürlich gewachsenen”) Verbündeten in ihrem Leben – töten und Haare von ihren anderen Verbündeten benutzen, um diesen Fluch auszusprechen.

Eine böse Königin zur Verbündeten zu haben, kann das eigene Leben bequemer machen. Vielleicht gibt es sogar Schutzaspekte und aufrichtige Gesten der Verbundenheit. Aber doch weiß man, dass das nur so lange auch so bleibt, wie die Königin keine Feinde (und damit auch: keine Angst) hat.
Alles muss so bleiben wie es ist – sonst wird es gefährlich.

In der Serie greift die Protagonistin zu den lauteren Mitteln, die allen Menschen frei zur Verfügung stehen, jedoch nicht von allen auch genutzt werden, weil sie samt und sonders von der bösen Königin ausgehebelt werden können (und oft auch werden).
Die Protagonistin bleibt. Sucht Alternativen und bleibt dabei zu tun, was sie tun möchte, weil es ihr richtig und wichtig erscheint. Sie tut es nicht, weil die Königin das nicht möchte oder weil es ihr eine Befriedigung verschafft zu sehen, wie die Königin ins Rotieren kommt.
Es geht ihr nicht um die Königin, sondern um sich selbst und die eigenen Themen und Werte.

Mir gefällt, wie deutlich wird, dass die Protagonistin kein Mensch ist, der nie Fehler gemacht hat oder einen ausschließlich liebenswerten/“guten“ Charakter hat.
Das bestärkt mich noch mehr, dran zu bleiben, weil es mit dem Klischee bricht, dass nur grundgute Menschen in der Lage sind, Gutes zu tun oder zu wünschen.
Es bricht auch mit der Mär vom guten Handeln zur Aufbesserung des eigenen Seins.

Ich bin in den letzten paar Jahren davon abgekommen die Kraft dafür aufzubringen, anderen Menschen das immer wieder über uns zu sagen.
Wir bekommen inzwischen so viele Emails am Tag von Menschen, für die wir etwas so Gutes getan haben, dass sie uns zu einer besseren Person v.erklären, als wir sind – aber nicht immer schaffen wir es allen einzeln zu schreiben: “Hey – wir haben vielleicht etwas Gutes für dich getan – aber besser als andere sind wir deshalb nicht.”.

Manchmal denke ich auch, dass es nicht unsere Verantwortung ist, die Menschen daran zu erinnern. Wir sind nicht hauptverantwortlich dafür, was andere Menschen von uns denken oder für wie gut oder schlecht sie uns halten.
Wofür wir die Verantwortung tragen sind die Dinge, die wir tun. Und wenn wir sie für gut und richtig halten, sie sich aber für jemanden nicht so auswirken, dann müssen wir sehen, wie wir darauf reagieren, statt uns damit aufzuhalten, ob uns dieser Umstand schlechter oder weniger wert macht.

Wir sind nicht gut in der Performance vom guten, perfekten Menschen.
Wir erleben uns meistens nicht einmal als Mensch. Allein das macht uns und unser Denken, Wirken und Schaffen zu etwas, das – zumindest in dem, wo wir uns so einordnen und positionieren – niemand anderen im Zentrum hat, als uns selbst.
Vielleicht ist das eine Traumafolge, vielleicht ist es aber auch das, was Autismus am Ende ist.

Es kommt häufig vor, das Menschen, die von Anbeginn ihres Lebens erfahren falsch und ungewollt zu sein, sich selbst als den Ursprung allen Übels in jeder Situation wahrnehmen. Perfiderweise oft nicht einmal so, dass sie bewusst denken: “Ich bin so schlecht, deshalb…”, sondern, dass jede (Konflikt-)Situationsanalyse mit “Ich…” beginnt und nicht mit “Wir…” (wenn ein Gegenüber involviert ist).

Es kommt aber genauso häufig vor, dass Menschen, die über lange Zeit zu viel ertragen mussten, alles und alle um sie herum als den Ursprung allen Übels in jeder späteren Situation wahrnehmen. Auch da gibt es meist nicht diesen Gedanken: “Ich leide so sehr, weil mir niemand hilft (weil…)”, sondern viel mehr den Anreiz jede_n mit Vorwürfen und Ansprüchen zu überschütten, di_er zufällig nicht tut, was gebraucht wird.

Über die Serie habe ich gesehen, dass die böse Königin so ein Muster hat. Sie selbst ist in Ordnung – es ist ihr Umfeld, dass ihr nicht genug hilft, nicht genug für sie da ist – ihr einfach nie genug ist und auch nie genug sein kann, denn sie selbst weiß, dass es nichts gibt, das je aufwiegen kann, was ihr fehlt.

Über die Serie habe ich aber auch unser Muster gesehen. Wir befassen uns nicht genug mit dem Umfeld, in dem wir leben, um so differenziert, wie man das in manchen Situationen tun sollte, einschätzen zu können, ob es ein okayes Umfeld ist oder nicht – denn im Zweifel wissen wir vor uns selbst schon viel sicherer und klarer, dass wir sowieso nicht dazugehören, weil wir einfach so ganz grundsätzlich nicht passen, nicht genug sind, kein Mensch sind, nicht wie andere sind – und sowieso einfach schon immer irgendwo ganz fern von allem passieren. Selbst dann, wenn es nicht um Konfliktsituationen geht.

In beiden Mustern geht es um die Abwesenheit bedingungsloser Bindungen. Um das ständige Ausbalancieren zwischen Einsamkeit und Frei_von_heit, zwischen Autonomie zur Sicherung des eigenen Überlebens und einer Abhängigkeit von einem Umfeld, das jederzeit als Bedrohung des eigenen Lebens wahrgenommen wird.

Wir haben uns inzwischen darin arrangiert, dass es keine bedingungslosen Bindungen für uns gibt. Für uns sind Menschen immer mit Anstrengung verknüpft, die uns auch immer etwas kostet. Das heißt, dass es von unserer Seite aus auch vielleicht nie möglich sein wird, so ganz und gar bedingungslos verbindlich zu sein, wie es Menschen uns gegenüber vielleicht schaffen und heute bereits sind.

Doch das hält uns nicht mehr so davon ab, uns mit Menschen zu umgeben, Umfelder verändern oder gestalten zu wollen, wie noch vor ein paar Jahren.
Wir machen unser Ding. Und unser Ding ist Wörter sammeln, um uns und unsere Er_Lebens_Erfahrungen auszudrücken.
Nicht, weil wir ihnen oder uns selbst eine besondere Bedeutung beimessen, sondern, weil sie da sind.

Und wenn etwas ist, dann ist es.
Auch wenn es stört und nervt und falsch ist und nicht genug ist und böse Königinnen zur Weißglut treibt.
Auch dann.

“Ausbildung inklusive”, Episode 6 – die erste Halbzeit

Und da ist es also: das erste Halbjahreszeugnis seit 2008

Wir sind zufrieden mit den Ergebnissen, wissen aber auch, wo wir ein „sehr gut“ hätten erreichen können, wenn wir seltener gefehlt hätten.
Wie das immer so ist.

Mir ist bei der Gelegenheit eingefallen, dass wir darüber schreiben wollten, was uns im Moment gut hilft, in der Schule zu sein und zu arbeiten.

1.  NakNak*.
Es gibt nach wie vor jeden Tag Situationen, in denen wir gerade so am Nervenzusammenbruch entlang schlittern, weil einfach alles zu laut, zu viel, sehr kraftintensiv ist. Sie hält uns sehr in der Waage in diesen Momenten. Manchmal, weil wir sie anfassen und auf dem Schoß haben können, manchmal, weil ihre Anwesenheit eine Verantwortungsübernahme von uns erfordert, die sehr stabil in uns verankert ist. Es gab bisher nur einmal die Situation, dass ich jemand anderes bitten musste sie zu halten. Das war kurz vor einem Anfall in der Pausenhalle.

2. der individuell angepasste Gehörschutz.
Wir hätten uns schon viel viel früher trauen sollen, uns so etwas zu wünschen und zu besorgen – diese Ohrstöpsel helfen uns so sehr!

Zu Beginn des Schuljahrs haben wir noch auf die Variante zurückgegriffen mit der wir Bus- und Bahnfahrten geschafft haben, nämlich die In-Ear-Kopfhörer, manchmal mit Musik drauf, meistens ohne. Nach kurzer Zeit in der Schule jedoch zeigten sie sich als wenig nützlich und wir gingen zu „Kind“ um uns beraten zu lassen. Dort kauften wir ein Paar „Party Plugs“ von Alpine, die gut geschützt haben, jedoch nach zwei, drei Stunden immer wieder aus den Ohren rutschten.
Danach stiegen wir um auf den angepassten Gehörschutz.
Das bedeutete, dass ein Abdruck von den Gehörgängen genommen werden musste, was nicht wehgetan hat, aber wirklich unausweichlich unangenehm war.

Zuerst wird ein kleines Stück Schwamm oder Watte an einem Faden sehr tief in den Gehörgang eingeführt und darauf kommt die Abdruckmasse, bis sie ausgehärtet ist.

die Masse im Ohr

ein hellblaues Stück Kunststoff mit gelbem Schwammstückchen drauf
der Kunststoffabdruck von unserem Gehörgang

 

Aus diesem Abdruck werden die Otoplastiken gefertigt.
Man kann sie wie wir in einer Farbe bekommen, oder durchsichtig. Eingefügt werden unterschiedlich starke Filter. Es gibt auch welche mit denen man schwimmen gehen kann.

 

grüne Otoplastiken von hinten
die fertigen Stücke von hinten

 

grüne Otoplastik von der Seite
die fertigen Stücke von der Seite

 

Unsere filtern PC- und Beamerrauschen, Leuchtstoffröhren-, Maus- und Tastaturgeräusche, Jackenraschel- und Papierraschelgeräusche zu 90 bis 100 % weg, aber auch herannahende Schritte, ruhige, leise Stimmen und andere subtile Geräusche in dem Frequenzbereich. Alles Dinge, auf die sich üblicherweise unsere Aufmerksamkeit richtet, um die Selbstorientierung zu ermöglichen. Man kann sich also vielleicht schon denken, dass die Umstellung und Gewöhnungszeit alles andere als einfach für uns war.
Normale zimmerlaute Gespräche werden nur etwas gedämpft.

In der ersten Woche gab es eine große Überforderung, aber schon in der Woche darauf war sie nur noch mittelgroß. Inzwischen schwankt sie zwischen leicht bis mittel, denn auch für NakNak* funktionieren wir durch den Hörschutz anders als sonst. Auch sie muss neu mit uns ins Teamwork hineinfinden.

Den Hörschutz tragen wir am Tag zwischen 6 und 8 Stunden am Stück. Länger sollte man ihn nicht tragen und länger könnten wir es auch nicht ertragen. Sie sind zwar angenehm im Tragegefühl, jedoch ist da auch immer ein wenig Unterdruck, der sie an ihrem Platz hält und nach einer Weile auch ein leichtes Dauerunbehagen am/im Kopf.

Im Unterricht ermöglichen sie uns eine völlig neue, gute Konzentration im Klassenzimmer.
Wir schaffen inzwischen sogar auch schriftliche Aufgaben, obwohl/während andere Schüler_innen da sind quatschen. Diese Woche hat sogar eine Einzelarbeit geklappt, während die anderen in Gruppen gearbeitet haben. Alles Dinge, die uns früher völlig leergesaugt haben und unheimlich viel Nacharbeiten erforderten.

3. die Absprachen, die wir mit den Lehrer_innen treffen konnten.

Wir dürfen zum Beispiel 5 Minuten früher gehen und später kommen, um Kruschelphasen zu überspringen, in denen alle Mitlernenden gleichzeitig in ihren Taschen kramen, Bänke rücken und Ähnliches.

Da wir den Religionsunterricht abgewählt haben, haben wir eine Freistunde, die wir für uns allein in einem Raum gestalten können. Das ist bisher immer eine perfekte „so richtig in Arbeitsschwung komm“-Stunde für uns gewesen, weil uns niemand gestört hat und wir uns die Aufgaben je nach Bedarf überlegen konnten. Bei Problemen können wir andere Lehrer_innen im Haus ansprechen. Bisher hatten wir aber nie Probleme – wir sind da ja schließlich allein 😉

Alle Absprachen hat uns die Klassenlehrerin sogar noch laminiert und gegeben, falls wir eine Vertretungsstunde haben und die Person noch nicht Bescheid weiß.

4.  der neue Arbeitsplatz, den wir uns in den Ferien gebaut hatten.

