Es gibt diese Ansprachen an Opfer von Gewalt in der Kindheit.
Den Eimer „Es war nie deine Schuld“, der über ihnen ausgekippt wird, als würde damit alles Belastende weggespült und beruhigende Klarheit entstehen. In diesem Talk, dieser Rede, die etwas will, das sie selten auch schafft, gibt es oft auch eine Zuordnung, die mich beschäftigt.
„Die Erwachsenen hatten die Verantwortung.“
Als erwachsene Person, die auf eigene Kinder hinwirkt, beschäftige ich mich nun schon länger damit, was da für Verantwortlichkeiten sind. Satt und sauber machen, die Zeiten sind vorbei. Das reicht nicht, weil man inzwischen weithin verstanden hat, dass das noch nie gereicht hat.
Aber schauen wir weiter. Und darauf, was Verantwortung in Bezug auf das Erleben von Gewalt bedeutet. Den Schutz. Die Verhinderung.
Den Großteil der Gewalterfahrungen im Leben meiner Kinder, aber auch der Kinder anderer Menschen werde ich nicht verhindern können. Wir leben nicht in einer gewaltfreien Gesellschaft. In gewaltlosen Strukturen. Was genau umfasst meine Verantwortung also? Sie nicht schlagen wahrscheinlich. Quälen, ständig überfordern, die vor Leuten schützen, die ihnen offensichtlich schaden wollen. Sie ermächtigen, ihre Grenzen zu spüren und zu verteidigen. Ihnen alles nötige Wissen zum Selbstschutz und zur Nutzung von Ressourcen, die ihnen helfen, zukommen zu lassen. Wahrscheinlich geht es darum.
Aber ist dieser Rahmen, den man mit solchen Aufgaben zieht, nicht viel zu eng? Nicht doch eigentlich eher soziales Rosinenpicken für eine Illusion der Selbstwirksamkeit? Nicht eigentlich doch etwas, das Gewalt wie Adultismus zum Beispiel begünstigt und sogar legitimiert? Bestimmte Fertigkeiten, wie die Kommunikation und Durchsetzung eigener Grenzen, sind massiv vom sozialen und strukturellen Rahmen abhängig, in dem sich Menschen bewegen. Bringe ich meinen Kindern das richtig und gut bei, werden sie Probleme kriegen. Es ist nicht vorgesehen, dass Kinder das können. Nicht üblich, dass Erwachsene wirklich immer und in Bezug auf alles, jede Grenze von Kindern respektieren, wahren, beachten, mitbedenken. Das Ausmaß der Kommunikation, die grenzenwahrender, nicht alltagsgewaltvoller Umgang mit Kindern erfordert, ist den wenigsten Menschen bewusst. Entsprechend ist der Umgang. Und das wirklich weit vor Geprügel, Missbrauch oder orchestrierter Quälerei.
Die Verantwortung ist doch aber auch darüber da, oder nicht? Das gehört doch auch dazu. Nicht aus der Lamäng, weils geht oder weil man ohne wirklich darüber nachzudenken entscheidet, dass es selbst nie geschadet hat, einfach machen.
Sagen wir, das ist so. Ich entscheide das für mich. Ich will bestimmte Dinge nicht für meine Kinder. Endet meine Verantwortung dann an dem Punkt, an dem ich Kindergärtner *innen, Lehrer *innen, Trainer *innen, anderen Eltern und Kindern sage, welchen Umgang, welche Regeln ich eingehalten haben will im Umgang mit meinem Kind? Wegen Gewaltschutz, weil das meine Verantwortung ist?
Heißt „die Erwachsenen hatten die Verantwortung“ so viel wie: „Sie hatten sie“, also im Sinne von „Sie hatten sie wie etwas, das man auch nicht haben kann“? Oder heißt es „Da war die Potenz“, also die Möglichkeit, etwas zu tun? Was man dann einfach so annimmt. Weil Erwachsene ja immer alle fähiger sind, als Kinder je sein könnten. In jeder Situation. Immer.
Was ja nicht stimmt. Was einfach überhaupt nicht stimmt. Es gibt sehr viele erwachsene Menschen, die dieser Idee von Handlungspotenzial und Ermächtigung nicht entsprechen. Erwachsene, die Verantwortung haben, aber nicht die Potenz, ihr nachzukommen. Erwachsene können auch in Gewaltsituationen ohnmächtig sein. Gewalt legitimieren, um das eigene Leben zu retten. Aus eigener diskriminierter Positionierung heraus nicht in der Lage sein, diversen Verantwortungen nachzukommen. Und wenn man mal etwas breiter darüber nachdenkt: Wie viele Erwachsene tragen unfassbar viel Verantwortung, ohne sich dessen im Ansatz bewusst zu sein? Kann man diesen Leuten im Fall eines ungünstigen Geschehens sagen: „Guten Tag, es war ihnen nicht klar, aber sie hatten Verantwortung und der sind sie nicht nachgekommen. Sie Arsch. Mit.Täter *in.“
Mir ist schon klar, dass die Mehrheit erwachsener Menschen tatsächlich fähiger ist als Kinder. Da hat sich niemand hingesetzt und einen Unterschied erfunden.
Aber diese Verknüpfung mit Verantwortung finde ich in weiten Teilen zu unscharf. Vielleicht, weil diese Opferansprache schon unsinniger Quatschkram für mich ist. Vielleicht bin ich komisch, wenn ich mich für alle Kinder gleich verantwortlich fühle. Wenn ich Adultismus kacke finde und die Familie als speziellen Spezialschutzraum für eine gewaltvolle Illusion halte. Vielleicht werde ich eine_r von diesen Erwachsenen, über die irgendwer irgendwem irgendwann mal sagt, sie_r hätte die Verantwortung gehabt – vielleicht war ich das sogar schon. Aber Verantwortung hat man eben nicht nur. Die kriegt man nicht fürs Regal, für neben dem Pokal wegen erfolgreicher Teilnahme der Grown-up-Olypmics. Die geht mit sehr vielen Bedingungen einher, die weniger mit erwachsen sein, als mit ermächtigt sein zu tun hat.
Das sind keine Synonyme füreinander.
Korrelation ungleich Kausalität.
Man lebt mit Verantwortungen für andere Menschen, weil man mit anderen Menschen lebt. Nicht weil man erwachsen oder fähig ist, sondern, weil man lebt.