Inzwischen haben wir viel darüber verstanden, wie Orientierung, Konzentration und Lernen für uns besser funktioniert.
Also haben wir uns von unserem „für jede Tätigkeit einen anderen Tisch“-Modell verabschiedet und einen Platz für 4 Tätigkeiten eingerichtet.

Der Arbeitsplatz besteht jetzt aus einer Küchenarbeitsplatte (2x1m) und einem Regal mit mehreren Fächern. Da wir jetzt alles mit unserem Zeug befüllt haben und Notizen mit unseren Daten überall hängen, hier mal nur eine Skizze:

Skizze des Regal mit vielen Fächern und des Schreibtischs
der neue Arbeitsbereich

 

Für uns funktioniert es prima, jedoch auch nicht fehlerlos.
Da wir unsere Ordner nach Tagen sortieren, sind veränderte Stundenpläne oder andere Außerplanmäßigkeiten ein Problem.
Das sind sie sowieso schon immer, aber das System kann nichts machen, dass es leichter fällt. Deshalb werden wir unsere Ordner ab diesem Halbjahr nicht mehr nach den Wochentagen ordnen.

Und: an belasteten Tagen können wir den Platz gar nicht nutzen, weil er uns überreizt.
Einer der Gründe, weshalb wir jetzt noch froh sind, nicht gleich alle anderen Tische abgegeben zu haben.

5. YouTube.

  • Der großartige Kanal “How to ADHD” von Jessica, die neben vielen Videos über und zu ADHS, auch eine sehr hilfreiche Playlist zum Thema Selbstorganisation hat
  • Der inzwischen schon über YouTube hinaus bekannte Mathe-Kanal von Daniel Jung
  • viele verschiedene Videos von User_innen zu Funktionen von InDesign, Photoshop und Illustrator

und die englischsprachigen Kanäle, die wir uns als ganz übliche tägliche Sprachübung jeden Tag zur Entspannung ansehen,
zum Beispiel:
ask a mortician (Themenkreis Bestattungskultur, selbstbestimmte Trauer, deathpositivity)
trich journal (Themenkreis Trichotillomanie)
the art of photography (Themenkreis Fotografie als Kunst)
exploring alternatives (Themenkreis tiny houses und andere alternative Wohnformen)
Polly Samuel (aka „Donna Williams“, Autismus, Asperger und verschiedene Divergenzen. Da sie bald an Krebs versterben wird, aktuell viel Liebe, Leben, Innigkeit.)

6.  unsere Helfer_innen und Unterstützer_innen.

Ohne euch und euren Zuspruch würden wir manche Tage nicht schaffen und aus manchen Tagen nicht so heil herauskommen, wie wir es im letzten halben Jahr geschafft haben.

Danke euch <3

 

 

* Die ersten Episoden „Ausbildung inklusive“ findest du hier
Eine Audioversion dieses Textes können wir derzeit nicht leisten.
Wir danken für dein Verständnis.

Fundstücke #40

In der Deutschklassenarbeit gab es eine Aufgabe,
die mir geholfen hat etwas über (Innen)Kinder zu verstehen.
Das will ich mit.teilen.

Die Aufgabe zeigte eine Zeichnung.
Die Zeichnung sah so aus:

Man sieht 2 Figuren, die auf unterschiedlichen Ebenen stehen.
Die Figuren werden durch einen Dialog verbunden.
Das sieht man, an der Form des Wortes “Dialog”.
Die Form soll an eine Leiter erinnern.

In der Aufgabe sollten wir erklären, warum es wichtig für gute Kommunikation ist,
wenn man auf der gleichen Ebene zueinander spricht.

Was ich über (Innen)Kinder verstanden habe,
zeige ich jetzt auch mit einer Zeichnung.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht eine kleine Figur und eine große Figur.
Die kleine Figur bedeutet ein (Innen)Kind.
Die große Figur bedeutet eine erwachsene Person.

Die Figuren werden durch den Dialog verbunden.
Das Wort sieht wieder wie eine Leiter aus.
Weil das Kind kleiner ist als die erwachsene Person.

Obwohl beide Figuren auf einer Ebene stehen
funktioniert jede Kommunikation zwischen ihnen wie eine Leiter.

Ich kenne Leitern.
Ich finde es anstrengend Leitern zu benutzen.
Man muss aufpassen
– dass man nicht daneben tritt
– dass man das Gleichgewicht behält
– dass man nicht vergisst, was man machen will
– dass jemand da ist, der die Leiter gut festhält

Wenn (Innen)Kinder einen Dialog mit erwachsenen Personen machen,
müssen sie auch aufpassen.
– Dass sie die richtigen Wörter benutzen
– Dass sie alles sagen, was sie wollen
– Dass sie beim Sprechen nicht vergessen,
dass sie laut genug sein müssen

Mir ist aufgefallen, dass viele Kinder, die mit erwachsenen Personen sprechen,
Hilfe beim Dialog machen bekommen.
Zum Beispiel:
– die erwachsene Person gibt Wörter, wenn dem Kind eins fehlt
– die erwachsene Person versucht alle Wörter zu verstehen
– die erwachsene Person macht leicht verständliche Dialoge mit dem Kind
– zum Beispiel mit leichten Wörtern
oder mit kurzen Sätzen

Mir ist aufgefallen, dass wir andere Dialoge machen.
Dafür habe ich eine Zeichnung gemacht.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht zwei Gesichter und zwei Sprechblasen.
In der oberen Sprechblase* steht:
“Monolog
– Einleitung/These
– Begründung/Beispiele
– Fazit/Spiegelfrage/Überleitung”

In der unteren Sprechblase steht:
“viele Wörter-Antwort”
Man sieht viele kleine Pünktchen und Linien,
die durcheinander sind.

Ein Pfeil zeigt auf die untere Sprechblase.
Dort steht:
“dazwischen verstecken sich die Wörter,
die man zum Überlegen einer Antwort braucht”

Das soll darstellen, dass wir ein festes Schema beim Reden haben.
Und, dass wir die Antworten von anderen Menschen nicht als Schema erkennen,
sondern als Aufgabe.
Oder als Rätsel.

Jetzt schreibe ich, was ich über Innenkinder verstanden habe.

Ich habe verstanden, dass sie einen Dialog immer wie eine Leiter machen müssen,
weil sie noch klein sind.
Und gleichzeitig die  Wörter für eine Antwort finden müssen,
und ihnen niemand hilft.
Weil die anderen Menschen eine erwachsene Person sehen
und anders mit Wörtern und Sprache umgehen,
als wir.

Ich habe verstanden, dass wir den Innenkindern helfen können,
damit es nicht so anstrengend für sie ist.
Zum Beispiel
– wenn wir unsere gesammelten Wörter mit ihnen teilen
– wenn wir bei ihnen sind, wenn sie einen Dialog mit einer erwachsenen Person machen
– wenn wir alles leicht verständlich für sie sagen
– wenn wir versuchen alles zu verstehen, was sie uns sagen wollen

Wir sind erwachsen.
Wir können für die Innenkinder gute An.Sprechpartner_innen sein.
Dann wird es weniger anstrengend für uns alle.

Dafür habe ich auch eine Zeichnung gemacht.
Weil ich Lust dazu hatte.


*Das Sprechschema ist von Innensystem zu Innensystem unterschiedlich starr bzw. wird unterschiedlich flexibel gehandhabt.

Straßenbahn fahren

Ich bin heute mit der Straßenbahn gefahren.
Ich, Hannah.
Ich bin heute mit der Straßenbahn gefahren und kann dir sagen, welche Farbe mein Sitz hatte, wo ich saß und dass die Sonne geschienen hat, während ich das tat.

Es ist nichts Besonderes mit der Straßenbahn zu fahren. Fast jeden Tag steige ich in eine ein und wieder aus.
Doch mitgefahren bin ich noch nie.

Es ist laut. Zu viel Viel und zu eng. Ich verliere schnell den Überblick. Kann mich nicht finden in all dem ALLES, was in einer Straßenbahn passiert. Mit mir, mit den Menschen, die mit mir fahren. Mit der Bahn und dem, was ihr passiert.
Ich steige in eine Straßenbahn und löse mich auf, weil das ALLES um mich herum in mich eindringt. Mein Denken und Fühlen annektiert. Wenn ich einen Platz gefunden habe, weiß ich nie ob ich sitze, oder selbst eine Fläche bin. Es fällt mir schwer meinen Körper zu fühlen, weil ich die Bewegungen der Bahn nicht von meinen unterscheiden kann. Das Fahren mit Bus und Bahn, mit Zug und Karussell, mit Booten oder dem Fahrrad ist für mich etwas, das mich vereinnahmt und verschwinden macht. Einfach so. Ich bin dann nicht mehr da.
Dann bin ich die Farben der Geräusche. Bin mein Schmerz. Bin meine Angst zu versagen. Und dann vergeht eine kleine Zeit und ich bin tot. Ich denke nicht, ich fühle nicht, ich bin unkörperlich auseinanderdissoziiert und ein anderes Innen tritt durch den Feinstaub, der mal das war, was ich als “Ich, Hannah” bezeichne.

Und heute war ich mit den neuen Ohrenstöpseln unterwegs.
Und bin nicht gestorben, sondern mit der Straßenbahn gefahren.

Ich habe mich hingesetzt und auf den Monitor mit der Werbung geschaut. Und dann habe ich nach links geschaut, weil viele Menschen eingestiegen sind.
Und dann ist mir aufgefallen, dass es nicht weh tut. Dass ich immer noch in der Bahn sitze. Und sitze. Und rausschauen kann. Und die Sonne sehe. Die immer noch genauso da war und schien, wie an der Haltestelle, an der ich eingestiegen war.
Meine Synästhesie für die Geräusche war subtil und flüchtig – ich konnte alles sehen. Mich orientieren. Ich wusste genauso klar, wie ich das zu Hause oder an anderen Orten weiß, wo ich war und wo die Menschen um mich herum. Ich wusste das, obwohl ich nicht meinen Körper berührt hatte. Und als ich ihn berühren wollte, hätte ich fast geweint, weil ich nicht erst überlegen musste, wo eigentlich meine Ränder sind.

Es war wie einer dieser Momente, in denen man sich des eigenen am Leben seins so sicher und bewusst ist, dass es das Herz erfüllt und überschwappen lässt.

Ich, Hannah, bin heute mit der Straßenbahn gefahren, ohne in einen dissoziativen Zustand zu kommen, der mein (unser, als Einsmensch) ganzes Leben prägt.

Zurück zu Hause (nach einer Rückfahrt während der ich die ganze Zeit auf meinem Platz saß und in die Runde schaute, weil ich allen sagen wollte, dass ich da bin und wie krass das ist, und dann merkte, wie noch viel krasser es ist, dass ich merke, dass ich das wirklich tun könnte, weil ich ja gerade da bin und die Energie dafür hätte und und und… ) wollte ich dem Begleitermenschen schildern, was in mir vorging.
Wie krass das ist. Und wie neu, dass ich nach so einer Fahrt überhaupt die Kraft dafür hatte, etwas mitzu.teilen. Und wie gut. Und krass. Und schön.

Und wie traurig. Und wie bitter.

Ich merkte ein paar Rosenblätter und ihnen Vorangehende, mit ihren Gefühlen und Reaktionen. Merkte wie (nochmalig) sinnlos ihnen frühere therapeutische Maßnahmen zur Bewältigung unseres Stress- und Noterlebens nun vorkommen. Das Abstumpfungstraining in Form von wochenlangem Bus- und Bahn fahren bis es keine Panikattacken, Krampfanfälle und Nervenzusammenbrüche während der Fahrt  mehr gab (weil sich ein Innen (weiter)entwickelte, das dieses Training durchhalten konnte). Die massiv kränkenden Sitzungen mit einer Wald-und Wiesen-KVT-lerin, die ihnen bei jedem Termin eingeimpft hatte, dass sie schlicht, die falsche Einstellung zum Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätten und an andere Dinge denken sollen. Das rücksichtslose Gebohre nach Traumatisierungen, in denen Täter_innen irgendetwas vorgeben, wie man sich während Wegstrecken fühlen oder verhalten soll, durch eine frühere Traumatherapeutin.

In den letzten Monaten passiert vieles für uns, dass wir schon seit vielen Jahren hätten für uns einfordern oder erarbeiten und probieren können. Theoretisch. Rein praktisch ging das nie, denn wir hatten keinen Begleitermenschen und kein weiteres Verstehen darum, was mit uns passiert, als das, dass wir uns jeden Grund für unsere Probleme aus dem Dissoziierten in uns herausschälen müssen, um es zu verändern.

Krampfanfälle in der Schule/bei der Arbeit/in Krisenzeiten? – Das ist bestimmt ein desorientiertes Innen
Dissoziative Amnesien für Handlungen des Alltags? – Das ist bestimmt ein desorientiertes Innen
Schwierigkeiten in der Kommunikation und Interaktion? – Das kommt bestimmt von desorientierten Innens
Schwierigkeiten zu Sprechen und Gesprochenes zu begreifen? – Da wirkt doch bestimmt irgendein Redeverbot/Programm – also desorientierte Innens!

Ich merke, dass eine ganze Ladung der Bitterkeit aus dem Bewusstsein um mehr als 10 Jahre therapeutischer Arbeit auf einzig bis überwiegend diesen Annahmen basierend mit und an uns passiert ist, kommt.
10 Jahre, in denen wir uns das eigene Leiden an dem, was für alle anderen um uns herum scheinbar kein Problem war/ist, abgesprochen haben, mit der Begründung, wir wären uns eben noch nicht alle wirklich im Klaren darüber, das heute heute ist und die Gewalt vorbei.
Und je länger ich darüber nachdenke, sehe ich auch die Missachtung unseres allgemeinen Funktionierens und Therapiefortschritts darin.

Was etwas ist, worüber wir schon länger nachdenken, weil es uns seit Jahren immer wieder auffällt:
Die Überbetonung der Schwierigkeit und Langwierigkeit der Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgen bzw. konkreter: der Menschen mit DIS aus organisierter Gewalt in Kombination mit einer bezüglich der allgemeinen Lebensperspektive wenig konstruktiven Fokussierung auf Ursachen in den Klient_innen selbst.
Als Beispiel: eine Person ist ausgestiegen und schliddert von Aussteigereuphorie in Todesangst, nachdem “Alltag (neu) zu lernen)” sich als chronisch überfordernd herausstellt, nachdem diverse Fähig- und Fertigkeiten schlicht nicht vorliegen.
Auf die Idee, diese Fähig- und Fertigkeiten zu unterrichten bzw. konkret einzuüben und zu benennen, kommen viele tiefenpsychologische Therapeut_innen häufig nicht – wohl aber auf die Idee, dass es sicher Gründe hat, dass die Person das nicht kann. Und diese Gründe werden ganz klassisch in der Person selbst verortet. Nicht etwa in einer Inkompatibilität der Person mit ihrer Umwelt und anders herum. Nicht etwa darin, dass es neben all dem eher Ungewöhnlichem im und am Leben dieser Person, auch ganz simple, ganz profane Problemdynamiken geben kann.

Mich erinnert das an die Arroganz der Zauberer in Harry Potter: alles wird aufgezaubert, weil man es kann – Schema F ist special besonderes Zauberstabgewedel, um ein Türschloss zu öffnen, statt die Klinke zu benutzen oder die Tür einzutreten.
In unserer Behandlung von Ängsten, Zwängen und anderen Problemen, die unsere Funktionalität zuweilen existenziell bedroht bzw. eingeschränkt haben, haben wir bereits Thesen und Ideen zu unserer inneren Struktur und Biografie gehört, die von abwegig und unwahrscheinlich bis tatsächlich hanebüchen reichten – und letztlich die Probleme selbst nicht gelöst haben.
Uns hat es nie geholfen, von einer Intension anderer Menschen hinter unserem Leiden auszugehen – vielleicht, weil die Intensionen anderer Menschen für uns selten wirklich ausschlaggebend für die Beurteilung einer Situation sind (weil wir die Intensionen anderer Menschen häufig nicht eindeutig bestimmen können) – vielleicht aber auch, weil es für unser Leiden tatsächlich völlig irrelevant ist.

Ich konnte die Straßenbahn nie bewusst nutzen, weil mein Reizfilter nicht gut funktioniert, die Auswirkungen dessen immer wieder das Erinnern von unverarbeiteten Traumatisierungen antriggert und mein Gehirn mit Dissoziation darauf reagiert.
Natürlich kann ich andere Begründungen finden. Etwa: Meine Oma hat mich immer dafür bestraft, wenn ich mit der Straßenbahn gefahren bin (und weil ich auch nach 10 Jahren Traumatherapie nicht in der Lage bin, zu schnallen, dass ich erwachsen bin und tun kann was auch immer ich will und meine Oma für ein omnipotentes Überwesen halte, das mich furchtbar zerfetzen wird, wenn ich es doch tue – weil ich einfach nicht fähig bin, mich und meine Überzeugungen konstant mit der Realität abzugleichen (oder! (kaum hörbar geflüstert) mein_e Therapeut_in einfach schlechte Arbeit mit mir macht)) und deshalb kann ich das heute nicht und bin überfordert und muss immer weiter und weiter an meinem Oma-Ding arbeiten, um das zu können.

Natürlich gibt es Menschen, für die es wichtig ist und hilfreich und völlig okay, sich so mit ihren Schwierigkeiten auseinanderzusetzen.
Für mich wirkt es im Moment jedoch auch wie ein Weg sich Klient_innen zu produzieren, die man sehr lange, sehr tiefschürfend, fast ausufernd behandeln _muss_, ohne dabei wirklich greifbare Ziele erreichen können. Weil die Straßenbahn-fahr-Verbot-Oma ja auch noch tausend andere Dinge verboten haben kann und man so ja nie etwas lernen konnte und das betrauert werden muss (Trauer ist eventuell auch ein langer Prozess…) und integriert werden muss und tja am Ende irgendwann, wenn die Kraft der Behandler_in nicht mehr reicht, muss di_er Klient_in vielleicht lernen damit umzugehen, dass bestimmte Dinge bei ihm_ihr einfach aufgrund der Geschichte mit Oma vielleicht nie gut/normal/funktional sein werden, aber das ja nicht schlimm ist, schließlich hat sich die di_er Klient_in in x Behandlungsjahren eh schon dran gewöhnt “krank”/dysfunktional/bekloppt zu sein.

Ich behaupte nicht, dass das oft vorkommt und man sich deshalb niemals mit einem Oma-Ding in Therapie begeben sollte. Oder, dass gezielte Misshandlungen im Rahmen von organisierter Gewalt niemals Täter_innen-Intensionen folgen, die im späteren Leben der ehemaligen Opfer eine große Rolle dabei spielen, bestimmte Dinge zu können oder neu zu lernen oder genau nicht zu können und zu lernen.
Ich sage, dass diese Herangehensweise bzw. allgemeiner die Begründung von Schwierigkeiten in den Intensionen anderer Menschen zu sehen, für uns nie zur Folge hatte, unsere Probleme lösen zu können, neue Fähig- und Fertigkeiten zu entwickeln, geschweige denn, uns tatsächlich von diesen Personen zu emanzipieren.

Mit uns funktioniert der “böse auf die Täter_innen werden und sich dadurch besser abgrenzen können”-Ansatz nicht und darüber ein Großteil der üblichen Methoden zur Motivation von Aneignung des eigenen Lebens und Etablierung von Selbstbestimmung und so weiter, ebenfalls nicht.
Und erst jetzt kommen wir zu der Erkenntnis weshalb das so ist.

Wir wollen unsere Therapieziele um ihrer selbst willen. Wir haben uns für das Leben um des am Leben seins willen entschieden.
Mich hat es belastet die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu erinnern bzw. bewusst für mich selbst zu erleben, weil ich es nicht erinnerte bzw. nicht bewusst für mich erlebte. Es ist unser permanenter Sachbezug, der uns in einem Kontext der Gründe aus Intuition und Personenbezug eine Schleife von 10 Jahren hat fahren lassen.
Und das ist eine wirklich bittere Erkenntnis.

Das erbittert uns nicht nur die Traumatherapie bis heute, es erbittert uns auch sämtliche früheren Behandlungen als Versuch einer sich bietenden sinnvoll erscheinenden und von allen Seiten angeratenen Möglichkeit sich Erleichterung und mehr Lebensqualität zu verschaffen.

Der Begleitermensch hatte gefragt, ob es denn nicht gut sei, es jetzt geschafft zu haben, einen Weg gefunden zu haben, das Fahren mit der Straßenbahn zu erleben, ohne zu dissoziieren. Ob es denn nicht schön sei. Ob es das denn nicht überwiegt. Oder relativiert.

Jetzt ist eine ganze Weile vergangen seit dem Tag, an dem das passierte.
Und ich kann sagen: nein, das tut es nicht.
Es jetzt zu schaffen, macht das Leid früheren Scheiterns und seiner Konsequenzen für und in uns nicht weg und schon gar nicht relativiert es das. Es ist nicht erhebend für mich zu sagen: “Ha! Ich habe es geschafft ohne diese Verhaltenstherapeutin! Ha ha! Ich bin ja wohl doch nicht so blöd, wie sie mich vor mir selbst dargestellt hat!” – es ist unfassbar traurig für mich, nicht früher und ohne so schmerzliche Episoden auf Kosten anderer Innens an den Punkt gekommen zu sein.

Ich bin nicht dankbar dafür, jetzt Bahn fahren zu können, weil es sich im Moment mehr nach einer zufälligen Belohnung fürs Durchhalten anfühlt, als nach einer Entschädigung oder dem Gewinn eines Kampfes.
Ich bin nicht voll des Triumphes, weil ich mir einreden kann, ich würde wegen dieser Fertigkeit den Täter_innen ein Schnippchen schlagen, weil ich jetzt etwas kann, was sie mir immer verwehren wollten.
Ich bin nicht voll der Zuversicht für die Lösung anderer, ähnlich gelagerter Probleme des Alltags, weil ich weiteren Schmerz fürchte, der mit der Erkenntnis einhergeht, dass wir schon sehr viel früher, sehr viel ernster und allen Vorgaben durch Therapiemethoden und Therapeut_innen zum Trotz auf das, was um am Kränksten, Durchgeknalltesten, Awkwardesten an uns selbst erschien (und bis heute erscheint) achten und entsprechend handeln hätten müssen – obwohl ich weiß, dass wir genau das aber auch aus Gründen sehr lange nicht konnten (und auch heute nicht einfach mal eben können).

Wieder bewege ich mich also in dem Kreisel aus internalisierter Pathologisierung, Anerkennung der Schädigung von früherer toxisch wirkender Psycho(trauma)therapie und deren Auswirkungen auf mich (uns) heute.
Weil ich ein Erfolgserlebnis hatte.
Weil ich ein Therapieziel erreicht habe.
Weil es nun einen Bereich mehr in unserem Leben gibt, der nicht so bewältigt werden muss, wie früher Gewalterfahrungen bewältigt wurden.

tl,dr: Es ist schön, dass es jetzt so ist.
Und es ist bitter, dass es nicht schon vorher so war.

kein Trost

Wir waren im Kino und haben uns “Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind” angesehen.
Im Folgenden spoilere ich etwas aus dem Film, deshalb gibt es ein tl,dr am Ende des Artikels.

Ich fand den Film unfassbar traurig. Er ist traurig wie die X-Men-Filme traurig sind. Wie jeder Film, in dem Andersartigkeit zu Not und schmerzhaftem Miteinander führt, traurig ist.

“Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind”, spielt in der “Harry Potter-Welt”.
Eine Welt, die gespalten ist, in magische und nicht magische Wesen. In Könnende und Nichtkönnende. Eine Welt, in der die Einen die Anderen fürchten und verachten, mit etwas Glück jedoch bewundern und einander nacheifern.
Eine Welt, in der beide Seiten sich selbst nicht im Anderen erkennen können, obwohl ihre kulturellen Praktiken die gleichen Wurzeln haben.

Die Faszination solcher Filme liegt für mich in der Möglichkeit mir meine eigene Welt, mein Hier und Heute von außen anzuschauen. Ich kann die Konflikte, in denen ich mich selbst befinde, in einer übersetzten Variante als unbeteiligte_r und irrelevante_r Zuschauer_in betrachten und mir eventuell in Frage kommende Handlungsoptionen ansehen.
Oder, wie heute, einen Tränenstrom runterschlucken und denken: “Scheiße.”.
Denn anders sein ist scheiße.

Anders unter anderen zu sein, macht niemanden gleich.
Es macht nur alle anders und verbietet ein Leiden unter der eigenen Andersartigkeit.

Es gibt in dem Film eine Figur, die als Squib (eine nichtmagische Person, die eine magische Familie hat) eingeführt wurde und von einer hasserfüllten Adoptivmutter misshandelt wird. Im Verlauf taucht eine Vertrauensperson für diese Figur auf, die sie jedoch auch nur ausnutzt.
Der Angelpunkt ist die Verwandlung dieser gequälten Figur zu einem alles vernichtendem dunklen Wesen – das am Ende scheinbar getötet wird.

Über diese Wesen wird im Film gesagt, dass sie nicht alt werden.
Es gab keinen Fall von einem, das älter als 10 wurde.
Die Figur, die dieses Wesen ist, ist älter und alles, was dazu kommt, ist die Erwähnung “großer Kraft”.

In den letzten Ausklängen des Filmes ist ein Fitzel des schwarzen Wesens zu sehen.
Es hat wieder überlebt.
Weil es ja so stark ist vielleicht.

Mich hat das “abgeholt”.
Weil ich so müde bin und so überhaupt gar keine Kraft für irgendwelche Opferleistungen mehr habe. Ich kann nicht mehr verhandeln, ich kann nicht mehr ausreden lassen, ich kann meine Gedanken nicht mehr zusammenschieben, damit sie in die Schubladen anderer Menschen passen. Ich bin überarbeitet und 24/7 überfordere ich mich damit meine Überforderungen in Arbeiten zu zerhacken, die ich bewältigen kann, nur um festzustellen, dass es zu viele werden.
In meinem Kopf spulen sich mit jedem Fehler, mit jeder Erkenntnis etwas nicht zu schaffen, vor irgendetwas zu scheitern, mit etwas nicht rechtzeitig, nicht genug, nicht passend fertig zu werden, genau solche Misshandlungsszenarien wie in diesem Film ab.

Strafen, Not, Einsamkeit, dieses eingeklemmte Gefühl im Oberkörper, das man kriegt, wenn man sich selbst aus all dem rausschreien, rausstrampeln, freikämpfen will, aber nicht kann, weil vor lauter Arbeit gegen die Arbeit, gegen Überforderung und für all das, was man sich wünscht und will, schlicht keine Kraft mehr hat.

Es ist keine Hilfe zu wissen, dass es alte Dinge sind.
Dass es vorbei ist und mir niemals wieder jemand so weh tun kann.
Es hilft nicht, weil Erkenntnis nicht das Gegenteil von Schmerz und Not ist.

Was mich an solchen Filmen mit Zauberei und Superkräften tröstet, ist die Unwillkürlichkeit aller Protagonist_innen zu Beginn ihres Umgangs mit ihren Fähigkeiten. Die meisten haben Angst vor sich selbst, versuchen sich zu positionieren, vergleichen sich anderen und je nach Verlauf der Geschichte, finden sie Wege sich mit anderen Anderen zu befreunden und zu sich zu finden, oder sich in den Kampf um etwas zu begeben, das ihnen wichtig ist.

Ich bin viele und anders.
Wenn ich sterbe (= so stark dissoziiere, dass ich mich nicht mehr als “ich” wahrnehme) kommt etwas aus mir heraus, dass ich weder beeinflussen, noch spüren, noch mehr als erahnen kann. Wenn ich eins kenne, dann ist es das Gefühl jeden Moment zu einem schwarzen Loch zu werden, das alles und alle um sich herum verletzt, kränkt, falsch behandelt – ganz und gar anders ist, als ich.
Das ist mein “normal” und zwar schon immer. Mein ganzes Leben lang.

Dieser Film war, glaube ich, der dritte oder vierte, in dem ich eine Figur sehe, die anders ist und misshandelt wird – und ihre_n Misshandler_in tötet.

Neben all dem „Kraft zum Überleben-Blabla“, das Hollywood braucht, um Opferschaftserfahrungen zu verwursten, ohne die betroffene Person aufgrund dessen als schwach und minderwertig darzustellen, ist es das, was Filmemacher_innen dann einfällt.
Und mich weit mehr ängstigt als es irgendein Horrorfilm schaffen kann.
Genugtuung durch Rache mit Todesfolge.

Ich identifiziere mich mit solchen Figuren, weil mich ihr Anblick in meiner eigenen Existenz in dieser Welt versichert.
Wenn es in Filmen solche Figuren mit so anderen Eigenschaften gibt, dann gibt es mich auch.
Menschen erfinden nichts, was es nicht in irgendeiner Form bereits gibt.

Es ist schlimm anerkennen und akzeptieren zu müssen, dass auch ich das Potenzial habe Menschen zu töten. Menschen, die mich verletzt haben, zu töten.
Zu töten, wenn ich die Kontrolle über mich verliere und das schwarze Loch an meine Stelle tritt.

Das Drama des Wesens in dem Film ist, die Andersartigkeit unter anderen und eine Einsamkeit, die sehr viel weiter greift als bis zu dem Punkt, an dem es weder durch die magische, noch durch die menschliche Gemeinschaft eine Daseinsberechtigung erfahren kann, weil ist, was es ist.
Die absolute Einsamkeit, die globale Tragödie entspinnt sich erst dort, wo es überlebt hat. Schon wieder.

Es macht mir selbst klar, was mich an meiner eigenen Überforderung und Überarbeitung so in Not bringt.
Ich weiß, dass ich das überleben kann. Ich weiß, dass ich die Gewalt in meinem Kopf, in meinem Erinnern und Wiedererleben genauso überleben kann, wie das Selbst aus vielen Ichs, sie früher überlebt hat.

tl, dr:
Es ist kein Trost zu wissen, was man alles überleben kann, weil man es schon einmal überlebt hat.  Es ist so oft nichts mehr, als ein weiterer Schmerz, den man zusammen mit all dem, was ist und war und wird, jeden Tag aufs Neue überleben muss.

Gleichzeitigkeiten

Zum Erinnern an frühere Gewalterfahrungen kommt für mich inzwischen auch Stück für Stück das Erinnern an das Inmitten_Erleben in diesen Situationen. Neben der Erkenntnis, dass ich die Ereignisse, die ich als verschwommenes Dämmern oder Erinnerungsgrollen in meinem Denken und Fühlen wahrnehme, tatsächlich durchlebt habe, ergibt sich in der Traumatherapie auch die wachsende Idee davon, kein 100% passives, dumpfes Wesen mit geistiger Nulllinie gewesen zu sein.

Ich will es nicht verklären – ich merke, wie fieberhaft manche Innens die Situationen zu berechnen und einzuschätzen versuchten. Ich merke, welche dissoziativen Phänomene jeweils überhaupt erst ermöglich(t)en, dass bestimmte Strategien sich in bestimmten Innens haben entwickeln können (und bis heute bestehen).
Ich will nicht sagen: „Obwohl die Welt gebrannt hat, blieben wir cool.“ – das wäre falsch.

Aber ich will sagen: „Während die Welt gebrannt hat, ist etwas in uns vorgegangen.“ und setze in Klammern hinzu: (das mir hilft).
Auch das will ich richtig verstanden wissen: Es hilft mir heute – und Punkt.
Es hat nicht geholfen zu überleben, es hat nichts erträglicher gemacht – es war einfach nur auch da und hilft mir heute.

Ein Beispiel hat mit einer Taube, deren Gefieder braun-weiß gesprenkelt war, zu tun.
Sie war auf dem Fensterbrett eines Zimmers gelandet, in dem andere Wir’s von uns verletzt wurden.
Alles was war, passierte – Schonhaltungen, Täter_innenfokus, der Sprint der Kognition hinter der körperlich-seelischen Überreizung her – und gleichzeitig auch eine Erinnerung an (einen erst weiß-braun gesprenkelten) Kakao in einem Topf, auf einem Herd, in einer Klinikküche, in einem Moment, in dem es eine Idee eines Okay-Gefühls gab.
Nicht lange – aber lange genug.
Wofür auch immer.

Das bedeutet nicht, dass ich oder diese Wir’s damals nicht gelitten haben. Oder diese Gedanken nur deshalb da waren, weil es so schlimm war.
Es fällt mir schwer an die Theorie zu glauben, nach der sich überreizte/gestresste Gehirne in eskapistische Schleifen verirren, um sich zu entlasten.
Je mehr ich erinnere, desto mehr komme ich an die Überzeugung, dass solcherart Gedanken da waren (und heute erinnerbar sind), weil sie Teil der Gleichzeitigkeit dieser Situation waren.

Für mich ist die permanente Gleichzeitigkeit von allem der Grund, weshalb mir der Alltag und verschiedene Tätigkeiten darin schwer fallen.
Für mich ist es zum Beispiel schwierig zu entscheiden, wann ich dran bin etwas zu sagen, weil ich nicht durchgehend sicher priorisieren kann, was für wen wie wo und warum relevant und überhaupt wahrnehmbar ist. Woher soll ich wissen, ob mein Gegenüber es nicht so schlimm wie ich, findet, wenn der Klang meiner Stimme asynchron und allgemein dissonant mit dem Klang des Lampentickens ist? Welche Parameter gibt es für so eine Entscheidung?

Gewaltsituationen sind für mich ein Stück Lauf der Dinge, in dem die übliche Gleichzeitigkeit in einem Zustand wahrgenommen wird, der im und am Körper mit Gleichzeitigkeiten zu tun hat und deshalb als überreizend, überbordend, unaushaltbar einzustufen ist.
Mit dem Erinnern heute kommt das Gefühl der Vertrautheit dessen, was schon früher schwierig war und sich bis heute kaum verändert hat – obwohl heute heute ist.

Ich dachte oft, die Menschen, mit denen ich über eine Gewalterfahrung sprach, nähmen mich nicht ernst, wenn sie sich auf bestimmte Aspekte oder Dynamiken innerhalb der Erfahrung konzentrierten und andere Dinge ausgeklammert ließen.
Heute verstehe ich, dass wir einfach anders erfassen und auch in Gewaltsituationen früher anders erfasst haben, was passierte. Für uns passierte schon damals immer alles (mal mehr mal weniger gut voneinander abgrenzbar) gleichzeitig und ein Großteil unserer kognitiven Ressourcen ging (und geht) in die Vereinzelung der Dinge, obwohl wir allen Dingen den gleichen Wert in Raum, Zeit, Ist, zuschreiben, um mit anderen Menschen darüber sprechen zu können.

Aus einer Situation, in der ein Tagesplan kaputt geht, eine Heizung rauscht, eine Uhr tickt, Kleidung raschelt, 5 verschiedene Menschengeräuschdynamiken passieren, die Haare zwischen Kopf und Boden reiben,  meine Haut andere Haut fühlt, Schmerz passiert, nicht klar ist, welche Bewegung oder Handlung erwartet/gefordert ist, Ekel passiert, Angst passiert, das faszinierende Webmuster eines Stoffs vor Augen tausend Fragen in den Kopf schüttet, ein Kühlschrank pfeift, der Geruch von Büchern und Holz von Menschenkörpergerüchen bedrängt wird, eine Enge im Hals nicht zum Geräusch passt, das aus ihm kommt, eine Sockennaht schmerzhaft auf den kleinen rechten Zeh drückt … muss ein Satz werden, der nur noch die Informationen erhält, die für andere Menschen in etwa nachempfindbar sind, sonst verstehen sie die Schlimmheit des Moments für mich nicht.

Ich muss vereinzeln, reduzieren und damit auch meine Erfahrung kleiner_reden.
Manchmal passiert es dann, dass ich darüber bei scheinbar neutralen Sätzen wie: “Eine Person hat eine andere verletzt” lande, während für mich bereits die Benennung meiner Selbst als “Person” (also “Mensch” oder auch “Individuum” aus den Räumen “Menschenrechte” und “Seele”) für mich bereits hochgradig aufgeladen erscheint. Die Dichte unserer Vereinzelungen wird häufig nicht wahrgenommen. Der Umstand, wie stark wir vereinzeln und wie viel Energie wir daran verlieren diese Sortierungen vorzunehmen, wird häufig nicht wahrgenommen.
Heute erlebe ich es als wichtig mir das klar zu machen, wenn ich mich nicht ernstgenommen fühle.

Es ist wichtig, weil es auch die eigene Sortierung des erinnerten Inmitten_Erlebens betrifft.
Für uns ist ein Gedanke an Hausaufgaben während einer Vergewaltigung nie ein random Brainfart gewesen, der vernachlässigbar ist, weil der Kontext wichtiger ist oder die Bedeutung des Ereignisses oder seine Auswirkungen im Heute.

Ich merke, dass wir unseren Auftrag an die Traumatherapie verändern müssen, weil unser Zugang ein anderer ist.
Merke, wie sehr für uns selbst weder relevant ist, wie oder warum moralisch falsch oder justiziabel, noch wie schlimm oder zwingend wieder gutmachbar war, was wir erfahren haben.
Es geht nicht darum bestimmte schmerzhafte, quälende Handlungen an unserem Innern und seinem Körper zu erinnern oder bestimmte Kränkungen oder Zwänge, oder Ängste, denen wir ausgeliefert wurden. Es geht auch nicht darum zu ergründen, warum und für wen das passiert ist.
Für uns ist das, egal in Bezug worauf, nicht das Einzige, was uns dazu bringt über eine Gewalterfahrung zu sagen: “Das war so schlimm, dass wir das nicht verarbeiten konnten” oder auch “Das war so schlimm – ich kann mich gar nicht konkret erinnern.”.

Deshalb hilft mir die Erinnerung an auch solche Gedanken in Gewalterfahrungssituationen.
Und auch: deshalb tröstet mich die Erinnerung an solche Gedanken, denn sie zeigen mir, dass meine Annahme von Gewalt als alles abtötendes Gift in einem Menschen vielleicht falsch ist.
Sicher ist sie schlecht für die Entwicklung eines Menschen. Sicher ist sie schlecht für achtsam respektvolles Miteinander. Sicher kann sie töten.

Aber daneben ist sie dennoch immer auch nur ein Anteil einer Gleichzeitigkeit.
Und wir tragen mit unserer Anpassung an Menschen mit anderem Wahrnehmen als wir dazu bei, dass genau das aus dem Blick gerät – obwohl wir das gar nicht wollen. Wir vereinzeln unser Erfahren solcher Situationen – und wundern uns, warum wir im Innen so vereinzeln bleiben. Wir verdichten unsere Worte dafür – und wundern uns über Miss- und Unverständnis oder fühlen uns umgeben von Menschen, die scheinbar gar kein Erfahren mit uns teilen.

Hm.

die erste Woche nach den Ferien oder: Was alle verstehen

Ich wollte diesen Artikel gerade  mit: “Es gibt nicht viele Momente, in denen mir bewusst ist, dass ich es in der Schule zu 90% mit Menschen zu tun habe, die bis zu 15 Jahre jünger sind als ich.” einleiten und bemerkte, wie unsinnig diese Aussage ist, wenn ich doch ein paar Absätze später erzählen will, dass ich sie schon wieder angemeckert habe.

Aber ich muss ein bisschen ausholen. Eine Woche weit muss ich ausholen. Mir einen diffusverwolkten Lautklumpen auf die Werkbank donnern und die Wortfeile zücken. (Vielleicht stellen sie sich jetzt ein Werkstattgeräusch vor – das verstärkt den Effekt meiner hier hingeschriebenen Bilder)

Es ist die erste Woche nach den Ferien gewesen. Alle waren mehr oder weniger voll von zu teilenden Geschichten – der Abstand hatte sich verringert – Grenzen und Fassungen aufgeweicht. Nicht nur in unserer Klasse, die sich so viel zu erzählen hatte, dass die 15 Minuten der Unterrichtspausen und die vielen anderen Minuten des Tages, an denen kein Unterricht passiert, nicht reichten.

In den letzten 5 Tagen gab es keine Pause für uns in der Schule. Einmal gab es eine für NakNak* – das war am Donnerstag als wir 8 Stunden hatten und in der Mittagspause in den Wald gegangen sind. Ansonsten huschten wir durch die Schulflure auf der Suche nach einer Ecke ohne Hall und Durchgangsverkehr, um uns über den Tages- und Arbeitsabläufe zu versichern, Testinhalte durchzugehen und etwas zu essen.
Auf den Schulhof zu gehen ist jetzt schwierig. Kalt und nass findet unsere Blase in der Regel scheiße. Da wir uns auf selbige und ihre Signale nicht zuverlässig verlassen können, wäre draußen zu sitzen jetzt zwar erheblich ruhiger, aber im Nachhinein vielleicht das Letzte, was wir brauchen.
So gingen wir also durch die Schulflure, wie alle anderen Schüler_innen auch.

Und wurden angeguckt und begafft.
Wir kennen das und merken trotzdem, wie es uns zertriggert, wenn das passiert. Wir wissen alles darüber, warum Menschen das tun und dass das nichts mit uns zu tun hat – jatta jatta – es ist trotzdem schwierig für uns, damit umzugehen. Denn immer wieder aufs Neue passiert das. Als würde diese Schule jeden Tag neue Schüler bilden, wie der Körper seine roten Blutkörperchen.

In dieser Woche wurde NakNak* hinter mir her angelockt, angefasst, gestreichelt. Wir wurden angepfiffen, um die Aufmerksamkeit des Hundes auf sich zu ziehen. Und auch hier: Wir wissen, warum Menschen das tun. Wir wissen, wie normal solche Grenzüberschreitungen unter Menschen sind. Und trotzdem machen sie mich unheimlich wütend, unfassbar traurig und letztlich: müde –  müde für andere Menschen.
Diese Menschen. Die nicht verstehen, wenn es ihnen niemand sagt und erklärt. Die einfach noch so jung und spontan, unbedacht und an manchen Stellen anders gereift sind, als ich.

NakNak* hat in ihrer Ausbildung gelernt, sich nicht ablenken zu lassen. Das ist jetzt etwa 5 Jahre und viele Millionen beschissen gelaufener Grenzüberschreitungen her. Sie funktioniert nicht mehr ganz genauso wie damals und wir wissen das. Wir trainieren jeden Tag und verlieren das nie aus den Augen – und doch. Jede Zeit unter Menschen, die nicht mit ihr und uns im Training sind, grätscht uns mit ihrer Normalität in ebenjenes Training rein.

Um so ärgerlicher wird es für uns, wenn wir dann in solchen Situationen dezidiert ausgegrenzt werden – NakNak* jedoch nicht.
Ja ups- da passiert Ausgrenzung. Wir werden nicht etwa angesprochen, ob der Hund gestreichelt werden darf. Warum wir mit dem Hund da sind. Was “Assistenzhund” bedeutet. Häufig wird sich nicht einmal unser Gesicht angeschaut. Wir sind nur der kopf(seele-geist)lose Körper zu dem, worauf die Aufschrift auf der Decke dieses niedlichen Assistenzhundes hindeutet. Wir sind die Hülle um das Fremde, das Unheimliche, das irrational Aversive. Der Hund ist okay. Der ist ja nur ein Hund.

Am Mittwoch stand ich morgens in der vollen Bahn mitten im Gang und wartete darauf, dass der Platz für behinderte Menschen frei wurde. Ich hielt mich mit beiden Händen in Balance an den Haltestangen über meinem Kopf. Währenddessen griff ein neben mir sitzender Mensch meinen Oberschenkel streifend an mir vorbei, um die vor mir sitzende NakNak* zu streicheln. Das Gesicht weich und selig lächelnd.
Wie hätte ich da reinboxen können?

Es war diesem Menschen nicht klar, dass seine Berührung etwas in mir an Situationen in Todesängsten erinnerte. Wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal bemerkt, denn mich hatte er von dem Hund wegdissoziiert. Abgespalten und weggemacht.

Keine drei Stunden später ging ich durch einen Flur an einem Schülergrüppchen vorbei aus der sich ein Schüler löste und NakNak* im Vorbeigehen zu streicheln versuchte.

Am Donnerstagmorgen wartete ich zusammen mit Schüler_innen meiner Klasse vor einem Raum auf die Lehrerin. Aus einer der Schülergruppen um uns schallten Pfiffe zu uns. Übliche Lockpiffe, die ich für mich durch den Raumhall des Flurs nicht orten konnte. Ich wurde unruhig – NakNak* wurde unruhig. Noch ein Pfiff. Und noch einer. Inzwischen schauten uns alle Umstehenden an. Ich verlor die Beherrschung und rief in irgendeine Richtung: “Hör auf mit dem Scheiß!”. Antwortendes Lachen aus der Halle.
Trigger Trigger Trigger
Wir hätten gehen sollen. Hätten gehen können.

Alle hätten das verstanden.
Aber genau das ist das Problem.

Alle verstehen, wie problematisch so ein Verhalten für uns ist – doch genauso verstehen alle, warum dieses Verhalten passiert.
Und alle geben sie mir an die Hand, dass ich mich damit abfinden soll, weil es ja nicht zu ändern ist. Sie geben mir das Problem in die Hand.
Ich – wir sind die Person, die sich damit arrangieren soll, dass Menschen auf das beste Hilfsmittel, das unter Anderem dabei hilft, in Kontakt mit Menschen zu gehen und zu bleiben, so reagieren, dass ich am liebsten nie wieder mit Menschen zu haben haben will.

Wir wollen nicht jedes Mal alles von uns und unseren Problemen preisgeben müssen, um Menschen zu erklären, was ein Assistenzhund ist und was NakNak* genau tut.
Wir wollen unsere Grenzen sowohl als Mensch, als auch als Mensch-Assistenzhund-Team gewahrt erfahren dürfen, ohne uns auf eine Art zu öffnen, die für andere Menschen vor Fremden nie in frage käme. Es ist unser gutes Recht das einzufordern – selbst vor jenen, die meinen, weil wir offen zugänglich ins Internet schreiben, würden wir doch genau so etwas ganz toll finden!

Wir können nichts dafür, dass die Umgebung, in der wir uns bewegen (wollen) müssen so gemacht ist, dass wir am Besten mit einer hundischen Assistenz an der Seite darin funktionieren. Wir können nichts dafür, dass die Lebensumgebungen der selbsternannten “Normalen” oder “Nichtbehinderten” so frei von Menschen sind, die behindert sind und/oder werden, dass wir einen seltenen Anblick bieten.

Wir können nichts für all die Hindernisse zwischen den auftauchenden Fragen an uns als behinderte Person und dem Mut, sie auch zu stellen.
Wir sind nicht verpflichtet, die Kompensation unserer Behinderungen zu erklären. Wir sind nur verpflichtet die Kompensationsmöglichkeiten für andere Menschen nicht mit unseren Kompensationsmitteln- und wegen einzuschränken.

Es ist – und ja jetzt lasse ich mich hinreißen, man möge es mir verzeihen – ein verdammt netter Service und manchmal auch das undankbarste Ehrenamt, dass wir jeden Tag neu versuchen, freundlich, offen, besonnen und ruhig auf Menschen zuzugehen, für die wir fremd und beunruhigende Gefühle auslösend wirken.
Dieser  Aspekt wird nicht oft benannt in der Inklusionsblase – das scheißnette Immerlieb und Dauergelächel, dass sich für manche behinderte Menschen zu Recht wie ein viel zu enges Kostüm anfühlt und doch immer wieder nötig und wichtig ist.

Denn klar: für uns fühlt es sich immer gleich an, wenn sich irgendwelche Menschen irgendeinen dieser Makro-Mikro-Megafails an uns und unserer Menschenwürde erlaubt – doch es sind eben doch immer wieder andere Menschen. Mit anderen Hintergründen, mit eigenen Geschichten und Arten zu er_leben.

Das macht die Anstrengung nicht geringer. Das macht es nicht weniger frustrierend. Doch es ist wichtig.
Menschen, die mit uns umgehen, zu sehen und als eigene Individuen anzuerkennen, ist vielleicht nicht direkt funktional in dem Sinne, dass es etwas für uns macht, doch es ist wichtig für das, was wir diesen Menschen entgegenbringen: Respekt und den Raum gemeinsam mit uns zu sein, wie sie sind – nicht wie wir sie haben wollen und vielleicht auch manchmal brauchen.

Ich habe heute – nach einem Test, einer frustrierend anstrengend verwirrenden Unterrichtseinheit “Kommunikation” und zwei weiteren Pausen, in denen NakNak* und ich angegafft wurden, unseren Lehrer bequatscht, einen angekündigten Test doch heute bitte nicht mehr zu schreiben und stattdessen nochmal lieber die Aufzeichnungen durchzugehen und Erklärungen zu bekommen.
Das tat ich für mich (die auf dem letzten Loch pfiff und den Test, wegen vieler Fehlzeiten schlicht versemmelt hätte) und die Klasse, die sich in den letzten Tagen noch versuchte gegenseitig zu helfen, es jedoch nicht schaffte, weil niemand wirklich verstanden hatte, worum es ging.
Der Lehrer ließ sich drauf ein, die Schüler fanden es gut und schafften es sogar, sich einen ganzen Teil der Stunde nicht wie eine umgekehrte Stille Post – Filiale zu verhalten.

Bis ein neues Arbeitsblatt ausgeteilt wurde.

Nach 3 Minuten erinnerte ich mich daran, dass sie erst 15, 16, 17 … sind. Nach 5 Minuten sagte ich mir, dass der Lehrer bestimmt – ganz bestimmt bitte gleich was sagt. Nach 10 Minuten brüllte ich sie an. Fragte sie, ob sie überhaupt merken, wie unfair sie sich gerade mir gegenüber verhalten.
Ja und plötzlich konnte der Lehrer etwas sagen. Plötzlich konnte es still sein.
Die Stunde wurde beendet – ich hatte weder den Arbeitsauftrag noch die Wege zur Bearbeitung mitbekommen. Die Klasse tobte aus dem Gebäude – ich brauchte noch 20 Minuten obendrauf.

Ich weiß alles das, was man mir spontan dazu sagen will, um zu verstehen, was da passiert ist. Ich will aber keine spontan gesagten Zumirschiebephrasen mehr über solche Situationen. Ich will nicht verstehen müssen, was da passiert ist.
Manchmal – und gerade nach so einer Woche – will ich, dass mich jemand fragt, ob der Krach, das Viel der Klasse schlimm weh getan hat. Ob ich damit umgehen kann. Ob ich okay bin. Wie ich es in mein Bild von uns verarbeite, einen Overload nach dem anderen nicht wegkompensieren zu können.

Dann will ich, dass mir jemand sagt, ob ich mich verständlich ausgedrückt oder alles komplett falsch gemacht habe. Weil: laut sein und meckern, ist ja auch irgendwie nicht “normal” (und wieso genau das eigentlich alle™ so normal finden – ich werde das wahrscheinlich nie verstehen!)

Ich hätte gern anerkannt, dass ich nicht 24/7 als vermittelnde Auf- oder Erklärer_in oder Öffentlichkeitsarbeiter_in unterwegs bin, sondern immer nur dann, wenn ich das auch leisten kann.

Wenn wir in der Schule sind, sind wir privat unterwegs.
Da brauchen wir selbst Hilfe.
Jedoch nicht, weil wir andere/mehr Behinderungen kompensieren müssen, als andere oder, trotz unseres höheren Alters, sondern, weil wir nicht alleine dort sind.

Alleine muss man nur dann alles schaffen, wenn man alleine ist.
Wir sind nicht mehr alleine.
Wir sind Schüler_in.
Zusammen mit den über 20 Schüler_innen in unserer Klasse.
Zusammen mit den über 1000 Schüler_innen an der Schule.

Es kann nicht nur unsere Aufgabe sein, zu verstehen und zu akzeptieren, was da passiert, nur weil es uns (scheinbar) allein behindert und weh tut.

“Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht”

Vor dem Termin hatte ich Angst. Termine, die mit dem Gericht zu tun haben, machen mir immer Angst.
Nicht, weil ich fürchte, man würde mich für irgendetwas ins Gefängnis sperren oder mich bestrafen, sondern, weil ich weiß, dass wir dem, was dort passiert, nie gewachsen sind.

Wir haben das Problem, das viele Viele und viele autistische Menschen haben: man sieht uns nicht an, was in uns vorgeht.
Entweder macht mein Gesicht etwas, das von anderen Menschen nicht korrekt übersetzt werden kann oder es macht gar nichts, weil all meine Kraft in das Erfassen der Vorgänge um mich herum geht und nichts mehr übrig bleibt für Körpersprache.
Wir haben das Problem, das viele Menschen, die (lange) in sogenannten “Hilfe”systemen leben, weil wir es brauchen: wir sind abhängig von jenen, die strukturell oder persönlich als unsere Helfer_innen auftreten bzw. bestellt werden – was bedeutet, dass wir unfrei sind und nur so befähigt zur Befähigung sein können, wie sie (und die gegebenen Strukturen) uns dazu ermächtigen bzw. befähigen.

Und wir haben das Problem, dass wir uns all dessen bewusst sind. Während viele andere es nicht sind und auch nicht sein wollen.

Ich hatte vor dem Termin Angst, weil ich Angst vor unserer gesetzlichen Betreuerin habe. Vor ihrer Ignoranz mit der sie mit der Macht, die wir ihr übertragen haben, umgeht. Vor ihrer falschen Überzeugung, die sich durch keine unserer Richtigstellungen und Erklärungen korrigieren lässt.

Wir rutschen nachwievor selbst immer wieder in die Todesangst, von der wir Pädagog_innen und anderen Betreuer_innen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, erzählen. Wir selbst erleben uns immer wieder in der Überzeugung, dass, wenn dieser eine Zettel falsch ausgefüllt wird – dieser eine Beschluss falsch ist – dieses eine Gutachten unzutreffend ist – dieser eine Bericht strunzfalsche Aussagen enthält – dieser eine Antrag inkorrekt ausgefüllt wird – wir sterben werden (weil wir etwas falsch gemacht haben/niemand uns helfen wird/wir allein und ausgeliefert (bleiben) werden/weil wir unter- oder gar nicht versorgt werden/weil das doch jede_r kann und es unsere Strafe ist, zB etwas Beantragtes nicht zu bekommen, damit wir es beim nächsten Mal gefälligst richtig machen…)

Das ist kein überkandideltes Einbildungsängstlein, das man im Fall des Falls auch durch eine Kognition auflösen kann. Das ist eine Angst, die uns den Hals zupulst und den gesamten Organismus mit toxischem Stress flutet. Das ist Traumawiedererleben. Das ist, was man, wenn man so will, “PTBS-Dünger” und “Traumatherapiegift” nennen könnte.
So ein Stresslevel verändert die Denkstruktur, verändert die rein neurologisch verfügbaren Möglichkeiten, um Inhalte zu erfassen und zu verarbeiten und verändert natürlich auch die Ressourcen der sozialen Interaktion und verbalen wie nonverbalen Kommunikation.
Zusammen mit unseren allgemeinen Schwierigkeiten andere Menschen zu lesen und ihre Handlungen und Aussagen zu verstehen, sind wir folglich bei allen Gesprächen mit solchen Schwerpunkten massiv gehandicapt.
Und ich schreibe hier bewusst “gehandicapt”, denn behindert werden wir an der Stelle ganz klar von der Ignoranz der Menschen, mit denen wir es dann zu tun haben und von den Strukturen, die diese Ignoranz erlauben.

Vor dem Termin hatte ich noch getwittert, dass ich mir NakNak* an unserer Seite bei dem Gespräch gewünscht hätte. Zum Einen, weil wir uns im Innen grundlegend anders aufstellen können, wenn wir nicht nur für uns, sondern auch sie sorgen müssen und sie uns frühzeitig einen Krampfanfall meldet – zum Anderen aber auch, weil sie durch ihre Anwesenheit als Assistenzhund greifbarer macht, dass wir eine behinderte Person sind. Dass wir “wirklich etwas haben” und nicht nur so tun oder es eine Frage der individuellen Einschätzung von Außen ist, ob da etwas ist oder nicht und wenn doch, wie sehr.

Doch bei Gericht herrscht kategorisches Hundeverbot. Natürlich könnten wir uns um einen medizinischen Zettel bemühen auf dem steht, dass wir echt was haben und der Hund in echt hilft, besser klar zu kommen – aber natürlich müssten wir dazu mal wieder eine_ Mediziner_in beanspruchen, unsere Zeit für andere Dinge abknipsen, unseren Fokus erneut nicht auf uns und das was wir brauchen legen, sondern darauf, was andere (ablierte) Menschen brauchen, damit sie etwas tun dürfen, damit wir bekommen, was wir brauchen.
Der Satz ist jetzt recht lang – man darf ihn sich trotzdem mal tief in den Kopf tun und dann einen Blick auf die Behindertenrechtskonvention werfen, bitte danke.

Ich wünsche mir mehr Bewusstsein um diesen Umstand bei anderen Menschen. Ich wünsche mir mehr Bewusstsein darum, dass Behinderungen der Wahrnehmungs_Verarbeitung existieren und ganz konkrete Folgen für das Miteinander haben.
Wir haben massive Probleme in Gesprächstermine zu gehen, ohne zu wissen worum genau es konkret gehen wird. Was von dem, was wir sagen wollen und wichtig finden, gehört überhaupt in diesen Termin? Was genau sollen wir leisten? Müssen wir große Entscheidungen treffen – und wenn ja – was sind die Kriterien, an denen wir uns dazu orientieren sollten/können/müssen?

Diese Probleme haben wir nicht erst seit gestern. Die haben wir schon seit immer – doch existenziell problematisch wurden sie erst, seit wir mit 15 zum ersten Mal vor einer Jugendamtssachbearbeiterin gesessen haben und ohne die Tragweite unserer Aussage überhaupt selbst umfassend verstehen und überblicken zu können, unserer Fremdunterbringung zustimmten.

Unser Gerichtstermin gestern, war die Folge unseres Anrufs dort, nachdem unsere Betreuerin auf unseren Zusammenbruch über das Ende unserer Sicherheit sagte, sie wüsste wie es uns jetzt ginge und anderen grenzüberschreitenden Bockkackscheißmist von sich gab, der uns in massive Zweifel brachte, ob sie überhaupt je verstanden hat, was wir ihr über unsere Geschichte, Trauma und Autismus als unsere zentralen Probleme gesagt hatten.
Was wir nicht wussten war, dass, wenn man in so einem Fall bei Gericht anruft und fragt, ob es Klärungsoptionen gibt, die man nutzen könnte, um weiterhin gut miteinander zu arbeiten, das automatisch als Beschwerde gilt und damit einen Betreuerwechsel einleitet.
Der Richter beantwortete unsere Unkenntnis dessen lapidar mit “Ja, manchmal sind Wissensdefizite hinderlich.”

Dass meine Erziehung und Therapie schon länger passiert war, fand ich in dem Moment auch hinderlich.
Denn statt ihn zu hauen oder anzuschreien, wie ich es gerne getan hätte, bekam ich den ersten Krampf im rechten Arm, Schreie im Kopf und einen Hyperarousel aus der Hölle.  Spätestens jetzt hätte NakNak* angefangen zu bellen und mich zu kratzen. Und alle Anwesenden hätten gemerkt, dass jetzt Stopp ist.
Dass jetzt schon der Moment ist, in dem nichts mehr geht. Weder lieb-Performance, noch brav-Tänzchen, noch konstruktiver Beitrag zum Thema.
Aber NakNak* war nicht da. Und ich habe es nicht gemerkt.
Ich dachte, ich müsste retten, was zu retten ist. Zusammenreißen, stark sein, nicht einknicken, dran bleiben, für mein Recht auf eine gesetzliche Vertretung, die angemessen ist, kämpfen, mich darum bemühen, verstanden zu werden, nicht aufgeben selbst zu verstehen – obwohl niemand merkt, dass ich nicht verstehe.

Ich traf eine Entscheidung von der ich nicht weiß, ob sie richtig war und auf Wegen, die sich mir nicht erschlossen, da ich noch längst nicht fertig war mit dem, was ich zu sagen hatte, war das Gespräch dennoch einfach plötzlich zu Ende.
Wir gingen raus auf den Flur, die Betreuerin wollte “schnell noch was mit uns besprechen” und ich hatte das Gefühl jeden Moment einen Schrei aus mir herauszukotzen, dessen Ursprung, Sinn und Ziel mir fremd war.

Für mich waren Zeit und Raum schon längst zerbrochen und lose an seinen Fäden aus dem Universum herunterbaumelnd, wie ein Sitz im Kettenkarussell. Und wenn man mich fragt, dann ist es genau das, wovor wir Angst haben, wenn wir Angst vor Kontrollverlusten haben.

Es ist Trauma 101.
Traumatische Erfahrungen sind deshalb traumatisch, weil das Gefühl für den Kontext (und sich selbst darin) verloren geht. Verstärkt wird es durch körperliche Versehrungen oder emotionale Not. Manchmal geht es auch darum, etwas zu erfahren, das niemand sonst erfährt bzw. das nicht alltäglich ist, was die Kontextualisierung erschwert.

Für uns hochtraumatisierte Person mit Problemen der Kommunikation und Interaktion, war dieser Termin von Anfang an einer, bei dem klar war, dass wir genau das (wieder)erleben werden. Und niemand hats gerafft. Niemand.
Ausnahmslos.

Wir wussten nichts vor diesem Termin über diesen Termin, außer, dass es um unsere Betreuungszukunft geht. Was alles bedeuten kann. Da wir noch keine gesetzliche Betreuung vor dieser hatten, haben wir noch nicht genug konkrete Erfahrungen auf die wir zurückgreifen konnten, um uns den Kontext zu erschließen.
Und da niemand verstanden hat, dass wir ein bisschen mehr brauchen als “kommen sie da mal hin, es ist ein wichtiger Termin”, haben wir auch nicht mehr bekommen – und natürlich auch nichts weiter gefordert.
Mehr Forderungen kosten mehr Kraft und davon haben wir seit einer Weile häufig gerade mal soviel, dass wir nicht vergessen zu essen, zu trinken, uns nicht das Leben zu nehmen.

Trotzdem lautet die Prämisse für alle und immer: Wenn sie was wollen/brauchen – fordern sie es ein.

Irrational sind sie. Solche Einladungen zu etwas, das in der Regel weder gemocht noch selbst gerne erfüllt wird.
Weshalb sie eben auch immer wieder an uns als Option herangetragen werden. “Soll sie halt was sagen, wenns ihr nicht passt – wer schweigt stimmt zu.”

Wer schweigt, weil zum Fordern keine Kraft da ist, hat in dieser Logik selbst schuld und damit die eigene Diskriminierung verursacht.
Muss ich jetzt noch einen Satz dazu schreiben wie unfassbar ignorant und abstoßend so eine Haltung ist?

“Keine Kraft” bedeutet in unserem Leben sowas wie: “Scheiße, ich hab mir die letzte saubere Hose vollgepisst, weil ich schon seit Stunden auf Küchenboden liege und nicht mehr hochkomme. Scheiße, ich muss Wäsche waschen. Scheiße, ich muss sie aufhängen. Scheiße, ich hab für morgen nur noch Klamotten, die zu groß sind, anzuziehen. Scheiße, ich hab so viel Gewicht verloren. Scheiße, ich muss mehr essen. Scheiße, hab ich heute überhaupt schon gegessen? Scheiße, hat der Hund gegessen? Scheiße, der Hund muss noch raus. Scheiße, ich bin so scheiße zu ihr. Scheiße, ich kann keinen Hundesitter engagieren. Scheiße, ich komme mit nichts hinterher. Scheiße, es ist so viel zu tun. Scheiße, ich bin so viel zu wenig vor all dem Viel.”, zu denken, währenddessen die Sonne untergehen zu sehen und zum x-ten Mal den Timer für irgendwas, was an diesem Tag zwingend dringend zu erledigen ist, zu bemerken.
Und. nicht. zu. können.
Nichts fordern zu können. Nichts sagen zu können. Und auch: nichts und niemanden um irgendetwas bitten zu können, weil irgendwann nicht einmal mehr klar ist, wo man überhaupt anfangen sollte. Was geht. Was man fordern könnte.
Was man mehr tun kann, als zu sagen: „Ich habe keine Kraft.“ oder „Ich kann nicht.“

Uns wird so lapidar hingerotzt, wir müssten einfach mehr Hilfe fordern, dass nicht gewertschätzt wird, wie viel es von uns abverlangt, wenn wir es tun. Wie viel Not dahinter ist, wenn wir das tun. Es wird übersehen, dass unsere Forderungen niemals und zu keinem Zeitpunkt so lapidar an andere Menschen herangetragen werden, wie es mit der Aufforderung dazu an uns passiert.
Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht.
Und das ist uns gestern zum Verhängnis geworden.
Schon wieder.
Trotzdem wir mit dem Begleitermenschen da waren.

Die Betreuerin sagte etwas, ich stopfte mir den nächsten Schreiimpuls in den Hals und lief weg.
Ich erinnere mich daran, dass ich meine steinharte Hand mehrmals gegen Wandstücke schleuderte und daran, dass ich dem Begleitermensch etwas später sagte, dass ich deshalb ins Krankenhaus wollte. Tatsächlich hatte ich es ihm aber mit dem Talker vermittelt und auch danach noch einige Stunden nicht mit Lautsprache kommuniziert.

Wir hatten einen Krampfanfall, der übermäßig lange anhielt und waren auch lange danach nicht in der Lage zu re-interagieren.
Das Erste, was ich konsistent erinnere, ist die Wand des Krankenhausimmers, deren Oberfläche nach Kiwi schmeckte.

Ich erinnere Schwindel, Erschöpfung, den Wunsch nach Versorgung, die mir etwas von dem nimmt, worunter ich litt. Schmerzen, Scham, Selbsthass, Schuldgefühle, Wut, Ohnmacht, unerträgliche Mitgefühle für andere Menschen.
Nach einigen Stunden und zwei Röntgenaufnahmen des Arms, verließen der Begleitermensch und wir das Krankenhaus mit Schwindel, Erschöpfung, Schmerzen, Scham, Selbsthass, Wut, Ohnmacht und dem Gefühl, die eigene Not selbst verursacht zu haben.

Im Arztbrief steht der Begleitermensch als unser Betreuer.
Weil er weder Freund noch Passant war, wurde er eben der Betreuer für eine behinderte Frau, die weder zu sprechen noch Blickkontakt aufzunehmen hinkriegt und deshalb ganz sicher in einer betreuten Wohngruppe lebt.

Wenn wir allein ins Krankenhaus mit einem Krampfanfall eingeliefert wurden, dann wurde uns immer vermittelt, wir hätten uns nicht genug um Hilfe bemüht.
Nun waren wir Begleitung eines als helfend kategorisierten Menschen und entnehmen aus dem Brief, dass wir als jemand wahrgenommen wurden, di_er keine Hilfe mehr braucht, weil ja schon Hilfe da ist.

In “Die Soziologie der Behinderten” beschreibt Günther Cloerkes (unter anderem) wie so etwas passiert.
Es passiert aus Angst vor dem selbst gemachten und gelebten Tabu der Nonkonformität, die Behinderung und behindert sein bedeutet.
Wenn wir so sind – wann immer wir so viel Not durchleben und das nicht verstecken (können/wollen) – erschrecken wir Menschen, denn sie merken, wie wenig es braucht, um so wertlos/krank/ausgeliefert/leidend/bedürftig/* zu werden, wie sie uns gerade wahrnehmen und in was für eine prekäre Lage sie sich selbst mit allem, was sie in Bezug auf uns tun, manövrieren.
Es tröstet und entlastet, wenn man die Wurzel einer Behinderung in einem Menschen bzw. dessen Psyche oder Gehirn verorten kann. Es tröstet und entlastet, wenn man sich mit der Idee von einem “guten Platz für einen nicht so richtigen richtig normalen alle belastenden Menschen” ent.sorgen kann.

Was es mit uns macht, wenn wir diesen Menschen ihre Strategien immer wieder kaputt machen müssen, weil sie Bullshit oder nicht die Realität sind, bleibt dabei unbedacht.
Wie viel Kraft es uns kostet bei anderen (ablierten) Menschen das Unbehagen zu lösen, die Unsicherheit zu nehmen, zu versprechen, jederzeit alle möglichen Fragen zu klären und all diesen Extraservice zu stemmen, den es braucht, damit ablierte™ Menschen uns als “ganz normal” unter sich dulden – danach fragt niemand.
Daran denkt scheinbar auch niemand.
Und ja, ich finde das scheiße. Ich finde das richtig scheiße.

Und ich finde mich scheiße, weil ich das gerne könnte. Immer und für alle.
Kann ich aber nicht immer.
Weil ich eben doch eine Person bin, die ist, wie sie ist. Traumatisiert. Viele. Autistisch.

Und leidend.

Mal mehr mal weniger.
Mehr, wenn wir Tage wie gestern in eine Zeit, wie die der letzten Wochen und Monate integrieren müssen. Weniger, wenn wir genug Entlastung durch gute Hilfen haben, die an uns herangetragen werden, ohne dass wir bitten und betteln, fordern und kämpfen müssen, sondern, weil man versteht, was wir sagen.

Ich mag solche Jammerpostings nicht. Würde auch lieber einen kessen Spruch nach dem anderen bringen und zeigen, dass unser Leben nicht nur grau in schwarz in Not und Elend ist.
Aber manchmal ist es das.

Und dann wäre es schön zu spüren, dass das gesehen wird. Es wäre schön, sich damit nicht allein gelassen zu fühlen.
Es wäre schön gewesen, hätte man uns im Krankenhaus helfen können.
Es wäre schön gewesen, hätten wir an diesem Tag von vornherein jede Hilfe haben können, die wir gebraucht hätten.

Es hätte uns allen so viel erspart.

Prozesskosmen

“Du hörst Musik?”, fragte eine Person, die mit uns in der Klasse ist und schaute mich an.
“Ich geh sogar jeden Tag aufs Klo!”, antwortete ich und hoffte mir über ihre Reaktion erschließen zu können, ob sie überrascht, verwundert, verwirrt, verunsichert oder sich doch allein auf den Umstand, dass ich Musik höre, bezogen war.
Sie und ein paar andere Umstehende lachten und sie erklärte, dass sie sich das einfach nur gefragt hatte, “wegen der Lautstärke”.

Mir ist später aufgefallen, dass wir in einer schwierigen Lage sind, wenn wir erklären wollen, was für uns an Geräuschen schwierig ist. Allgemein ist es schwierig nicht einfach so differenziert darüber reden zu können, wie wir das jetzt aufschreiben werden.

Offenbar hat sich die Idee eingeschlichen, es ginge bei “unserer Geräuschempfindlichkeit” um Lautstärke allein.
Das tut es aber nicht. Es geht um “viel”, das für uns schneller als für viele andere Menschen “zu viel” wird.
Wir hören gern Musik ohne Gesang – stundenlang, auch volle Wumme laut – das Gleiche funktioniert aber nicht mit Songs, in denen gesungen wird. Wir hören sie gern, könnten aber Konzerte mit Mitsingen und Personenkult drum rum nicht durchhalten. Disco kriegen wir auch hin – wissen aber auch, dass wir danach tagelang Ruhe brauchen, weil es uns schlaucht wie ein Triathlon.

Deshalb sind die Ohrenstöpsel, die wir uns am Montag gekauft haben, wieder nur eine Entlastung – kein Lösungsmittel.
Wir kommen auch nicht gut damit zurecht, gar nichts oder nur extrem gedämpft zu hören – da grätschen uns die Traumafolgen rein. Das ist der Verlust eines Sinnes und damit ein Stressfaktor, der unsere Bereitschaft in den Hyperarousel zu kippen, erhöht.
Die Ohrenstöpsel von Alpine sind deshalb so gut für uns, weil sie bestimmte Frequenzen filtern und uns damit von Geräuschen entlasten, deren konkreter Nutzen für uns derzeit nicht gegeben ist. Sie funktionieren wie kleine mechanische Filter, die andere Menschen im Gehirn haben und lassen uns deshalb weniger von dem auditiven “viel” bewusst wahrnehmen.

Wir hören üblicherweise nichts, was andere Menschen nicht auch hören. Wir hören es nur leider immer. Und immer. Und immer. Alles. Gleichzeitig.
Wenn es etwas gibt, um das ich andere Menschen beneide, dann ist es ihre Möglichkeit die multiplen Gleichzeitigkeiten des Jetzt nicht immer als solche bewusst zu haben. Es ist die Entscheidungsmöglichkeit. Das Moment, in dem sie sich darauf konzentrieren können, etwas zu entdecken, dass sie schon immer umgibt.

Neulich ging ich mit meiner Klassenlehrerin durch einen Flur der Schule, den ich sehr mag, weil sich an seiner Decke die Wasseroberflächenbewegungen des im Schulgebäudehof liegenden Teiches reflektieren. Ich sagte ihr, wie schön ich es finde und zeigte ihr, auf ihre Frage, was ich meine, die Bewegungen einen Meter über ihrem Kopf. “Ist mir noch nie aufgefallen.”, sagte sie und freute sich.
Ich freute mich über ihre Freude und verging gleichzeitig in einem Neid aus meiner Idee von ihrem Leben und Sein in einer Welt, in der so viel weniger Dinge für sie geschehen und nach ihrer Aufmerksamkeit zu greifen zu versuchen.

Für mich ist es nicht wie in einem Film, in dem ich einen Raum betrete und zack sind alle Details für mich “einfach da”. (Und nein – wir wurden auch nicht darauf trainiert viele (alle) Details in Räumen wahrzunehmen, weil wir als ein multipler Supersoldat gezüchtet wurden. Just sayin. Mit Blick auf diverse Multimythen, die versuchen Autismus mitzu”erklären”.)
Wir gehen in einen Raum und haben Angst, dass er uns weh tut mit irgendeinem Ding, das niemand sonst zu bemerken scheint.
Ein erheblicher Teil dessen, was in uns vorgeht, wenn wir uns in Räumen aufhalten, hat mit der Selbstpositionierung zu den Kosmen um uns herum zu tun. Wo stoßen wir an? Wo schlagen wir Schatten? Wo verdeckt das Ticken einer Leuchtstoffröhre, das Glucksen im Heizkörper, das mir so gut gefällt? Was macht es, dass wir sind, wo wir sind? Und so viel mehr.
Und dann kommen Menschen dazu und verhalten sich rücksichtlos in Bezug auf all das.
Es ist so viel da und doch sprechen sie nur uns an.

Für uns ist das ein Element aus Gewaltsituationen früher und gleichzeitig auch immer wieder ein Moment gestört zu werden.
Wir sehen uns als Gast, als Zuschauende_r, als Besucher_in wo wir gehen und stehen. Wir wissen, dass wir niemals eins sein können mit dem, was wir wo auch immer vorfinden – aber wir nehmen immer Anteil an den Prozessen, die passieren und werden in manchen Aspekten zum Teil davon. Wir werden vereinnahmt, sind beschäftigt, sind berührt von dem, was passiert, weil wir da sind.
Sich dem “einfach nicht zu widmen”, erscheint mir unmöglich und im Anspruch bigott, rücksichtslos, ignorant und manchmal auch einfach nur unverständlich.

Gleichzeitig kann ich aber natürlich anerkennen, dass Wahrnehmung eben unterschiedlich passiert. Dass Wahrnehmung und Rezeption, Erfassen und Begreifen, Verbindung und Kontakt bei und in jedem Menschen jeweils unterschiedlich passieren.
Bei uns passiert es so, dass wir Umgebungsprozesse wahrnehmen und zur Erfahrung es Ist zugehörig erleben, während andere Menschen einen grundsätzlich anderen Fokus haben. Für sie kommt es nicht in Frage einen Menschen in einem Raum als irrelevanteren Prozess einzustufen, als seinen Schattenschlag auf dem Muster des Bodens in Korrelation zum Geräusch seiner Schuhsohlen auf eben jenem – für sie kommt aber in Frage sich dem zu widmen, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Für sie gibt es die Wahl sich dem zu widmen.

Für uns gibt es die Wahl sich stören oder ablenken zu lassen. Oder eben die, die wir schon seit immer leben: die dritte Instanz zu sein zwischen dem nichtmenschlichen Prozesskosmos und dem menschlichen Prozesskosmos und zu versuchen sich zwischen Verbindung und Kontakt zu entscheiden.

Zum Beispiel zu versuchen in Verbindung mit dem menschlichen Prozesskosmos “Klassenlehrerin” zu gehen und ihr zu ermöglichen, Kontakt zu einem von mir wahrgenommenen Prozess aus dem nichtmenschlichen Prozesskosmos (die Bewegungen an der Decke) zu erfahren –  mit dem Ziel ihr zu sagen, was in mir passiert (welcher Prozess in mir passiert) während ich in Verbindung mit diesem Prozess bin.
Wir haben nicht die Wahl uns zwischen beiden zu entscheiden. Der Blick geht immer auf alles gleichzeitig und die einzige Wahl, die wir haben, ist die uns Optionen zu suchen, weniger stark darunter zu leiden.

Auf der einen Seite, dass wir uns manche auditiv wahrnehmbare Prozesse ausfiltern lassen. Dass wir Dinge und Räume meiden, die uns gleich viel oder mehr mit.teilen als Menschen, wenn wir mit Menschen zu tun haben.
Auf der anderen Seite, dass wir aber gegenüber den Menschen mit denen wir uns Verbindungen wünschen, beweglicher und transparenter werden – etwa in dem wir mit.teilen, was wir wann wie wo wahrnehmen, erfassen und womit wir uns gleichzeitig mit ihnen in Verbindung stehend empfinden.

Obwohl es für sie vielleicht nicht so erfassbar und begreifbar ist. Oder relevant. Oder gleichermaßen anziehend.
Und auch obwohl wir immer wieder gelernt haben und bis heute immer wieder als Lektion erfahren, dass das, was für uns von Bedeutung und Relevanz für das Ist als Prozess des Jetzt ist, für “alle anderen™” absolut irrelevant ist.
Nicht weil “alle anderen™” das so wollen oder so entscheiden – sondern, weil es für sie eine Frage des Wissen/Erfahren/* wollen sein muss, bevor sie es so wahrzunehmen versuchen können, wie wir. Und damit am Ende sogar scheitern könnten.
Weil wir jeweils anders sind.

Weil wir jeweils unterschiedliche Prozesskosmen sind.

diese Tage, an denen man fürs Leben lernt

Es gibt Tage und es gibt Tage. Und “diese Tage”.

An “diesen Tagen” wartet man schon seit einer Ewigkeit darauf, dass die Menstruation jetzt endlich einsetzt, damit sich das schäbige Allgemeinbefinden endlich verändert. Man hält  beim Duschen die Luft an, weil die vielen kleinen Wasserstrahlen auf der Haut so exorbitant mehr weh tun als sonst. Man heult das erste Mal, wenn man sich daran erinnert, dass die alltime-favorite-Bekleidung aus Rock und Strumpfhose nachwievor unmöglich ist und schluckt das zweite Geheul herunter, als einem auf dem Weg zur Straßenbahn der Grünflächenpflege-Rasenmäher-Horrorschwadron entgegen kommt.
Man quetscht sich Small Talk aus dem Wörterpansen direkt hinter den Rachenmandeln, um der Person, die eine_n freundlich anquatscht, ebenso freundlich zu begegnen.
Und man weiß, dass ab jetzt absolut nichts mehr passieren darf, weil sonst das gesamte Kartenhaus des Hier und Jetzt in sich zusammenkracht.

Murphys Law sei Dank, passieren aber natürlich Dinge.
In der Schule riecht es heute nach Waffeln, wir warten lange auf den Lehrer und stehen in der Einflugschneise des Kellerganges. Hunderte Schüler schlurfstöckelschlappen an uns vorbei und niemand von ihnen versucht, wenigstens eine der zwei Türen nicht in den Rahmen knallen zu lassen.
Meine Mitschüler_innen schaffen es zu reden, zu lachen, ein bisschen dösend zu warten. Ich bin froh NakNak* unter meinen Finger zu spüren und so zu wissen, wie groß ich tatsächlich bin. In meinem Gefühl gibt es meinen Körper nicht mehr. In meinem Gefühl, bin ich ein Wesen ohne Haut über den bloßen Nervenenden.
In mir drin schreit ein Kleinkind in Todesangst.
Ich merke, wie die Ankunft des Lehrers für mich zu etwas wird, das mich retten soll. Alles aufhören lassen soll. Wie ich das Warten mit jeder Minute mehr nur deshalb durchhalte, weil ich mehr und mehr davon überzeugt bin, dass dann alles gut werden würde.

Es ist eine bittere Enttäuschung, als er dann da ist und doch nicht genau das passiert.
Es wird erschreckend und schlimmschlimmschlimm als wir, wie er auch, anerkennen müssen, dass auch heute unser Unterricht nicht wie geplant passieren kann, weil die Internetverbindung in der Schule gestört ist.
Für mich verschwindet die Schule als Struktur. Als greifbares Element, dass mich halten kann. Aushalten kann. Mich und den Puls, der über mein Sein hinwegrauscht, wie ein Wasserfall.

An “diesen Tagen” nähere ich mich einer Verständnisebene für das Leiden in unserem Leben und einer Idee von dem Leiden, mit dem wir früher unser Leben gestaltet haben werden.

Wir haben Unterricht im Rechnerraum. Dort stehen etwa 25 PC’s mit Knubbeltastatur und Hartplastikmäusen. Von der Decke leuchten ca. 12 Leuchtstoffröhren auf die LCD-Bildschirme und den Tafelersatzbeamer. Es rauscht vom Boden nach oben, tickt asynchron von der gesamten Decke nach unten. Dazwischen zucken die Mausklicks und versuchen sich durch das dichte Murmeln aus den Menschenmündern zu bewegen. Drehstühle knacken. Kleidung raschelt. NakNak* kratzt sich. Auf meiner Haut wird es feucht und kalt.
Das Unterrichtsthema interessiert mich. Ich würde mich gern mit einem Buch darüber in meine Flauschhöhle verkriechen und mich damit befassen. Aber ich sitze hier und versuche mich damit zu trösten, dass ich das ja nur 90 Minuten aushalten muss und dann nochmal was Interessantes für 90 Minuten erfahre und wir uns dann überlegen können, ob wir uns ein Buch über dieses Thema besorgen.

Ich spüre, wie der Schwan etwas aus meinem Träumen vom Lesen in der Flauschhöhle nimmt, um das Kleine einzuwickeln und wie ein Teil meiner Kraft an seine Stelle verschoben wird.
Die Störung kann nicht behoben werden und wir sitzen in einem zunehmend weißer werdendem Rauschen. Ich kann nicht mehr denken. Meine Gedanken sind die Geräusche um mich herum und ein mehr und mehr nach mir greifender Gefühlsstrudel. Ich gehe raus. Ertrage Schüler um Schüler, der durch den Flur an uns vorbei läuft, anguckt und dann durch die Tür geht, um sie hinter sich zuknallen zu lassen.
Ich gehe rein, packe meine Sachen, melde mich beim Lehrer ab.

Ich fühle mich verrückt und habe Angst davor, vielleicht, ohne es zu merken bereits eine Grenze überschritten zu haben, die eingehalten werden muss, um einen Ausbruch chaotischen Seins zu verhindern.
Jemand schreit mich an “Warte nur bist du zu Hause bist!” und ich denke zum x-ten Mal in den letzten Monaten, wie schön das wäre, kämen wir nach Hause und würden von jemandem erwartet. Ich kommentiere so ausführlich, wie ich es noch schaffe, was ich tue. In welcher Stadt ich gerade in die Straßenbahn steige, in welche Linie und von wo bis wo sie fährt und alles, was ich aus dem Fenster erkennen kann.

Wir fahren an dem Wohnort einer Gemögten vorbei, am Arbeitsort des Begleitermenschen, an der Praxis der Therapeutin, an dem Wohnort einer Freundin und ich halte mich daran fest, wie uns jede_r Einzelne_r dieser Menschen sagen würde, dass es okay ist zu gehen, wenn es nicht mehr geht, oder nötig ist, um schwerwiegendere Probleme zu vermeiden.
Merke, dass es etwas macht, daran zu denken.

Ich steige aus der Bahn und fühle mich schwindelig. Es ist warm und der Zug von NakNak*s Leine wabert im Grenzbereich eines Schmerzempfindens.
Mein Trinkwasser ist fast leer und beinahe rutsche ich schon wieder in meinen Ärger darüber, ständig irgendwas irgendwie zu brauchen. Doch dann ärgere ich mich über meinen Ärger.
Weil die Energie gerade sowieso da ist und es mir leichter fällt aus einem Ärger über mich heraus, etwas zu verändern.

Vielleicht drehe ich deshalb um und laufe in die Stadt.
In ein Fachgeschäft für gutes Hören.

Ich trete in den Laden wie ein Cowboy in den Salon und ziehe meine ganze Kraft aus dem Boden unter mir.
Die Person sagt, man müsse immer erst mal beim HNO prüfen lassen, ob mit den Ohren alles in Ordnung sei und ich bekomme von hinten rechts die Bilder von Ärzten mit Stirnspiegel, die unfassbar schmerzhaftes Licht in Ohren bündeln; der Mutterfrau, die sich über das Kind, das nicht normal auf Ansprache reagiert bekla.sor.gt, die fingerdicken Tabletten, die es zu jedem Ohrenschmerz gab…
Mich für diese Erinnerung bedankend drehe ich mich aus den Bildern heraus und antworte: “Das Problem sind nicht meine Ohren.” und strahle sie an. “Das Problem ist mein autistisches Gehirn!”.

Die Person nickt und sagt, sie verstünde das Problem. Dann greift sie nach einem Katalog und zeigt uns verschiedene Ohrstöpsel und Gehörschutzkopfhörer.
Hinter mir steht ein murmelndes Innenhäufchen und schwankt zwischen der Aufnahme der Informationen über die verschiedenen Möglichkeiten und Materialien und Fassungslosigkeit darüber, wie nicht schlimm war, dass ich gesagt habe, was ich gesagt habe.

Wir kaufen ein Paar “PartyPlug” von Alpine und lassen uns zeigen, wie man sie einsetzt, entfernt und reinigt. Als wir den Laden verlassen, fühlt es sich an, als hätten wir eine Unterrichtsstunde gehabt. Vielleicht in “Mut zur Selbstfürsorge lohnt” und “Mut zur Offenheit lohnt” und “Es ist okay”.
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Einen Tag später tragen wir die Ohrenstöpsel mit Schulbeginn.
5 Zeitstunden später, hatten wir noch keine Angstmomente, kein Gefühl der unaushaltbaren Überreizung und kamen zu Hause mit genug Kraft für einen Blogartikel an.
Sie jucken ein bisschen in den Ohren, aber nicht durchgehend. Sie sind weich und damit gut tragbar für uns– absolut kein Vergleich zu den Oropax, die wir früher schon ausprobiert haben.

Es ist eine Erfahrung, die Mut macht.
Mut zur Hoffnung, dass es vielleicht doch gar nicht so schwer schaffbar ist.

Dieses Dings und alles.

 

P.S. : Kostenpunkt für die Ohrstöpsel: 13,10€
Es ist möglich diesen Gehörschutz individuell an den Gehörgang angepasst zu bekommen
– das kostet ca. 125€.
Es gibt sie auch noch für andere Frequenzbereiche.